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LAG Hamm, Ur­teil vom 17.07.2008, 16 Sa 544/08

   
Schlagworte: Kündigung: Diskriminierung, Diskriminierung, Diskriminierung: Ethnische Herkunft
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 16 Sa 544/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.07.2008
   
Leitsätze:

 

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Herford, 3 Ca 749/07
   

16 Sa 544/08

3 Ca 749/07 Ar­beits­ge­richt Her­ford 2 AZR 764/08

 

Verkündet am 17.07.2008

Brügge­mann, Re­gie­rungs­beschäftig­te als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen

hat die 16. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 17.07.2008
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt Hack­mann
so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Quen­kert und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Krau­se

für Recht er­kannt:

 

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Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Her­ford vom 30.10.2007 – 3 Ca 749/07 ab­geändert.

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung vom 18.05.2007 nicht zum 31.12.2007 auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, den Kläger als Ma­schi­nen­be­die­ner zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung so­wie um ei­nen An­spruch des Klägers auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung.

Der am 16.10.1948 ge­bo­re­ne, ver­wit­we­te Kläger war seit dem 04.04.1978 bei der Be­klag­ten als Pro­duk­ti­ons­hel­fer im Spritz­guss beschäftigt. Bei ei­ner re­gelmäßigen Ar­beits­zeit von 40 St­un­den in der Wo­che er­ziel­te er ein­sch­ließlich Son­der­zah­lun­gen ei­nen durch­schnitt­li­chen mo­nat­li­chen Lohn von 2.100,-- € brut­to. Der Kläger ist gebürti­ger Spa­nier. Er hat sei­ne Schul­aus­bil­dung in Spa­ni­en ab­sol­viert.

Bei der Be­klag­ten han­delt es sich um ein Un­ter­neh­men der Au­to­mo­bil­zu­lie­fe­rer-In­dus­trie mit der Fer­ti­gung von Kunst­stoff­tei­len. Sie beschäftigt re­gelmäßig et­wa 300 Ar­beit­neh­mer. Ein Be­triebs­rat ist ge­bil­det. Nach dem vom Kläger mit Nicht­wis­sen be­strit­te­nen Sach­vor­trag der Be­klag­ten ist die­se seit dem 06.02.2004 nach den Qua­litäts­nor­men ISO 9001 und ISO/TS 16949 zer­ti­fi­ziert.

Der Kläger ist in der Spritz­guss­ab­tei­lung ein­ge­setzt, in der pro Schicht et­wa 20 bis 30 Wer­ker und ein Ein­rich­ter tätig sind. Für sei­ne Tätig­keit gilt ei­ne am 30.10.2001 er­stell­te Stel­len­be­schrei­bung (Bl. 53 – 54 d.A.), die vom Kläger un­ter­zeich­net wor­den ist. Un­ter der

 

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Ru­brik „An­for­de­run­gen an den Stel­len­in­ha­ber/in" ist un­ter an­de­rem das Er­for­der­nis der Kennt­nis­se der deut­schen Spra­che in Wort und Schrift auf­geführt. Zu den Haupt­auf­ga­ben des Klägers zählt die Ausführung der über­tra­ge­nen Ar­bei­ten gemäß münd­li­chen und schrift­li­chen An­wei­sun­gen, z.B. das Über­wa­chen der au­to­ma­ti­schen Behälterfüllung, das Ein­pa­cken von Tei­len nach Pack­vor­schrift so­wie die Pro­duk­ti­ons­kon­trol­le. Er hat un­ter an­de­rem Feh­ler bzw. Störun­gen an den Pro­duk­ti­ons­an­la­gen und den ge­fer­tig­ten Pro­duk­ten zu er­ken­nen und zu mel­den. Tatsächlich führt der Kläger in­so­weit ei­ne vi­su­el­le Prüfung durch und füllt in die­sem Zu­sam­men­hang ei­ne Feh­ler­check­lis­te für Wer­ker (Bl. 65 d.A.) aus. Ei­ne mes­sen­de Prüfung mit Hil­fe von Mess­mit­teln nimmt der Kläger nicht selbst vor. Die­se wird von ei­ner drit­ten Per­son durch­geführt. Ob dies für die an­de­ren im Spritz­guss ein­ge­setz­ten Wer­ker auch gilt, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig.

Der Kläger ab­sol­vier­te im Sep­tem­ber 2003 auf Kos­ten der Be­klag­ten während der Ar­beits­zeit ei­nen Deutsch­kurs. Ei­nen ihm auf­grund sei­nes Kennt­nis­stan­des und der Einschätzung des Leh­rers emp­foh­le­nen Fol­ge­kurs lehn­te der Kläger ab. Mit Schrei­ben vom 22.07.2004 for­der­te die Be­klag­te ihn auf, an ei­nem Deutsch­kurs als Fir­men­se­mi­nar im Haus teil­zu­neh­men. Dem kam der Kläger nicht nach. Ei­ne Pra­xis­ver­an­stal­tung zur Wer­ker­selbst­prüfung schloss der Kläger mit dem Ge­samt­er­geb­nis „un­genügend" ab. In der Fol­ge­zeit wur­de bei meh­re­ren so­ge­nann­ten in­ter­nen Au­dits fest­ge­stellt, dass der Kläger nicht in der La­ge sei, Ar­beits- und Prüfan­wei­sun­gen zu le­sen und zu ver­ste­hen, da ihm die ge­for­der­ten Deutsch­kennt­nis­se fehl­ten. Mit Schrei­ben vom 15.09.2005 (Bl. 35 d.A.) wur­de er aus die­sem Grun­de er­mahnt und auf­ge­for­dert, um­ge­hend Maßnah­men zu er­grei­fen, um sei­ne Deutsch­kennt­nis­se zu ver­bes­sern. Ei­ne wei­te­re Auf­for­de­rung er­hielt er mit Schrei­ben vom 22.02.2006 (Bl. 36 d.A.), in dem er auch dar­auf hin­ge­wie­sen wur­de, dass er mit ei­ner be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses rech­nen müsse, wenn er die ge­for­der­ten Kennt­nis­se nicht er­folg­reich nach­wei­sen könne. Am 30.06.2006 schloss die Be­klag­te mit dem Be­triebs­rat ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Durchführung von in­ter­nen Au­dits zur Abklärung des Vor­lie­gens der not­wen­di­gen Mit­ar­bei­ter­qua­li­fi­ka­ti­on nach der Norm TS 16949 bei Mit­ar­bei­tern mit De­fi­zi­ten in der deut­schen Spra­che, zu de­ren In­halt im Ein­zel­nen auf Bl. 29 – 31 d.A. ver­wie­sen wird. Ein am 12.04.2007 für meh­re­re Mit­ar­bei­ter durch ei­nen ex­ter­nen Gut­ach­ter durch­geführ­tes Pro­zess­au­dit zu Vor­ga­be­do­ku­men­ten in der Pro­duk­ti­on, Per­so­nal­qua­li­fi­ka­ti­on, Pro­duk­ti­ons­prüfung en­de­te für den Kläger mit dem Er­geb­nis, dass er nicht in der La­ge sei, die vom Kun­den ge­for­der­ten Vor­ga­ben und Spe­zi­fi­ka­tio­nen ein­zu­hal­ten. Mit Schrei­ben vom 08.05.2007 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat zu ei­ner be­ab­sich­tig­ten or­dent­li­chen Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Kläger an, die sie dar­auf stütz­te, dass er die Fähig­keit, Ar­beits- und Prüfan­wei­sun­gen le­sen und ver­ste­hen zu können, nicht be­sit­ze. Zu den Ein­zel­hei­ten des Anhörungs­schrei­bens wird

 

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auf Bl. 40 – 41 d.A. ver­wie­sen. Un­ter dem 11.05.2007 teil­te der Be­triebs­rat mit, dass er der Kündi­gung zu­stim­me. Mit Schrei­ben vom 18.05.2007 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger zum 31.12.2007. Hier­ge­gen wehrt sich der Kläger mit sei­ner am 01.06.2007 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge.

Der Kläger hat dar­auf ver­wie­sen, dass er seit mehr als 29 Jah­ren sei­ne Ar­beit für die Be­klag­te be­an­stan­dungs­frei aus­geübt ha­be. Er hat in Zwei­fel ge­zo­gen, dass die von der Be­klag­ten an­ge­bo­te­nen Sprach­kur­se tatsächlich ge­eig­net ge­we­sen sei­en, ihm die neu­en An­for­de­run­gen zu ver­mit­teln. Je­den­falls aber sei es der Be­klag­ten zu­mut­bar, die Ar­beits­an­wei­sun­gen und Do­ku­men­te in sei­ne Mut­ter­spra­che über­set­zen zu las­sen.

Der Kläger hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 18.05.2007 nicht zum 31.12.2007 auf­gelöst wird, son­dern fort­be­steht;

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen als Ma­schi­nen­be­die­ner in der Ab­tei­lung Spritz­guss in Voll­zeit wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat die

Kla­ge­ab­wei­sung

be­an­tragt.

Sie hat vor­ge­tra­gen, dass in den letz­ten Jah­ren im Be­reich der Au­to­zu­lie­fer-In­dus­trie ei­ne Ent­wick­lung ein­ge­tre­ten sei, die zur Fol­ge ge­habt ha­be, dass die Ar­beit­neh­mer die Her­stel­lung un­ter­schied­li­cher Pro­duk­te be­herr­schen müss­ten. Al­lein im Be­reich des Klägers (Spritz­guss) würden ca. 40 un­ter­schied­li­che Ma­schi­nen mit et­wa 1500 ak­ti­ven Ein­zel­tei­len ein­ge­setzt. Schon hier­aus er­ge­be sich, dass die Ar­beit­neh­mer in der La­ge sein müss­ten, Ar­beits- und Prüfan­wei­sun­gen nicht nur zu le­sen, son­dern auch zu ver­ste­hen. Dies sei auch im Hin­blick auf ih­re Zer­ti­fi­zie­rung er­for­der­lich. Aus der Norm ISO/TS 16949 er­ge­be sich un­ter an­de­rem, dass die Mit­ar­bei­ter in der La­ge sein müss­ten, die vor­han­de­nen pro­zess­be­glei­ten­den Do­ku­men­te – wie ins­be­son­de­re Ausführungs­an­wei­sun­gen und Prüfungs­an­wei­sun­gen – zu le­sen und zu ver­ste­hen und even­tu­el­le

 

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Prüfbe­rich­te/Feh­ler­do­ku­men­ta­tio­nen zu­tref­fend an­zu­fer­ti­gen. Sie müss­ten im Rah­men der so­ge­nann­ten Wer­ker­selbst­prüfung Feh­ler von Pro­duk­ten selbst fest­stel­len und not­falls be­he­ben.

Mit Ur­teil vom 30.10. 2007 hat das Ar­beits­ge­richt nach Be­weis­auf­nah­me die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Zur Be­gründung hat es aus­geführt, dass nach der Stel­len­be­schrei­bung für die Tätig­keit des Klägers Ge­gen­stand der von ihm zu er­brin­gen­den Ar­beits­leis­tun­gen ge­we­sen sei, dass er der deut­schen Spra­che zu­min­dest in­so­weit mäch­tig sei, dass er schrift­li­che An­wei­sun­gen ausführen könne. Die­se Fähig­keit ha­be er zu kei­nem Zeit­punkt er­langt. Die Be­klag­te ha­be ihm über ei­nen Zeit­raum von vier Jah­ren Ge­le­gen­heit ge­ge­ben, sich die not­wen­di­gen Deutsch­kur­se an­zu­eig­nen und ihm durch Er­mah­nun­gen und Ab­mah­nun­gen hin­rei­chend deut­lich ge­macht, wel­che Be­deu­tung die Sprach­kennt­nis­se für den Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses hätten. Auch wenn der Kläger na­he­zu 30 Jah­re bei der Be­klag­ten ge­ar­bei­tet ha­be, oh­ne dafür Deutsch­kennt­nis­se zu benöti­gen, so könn­ten Ände­run­gen der Be­triebs­struk­tur, die we­gen der Zer­ti­fi­zie­rung not­wen­dig ge­wor­den sei­en, auch Ände­run­gen an die An­for­de­run­gen an die Ar­beitsplätze mit sich brin­gen. Erfülle ein Ar­beit­neh­mer die­se An­for­de­run­gen nicht, so könne dies ei­ne frist­ge­rech­te Kündi­gung aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen be­gründen.

Die ar­beit­ge­ber­sei­ti­ge Ent­schei­dung sei nur auf Willkürlich­keit oder of­fen­ba­re Un­sach­lich­keit hin zu über­prüfen. Mit sei­ner Un­kennt­nis der deut­schen Spra­che gefähr­de der Kläger bei den ent­spre­chen­den Au­dits den Fort­be­stand der Zer­ti­fi­zie­rung, was zwangsläufig zur Fol­ge ha­be, dass die Be­klag­te am Wett­be­werb nicht mehr oder nur ge­hin­dert teil­neh­men könne. Darüber hin­aus sei die Kündi­gung aus per­so­nen­be­ding­ten Gründen ge­recht­fer­tigt. Der Kläger ha­be sich da­zu ver­pflich­tet, die deut­sche Spra­che so zu be­herr­schen, dass er münd­li­che und schrift­li­che An­wei­sun­gen be­fol­gen könne. Trotz sub­jek­ti­ver Möglich­kei­ten ha­be er nichts dafür ge­tan, die­se Qua­li­fi­ka­ti­on zu er­lan­gen. Die Kündi­gung sei auch nicht we­gen feh­ler­haf­ter Be­triebs­rats­anhörung un­wirk­sam. Die Be­klag­te ha­be den Be­triebs­rat sehr umfäng­lich und un­ter An­ga­be der so­zia­len Da­ten des Klägers un­ter­rich­tet.

Ge­gen die­ses, ihm am 28.03.2008 zu­ge­stell­te Ur­teil hat der Kläger am 08.04.2008 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se am 06.05.2008 be­gründet.

Der Kläger be­ruft sich dar­auf, dass nicht er­kenn­bar sei, dass die Qua­litäts­nor­men not­wen­dig deut­sche Sprach­kennt­nis­se in Wort und Schrift er­for­der­ten. Das Per­so­nal, das die die Pro­dukt­qua­lität be­ein­flus­sen­den Tätig­kei­ten ausführe, müsse „fähig" sein. Er sei als Ma­schi­nen­be­die­ner im Spritz­guss tätig. Die we­sent­li­chen Abläufe sei­en gleich­ge­la­gert, auch

 

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die auf­tau­chen­den Feh­ler sei­en im We­sent­li­chen in gleich­ge­la­ger­te Ka­te­go­ri­en ein­zu­tei­len. Nicht er­kenn­bar sei auch, dass bei sei­nem ein­fach ge­la­ger­ten Ar­beits­platz, der nach der Stel­len­be­schrei­bung we­der ei­ne Aus­bil­dung noch ei­ne Be­rufs­er­fah­rung er­for­de­re, Vor­ga­ben nicht un­ter Zu­hil­fe­nah­me münd­li­cher Erklärun­gen um­ge­setzt wer­den könn­ten, die kei­nen großen Zeit­auf­wand er­for­der­ten.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Her­ford vom 30.10.2007 – 3 Ca 749/07 – ab­zuändern und nach den Anträgen ers­ter In­stanz zu er­ken­nen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Un­ter Vor­la­ge ei­nes Bei­spiels ei­ner Ar­beits- und Prüfan­wei­sung für das Spritz­gießen erläutert sie, dass aus ih­rer Sicht ei­ne ord­nungs­gemäße Auf­ga­ben­er­le­di­gung oh­ne Lektüre der sich ste­tig ändern­den pro­zess­be­glei­ten­den Do­ku­men­te nicht möglich sei. Außer­dem könne die am Ar­beits­platz des Klägers not­wen­di­ge Prüfung ge­fer­tig­ter Tei­le (Wer­ker­selbst­prüfung) und die schrift­li­che und nach­voll­zieh­ba­re Do­ku­men­ta­ti­on fest­ge­stell­ter Feh­ler nicht oh­ne Deutsch­kennt­nis­se in Wort und Schrift er­fol­gen. Nach dem Haupt­au­dit, auf­grund des­sen die Zer­ti­fi­zie­rung für den ge­sam­ten Be­trieb ver­ge­ben wor­den sei, fänden in re­gelmäßigen Abständen so­ge­nann­te Re­zer­ti­fi­zie­rungs­au­dits statt. Würden Mängel fest­ge­stellt, müsse sie ei­nen Maßnah­me­plan vor­le­gen, durch den in­ner­halb von 90 Ta­gen die Nor­m­ab­wei­chung ab­ge­stellt wer­de. Ab­spra­che­gemäß führ­ten auch die Kun­den durch ih­re Qua­litäts­si­che­rungs­mit­ar­bei­ter Au­dits durch, in de­nen stich­pro­ben­ar­tig ge­prüft wer­de, ob die Mit­ar­bei­ter/in­nen die er­for­der­li­chen Ver­fah­rens­tech­ni­ken be­herrsch­ten, ins­be­son­de­re die not­wen­di­ge Pro­zess­si­cher­heit auf­wie­sen und die pro­zess­be­glei­ten­den Do­ku­men­te le­sen und ver­ste­hen könn­ten. Bei Mängeln in den Pro­duk­ti­ons­ver­fah­ren könne dies zum Auf­trags­ver­lust oder da­zu führen, dass Neu­aufträge nicht mehr er­teilt würden. Freie Ar­beitsplätze, auf de­nen der Kläger bei den vor­han­de­nen Sprach­kennt­nis­sen ein­ge­setzt wer­den könn­te, sei­en nicht vor­han­den. Im Übri­gen sei­en auf den vom Kläger ge­nann­ten Ar­beitsplätzen im Ver­sand bzw. in der Nach­ar­beit die An­for­de­run­gen an die deut­sche Spra­che min­des­tens eben­so hoch, wenn nicht so­gar höher, als im Be­reich des Spritz­gus­ses.

Zum wei­te­ren Sach­vor­trag der Par­tei­en wird auf die zwi­schen ih­nen ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen ver­wie­sen.

 

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Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Be­ru­fung des Klägers ist be­gründet.

Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 18.05.2007 nicht zum 31.12.2007 auf­gelöst wor­den. Die­se Kündi­gung er­weist sich als so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. In­fol­ge der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung war die Be­klag­te zur vorläufi­gen Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers zu ver­ur­tei­len.

I

Die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ist we­der durch drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se, die ei­ner Beschäfti­gung des Klägers im Be­trieb der Be­klag­ten ent­ge­gen­ste­hen, be­dingt, noch aus per­so­nen- oder ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen so­zi­al ge­recht­fer­tigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).

1) Der Kündi­gung liegt ein ein­heit­li­cher Le­bens­sach­ver­halt zu­grun­de, der al­ler­dings per­so­nen- und be­triebs­be­ding­te, mögli­cher­wei­se auch ver­hal­tens­be­ding­te Ge­sichts­punk­te berührt. In ei­nem sol­chen Fall ist die Ab­gren­zung, wel­chem die­ser Be­rei­che die Be­ur­tei­lung der Kündi­gung un­ter­wor­fen wer­den soll, auf­grund der je­den­falls nicht auf­ge­ge­be­nen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts nach der Sphäre aus­zu­rich­ten, aus der die Störung des Ar­beits­verhält­nis­ses primär kommt (vgl. BAG vom 20.11.1997, 2 AZR 643/96, NZA 1998, 323 m.w.N.). Im Ent­schei­dungs­fall ist der Kündi­gungs­sach­ver­halt maßgeb­lich durch die Ent­schei­dung der Be­klag­ten be­stimmt, im Hin­blick auf die Iso­zer­ti­fi­zie­rung das An­for­de­rungs­pro­fil am Ar­beits­platz des Klägers so zu be­stim­men, dass der Stel­len­in­ha­ber die deut­sche Spra­che nicht nur münd­lich, son­dern auch schrift­lich be­herrscht, um pro­zess­be­glei­ten­de Do­ku­men­te le­sen und For­mu­la­re ge­ge­be­nen­falls auch ausfüllen zu können. Oh­ne die­se Ände­rung des An­for­de­rungs­pro­fils hätte der Kläger, wie seit mehr als 29 Jah­ren, sei­ne Ar­beits­auf­ga­be oh­ne wei­te­res erfüllen können. Der Auslöser für die Kündi­gungs­ent­schei­dung der Be­klag­ten liegt da­mit in ih­rer un­ter­neh­me­ri­schen Betäti­gung. Der Prüfungs­maßstab für die vor­lie­gen­de Kündi­gung rich­tet sich nach den Grundsätzen für

 

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ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung (s. auch BAG vom 19.12.1991, 2 AZR 402/91, RzK I 5 c Nr. 41).

2) Drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se für ei­ne Kündi­gung im Sin­ne von § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus in­ner­be­trieb­li­chen oder außer­be­trieb­li­chen Gründen er­ge­ben. Vor­lie­gend geht es um in­ner­be­trieb­li­che Gründe. Ei­ne Kündi­gung ist aus die­sen Gründen ge­recht­fer­tigt, wenn sich der Ar­beit­ge­ber zu ei­ner or­ga­ni­sa­to­ri­schen Maßnah­me ent­schließt, bei de­ren in­ner­be­trieb­li­cher Um­set­zung das Bedürf­nis für die Wei­ter­beschäfti­gung ei­nes oder meh­re­rer Ar­beit­neh­mer entfällt. Die­se Ent­schei­dung ist grundsätz­lich nicht auf ih­re sach­li­che Recht­fer­ti­gung oder ih­re Zweckmäßig­keit zu über­prüfen, son­dern nur dar­auf, ob sie of­fen­bar un­sach­lich, un­vernünf­tig oder willkürlich ist (st. Rspr. des BAG, grund­le­gend Ur­teil vom 17.06.1999, 2 AZR 522/98, BA­GE 92, 61). Auch die Ge­stal­tung des An­for­de­rungs­pro­fils der je­wei­li­gen Ar­beitsplätze gehört zu den Un­ter­neh­mens­dis­po­si­tio­nen des Ar­beit­ge­bers, für die der an­ge­ge­be­ne wei­te Prüfungs­maßstab gilt. Die Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers, be­stimm­te Tätig­kei­ten nur von Ar­beit­neh­mern mit be­stimm­ten Qua­li­fi­ka­tio­nen ausführen zu las­sen, ist von den Ar­beits­ge­rich­ten grundsätz­lich je­den­falls dann zu re­spek­tie­ren, wenn die Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­ma­le ei­nen nach­voll­zieh­ba­ren Be­zug zur Or­ga­ni­sa­ti­on der aus­zuführen­den Ar­bei­ten ha­ben (je­den­falls st. Rspr. des BAG, vgl. Ur­teil vom 07.07.2005, 2 AZR 399/04, NZA 2006, 266 m.w.N.). Ändert der Ar­beit­ge­ber das An­for­de­rungs­pro­fil für Ar­beitsplätze je­doch, die be­reits mit langjährig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern be­setzt sind, so muss er dar­le­gen, dass es sich bei der zusätz­lich ge­for­der­ten Qua­li­fi­ka­ti­on für die Ausführung der Tätig­keit nicht nur um ei­ne „wünschens­wer­te Vor­aus­set­zung", son­dern um ein nach­voll­zieh­ba­res, ar­beits­platz­be­zo­ge­nes Kri­te­ri­um für ei­ne Stel­len­pro­fi­lie­rung han­delt.

a) Die un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung der Be­klag­ten muss sich im Ent­schei­dungs­fall je­doch an den Maßstäben des all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes mes­sen las­sen. Es ist zwar nach­voll­zieh­bar, dass sie im Hin­blick auf die Zer­ti­fi­zie­rung nach der Norm ISO/TS 16949 Kennt­nis­se der deut­schen Spra­che in Wort und Schrift ver­langt. Je­doch ist zu berück­sich­ti­gen, dass der Kläger die ihm ab­ver­lang­ten Kennt­nis­se des­halb nicht be­sitzt, weil er gebürti­ger Spa­nier und in Spa­ni­en zur Schu­le ge­gan­gen ist. Auf­grund sei­ner eth­ni­schen Her­kunft be­herrscht er die deut­sche Spra­che nicht in glei­cher Wei­se wie ver­gleich­ba­re deut­sche Ar­beit­neh­mer. Wie das Ar­beits­ge­richt hat auch das Be­ru­fungs­ge­richt in der münd­li­chen Ver­hand­lung den Ein­druck ei­ner über­durch­schnitt­li­chen geis­ti­gen Be­weg­lich­keit des Klägers ge­won­nen. Es wäre dem­nach da­von aus­zu­ge­hen, dass der Kläger Deutsch le­sen und schrei­ben könn­te, wäre er hier zur Schu­le ge­gan­gen. Die Fra­ge des Be­klag­ten­ver­tre­ters, ob er Spa­nisch le­sen und schrei­ben könne, hat der Kläger in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Be­ru­fungs­ge­richt be­jaht. Münd­lich be­herrscht der Kläger

 

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die deut­sche Spra­che so gut, dass ein Gespräch mit ihm in der münd­li­chen Ver­hand­lung oh­ne Hin­zu­zie­hung ei­nes Dol­met­schers oh­ne Schwie­rig­kei­ten möglich war. Der Kläger persönlich hat sei­ne Tätig­keit ausführ­lich dar­ge­stellt.

Al­ler­dings hat sich die Be­klag­te nicht da­mit be­gnügt, die De­fi­zi­te des Klägers fest­zu­stel­len, son­dern sich bemüht, ihm die feh­len­den Fer­tig­kei­ten zu ver­mit­teln, in­dem sie ei­nen Sprach­kurs an­ge­bo­ten hat, an dem der Kläger auch teil­ge­nom­men hat. Er hat hier­durch je­doch die not­wen­di­gen Kennt­nis­se nicht er­wor­ben, wie in den von der Be­klag­ten durch­geführ­ten ver­schie­de­nen Au­dits fest­ge­stellt wor­den ist. Wei­te­re Sprach­kur­se, die zwar außer­halb der Ar­beits­zeit la­gen, für die die Be­klag­te die Kos­ten je­doch über­nom­men hätte, hat der Kläger nicht be­sucht. Ob die­se Kur­se ge­eig­net ge­we­sen wären, ihm die nöti­gen Fer­tig­kei­ten zu ver­mit­teln – es han­del­te sich, wie in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Be­ru­fungs­ge­richt geklärt, um Volks­hoch­schul­kur­se – kann da­hin­ste­hen. Dem Kläger mag zu Recht vor­ge­hal­ten wer­den, dass er dies nicht ein­mal ver­sucht hat. Im Er­geb­nis kommt es hier­auf nicht an, so­dass auch da­hin­ge­stellt blei­ben kann, ob die Be­klag­te, wie der Kläger be­haup­tet, bei der Schicht­ein­tei­lung auf die La­ge der Kur­se kei­ne Rück­sicht ge­nom­men hat. In­dem die Be­klag­te auch für den Ar­beits­platz des Klägers das An­for­de­rungs­pro­fil so fest­ge­legt hat, dass die­ser es we­gen man­geln­der schrift­li­cher Deutsch­kennt­nis­se nicht erfüllen kann, hat sie ihn ge­genüber ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mern be­nach­tei­ligt.

b) Die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung des Klägers steht nicht in Ein­klang mit § 1 AGG, wo­nach un­ter an­de­rem Be­nach­tei­li­gun­gen we­gen der eth­ni­schen Her­kunft ver­hin­dert bzw. be­sei­tigt wer­den soll­ten und verstößt ge­gen § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Da­nach sind Be­nach­tei­li­gun­gen aus ei­nem in § 1 ge­nann­ten Grund un­ter an­de­rem in Be­zug auf die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen un­zulässig. Zu den Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen gehören nicht nur die ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen der­je­ni­gen Be­din­gun­gen, zu de­nen die Ar­beit zu leis­ten ist, son­dern al­le mit dem Ar­beits­verhält­nis ver­bun­de­nen Umstände (vgl. EuGH vom 13.07.1995, NZR 1996, 121; Erf/Kom-Schlach­ter, 8. Aufl., § 2 AGG Rd­Nr. 7). Er­fasst wer­den auch Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­ma­le, die an die Tätig­keit ge­stellt wer­den, was im Übri­gen § 8 AGG zu ent­neh­men ist, der zulässi­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen we­gen be­ruf­li­cher An­for­de­run­gen re­gelt.

c) Die­ser Ver­s­toß hat zur Fol­ge, dass die Kündi­gung der Be­klag­ten nicht aus be­triebs­be­ding­ten Gründen so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist. § 2 Abs. 4 AGG steht die­sem Er­geb­nis nicht ent­ge­gen. Die­se Vor­schrift be­stimmt, dass für Kündi­gun­gen aus­sch­ließlich die Be­stim­mun­gen des all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schut­zes gel­ten. Wel­chen Stel­len­wert die­se Vor­schrift im Ein­zel­nen be­sitzt, ist im Schrift­tum um­strit­ten (vgl. Schlach­ter,

 

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aaO., § 2 Rd­Nr. 16 bis 17 m.w.N.). Hier­auf kommt es für die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung aber auch nicht an. Die Kündi­gung als sol­che ist nicht we­gen Ver­s­toßes ge­gen § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG un­wirk­sam, son­dern die der Kündi­gung zu­grun­de lie­gen­de un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung, die nicht ge­gen gel­ten­des Recht ver­s­toßen darf. Im Rah­men der An­wen­dung der Ge­ne­ral­klau­sel des § 1 Abs. 2 KSchG kommt § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG zum Tra­gen. Wäre das Kündi­gungs­schutz­ge­setz nicht an­wend­bar, so wäre die Kündi­gung je­den­falls auf der Grund­la­ge na­tio­na­len Rechts nicht be­reits dann un­wirk­sam, wenn auch sie ge­gen § 1 Abs. 1 Nr. 2 AGG ver­stieße. Es bedürf­te auch in die­sem Fall zusätz­li­cher Prüfun­gen, z.B. am Maßstab des § 242 BGB.

d) Durch die von der Be­klag­ten an die schrift­li­chen Deutsch­kennt­nis­se des Klägers ge­stell­ten An­for­de­run­gen wird die­ser we­gen sei­ner eth­ni­schen Her­kunft mit­tel­bar be­nach­tei­ligt (§ 3 Abs. 2 AGG).

aa) Als An­gehöri­ger ei­nes frem­den Vol­kes bzw. ei­ner frem­den Kul­tur wird er von dem Merk­mal der eth­ni­schen Her­kunft er­fasst (Fal­ke in Rust/Fal­ke, § 1 AGG Rd­Nr. 20).

bb) Er wird durch die An­for­de­run­gen schrift­li­cher Deutsch­kennt­nis­se „in be­son­de­rer Wei­se" be­nach­tei­ligt, weil er als gebürti­ger Spa­nier, der in Spa­ni­en sei­ne Schul­bil­dung ge­nos­sen hat, die­se An­for­de­rung we­ni­ger leicht erfüllen kann als deut­sche bzw. in Deutsch­land in der Schu­le aus­ge­bil­de­te Per­so­nen. Dies ist aus­rei­chend, um das Tat­be­stands­merk­mal zu erfüllen (vgl. Erf/Kom-Schlach­ter, aaO., § 3 Rd­Nr. 8). Deut­lich wird dies im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren auch dar­an, dass im Be­trieb der Be­klag­ten wei­te­re Mit­ar­bei­ter und Mit­ar­bei­te­rin­nen wie der Kläger von die­ser An­for­de­rung be­trof­fen sind. Al­le Teil­neh­mer und Teil­neh­me­rin­nen des ex­ter­nen Au­dits vom 12.04.2007 wa­ren ausländi­scher Her­kunft.

cc) Die ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung von Per­so­nen, die Träger ei­nes Dis­kri­mi­nie­rungs­merk­mals nach § 1 AGG sind, ist al­ler­dings zulässig, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt und die Mit­tel zur Er­zie­lung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind. Es han­delt sich hier­bei um Recht­fer­ti­gungs­gründe. Dif­fe­ren­zie­ren­de Re­geln oder Maßnah­men, die nicht un­mit­tel­bar an das geschütz­te Merk­mal an­knüpfen, dürfen ver­wen­det wer­den, so­fern sie in ei­nem er­kenn­ba­ren Sach­zu­sam­men­hang zu ei­nem rechtmäßigen Ziel ste­hen. Mit­hin muss die Dif­fe­ren­zie­rung ei­nem selbst nicht dis­kri­mi­nie­ren­den Zweck die­nen und sie muss in ei­ner dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz ent­spre­chen­den Wei­se ein­ge­setzt wer­den (Erf/Kom-Schlach­ter, aaO., Rd­Nr. 9). Auf sta­tis­ti­sche Fest­stel­lun­gen kommt es nach der Be­stim­mung des § 3 Abs. 2 AGG nicht an.

 

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dd) Die Be­klag­te ver­folgt ein rechtmäßiges und sach­lich ge­recht­fer­tig­tes Ziel, wenn sie an­strebt, die An­for­de­run­gen der Qua­li­fi­ka­ti­ons­norm Iso-TS 16949 da­durch zu erfüllen, dass die Mit­ar­bei­ter in der La­ge sind, die pro­zess­be­glei­ten­den Do­ku­men­te wie Ar­beits­an­wei­sun­gen und Prüfan­wei­sun­gen zu le­sen. Die Be­klag­te selbst hat, in­dem sie den­je­ni­gen Mit­ar­bei­tern und Mit­ar­bei­te­rin­nen, die hier­zu nicht in der La­ge wa­ren, ermöglich­te, an ei­nem Sprach­kurs während der Ar­beits­zeit, des­sen Kos­ten von ihr über­nom­men wor­den sind, teil­zu­neh­men, ver­deut­licht, dass sie zur Er­rei­chung die­ses Ziels be­reit ist, ei­ge­ne An­stren­gun­gen zu un­ter­neh­men. Hier­durch wird zu­gleich er­kenn­bar, dass es sich um ei­ne durch­aus an­ge­mes­se­ne An­for­de­rung zur Er­rei­chung des an­ge­streb­ten Ziels han­delt.

ee) Je­doch hat sich die Kam­mer nicht da­von zu über­zeu­gen ver­mocht, dass schrift­li­che Sprach­kennt­nis­se für die Be­ach­tung der Qua­litäts­norm auch er­for­der­lich sind. Dies geht we­der aus der Stel­len­be­schrei­bung vom 30.10.2001 noch aus der Be­triebs­ver­ein­ba­rung vom 30.06.2006 her­vor. In bei­den Do­ku­men­ten wer­den kei­ne ar­beits­platz­be­zo­ge­nen Kri­te­ri­en auf­ge­stellt. Die Be­triebs­ver­ein­ba­rung re­gelt le­dig­lich die Vor­aus­set­zun­gen für die Durchführung des in­ter­nen Au­dits zur Er­mitt­lung der Mit­ar­bei­ter­qua­li­fi­ka­ti­on. Die Stel­len­be­schrei­bung kann auch nicht als ei­ne Ver­ein­ba­rung über die am Ar­beits­platz des Klägers er­for­der­li­chen Vor­aus­set­zun­gen zwi­schen den Par­tei­en an­ge­se­hen wer­den. Es han­delt sich, wie der Na­me schon sagt, um ei­ne „Be­schrei­bung" der vom Kläger aus­zuführen­den Tätig­keit. Mit sei­ner Un­ter­schrift hat der Kläger le­dig­lich zum Aus­druck ge­bracht, dass er die­se zur Kennt­nis ge­nom­men hat. Ver­trags­recht­li­che Ele­men­te enthält die­ses Do­ku­ment nicht. Auch ex­ter­ne Vor­ga­ben für das Er­for­der­nis der schrift­li­chen Be­herr­schung der deut­schen Spra­che lie­gen nicht vor. In der Qua­litäts­norm selbst wird dar­auf ab­ge­stellt, dass das Per­so­nal, das die Pro­dukt­qua­lität be­ein­flus­sen­de Tätig­kei­ten ausübt, „fähig" sein muss.

Ge­ra­de die­se Fähig­keit hat der Kläger in der Ver­gan­gen­heit be­wie­sen. Er hat mehr als 29 Jah­re oh­ne Be­an­stan­dun­gen sei­ne Tätig­keit aus­geführt, dies auch seit der Zeit, seit der die Be­klag­te nach ih­rem Vor­trag die Zer­ti­fi­zie­rung be­sitzt. In­so­weit ist nicht er­kenn­bar, dass die man­geln­den schrift­li­chen Deutsch­kennt­nis­se des Klägers Aus­wir­kun­gen auf die Qua­lität der ihm über­tra­ge­nen Ar­bei­ten be­sit­zen. Auch oh­ne schrift­li­che Deutsch­kennt­nis­se ist der Kläger bei der ein­fa­chen Ar­beits­auf­ga­be, die nach der Stel­len­be­schrei­bung we­der ei­ne Aus­bil­dung noch Be­rufs­er­fah­rung er­for­dert, in der La­ge, auf­grund sei­ner jahr­zehn­te­lan­gen Er­fah­rung ggfs. mit Hil­fe münd­li­cher Erklärun­gen die Tätig­keit feh­ler­frei aus­zuführen. Dies gilt auch für ei­nen Teil der Wer­ker­selbst­prüfung, und zwar die vi­su­el­le Prüfung. Die­se gehört zu den vom Kläger durch­geführ­ten Tätig­kei­ten. Nach den bei­spiel­haft über­reich­ten Ar­beits- und Prüfan­wei­sun­gen (Bl. 157 und 166 d.A.) hat ei­ne qua­li­ta­ti­ve Prüfung der Tei­le vom Wer­ker

 

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statt­zu­fin­den, die er vi­su­ell mit Hil­fe von Re­fe­renz­mus­tern durchführt. Bei den im Ein­zel­nen zu über­prüfen­den Qua­litäts­merk­ma­len, hin­sicht­lich de­rer ei­ne Sicht­kon­trol­le durch­zuführen ist, han­delt es sich um mögli­che Feh­ler (z.B. Grat­bil­dung, Schlie­ren, Druck- und Brand­stel­len, vollständi­ge Aus­sprit­zung, Zieh­stel­len usw.), die dem Kläger als er­fah­re­nen Wer­ker auch oh­ne Kennt­nis der ge­nau­en schrift­li­chen Prüfan­wei­sung so­fort auf­fal­len müssen. Die Prüfmerk­ma­le für das zu fer­ti­gen­de Teil „Hal­ter Hand­brems­kon­so­le" sind iden­tisch mit den Prüfmerk­ma­len, die für das Teil „Steu­er-Ver­ti­k­allam" in der Feh­ler­check­lis­te für Wer­ker (Bl. 65 d.A.) auf­geführt sind. Für die­se ist zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig, dass der Kläger Ein­tra­gun­gen vor­nimmt. Auch die Ar­beits- und Prüfan­wei­sung für das Teil „Ab­de­ckung Quer­tra­wer­se hin­ten" enthält mit Aus­nah­me des zusätz­li­chen Merk­mals „Beschädi­gun­gen" al­le Prüfmerk­ma­le, die auch in den an­de­ren bei­den über­reich­ten For­mu­la­ren auf­geführt sind. Dass „Beschädi­gun­gen" auch oh­ne schrift­li­che An­wei­sung er­kannt wer­den müssen, er­scheint al­ler­dings selbst­verständ­lich. Die Be­fol­gung ei­ner schrift­li­chen An­wei­sung ist da­nach zur Fest­stel­lung die­ser Qua­litätsmängel nicht er­for­der­lich, was sich auch dar­aus er­gibt, dass Be­an­stan­dun­gen der Tätig­keit des Klägers nicht vor­lie­gen. Als bei Fest­stel­lung ei­nes Feh­lers zu er­grei­fen­de Maßnah­me ist in den Ar­beits-und Prüfan­wei­sun­gen (Bl. 157 und 166 d.A.) fest­ge­hal­ten, dass ei­ne so­for­ti­ge Mel­dung statt­zu­fin­den hat. Auch hierfür ist die schrift­li­che Kennt­nis der deut­schen Spra­che nicht er­for­der­lich, es folgt aus der Art des Ar­beits­vor­gangs, dass bei auf­ge­tre­te­nen Feh­lern ei­ne so­for­ti­ge münd­li­che Mel­dung nötig ist, um den Pro­duk­ti­ons­vor­gang ge­ge­be­nen­falls zu stop­pen. Auch in der Stel­len­be­schrei­bung ist ei­ne schrift­li­che Mel­dung nicht vor­ge­se­hen.

Al­ler­dings ist der Kläger, wie nach den Erklärun­gen bei­der Par­tei­en vor dem Be­ru­fungs­ge­richt un­strei­tig ist, nicht in der La­ge, Mess­prüfun­gen durch­zuführen. Dies hat die Be­klag­te bei der Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on in der Wei­se berück­sich­tigt, dass ei­ne sol­che Prüfung von Mit­ar­bei­tern der Qua­litätskon­trol­le vor­ge­nom­men wird. Ob dies für al­le im Spritz­guss beschäftig­ten Wer­ker oder nur für den Kläger gilt, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Dem braucht je­doch nicht wei­ter nach­ge­gan­gen zu wer­den. Aus dem Um­stand, dass es der Be­klag­ten möglich ist, die Ar­beits­auf­ga­be des Klägers so zu or­ga­ni­sie­ren, dass die­ser Tätig­keits­an­teil, den er we­gen feh­len­der schrift­li­cher Deutsch­kennt­nis­se nicht ausführen kann, von an­de­ren Per­so­nen über­nom­men wird, er­gibt sich, dass ei­ne Al­ter­na­ti­ve vor­han­den ist, bei der das nach § 1 AGG geschütz­te Merk­mal kei­ne Rol­le spielt. Durch die­se Al­ter­na­ti­ve ist die Be­klag­te nicht in un­zu­mut­ba­rer Wei­se be­las­tet. Dies folgt be­reits dar­aus, dass sie selbst zur Be­gründung ih­rer Maßnah­me hier­auf gar nicht ab­ge­stellt hat, son­dern die­ser Nach­teil der feh­len­den schrift­li­chen Deutsch­kennt­nis­se des Klägers erst in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Be­ru­fungs­ge­richt er­kenn­bar wur­de. Die Be­klag­te hat sich viel­mehr all­ge­mein auf die feh­len­den schrift­li­chen Deutsch­kennt­nis­se im Hin­blick auf die

 

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Qua­litäts­norm be­ru­fen. Es ist je­doch nicht deut­lich ge­wor­den, dass die Qua­litäts­norm ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on der Ar­beit des Klägers, wie sie tatsächlich statt­ge­fun­den hat, nicht zulässt.

e) Fehlt es da­mit schon an der Er­for­der­lich­keit der ob­jek­tiv vor­lie­gen­den un­ter­schied­li­chen Be­hand­lung des Klägers, so ist die wei­te­re in § 8 AGG ge­nann­te Vor­aus­set­zung für de­ren Zulässig­keit, dass die­se we­gen der Art der aus­zuüben­den Tätig­keit oder der Be­din­gung ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, eben­so we­nig nicht erfüllt.

Da­mit er­weist sich die un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung der Be­klag­ten, das An­for­de­rungs­pro­fil an den Ar­beits­platz des Klägers so zu de­fi­nie­ren, dass die schrift­li­che Be­herr­schung der deut­schen Spra­che er­for­der­lich ist, als un­zulässig. Ein be­triebs­be­ding­ter Kündi­gungs­grund liegt nicht vor.

II

In­fol­ge der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung ist die Be­klag­te auch zur vorläufi­gen Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers ver­pflich­tet.

Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (GS vom 27.02.1985, GS 1/84, DB 1985, 2197) kann der Ar­beit­neh­mer ver­lan­gen, vorläufig wei­ter­beschäftigt zu wer­den, wenn er ein noch nicht rechts­kräfti­ges po­si­ti­ves Kündi­gungs­schutz­ur­teil er­langt hat und wenn die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers an der Wei­ter­beschäfti­gung die des Ar­beit­ge­bers an ei­ner Nicht­beschäfti­gung über­stei­gen. Dies ist nach ei­nem der Kündi­gungs­schutz­kla­ge statt­ge­ben­den in­stanz­ge­richt­li­chen Ur­teil der Fall. Die­sem An­spruch ent­ge­gen­ste­hen­de In­ter­es­sen der Be­klag­ten hat die­se nicht vor­ge­tra­gen.

Der An­spruch des Klägers ist dar­auf ge­rich­tet, als Ma­schi­nen­be­die­ner zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen wei­ter­beschäftigt zu wer­den. Der In­halt des Beschäfti­gungs­an­spruchs ist zwi­schen den Par­tei­en nicht strei­tig.

 

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III

Als un­ter­lie­gen­de Par­tei hat die Be­klag­te die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen (§ 91 ZPO).

Die Re­vi­si­on war nach § 72 Abs. 2 ArbGG zu­zu­las­sen.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von der be­klag­ten Par­tei Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den.

Für die kla­gen­de Par­tei ist ge­gen die­ses Ur­teil kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Not­frist* von ei­nem Mo­nat beim

Bun­des­ar­beits­ge­richt,

Hu­go Preuss Platz 1,

99087 Er­furt,

Fax-Nr.: 0361/2636-2000

ein­ge­legt wer­den.

Die Not­frist be­ginnt mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

* Ei­ne Not­frist ist un­abänder­lich und kann nicht verlängert wer­den.

 

Hack­mann 

Quen­kert 

Krau­se
Bg.

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