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LAG Nürnberg, Urteil vom 05.10.2011, 2 Sa 171/11
Schlagworte: | Diskriminierung, Diskriminierung: Ethnische Herkunft, Diskriminierung: Bewerbung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Nürnberg | |
Aktenzeichen: | 2 Sa 171/11 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 05.10.2011 | |
Leitsätze: | Die Anforderung "sehr gutes Deutsch" in einer Stellenanzeige für "Spezialist Software (w/m)" kann je nach den Umständen des Einzelfalls eine Indiztatsache für die mittelbare Benachteiligung eines nicht zum Vorstellungsgespräch geladenen Bewerbers mit "Migrationshintergrund" wegen dessen ethnischer Herkunft sein. Dabei ist aber auf die Stellenanzeige als Ganzes abzustellen. Gegen eine Bewertung als Indiztatsache spricht daher, wenn sich bereits aus der Stellenanzeige ergibt, dass die Anforderungen an die Sprachfähigkeit durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels erforderlich und angemessen sein könnten. |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 23.02.2011, 2 Ca 7205/10 | |
2 Sa 171/11
2 Ca 7205/10
(Arbeitsgericht Nürnberg)
Verkündet am: 05.10.2011
...
Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
Landesarbeitsgericht Nürnberg
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
G... M...
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte C..., D... & Partner
g e g e n
Firma S... GmbH
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte F...
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hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht S t e i n d l und die ehrenamtlichen Richter Knauber und Greipl
für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.02.2011, Az. 2 Ca 7205/10, wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung einer Entschädigung wegen behaupteter Benachteiligung bei einer Stellenbewerbung.
Die Klägerin ist am 07.09.1961 unter dem Namen G... V... K... in V... Vo... in der damaligen Sowjetunion auf dem Gebiet des heutigen Russland geboren. Sie besuchte die Mittelschule in V... Vo... und studierte von 1978 bis 1984 im damaligen Leningrad. Von 1984 bis 1998 war sie sodann als Systemprogrammiererin in Moskau tätig. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 63 bis 76 d. A. verwiesen. Nachfolgend übersiedelte die Klägerin nach Deutschland. Vom 03.01.2000 bis 31.07.2000 war sie als Anwendungsentwicklerin bei der Firma SO... GmbH H... beschäftigt, vom 18.09.2000 bis 31.03.2003 als Programmiererin bei der Firma Sc... Computersysteme GmbH, E.... Seither ist sie arbeitslos.
Die Klägerin verfügt unstreitig über sehr gute Deutschkenntnisse
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Die Beklagte veröffentlichte am 10.09.2010 eine Stellenanzeige für einen Arbeitsplatz „Spezialist Softwareentwicklung (w/m)“. Die Anzeige lautet auszugsweise wie folgt:
„S... ist ein international tätiges Entwicklungshaus im Bereich embedded Systems und ist Mitglied der GROUP S... TECHNOLOGIES SA. Mit einem Umsatz von 50 Mio. Euro und rund 600 Mitarbeitern ist der Konzern einer der führenden Dienstleister im Bereich der Elektronikentwicklung in Europa.
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Ihre Aufgabe:
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Unsere Erwartungen:
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• Sehr gutes Deutsch und gutes Englisch
Unser Angebot:
• Sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten
• Ein vielseitiges und herausforderndes Aufgabengebiet
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...“
Wegen der Einzelheiten der Stellenanzeige wird auf Bl. 7 d. A. Bezug genommen.
Hierauf hat sich die Klägerin mit E-Mail vom 13.09.2010 bei der Beklagten beworben (Bl. 61 d. A.). Der Eingang der Bewerbung wurde durch E-Mail der Beklagten vom
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14.09.2010 unter der Zusage der sorgfältigen Prüfung der Unterlagen bestätigt (Bl. 77 d. A.). Mit E-Mail vom 28.09.2010 (Bl. 8 d. A.) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Absage.
Die Klägerin war erstinstanzlich der Auffassung, die Beklagte müsse ihr sechs Monatsgehälter als Entschädigung für die erfolgte Benachteiligung zahlen. Aufgrund der vorliegenden Umstände sei eine Diskriminierung der Klägerin wegen ihrer russischen Herkunft zu vermuten. In der Stellenausschreibung werde „sehr gutes Deutsch“ verlangt. Damit wäre eine benachteiligende Behandlung der Klägerin aufgrund ihrer Herkunft indiziert. Darüber hinaus sei auch eine Diskriminierung wegen des Geschlechts der Klägerin zu vermuten. Auch sei eine Diskriminierung wegen des Alters der Klägerin von 49 Jahren nicht ausgeschlossen.
Wegen des Weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie der Antragstellung wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Klägerin Indizien, die eine unzulässige Benachteiligung vermuten ließen, weder schlüssig vorgetragen noch unter Beweis gestellt habe. Weder in der Stellenausschreibung, noch im Absageschreiben der Beklagten seien Anhaltspunkte gegeben, aus denen sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Benachteiligung der Klägerin ergeben könnte. Die Beklagte habe auch substantiiert und nachvollziehbar die fachlichen Gründe für die Ablehnung der Bewerbung der Klägerin dargelegt. Diesem Tatsachenvortrag sei die Klägerin nicht substantiiert unter Angabe einer Gegendarstellung und unter Beweisantritt entgegengetreten.
Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Klägerin am 05.03.2011 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 08.03.2011, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am 15.03.2011, hat die Klägerin Gewährung von Prozesskostenhilfe für das durchzuführende Berufungsverfahren beantragt, die ihr mit Beschluss vom 25.05.2011 gewährt wurde. Mit Schriftsatz vom 27.05.2011, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am 30.05.2011, hat der Klägervertreter daraufhin Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Die Wiedereinsetzung ist der Klagepartei mit Beschluss vom 17.06.2011, dem Klägerinvertreter am 21.06.2011 zugestellt, gewährt
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worden. Mit Schriftsatz vom 24.06.2011 begründete der Klägerinvertreter die Berufung und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
In der Berufung macht die Klägerin nunmehr nur noch eine Entschädigung in Höhe von EUR 9.000,-- geltend wegen mittelbarer Benachteiligung aufgrund ihrer russischen Herkunft und damit wegen des Merkmals der ethnischen Herkunft. Das Erstgericht habe verkannt, dass die Klägerin ausreichende Indizien für eine entsprechende Benachteiligung bewiesen habe. Nach allgemeiner Lebenserfahrung seien für Spezialisten der Softwareentwicklung keine sehr guten deutschen Sprachkenntnisse erforderlich. Die Fachsprache bestehe weitgehend aus speziellen Fachausdrücken, die häufig aus der englischen Sprache kämen.
Auch sei der Vortrag der Beklagten in erster Instanz, warum auf der ausgeschriebenen Stelle sehr gute Deutschkenntnisse erforderlich gewesen seien, nicht ausreichend gewesen. So habe die Beklagte erstinstanzlich vorgetragen, sie arbeite im Umfeld von technischen Entwicklungsprojekten, in welchen sehr gute Deutschkenntnisse Voraussetzung seien. In diesen Projekten sei es erforderlich, sich mit Kunden, anderen Abteilungen und auch Lieferanten abzustimmen, Meetings und Präsentationen durchzuführen. Zudem sei es erforderlich, deutsche Anwendungs- und Softwaredokumentationen zu erstellen. Dieser Vortrag gehe über die bloße Behauptung nicht hinaus, für die Tätigkeit seien sehr gute Deutschkenntnisse erforderlich. Die Beklagte habe auch nicht ansatzweise dargelegt, was sie selbst unter sehr gutem Deutsch verstehe und inwieweit sich dieses von gutem Deutsch unterscheide. Auch werde bestritten, dass die anderen Softwareentwickler der Beklagten sehr gute Deutschkenntnisse hätten.
Zu bestreiten sei, dass die Beklagte die Stelle, die sie mit ihrer ursprünglichen Anzeige hatte besetzen wollen, tatsächlich nicht besetzt habe.
Weiter bestreitet die Klägerin, dass die Beklagte die Klägerin wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht eingestellt habe. Die Klägerin erfülle die nach der Stellenausschreibung vorausgesetzten Anforderungen.
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Die Klägerin beantragt daher in der Berufungsinstanz:
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.02.2011, Az. 2 Ca 7205/10, wird abgeändert.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin € 9.000,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.11.2010 zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
4. Die Kosten erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin sei gerade nicht wegen ihrer Muttersprache als Merkmal ihrer Herkunft abgelehnt worden. Wenn ein Arbeitgeber sehr gute deutsche Sprachkenntnisse fordere, diskriminiere er auch nicht indirekt dadurch, dass diese Sprachkenntnisse in der Regel Deutsche eher haben als Menschen anderer ethnischer Herkunft. Für sich genommen sei die Zurückweisung eines Stellenbewerbers mit Migrationshintergrund wegen etwaiger fehlender Beherrschung der deutschen Sprache keine Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft, wenn nicht aufgrund weiterer Anhaltspunkte Indizien für Ausländerfeindlichkeit oder gewollte Diskriminierung von Ausländern zu Tage träten.
Die Anforderungen an die Deutschkenntnisse seien in der Stellenausschreibung nur in dem Maße verlangt worden, wie sie tatsächlich für die Erbringung der Arbeitsleistung notwendige Voraussetzung seien. Konkret handle es sich um einen Arbeitsplatz mit „Publikumsverkehr“. Bei der Projektarbeit sei es erforderlich, sich mit Kunden, anderen Abteilungen und auch Lieferanten abzustimmen, Meetings und Präsentationen durchzuführen. Weiter sei es erforderlich, deutsche Anwendungs- und Softwaredokumentationen zu erstellen. Dies sei nur möglich, wenn entsprechende Deutschkenntnisse vorhanden seien. Zusätzlich seien Abstimmungstätigkeiten mit verschiedenen angrenzenden Bereichen zwingend erforderlich. Bei der ausgeschriebenen Stelle handle es sich gerade nicht um eine reine Programmiertätigkeit.
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Im Übrigen gehe die Beklagte davon aus, dass die Klägerin über sehr gute Deutschkenntnisse verfüge, wie sich aus der Diktion ihres Bewerbungsschreibens ergebe. Die Unterscheidung „sehr gute Deutschkenntnisse“ und „gute Englischkenntnisse“ bedeute lediglich, dass eine bessere Beherrschung der deutschen Sprache als der englischen Sprache gewollt sei. Die Behauptung der Klägerin, die anderen Softwareentwickler der Beklagten hätten auch keine „sehr guten Deutschkenntnisse“ sei ins Blaue hinein erfolgt. Im Übrigen sei die Klägerin für die konkrete Stelle fachlich nicht geeignet. Sie habe bei der Firma Sc... nur für 2,5 Jahre im Bereich C++ Programmierung gearbeitet. Wohlwollend sei zur Kenntnis genommen worden, dass die Klägerin sich in der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit privat in diesem Bereich auch weitergebildet habe. In den letzten 7 Jahren habe die Klägerin jedoch keine Projekte im Technologieumfeld realisiert.
Im Übrigen sei das Stellenmerkmal sehr gutes Deutsch nach dem „gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen“ (GER) für jedermann erlernbar.
Die Beklagte sei ein Ingenieur-Dienstleister in einem Segment mit sehr hochtechnologischen Projekten für absolute Experten. Die Kunden der Beklagten würden Entwicklungsprojekte aufsetzen, für die sie Experten benötigten, die in der Regel ab dem ersten Tag voll einsatzbereit sein müssten. Die Beklagte stelle ihren Kunden diese Experten zur Verfügung, teilweise im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassung. Die Beklagte selbst sei in diesem Bereich nicht operativ tätig. Eine Einarbeitungsphase falle bei der Beklagten daher in aller Regel weg.
Die Beklagte habe im September 2010, also in dem Monat in dem sich die Klägerin bei der Beklagten beworben habe, insgesamt 18 Mitarbeiter als Ingenieure und Ingenieurinnen in mit der Klägerin vergleichbaren Positionen beschäftigt. Davon hätten insgesamt neun Mitarbeiter über einen Migrationshintergrund verfügt (entweder im Ausland geboren oder von anderer Nationalität). Wegen der Einzelheiten wird auf die Tabelle auf Bl. 223 d. A. verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 24.06.2011 (Bl. 172 bis 179 d. A.) und vom 31.08.2011 (Bl. 200 bis 205 d. A.)
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verwiesen. Hinsichtlich des Beklagtenvortrags in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze vom 29.07.2011 (Bl. 189 bis 194 d. A.) sowie vom 14.09.2011 (Bl. 208 bis 226 d. A.) verwiesen.
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe:
A.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1 Satz 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO. Der Klägerin war auch gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung zu gewähren, da die Voraussetzungen der §§ 233, 234, 236 ZPO vorliegen.
B.
Die Berufung ist jedoch sachlich nicht begründet.
Das Erstgericht hat mit kurzer, gleichwohl zutreffender Begründung festgestellt, dass die Klägerin schon keine Indizien dargelegt und bewiesen hat, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen (§ 22 AGG). Dem folgt das Berufungsgericht. Die Klägerin hat deshalb gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
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Ergänzend und im Hinblick auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung sind jedoch folgende Ausführungen veranlasst:
I. Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) findet auf den Streitfall Anwendung.
Sowohl die Stellenausschreibung als auch die Ablehnung gegenüber der Klägerin fanden nach dem Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 statt.
Die Parteien unterfallen dem persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Die Klägerin ist als Bewerberin für ein Beschäftigungsverhältnis Beschäftigte im Sinne des AGG (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG). Die Beklagte ist Arbeitgeberin im Sinne des AGG, weil sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne von § 6 Abs. 1 AGG beschäftigt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AGG).
Aufgrund ihrer Ausbildung und vorhergehenden Tätigkeiten ist davon auszugehen, dass die Klägerin objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kam. Es besteht auch kein Anlass, an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung der Klägerin zu zweifeln (vgl. BAG vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08). Sie ist seit 2003 arbeitslos.
II. Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Entgelt nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Schadens, der kein Vermögensschaden ist. Die Beklagte hat nämlich nicht gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG verstoßen.
1. Ob eine Benachteiligung der Klägerin vorliegt, kann letztlich offen bleiben, da jedenfalls ein Kausalzusammenhang zwischen einer möglichen Benachteiligung und dem Merkmal der ethnischen Herkunft der Klägerin nicht feststellbar ist.
a. Die Klägerin ist nicht dadurch benachteiligt worden, dass sie nicht eingestellt wurde. Denn sie hat schon nicht darlegen und beweisen können, dass ein anderer Bewerber eingestellt wurde. § 22 AGG gilt insoweit nicht.
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Die Klägerin hat bestritten, dass die ausgeschriebene Stelle nicht besetzt worden ist. Die Beklagte hat für die Behauptung der Nichtbesetzung der Stelle als Zeugen Herrn Sch... benannt. Damit hat die Beklagte der ihr obliegenden Darlegungslast genügt, denn mehr als die Tatsache der Nichtbesetzung unter Nennung eines Zeugen konnte sie nicht vorbringen. Es wäre nun Sache der Klägerin gewesen, weitere Anhaltspunkte für die anderweitige Besetzung der Stelle zu nennen und eben selbst Herrn Sch... als Zeugen zu benennen. Dies hat sie jedoch nicht getan und ist daher beweisfällig geblieben.
b. Es spricht allerdings viel dafür, dass die Klägerin dadurch benachteiligt wurde, dass sie nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. Denn eine Benachteiligung gegenüber anderen Bewerbern läge bereits in der Absage der Klägerin, wenn die Beklagte andere Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hätte und diesen die Gelegenheit gegeben hätte, die Beklagte von ihrer Geeignetheit zu überzeugen. Hierfür spricht, dass in der Absage auf andere viel versprechende Bewerbungen hingewiesen wird. Dem musste aber nicht weiter nachgegangen werden und kann letztlich offen bleiben, da die Klage bereits deshalb abzuweisen ist, weil die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen hat, die eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer ethnischen Herkunft vermuten lassen (§ 22 AGG).
2. Da für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die Benachteiligung „wegen“ eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt sein muss, ist ein Kausalzusammenhang erforderlich. Dieser ist gegeben, wenn die Benachteiligung an einen der in § 1 AGG genannten oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist. Ausreichend ist, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat (BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07). Nach der gesetzlichen Beweislastregelung gem. § 22 AGG genügt es, dass der Anspruchsteller Indizien vorträgt und im Streitfalle beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. An diese Vermutungsvoraussetzungen ist kein zu strenger Maßstab anzulegen. Es ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Indizienschluss für eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Benachteiligungsmerkmal zulassen. Vielmehr reicht es aus, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung hierfür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Sodann trägt
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die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG vom 17.12.2009- 8 AZR 670/08).
3. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung verneint, dass solche Indiztatsachen vorliegen.
a. Insbesondere verstößt die Stellenausschreibung der Beklagten nicht gegen § 11 iVm 7 AGG.
aa. Das von der Beklagten verwendete Kriterium im Anforderungsprofil „sehr gutes Deutsch“ stellt ausdrücklich nicht auf die ethnische Herkunft ab, sondern einen Grad der Beherrschung einer Sprache. Eine sehr gute Beherrschung einer Sprache kann grundsätzlich unabhängig von der ethnischen Herkunft erworben werden - etwa in der Schule, durch Sprachkurse, durch Besuche im jeweiligen Sprachraum oder durch Aufwachsen in einer die jeweilige Sprache sprechenden Familie. Die Anforderung „sehr gute Deutschkenntnisse“ stellt daher kein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG dar. Dies wird vom Klägerinvertreter in der Berufungsinstanz auch nicht vertreten.
bb. Das Kriterium „sehr gutes Deutsch“ stellt jedenfalls im vorliegenden Fall auch kein Indiz für eine mittelbare Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer ethnischen Herkunft iSv § 3 Abs. 2 AGG dar.
Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Für die Annahme einer mittelbaren Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft iSd. § 3 Abs. 2 AGG ist, wie die Klägerin richtiger Weise ausführt, kein statistischer Nachweis erforderlich, dass eine bestimmte Gruppe durch die in Frage stehenden Kriterien tatsächlich wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals benachteiligt wird. Es ist ausreichend, wenn das Kriterium hierzu typischerweise geeignet ist. Dies
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folgt aus dem Gesetzeswortlaut und entspricht dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot des effet-utile, wonach die Regelungen einer Richtlinie innerhalb ihres Geltungsbereichs tatsächliche Wirksamkeit entfalten sollen (BAG vom 18.08.2009 – 1 ABR 47/08). Eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals kann aber durch ein legitimes Ziel und die Wahl von verhältnismäßigen Mitteln zu seiner Durchsetzung gerechtfertigt werden (§ 3 Abs. 2 2. Halbs. AGG). In einem solchen Fall fehlt es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen einer mittelbaren Benachteiligung.
Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass – ohne dass es hier eines statistischen Nachweises bedürfte – es wahrscheinlich ist, dass Menschen deutscher Abstammung eher über sehr gutes Deutsch verfügen, als andere. Es ist daher im Grundsatz anerkannt, dass etwa die Anforderung „Muttersprache Deutsch“ eine mittelbare Benachteiligung bei der Einstellung indizieren kann und dies auch bei der Anforderung „sehr gutes Deutsch“ wohl nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Schleusener/Suckow/Voigt, AGG, 3. Aufl. 2011, § 3 AGG Rdnr. 115; Hinrichs/Stütze, Die Sprache im Arbeitsverhältnis nach fünf Jahren AGG, NZA-RR 2011, 116), wenn dieses Erfordernis durch die Tätigkeit nicht vorgegeben ist.
Bei der Beurteilung, ob einer Stellenausschreibung auf Grund ihrer Formulierung Indizwirkung im Sinne von § 22 AGG für eine mittelbare Diskriminierung zukommt, ist aber auf die Stellenanzeige als Ganzes abzustellen. Enthält die Stellenanzeige selbst - und damit für den Bewerber erkennbar - Hinweise darauf, dass eine bestimmte Stellenanforderung, aus der man den Schluss auf eine mittelbare Diskriminierung ziehen könnte, sachlich gerechtfertigt im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG sein könnte, so ist dies bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen, ob im Einzelfall nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Diskriminierung besteht.
Im vorliegenden Falle entfaltet die Stellenanzeige nach Überzeugung des erkennenden Gerichts keine solche Indizwirkung. Bereits aus ihr selbst wird nämlich in ausreichendem Maße deutlich, dass die Anforderung „sehr gutes Deutsch“ nicht aus diskriminierenden Motiven heraus aufgestellt wurde. So stellt sich die Beklagte selbst als Dienstleister vor und damit als Arbeitgeber, der für andere Dienstleistungen erbringt. Der Bewerber soll kommunikativ sein und deutschlandweit (u.a. B..., H... usw.) eingesetzt werden und dies bei einem namhaften Unternehmen. Auch wird als Aufgabe Abstimmung mit angrenzen-
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den Bereichen wie Entwicklung und Systemtest genannt. Damit wird bereits in der Stellenanzeige deutlich, dass es hier nicht um eine reine Programmiertätigkeit im „stillen Kämmerlein“ der Beklagten geht, sondern, dass der Bewerber in einem fremden Unternehmen in Deutschland eingesetzt werden soll und dabei eben auch kommunikationsfähig sein muss. Da der Einsatz bei einem namhaften Unternehmen und deutschlandweit erfolgen soll, und diese Unternehmen eben bei Projekten von der Beklagten als Dienstleister unterstützt werden sollen, deutet zumindest die sachliche Rechtfertigung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG für die Anforderung „sehr gutes Deutsch“ in ausreichendem Maße an. Es ist nämlich grundsätzlich ein rechtmäßiges Ziel, an einen Arbeitnehmer bestimmte Anforderungen in der Sprachbeherrschung zu stellen (vgl. hierzu BAG vom 28.01.2010 – 2 AZR 764/08). Dass hier sehr gutes Deutsch verlangt wird, ist nicht als willkürlich anzusehen, da der Bewerber in einem Fremdunternehmen in Deutschland eingesetzt werden und dabei kommunikativ mit anderen zusammenarbeiten soll. Es ist auch aus der Stellenanzeige heraus nachvollziehbar, dass „sehr gutes Deutsch“ zur Erreichung dieses rechtmäßigen Ziels der Kommunikationsfähigkeit erforderlich und angemessen ist (vgl. § 3 Abs. 2 AGG). Insbesondere ist der Arbeitgeber nicht gehalten, die Tätigkeit im Interesse der Diskriminierungsfreiheit gewissermaßen aufzuspalten in einen Programmierteil und einen Kommunikationsteil (vgl. BAG vom 28.01.2010 – 2 AZR 764/08).
b. Weitere Indizien sind nicht erkennbar.
So hat die Klägerin keineswegs eine schnelle Absage erhalten. Im Gegenteil - in der Email vom 14.09.2010 ist ihr eine sorgfältige Prüfung der Unterlagen zugesagt worden. Die Absage folgte erst zwei Wochen später. Anhaltspunkte dafür, dass die Unterlagen nicht sorgfältig geprüft worden wären, sind nicht ersichtlich.
Darüber hinaus hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 14.09.2011 vorgetragen, dass sie zum Zeitpunkt der Bewerbung der Klägerin in dem Bereich, in dem sie beschäftigt werden sollte, insgesamt 18 Mitarbeiter beschäftigte, von denen neun einen sog. Migrationshintergrund aufwiesen. Die Beklagte hat dies im Einzelnen in einer Übersicht nach Geburtsort und Nationalität dargestellt (Blatt 223 der Akten). Dem ist die Klägerin weder entgegengetreten, noch hat sie Schriftsatzfrist beantragt, so dass dieser Sachvortrag nach § 138 Abs. 3 ZPO gilt. Wenn jedoch die Hälfte der Mitarbeiter einen sog. Migrationshin-
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tergrund aufweisen, so ist dies ein eindeutiges Indiz, dass die Ablehnung der Klägerin nicht aus diskriminierenden Motiven heraus erfolgt ist.
Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung vom 21.09.2011 auch unwidersprochen vorgetragen, dass es derzeit auf dem Arbeitsmarkt nicht annähernd genügend Fachkräfte gäbe, die die fachlichen Anforderungen an die ausgeschriebene Stelle erfüllen würden. Auch dies spricht gerade gegen eine Diskriminierung
III. Vor diesem Hintergrund brauchte nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob die Klägerin die fachlichen Voraussetzungen für die ausgeschriebene Stelle erfüllte.
C.
I. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO
II. Für die Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 1 und 2 ArbGG.
Steindl
Vorsitzender Richter
am Landesarbeitsgericht
Knauber
ehrenamtlicher Richter
Greipl
ehrenamtliche Richterin
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