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ARBEITSRECHT AKTUELL // 05/03

BAG be­schränkt Al­ters­grup­pen­bil­dung bei der So­zi­al­aus­wahl

Die Bil­dung von Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl ist nur rech­tens, wenn ei­ne "nor­ma­le" So­zi­al­aus­wahl kon­kre­te Ne­ga­ti­ve­f­fek­te hät­te: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 20.04.2005, 2 AZR 201/04
Zwei Gruppen von je drei Arbeitnehmern mit Helm, Bekleidung der beiden Gruppen unterschiedlich Al­ters­grup­pen bei der So­zi­al­aus­wahl las­sen Jün­ge­re oft un­ge­scho­ren
03.05.2005. Wenn der Ar­beit­ge­ber die Strei­chung von zum Bei­spiel zehn Ar­beits­plät­zen plant und so­mit den Aus­spruch von zehn be­triebs­be­ding­ten Kün­di­gun­gen, sind von ei­ner sol­chen Ent­schei­dung in den meis­ten Fäl­len nicht nur die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer be­trof­fen, die zur Zeit der Kün­di­gung zu­fäl­li­ger­wei­se ge­ra­de auf die­sen zehn weg­fal­len­den Ar­beits­plät­zen ar­bei­ten, son­dern auch an­de­re Mit­ar­bei­ter, die der Ar­beit­ge­ber auf­grund sei­nes Di­rek­ti­ons­rechts auf die zehn zu strei­chen­den Stel­len um­set­zen könn­te.

In ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on gibt es dem­zu­fol­ge mehr "Kün­di­gungs­kan­di­da­ten" als ge­plan­te Kün­di­gun­gen. Da­her muss der Ar­beit­ge­ber, falls das Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) auf die zu kün­di­gen­den Ar­beit­neh­mer an­zu­wen­den ist, ei­ne Aus­wahl nach so­zia­len Ge­sichts­punk­ten zwi­schen den ver­schie­de­nen "Kün­di­gungs­kan­di­da­ten" vor­neh­men. Die­se Aus­wahl heißt So­zi­al­aus­wahl.

Ob und un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung bei ei­ner So­zi­al­aus­wahl zu­läs­sig ist, hat kürz­lich das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den: BAG, Be­schluss vom 20.04.2005, 2 AZR 201/04.

Kann der Ar­beit­ge­ber bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gungs­wel­len die So­zi­al­aus­wahl "ein­fach so" auf Al­ters­grup­pen be­schränken oder muss der Al­ters­grup­pen­bil­dung kon­kret be­gründen?

Das Prin­zip der So­zi­al­aus­wahl be­sagt, dass nur die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer aus be­triebs­be­ding­ten Gründen gekündigt wer­den können, die so­zi­al am we­nigs­ten schutz­bedürf­tig sind. Ein Ar­beit­neh­mer ist um­so schutz­bedürf­ti­ger, je älter und länger beschäftigt er ist und je mehr Un­ter­halts­be­rech­tig­ten ge­genüber er zum Un­ter­halt ver­pflich­tet ist; seit dem 01.01.2004 kommt als wei­te­res Kri­te­ri­um die Schwer­be­hin­de­rung hin­zu.

Von dem Prin­zip der So­zi­al­aus­wahl sind je­doch Aus­nah­men möglich. In der bis zum 31.12.2003 gel­ten­den Fas­sung des KSchG heißt es hier­zu, dass der Ar­beit­ge­ber kei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­neh­men muss, "wenn be­triebs­tech­ni­sche, wirt­schaft­li­che oder sons­ti­ge be­rech­tig­te be­trieb­li­che Bedürf­nis­se die Wei­ter­beschäfti­gung ei­nes oder meh­re­rer be­stimm­ter Ar­beit­neh­mer be­din­gen und da­mit der Aus­wahl nach so­zia­len Ge­sichts­punk­ten ent­ge­gen­ste­hen" (§ 1 Abs.3 Satz 2 KSchG a.F.).

Mit der zum 01.01.2004 in Kraft ge­tre­te­nen Neu­fas­sung die­ser Vor­schrift woll­te der Ge­setz­ge­ber dem Ar­beit­ge­ber die Her­aus­nah­me von be­triebs­not­wen­di­gen Ar­beit­neh­mern aus der So­zi­al­aus­wahl er­leich­tern, d.h. die Aus­nah­men von der So­zi­al­aus­wahl großzügi­ger aus­ge­stal­ten. Die seit dem 01.01.2004 gel­ten­de Aus­nah­me­vor­schrift nennt da­her aus­drück­lich das Ziel der Si­che­rung ei­ner "aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur" als Grund dafür, dass die So­zi­al­aus­wahl nur ein­ge­schränkt zum Tra­gen kommt.

Die der­zei­ti­ge Fas­sung des KSchG lau­tet: "In die so­zia­le Aus­wahl nach Satz 1 sind Ar­beit­neh­mer nicht ein­zu­be­zie­hen, de­ren Wei­ter­beschäfti­gung, ins­be­son­de­re we­gen ih­rer Kennt­nis­se, Fähig­kei­ten und Leis­tun­gen oder zur Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur des Be­trie­bes, im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se liegt." (§ 1 Abs.3 Satz 2 KSchG n.F.).

In der Pra­xis bil­den Ar­beit­ge­ber bei der Be­ru­fung auf die­se Aus­nah­memöglich­keit meis­tens Al­ters­grup­pen (z.B.: Ar­beit­neh­mer von 31 bis 40 Jah­ren, von 41 bis 50 Jah­ren, von 35 bis 60 Jah­ren usw.) und neh­men die So­zi­al­aus­wahl dann nur in­ner­halb die­ser Al­ters­grup­pen vor. Da­durch wird ver­hin­dert, dass nach ei­ner größeren Kündi­gungs­wel­le aus be­triebs­be­ding­ten Gründen das Prin­zip der So­zi­al­aus­wahl da­zu führt, dass die Be­leg­schaft im­mer älter wird. Das Le­bens­al­ter und die Beschäfti­gungs­dau­er wer­den da­her zwar be­ach­tet, aber nur in­ner­halb der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pen.

Frag­lich ist al­ler­dings, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen sich der Ar­beit­ge­ber über­haupt dar­auf be­ru­fen kann, dass die an sich ge­bo­te­ne So­zi­al­aus­wahl un­ter al­len Kündi­gungs­kan­di­da­ten hin­ter der Bil­dung von Al­ters­grup­pen zurück­zu­ste­hen hat, d.h. un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen die Bil­dung von Al­ters­grup­pen "zur Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur des Be­trie­bes im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se liegt".

Kon­kret: Kann der Ar­beit­ge­ber "ein­fach so" Al­ters­grup­pen bil­den und da­mit die So­zi­al­aus­wahl nur sehr ein­ge­schränkt an­wen­den (mit der flos­kel­haf­ten "Be­gründung", dies sei eben für ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Per­so­nal­struk­tur er­for­der­lich) - oder muss er da­zu ei­ne ausführ­li­che­re Be­gründung lie­fern?

Hier­zu hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) mit Be­schluss vom 20.04.2005 (2 AZR 201/04) ei­ne Grund­satz­ent­schei­dung ge­trof­fen.

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­mer wen­det sich ge­gen ei­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung in Fünf­jah­res-Schrit­ten

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall ging es um fol­gen­des Pro­blem:

Der be­klag­te Ar­beit­ge­ber kündig­te un­ter Gel­tung der o.g. Alt­fas­sung des KSchG den kla­gen­den Ar­beit­neh­mer mit Schrei­ben vom 22.04.2002 zum 31.07.2002. Da­bei kündig­te er ei­ni­gen Ar­beit­neh­mern nicht, die ei­ne ge­rin­ge­re so­zia­le Schutz­bedürf­tig­keit als der Kläger auf­wie­sen, wo­bei er sich auf ei­ne von ihm ge­bil­de­te Al­ters­grup­pen­bil­dung be­rief, d.h. die nicht gekündig­ten Ar­beit­neh­mer, die an sich we­ni­ger schutz­bedürf­tig als der Kläger wa­ren, gehörten ei­ner an­de­ren Al­ters­grup­pe an.

Der Ar­beit­neh­mer klag­te ge­gen die Kündi­gung, wo­bei er vor dem Ar­beits­ge­richt und dem LAG (Lan­des­ar­beits­ge­richt) Er­folg hat­te. Das LAG hat die Be­ru­fung des Ar­beit­ge­bers zurück­ge­wie­sen, da die Kündi­gung we­gen feh­ler­haf­ter So­zi­al­aus­wahl nach § 1 Abs.3 KSchG un­wirk­sam sei. Die Kündi­gung sei nämlich schon des­halb so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt i.S.v. § 1 Abs.3 KSchG, weil die Be­klag­te die So­zi­al­aus­wahl feh­ler­haft vor­ge­nom­men ha­be. Die Bil­dung von Al­ters­grup­pen mit Schrit­ten von je­weils fünf Jah­ren führe zu ei­ner Ver­zer­rung des Ge­samt­bil­des der zu berück­sich­ti­gen­den so­zia­len Ge­sichts­punk­te und da­mit zu ei­ner man­gel­haf­ten So­zi­al­aus­wahl. Der Kläger we­sent­lich stärker so­zi­al schutz­bedürf­tig als ei­ni­ge nicht gekündig­ten Kol­le­gen. Die­se Schutzwürdig­keit könne die Be­klag­te nicht durch die Bil­dung von Al­ters­grup­pen un­ter­lau­fen

Nach Ein­le­gung der Re­vi­si­on ha­ben die Par­tei­en ei­ne Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung ge­schlos­sen, so dass das BAG nur noch über die Kos­ten des Ver­fah­rens zu ent­schei­den hat­te.

BAG: Al­ters­grup­pen­bil­dung in Fünf­jah­res-Schrit­ten geht, aber je­de Al­ters­grup­pen­bil­dung muss be­gründet wer­den

Das BAG hat sich in der Sa­che der An­sicht der Vor­in­stan­zen an­ge­schlos­sen und dem Ar­beit­ge­ber die Kos­ten des Ver­fah­rens auf­er­legt, da er bei Prüfung des bis­he­ri­gen Ver­fah­rens­stan­des auch bei ei­ner Sach­ent­schei­dung durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt den Pro­zess ver­lo­ren hätte.

Da­bei weist das Bun­des­ar­beits­ge­richt al­ler­dings die Rechts­auf­fas­sung des LAG zurück, der zu­fol­ge ei­ne Bil­dung von Al­ters­grup­pen in Fünf­jah­res­schrit­ten all­ge­mein nicht zulässig sein soll. Der Ar­beit­ge­ber ha­be bei der Bil­dung der Al­ters­grup­pen ei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum. Ei­ne sol­che Al­ters­grup­pen­bil­dung sei da­her nicht grundsätz­lich aus­ge­schlos­sen.

Al­ler­dings hat­te der be­klag­te Ar­beit­ge­ber nach An­sicht des BAG während des ge­sam­ten Rechts­streits nicht dar­ge­legt, wor­aus sich die be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen Bedürf­nis­se für ei­ne Er­hal­tung der bis­he­ri­gen (aus­ge­wo­ge­nen) Al­ters­struk­tur er­ge­ben sol­len. Es gehöre zum schlüssi­gen Sach­vor­trag des Ar­beit­ge­bers, kon­kret dar­zu­le­gen, wel­che Nach­tei­le sich er­ge­ben würden, wenn er die zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer al­lein nach dem Prin­zip der So­zi­al­aus­wahl auswählen würde.

Da­her hätte der Ar­beit­ge­ber vor Ge­richt dar­le­gen müssen, "in­wie­weit sich die Durchführung der So­zi­al­aus­wahl al­lein an­hand der Kri­te­ri­en des § 1 Abs.3 Satz 1 KSchG nach­tei­lig auf die Per­so­nal­struk­tur und den Be­trieb aus­ge­wirkt und ob und in­wie­weit ei­ne sol­che so­zia­le Aus­wahl zu ei­ner er­heb­li­chen Ver­zer­rung die­ser Per­so­nal­struk­tur geführt hätte".

Um die­ser vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ge­for­der­ten Vor­trags­last ge­recht zu wer­den, hätte der Ar­beit­ge­ber dar­le­gen müssen, wie­viel Pro­zent der po­ten­ti­ell zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer vor Aus­spruch der Kündi­gung den je­wei­li­gen Al­ters­grup­pen an­gehörten und wie die ein­zel­nen Kündi­gun­gen auf die ein­zel­nen Al­ters­grup­pen ver­teilt wor­den sind, da­mit die bis­lang be­ste­hen­de Al­ters­struk­tur er­hal­ten bleibt.

Fa­zit: Al­ters­grup­pen zu bil­den ist nicht schwer, ih­re Not­wen­dig­keit zu be­gründen da­ge­gen sehr

Fa­zit: Der Ar­beit­ge­ber muss bei der Bil­dung von Al­ters­grup­pen bzw. bei der Be­ru­fung auf das Ziel ei­ner "aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur" nach An­sicht des Bun­des­ar­beits­ge­richts vor Ge­richt ei­ne dop­pel­te Recht­fer­ti­gung sei­ner So­zi­al­aus­wahl leis­ten:

Erst ein­mal muss er die Fol­gen ei­ner "nor­ma­len So­zi­al­aus­wahl", d.h. die Fol­gen ei­ner So­zi­al­aus­wahl oh­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung durch­buch­sta­bie­ren und dem Ge­richt zei­gen, dass ei­ne sol­che So­zi­al­aus­wahl zu nach­tei­li­gen Fol­gen bzgl. der Per­so­nal­struk­tur, d.h. zur Ver­al­te­rung der Be­leg­schaft führen würde.

So­dann muss er auf­zei­gen, wel­che Fol­gen die von ihm durch­geführ­te "So­zi­al­aus­wahl mit Al­ters­grup­pen­bil­dung" ha­ben wird, d.h. er muss vor dem Ar­beits­ge­richt den Nach­weis führen, dass ei­ne nur ein­ge­schränk­te An­wen­dung des Prin­zips der So­zi­al­aus­wahl den bis­he­ri­gen Al­ters­auf­bau der Be­leg­schaft er­hal­ten würde.

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Letzte Überarbeitung: 24. August 2016

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