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BAG, Urteil vom 17.02.2009, 9 AZR 676/07
Schlagworte: | Allgemeine Geschäftsbedingungen, Dienstkleidung, Bekleidung | |
Gericht: | Bundesarbeitsgericht | |
Aktenzeichen: | 9 AZR 676/07 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 17.02.2009 | |
Leitsätze: | Der Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen kann nicht durch eine Vereinbarung umgangen werden, in der dem Arbeitgeber die Befugnis eingeräumt wird, eine monatliche Beteiligung des Arbeitnehmers an der Reinigung und Pflege der Berufskleidung mit dem monatlichen Nettoentgelt ohne Rücksicht auf Pfändungsfreigrenzen zu "verrechnen". | |
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Emden, Urteil vom 26.10.2006 - 2 Ca 350/06 Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 16.7.2007 - 9 Sa 1894/06 |
|
BUNDESARBEITSGERICHT
9 AZR 676/07
9 Sa 1894/06
Landesarbeitsgericht
Niedersachsen
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
17. Februar 2009
URTEIL
Brüne, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,
pp.
Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,
hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Düwell, die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht
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Reinecke und Gallner sowie die ehrenamtlichen Richter Bruse und Dr. Starke für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 16. Juli 2007 - 9 Sa 1894/06 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltansprüche der Klägerin.
Die Klägerin ist seit 1985 bei der Beklagten in deren Verbrauchermarkt in B als Einzelhandelskauffrau beschäftigt; sie wird im Bereich „Obst und Gemüse“ eingesetzt. Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 130 Stunden/Monat. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Anstellungsvertrag vom 1. Februar 1988 zugrunde. Darin heißt es ua.:
„§ 23
Berufskleidung
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die vom Arbeitgeber vorgeschriebene Berufskleidung zu tragen. Die Anschaffungskosten gehen zu Lasten des Arbeitnehmers.“
Daran schließt sich maschinenschriftlich der Passus an:
„Es gelten folgende Sonderbestimmungen:
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Berufskleidung zu tragen und mit dieser pfleglich umzugehen. Der Arbeitgeber trägt sämtliche Pflege- und Wiederbeschaffungskosten; der Arbeitnehmer beteiligt sich an diesen Kosten mit einem monatlichen Betrag von DM 15,00. Dieser Betrag wird mit seinen Monatsbezügen verrechnet.“
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Im April 2005 schloss die Beklagte mit dem bei ihr errichteten Gesamtbetriebsrat die Betriebsvereinbarung „Berufskleidung“. Dort ist ua. geregelt:
„§ 1
Ständige Mitarbeiter (Voll- und Teilzeitkräfte) in den Häusern der C-Verbrauchermärkte sowie die geringfügig Beschäftigten erhalten Berufskleidung gem. nachfolgender Regelung.
§ 2
Mitarbeiter/-innen in dem Bereich ‚Markt’ erhalten - abhängig von ihren Einsatztagen - als Erstausstattung max. 5 Westen, 11 Blusen/Hemden und 4 Krawatten/Fliegen und die O & G Abteilung als Erstausstattung max. 5 Schürzen.
Mitarbeiter/-innen in dem Bereich ‚Fleisch’ erhalten - abhängig von ihren Einsatztagen - als Erstausstattung max. 11 Westen, 11 Blusen/Hemden und 11 Schürzen sowie 4 Krawatten/Fliegen. Schlüsselketten und wahl-weise Bistrotaschen werden kostenlos zur Verfügung gestellt.
Die Reinigung der Berufskleidung erfolgt im wöchentlichen Rhythmus und wird durch die jeweilige Reinigungsfirma durchgeführt.
§ 3
Die Berufskleidung geht nicht in das Eigentum des Mitarbeiters über.
§ 4
Das Tragen der Berufskleidung auf dem Betriebsgelände ist Pflicht und von der Marktleitung zu überwachen. Sollte im Sommer eine Temperatur von 25 °C im Markt überschritten werden, kann anstatt Hemd/Bluse ein eigenes weißes T-Shirt getragen werden. Zu diesem Zeitpunkt geschieht das Tragen der Krawatten/Fliegen auf freiwilliger Basis. Westen werden geschlossen getragen.
§ 5
Alle Blusen, Hemden und Westen werden mit dem persönlichen Namen des jeweiligen Beschäftigten versehen.
§ 6
Aushilfen wird die Berufskleidung entsprechend der o. a. Regelungen zur Verfügung gestellt. Diese werden
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allerdings nicht mit dem persönlichen Namen des jeweiligen Beschäftigten versehen.
§ 7
Für die Berufskleidung muss eine Lagerungsmöglichkeit im jeweiligen Markt vorhanden sein. Umkleidemöglichkeiten müssen für alle Mitarbeiter/-innen im Markt gegeben sein.“
Im Jahr 2005 belief sich die Kostenpauschale für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte auf monatlich 8,94 Euro. Im Januar 2006 teilte die Beklagte den Arbeitnehmern mit, die „Kittelgebühr“ werde ab 1. Januar 2006 für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf monatlich 7,05 Euro abgesenkt, für geringfügig Beschäftigte von 6,13 Euro auf 4,85 Euro und für Auszubildende von 7,66 auf 6,05 Euro.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sind aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für den niedersächsischen Einzelhandel anzuwenden. Das von der Beklagten abgerechnete Monatsgehalt der Klägerin von zuletzt 1.583,93 Euro brutto entsprach dem anteiligen Tarifentgelt. Die Beklagte wies die Beteiligungspauschale für die Berufskleidung unter dem Stichwort „Kittelgebühr“ in der monatlichen Verdienstabrechnung der Klägerin aus und behielt sie von dem errechneten Nettoentgelt ein. Das bei der Lohnsteuerklasse V erzielte regelmäßige monatliche Nettoeinkommen der Klägerin lag unter monatlich 800,00 Euro. Im Juni 2005 forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich auf, die in den Monaten März bis Mai 2005 einbehaltenen Beträge auszuzahlen.
Mit ihrer im Juli 2006 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die in § 23 des Arbeitsvertrags vorgesehene formularmäßige Belastung mit der Kostenpauschale benachteilige sie unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 BGB. Die Einbehaltungen verstießen außerdem gegen das Truckverbot und führten zu einer untertariflichen Vergütung. Die Beklagte sei deshalb verpflichtet, die in den Monaten März bis Mai 2005 und in den Monaten April bis Juni 2006 einbehaltenen Beträge zu zahlen.
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Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 47,97 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13. Juli 2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Der Anspruch der Klägerin folgt aus § 611 Abs. 1 BGB. Ihre Entgeltforderungen für die Monate März bis Mai 2005 und April bis Juni 2006 sind entstanden. Die mit der Einbehaltung verbundenen „Verrechnungen“ der monatlichen „Kittelgebühr“ in Höhe von insgesamt 47,97 Euro mit dem in den Verdienstabrechnungen der Klägerin ausgewiesenen Nettoentgelt haben nicht das Erlöschen der Entgeltansprüche bewirkt.
I. Die Klage ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht bereits wegen eines Verstoßes der Beklagten gegen das sog. Truckverbot begründet.
1. Nach § 107 Abs. 1 GewO ist das Arbeitsentgelt in Euro zu berechnen und zu zahlen. Von dem normierten Tauschverbot „Ware statt Lohn“ (vgl. BVerfG 24. Februar 1992 - 1 BvR 980/88 - zu 1 a der Gründe, AP GewO § 115 Nr. 5 = EzA GewO § 115 Nr. 6) darf nur nach Maßgabe von § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO abgewichen werden. Sachbezüge können als Teil des Arbeitsentgelts vereinbart werden, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Sachbezug iSd. Vorschrift ist eine Leistung des Arbeitgebers, die dem Arbeitnehmer als Gegenleistung für die
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geleisteten Dienste in anderer Form als in Geld erbracht wird. Sachleistung und Arbeitsleistung müssen im unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis stehen (allg. Meinung, vgl. HWK/Lembke 3. Aufl. § 107 GewO Rn. 25). Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus kann der „Sachbezug“ auch in einer Dienstleistung des Arbeitgebers bestehen. In keinem Fall darf nach § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO der Wert der vereinbarten Sachbezüge die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts übersteigen, dh. der Arbeitnehmer muss Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Pfändungsfreibetrags in Geld erhalten (BT-Drucks. 14/8796 S. 25).
2. Die Überlassung der Berufskleidung sowie ihre Pflege und Ersatzbeschaffung durch die Beklagte ist kein Sachbezug iSv. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO. Die Leistung der Beklagten erfolgt zwar aufgrund des Arbeitsverhältnisses und kann daher als Entgelt im weiteren Sinn verstanden werden (vgl. zum Personaleinkauf Senat 7. September 2004 - 9 AZR 631/03 - zu II 1 a der Gründe, BAGE 112, 23). Es fehlt aber am synallagmatischen Zusammenhang. Die während der Arbeit zu tragenden Hemden/Blusen/Westen und Schürzen werden der Klägerin nicht als Gegenleistung für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dient die Gestellung vielmehr der ordnungsgemäßen Diensterfüllung. Das Erscheinungsbild des Unternehmens soll durch die einheitliche und saubere Kleidung der Arbeitnehmer verbessert werden. Das verdeutlicht auch die nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG geschlossene Betriebsvereinbarung über die Berufskleidung im Unternehmen (vgl. dazu BAG 13. Februar 2007 - 1 ABR 18/06 - BAGE 121, 147).
II. Die Ansprüche ergeben sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus einer unzulässigen Unterschreitung der tariflichen Mindestvergütung, weil die Beklagte das sich aus dem tariflichen Bruttoentgelt ergebende Nettoentgelt nicht in voller Höhe ausgezahlt hat, sondern die „Kittelgebühr“ einbehalten hat. Die Einbehaltung beruht auf der vertraglichen Verrechnungsvereinbarung mit einer Gegenforderung der Beklagten. Eine verrechenbare Forderung führt nicht zu einer nach § 4 Abs. 3 oder 4 TVG unzulässigen Absenkung des Tarifentgelts. Besteht die Gegenforderung, wird die Klägerin von
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ihrer Zahlungspflicht befreit; die Schuld erlischt. Sie erhält das Tarifentgelt, wenn auch nicht in Form eines Geldbetrags.
III. Die Beklagte war nicht zur Einbehaltung der „Kittelgebühr“ berechtigt. Die vorgenommenen Verrechnungen verletzen das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB und sind deshalb unwirksam.
1. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, weil die Beklagte keinen Anspruch gegen die Klägerin auf Beteiligung an den Kosten der Berufskleidung habe; § 23 des Arbeitsvertrags sei unwirksam. Dabei ist es davon ausgegangen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gesetzlich vorgeschriebene Schutzkleidung kostenlos zur Verfügung zu stellen habe. Bestehe keine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, sei eine Beteiligung des Arbeitnehmers an den Kosten einer zur Verfügung gestellten Berufskleidung nicht ausgeschlossen. Die Klägerin werde jedoch durch die von der Beklagten vorformulierte Vertragsklausel entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 307 Abs. 2 BGB benachteiligt. Denn die Kostenpauschale falle unabhängig von möglichen Abwesenheitszeiten der Klägerin infolge Urlaubs oder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit an. Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, die Pauschale entspreche den ersparten eigenen Aufwendungen der Klägerin für Kleidung und deren Reinigung.
2. Diese Erwägungen und die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge (§ 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO) sind für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich.
a) Die Parteien und die Vorinstanzen haben die Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Aufrechnung und die Entscheidungserheblichkeit des Aufrechnungsverbots (§ 394 Satz 1 BGB) übersehen.
aa) Aufrechnung iSv. § 387 BGB ist die wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüberstehender Forderungen durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Schuldners, § 388 BGB. § 394 Satz 1 BGB schließt eine
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Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Davon zu unterscheiden ist die Verrechnung. Bei ihr werden unselbständige Rechnungsposten in eine Gesamtabrechnung eingestellt und so unmittelbar saldiert. Sie ist rechtlich keine Aufrechnung und unterliegt nicht den gesetzlichen Aufrechnungsverboten und -beschränkungen (vgl. BAG 13. Dezember 2000 - 5 AZR 334/99 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 394 Nr. 31 = EzA TVG § 4 Friseurhandwerk Nr. 1). Ob derartige Verrechnungsposten vor-liegen, bestimmt sich nach dem Inhalt des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts. Das zwingende Aufrechnungsverbot kann nicht durch Parteivereinbarung umgangen werden.
Die monatliche „Kittelgebühr“ ist kein unselbständiger Rechnungsposten innerhalb einer Gesamtabrechnung, obgleich die Parteien in § 23 des Anstellungsvertrags vereinbart haben, die Kostenpauschale von damals 15,00 DM werde mit den „Monatsbezügen“ der Klägerin „verrechnet“. Nach der vertraglichen Konzeption haben die Parteien eine eigenständige Forderung der Beklagten gegen die Klägerin begründet: Die Anschaffungskosten der während der Arbeitszeit zu tragenden Berufskleidung treffen die Klägerin. Die Beklagte verpflichtet sich zu deren Pflege und Ersatzbeschaffung und die Klägerin wiederum gegenläufig zur Beteiligung an den Kosten. Die „Verrechnung“ mit den Monatsbezügen der Klägerin erfolgt nicht automatisch. Die Verrechnungsklausel zeigt nur auf, wie die Kostenbeteiligung idR beglichen werden soll.
bb) Auch wenn mit der Revision § 23 des Arbeitsvertrags als „Aufrechnungsvertrag“ verstanden wird, verbleibt es bei der Anwendung des § 394 Abs. 1 BGB. Ein solcher Vertrag ist nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 105 Abs. 1 GewO) möglich. Er bringt die Forderungen unmittelbar zum Erlöschen, sobald sie sich aufrechenbar gegenüberstehen. Es bedarf keiner gesonderten Aufrechnungserklärung. § 394 Satz 1 BGB gilt jedoch auch für Aufrechnungsvereinbarungen, die - wie hier - vor Fälligkeit der auf-zurechnenden Gegenforderung getroffen werden (BGH 25. Februar 1999 - IX ZR 353/98 - zu III der Gründe, NJW 1999, 3264).
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b) Die durch die Entgelteinbehaltungen realisierten Aufrechnungen der Beklagten (vgl. BAG 25. September 2002 - 10 AZR 7/02 - zu II 4 der Gründe, BAGE 103, 1) verstoßen gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB. Das gilt sowohl für die Einbehaltungen im Jahr 2005 in Höhe von monatlich 8,94 Euro als auch für die des Jahres 2006 in Höhe von monatlich 7,05 Euro.
aa) § 394 Satz 1 BGB schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Er ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, greifen die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850c Abs. 2 ZPO. Die Darlegungs-last für die Voraussetzungen der Pfändungsfreiheit liegt beim Arbeitgeber (BAG 5. Dezember 2002 - 6 AZR 569/01 - zu 2 b der Gründe, AP BGB § 394 Nr. 32 = EzA BGB 2002 § 394 Nr. 2). Der Senat hat die Parteien auf das mögliche Eingreifen der Pfändungsschutzbestimmungen vor der mündlichen Revisionsverhandlung hingewiesen.
bb) Das pfändbare Nettoentgelt errechnet sich nach § 850e ZPO. Maßgeblich sind die für den Arbeitnehmer anzuwendenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die abzuführenden Steuern und Beiträge (Nr. 1 Satz 1). Nach den in der Revision vervollständigten Verdienstabrechnungen für die streitbefangenen Monate lag das Nettoentgelt der in der Steuerklasse V veranlagten Klägerin stets deutlich unter dem pfändungsfreien Grundbetrag von 950,00 Euro. Das im Juni 2006 gezahlte Urlaubsgeld, das zu einem Gesamtnettoverdienst von 1.081,34 Euro geführt hat, ist nach § 850a Nr. 2 ZPO unpfändbar.
cc) Der Zugriff auf das pfändungsfreie Nettoentgelt lässt sich entgegen der Revision nicht mit der Erwägung rechtfertigen, die Klägerin habe durch die
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Gestellung der Berufskleidung einen wirtschaftlich gleichwertigen Vorteil erlangt, nämlich Aufwendungen für Pflege/Reinigung und Verschleiß eigener Kleidung erspart. Auch der Hinweis der Beklagten auf die steuerliche Absetzbarkeit der in Rechnung gestellten Beträge von 8,94 Euro/7,05 Euro als Werbungskosten führt nicht weiter.
(1) Das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB soll verhindern, dass dem Gläubiger der unpfändbaren Forderung die Geldmittel entzogen werden, die er zur Bestreitung seines Lebensunterhalts benötigt. Es dient mithin dem Schutz des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen. Die Sicherung ihrer Lebensgrundlage liegt zugleich im öffentlichen Interesse. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfe soll vermieden werden (vgl. zum Abtretungs-verbot des § 400 BGB Senat 21. November 2000 - 9 AZR 692/99 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 96, 266). Die Bezugnahme in § 394 Satz 1 BGB auf das Pfändungsrecht stellt sicher, dass der Schuldner vor der privatrechtlich im Wege der Aufrechnung erfolgenden Durchsetzung einer Forderung in gleicher Weise geschützt wird wie vor staatlicher Vollstreckung nach § 829 Abs. 1 ZPO. Der Gläubiger muss hinnehmen, dass er seine Forderung nicht zu Lasten der Allgemeinheit durchsetzen kann. Hiervon macht § 394 Satz 2 BGB eine Ausnahme nur für Beiträge, die der Schuldner an eine Krankenkasse oder eine der anderen in der Vorschrift genannten Kassen zu entrichten hat. Die Kasse kann ihre Leistung gegen die geschuldeten Beiträge aufrechnen.
(2) Anerkannt ist, dass das nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift zwingende Aufrechnungsverbot durch die Grundsätze von Treu und Glauben beschränkt wird. Die Berufung des Arbeitnehmers oder Ruheständlers auf den Pfändungsschutz kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn er Schadensersatz wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlung zu leisten hat (vgl. BAG 18. März 1997 - 3 AZR 756/95 - zu III 2 b der Gründe, BAGE 85, 274). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klägerin schuldet die Kostenbeteiligung aufgrund der zugunsten der Revision zu unterstellenden Wirksamkeit der arbeitsvertraglichen Vereinbarung in § 23 des Anstellungsvertrags.
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(3) Weitere Durchbrechungen des Aufrechnungsverbots sind nach geltendem Recht ausgeschlossen. Das gilt auch hinsichtlich des Beitrags der Beklagten zu den Lebenshaltungskosten der Klägerin. Auf den Rechtsgrund der Forderung, mit der aufgerechnet wird, kommt es - abgesehen vom Fall des Rechtsmissbrauchs - nicht an. Dementsprechend hat der Senat zu dem Abtretungsverbot des § 400 BGB bereits entschieden, dass das Abtretungsverbot zwar ausnahmsweise durchbrochen werden kann, wenn der mit dem Abtretungsverbot bezweckte Schuldnerschutz in gleicher Weise gewährleistet ist. Hierfür genügt nicht, dass der Abtretungsempfänger in irgendeiner Weise zum Lebensunterhalt des Arbeitnehmers beiträgt. Vielmehr müssen sich die Leistungen inhaltlich decken. Das setzt voraus, dass der Abtretungsempfänger dem Arbeitnehmer einen Geldbetrag in Höhe der abgetretenen Forderung zur Verfügung stellt. Ein Vergleich zwischen Sachleistung und Geldleistung ist dagegen grds. ausgeschlossen (vgl. Senat 21. November 2000 - 9 AZR 692/99 - zu I 2 b der Gründe, BAGE 96, 266). Für das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB gilt nichts anderes. Ob der Gläubiger dem Schuldner Waren liefert, eine Wohnung vermietet oder - wie hier - Berufskleidung zur Verfügung stellt, ist unerheblich. Der Arbeitgeber hat insoweit gegenüber anderen Gläubigern kein Vorrecht.
IV. Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1, § 291 BGB.
V. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Düwell
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