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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/208

Ehe­gat­ten als „Brief­käs­ten“?

Über­ga­be ei­ner Kün­di­gung an den Ehe­part­ner au­ßer­halb der ge­mein­sa­men Woh­nung: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 07.09.2009, 2 Sa 210/09
Kündigung Wall-Street-Karton mit Frau Kün­di­gung: Die Über­ga­be an den Ehe­part­ner kann aus­rei­chen
11.11.2009. Will ein Ar­beit­ge­ber ei­nem Be­schäf­tig­ten kün­di­gen, muss er die Kün­di­gung ge­mäß § 623 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) schrift­lich er­klä­ren. Ei­ne münd­li­che Kün­di­gung ist da­her un­wirk­sam.

Im Um­kehr­schluss be­deu­tet dies, dass ei­ne Kün­di­gung - als ein­sei­ti­ge und emp­fangs­be­dürf­ti­ge Wil­lens­er­klä­rung - dem Ar­beit­neh­mer auch zu­ge­hen muss. Die­ser Zu­gangs­zeit­punkt ist im Kün­di­gungs­schutz­pro­zess oft strei­tig, da eben die­ser auch aus­schlag­ge­bend für die Kün­di­gungs­fris­ten ist.

Frag­lich ist, ob und vor al­lem wann der Zu­gang ei­ner Kün­di­gung er­folgt, wenn das Kün­di­gungs­schrei­ben dem Ehe­part­ner des zu kün­di­gen­den Ar­beit­neh­mers au­ßer­halb der ge­mein­sa­men Woh­nung über­ge­ben wird. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln hat­te sich kürz­lich mit ei­nem sol­chen Fall zu be­fas­sen, LAG Köln, Ur­teil vom 07.09.2009, 2 Sa 210/09.

Kündi­gung: Auf den Zu­gang kommt es an

Hat der Ar­beit­ge­ber ei­ne Kündi­gung aus­ge­fer­tigt und ei­genhändig un­ter­schrie­ben, spricht man von ei­ner „verkörper­ten Wil­lens­erklärung“. Die­se muss der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer im Ori­gi­nal zu­kom­men las­sen, da­mit sie Wir­kung ent­fal­tet, was ins­be­son­de­re für die Kündi­gungs­fris­ten von Be­deu­tung ist (§ 130 BGB). Das muss nicht un­be­dingt durch die persönli­che Aushändi­gung der Kündi­gung ge­sche­hen. Es reicht aus, dass die Kündi­gung „in den Macht­be­reich“ des Ar­beit­neh­mers ge­langt, so dass er von ihr un­schwer Kennt­nis neh­men kann. Mit „Macht­be­reich“ ist in der Re­gel der Brief­kas­ten des Ar­beit­neh­mers ge­meint, spätes­tens zu den übli­chen Lee­rungs­zei­ten gilt die Kündi­gung als zu­ge­gan­gen, auch wenn der Ar­beit­neh­mer sei­nen Brief­kas­ten tatsächlich nicht ge­leert hat.

Der „Macht­be­reich“ muss außer­dem nicht un­be­dingt ein Brief­kas­ten sein. Zum Macht­be­reich des Empfängers ei­ner Wil­lens­erklärung kann et­wa auch der Schreib­tisch im Be­trieb gehören oder sonst ein Platz, den der Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig kon­trol­liert. Frag­lich ist, ob auch der Ehe­part­ner des Adres­sa­ten bei ei­ner auf dem Weg be­find­li­chen Kündi­gungs­erklärung als ei­ne Art Brief­kas­ten ein­ge­setzt wer­den kann.

Über­gibt der Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung ir­gend­ei­ner drit­ten Per­son, et­wa ei­nem Be­kann­ten des Ar­beit­neh­mers, ist dies zwar nicht un­zulässig, die Kündi­gung gilt dem Ar­beit­neh­mer aber erst zu dem Zeit­punkt als zu­ge­gan­gen, in dem der Be­kann­te die Kündi­gung tatsächlich über­gibt. Der Ar­beit­ge­ber trägt al­so in die­sem Fall das Ri­si­ko, dass die drit­te Per­son die Kündi­gung gar nicht oder viel zu spät an den Ar­beit­neh­mer wei­ter­lei­tet.

Die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung be­ur­teilt dies je­doch an­ders, wenn die Kündi­gung ei­ner dem Haus­halt des Ar­beit­neh­mers zu­zu­ord­nen­den „vernünf­ti­gen“ Per­son über­ge­ben wird (Mit­be­woh­ner, Le­bens­gefähr­te, Ehe­gat­te - nicht aber Klein­kind). Die Recht­spre­chung sieht sol­che Per­so­nen, die das Schrei­ben wei­ter­lei­ten sol­len, als „Emp­fangs­bo­ten“ an, d.h. ei­ne Art Brief­kas­ten des Empfängers. Lei­ten die­se das Schrei­ben nicht oder zu spät wei­ter, fällt dies dann dem Adres­sa­ten (al­so vor­lie­gend dem Ar­beit­neh­mer) zur Last. Das Schrei­ben gilt al­so auch dann als zu­ge­gan­gen, wenn es den Adres­sa­ten nie er­reicht hat.

Da es bei der Emp­fangs­bo­te­nei­gen­schaft des Ehe­gat­ten nicht dar­auf an­kom­men soll, wo das Schrei­ben über­ge­ben wird (zu Hau­se oder ir­gend­wo an­ders), gel­ten Ehe­leu­te nach der bis­he­ri­gen An­sicht der Recht­spre­chung fürein­an­der so­gar als „wan­deln­de Briefkästen“. Das Ri­si­ko, dass bei der Über­mitt­lung des Schrei­bens et­was schief geht, ist hier für den Adres­sa­ten des Schrei­bens be­son­ders hoch.

Mit der Fra­ge, ob die­se Be­trach­tungs­wei­se (noch) rich­tig ist, be­fasst sich ein ak­tu­el­les Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Köln (Ur­teil vom 07.09.2009, 2 Sa 210/09).

Der Ehe­mann als Emp­fangs­bo­te?

Die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin ver­ließ we­gen ei­nes Streits mit ih­rem Ar­beit­ge­ber am 31.01.2008 oh­ne des­sen Er­laub­nis ih­ren Ar­beits­platz. Noch am sel­ben Tag fer­tig­te der Ar­beit­ge­ber das Kündi­gungs­schrei­ben, in dem er der Ar­beit­neh­me­rin or­dent­lich zu En­de Fe­bru­ar 2008 kündig­te. Dies war nur dann frist­ge­recht, wenn die Ar­beit­neh­me­rin die Kündi­gung noch im Ja­nu­ar, al­so am sel­ben Tag, er­hal­ten würde.

Der Ar­beit­ge­ber gab die Kündi­gung des­halb sei­nem Mit­ar­bei­ter mit, der mit dem Ehe­mann der Ar­beit­neh­me­rin seit Jah­ren be­freun­det war, da­mit er die Kündi­gung dem Ehe­mann an des­sen Ar­beits­platz zwecks Wei­ter­lei­tung an die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin aushändi­gen konn­te. Der Ehe­mann wei­ger­te sich erst, das Kündi­gungs­schrei­ben über­haupt ent­ge­gen zu neh­men, da schließlich nicht er, son­dern sei­ne Frau bei dem Ar­beit­ge­ber beschäftigt war. Letzt­end­lich nahm er das Kündi­gungs­schrei­ben doch an sich, ließ es dann je­doch an sei­nem Ar­beits­platz lie­gen. Erst am nächs­ten Tag, al­so am 01. Fe­bru­ar, überg­ab er sei­ner Ehe­frau die Kündi­gung.

Die gekündig­te Ehe­frau war des­halb der An­sicht, für ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses En­de Fe­bru­ar hätte sie die Kündi­gung zu spät er­hal­ten. Ihr Ar­beits­verhält­nis en­de des­halb erst zum 31.03.2008. Denn zu­ge­gan­gen sei ihr die Kündi­gung erst in dem Mo­ment, als ihr Ehe­mann sie ihr tatsächlich aus­gehändigt ha­be, nicht schon mit der Überg­a­be der Kündi­gung an ih­ren Mann am Vor­tag.

Das Ar­beit­ge­richt gab der Kla­ge statt, weil es ent­ge­gen der bis­her vor­herr­schen­den Mei­nung die Auf­fas­sung ver­trat, Ehe­gat­ten sei­nen nicht fürein­an­der Emp­fangs­bo­ten (Ur­teil vom 15.10.2008, 3 Ca 1573/08). Hier­ge­gen leg­te der Ar­beit­ge­ber Be­ru­fung beim LAG Köln ein.

LAG Köln: Die Überg­a­be des Schrei­bens an den Ehe­gat­ten kann genügen

Das LAG gab der Be­ru­fung statt und gab da­mit dem Ar­beit­ge­ber recht. „Nach der Ver­kehrs­sit­te“ sind Ehe­leu­te wech­sel­sei­tig Emp­fangs­bo­ten, so das Ge­richt im Ein­klang mit der bis­her vor­herr­schen­den Mei­nung. Das LAG deu­te­te aber an, dass es die Kri­tik an die­ser Be­trach­tungs­wei­se für mögli­cher­wei­se be­gründet hält. Aus die­sem Grund ließ es die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt zu.

Das Kon­strukt, Ehe­leu­te als wech­sel­sei­ti­ge Emp­fangs­bo­ten an­zu­se­hen, ist nämlich nach An­sicht des Ge­richts überflüssig, um Schrei­ben zu­ge­hen zu las­sen, so das LAG.

Außer­dem könn­te der Ehe­gat­te, dem ein Schrei­ben zur Wei­ter­lei­tung an sei­nen Ehe­part­ner über­ge­ben wird, nach An­sicht des Ge­richts in der Ver­su­chung sein, das Schrei­ben zurück­zu­hal­ten, in der fal­schen Vor­stel­lung, so den Zu­gang an den Ehe­part­ner ver­hin­dern zu können.

Sch­ließlich hält es das LAG für fragwürdig, dass die Emp­fangs­bo­te­nei­gen­schaft bei Überg­a­be ei­nes Schrei­bens außer­halb der Woh­nung nur bei Ver­hei­ra­te­ten, nicht je­doch bei Le­bens­gefähr­ten an­ge­nom­men wird. Dies könn­te ei­ne ver­fas­sungs­wid­ri­ge Be­nach­tei­li­gung der Ehe, al­so ei­nen Ver­s­toß ge­gen Art.6 Grund­ge­setz (GG) dar­stel­len, so das Ge­richt.

Für den Ar­beit­ge­ber ist es da­her rat­sam, Kündi­gungs­schrei­ben dem Ar­beit­neh­mer di­rekt durch ei­nen zu­verlässi­gen Erklärungs­bo­ten zu­kom­men zu las­sen, um Ri­si­ken zu ver­mei­den. Wer als Ehe­gat­te dem Ar­beit­ge­ber sei­nes Part­ners nicht zu ei­nem schnel­len Zu­gang der Kündi­gung ver­hel­fen will, soll­te die Ent­ge­gen­nah­me des Schrei­bens schlicht ver­wei­gern und dar­auf hin­wei­sen, dass sein Ehe­part­ner ihn zur Ent­ge­gen­nah­me nicht ermäch­tigt hat.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: Mitt­ler­wei­le hat auch das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in die­ser Sa­che ent­schie­den. Die Ent­schei­dung fin­den Sie im Voll­text hier:

Die­se Ent­schei­dung ha­ben wir für Sie in un­se­rer Ru­brik Ar­beits­recht ak­tu­ell kom­men­tiert. Die Be­spre­chung der BAG-Ent­schei­dung fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 1. Juli 2016

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