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ArbG Flensburg, Urteil vom 04.12.2014, 2 Ca 624/14
Schlagworte: | Entschädigungsanspruch, Bewerber, Schwerbehinderter | |
Gericht: | Arbeitsgericht Flensburg | |
Aktenzeichen: | 2 Ca 624/14 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 04.12.2014 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Arbeitsgericht Flensburg
Kammer 2
Aktenzeichen: 2 Ca 624/14
(Bitte bei allen Schreiben angeben!)
Verkündet am 04.12.2014
gez. Hansen
als Urkundsbeamt. d. Geschäftsstelle
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
- Kläg. -
Proz.-Bev.:
Proz.-Bev.:
gegen
- Bekl. -
hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Flensburg auf die mündliche Verhandlung vom 04.12.2014 durch die Richterin am Arbeitsgericht als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter als Beisitzer
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 1.586,52 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.379,78 EUR festgesetzt.
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Rechtsmittelbelehrung
1. Gegen dieses Urteil kann d. Bekl. Berufung einlegen,
a) wenn sie in dem Urteil zugelassen worden ist,
b) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR übersteigt oder
c) in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses.
Der Berufungskläger hat gegebenenfalls den Wert des Beschwerdegegenstandes glaubhaft zu machen.
Die Einlegung der Berufung hat
binnen einer Notfrist von einem Monat
nach Zustellung dieses Urteils schriftlich beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Deliusstraße 22, 24114 Kiel zu erfolgen. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt,
binnen zwei Monaten
nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landesarbeitsgericht zu begründen.
Der Berufungskläger muss sich vor dem Landesarbeitsgericht durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen Berufungs- und eine eventuelle Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
An seine Stelle kann auch ein Vertreter eines Verbandes (Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen) oder eines Spitzenverbandes (Zusammenschlüsse solcher Verbände) treten, sofern er kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt und die Partei Mitglied des Verbandes oder Spitzenverbandes ist. An die Stelle der vorgenannten Vertreter können auch Angestellte einer juristischen Person, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer dieser Organisationen stehen, treten, sofern die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung der Verbandsmitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und der Verband für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet. Ist die Partei Mitglied eines Verbandes oder Spitzenverbandes, kann sie sich auch durch einen Vertreter eines anderen Verbandes oder Angestellten einer der oben genannten juristischen Personen mit vergleichbarer Ausrichtung vertreten lassen.
Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden. Die Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts bittet, Schriftsätze in fünffacher Fertigung einzureichen.
2. Für d. Kläg. ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die eine Entschädigung zu zahlen hat, weil der schwerbehinderte Kläger bei der Begründung eines
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Ausbildungsverhältnisses bei dem wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde.
Der Kläger hat einen Fachhochschulabschluss und eine Ausbildung im Ausbildungsberuf „Verwaltungsfachangestellte/r" beim Wasser- und Schifffahrtsamt Heidelberg erfolgreich absolviert. Zurzeit ist er als Angestellter bei der Beklagten in deren beschäftigt. Er hat einen Grad der Behinderung von 70.
Das suchte zum 01.08.2014 Studentinnen/Studenten zur Verwaltungsinformatikerin / zum Verwaltungsinformatiker - Diplom (FH). Als Voraussetzung gab es in seiner Ausschreibung vom 27.01.2014 an:
„Mindestens vollwertige Fachhochschulreife".
Des Weiteren waren in der Ausschreibung folgende „Infos zum Auswahlverfahren" enthalten:
„Das Auswahlverfahren beginnt mit einem Eignungstest. Dieser ist in zwei Prüfungsteile gegliedert. Im weiteren Auswahlverfahren werden sich dann noch mündliche und praktische Teile anschließen. Bitte beachten Sie, dass jeder Teil des Auswahlverfahrens das erfolgreiche Absolvieren des vorangegangenen Testteils voraussetzt."
Des Weiteren enthielt der Ausschreibungstext folgenden Passus:
„Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher fachlicher Eignung bevorzugt eingestellt. Es wird ein Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt."
Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausschreibung wird auf den Text der Ausschreibung vom 27.01.2014 Bezug genommen (BI. 38, 55 der Akte). Die Vergütung hätte im 1. Ausbildungsjahr 793,26 € brutto betragen. Das dem Testverfahren nachfolgende Vorstellungsgespräch wird beim von einem Auswahlausschuss geführt. Er setzt sich bezüglich des ausgeschriebenen Studienplatzes aus 3 Personen aus dem Sachgebiet Ausbildung, 1 Person aus dem
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Fachbereich Informatik, 1 Mitglied des Personalrates, der Gleichstellungsbeauftragten, dem Schwerbehinderten- Vertreter und dem JAV-Vertreter zusammen.
Auf diese Ausschreibung bewarb sich der Kläger mit seiner Bewerbung vom 27.02.2014, der als Anlagen seine Zeugnisse und ein Lebenslauf nebst • Schwerbehindertenausweis beigefügt waren (BI. 5-14 d. A.). Daraufhin lud das den Kläger zum Eignungstest ein. Bei der Durchführung des Tests erhielt der Kläger einen Nachteilsausgleich aufgrund seiner Behinderung, indem ihm ein gesonderter Raum zugewiesen und mehr Zeit eingeräumt wurde. Er wurde in diesem Zusammenhang von der Ausbildungsleiterin Frau betreut. Die erforderliche Punktzahl für .das Absolvieren dieses Testteils erreichte der Kläger nicht und wurde wegen des erzielten Testergebnisses nicht in die engere Wahl genommen und nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Deswegen erteilte das ihm mit Schreiben vom 31.03.2014 eine Absage. Wegen der Einzelheiten der Absage wird auf das Schreiben vom 31.03.2014 Bezug genommen (BI. 15 d. A.).
Auf den Studienplatz hatten sich inklusive Kläger 98 Bewerber beworben. Des hat eine Schwerbehindertenquote von fast 15 %.
Mit Schreiben der Gewerkschaft ver.di Rheinland-Pfalz-Saarland vom 16.04.2014 machte der Kläger daraufhin einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 AGG i.H.v. 3 Monatsvergütungen geltend (BI. 16, 17 d. A.). Er machte insbesondere geltend, dass er gemäß § 82 S. 2 SGB IX zum Vorstellungsgespräch hätte eingeladen werden müssen. Mit Schreiben vom 22.05. 2014 lehnte das eine Entschädigungszahlung ab und wies nochmals darauf hin, dass der Kläger nur aufgrund der nicht erreichten Punktezahl im Test nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei.
Diesen Entschädigungsanspruch macht der Kläger mit seiner Leistungsklage vom 25.06.2014 weiter geltend.
Er trägt vor, dass er wegen seiner Behinderung diskriminiert worden sei, indem er nicht entsprechend der Verpflichtung in § 82 S. 2 SGB IX zum Vorstellungsgespräch
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eingeladen worden sei. Insoweit eröffne das Gesetz für öffentliche Arbeitgeber keinen Ermessensspielraum. Die Einladung zum Vorstellungsgespräch sei bei Schwerbehinderten zwingend und dies auch in seinem Fall, da ihm die fachliche Eignung nicht offenbar gefehlt habe. In dem von dem gewählten Auswahlverfahren hätte der Test nur die technischen Details für die fachliche Eignung betroffen. Probleme, die im Test aufgetreten seien, hätten im Vorstellungsgespräch besprochen und ausgeräumt werden können. Die durch das Vorstellungsgespräch mögliche persönliche Präsentation sei während des Tests nicht möglich gewesen. Auch mit einem schlechten Testergebnis hätte er deshalb zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen. Insoweit verlange das Gesetz nicht nur eine Gleichbehandlung sondern sogar eine Privilegierung von Schwerbehinderten. Ohne das Vorstellungsgespräch seien ihm die Chancen und Möglichkeiten der persönlichen Präsentation genommen worden. Das Testverfahren sei demgegenüber nur ein schwacher Ausgleich und erfülle nicht die Voraussetzungen des §§ 82 S. 2 SGB IX.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine angemessene Entschädigung i.H.v. 2.379,78 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG i.V.m. § 82 S. 2 SGB IX würde nicht vorliegen. Der Kläger sei nicht wegen seiner Behinderung diskriminiert worden. Vielmehr sei er genauso behandelt worden wie die nichtbehinderten Bewerber. Eine Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 82 S. 3 SGB IX sei entbehrlich gewesen, da sich aufgrund des Tests ergeben habe, dass dem Kläger die fachliche Eignung offenbar fehle. Es liege im Ermessensspielraum des Arbeitgebers, welche fachlichen Anforderungen er für einen Dienstposten oder Ausbildungsplatz aufstelle. An diese Auswahlkriterien müsse er sich dann halten. Hier seien die Kriterien in der Ausschreibung enthalten. Entsprechend der Ausschreibung vom 27.01.2014 sei das
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Verfahren dann auch durchgeführt worden. Die durchgeführten Tests würden weitere Erkenntnisse über die fachliche Eignung bringen. Es handele sich dabei um ein standardisiertes Verfahren, das wegen der vergleichbaren Bedingungen gewährleiste, dass in einem hohen Maße objektiv abgesicherte und vergleichbare Ergebnisse erzielt würden. Genauso wie wenn in einem Anforderungsmerkmal gute Noten oder Mindestnoten verbindlich vorausgesetzt werden und sodann Bewerber mit schlechteren Noten nicht berücksichtigt werden dürften, so sei das auch bei einem Testverfahren, dass Bewerber, die die erforderliche Punktzahl nicht erreichen würden, nicht mehr zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssten. Dies sei keine Benachteiligung des Klägers als Schwerbehinderter, da auf seine Behinderung im Testverfahren angemessen reagiert worden sei. Es habe sich durch den Test ergeben, dass er für die Stelle objektiv nicht geeignet sei. Damit brauchte er nicht mehr eingeladen zu werden, da insoweit § 82 S. 2 SGB IX nicht zwingend sei. Die Voraussetzungen des § 82 S. 2 SGB IX seien zudem erfüllt, da der Kläger die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch gehabt habe. Durch die Betreuung durch Frau Katharina Raabe sei gewährleistet gewesen, dass der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, einen persönlichen Eindruck zu geben. Aufgrund der gegebenen Schwerbehindertenquote und des Umstandes, dass zudem von 4 schwerbehinderten Bewerbern auf den ausgeschriebenen Studienplatz ein schwerbehinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, sei zudem zu sehen, dass das Schwerbehinderte nicht diskriminiere.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hatte größtenteils Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung i.H.v. 1.586,52 € aus § 81 Abs. 2 S. 1 und 2, § 82 S. 2 und 3 SGB IX §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1 S. 2, § 15 Abs. 2, § 22 AGG.
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Nach § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Bei einer Verletzung dieses Benachteiligungsverbots schuldet der Arbeitgeber nach §§ 15 Abs. 2 S. 1 und 2 AGG eine angemessene Entschädigung in Geld, die drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn der Beschäftigte bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht ausgewählt worden wäre. Bewerber werden bei einer Einstellung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber ihnen die in § 82 S. 2 SGB IX angeordnete Besserstellung gegenüber nicht schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern durch Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vorenthält, obwohl ihnen im Sinne von § 82 S. 3 SGB IX die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlte (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 - Az. 5 C 16/10 -).
Die insoweit nach Maßgabe des in diesem Fall anwendbaren (1) § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Benachteiligung des Klägers liegt darin, dass ihm die Beklagte die in § 82 S. 2 SGB IX angeordnete Besserstellung gegenüber nicht schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern durch Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vorenthalten hat, obwohl ihm im Sinne vom § 82 S. 3 SGB IX die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlte (2). Der darüber hinaus für die Annahme eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Behinderung und Nachteil ist gegeben (3). Ein Entschädigungsanspruch i.H.v. 2 Ausbildungsvergütungen ist angemessen (4). Der Entschädigungsanspruch wurde innerhalb der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG und der Klagefrist des § 61 b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht (5).
1) § 15 Abs. 2 S. 1 AGG ist anzuwenden. Insbesondere fallen die Parteien unter den persönlichen Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Nach § 6 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Arbeitgeber im Sinne von § 6 Abs. 2 S. 1 AGG ist in dem Fall derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. BAG Urteil vom 19. August 2010, - Az. 8 AZR 370/09 — in AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11). Als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis bei der Beklagten als öffentlich-
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rechtliche Arbeitgeberin in der besonderen Form des Studienplatzes für ein duales Studium gilt der Kläger gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 24 Nr. 2 AGG als Beschäftigter im Sinne des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes; die Beklagte als mögliche (künftige) Dienstherrin ist Arbeitgeberin im Sinne dieses Gesetzes (§ 6 Abs. 2 AGG).
Der Kläger beruft sich auf ein Merkmal des § 1 AGG, Behinderung. Er ist sogar Schwerbehinderter im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX. Damit sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen einen Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegt. Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 70.
Der Kläger hat eine Benachteiligung im Hinblick auf seine Behinderung erfahren. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 S. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Der Kläger hat in dem Bewerbungsverfahren um einen dualen Studienplatz zum Verwaltungsinformatiker bei der Beklagten in ihrem eine Benachteiligung erfahren. Der Nachteil im Rahmen der Auswahlentscheidung bei einer Einstellung auf einen Studienplatz liegt bereits vor, wenn der schwerbehinderte Bewerber vorab aus der Auswahl ausgenommen wird und nicht zum Einstellungs-/Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Der Nachteil liegt darin, dass dem Schwerbehinderten die in § 82 S. 2 SGB IX angeordnete Besserstellung gegenüber nicht schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern durch Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vorenthalten hat, obwohl ihm im Sinne vom § 82 S. 3 SGB IX die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlte (2). Der Kläger ist, obwohl er Schwerbehinderter ist, vorn nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden, obwohl die Beklagte zu dieser Einladung verpflichtet war.
2) Der Kläger hätte zu diesem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen. Die einzige Ausnahme, dass für einen öffentlichen Arbeitgeber die Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch entfällt, ist gegeben, wenn diesem die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Dem Kläger fehlte die fachliche Eignung im Sinne des § 82 S. 3 SGB IX nicht offensichtlich. Ob die fachliche Eignung Sinne des § 82 S. 3 SGB IX offensichtlich fehlt, ist an dem
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vom öffentlichen Arbeitgeber mit der Stellenausschreibung bzw. Bewerbungsaufforderung bekannt gemachten Anforderungsprofil zu messen (vgl. BAG, Urteil vom 21.07.2009, Az. 9 AZR 431/08 —; Urteil vom 16.02.2012, — 8 AZR 697110 —). In diesem Anforderungsprofil werden durch die Funktionsbeschreibung des Dienstpostens objektiv nach sachlichen Erwägungen die Kriterien bestimmt, die der künftige Stelleninhaber erfüllen muss. Mit dieser Bestimmung eines Anforderungsprofils für die zu vergebende Stelle legt der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest; an ihm werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber gemessen (vgl. BVerfG Urteil vom 08. Oktober 2007 - 2 BvR 1846/07 — BVerfGK 12, 284). Der öffentliche Arbeitgeber hat in dem Anforderungsprofil die formalen Voraussetzungen, fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben, die ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der künftigen Tätigkeit benötigt und die dementsprechend der leistungsbezogenen Auswahl zugrunde zu legen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 03. März 2011 — 5 C 16/10 — in BVerwGE 139, 135). Aufgrund des Anforderungsprofils sollen einerseits geeignete Bewerber gefunden, andererseits ungeeignete Bewerber schon im Vorfeld der eigentlichen Auswahlentscheidung aus dem Kreis der in das engere Auswahlverfahren einzubeziehenden Bewerber ausgeschlossen werden. Mit der Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen. Zugleich bestimmt der öffentliche Arbeitgeber mit dem Anforderungsprofil den Umfang seiner der eigentlichen Auswahlentscheidung vorgelagerten verfahrensrechtlichen Verpflichtung nach § 82 S. 2 und S. 3 SGB IX (vgl. BVerwG Urteil vom 03. März 2011 — 5 C 16/10 — a.a.O.). Für die Dauer des Auswahlverfahrens bleibt der Arbeitgeber an das in der veröffentlichen Stellenbeschreibung bekannt gegebene Anforderungsprofil gebunden (vgl. BAG Urteil vom 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - in AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EZA SGB IX § 82 Nr. 1).
Ein schwerbehinderter Bewerber muss bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, muss er
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den schwerbehinderten Bewerber nach dem Gesetzesziel einladen. Der schwerbehinderte Bewerber soll öffentliche Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können (BAG Urteil vom 16.09.2008 — 9 AZR 791/07 in AP SGB IX § 81 Nr. 15; Urteil vom 12.09.2006 — 9 AZR 807/05 in BAGE 119, 262).
Die Beklagte vertreten durch das war verpflichtet, den Kläger zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht war nicht aufgrund der Ausnahmevorschrift des §§ 82 S. 3 SGB IX wegen offensichtlich fehlender fachlicher Eignung entfallen. Unter Beachtung der o.g. Grundsätze bestehen unter Zugrundelegung des Anforderungsprofils aus der Stellenausschreibung vom 27.01.2014 an der objektiven Eignung des Klägers für die von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle keine Zweifel. Die Beklagte, vertreten durch das verlangt lediglich als Voraussetzung für die Einstellung der Studenten zum Verwaltungsinformatiker eine vollwertige Fachhochschulreife und bei schwerbehinderten Bewerbern ein Mindestmaß an körperlicher Eignung. Die Fachhochschulreife besitzt der Kläger, wie sich aus dem eingereichten Fachhochschulzeugnis der berufsbildenden Schule III Mainz ergibt (BI. 6 d.A.). Zweifel an seiner körperlichen Eignung sind nicht vorhanden.
3) Der darüber hinaus für die Annahme eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Behinderung und Nachteil ist gegeben. Die Beklagte behandelte den Kläger wegen seiner Behinderung wenig günstig. Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist (vgl. BAG, Urteil vom 16.02.2012 — 8 AZR 697/10 in NZA 2012, 667 f.). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund, d.h. die Behinderung, das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG Urteil vom 27. Januar 2011 —8 AZR 580/09 - in EzA AGG § 22 Nr. 3). Hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und den verpönten Merkmalen ist in § 22 AGG eine
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Beweislastregelung getroffen, die sich auf die Darlegungslast auswirkte. Der Beschäftigte genügt danach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG Urteil vom 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - in EzA AGG § 22 Nr. 3). Ein Indiz für einen Kausalzusammenhang kann im Bereich der öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber dann vorliegen, wenn der schwerbehinderte Bewerber entgegen der Verpflichtung in § 82 S. 2 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Dies ist eine geeignete Hilfstatsache nach § 22 AGG. Wird einem Schwerbehinderten diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger günstige Behandlung als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für erforderlich hält. Der Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren ist eine Benachteiligung, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht. (vgl. BVerwG Urteil vom 03. März 2011 — 5 C 16/10; BAG Urteil vom 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 in AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).
Auch für die Frage, ob dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, ist im öffentlichen Dienst auf die veröffentlichte Stellenbeschreibung abzustellen. Denn mit dem veröffentlichen Anforderungsprofil bestimmt der öffentliche Arbeitgeber den Umfang seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung nach § 82 S. 2 und S. 3 SGB IX (vgl. BVerwG Urteil vom 03. März 2011 - 5 C 16/10 — BVerwGE 139, 135).
Die Beklagte hat den Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl er die Eignungsvoraussetzung - bestandene Fachhochschulreife erfüllt. Da der Beklagte aufgrund der Bewerbung, in der der Kläger auf seine Schwerbehinderung und den Grad der Behinderung hingewiesen hat, über seine Schwerbehinderteneigenschaft informiert war, ist diese Pflichtverletzung nach
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§ 82 S. 2 SGB IX als Indiz im Sinne von § 22 AGG geeignet. Die Beklagte hat die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen dessen Behinderung nicht widerlegt. Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber nach § 22 AGG die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorlag. Der Arbeitgeber muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung nicht (auch) auf der Behinderung beruht. Er muss Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben, und in seinem Motivbündel bei der Einstellungsentscheidung weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war. Für die Frage, welche Tatsachen geeignet sind, die Vermutung der Benachteiligung zu widerlegen, sind die Besonderheiten des Bewerbungsverfahrens für ein öffentliches Amt im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG und die gesetzlichen Regelungen des SGB IX zu beachten. Daher können für den nach § 22 AGG möglichen Nachweis, dass für die Nichteinladung eines Bewerbers entgegen der Verpflichtung in § 82 S. 2 SGB IX ausschließlich andere Gründe als die Behinderung erheblich waren, nur solche Gründe herangezogen werden, die nicht die fachliche Eignung betrafen (BVerwG>Urteil vom 03.03.2011 — 5 C 16/10 a.a.O.). Hierfür enthält die in § 82 S. 3 SGB IX geregelte Ausnahme mit dem Erfordernis der „offensichtlichen" Nicht-Eignung eine abschließende Regelung. Sie bestimmt auch die Anforderungen, die bei Verstößen im Bewerbungsverfahren bei auf die fachliche Eignung bezogenen Erwägungen für den Gegenbeweis zugrunde zu legen sind. Dies entspricht dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 82 S. 2 SGB IX, der das Recht schwerbehinderter Menschen und ihnen gleichgestellter behinderter Menschen auf ein benachteiligungsfreies Bewerbungsverfahren schützt. Die Widerlegung der infolge der Verletzung der Verpflichtung aus § 82 S. 2 SGB IX vermuteten Kausalität setzt daher den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung des Bewerbers berühren, wenn nicht sowieso bereits eine offensichtlich fehlende fachliche Eignung im Sinne des § 82 S. 3 SGB IX vorgelegen und deshalb die
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Einladung entbehrlich gemacht hat. Der öffentliche Arbeitgeber darf daher von der Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers im Hinblick auf die fachliche Eignung nur dann absehen, wenn er vorab ein diskriminierungsfreies und sachlich gerechtfertigtes Anforderungsprofil erstellt hat und der Bewerber dieses offensichtlich nicht erfüllt (vgl. BAG Urteil vom 16.02.2012 - 8 AZR 697/10; BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 - 5 C 16/10 -). Sind die Chancen eines Bewerbers bereits durch ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden, kommt es nicht mehr darauf an, ob die (Schwer-) Behinderung bei der abschließen Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare Rolle gespielt hat (BAG, Urteil vom 21. 07. 2009 - 9 AZR 431/08-).
Die Beklagte hat das Indiz der Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung nicht widerlegt. Sie kann sich zur Rechtfertigung dafür, dass sie den Kläger entgegen § 82 S. 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, weder darauf berufen, dass sie ein Auswahlverfahren in Form eines anerkannten, allgemein gültigen Eignungstests dem Vorstellungsgespräch vorgeschaltet und in der Stellenausschreibung darauf hingewiesen hat, dass die weitere Teilnahme am Auswahlverfahren jeweils vom erfolgreichen Absolvieren des vorangegangenen Testteils abhängig ist (a), noch darauf, dass der Kläger während des schriftlichen Testverfahrens die Möglichkeit hatte, ein Gespräch mit Frau zu führen, die einen persönlichen Eindruck von ihm erlangt hatte (b).
a) Es ist unzulässig, bei schwerbehinderten Bewerbern die Feststellung der fachlichen Eignung mit einer bestimmten Punktezahl in einem Test zur Voraussetzung für die Einladung zum Vorstellungsgespräch zu machen. Mit dem Testverfahren hat die Beklagte kein weiteres Merkmal ihres Anforderungsprofils festgelegt, sondern wie es auch in der Ausschreibung selbst heißt, ein Auswahlverfahren bestimmt. Durch diesen Test wurde ausschließlich die fachliche Eignung der Bewerber für das angestrebte Studium zum Verwaltungsinformatiker geprüft. Mit diesem Auswahlverfahren will die Beklagte, wie sie es selbst dargelegt hat, die konkrete fachliche Eignung der Bewerber / Bewerberinnen für den ausgeschriebenen Studienplatz feststellen. Sie führt also einen Test durch, mit dem festgestellt
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werden soll, welcher Bewerber / welche Bewerberin für den ausgeschriebenen Studienplatz am besten geeignet ist. Sie hat damit entgegen ihr eigenes Anforderungsprofil, eine weitere für Bewerber unklare Einstellungsvoraussetzung geschaffen, die sie aber nicht konkretisiert hat. Da dieses Auswahlverfahren wiederum die Eignung der Bewerber für den Studienplatz betrifft, kann sie die Ablehnung des schwerbehinderten Klägers zum Vorstellungsgespräch nicht darauf stützen, da ihm - wie bereits dargestellt - mit der bestandenen Fachhochschulreife die objektive Eignung, die sie selbst in dem Anforderungsprofil in ihrer Ausschreibung festgelegt hat, für den Studienplatz erfüllt. Nur wegen der nicht erreichten Punktezahl - also wegen seiner nicht ausreichenden Eignung gemäß Test - hat das den Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das ist bei einem schwerbehinderten Bewerber kein Ausschlusskriterium.
Die Beklagte hat zudem in der Ausschreibung vom 27.01.2014 nicht angegeben, welche Punktzahlen im Auswahltest zu erreichen sind, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden und damit ihre Dokumentationspflicht nicht erfüllt. Ein Anforderungsprofil ist aber nur wirksam und kann einen schwerbehinderten Bewerber nur dann von dem Vorstellungsgespräch nach § 82 SGB IX ausschließen, wenn der öffentliche Arbeitgeber das Anforderungsprofil pflichtgemäß dokumentiert, damit die Gründe für seine Entscheidung transparent sind und die Entscheidung nach den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG überprüft werden kann. Ohne Dokumentation wäre es dem öffentlichen Arbeitgeber ansonsten in nahezu jedem Fall möglich, Eignungsmerkmale nachzuschieben, die das Absehen von der Einladung zum Vorstellungsgespräch rechtfertigen würde. Schreibt der öffentliche Arbeitgeber eine konkrete Stelle ausdrücklich aus, erfolgt die notwendige Dokumentation des Anforderungsprofils in der Regel durch den Text der Stellenausschreibung oder -anzeige. Sie kann sich darüber hinaus aus den allgemeinen Veröffentlichungen des Arbeitgebers in Form von Angaben auf der Homepage oder Broschüren ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 - Az. 5 C 16/10 -, a.a.O.). Weitere undokumentierte Voraussetzungen können vom öffentlichen Arbeitgeber bei der Auswahl der einzuladenden Bewerber wegen offensichtlich fehlender Eignung dann nicht herangezogen werden.
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Die Beklagte vertreten durch das hat insoweit ihre Dokumentationspflicht nicht erfüllt. Zwar wird in der Stellenanzeige vom 27.01.2014 auf den Eignungstest ausdrücklich hingewiesen, jedoch ist nicht dokumentiert, welche Punktzahl zu erreichen ist, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden zu können. Es kann daher an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob die Angabe einer Punktzahl im Eignungstest in einer Stellenausschreibung die Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers zur Einladung zum Vorstellungsgespräch bei schwerbehinderten Bewerbern entfallen lassen würde. Es ist bereits zweifelhaft, ob eine derartige Punktzahl wirksam als Ausschlusskriterium für die Einladung von schwerbehinderten Bewerbern im Anforderungsprofil aufgenommen werden könnte, da ein Bewerber nicht von vornherein erkennen oder auch nur abschätzen kann, welche Punktzahl er in einem Test erreichen würde.
Es ist zwar nachvollziehbar, dass das angesichts der Vielzahl der Bewerbungen nach einem Verfahren sucht, um in einem möglichst standardisierten und anerkannten System eine Bewerberauswahl treffen zu können, die die Voraussetzung des Art. 33 Abs. 2 GG erfüllt. Dieses nachvollziehbare Interesse entbindet sie jedoch nicht davon, schwerbehinderte Bewerber, die das selbst vorgegebene Anforderungsprofil erfüllen und die eventuell aber nicht die erforderliche Punktzahl im Ausfalltest erreichen, zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Bei schwerbehinderten Bewerbern ist das Auswahlverfahren nur ein weiterer Mosaikstein bei der Feststellung der Eignung im Gegensatz zu nichtbehinderten Bewerbern, wo das Testverfahren ein Ausschlusskriterium sein darf. Damit liegt zwar eine Ungleichbehandlung insoweit vor, dass nicht schwerbehinderte Bewerber, die die erforderliche Punktzahl im Eignungstest nicht erreichen, nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, während schwerbehinderte Bewerber mit derselben geringen Punktzahl eingeladen werden müssen. Diese Besserstellung von Schwerbehinderten ist vom Gesetzgeber aber ausdrücklich durch die Regelung in § 82 SGB IX gewollt.
b) Die Einladung des Klägers zum Vorstellungsgespräch konnte auch nicht deshalb entfallen, weil Frau die Möglichkeit hatte, von dem
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Kläger im Rahmen des Testverfahrens durch die persönliche Betreuung einen persönlichen Eindruck zu gewinnen. Frau ist nicht diejenige, die allein über die Auswahl des Studenten / der Studentin für den ausgeschriebenen Studienplatz entscheidet. Vielmehr hat das einen Ausschuss eingesetzt, der aus insgesamt sieben Personen besteht. Diesen sieben Personen soll durch die Regelung in § 82 S. 2 SGB IX die Gelegenheit gegeben werden, in dem Vorstellungsgespräch einen persönlichen Eindruck von den schwerbehinderten Bewerbern zu erhalten.
Das hat sich ausdrücklich entschieden, eine Ausbildungskommission mit so vielen Personen einzusetzen, da es davon ausgeht, dass dann auch die Qualitätsanforderungen für die richtige Auswahl des Bewerbers erfüllt werden. Es kann nicht selbst von diesen selbst gesetzten Qualitätsanforderungen abweichen, indem sie im Einzelfall meint, dass der Eindruck eines einzelnen Mitglieds ausreicht. Vielmehr muss dem schwerbehinderten Bewerber nach § 82 S. 2 SGB IX die Möglichkeit gegeben werden, in dem Vorstellungsgespräch den gesamten Auswahlausschuss von sich und seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Diese Chance hat die Beklagte dem Kläger genommen, indem sie ihn nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hat.
4) Die Kammer bemisst die dem Kläger zustehende angemessene Entscheidung in Höhe von zwei Ausbildungsvergütungen von je 793,26 E, insgesamt 2.379,78 E. Sie hält entgegen der Auffassung des Klägers einen Entschädigungsanspruch i.H.v. zwei und nicht von drei Ausbildungsvergütungen für angemessen. Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles. Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist (vgl. BAG Urteil vom 22. Januar 2009 — 8 AZR 906/07 - in AP AGG § 15 Nr. 1).
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Der Kläger macht nicht geltend, dass er auch bei benachteiligungsfreier Auswahl eingestellt worden wäre, so dass die Entschädigungshöhe nach § 15 Abs. 2 S. 2 AGG auf max. 3 Monatsgehälter begrenzt ist. Bei der Höhe der angemessenen Entschädigung hat die Kammer zum einen berücksichtigt, dass die Beklagte nachweisen konnte, dass sie eine Schwerbehindertenquote von über 14 % in ihrem Betrieb erfüllt, und zumindest einen schwerbehinderten Bewerber von insgesamt vier zum Vorstellungsgespräch bezüglich des streitbefangenen Studienplatzes eingeladen hat. Daran ist zu sehen, dass die Beklagte nicht grundsätzlich gegen Schwerbehinderte als Mitarbeiter eingestellt ist. Ein Wiederholungsfall ist nicht bekannt. Daher hielt die Kammer entgegen der Auffassung des Klägers eine Festsetzung der Entschädigung in Höhe des Höchstbetrages von drei Monatsgehältern in diesem Einzelfall für unangemessen. Auf der anderen Seite muss die Höhe der Entschädigung auch ausdrücken, dass eine Diskriminierung wegen der Behinderung stattgefunden hat und dass die Beklagte entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut von § 82 S. 2 SGB IX die Bevorzugung der schwerbehinderten Bewerber zu Gunsten einer Gleichbehandlung von schwerbehinderten und nicht behinderten Bewerber ignoriert hat. Diese Umstände würden nicht ausreichend berücksichtigt werden, wenn die Entschädigung unterhalb von zwei Ausbildungsvergütungen festgesetzt würde, also etwa beide Parteien mit der gleichen Quote aus dem Rechtsstreit gingen. Der Fakt, dass der Kläger bereits einen Arbeitsplatz bei der Beklagten in einem anderen Bereich - - hat, wurde weder erhöhend noch mindernd berücksichtigt. Insoweit enthält das Gesetz weder im AGG noch in § 82 SGB IX einen Hinweis darauf, dass in einem Bewerbungsverfahren abgelehnte behinderte Bewerber, die bereits einen Arbeitsplatz beim öffentlichen Arbeitgeber haben, bei der Bemessung der Entschädigungshöhe anders zu behandeln sind als Bewerber, die von außen kommen. Schließlich gilt das AGG auch bei rein internen Stellenbesetzungen.
5) Der Kläger hat seinen Anspruch innerhalb der Fristen des § 15 Abs. 4 AGG und des § 61 b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht. Nach § 15 Abs. 4 AGG ist ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 1 oder 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend zu machen, wobei die Frist im Falle einer Bewerbung mit dem Zugang der Ablehnung beginnt. Im Falle einer Ablehnung des
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Entschädigungsanspruchs ist sodann nach § 61 b Abs. 1 ArbGG die Entschädigungsklage binnen weiterer drei Monate nach schriftlicher Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs gegenüber dem Arbeitgeber beim Arbeitsgericht zu erheben. Die schriftliche Einstellungsabsage der Beklagten vom 31.03.2014 ist dem Kläger kurz danach zugegangen. Er hat mit Schreiben der ver.di Rheinland-Pfalz-Saarland vom 16.04.2014 innerhalb der Zwei-Monatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG den Entschädigungsanspruch in der hier geltend gemachten Höhe außergerichtlich geltend gemacht. Nach Ablehnung des Entschädigungsanspruches seitens der Beklagten mit Schreiben vom 22.05.2014 hat er am 25. Juni 2014 innerhalb der Drei-Monatsfrist des § 61 b Abs. 1 ArbGG (Ablauf am 16.07.2014) die Entschädigungsklage vom 25.06.2014 beim Arbeitsgericht Flensburg erhoben.
II.
Die Kostentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 92 Abs. 1 ZPO, wonach jede Partei die Kosten des Rechtsstreits entsprechend ihrem Unterliegensanteil im Prozess zu tragen hat. Der Kläger ist zu ein Drittel und die Beklagte zu zwei Drittel im Rechtsstreit unterlegen.
III.
Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO in Höhe des bezifferten Leistungsantrags festgesetzt.
gez.
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