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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/252

Ar­beit­ge­ber­sei­tig ein­ge­lei­te­te Ver­trags­än­de­rung durch Schwei­gen des Ar­beit­neh­mers?

Von schweig­sa­men Ar­beit­neh­mern und for­dern­den Ar­beit­ge­bern: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg, Ur­teil vom 01.06.2010, 7 Sa 402/09
Handschlag Playmobil Kei­ne still­schwei­gen­de An­nah­me ei­ner Ve­trags­än­de­rung

27.12.2010. Ein Ver­trags­schluss ist ju­ris­tisch ge­se­hen ein kom­pli­zier­ter Vor­gang.

Im All­ge­mei­nen ist es für ei­nen Ver­trag nö­tig, dass die ei­ne Sei­te der an­de­ren den Ab­schluss ei­nes Ver­tra­ges vor­schlägt (ihn "an­trägt", § 145 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch - BGB) und die an­de­re Sei­te die­sen Vor­schlag recht­zei­tig an­nimmt (§§ 146 ff. BGB).

Die Ver­trags­par­tei­en müs­sen sich al­so über ih­ren Ver­trag ei­ni­gen. Ju­ris­tisch ge­spro­chen han­delt es sich um zwei auf­ein­an­der­be­zo­ge­ne und in­halt­lich über­ein­stim­men­de Wil­lens­er­klä­run­gen.

Im All­ge­mei­nen müs­sen da­bei we­der der An­trag noch die An­nah­me aus­drück­lich er­klärt oder gar schrift­lich fest­ge­hal­ten wer­den. Es ge­nügt viel­mehr, wenn sich die Par­tei­en still­schwei­gend ("kon­klu­dent") durch tat­säch­li­ches Ver­hal­ten ei­ni­gen. Et­was an­de­res gilt nur, so­fern dies ge­setz­lich oder in sons­ti­ger Wei­se ver­bind­lich ge­re­gelt ist.

Bei Ar­beits­ver­trä­gen fehlt es an sol­chen Re­ge­lun­gen. Sie kön­nen da­her schon al­lein da­durch zu Stan­de kom­men, dass ein Ar­beit­neh­mer an ei­nem Ar­beits­platz ei­ne Ar­beit auf­nimmt und der Ar­beit­ge­ber des­sen Ar­beits­leis­tung oh­ne wei­te­ren Kom­men­tar an­nimmt.

In ge­ord­ne­ten Ar­beits­ver­hält­nis­sen soll­te al­ler­dings ein schrift­li­cher Ar­beits­ver­trag die Re­gel sein. Aber auch in die­sem Fall ist es Teil der Ver­trags­frei­heit, dass Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber die­sen Ver­trag än­dern oder durch ei­nen neu­en Ver­trag er­set­zen kön­nen. Da­von ma­chen Ar­beit­ge­ber durch­aus gern Ge­brauch, den Ar­beit­neh­mer nei­gen da­zu, we­gen ih­rer wirt­schaft­li­chen Ab­hän­gig­keit vom Be­stand des Ar­beits­ver­hält­nis­ses Än­de­run­gen zu­zu­stim­men oder je­den­falls nicht aus­drück­lich zu wi­der­spre­chen.

Al­ler­dings gilt im Zi­vil­recht auch der ei­ser­ne Grund­satz, dass Schwei­gen kei­ne Wil­lens­er­klä­rung und da­mit ins­be­son­de­re kei­ne An­nah­me ei­ner Ver­trags­än­de­rung ist, so­fern dies nicht aus­drück­lich an­der­wei­tig ge­re­gelt ist. Da es im ar­beits­recht­li­chen Teil des BGB ei­ne sol­che Re­ge­lung nicht gibt, kann sich ein schweig­sa­mer Ar­beit­neh­mer bei Strei­tig­kei­ten über den ge­nau­en In­halt des Ar­beits­ver­tra­ges bzw. sei­ner Än­de­rung auch grund­sätz­lich auf die feh­len­de Ei­ni­gung be­ru­fen. Doch auch hier gibt es ei­ne Gren­ze, die für sämt­li­che Rechts­ver­hält­nis­se gilt: Die Ver­wir­kung.

Es ver­stößt ge­gen den all­ge­mei­nen Grund­satz von Treu und Glau­ben (§ 242 BGB), sich auf ein Recht zu be­ru­fen, wenn sich der Rech­te­inha­ber da­mit in Wi­der­spruch zu sei­nem ei­ge­nen vor­aus­ge­gan­ge­nen Ver­hal­tens setzt und der Geg­ner we­gen des bis­he­ri­gen Ver­hal­tens nach ei­ni­ger Zeit dar­auf ver­trau­en durf­te, dass mit der Gel­tend­ma­chung des Rechts nicht mehr ge­rech­net wer­den muss.

Vor die­sem Hin­ter­grund taucht hin und wie­der die Fra­ge auf, ob nur Schwei­gen oh­ne Er­klä­rungs­wert oder schon ei­ne kon­klu­den­te Wil­lens­er­klä­rung vor­liegt bzw. ob sich der Ar­beit­neh­mer noch auf sein Schwei­gen be­ru­fen darf oder nicht.

Ein Mit­te 2010 vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg ver­han­del­ter Fall dürf­te dem Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ab­seh­ba­rer Zeit Ge­le­gen­heit ge­ben, sei­ne Ant­wor­ten auf die­se Pro­ble­me wei­ter zu prä­zi­sie­ren. In dem zu Grun­de lie­gen­den Fall hat­te der be­klag­te Ar­beit­ge­ber die Ar­beits­zeit ab Sep­tem­ber 2005 ein­sei­tig von 35 auf 38,5 St­un­den er­höht.

Hier­zu äu­ßer­te sich der Klä­ger, ein Te­le­fon­ver­käu­fer, nicht. Als ihm ein Drei­vier­tel­jahr spä­ter ein Ver­trags­an­ge­bot für die Än­de­rung des an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­tra­ges vor­ge­legt wur­de, lehn­te er das Än­de­rungs­an­ge­bot ab. Kurz dar­auf be­schloss der Be­klag­te ein­sei­tig die An­wen­dung ei­nes neu­en Ta­rif­ver­tra­ges. An­fang 2009 klag­te der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer schließ­lich Ur­laubs­geld nach Maß­ga­be des ur­sprüng­lich ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Ta­rif­ver­tra­ges und ei­ne wö­chent­li­che Ar­beits­zeit von im Durch­schnitt 35 St­un­den ein.

Wäh­rend das Ar­beits­ge­richt Nürn­berg die Kla­ge kom­plett ab­wies (Ur­teil vom 25.06.2009, 4 Ca 860/09), gab ihr das LAG Nürn­berg im­mer­hin hin­sicht­lich des Ur­laubs­gel­des statt (Ur­teil vom 01.06.2010, 7 Sa 402/09). We­der in der An­kün­di­gung , die Ar­beits­zeit zu än­dern, noch in der ein­sei­ti­gen Än­de­rung des an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­tra­ges sah das Ge­richt ein Ver­trags­an­ge­bot.

Selbst wenn in den Schrei­ben ein sol­ches An­ge­bot zu se­hen wä­re, hät­te der Ar­beit­neh­mer es nicht still­schwei­gend durch sein Ver­hal­ten an­ge­nom­men. Dies sei nach der Recht­spre­chung des BAG bei ei­ner wi­der­spruchs­lo­sen Fort­set­zung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses zwar mög­lich, wenn sich die vor­ge­schla­ge­ne Än­de­rung un­mit­tel­bar am Ar­beits­ver­hält­nis aus­wirkt und tat­säch­lich prak­ti­ziert wird. Das Ge­richt nahm aber an, dass sich der neue Ta­rif­ver­trag nicht un­mit­tel­bar, son­dern nur lang­fris­tig auf das Ar­beits­ver­hält­nis aus­ge­wirkt hät­te.

So­gar in der län­ge­ren Ar­beits­zeit sah das LAG kei­ne "un­mit­tel­ba­re" Aus­wir­kung auf das Ver­trags­ver­hält­nis. Denn die Par­tei­en nutz­ten ein Ar­beits­zeit­kon­to, so dass sich nach Auf­fas­sung des Ge­richts erst bei ei­ner Sal­die­rung von Ist- und Soll­zei­ten ei­ne Än­de­rung er­gibt. Al­ler­dings hat­te der Klä­ger nicht nur zwei Jah­re wi­der­spruchs­los die neue Zeit­re­ge­lung ak­zep­tiert, son­dern auch der Än­de­rung des Ta­rif­ver­tra­ges aus­drück­lich wi­der­spro­chen. Der Ar­beit­ge­ber durf­te hier al­so da­von aus­ge­hen, dass der Ar­beit­neh­mer mit den neu­en Zei­ten ein­ver­stan­den ist. Dem­ent­spre­chend durf­te die­ser sich nicht mehr auf die al­ten Zei­ten be­ru­fen. Er hat­te sein ent­spre­chen­des Recht ver­wirkt.

Das LAG Nürn­berg ließ die Re­vi­si­on ge­gen sei­ne Ent­schei­dung zu, die nun beim BAG un­ter dem Ak­ten­zei­chen 10 AZR 421/10 an­hän­gig ist.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Letzte Überarbeitung: 20. November 2014

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