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BAG, Urteil vom 30.01.1979, 1 AZR 342/76
Schlagworte: | Abmahnung, Ermahnung | |
Gericht: | Bundesarbeitsgericht | |
Aktenzeichen: | 1 AZR 342/76 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 30.01.1979 | |
Leitsätze: | 1. Auch wenn ein arbeitsvertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers zugleich einen Verstoß gegen die kollektive betriebliche Ordnung darstellt, ist eine mitbestimmungsfreie Abmahnung der in dem Verhalten liegenden Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber möglich. Der Arbeitgeber ist in einem solchen Falle nicht darauf beschränkt, das zu beanstandende Verhalten in der Form einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsbuße zu ahnden. Soweit aus dem Urteil des Senats vom 1975-12-05 1 AZR 94/74 = AP Nr 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt, etwas anderes entnommen werden kann, wird hieran nicht festgehalten. 2. Ob eine Rüge des Arbeitgebers im Einzelfall als bloße Abmahnung vertragswidrigen Verhaltens oder als Betriebsbuße anzusehen ist, bedarf im Zweifel der Auslegung der Erklärung unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, ihres Gesamtzusammenhangs und ihrer Begleitumstände. Eine mitbestimmungspflichtige Betriebsbuße liegt vor, wenn die Erklärung des Arbeitgebers über die Geltendmachung seines Gläubigerrechts auf vertragsgemäßes Verhalten des Arbeitnehmers einschließlich der Androhung individualrechtlicher Konsequenzen für den Wiederholungsfall hinausgeht und Strafcharakter annimmt, wenn also das beanstandete Verhalten geahndet werden soll. 3. Hat der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer wegen eines angeblich vertragswidrigen Verhaltens abgemahnt und hierüber einen Vermerk zu dessen Personalakten genommen, so kann der Arbeitnehmer die Entfernung dieses Vermerks aus den Personalakten verlangen, wenn der Vorwurf ungerechtfertigt ist. |
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Vorinstanzen: | Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 18.02.1976, 5 Sa 96/75 | |
1 AZR 342/76
5 Sa 96/75 Hamburg
Verkündet am
30. Januar 1979
gez. Ude,
Angestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes!
Urteil
In Sachen
PP.
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 1979 durch den Richter Bichler als Vorsitzenden, die Richter Dr. Seidensticker und Triebfürst sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Mussil und Andersch für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 18. Februar 1976 - 5 Sa 96/75 - aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Der 1954 geborene Kläger ist seit dem 16. August 1973 bei der Beklagten, einem Verlagsunternehmen, als Verkaufsassistent beschäftigt. Seit März 1975 ist er Mitglied des Betriebsrats.
Die Beklagte nahm mit Datum vom 24. Juni 1974, ohne den Betriebsrat zu beteiligen, folgenden Vermerk zu den Personalakten des Klägers:
"Herr T (Kläger) wird hiermit an seine Pflichten aus dem zwischen ihm und dem Verlag abgeschlossenen Anstellungsvertrag vom 3.8.1973 ermahnt. Es wird ausdrücklich auf den Satz, daß über Geschäfts- und Betriebsvorgänge Stillschweigen zu bewahren ist, hingewiesen. Das gilt auch für die Weitergabe von Informationen über Geschäfts- und Betriebsvorgänge ohne Genehmigung seines Abteilungsleiters an andere Abteilungen des Verlages und in Betriebsversammlungen.
Herr T hatte in der Betriebsversammlung vom 27.2.1974, nachdem die Geschäftsleitung der Belegschaft eine Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Verlages gab und auf die stagnierende bis rückläufige Tendenz im Anzeigengeschäft für das Jahr 1974 hinwies, behauptet, dieser Bericht sei Schwarzmalerei, er wisse als Mitarbeiter der Anzeigenabteilung, daß mit einem Anzeigenzuwachs von über 50 % zu rechnen sei.
In der Betriebsversammlung am 12. Juni 1974 wurde von der Geschäftsleitung u.a.
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Herrn T anhand neuester Zahlen nachgewiesen, daß seine Behauptungen völlig falsch waren. Herr T äußerte darauf wieder sinngemäß, er habe oder könne Material beschaffen, mit dem er beweisen will, daß die von der Anzeigenleitung - in der Betriebsversammlung bekanntgegebenen - erstellten Zahlen falsch sind. Vom Betriebsrats-vorsitzenden auf die durch den Tendenzschutz-Paragraphen vorhandenen Einschränkungen im Zusammenhang mit der Bekanntgabe von Zahlen des Arbeitgebers hingewiesen, äußerte er sinngemäß, er müsse den Verlag zwingen, die richtigen Zahlen auf den Tisch zu legen.
Herrn T wurde vom Sprecher der Geschäftsleitung noch in dieser Betriebsversammlung gesagt, daß ihm keineswegs sachliche Diskussionsbeiträge in der Betriebsversammlung untersagt wären, daß seine Äußerungen aber abgesehen von der sachlichen Unrichtigkeit - als Drohung ausgelegt werden könnten. Die Geschäftsleitung behalte sich vor, daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Herrn T wurde ausdrücklich gesagt, er habe mit seinem Anstellungsvertrag Rechte - er habe aber auch Pflichten. An diese wurde er besonders erinnert."
Der Kläger, der unter dem 23. Juli 1974 eine Gegendarstellung zu seinen Personalakten gegeben hat, verlangt mit der vorliegenden Klage die Entfernung des Vermerks der Beklagten aus den Personalakten. Er hat dazu vorgetragen:
Bei dem Vermerk handele es sich um eine Verwarnung, die den Charakter einer Betriebsbuße habe und daher gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliege. Da der Betriebsrat nicht mitgewirkt habe, sei die Verwarnung unwirksam, so daß der Vermerk schon aus diesem Grunde aus den Personalakten entfernt werden müsse. Im übrigen seien aber auch die in dem Vermerk enthaltenen Vorwürfe unberechtigt. Auf einer Betriebsversammlung vom 27.
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Februar 1974 könne er sich überhaupt nicht geäußert haben, weil er zu jenem Zeitpunkt im Krankenhaus gelegen habe. Der Vermerk betreffe offenbar eine Betriebsversammlung vom Herbst 1973, auf der er sich jedoch auch nicht so geäußert habe, wie es in dem Vermerk dargestellt werde. Seine Vertragspflichten habe er nicht verletzt; denn sein Arbeitsvertrag enthalte keine Bestimmung, die es ihm verbiete, auf einer Betriebsversammlung allgemein zugängliches und im Betrieb verbreitetes Informationsmaterial vorzutragen. Nichts anderes habe er getan.
Der Kläger hat daher beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den von ihr verfaßten Vermerk vom 24. Juni 1974 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und entgegnet:
Sie habe dem Kläger keine Verwarnung im Sinne einer Betriebsbuße erteilt. Sie habe ihm auch keinen Verstoß gegen die betriebliche Ordnung vorgeworfen, sondern ihn auf eine Verletzung seiner Pflichten aus dem Anstellungsvertrag hingewiesen und ihn an diese Vertragspflichten besonders erinnert. Sie habe den Kläger also lediglich abgemahnt. Eine solche schlichte Abmahnung unterliege nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Der zu den Personalakten gegebene Vermerk sei mit Ausnahme des Datums der Betriebsversammlung vom 27. Februar 1974 auch inhaltlich richtig. Es habe sich nicht um die Betriebsversammlung vom 27. Februar 1974, sondern um eine Betriebsversammlung vom 28. November 1973 gehandelt. Insoweit bedürfe der Vermerk der Berichtigung. Im übrigen treffe er zu.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht sieht in dem zu den Personalakten des Klägers genommenen Vermerk vom 24. Juni 1974 eine Betriebsbuße, die es wegen der fehlenden Zustimmung des Betriebsrats für unzulässig hält.
1.a) Eine Betriebsbuße dient der Ahndung von Verstößen gegen die betriebliche Ordnung. Als Sanktionsmittel kommen außer einer Geldbuße auch ein Verweis oder eine förmliche Verwarnung in Betracht. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend annimmt, gehört die Verhängung von Betriebsbußen zu den Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb, bei denen der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen hat. Dieses Mitbestimmungsrecht umfaßt sowohl die Aufstellung einer Betriebsbußenordnung als Voraussetzung für die Ahndung von Verstößen gegen die betriebliche Ordnung als auch die Verhängung der Betriebsbuße im Einzelfall; auch die einzelne Sanktionsmaßnahme dient der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung und damit der Durchsetzung der allgemeinen betrieblichen Ordnung. Sie kann daher nur für Verstöße in Betracht kommen, die sich gegen die betriebliche Ordnung als solche richten, die also ein gemeinschaftswidriges Verhalten darstellen. Es muß immer ein
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kollektiver Bezug vorhanden sein. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. das auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Bundesarbeitsgerichts vorgesehene Urteil vom 5. Dezember 1975 - 1 AZR 94/74 -, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße [zu 1 der Gründe] mit weiteren Nachweisen).
b) Von der Verwarnung als Sanktionsmittel für Verstöße gegen die kollektive betriebliche Ordnung ist zu unterscheiden die nicht unter die Betriebsstrafgewalt fallende und auch sonst nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegende Abmahnung des Arbeitnehmers wegen Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten. Sie ist die Ausübung eines vertraglichen Rügerecht s, mit dem der Gläubiger den Schuldner auf Vertragsverletzungen hinweist, von ihm für die Zukunft vertragsgemäßes Verhalten fordert und ihm gegebenenfalls mögliche individualrechtliche Konsequenzen bei erneuter Vertragsverletzung in Aussicht stellt. Dieses vertragliche Rügerecht kann. unter Umständen sogar zu einer Gläubigerobliegenheit werden. So wird vom Arbeitgeber in der Regel eine vorherige Abmahnung verlangt, wenn er dem Arbeitnehmer wegen eines Fehlverhaltens im Leistungsbereich kündigen will (vgl. BAG AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung [zu 4 c der Gründe] mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Wie der Arbeitgeber eine solche Abmahnung bezeichnet, ob er sie Verwarnung, Verweis oder Mahnung nennt, ist rechtlich ohne Bedeutung. Entscheidend ist allein, ob die durch die Abmahnung als schlichte Ausübung einer vertraglichen Befugnis gezogenen Grenzen eingehalten werden (Senatsurteil vom 5. Dezember 1975, ga0; Luhmann, Betriebsjustiz und Rechtsstaat, 1975, S. 107).
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c) Ob mit einer schriftlichen Ermahnung eine Betriebsbuße verhängt oder lediglich ein vertragswidriges Verhalten abgemahnt werden soll, kann im Einzelfalle zweifelhaft sein, wenn nämlich das beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers sowohl eine Vertragsverletzung als auch einen Verstoß gegen die kollektive betriebliche Ordnung darstellt. Wird in der mißbilligenden Äußerung des Arbeitgebers nicht eindeutig gesagt, was gemeint ist, so muß der erklärte Wille durch Auslegung ermittelt werden.
2.a) Im vorliegenden Falle sind Gegenstand des zu den Personalakten genommenen Vermerks vom 24. Juni 1974 angeblich unrichtige Äußerungen des Klägers über die Entwicklung des Anzeigengeschäfts der Beklagten, in denen diese eine Verletzung der Pflichten des Klägers aus seinem Anstellungsvertrag, ins-besondere seiner vertraglichen Pflicht zur Verschwiegenheit über geschäftliche und betriebliche Vorgänge sieht. Da die Äußerungen des Klägers aber auf Betriebsversammlungen gefallen sind, hat das beanstandete Verhalten zugleich auch einen kollektiven Bezug. Wegen dieses kollektiven Bezugs ist das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, es handele sich bei dem umstrittenen Vermerk um eine mitbestimmungspflichtige Betriebsbuße und nicht um eine mitbestimmungsfreie Abmahnung eines vertragswidrigen Verhaltens. Es führt dazu aus, die Beklagte habe in dem Vermerk ausdrücklich gerügt, daß der Kläger vor allen Belegschaftsangehörigen unrichtige Angaben über die Entwicklung im Anzeigengeschäft gemacht und die von der Geschäftsleitung bekanntgegebenen Zahlen als falsch bezeichnet habe. Damit wolle die Beklagte - so heißt es in dem angefochtenen Urteil weiter - dem Kläger vorwerfen, daß er ihre Geschäftsleitung vor der Belegschaft als unglaubwürdig hingestellt habe. Hierin liege der Vorwurf eines Ver-
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stoßes gegen die betriebliche Ordnung, möge sein Arbeitsvertrag den Kläger zur Verschwiegenheit über solche Vorgänge verpflichten oder nicht. Auch wenn der dem Kläger vorgeworfene Verstoß gegen die betriebliche Ordnung von einer Verletzung des Einzelarbeitsvertrages ausgehe, greife er hier in den Bereich der betrieblichen Ordnung über. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG werde aber berührt, wenn sich eine Vertragsverletzung auf die betriebliche Ordnung auswirke. Greife ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten auch in den Bereich der betrieblichen Ordnung über, könnten Verwarnungen und Verweise nur nach Maßgabe einer Betriebsbußenordnung ausgesprochen werden. Fehle es an einer solchen Betriebsbußenordnung, dann müsse der Arbeitgeber eine Störung der betrieblichen Ordnung, die zugleich eine Vertragsverletzung darstelle, entweder ungerügt lassen oder er müsse ohne die Zwischenstufe einer Verwarnung unmittelbar zur Kündigung übergehen.
b) Bei diesen Ausführungen stützt sich das Landesarbeitsgericht weitgehend auf das wiederholt erwähnte Senatsurteil vom 5. Dezember 1975, das sich mit der Auslegung einer schriftlichen Verwarnung befaßt, die der Arbeitgeber einem Betriebsratsmitglied wegen der Verteilung von Flugblättern parteipolitischen Inhalts im Betriebe während der Arbeitszeit erteilt und in der das Berufungsgericht die mitbestimmungsfreie Ausübung des arbeitsvertraglichen Rügerechts des Arbeitgebers und keine Betriebsbuße gesehen hatte. Das Berufungsgericht hatte dies u.a. damit begründet, daß eine mit dem Betriebsrat vereinbarte Bußordnung in dem dortigen Betriebe nicht bestehe und der Arbeitgeber deshalb auch keine Betriebsbuße habe verhängen, sondern nur von seinen Gläubigerrechten aus dem Arbeitsvertrag habe Ge-
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brauch machen wollen. Diese Auslegung des Verwarnungsschreibens hat der Senat damals nicht gebilligt und dazu ausgeführt, die vom Berufungsgericht aus dem Fehlen einer betrieblichen Bußordnung gezogene Schlußfolgerung sei nicht zwingend; es bedürfe im Grundsatz auch nicht des Abschlusses einer kollektiven Bußordnung, um eine Unterscheidung zwischen einzelvertraglich zulässigen, mitbestimmungsfreien Maßnahmen des Arbeitgebers und die betriebliche Ordnung berührenden mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen überhaupt treffen zu können; die Unterscheidung ergebe sich vorbehaltlich einer Präzisierung in einer Bußordnung schon aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG selbst; folge man der Auffassung des Berufungsgerichts, dann könnte ein Arbeitgeber jederzeit unter Umgehung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats einseitig einen Verstoß gegen die betriebliche Ordnung unter dem Gesichtspunkt einer Arbeitsvertragsverletzung ahnden.
Diese Ausführungen des Senats sind im Schrifttum auf Kritik gestoßen (Konzen, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße [zu I 3 a]; Wiese, Anm. zu dem genannten Senatsurteil in EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Ordnung Nr. 1). Sie können in der Tat dahin verstanden werden - und das Landesarbeitsgericht hat sie auch so verstanden -, daß der Arbeitgeber Vertragspflichtverletzungen seines Arbeitnehmers, die zugleich die kollektive betriebliche Ordnung berühren und gegen sie verstoßen, nur im Wege einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsbuße, nicht aber in Ausübung seines vertraglichen Rügerechts ohne Beteiligung des Betriebsrats abmahnen könnte. Hieran hält der Senat nicht fest. Er ist vielmehr der Auffassung, daß auch in solchen Fällen eine mitbestimmungsfreie Abmahnung als Ausübung der jedem Gläubiger zustehenden Befugnis, den
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Schuldner auf eine Verletzung seiner Vertragspflichten aufmerksam zu machen und von ihm künftig vertragsmäßiges Verhalten zu verlangen, möglich ist. Wollte man jede Abmahnung einer auch die betriebliche Ordnung berührenden Vertragspflichtverletzung als nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungs-pflichtig ansehen, so wäre dies der sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergebenden Abstufung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nicht gerecht. Für die Kündigung als schärfste individualrechtliche Reaktion des Arbeitgebers auf Vertragsverletzungen des Arbeitnehmers schreibt § 102 Abs. 1 BetrVG nur die vorherige Anhörung und damit die schwächste Form der Beteiligung des Betriebsrats vor. Es wäre systemwidrig und würde auch eines einleuchtenden Grundes entbehren, die der Kündigung häufig vorausgehende, wesentlich mildere Maßnahme der bloßen Warnung vor weiterer Pflichtverletzung an die stärkste Beteiligungsform, nämlich an die Zustimmung des Betriebsrats zu binden. Eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Maßnahme des Arbeitgebers liegt erst dann vor, wenn sie über die Geltendmachung der Gläubigerposition einschließlich der Androhung individualrechtlicher Konsequenzen bei Fortsetzung des pflichtwidrigen Verhaltens hinausgeht und Strafcharakter annimmt, wenn das beanstandete gemeinschafts- und zugleich vertragswidrige Verhalten also geahndet werden soll. Ob die Rüge des Arbeitgebers als Abmahnung oder als Buße anzusehen ist, bedarf im Zweifel der Auslegung unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Gesamtzusammenhangs der Erklärung sowie ihrer Begleitumstände. Dabei kommt es darauf an, wie der Arbeitnehmer die Beanstandung des Arbeitgebers nach Treu und Glauben verstehen mußte.
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c) Im vorliegenden Falle beruht die Auslegung, die das Landesarbeitsgericht dem umstrittenen Vermerk der Beklagten gegeben hat, auf der rechtsirrigen Erwägung, schon der kollektive Bezug des gerügten Verhaltens des Klägers schließe eine mitbestimmungsfreie Abmahnung dieses Verhaltens als einer Vertragspflichtverletzung aus. Da der maßgebliche Sachverhalt feststeht, kann der Senat die in dem Vermerk enthaltene Erklärung der Beklagten selbst auslegen. Wie sich aus ihrem Inhalt ergibt, beschränkt sie sich auf die bloße Abmahnung vertragswidrigen Verhaltens und geht in ihren Wertungen darüber nicht hinaus.
Im Eingangssatz des Vermerks wird der Kläger an seine Pflichten aus dem zwischen den Parteien ab-geschlossenen Anstellungsvertrag ermahnt. Sodann wird auf die vertraglich ausdrücklich vereinbarte Pflicht zur Verschwiegenheit über Geschäfts- und Betriebsvorgänge hingewiesen und die Auffassung der Beklagten über die rechtliche Tragweite dieser Vertragsbestimmung erläutert. Es folgt eine Schilderung der Vorgänge, aus denen die Beklagte einen Verstoß des Klägers gegen seine Vertragspflichten herleitet. Abschließend heißt es in dem Vermerk, die Geschäftsleitung behalte sich vor, daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen; dem Kläger sei gesagt worden, er habe mit seinem Anstellungsvertrag Rechte, aber auch Pflichten; an diese sei er besonders erinnert worden.
Damit hält sich der Vermerk im Rahmen einer schlichten Abmahnung vertragswidrigen Verhaltens. Er hat nicht den Charakter einer Betriebsbuße und bedurfte deshalb entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht der Zustimmung des Betriebsrats. Das angefochtene Urteil konnte daher keinen Bestand haben.
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II. Zu einer abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits ist der Senat nicht in der Lage. Hierzu bedarf es vielmehr weiterer Sachaufklärung durch das Landesarbeitsgericht. Dabei ist in rechtlicher Hinsicht davon auszugehen, daß auch die Berechtigung einer Abmahnung arbeitsvertragswidrigen Verhaltens durch den Arbeitgeber vom gerügten Arbeitnehmer zur gerichtlichen Nachprüfung gestellt werden kann, wenn die mißbilligende Äußerung des Arbeitgebers nach Form oder Inhalt geeignet ist, den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Wie der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 22. Februar 1978 - 5 AZR 801/76 - (AP Nr. 84 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht [zu II 1 der Gründe]) ausgesprochen hat, gehören jedenfalls formelle, zu den Personalakten genommene schriftliche Rügen oder Verwarnungen zu den Handlungen, die die Rechtsstellung des Arbeitnehmers nachteilig beeinflussen können. Dem tritt der erkennende Senat bei. Es ist nicht auszuschließen, daß derartige formelle Rügen, wenn sie unberechtigt sind, später die Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers abgeben und dadurch sein berufliches Fortkommen behindern oder daß sie andere seine Rechtsstellung beeinträchtigende arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Folge haben. Hier handelt es sich um eine solche formelle, zu den Personalakten genommene schriftliche Rüge, an deren Entfernung aus seinen Personalakten der Kläger ein schutzwürdiges Interesse hat, wenn die Rüge ungerechtfertigt ist. Das Landesarbeitsgericht wird des-halb prüfen müssen, ob die in dem umstrittenen Vermerk erhobenen Vorwürfe der Beklagten zutreffen.
gez.: Bichler
Triebfürst
Dr. Seidensticker
Dr. Mussil
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