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LAG Hamburg, Beschluss vom 04.05.2016, 5 TaBV 8/15
Schlagworte: | Tariffähigkeit, Gewerkschaft, Tarifvertrag | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Hamburg | |
Aktenzeichen: | 5 TaBV 8/15 | |
Typ: | Beschluss | |
Entscheidungsdatum: | 04.05.2016 | |
Leitsätze: | 1. Die Rechtskraft einer Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft kann durch erhebliche Satzungsänderungen beseitigt werden. Hierbei ist nicht nur auf die zuletzt geltende Satzung abzustellen. Auch eine zwischenzeitlich erfolgte - weitergehende - Satzungsänderung kann den Schutz der Rechtskraft unwiederbringlich beseitigen. 2. Bei lange existierenden Gewerkschaften wird bei der Mächtigkeitskontrolle im Rahmen eines Verfahrens nach § 97 ArbGG nicht allein auf den Organisationsgrad, sondern auch auf das Tarifgeschehen in der Vergangenheit abgestellt. 3. Mit dem Tarifeinheitsgesetz und dem Mindestlohngesetz existieren Regelungen zum Erhalt einer funktionierenden Tarifautonomie, die eine Mächtigkeitskontrolle durch die Rechtsprechung anhand der Mitgliederzahl verfassungsrechtlich weniger erforderlich machen. Der Maßstab für diese Prüfung ist deshalb nicht unerheblich abzusenken. |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 19.06.2015, 1 BV 2/14 nachgehend Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26.06.2018, 1 ABR 37/16 |
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Landesarbeitsgericht Hamburg 5. Kammer, Beschluss vom 04.05.2016, 5 TaBV 8/15
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 5 und 11 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19. Juni 2015 - 1 BV 2/14 - abgeändert:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1 | Die Beteiligten streiten im Verfahren gemäß § 97 ArbGG um die Frage der Tariffähigkeit der „DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V.“ (im Folgenden: DHV). |
2 | Antragstellerin ist die Gewerkschaft 1, weitere Antragstellerinnen sind die Gewerkschaft 2, die Gewerkschaft 3sowie die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Berlin(Bet. 1 – 4). Das Land N., vertreten durch das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, hat sich mit Schriftsatz vom 13. Februar 2014 angeschlossen (Bet. zu 10). |
3 | Antragsgegnerin ist die DHV (Bet. zu 5), eine Arbeitnehmervereinigung, die Mitglied im Gewerkschaftsbund 1 ist, der ebenfalls im Verfahren beteiligt ist (Bet. zu 6). |
4 | Die Antragsgegnerin wurde erstmals 1893 gegründet, am 1. Oktober 1950 erfolgte ihre Neugründung unter dem Namen Deutscher Handlungsgehilfen Verband e.V., am 20. Dezember 1950 eingetragen in das Vereinsregister Hamburg. |
5 | Weitere Beteiligte sind der Spitzenverband 1 (Bet. zu 7), der Gewerkschaftsbund 2 (Bet. zu 8), die Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Bet. zu 9) und der Arbeitgeberverband 1(Bet. zu 11). |
6 | Die Frage der Tariffähigkeit der DHV – wie auch die ihrer Tarifzuständigkeit – war bereits mehrfach Gegenstand arbeitsgerichtlicher Verfahren. Mit Beschluss vom 10. Dezember 1956 (2 BV 366/56 – Anl. A 5 Bl. 102 d.A.) stellte das Arbeitsgericht Hamburg ihre Tariffähigkeit auf der Grundlage der Satzungen vom 1. Juli 1952 bzw. 1. Juli 1954 fest. Zuletzt wies das Arbeitsgericht Hamburg mit Beschluss vom 9. November 1995 (1 BV 8/92 - Bl. 107 d.A.) einen Antrag der Gewerkschaft 1 auf Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der DHV als unzulässig zurück wegen weiterhin entgegenstehender Rechtskraft des Beschlusses aus dem Jahre 1956. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das LAG Hamburg mit Beschluss vom 18. Februar 1997 (2 TaBV 9/95 – Bl. 156 d.A.) zurück. |
7 | Nach der Satzung der Antragsgegnerin aus dem Jahr 1956 verstand sich diese als „Zusammenschluss der Deutschen Kaufmannsgehilfen auf christlich nationaler Grundlage zur Hebung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage“. 1978 wurde die Satzung dahin geändert, dass sie eine „Gewerkschaft der Angestellten im Handel, in der Industrie und im privaten und öffentlichen Dienstleistungsbereich“ sei. Ab 2002 hieß es in der Satzung der DHV u.a.: |
8 | „Der DHV ist eine Gewerkschaft der Arbeitnehmer in kaufmännischen und verwaltenden Berufen, die in der privaten Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst tätig sind.“ |
9 | Die DHV ist mit 9 Landesverbänden bundesweit tätig. Eine Vielzahl von Mandatsträgern (Aufsichtsräte, Betriebs- und Personalräte) sind bei ihr organisiert. Sie gewährt ihren Mitgliedern Rechtsschutz, hat seit dem Jahre 1950 nach ihren Angaben ca. 24.000 Tarifverträge abgeschlossen, Warnstreiks geführt und Tarifverhandlungen abgebrochen. |
10 | Auf einem außerordentlichen Bundesgewerkschaftstag vom 16./17. November 2012 beschloss die Antragsgegnerin nach weiteren zwischenzeitlichen Satzungsänderungen ihren Organisationsbereich wie folgt (Anl. A 10, Bl. 188 d.A.): |
11 | „1. Die DHV ist tarifzuständig für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den nachfolgenden Bereichen und schließt für diese Tarifverträge ab: |
12 | - Banken, Sparkassen, Bausparkassen - Einzelhandel - Groß- und Außenhandel - Handel mit Kraftfahrzeugen - Gesetzliche Sozialversicherung - Lagerei und Warenlogistik - Versicherungswirtschaft - Einrichtungen der Kranken- und Altenpflege - Private Kliniken und Krankenhäuser - Rettungsdienste - Arbeiterwohlfahrt - Deutsches Rotes Kreuz - Paritätischer Wohlfahrtsverband - Chemische Reinigung / Textilreinigungsdienstleistungen - Fleischwarenindustrie |
13 | sowie Nebenbetriebe, die Dienstleistungen für diese erbringen, jedoch rechtlich ausgegliedert und selbstständig sind. |
14 | 2. Die DHV ist tarifzuständig für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kaufmännischen und verwaltenden Berufen. |
15 | 3. Die Tarifzuständigkeit erstreckt sich auch auf Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer, die in einer in Ziffer 1 aufgeführten Branche im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes überlassen werden.“ |
16 | Dieser Organisationsbereich erstreckte sich auf etwa 15 Mio. Beschäftigungsverhältnisse. |
17 | Auf ihrem 20. ordentlichen Bundesgewerkschaftstag am 7./ 8. November 2014 beschloss die DHV eine Satzungsänderung, die am 25. Februar 2015 in das Vereinsregister eingetragen wurde. Seitdem heißt es in § 2 der Satzung (A 24, Bl. 1083 d.A.): |
18 | 1. Die DHV ist tarifzuständig für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den nachfolgenden Bereichen und schließt für diese Tarifverträge ab: |
19 | - Private Banken und Bausparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken, Landes/Förderbanken, Spezialinstitute, Sparkassen - Einzelhandelsgeschäfte, Waren- und Kaufhäuser, Verbrauchermärkte, Filialbetriebe im Einzelhandel, Versandhandel, Drogerien, Zentrallager, Tankstellen, zuzüglich der handelsunterstützenden, stationären und straßengebundenen Warenlogistik - Binnengroßhandel, Cash- und Carrymärkte, Handelsunternehmen und Auslieferungslager aller Industrien, Ein- und Ausfuhrhandel, genossenschaftlicher Großhandel, zuzüglich der handelsunterstützenden, stationären und straßengebundenen Warenlogistik - Gesetzliche Krankenkassen - Privates und öffentlich-rechtliches Versicherungsgewerbe - Einrichtungen der privaten Alten- und Behindertenpflege sowie der Jugendhilfe - Kliniken und Krankenhäuser in privatrechtlicher Rechtsform - Rettungsdienste - Arbeiterwohlfahrt und Tochtergesellschaften - Deutsches Rotes Kreuz und Tochtergesellschaften - Textilreinigung und Textilreinigungsdienstleistungen - Fleischwarenindustrie - IT Dienstleistungsunternehmen für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte - Reiseveranstalter |
20 | sowie Nebenbetriebe, die Dienstleistungen für diese erbringen, jedoch rechtlich ausgegliedert und selbstständig sind. |
21 | 2. Die DHV ist auch tarifzuständig für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kaufmännischen und verwaltenden Berufen bei kommunalen Arbeitgebern und bei Körperschaften des öffentlichen Rechts auf kommunaler Ebene.“ |
22 | Dieser Organisationsbereich erstreckt sich nach Angaben der DHV auf ca. 7,01 Mio., nach Angaben der Antragsteller auf etwa 11,4 Mio. Beschäftigungsverhältnisse. |
23 | Mit Antragsschrift vom 28. November 2013 wurde das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet mit dem Ziel der Feststellung, dass die Antragsgegnerin nicht tariffähig sei. |
24 | Die Antragsteller haben vorgetragen, die Rechtskraft der früheren arbeitsgerichtlichen Entscheidungen stehe einer Sachentscheidung angesichts des durch die Satzungsänderungen 2012 und 2014 erheblich ausgeweiteten Organisationsbereichs der DHV nicht entgegen. |
25 | Der DHV fehle die erforderliche Mächtigkeit und Leistungsfähigkeit für eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung. Es sei von höchstens 10.000 Mitgliedern auszugehen. Dies führe zu einem Organisationsgrad von maximal 0,07 % (Satzung 2012) bis jedenfalls unter 0,1 % (Satzung 2014). Die DHV habe insoweit auch keine hinreichende finanzielle Ausstattung, um ihrem Anspruch als deutschlandweit für 10 bis 15 Mio. Beschäftigungsverhältnisse zuständige Vereinigung zu entsprechen. |
26 | Die DHV weise keine eigenständige Ausstattung auf. Die Räume würden gemeinsam genutzt u.a. mit dem Gewerkschaftsbund 1 und anderen christlichen Gewerkschaften. |
27 | Sie sei aufgrund ihrer Satzungsänderungen als „junge“ Arbeitnehmervereinigung i.S.d. BAG-Rechtsprechung anzusehen. |
28 | Maßstab für die Frage, ob die Rechtskraft der ergangenen Entscheidungen einer Neuentscheidung in der Sache entgegenstehe, seien die tatsächlichen Verhältnisse des Jahres 1956 gegenüber der aktuellen Sachlage. Denn die danach ergangenen Entscheidungen enthielten keine materiell-rechtliche Prüfung der Frage der Tariffähigkeit gestützt auf neue Tatsachenfeststellungen. Die Rechtskraft diene nicht der Versteinerung rechtlicher und tatsächlicher Verhältnisse. Insoweit komme es nur darauf an, ob sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt wesentlich geändert habe. Dies sei hier der Fall. |
29 | Die Beteiligten zu 1 bis 4 sowie die Beteiligte zu 10 haben beantragt |
30 | festzustellen, dass die DHV nicht tariffähig ist. |
31 | Die DHV und die Beteiligte zu 11 haben beantragt, |
32 | den Antrag abzuweisen. |
33 | Die übrigen Beteiligten haben keine eigenen Anträge gestellt. |
34 | Die DHV hat vorgetragen, die Anträge seien unzulässig. Bereits die rechtskräftigen Entscheidungen des Arbeitsgerichts bzw. Landesarbeitsgerichts stünden einer erneuten Entscheidung über ihre Tariffähigkeit entgegen. Infolge der Satzungsänderungen liege keine wesentliche Veränderung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes vor, die eine Rechtskraftdurchbrechung rechtfertigen würde. Insbesondere liege keine maßgebliche Erweiterung ihres Zuständigkeitsbereichs vor. Sie verstehe sich nach wie vor vorwiegend als kaufmännischer Berufsverband, der Arbeitnehmer der kaufmännisch verwaltenden Berufe und der privaten Dienstleistungsbereiche organisiere. Die Satzungsänderungen seit den 2000er Jahren hätten zu einer Eingrenzung ihres Zuständigkeitsbereichs geführt. Wenn die Arbeitsgerichte in den 1990er Jahren keine Veranlassung gesehen hätten, eine Rechtskraftdurchbrechung anzunehmen, müsse dies erst recht für spätere Einschränkungen ihres Zuständigkeitsbereichs gelten. |
35 | Das Verfahren sei treuwidrig eingeleitet. Es solle politisch motiviert ohne anerkennenswerten Schutzzweck der gewerkschaftliche Verdrängungswettbewerb zugunsten etablierter Gewerkschaften [des Gewerkschaftsbundes 2] gefördert und ein unerwünschter Gewerkschaftsmonopolismus heraufbeschworen werden. Nachweislich funktioniere die Tarifautonomie mit ihr, der DHV, seit Jahrzehnten. Das Verfahren werde maßgeblich durch die gesetzgeberischen Bestrebungen zur Schaffung eines Tarifeinheitsgesetzes beeinflusst. |
36 | Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gesicherte freie Koalitionsbildung dürfe nicht durch übermäßig hohe Anforderungen an die Tariffähigkeit ausgehöhlt und eingeschränkt werden. |
37 | Das Fehlen der Durchsetzungskraft in einem Teilbereich des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs lasse die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung nicht insgesamt entfallen. Soziale Mächtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit in einem Teilbereich des satzungsmäßigen Zuständigkeitsbereichs genügten. Dabei seien sog. Leuchttürme ausreichend, d.h. maßgebliche Bereiche, in denen die Gewerkschaft aufgrund durchsetzungsfähiger Mitgliederzahlen tarifpolitische Zielsetzungen zu erreichen vermöge. Diese Leuchttürme strahlten auf die weiteren Zuständigkeitsbereiche aus und vermittelten Durchsetzungskraft im gesamten Zuständigkeitsbereich. |
38 | Sie sei zudem keine „junge“ Gewerkschaft im Sinne der Rechtsprechung. Angesichts ihres tariflichen Wirkens habe sie ihre Tariffähigkeit unter Beweis gestellt. Sie werde auch vom tarifpolitischen Gegenspieler und konkurrierenden Gewerkschaften anerkannt und ernst genommen. Der aktuelle Organisationsgrad und die aktuelle organisatorische Leistungsfähigkeit würden dahinter zurücktreten. Das zurückliegende Tarifverhalten und die positiven Abschlusserfolge ließen bereits einen ausreichenden Rückschluss auf die bestehende Tariffähigkeit zu. Insbesondere sei ein Missbrauch des Tarifvertragssystems durch den Abschluss von Schein- und Gefälligkeitstarifverträgen in ihrem Fall ausgeschlossen. |
39 | Es sei auch zu berücksichtigen, dass sie, die Beteiligte zu 5, wiederholt Tarifverhandlungen abgebrochen habe. Sie habe damit deutlich zu erkennen gegeben, gerade kein willfähriger Gehilfe der Arbeitgeberseite zu sein. Sie habe sich insgesamt über Jahrzehnte als verantwortungsvolle Tarifakteurin gezeigt. Dafür spreche auch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von ihr abgeschlossener Tarifverträge. Zudem habe sie mit anderen Sozialpartnern in der Branche Textilreinigung und -service mit der Bundesregierung ein Bündnis gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung abgeschlossen. |
40 | Auch auf ihre organisatorische Leistungsfähigkeit könne aus der langjährigen erfolgreichen Teilnahme am Tarifgeschehen geschlossen werden. Sie verfüge über 13 hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre, 18 Büro- und Verwaltungskräfte sowie 9 Mitarbeiter der kaufmännischen Bildungseinrichtungen und je nach Arbeitsanfall setze sie bis zu 12 Honorarkräfte ein. Sie verweise insoweit auf die Aufstellung ihrer hauptamtlich Beschäftigten. Darüber hinaus könne sie in ihrer gewerkschaftlichen Arbeit auf bis zu 2.500 Mitglieder als ehrenamtliche Mitarbeiter zurückgreifen. In allen ihren Büros sei eine klare Abgrenzung in Bezug auf Personal und Sachmittel zu den Schwestergewerkschaften und dem Dachverband gewährleistet. Die hauptamtlichen Mitarbeiter würden durch die aktiven Landesvorstände (ca. 80 Mitglieder) und eine breite ehrenamtliche Basis vor Ort unterstützt und begleitet. Angesichts ihres Rechtes zur Selbstorganisation seien ihre Organisationsstrukturen nicht auf ihre Zweckmäßigkeit überprüfbar. Sie unterhalte neben den Landesgeschäftsstellen eine zentrale Hauptgeschäftsstelle mit einem eigenen Tarifarchiv zur Sicherstellung der administrativen Aufgaben in den beanspruchten Tarifbereichen. Bei der Besetzung ihrer Tarifkommissionen greife sie auf etwa 500 mit besonderer Sach-, Branchen- und Marktkenntnis ausgestattete Mitglieder zurück. |
41 | Zudem stelle sie in einer Vielzahl von namhaften Unternehmen in ihrem Zuständigkeitsbereich Aufsichtsräte, Betriebs- und Personalräte, ehrenamtliche Richter in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, Mitglieder in der Selbstverwaltung der deutschen Sozialversicherung, Versichertenberater und Mitglieder von Widerspruchsausschüssen in der Sozialversicherung. |
42 | Sie verfüge über deutlich mehr als die unterstellten 10.000 Mitglieder. Per 31. Dezember 2013 habe ihre Gesamtmitgliederzahl 74.373 Mitglieder betragen, per 31. Dezember 2014 75.065 Mitglieder. Alleine in Baden-Württemberg habe die Mitgliederzahl mit Stand 31. Dezember 2013 ... Mitglieder betragen. Bei der Krankenkasse 1 habe sie einen Organisationsgrad von etwa ... % der dort tätigen ca. 10.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In ihrem Landesverband Nord-Ost habe der Bestand per 31. Dezember 2013 bei etwa ... Mitgliedern gelegen. |
43 | Zudem schließe sie im Sinne bewusst selektiver Tarifabschlüsse und im Sinne einer langfristig angelegten Kernmarkenstrategie im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Tarifzuständigkeit nur dort Tarifverträge ab, wo sie nachweislich Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder gestalte. Dies betreffe etwa die Bausparkasse 1 und ihre Muttergesellschaft, die Versicherung 1, die Versicherung 2, Tarifverträge mit dem Arbeitgeberverband 2, mit dem Arbeitgeberverband 3 und ihr tarifpolitisches und gewerkschaftliches Wirken in den zugehörigen Unternehmen, die Krankenkasse 1 und die Krankenkasse 2 sowie die S. L.. Es müsse insoweit die satzungsgemäße Zuständigkeit von der tatsächlich durch Betriebsgruppen- und Tarifarbeit ausgeübten und gelebten Zuständigkeit unterschieden werden. Die Satzung bilde nur die rechtliche Außengrenze ihres Handelns als Gewerkschaft. Sie stelle nicht ihre Tariffähigkeit insgesamt zur Disposition, indem sie versuche, ihre Aktivitäten auf andere Zuständigkeitsbereiche auszudehnen. Eine tariffähige, mitgliedergetragene Kernbasis gehe durch eine Ausweitung des satzungsmäßigen Tarifzuständigkeitsbereichs nicht verloren und führe auch nicht zwingend zu einer Überforderung der Organisation, da nicht jedes der Tarifzuständigkeit neu unterfallende Unternehmen gewerkschaftlich organisiert werden solle und müsse. |
44 | Sie sei gegnerfrei durch die Beiträge ihrer Mitglieder und ihre gewerkschaftlichen Aktivitäten finanziert. Im Jahr 2012 habe sie eine Überdeckung ihrer Ausgaben durch Einnahmen in Höhe von etwa € ...,- aufgewiesen, ihre Streikrücklage belaufe sich derzeit auf etwa € ...,-. |
45 | Der Beteiligte zu 11 trägt vor, Folge einer der DHV die Tariffähigkeit absprechenden Entscheidung wäre voraussichtlich die Unwirksamkeit eines ganzen mit ihm, dem Beteiligten zu 11, abgeschlossenen Tarifwerks. Hierdurch werde er in seinen Rechten betroffen. Die Rechtskraft der ergangenen Entscheidungen, insbesondere derjenigen des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Dezember 1956, stehe einer erneuten Entscheidung über die Tariffähigkeit der DHV entgegen. Eine Änderung der wesentlichen, die Entscheidung stützenden maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse liege nicht vor. Auch im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Tariffähigkeit der DHV vor. Die Voraussetzungen der Mächtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit seien jedenfalls in Bezug auf den von ihm, dem Beteiligten zu 11), abgedeckten Tarifzuständigkeitsbereich erfüllt. Seit 2004 seien verschiedene Tarifverträge in diesem Bereich abgeschlossen worden. Allein für die Bundesländer Brandenburg, Thüringen und Sachsen seien in seinem Bereich 14.585 Arbeitnehmer tarifgebunden. Die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer in seinem Bereich unterliege den Regelungen von mit der DHV abgeschlossenen Tarifverträgen. In ihrem Zuständigkeitsbereich verfüge die DHV über einen wesentlichen Organisationsgrad. |
46 | Durch den der DHV am 23. Juni 2015 und dem Beteiligten zu 11 am 25. Juni 2015 zugestellten Beschluss vom 19. Juni 2015, auf den zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht dem Antrag stattgegeben: Jedenfalls die Satzungsänderung 2012 stelle eine wesentliche Änderung der Verhältnisse dar, so dass die Rechtskraft früherer Entscheidungen durchbrochen sei. Ein Organisationsgrad von unter 0,1 % bezogen auf den gesamten Organisationsbereich reiche für die Annahme einer Tariffähigkeit nicht. |
47 | Hiergegen richtet sich die am 6. Juli 2015 eingelegte und mit am 21. September 2015 beim Landesarbeitsgericht Hamburg eingegangenen Schriftsatz begründete Beschwerde der DHV, nachdem die Beschwerdebegründungsfrist am 14. Juli 2015 bis zum 23. September 2015 verlängert worden war. Die am 20. Juli 2015 eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 11 wurde eingehend bei Gericht am Montag, 28. September 2015, begründet, nachdem die Beschwerdebegründungsfrist am 25. August 2015 bis zum 26. September 2015 verlängert worden war. |
48 | Die DHV ist der Ansicht, dass aufgrund der Verdoppelung des Organisationsgrades seit 1997 von 0,5 Prozent auf über 1 Prozent und der „Konzentration auf den Markenkern“ keine entscheidungserhebliche Veränderung vorliege. Sie sei weiterhin tarifzuständig für Arbeitnehmer in kaufmännischen und verwaltenden Berufen bei kommunalen Arbeitgebern und bei Körperschaften des öffentlichen Rechts auf kommunaler Ebene. Der satzungsmäßige Zuständigkeitsbereich werde dadurch charakterisiert, dass die dort organisierten Arbeitnehmer weitaus überwiegend, nämlich durchschnittlich zu 80 Prozent, Angestellte seien. Die Erweiterung auf gewerbliche Arbeitnehmer werde durch die branchenbezogene Einschränkung mehr als kompensiert. Es sei lediglich die Gleichstellung von Angestellten und Arbeitnehmern nachgezeichnet worden und die Angestellten in der Industrie, mit Ausnahme der Fleischwarenindustrie, aus der Tarifzuständigkeit einschränkend herausgenommen worden. Entscheidend sei allein die Satzungslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung. |
49 | Der Beteiligte zu 11 ist der Auffassung, dass identische Streitgegenstände vorlägen, da die Satzungsänderung der Antragsgegnerin nur die gesellschaftlichen und rechtlichen Veränderungen des Arbeitnehmerbegriffes widerspiegelten. Auch der Organisationsgrad der Antragssteller weise einen am gesamten Tarifzuständigkeitsbereich gemessenen Organisationsgrad von nicht mehr als 10 - 20 Prozent auf, obwohl es sich um die mitgliederstärksten Gewerkschaften weltweit handele. Es sei eine Vielzahl von Tarifverträgen geschlossen worden, was Indizwirkung für ihre Tariffähigkeit entfalte. Wäre allein der Organisationsgrad für die Durchsetzungsfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung gemessen an der gesamten Tarifzuständigkeit entscheidend, führe das zum grundrechtswidrigen Grundsatz „groß schlägt klein“. |
50 | Die Beteiligte zu 5, die DHV, beantragt, |
51 | unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19. Juni 2015 – 1 BV 2/14 |
52 |
den Antrag zurückzuweisen. |
53 | Die Beteiligte zu 11 beantragt, |
54 | den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg – 1 BV 2/14 – aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an eine zuständige Kammer zurück zu verweisen; |
55 | hilfsweise, den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg – 1 BV 2/14 – vom 19. Juni 2015 abzuändern und die Anträge zur Feststellung, dass die Beteiligte zu 5 nicht tariffähig ist, zurückzuweisen; |
56 | für den Fall der beabsichtigten Antragsbestätigung hilfsweise |
57 | gemäß Art. 100 Abs. 1 GG iVm § 13 Nr. 11 BVerfGG den Rechtstreit dem Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Frage vorzulegen, dass § 97 iVm. § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG unter Berücksichtigung der seit Schaffung des Gesetzes eingetretenen Rechtsentwicklung, insbesondere die Bereitschaft von Arbeitnehmern sich in neuen und anderen Formen gewerkschaftlich zu organisieren und so ihre Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG zu leben, unzulässig einschränkt und mindestens die Befugnis der staatlichen Behörden einen Antrag nach § 97 ArbGG zu stellen die Koalitionsfreiheit unter eine unzulässige Staatsaufsicht stellt und infolgedessen nicht den Anforderungen der Verfassung genügt; |
58 | und ungeachtet vorstehender Anträge, |
59 | den Rechtstreit dem Gerichtshof der europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 234 EGV mit der Frage vorzulegen, |
60 | verstößt die bundesdeutsche Regelung in § 97 ArbGG, mit denen die Betätigungsfreiheit von Arbeitnehmerorganisationen (Gewerkschaften) unter einen Mächtigkeitsvorbehalt gestellt werden, gegen im Gemeinschaftsrecht geregelte und/oder angelegte grundlegende Rechte der Arbeitnehmer, ihrer Betätigungsfreiheit im Rahmen von Zusammenschlüssen und/oder den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zur „Kartellfreiheit“ von Arbeitnehmerverbünden jeglicher Art Ausdruck zu verleihen. |
61 | Die Beteiligten zu 1 - 4, 8 und 10 beantragen |
62 | die Beschwerden der Beteiligten zu 5 und 11 zurückzuweisen. |
63 | Die Beteiligte zu 6 beantragt, |
64 |
das Verfahren aufgrund Verfassungswidrigkeit des § 97 ArbGG und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Voraussetzungen der Tariffähigkeit, konkret dem Erfordernis der sozialen Mächtigkeit einer Koalition, wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. |
65 | Die übrigen Beteiligten haben keine eigenen Anträge gestellt. |
66 | Die Beteiligten zu 2 und 4 sind der Auffassung, dass der Zuständigkeitsbereich durch die Satzungsänderungen erheblich verändert worden sei, indem er einerseits enger gefasst wurde und andererseits weiter. |
67 | Die Beteiligte zu 10 ist der Auffassung, dass Vergleichsgrundlage für die Feststellung der Rechtskraft die Entscheidung aus dem Jahr 1956 sei, da anderenfalls die Tariffähigkeit prolongiert würde, obwohl Grundlage der nachfolgenden Beschlüsse gerade nicht die materiellen Voraussetzungen der Tariffähigkeit gewesen sei. Die Rechtskraft dieser Entscheidung sei durch die grundsätzliche Änderung des Charakters der DHV und die erhebliche Ausweitung ihres Zuständigkeitsbereichs unterbrochen. Denn dadurch hätten sich der Organisationsbereich und damit die Bezugsgröße zur Bestimmung des Organisationsgrades verändert. |
68 | Die Beteiligten zu 1 und 8 sind der Auffassung, dass die DHV durch die Satzungsänderungen eine qualitativ anders zu beurteilende Arbeitnehmervereinigung sei als noch im Jahr 1997. Die Änderung ihres Organisationsbereichs bedürfe einer materiellen Prüfung, da er insoweit noch nicht gerichtlich geklärt sei. Damit liege ein neuer Sachverhalt vor, der die Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidungen durchbreche. Es fehle der DHV an Durchsetzungsfähigkeit, da bei einem unterstellten Organisationsgrad von 1,07 Prozent der von der Rechtsprechung des BAG als Zweifelsfall bezeichnete 1,6 prozentige Organisationgrad um 1/3 unterschritten sei. Auf die Tarifarbeit der DHV komme es im Ergebnis nicht an, weil bereits der Organisationsgrad zu gering sei. |
69 | Wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie wegen ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. |
70 | Es ist von Amts wegen Beweis erhoben worden über die Mitgliedszahlen der DHV durch Einsicht in die notarielle Urkunde vom 22. Januar 2016 (Hülle Bl. 2008 d.A,) gemäß § 58 Abs. 3 ArbGG. Es ist von Amts wegen der Zeuge A. vernommen worden. Hinsichtlich der Beweisbeschlüsse wird auf die Sitzungsniederschrift vom 4. Mai 2016 Bezug genommen (Bl. 2606 ff d.A.). Der Zeuge hat im Wesentlichen bekundet, dass die Mitgliedszahlen der DHV sich auf ca. 70 bis 75.000 beliefen, dass es 13 hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre - ganz überwiegend in Vollzeit beschäftigt - gebe, außerdem 18 Verwaltungskräfte. Hinsichtlich der Einzelheiten und der weiteren Bekundungen des Zeugen wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 4. Mai 2016.
B. I. |
71 | Die Beschwerden sind gemäß §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und im Übrigen form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO). Soweit der Beteiligte zu 11 das Verfahren wieder beim Arbeitsgericht neu beginnen lassen möchte, ist dieses Begehren gemäß § 91 Abs. 1 Satz 2 ArbGG unzulässig. Der Vorschlag, das Verfahren dem EuGH und/oder gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, ist als Anregung zu verstehen, denn Umstände, die dies nahelegen würden, wären von Amts wegen zu berücksichtigen. |
72 | Das Verfahren konnte nicht gemäß § 148 ZPO ausgesetzt werden. Ist während des Rechtsstreits ein Befangenheitsantrag – wie hier - gegen beteiligte Richter durch eine rechtskräftige Beschwerdeentscheidung zurückgewiesen worden und hat eine Partei gegen diese Zwischenentscheidung Verfassungsbeschwerde eingelegt, kann der Rechtsstreit nicht bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt werden, da es insoweit an der erforderlichen Vorgreiflichkeit im Sinne von § 148 ZPO fehlt. (OLG Frankfurt 23. Februar 2016 – 6 W 22/16 –, OLG Hamm 29. Oktober 1998 – 27 W 44/98 - juris). Eine Verfassungsbeschwerde ist kein zusätzliches Rechtsmittel, ihr kommt weder ein Suspensiv- noch ein Devolutiveffekt zu (OLG Hamm aaO).
II. |
73 | Die Beschwerden sind begründet. |
74 | 1. Der im Rahmen des § 97 ArbGG – gemäß § 112 ArbGG in alter Fassung - angebrachte Antrag ist zulässig. |
75 | a. Der Antrag der Beteiligten von 1 bis 4 und 10 ist auf die Gegenwart gerichtet und nicht vergangenheitsbezogen. Den Antragstellern geht es ersichtlich um die gegenwärtige Feststellung, dass die DHV nicht tariffähig ist. Diese nicht vergangenheitsbezogenen Feststellungsanträge sind zulässig (BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 –; LAG Hamburg 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – juris) |
76 | b. Wer an dem Verfahren zur Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung zu beteiligen ist, ist von Amts wegen zu prüfen. Im Verfahren um die Tariffähigkeit der DHV sind notwendig gem. §§ 97 Abs. 2, 83 Abs. 3 ArbGG die Antragsteller, die DHV sowie diejenigen zu beteiligen, deren materielle Rechtsstellung unmittelbar betroffen ist. Dabei ist die Beteiligung der Spitzenverbände sowie der Arbeitsbehörde des Bundes ausreichend, wenn sich die Tarifzuständigkeit auf mehrere Bundesländer erstreckt. Darüber hinaus können sich auch einzelne Mitgliedsverbände am Verfahren beteiligen, wenn sie einen Sachantrag stellen. |
77 | aa. Die Gewerkschaft 1, die Gewerkschaft 2 und die Gewerkschaft 3 sind nach § 97 Abs. 1 ArbGG antragsberechtigt. Antragsberechtigt in einem Verfahren über die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition sind nach § 97 Abs. 1 ArbGG neben anderen eine räumlich und sachlich zuständige Vereinigung von Arbeitnehmern und die oberste Arbeitsbehörde eines Landes, auf dessen Gebiet sich die Tätigkeit der Vereinigung erstreckt. Die genannten Gewerkschaften verfügen über die notwendige Antragsbefugnis. Die Antragsbefugnis einer konkurrierenden Arbeitnehmervereinigung in einem Verfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG setzt kein weitergehendes eigenes Recht der Gewerkschaft voraus. Aus § 97 Abs. 1 ArbGG folgt die prozessuale Befugnis einer räumlich und sachlich zuständigen Vereinigung von Arbeitnehmern, die Tariffähigkeit einer anderen, ganz oder teilweise denselben Zuständigkeitsbereich beanspruchenden Arbeitnehmervereinigung gerichtlich klären zu lassen (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 27, juris). Es ist ausreichend, wenn sich der räumliche und sachliche Zuständigkeitsbereich der antragstellenden Gewerkschaft zumindest teilweise mit den Zuständigkeitsbereichen der Vereinigung deckt, deren Tariffähigkeit bestritten wird (BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 10/99 - ; 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 - juris). Soweit eine antragstellende Koalition die Tariffähigkeit einer anderen Vereinigung bestreitet, muss sie selbst tariffähig sein (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 28 mwN, aaO). Die Tariffähigkeit der antragstellenden Gewerkschaften wird von keinem der Beteiligten in Abrede gestellt. Die erforderliche Konkurrenz gegenüber der von der DHV beanspruchten Tarifzuständigkeit für die jeweils verschiedenen Bereiche liegt ebenfalls unstreitig vor. Der Gewerkschaftsbund 2 ist als Spitzenorganisation ebenfalls antragsbefugt. |
78 | bb. Auch die Länder B. und N. sind antragsbefugt. § 97 Abs. 1 ArbGG dient der Sicherung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie (BAG 28. Januar 2008 - 3 AZB 30/07 -; 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 - juris). Da der Gesetzgeber in der Vergangenheit weitgehend von der Normierung der Voraussetzungen für die Tariffähigkeit abgesehen hat, kann jede Arbeitnehmervereinigung ohne vorherige Zulassung am Tarifgeschehen teilnehmen und für ihre Mitglieder Vereinbarungen abschließen, die für sich die Geltung als Tarifvertrag beanspruchen. Das objektivierte Verfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG stellt das im Interesse einer funktionierenden Tarifautonomie dazu notwendige Korrektiv dar. Die gerichtliche Entscheidung soll klären, ob die Vereinigung die rechtlichen Voraussetzungen für den Abschluss von Tarifverträgen erfüllt. Die Antragsbefugnis zur Einleitung eines solchen Verfahrens hat der Gesetzgeber vorrangig den in § 97 Abs. 1 ArbGG genannten Vereinigungen und Stellen übertragen, sofern deren Interessen von der Tätigkeit der Vereinigung berührt werden. Hiervon geht das Gesetz bei der obersten Arbeitsbehörde des Bundes stets und bei den obersten Arbeitsbehörden der Länder dann aus, wenn die Tätigkeit der Koalition, deren Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit umstritten ist, sich auf das räumliche Gebiet des jeweiligen Bundeslandes erstreckt. Eine darüber hinausgehende Betroffenheit muss nicht vorliegen. Es steht mit dem Normzweck der §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 1 ArbGG in Einklang, wenn neben der obersten Arbeitsbehörde des Bundes auch die nach Landesrecht zuständigen obersten Arbeitsbehörden zugunsten der auf ihrem Landesgebiet tätigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine gerichtliche Entscheidung über die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung herbeiführen können, die für ihre Mitglieder die normative Regelung von Arbeitsbedingungen beansprucht. Die Antragsbefugnis der obersten Arbeitsbehörde eines Landes steht nicht unter dem Vorbehalt, dass sich die Tätigkeit der Vereinigung auf das Gebiet der antragstellenden Arbeitsbehörde eines Bundeslandes beschränkt (BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 – juris). |
79 | cc. Die dänische Gewerkschaft 4 war hingegen nicht zu beteiligen: Sie hat mit der DHV ein sogenanntes Grenzgängerabkommen geschlossen. Die DHV vertritt diejenigen Mitglieder der Gewerkschaft 4, die in Deutschland tätig sind. Damit ist die Gewerkschaft 4 im vorliegenden Verfahren nur mittelbar betroffen. Es geht im vorliegenden Verfahren um die Frage, ob die DHV tariffähig iSd. § 97 ArbGG ist. Auch bei rechtskräftiger Feststellung, dass sie es nicht ist, wäre ihre Rechtspersönlichkeit als Gewerkschaft nicht beseitigt. Sie könnte weiterhin Mitglieder der Gewerkschaft 4 in Deutschland vertreten. |
80 | c. Die Rechtskraft der Beschlüsse vom 10. Dezember 1956 des Arbeitsgerichts Hamburg, der Folgeverfahren und zuletzt des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 18. Februar 1997 steht einer erneuten Entscheidung über die Tariffähigkeit der DHV nicht entgegen. |
81 | aa. Insoweit ist von folgenden Rechtsgrundsätzen auszugehen: Auch Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (6. Juni 2000 – 1 ABR 21/99 -; 20. März 1996 - 7 ABR 41/95 -; 1. Februar 1983 - 1 ABR 33/78 - juris) der formellen und materiellen Rechtskraft fähig. |
82 | Formell rechtskräftig werden die Beschlüsse im Beschlussverfahren - wie Urteile im Urteilsverfahren -, wenn sie mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden können. Die von dieser äußeren Rechtskraft abhängige materielle (innere) Rechtskraft bedeutet, dass die in dem Beschluss behandelten Fragen durch die am Verfahren Beteiligten bei unverändertem Sachverhalt nicht erneut einer Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen unterbreitet werden können. Diese materielle Rechtskraft soll der Gefahr einer zweiten, widersprechenden Entscheidung begegnen, um Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu gewährleisten (BAG 6. Juni 2000 aaO.). |
83 | Das Fehlen entgegenstehender innerer Rechtskraft einer vorangegangenen Entscheidung ist negative Prozessvoraussetzung für die Folgeentscheidung; das gilt auch für die Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren. Folge der materiellen Rechtskraft eines früheren Beschlusses ist somit, dass eine erneute Entscheidung desselben oder eines anderen Gerichts innerhalb bestimmter objektiver, subjektiver und zeitlicher Grenzen ausgeschlossen ist. Nur innerhalb dieser Grenzen treten die Wirkungen der materiellen Rechtskraft ein. Ein Antrag, der die gleiche Streitfrage erneut zur Entscheidung stellt, ist unzulässig, weil der Rechtsschutz bereits gewährt wurde (vgl. BAG 6. Juni 2000 aaO. mwN.). |
84 | Diese Regel kann ausnahmsweise durchbrochen werden. In zeitlicher Hinsicht allerdings ist die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich nicht begrenzt. Der bloße Zeitablauf ist insoweit ohne Bedeutung. Dies gilt auch bei feststellenden Entscheidungen mit Dauerwirkung, etwa - wie hier - bei der Feststellung, dass eine bestimmte Arbeitnehmervereinigung eine Gewerkschaft ist oder nicht (BAG 6. Juni 2000 aaO.). Die Beendigung der Rechtskraft kommt aber bei Entscheidungen mit Dauerwirkung dann in Betracht, wenn sich die maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich ändern. Auch für Eigenschaften, die im Beschlussverfahren festgestellt werden, gilt demzufolge, dass die Rechtskraft dann einer erneuten Entscheidung nicht mehr im Wege steht, wenn sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt oder die Rechtslage wesentlich geändert haben. Es müssen sich dabei gerade diejenigen Tatsachen oder Rechtsgrundlagen geändert haben, die für die in der früheren Entscheidung ausgesprochene Rechtsfolge als maßgeblich angesehen worden sind (BAG 6. Juni 2000 aaO.; 20. März 1996 - 7 ABR 41/95 - juris). |
85 | bb. Übertragen auf vorliegenden Rechtsstreit bedeutet dies Folgendes: Nicht nur der Sachbeschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Dezember 1956, sondern auch zuletzt der Prozessbeschluss vom 18. Februar 1997 sind in materielle Rechtskraft erwachsen. Der vorliegende Hauptantrag ist mit dem Antrag des Verfahrens aus dem Jahre 1956 zwar nicht wörtlich identisch, dort wurde aber festgestellt, dass die DHV tariffähig ist. Die Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils, das mit dem Verfahren erstrebt wird, wird ebenfalls von den objektiven Grenzen der Rechtskraft erfasst (BAG 6. Juni 2000 aaO.). Gestützt auf denselben Sachverhalt wie die Anträge der Verfahren von 1956 und 1997 kann ein Antrag damit grundsätzlich nicht zulässig wiederholt werden. |
86 | Subjektiv wirkt die materielle Rechtskraft zwar prinzipiell nur zwischen den Parteien des Vorprozesses, § 325 ZPO; im Beschlussverfahren zwischen den Beteiligten. Im Falle des § 97 Abs. 1 ArbGG kommt es aber auf die - hier teilweise bestehende – Identität der Beteiligten nicht an, denn die Entscheidung gemäß § 97 ArbGG wirkt generell gegenüber jedermann (BAG 25. November 1986 - 1 ABR 22/85 – mwN. juris). |
87 | Der Antrag des hiesigen Verfahrens muss deshalb einen anderen Inhalt haben. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens kann nur sein, ob gegenüber den vorangegangenen Entscheidungen wesentliche rechtliche oder tatsächliche Veränderungen eingetreten sind (selbstverständlich nicht, ob die damaligen Entscheidungen zutreffend waren). In Rechtskraft erwachsen ist der Inhalt, dass die DHV tariffähig ist, sowie dass der Streitgegenstand zuletzt aus den Jahren 1995 und 1997 identisch mit dem Verfahren von 1956 war. |
88 | Anders gesagt: Alle rechtlichen und tatsächlichen Veränderungen zwischen den Jahren 1956 und der Entscheidung im Jahre 1997 sind nicht wesentlich, denn mit der Entscheidung vom 18. Februar 1997 ist genau das rechtskräftig festgestellt worden. Dies betrifft zunächst die Änderung der Rechtsprechung des BAG zur Frage der Mächtigkeit (9. Juli 1968 - 1 ABR 2/67 – juris), wobei offen bleiben kann, ob eine Rechtsprechungsänderung überhaupt eine wesentliche Änderung sein kann (vgl. die Nachweise bei BAG 6. Juni 2000 aaO. Rn 35). Jedenfalls hat schon der Beschluss des LAG Hamburg vom 29. Oktober 1980 (5 TaBv 1/80) die soziale Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als ein „Rudiment“ des zunächst vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten und dann aber von Bundesverfassungsgericht verworfenen Erfordernisses der Arbeitskampfbereitschaft genannt und festgestellt, dass deshalb das Arbeitsgericht sich in seinem Beschluss vom 10. Dezember 1956 bereits mit der Anforderung der sozialen Mächtigkeit beschäftigt und dies für die DHV ausdrücklich bejaht habe. |
89 | Dies betrifft auch die Änderung hinsichtlich der Gewerkschaftseigenschaft einer Arbeitnehmervereinigung in der Aufnahme der von der Rechtsprechung entwickelten maßgeblichen Kriterien in den Willen des Gesetzgebers durch die Ratifizierung des Staatsvertrages mit der DDR über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, die damit im vorliegenden Falle – anders im Falle der Entscheidung des BAG vom 6. Juni 2000 - eben keine wesentliche Änderung zur Durchbrechung der Rechtskraft darstellt. |
90 | Gleichfalls rechtskräftig entschieden war im Jahre 1997 damit, dass die seit dem Beschluss vom 10. Dezember 1956 eingetragenen Satzungsänderungen der DHV keine wesentliche Änderung der Verhältnisse ausmachten, denn die gerichtliche Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Tariffähigkeit einer Vereinigung entfaltet dann eine Bindungswirkung für nachfolgende Verfahren, wenn im Geltungsbereich der nämlichen Satzung diese Eigenschaften entweder streitgegenständlich oder nur als Vorfrage für den erhobenen prozessualen Anspruch zu beurteilen sind (BAG 23. Mai 2012 – 1 AZB 58/11). |
91 | Das bedeutet aber zugleich: Wenn die Vereinigung ihren Organisationsbereich in ihrer Satzung autonom festlegt (BAG 10. Februar 2009 – 1 ABR 36/08 – juris), kann damit eine dort eintretende Änderung durchaus eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse darstellen. Mit der Änderung der Satzung kann sich also der Lebenssachverhalt, der der vorhergehenden Entscheidung zugrunde lag, in einem wesentlichen Merkmal geändert haben (BAG 19. November 1985 – 1 ABR 37/83 – juris). |
92 | Vorliegend war deshalb zu prüfen, ob die Veränderungen der Satzungen der DHV zeitlich beginnend seit der Entscheidung des LAG Hamburg vom 18. Februar 1997 eine wesentliche Veränderung im Sinne einer Durchbrechung der Rechtskraft darstellen. Zu dieser Zeit galt § 2 Abs. 1 der Satzung 1972: |
93 | „Der DHV ist die Gewerkschaft der Angestellten im Handel, in der Industrie und dem privaten und öffentlichen Dienstleistungsbereich... |
94 | und weiter in § 3 Abs. 1: |
95 | „Die Mitgliedschaft im DHV können alle Angestellten im Handel, in der Industrie und im privaten und öffentlichen Dienstleistungsbereich (ordentliche Mitglieder) sowie die zu einem Angestelltenberuf Auszubildenden und Berufsanwärter (Jugendmitglieder) erwerben.“ |
96 | Die bis zum Jahre 1997 folgenden Satzungsänderungen enthielten keine vorliegend relevanten Änderungen hinsichtlich der Tarifzuständigkeit und der Mitgliedschaft im DHV. |
97 | Nach dem Jahre 1997 kam es zu einer Reihe von weiteren Satzungsänderungen. Für die Prüfung der Rechtskraft ist dabei – entgegen der Auffassung der Antragsgegner – nicht auf die zum Schluss der mündlichen Verhandlung geltende Satzung abzustellen. Die Rechtskraft entfällt vielmehr bei Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse und nicht erst durch Einleitung eines erneuten gerichtlichen Verfahrens oder durch Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung (vgl. BAG 6. Juni 2000 – 1 ABR 21/99 -: „Die Rechtskraftwirkung des Beschlusses … hatte indessen geendet, bevor das vorliegende Verfahren eingeleitet wurde“). Damit kann insbesondere die Satzungsänderung der DHV von 2012 die Rechtskraft beendet haben. Das ist – wie es auch das Arbeitsgericht sieht - der Fall. |
98 | Schon die Satzungsänderungen aus den Jahren 2006 („Die Mitgliedschaft können insbesondere Arbeitnehmer in kaufmännischen und verwaltenden Berufen erwerben…“) und 2009 (…Branchen…, in denen die DHV etablierter Tarifpartner ist oder in denen die DHV über eine hinreichende Repräsentativität verfügt…“) dienten der Erweiterung der Zuständigkeit der DHV beispielsweise in die Bereiche Deutsches Rotes Kreuz und Privatkliniken. Diese Satzungen hatten vor dem BAG keinen Bestand (10. Februar 2009 – 1 ABR 36/08; 17. April 2012 – 1 ABR 5/11 – juris). Zugleich waren sie Reflex auf die teilweise parallel laufenden Gerichtsverfahren und ausdrücklich begründet mit den Anforderungen der Rechtsprechung. In der Entscheidung vom 10. Februar 2009 (Rn 44) heißt es wörtlich: „Eine Satzungsauslegung, die eine Allzuständigkeit der DHV begründet, widerspricht zudem deren objektivem Interesse. Sie könnte zu ihrer Existenzvernichtung führen, weil sie ihre - nur zur früheren Fassung der Satzung rechtskräftig festgestellte - Tariffähigkeit in Gefahr brächte. Die DHV hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich ihre soziale Mächtigkeit für eine Allzuständigkeit als nicht ausreichend erweisen könnte“. Mit anderen Worten: Nicht nur kann eine Satzungsänderung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellen und die Vereinigung in existentielle Gefahr bringen; aufgrund der klaren Worte des BAG war die DHV gewahrschaut, ihre Funktionsträger und Mitglieder wussten um die Gefahr einer Verwässerung des Zuständigkeitsbereiches. |
99 | Mit dem Arbeitsgericht Hamburg ist eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in der Erstreckung des Organisationsbereichs auf alle Arbeitnehmer der genannten Branchen zu sehen. Die DHV ist von einer Angestellten-Gewerkschaft zu einer Gewerkschaft geworden, die auch gewerbliche Mitarbeiter erfasst. 1956 erstreckte sich der Zuständigkeitsbereich der DHV auf Kaufmannsgehilfen, 1978 dann auf Angestellte im Handel, der Industrie und im privaten und öffentlichen Dienstleistungsbereich. Ab 2002 wurden Arbeitnehmer in kaufmännischen und verwaltenden Berufen, die in der privaten Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst tätig sind, erfasst. 2012 wurde diese abstrakte Beschreibung kombiniert mit einer konkreten Branchenbeschreibung (Banken, Einzelhandel, Groß- und Außenhandel usw.) sowie zusätzlich auf die Leiharbeitnehmer in den Branchen erstreckt. Mit der Satzung 2012 wurden 15 Millionen Beschäftigungsverhältnisse erfasst. Mit dieser Satzung wurden die Zuständigkeitsbereiche dadurch charakterisiert, dass die organisierten Arbeitnehmer überwiegend Angestellte – nach altem Rechtsverständnis - sind und zwar im Durchschnitt zu 80 Prozent. Anders gesagt: eine Erstreckung der Zuständigkeit auf gewerbliche Arbeitnehmer im Umfang von 20 Prozent stellt eine erhebliche Änderung gegenüber dem – früheren – elitären Selbstverständnis der DHV dar. Dies und die Neuausrichtung der Satzung nach Branchen führen im Ergebnis dazu, dass dem Gericht ein Streit unterbreitet wird, der sich im Vergleich zu den vorangegangen, rechtskräftig entschiedenen Anträgen als ein neuer Streit darstellt. |
100 | 2. Die danach zulässig gestellten Anträge der Antragsteller sind allerdings unbegründet. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen dieses Gerichts und bei verfassungskonformer Auslegung des Gewerkschaftsbegriffs ist die Tariffähigkeit der DHV zu bejahen. |
101 | a. Das BAG fasst die anzuwendenden Rechtsgrundlagen in der GKH-Entscheidung (5. Oktober 2010 – 1 ABR 88/09 – juris, GKH = Gewerkschaft für Kunststoffgewerbe und Holzverarbeitung im Christlichen Gewerkschaftsbund) wie folgt zusammen: Weder der Begriff noch die Anforderungen, die an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung zu stellen sind, sind gesetzlich geregelt. § 2 Abs. 1 TVG bestimmt den Begriff der tariffähigen Gewerkschaft nicht, sondern setzt ihn voraus. Die Regelung in A III 2 des Staatsvertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 und dem Gemeinsamen Protokoll über Leitsätze, die nahezu wortgleich den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen entspricht, stellt ebenfalls keine gesetzliche Normierung der an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung zu stellenden Voraussetzungen dar. Sie hat zwar durch das Zustimmungsgesetz des Bundestags vom 25. Juni 1990 (BGBl. II S. 518) Aufnahme in den Willen des Gesetzgebers gefunden. Materielles Gesetz ist sie dadurch aber nicht geworden (BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 4 c der Gründe, BAGE 95, 47). Es ist daher Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, im Rahmen der an sie herangetragenen Streitigkeit den unbestimmten Rechtsbegriff durch Auslegung im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG auszufüllen (vgl. BVerfG 20. Oktober 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I 2 der Gründe, BVerfGE 58, 233) und dabei die im Zustimmungsgesetz vom 25. Juni 1990 zum Ausdruck gekommene Willensbekundung der Gesetzgebungsorgane der Bundesrepublik Deutschland zu beachten (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 36, BAGE 117, 308). |
102 | Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss eine Arbeitnehmervereinigung bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllen, um tariffähig zu sein. |
103 | aa. Die Koalition muss sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge zu schließen. |
104 | Dies ist bei der DHV satzungsgemäß bestimmt und nicht im Streit. |
105 | bb. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen.Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit ist allerdings nicht im formalen, sondern im materiellen Sinn zu verstehen. Es soll sicherstellen, dass die Vereinigung durch ihre koalitionsmäßige Betätigung zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens beitragen kann. Die erforderliche Gegnerunabhängigkeit fehlt, wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt und verstetigt und die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist. Daran ist insbesondere zu denken, wenn sie sich im Wesentlichen nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder finanziert und deshalb zu befürchten ist, dass die Arbeitgeberseite durch Androhung der Zahlungseinstellung die Willensbildung auf Arbeitnehmerseite beeinflussen kann. |
106 | Die DHV anerkennt das geltende Tarifrecht und sie ist gegnerfrei. Anders als im Jahre 1956 finden sich jedenfalls jetzt keine Hinweise darauf, dass die DHV gegnerfinanziert und korrupt sein könnte. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verfügt die DHV über nennenswerte jährliche Einnahmen, nämlich – bei der letztlich nachgewiesenen Mitgliederzahl von 70 bis 75.000 und einem Monatsbeitrag von ca. € 11,- - über ca. € ... (so auch der Haushaltsplan, Anl. AG 210, Bl. 2009 ff d.A.). Auch im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die DHV arbeitgebergesteuert ist. |
107 | cc. Eine Gewerkschaft muss auch von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Der Abschluss von Tarifverträgen erfordert Vorbereitungen. Hierfür sind die wirtschaftlichen Entwicklungen und sonstigen Rahmenbedingungen zu beobachten und zu prognostizieren, um daraus die Tarifforderungen zu entwickeln. Auch muss die tatsächliche Durchführung eines Tarifvertrags überwacht und abgesichert werden. Das Verhandlungsergebnis, das regelmäßig Kompromisscharakter hat, muss verbandsintern vermittelt und durchgesetzt werden. Die Erfüllung dieser Aufgaben muss eine Arbeitnehmervereinigung sicherstellen, um als Gewerkschaft Tarifverträge abschließen zu können. An den erforderlichen Organisationsaufbau können dabei keine starren Mindestanforderungen gestellt werden. Maßgeblich sind auch insoweit die Umstände des Einzelfalls. Entscheidend ist, ob die Organisation ihre Aufgaben in dem selbst bestimmten Zuständigkeitsbereich erfüllen kann. Erstreckt sich dieser auf das gesamte Bundesgebiet und auf Arbeitnehmer in einer Vielzahl von Berufen und Sparten, wird regelmäßig eine erhebliche organisatorische Ausstattung auch in der Fläche erforderlich sein. Meist wird eine leistungsfähige Organisation einen hauptamtlichen Mitarbeiterapparat erfordern. Unabdingbare Voraussetzung für eine Gewerkschaft ist die Beschäftigung hauptamtlicher Mitarbeiter aber nicht. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, eine leistungsfähige Organisation auch auf der Grundlage ehrenamtlicher Mitarbeit aufzubauen. Allerdings müssen dann die ehrenamtlichen Mitarbeiter über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen (BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 - m.w.N., juris). Anders gesagt: Es kann von einer Arbeitnehmervereinigung nicht eine Organisation verlangt werden, die ausschließlich oder überwiegend von Mitarbeitern getragen wird, die in einem Arbeitsverhältnis zu ihr stehen. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass die Arbeitnehmervereinigung über loyale Mitarbeiter verfügt, die ihr und ihren Mitgliedern im Konfliktfall verpflichtet sind und nicht dem bestimmenden Einfluss Dritter unterliegen. |
108 | Auch insoweit genügt die DHV den Anforderungen der Rechtsprechung. Sie hat seit dem Jahre 1950 ca. 24.000 Tarifverträge abgeschlossen und verfügt in ihrem bundesweiten Zuständigkeitsbereich über eine eigene Organisation, die hinreichend leistungsfähig ist, um die gestellten Aufgaben im Rahmen der Tarifautonomie auch als kleine Gewerkschaft zu erfüllen. Die DHV verfügt sogar über hauptamtliche Mitarbeiter. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gilt: Die DHV beschäftigt regelmäßig 13 hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre, genannt Geschäftsführer. Sicherlich gibt es bei diesen Stellen eine Fluktuation. Freie Stellen werden aber regelmäßig wiederbesetzt. Diese Mitarbeiter sind ganz überwiegend in Vollzeit beschäftigt. Mögen sie auch teilweise – ehrenamtlich – im Dachverband Gewerkschaftsbund 1 tätig sein, stehen sie hauptamtlich der DHV zur Verfügung. Dazu kommen 18 Verwaltungskräfte und es ergibt sich damit eine durchaus leistungsfähige Organisation. |
109 | Diese Erkenntnisse beruhen auf den Aussagen des Zeugen A.. Auch wenn er der frühere Vorsitzende der DHV war, hat die Kammer keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Er hat seine Aussagen detailliert und widerspruchsfrei gemacht und eingeräumt, wenn er Dinge nicht wusste oder Fragen nur nach Einblick in Unterlagen hätte beantworten können. Auch im Rahmen ihrer Stellungnahme zur durchgeführten Beweisaufnahme wurden ernsthafte Zweifel von Seiten der Antragsteller an seiner Glaubwürdigkeit nicht geäußert. |
110 | dd. Darüber hinaus muss die Vereinigung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts über Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler verfügen. Der ihr obliegenden Mitwirkung am Zustandekommen eines angemessenen, sozial befriedenden Interessenausgleichs kann sie nur sachgerecht nachkommen, wenn sie auf die Arbeitgeberseite zumindest so viel Druck ausüben kann, dass diese sich veranlasst sieht, sich auf Verhandlungen über tarifvertraglich regelbare Arbeitsbedingungen einzulassen (BAG vom 5. Oktober 2010 - 1 ABR 88/09 - juris). Diese Anforderungen an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition sichern die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und sind gemessen an diesem Regelungsziel – jedenfalls nach der vom BAG vorgefundenen Rechtslage im Jahre 2010 - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. |
111 | Die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation bestimmt sich nach einer Gewichtung der hierfür von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien entsprechend den Umständen des Einzelfalls. Dabei dürfen die jeweiligen Anforderungen an die Tariffähigkeit und damit an die soziale Mächtigkeit einer Arbeitnehmervereinigung nicht von Umständen abhängig gemacht werden, die nicht von der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Koalitionen, das Arbeitsleben zu ordnen und zu befrieden, gefordert werden. Anforderungen, die nicht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie geeignet, erforderlich und angemessen sind, überschreiten die Grenze der Ausgestaltung. Die damit verbundene Beeinträchtigung der Koalitionsbetätigungsfreiheit wäre verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Da die an die Tariffähigkeit zu stellenden Anforderungen nicht unverhältnismäßig auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte freie Bildung und Betätigung einer Koalition zurückwirken dürfen, kann Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sozialen Gegenspieler nicht bedeuten, dass die Arbeitnehmerkoalition die Chance des vollständigen Sieges haben muss. Es muss nur erwartet werden können, dass sie aufgrund ihrer Mitglieder- oder Organisationsstärke vom Gegner ernst genommen wird und deshalb die Regelung der Arbeitsbedingungen nicht einem Diktat der Arbeitgeberseite entspringt. |
112 | Für die einzelfallbezogene Beurteilung der Mächtigkeit und Leistungsfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung kommt der Mitgliederzahl eine entscheidende Bedeutung zu. Darüber hinaus kommt es auf die Teilnahme am Tarifgeschehen an. Die Zahl der organisierten Arbeitnehmer bestimmt zunächst die finanzielle Ausstattung einer Arbeitnehmerkoalition. Sie entscheidet über deren organisatorische Leistungsfähigkeit und auch darüber, ob eine Arbeitnehmervereinigung in der Lage ist, die mit dem Abschluss von Tarifverträgen verbundenen finanziellen und personellen Lasten zu tragen. Vor allem aber gibt die Mitgliederzahl im selbst gewählten fachlichen und räumlichen Zuständigkeitsbereich Aufschluss darüber, ob eine Arbeitnehmervereinigung unter Berücksichtigung ihres organisatorischen Aufbaus überhaupt in der Lage ist, hinreichenden Druck auf den sozialen Gegenspieler aufzubauen, um Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags zu erzwingen. Diese Fähigkeit kann sich auch daraus ergeben, dass es sich bei den organisierten Arbeitnehmern um Spezialisten in Schlüsselstellungen handelt, die von der Arbeitgeberseite im Fall eines Arbeitskampfes kurzfristig nur schwer ersetzt werden können. Insgesamt genügt es, wenn eine Arbeitnehmerkoalition eine mitgliedsbezogene Durchsetzungsfähigkeit in einem zumindest nicht unerheblichen Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs besitzt. Bereits dies lässt erwarten, dass sich die Vereinigung auch in den Bereichen, in denen es ihr an Durchsetzungskraft fehlt, beim Abschluss von Tarifverträgen nicht den Forderungen der Arbeitgeberseite unterwirft. |
113 | Verbleiben Zweifel an der durch die Mitglieder vermittelten sozialen Mächtigkeit und der organisatorischen Leistungsfähigkeit, kann zur Feststellung der Durchsetzungskraft einer Arbeitnehmerkoalition auch deren langjährige Teilnahme am Tarifgeschehen in die Beurteilung einbezogen werden. Eine eigene aktive und dauerhafte Beteiligung am Prozess der tariflichen Regelung von Arbeitsbedingungen in einem relevanten Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs kann ein Beleg dafür sein, dass die Koalition von der Arbeitgeberseite wahr- und ernstgenommen wird. Hat eine Arbeitnehmervereinigung originär ausgehandelte, eigenständige Tarifverträge in nennenswertem Umfang geschlossen, ist dieser Umstand geeignet, ihre Durchsetzungsfähigkeit zu belegen, soweit es sich nicht um Schein- oder Gefälligkeitstarifverträge handelt oder solche, die auf einem Diktat der Arbeitgeberseite beruhen. Tarifabschlüsse, die von einer Tarifgemeinschaft erzielt werden, können dagegen nicht als ein zuverlässiges Indiz dafür angesehen werden, dass die einzelnen Mitglieder der Tarifgemeinschaft jeweils für sich genommen von den Arbeitgebern ernst genommen werden und jeweils die erforderliche Durchsetzungskraft besitzen. In diesen Fällen kommt es vielmehr aufgrund des gemeinsamen Auftretens der in der Tarifgemeinschaft zusammengefassten Arbeitnehmervereinigungen zum Tarifabschluss, ohne dass den einzelnen Koalitionen hierbei individuelle Verhandlungsbeiträge zugeordnet werden können. Eine nennenswerte Anzahl bereits abgeschlossener Tarifverträge indiziert regelmäßig auch die organisatorische Fähigkeit zu deren Vorbereitung und Abschluss. Für die Fähigkeit, die tatsächliche Durchführung eines Tarifvertrags zu überwachen, gilt das allerdings nur eingeschränkt. Insoweit genügt aber, dass die Arbeitnehmerkoalition im Bedarfsfall die tatsächliche Einhaltung der von ihr geschlossenen Tarifverträge kontrollieren und gewährleisten kann (BAG vom 5. Oktober 2010 - 1 ABR 88/09 - m.w.N., juris). |
114 | b. Die Kammer versteht die der Rechtslage im Jahre 2010 entsprechenden Rechtsgrundsätze des BAG zur Mächtigkeit hierbei wie folgt: Nach der CGM-Entscheidung (28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – juris, CGM = Christliche Gewerkschaft Metall) belegt schon ein nennenswerter Umfang von abgeschlossenen Tarifverträgen regelmäßig die Durchsetzungskraft einer Arbeitnehmervereinigung, die bereits am Tarifgeschehen teilgenommen hat. Die GKH-Entscheidung präzisiert diese Anforderung insbesondere für junge Arbeitnehmerkoalitionen. Bei ihnen bemesse sich ihre Durchsetzungskraft vorrangig anhand der Mitgliederzahl und organisatorischen Leistungsfähigkeit. |
115 | Die beiden Kriterien, die für die soziale Mächtigkeit Bedeutung haben, sind demnach ein Mit-gliederbestand, der die Vereinigung in die Lage versetzt, hinreichenden Druck auf den sozialen Gegenspieler auszuüben und eine bisherige Teilnahme am Tarifgeschehen, die belegen kann, dass sie von der Arbeitgeberseite wahr- und ernstgenommen wird. Die Kriterien stehen dabei nicht belanglos nebeneinander. Je nach „Alter“ der Gewerkschaft kommt es mehr auf den einen oder den anderen Punkt an: Die CGM, eine Gewerkschaft die im Jahr 1899 gegründet wurde, konnte mit dem Abschluss von ca. 3.000 Anschlusstarifverträgen ihre Durchsetzungskraft belegen, obwohl ihre Organisationsstärke mit etwa 1,6 % allein diesen Schluss nicht zuließ. Die GKH hingegen war mit ihrer Gründung im Jahre 2003 eine junge Arbeitnehmervereinigung. Das LAG Hamm hatte ihre Mitgliederstärke nicht festgestellt und allein aufgrund der Zahl der abgeschlossenen Tarifverträge (120) ihre Leistungsfähigkeit bejaht (LAG Hamm 13. März 2009 – 10 TaBV 89/08). Das BAG stellte mit seiner Entscheidung vom 5. Oktober 2010 klar, dass dieser Schluss unzutreffend war. Denn auch in der CGM-Entscheidung hatte das BAG auf eine Feststellung des Organisationsgrades nicht verzichtet, sondern nur die Frage offen gelassen, ob allein der Organisationsgrad der CGM ausreichend sei, um ihre Durchsetzungskraft zu bejahen. Die Feststellung des Mitgliedsbestands sei vor allem bei einer jungen Arbeitnehmerkoalition unentbehrlich, da ihre Tariffähigkeit nicht mit dem Abschluss von Tarifverträgen entstehe, sondern dafür Voraussetzung sei. Dass die Arbeitgeberseite eine Arbeitnehmervereinigung beim erstmaligen Aushandeln eines Tarifvertrags ernst genommen habe, sei anhand der Mitgliederzahl oder -struktur zu ermitteln. Anderenfalls bestehe das Potential für Missbrauch, denn die Arbeitgeberseite könnte sich nur deshalb auf einen Tarifabschluss eingelassen haben, um die Arbeitsbedingungen auf eine für sie günstige Weise zu regeln. |
116 | Die Entscheidung des BAG in Sache der GKH hat damit nicht mit den Grundsätzen der CGM-Entscheidung gebrochen, sondern sie für die Feststellung der Tariffähigkeit junger Arbeitnehmerkoalitionen ergänzt. Allein die Feststellung der Tarifabschlüsse von nennenswertem Umfang genügt dann nicht für die Durchsetzungskraft einer Arbeitnehmervereinigung, da anderenfalls bei jungen Gewerkschaften ein Korruptionsanreiz begründet würde, möglichst schnell viele Tarifabschlüsse zu erwirken. Deshalb kommt der Mitgliederzahl entscheidende Bedeutung zu, bei Zweifeln an der durch die Mitglieder vermittelten sozialen Mächtigkeit und organisatorischer Leistungsfähigkeit kommt es darüber hinaus auf die Teilnahme am Tarifgeschehen an. Die Tariffähigkeit einer etablierten Arbeitnehmervereinigung soll nach diesen Grundsätzen nicht daran scheitern, dass kein großer Mitgliedsbestand aufgezeigt werden kann. In diesem Fall kann auch die aktive und dauerhafte Teilnahme am Tarifgeschehen die soziale Mächtigkeit belegen. Sie stellt dann nicht nur ein Indiz der Tariffähigkeit dar, sondern ihren Beleg. |
117 | Welche Organisationsstärke eine Arbeitnehmervereinigung aufweisen muss, um tariffähig zu sein, lässt sich nicht pauschal beantworten. In der Rechtsprechung findet sich der Wert von 0,3 % als ein Organisationsgrad, der die Durchsetzungskraft umfassend in Frage stelle (BAG 14. Dezember 2010 – 1 ABR 19/10 – Rn 107, juris), bzw. 1 Prozent (LAG Hamburg 21. März 2012 - 3 TaBV 7/11 – juris, zu Medsonet) sowie der Wert von 1,6 %, bei dem Zweifel an der Durchsetzungskraft bestünden (CGM-Entscheidung). |
118 | c. In Anwendung dieser vom BAG aufgestellten Grundsätze auf vorliegenden Einzelfall ist zunächst festzustellen, dass die DHV keine junge Gewerkschaft ist, bei der es auf die Zahl der abgeschlossenen Tarifverträge eher weniger ankommen könnte. Die DHV wurde im 19. Jahrhundert gegründet und verlor ihre Gewerkschaftseigenschaft im Jahre 1933. Art. 9 Abs. 3 GG wurde geschaffen, damit Gewerkschaften wieder gebildet werden konnten, nachdem man sie in den fatalen 12 Jahren nach 1933 gerade beseitigt hatte (Gamillscheg AuR 2015, 223). Die DHV wurde im Jahre 1950 neugegründet. Satzungsänderungen, die aufbauend auf diese lange Tradition der DHV Zuständigkeitsbereiche erweitern, teilweise neu zuschneiden und zu einem Anteil von 20% gewerblichen Mitarbeitern führen, lassen nicht den Schluss zu, es handele sich um eine Neugründung, eine neue Vereinigung iS. vorgenannter Rechtsprechung. |
119 | Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme treffen die Angaben der DHV über die Zahl der seit dem Jahre 1950 geschlossenen Tarifverträge und ihre Mitgliederzahl in den vergangenen Jahren zu. Der Zeuge A. hat die Zahl der seit dem Jahre 1950 abgeschlossenen Tarifverträge mit ca. 25.000 angegeben, eher mehr. Der Zeuge A. hat glaubhaft von ca. 70 bis 75.000 Mitgliedern gesprochen. Diese Zahlen seien ihm aufgrund seiner Eigenschaft als früherer Vorsitzender bekannt. Seine Angaben werden bestätigt durch die gemäß § 58 Abs. 3 ArbGG zum Gegenstand der Anhörung gemachte notarielle Urkunde vom 22. Januar 2016 (Anl. AG 209, Bl. 2008 d.A.). Die Notarin bescheinigt darin, dass ihr ein Schriftstück im Umfang von 954 Seiten vorgelegt worden sei. Es sei ihr mitgeteilt worden, dass dieses Schriftstück die Datensätze der DHV-Mitglieder wiedergebe. Jede Seite würde um die 77 Datensätze (u.a. Mitgliedsnummer, Namen, Adressen) enthalten und die Datensatznummern würden jedenfalls fortlaufend erscheinen. Die letzte Zahl laute 73.451. Jedenfalls in Verbindung mit der Zeugenaussage stellt sich die notarielle Urkunde als weiteres Erkenntnismittel mit schlüssigen Angaben für das Beweisthema dar. |
120 | Angesichts dieses damit nachgewiesenen Organisationsgrades, der Vielzahl der abgeschlossenen Tarifverträge und der langen Geschichte der DHV als alter, wenn auch kleiner Gewerkschaft ist deshalb bei einer Gesamtwürdigung des Einzelfalles von einer hinreichenden Mächtigkeit und damit ihrer Tariffähigkeit auszugehen. |
121 | d. Darüber hinaus ist aufgrund neuerer Gesetze zur Regelung der Tarifautonomie die Mächtigkeitsrechtsprechung des BAG zu überdenken. Zumindest ist nach Auffassung der Kammer der Maßstab für die Prüfung der Mächtigkeit einer Arbeitnehmervereinigung wegen dieser veränderten rechtlichen Situation in Anbetracht des aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Schutzes zugunsten der kleinen Gewerkschaften nicht nur unbedeutend abzusenken. |
122 | Das Erfordernis einer gewissen „Verbandsmacht" stellt herkömmlich ein geeignetes und erforderliches Mittel der Bestimmung der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung dar. Es sollen nur solche Koalitionen an der Tarifautonomie teilnehmen können, die in der Lage sind, den von der staatlichen Rechtsordnung freigelassenen Raum des Arbeitslebens durch Tarifverträge zu gestalten, und so die Gemeinschaft zu befrieden. Dazu gehört eine gewisse „Mächtigkeit" (BVerfG 16. September 1991 - 1 BvR 453/90 – juris). Indem die Rechtsprechung des BAG einer nicht durchsetzungsfähigen Koalition die Tariffähigkeit nicht zuerkennt und dies damit anderen - durchsetzungsfähigen – Koalitionen zuweist, sorgt sie für ein funktionierendes Tarifsystem und vermeidet, dass der Staat zur sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens gezwungen wird, Arbeitsbedingungen festzusetzen (Gamillscheg AuR 2015, S.225). Der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG rechtfertigt sich somit durch die Gewährleistung eines funktionsfähigen – staatsfernen - Tarifvertragssystems. |
123 | Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet jedermann das Recht, zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Die individualrechtliche Gewährleistung setzt sich nach feststehender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in einem Freiheitsrecht der Koalitionen selbst fort. Es schützt ihren Bestand und ihre Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte. Geschützt sind ferner die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre innere Ordnung sowie ihre Tätigkeiten zum Zwecke der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder (BVerfG 24. Februar 1999 – 1 BvR 123/93 – juris). |
124 | In dieses bewährte System aus Grundrecht und dessen Einschränkung durch das Erfordernis eines funktionierenden Tarifvertragssystems hat der Staat allerdings auch in Folge der Rechtsprechung des BAG zur Tarifpluralität (7. Juli 2010 - 4 AZR 537/08 – juris) mittlerweile eingegriffen: Die seit 1. Juli 2015 im Rahmen des Tarifeinheitsgesetzes in Kraft getretene in § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG geregelte Verdrängung des Minderheitentarifs greift stark zum Nachteil kleinerer Gewerkschaften in deren Koalitionsfreiheit ein. Wenn nach der Begründung (BT-Drs. 18/4082) im Kollisionsfall „im Sinne der Tarifeinheit“ entschieden werden soll, dann wird ein Arbeitskampf der Minderheitsgewerkschaft unverhältnismäßig und unzulässig sein (Greiner NZA, 776). Wenn dieser Eingriff gerechtfertigt wird mit der Sicherung der Schutzfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrages, § 4a Abs. 1 TVG, also der Tarifautonomie, ist zu fragen, inwieweit es dann noch der Mächtigkeitskontrolle kleinerer Gewerkschaften bedarf, deren Streikfähigkeit und damit Attraktivität für potentielle Mitglieder sowieso schon stark eingeschränkt ist. Die Antwort lautet: Zur Sicherung einer funktionierenden Tarifautonomie ist damit eine Mächtigkeitskontrolle im jedenfalls herkömmlichen Ausmaß bei der Prüfung der Tariffähigkeit im Rahmen des bewusst vom Gesetzgeber nicht abgeschafften § 97 ArbGG nicht mehr erforderlich. |
125 | Hinzu kommt, dass durch die Vorgaben eines Mindestlohns der Gesetzgeber den wichtigsten Parameter des Arbeitslebens bereits nach unten hin festgesetzt hat. Einer einseitigen Festlegung der Arbeitgeberseite aufgrund einer nicht durchsetzungsfähigen Arbeitnehmervereinigung sind damit im Bereich der Löhne richtigkeitsgewährende Grenzen gesetzt. Die sozialstaatliche Ordnungs- und Schutzaufgabe der Tarifvertragsparteien hat durch den Mindestlohn spürbar an Bedeutung verloren. Der Staat hat eingegriffen. |
126 | Zwar ist es weiterhin gerechtfertigt und geboten, gewisse Mindestanforderungen an den Organisationsgrad einer Arbeitnehmervereinigung zu stellen, da Tarifpluralität nicht schlechthin ausgeschlossen ist. Der Gesetzgeber hat den § 97 ArbGG nicht abgeschafft. Wegen des Filters der Mitgliederstärke bei der Anwendbarkeit eines Tarifvertrags im Betrieb über § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG und der gesetzlich festgelegten Lohnuntergrenze des § 1 MiLoG sind die zu erfüllenden Quoten jedoch im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu hoch anzusetzen. Bei Gewerkschaften wie der DHV, die bereits dauerhaft am Tarifleben teilgenommen und Tarifverträge im nennenswerten Umfang geschlossen haben, ist bei der Prüfung gemäß § 97 ArbGG aus verfassungsrechtlichen Gründen der Maßstab der Mächtigkeitskontrolle bis hin zu einer Bagatellkontrolle abzusenken. Auch wenn die Mitgliederstärke der DHV danach bezogen auf ihren Zuständigkeitsbereich einen Anteil von ca. 1 % oder knapp darunter ergibt, so lässt sich ihre Tariffähigkeit angesichts ihrer langjährigen Tradition, der Zahl der abgeschlossenen Tarifverträge und angesichts der gesetzgeberischen Aktivitäten im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht verneinen. |
127 | Die erstinstanzliche Entscheidung war deshalb abzuändern, die Anträge waren zurückzuweisen.
C. |
128 | Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. |
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