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LAG Ham­burg, Be­schluss vom 04.05.2016, 5 TaBV 8/15

   
Schlagworte: Tariffähigkeit, Gewerkschaft, Tarifvertrag
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Aktenzeichen: 5 TaBV 8/15
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 04.05.2016
   
Leitsätze: 1. Die Rechtskraft einer Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft kann durch erhebliche Satzungsänderungen beseitigt werden. Hierbei ist nicht nur auf die zuletzt geltende Satzung abzustellen. Auch eine zwischenzeitlich erfolgte - weitergehende - Satzungsänderung kann den Schutz der Rechtskraft unwiederbringlich beseitigen.
2. Bei lange existierenden Gewerkschaften wird bei der Mächtigkeitskontrolle im Rahmen eines Verfahrens nach § 97 ArbGG nicht allein auf den Organisationsgrad, sondern auch auf das Tarifgeschehen in der Vergangenheit abgestellt.
3. Mit dem Tarifeinheitsgesetz und dem Mindestlohngesetz existieren Regelungen zum Erhalt einer funktionierenden Tarifautonomie, die eine Mächtigkeitskontrolle durch die Rechtsprechung anhand der Mitgliederzahl verfassungsrechtlich weniger erforderlich machen. Der Maßstab für diese Prüfung ist deshalb nicht unerheblich abzusenken.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 19.06.2015, 1 BV 2/14
nachgehend
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26.06.2018, 1 ABR 37/16
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg 5. Kam­mer, Be­schluss vom 04.05.2016, 5 TaBV 8/15

Te­nor

Auf die Be­schwer­de der Be­tei­lig­ten zu 5 und 11 wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 19. Ju­ni 2015 - 1 BV 2/14 - ab­geändert:

Die Anträge wer­den zurück­ge­wie­sen.

Die Rechts­be­schwer­de wird zu­ge­las­sen.

Gründe

1 Die Be­tei­lig­ten strei­ten im Ver­fah­ren gemäß § 97 ArbGG um die Fra­ge der Ta­riffähig­keit der „DHV - Die Be­rufs­ge­werk­schaft e.V.“ (im Fol­gen­den: DHV).
2 An­trag­stel­le­rin ist die Ge­werk­schaft 1, wei­te­re An­trag­stel­le­rin­nen sind die Ge­werk­schaft 2, die Ge­werk­schaft 3sowie die Se­nats­ver­wal­tung für Ar­beit, In­te­gra­ti­on und So­zia­les des Lan­des Ber­lin(Bet. 1 – 4). Das Land N., ver­tre­ten durch das Mi­nis­te­ri­um für Ar­beit, In­te­gra­ti­on und So­zia­les, hat sich mit Schrift­satz vom 13. Fe­bru­ar 2014 an­ge­schlos­sen (Bet. zu 10).
3 An­trags­geg­ne­rin ist die DHV (Bet. zu 5), ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung, die Mit­glied im Ge­werk­schafts­bund 1 ist, der eben­falls im Ver­fah­ren be­tei­ligt ist (Bet. zu 6).
4 Die An­trags­geg­ne­rin wur­de erst­mals 1893 ge­gründet, am 1. Ok­to­ber 1950 er­folg­te ih­re Neu­gründung un­ter dem Na­men Deut­scher Hand­lungs­ge­hil­fen Ver­band e.V., am 20. De­zem­ber 1950 ein­ge­tra­gen in das Ver­eins­re­gis­ter Ham­burg.
5 Wei­te­re Be­tei­lig­te sind der Spit­zen­ver­band 1 (Bet. zu 7), der Ge­werk­schafts­bund 2 (Bet. zu 8), die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­tre­ten durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les (Bet. zu 9) und der Ar­beit­ge­ber­ver­band 1(Bet. zu 11).
6 Die Fra­ge der Ta­riffähig­keit der DHV – wie auch die ih­rer Ta­rif­zuständig­keit – war be­reits mehr­fach Ge­gen­stand ar­beits­ge­richt­li­cher Ver­fah­ren. Mit Be­schluss vom 10. De­zem­ber 1956 (2 BV 366/56 – Anl. A 5 Bl. 102 d.A.) stell­te das Ar­beits­ge­richt Ham­burg ih­re Ta­riffähig­keit auf der Grund­la­ge der Sat­zun­gen vom 1. Ju­li 1952 bzw. 1. Ju­li 1954 fest. Zu­letzt wies das Ar­beits­ge­richt Ham­burg mit Be­schluss vom 9. No­vem­ber 1995 (1 BV 8/92 - Bl. 107 d.A.) ei­nen An­trag der Ge­werk­schaft 1 auf Fest­stel­lung der feh­len­den Ta­riffähig­keit der DHV als un­zulässig zurück we­gen wei­ter­hin ent­ge­gen­ste­hen­der Rechts­kraft des Be­schlus­ses aus dem Jah­re 1956. Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Be­schwer­de wies das LAG Ham­burg mit Be­schluss vom 18. Fe­bru­ar 1997 (2 TaBV 9/95 – Bl. 156 d.A.) zurück.
7 Nach der Sat­zung der An­trags­geg­ne­rin aus dem Jahr 1956 ver­stand sich die­se als „Zu­sam­men­schluss der Deut­schen Kauf­manns­ge­hil­fen auf christ­lich na­tio­na­ler Grund­la­ge zur He­bung ih­rer wirt­schaft­li­chen und so­zia­len La­ge“. 1978 wur­de die Sat­zung da­hin geändert, dass sie ei­ne „Ge­werk­schaft der An­ge­stell­ten im Han­del, in der In­dus­trie und im pri­va­ten und öffent­li­chen Dienst­leis­tungs­be­reich“ sei. Ab 2002 hieß es in der Sat­zung der DHV u.a.:
8 „Der DHV ist ei­ne Ge­werk­schaft der Ar­beit­neh­mer in kaufmänni­schen und ver­wal­ten­den Be­ru­fen, die in der pri­va­ten Wirt­schaft und dem öffent­li­chen Dienst tätig sind.“
9 Die DHV ist mit 9 Lan­des­verbänden bun­des­weit tätig. Ei­ne Viel­zahl von Man­datsträgern (Auf­sichtsräte, Be­triebs- und Per­so­nalräte) sind bei ihr or­ga­ni­siert. Sie gewährt ih­ren Mit­glie­dern Rechts­schutz, hat seit dem Jah­re 1950 nach ih­ren An­ga­ben ca. 24.000 Ta­rif­verträge ab­ge­schlos­sen, Warn­streiks geführt und Ta­rif­ver­hand­lun­gen ab­ge­bro­chen.
10 Auf ei­nem außer­or­dent­li­chen Bun­des­ge­werk­schafts­tag vom 16./17. No­vem­ber 2012 be­schloss die An­trags­geg­ne­rin nach wei­te­ren zwi­schen­zeit­li­chen Sat­zungsände­run­gen ih­ren Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich wie folgt (Anl. A 10, Bl. 188 d.A.):
11 „1. Die DHV ist ta­rif­zuständig für al­le Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer in den nach­fol­gen­den Be­rei­chen und schließt für die­se Ta­rif­verträge ab:
12 - Ban­ken, Spar­kas­sen, Bau­spar­kas­sen
- Ein­zel­han­del
- Groß- und Außen­han­del
- Han­del mit Kraft­fahr­zeu­gen
- Ge­setz­li­che So­zi­al­ver­si­che­rung
- La­ge­rei und Wa­ren­lo­gis­tik
- Ver­si­che­rungs­wirt­schaft
- Ein­rich­tun­gen der Kran­ken- und Al­ten­pfle­ge
- Pri­va­te Kli­ni­ken und Kran­kenhäuser
- Ret­tungs­diens­te
- Ar­bei­ter­wohl­fahrt
- Deut­sches Ro­tes Kreuz
- Pa­ritäti­scher Wohl­fahrts­ver­band
- Che­mi­sche Rei­ni­gung / Tex­til­rei­ni­gungs­dienst­leis­tun­gen
- Fleisch­wa­ren­in­dus­trie
13 so­wie Ne­ben­be­trie­be, die Dienst­leis­tun­gen für die­se er­brin­gen, je­doch recht­lich aus­ge­glie­dert und selbstständig sind.
14 2. Die DHV ist ta­rif­zuständig für Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer in kaufmänni­schen und ver­wal­ten­den Be­ru­fen.
15 3. Die Ta­rif­zuständig­keit er­streckt sich auch auf Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit-neh­mer, die in ei­ner in Zif­fer 1 auf­geführ­ten Bran­che im Sin­ne des Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­set­zes über­las­sen wer­den.“
16 Die­ser Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich er­streck­te sich auf et­wa 15 Mio. Beschäfti­gungs­verhält­nis­se.
17 Auf ih­rem 20. or­dent­li­chen Bun­des­ge­werk­schafts­tag am 7./ 8. No­vem­ber 2014 be­schloss die DHV ei­ne Sat­zungsände­rung, die am 25. Fe­bru­ar 2015 in das Ver­eins­re­gis­ter ein­ge­tra­gen wur­de. Seit­dem heißt es in § 2 der Sat­zung (A 24, Bl. 1083 d.A.):
18 1. Die DHV ist ta­rif­zuständig für al­le Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer in den nach­fol­gen­den Be­rei­chen und schließt für die­se Ta­rif­verträge ab:
19 - Pri­va­te Ban­ken und Bau­spar­kas­sen, Volks- und Raiff­ei­sen­ban­ken, Lan­des/Förder­ban­ken, Spe­zial­in­sti­tu­te, Spar­kas­sen
- Ein­zel­han­dels­geschäfte, Wa­ren- und Kaufhäuser, Ver­brau­chermärk­te, Fi­li­al­be­trie­be im Ein­zel­han­del, Ver­sand­han­del, Dro­ge­ri­en, Zen­tral­la­ger, Tank­stel­len, zuzüglich der han­dels­un­terstützen­den, sta­ti­onären und straßen­ge­bun­de­nen Wa­ren­lo­gis­tik
- Bin­nen­großhan­del, Cash- und Car­rymärk­te, Han­dels­un­ter­neh­men und Aus­lie­fe­rungs­la­ger al­ler In­dus­tri­en, Ein- und Aus­fuhr­han­del, ge­nos­sen­schaft­li­cher Großhan­del, zuzüglich der han­dels­un­terstützen­den, sta­ti­onären und straßen­ge­bun­de­nen Wa­ren­lo­gis­tik
- Ge­setz­li­che Kran­ken­kas­sen
- Pri­va­tes und öffent­lich-recht­li­ches Ver­si­che­rungs­ge­wer­be
- Ein­rich­tun­gen der pri­va­ten Al­ten- und Be­hin­der­ten­pfle­ge so­wie der Ju­gend­hil­fe
- Kli­ni­ken und Kran­kenhäuser in pri­vat­recht­li­cher Rechts­form
- Ret­tungs­diens­te
- Ar­bei­ter­wohl­fahrt und Toch­ter­ge­sell­schaf­ten
- Deut­sches Ro­tes Kreuz und Toch­ter­ge­sell­schaf­ten
- Tex­til­rei­ni­gung und Tex­til­rei­ni­gungs­dienst­leis­tun­gen
- Fleisch­wa­ren­in­dus­trie
- IT Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men für Steu­er­be­ra­ter, Wirt­schafts­prüfer und Rechts­anwälte
- Rei­se­ver­an­stal­ter
20 so­wie Ne­ben­be­trie­be, die Dienst­leis­tun­gen für die­se er­brin­gen, je­doch recht­lich aus­ge­glie­dert und selbstständig sind.
21 2. Die DHV ist auch ta­rif­zuständig für Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer in kaufmänni­schen und ver­wal­ten­den Be­ru­fen bei kom­mu­na­len Ar­beit­ge­bern und bei Körper­schaf­ten des öffent­li­chen Rechts auf kom­mu­na­ler Ebe­ne.“
22 Die­ser Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich er­streckt sich nach An­ga­ben der DHV auf ca. 7,01 Mio., nach An­ga­ben der An­trag­stel­ler auf et­wa 11,4 Mio. Beschäfti­gungs­verhält­nis­se.
23 Mit An­trags­schrift vom 28. No­vem­ber 2013 wur­de das vor­lie­gen­de Be­schluss­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet mit dem Ziel der Fest­stel­lung, dass die An­trags­geg­ne­rin nicht ta­riffähig sei.
24 Die An­trag­stel­ler ha­ben vor­ge­tra­gen, die Rechts­kraft der frühe­ren ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen ste­he ei­ner Sach­ent­schei­dung an­ge­sichts des durch die Sat­zungsände­run­gen 2012 und 2014 er­heb­lich aus­ge­wei­te­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reichs der DHV nicht ent­ge­gen.
25 Der DHV feh­le die er­for­der­li­che Mäch­tig­keit und Leis­tungsfähig­keit für ei­ne ta­riffähi­ge Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung. Es sei von höchs­tens 10.000 Mit­glie­dern aus­zu­ge­hen. Dies führe zu ei­nem Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad von ma­xi­mal 0,07 % (Sat­zung 2012) bis je­den­falls un­ter 0,1 % (Sat­zung 2014). Die DHV ha­be in­so­weit auch kei­ne hin­rei­chen­de fi­nan­zi­el­le Aus­stat­tung, um ih­rem An­spruch als deutsch­land­weit für 10 bis 15 Mio. Beschäfti­gungs­verhält­nis­se zuständi­ge Ver­ei­ni­gung zu ent­spre­chen.
26 Die DHV wei­se kei­ne ei­genständi­ge Aus­stat­tung auf. Die Räume würden ge­mein­sam ge­nutzt u.a. mit dem Ge­werk­schafts­bund 1 und an­de­ren christ­li­chen Ge­werk­schaf­ten.
27 Sie sei auf­grund ih­rer Sat­zungsände­run­gen als „jun­ge“ Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung i.S.d. BAG-Recht­spre­chung an­zu­se­hen.
28 Maßstab für die Fra­ge, ob die Rechts­kraft der er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen ei­ner Neu­ent­schei­dung in der Sa­che ent­ge­gen­ste­he, sei­en die tatsächli­chen Verhält­nis­se des Jah­res 1956 ge­genüber der ak­tu­el­len Sach­la­ge. Denn die da­nach er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen ent­hiel­ten kei­ne ma­te­ri­ell-recht­li­che Prüfung der Fra­ge der Ta­riffähig­keit gestützt auf neue Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen. Die Rechts­kraft die­ne nicht der Ver­stei­ne­rung recht­li­cher und tatsäch­li­cher Verhält­nis­se. In­so­weit kom­me es nur dar­auf an, ob sich der ent­schei­dungs­er­heb­li­che Sach­ver­halt we­sent­lich geändert ha­be. Dies sei hier der Fall.
29 Die Be­tei­lig­ten zu 1 bis 4 so­wie die Be­tei­lig­te zu 10 ha­ben be­an­tragt
30 fest­zu­stel­len, dass die DHV nicht ta­riffähig ist.
31 Die DHV und die Be­tei­lig­te zu 11 ha­ben be­an­tragt,
32 den An­trag ab­zu­wei­sen.
33 Die übri­gen Be­tei­lig­ten ha­ben kei­ne ei­ge­nen Anträge ge­stellt.
34 Die DHV hat vor­ge­tra­gen, die Anträge sei­en un­zulässig. Be­reits die rechts­kräfti­gen Ent­schei­dun­gen des Ar­beits­ge­richts bzw. Lan­des­ar­beits­ge­richts stünden ei­ner er­neu­ten Ent­schei­dung über ih­re Ta­riffähig­keit ent­ge­gen. In­fol­ge der Sat­zungsände­run­gen lie­ge kei­ne we­sent­li­che Verände­rung des ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Sach­ver­hal­tes vor, die ei­ne Rechts­kraft­durch­bre­chung recht­fer­ti­gen würde. Ins­be­son­de­re lie­ge kei­ne maßgeb­li­che Er­wei­te­rung ih­res Zuständig­keits­be­reichs vor. Sie ver­ste­he sich nach wie vor vor­wie­gend als kaufmänni­scher Be­rufs­ver­band, der Ar­beit­neh­mer der kaufmännisch ver­wal­ten­den Be­ru­fe und der pri­va­ten Dienst­leis­tungs­be­rei­che or­ga­ni­sie­re. Die Sat­zungsände­run­gen seit den 2000er Jah­ren hätten zu ei­ner Ein­gren­zung ih­res Zuständig­keits­be­reichs geführt. Wenn die Ar­beits­ge­rich­te in den 1990er Jah­ren kei­ne Ver­an­las­sung ge­se­hen hätten, ei­ne Rechts­kraft­durch­bre­chung an­zu­neh­men, müsse dies erst recht für späte­re Ein­schränkun­gen ih­res Zuständig­keits­be­reichs gel­ten.
35 Das Ver­fah­ren sei treu­wid­rig ein­ge­lei­tet. Es sol­le po­li­tisch mo­ti­viert oh­ne an­er­ken­nens­wer­ten Schutz­zweck der ge­werk­schaft­li­che Ver­drängungs­wett­be­werb zu­guns­ten eta­blier­ter Ge­werk­schaf­ten [des Ge­werk­schafts­bun­des 2] gefördert und ein un­erwünsch­ter Ge­werk­schafts­mo­no­po­lis­mus her­auf­be­schwo­ren wer­den. Nach­weis­lich funk­tio­nie­re die Ta­rif­au­to­no­mie mit ihr, der DHV, seit Jahr­zehn­ten. Das Ver­fah­ren wer­de maßgeb­lich durch die ge­setz­ge­be­ri­schen Be­stre­bun­gen zur Schaf­fung ei­nes Ta­rif­ein­heits­ge­set­zes be­ein­flusst.
36 Die durch Art. 9 Abs. 3 GG ge­si­cher­te freie Ko­ali­ti­ons­bil­dung dürfe nicht durch übermäßig ho­he An­for­de­run­gen an die Ta­riffähig­keit aus­gehöhlt und ein­ge­schränkt wer­den.
37 Das Feh­len der Durch­set­zungs­kraft in ei­nem Teil­be­reich des be­an­spruch­ten Zuständig­keits­be­reichs las­se die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung nicht ins­ge­samt ent­fal­len. So­zia­le Mäch­tig­keit und Durch­set­zungsfähig­keit in ei­nem Teil­be­reich des sat­zungsmäßigen Zuständig­keits­be­reichs genügten. Da­bei sei­en sog. Leuchttürme aus­rei­chend, d.h. maßgeb­li­che Be­rei­che, in de­nen die Ge­werk­schaft auf­grund durch­set­zungsfähi­ger Mit­glie­der­zah­len ta­rif­po­li­ti­sche Ziel­set­zun­gen zu er­rei­chen vermöge. Die­se Leuchttürme strahl­ten auf die wei­te­ren Zuständig­keits­be­rei­che aus und ver­mit­tel­ten Durch­set­zungs­kraft im ge­sam­ten Zuständig­keits­be­reich.
38 Sie sei zu­dem kei­ne „jun­ge“ Ge­werk­schaft im Sin­ne der Recht­spre­chung. An­ge­sichts ih­res ta­rif­li­chen Wir­kens ha­be sie ih­re Ta­riffähig­keit un­ter Be­weis ge­stellt. Sie wer­de auch vom ta­rif­po­li­ti­schen Ge­gen­spie­ler und kon­kur­rie­ren­den Ge­werk­schaf­ten an­er­kannt und ernst ge­nom­men. Der ak­tu­el­le Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad und die ak­tu­el­le or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit würden da­hin­ter zurück­tre­ten. Das zurück­lie­gen­de Ta­rif­ver­hal­ten und die po­si­ti­ven Ab­schluss­er­fol­ge ließen be­reits ei­nen aus­rei­chen­den Rück­schluss auf die be­ste­hen­de Ta­riffähig­keit zu. Ins­be­son­de­re sei ein Miss­brauch des Ta­rif­ver­trags­sys­tems durch den Ab­schluss von Schein- und Gefällig­keits­ta­rif­verträgen in ih­rem Fall aus­ge­schlos­sen.
39 Es sei auch zu berück­sich­ti­gen, dass sie, die Be­tei­lig­te zu 5, wie­der­holt Ta­rif­ver­hand­lun­gen ab­ge­bro­chen ha­be. Sie ha­be da­mit deut­lich zu er­ken­nen ge­ge­ben, ge­ra­de kein willfähri­ger Ge­hil­fe der Ar­beit­ge­ber­sei­te zu sein. Sie ha­be sich ins­ge­samt über Jahr­zehn­te als ver­ant­wor­tungs­vol­le Ta­rif­ak­teu­rin ge­zeigt. Dafür spre­che auch die All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung von ihr ab­ge­schlos­se­ner Ta­rif­verträge. Zu­dem ha­be sie mit an­de­ren So­zi­al­part­nern in der Bran­che Tex­til­rei­ni­gung und -ser­vice mit der Bun­des­re­gie­rung ein Bünd­nis ge­gen Schwarz­ar­beit und il­le­ga­le Beschäfti­gung ab­ge­schlos­sen.
40 Auch auf ih­re or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit könne aus der langjähri­gen er­folg­rei­chen Teil­nah­me am Ta­rif­ge­sche­hen ge­schlos­sen wer­den. Sie verfüge über 13 haupt­amt­li­che Ge­werk­schafts­se­kretäre, 18 Büro- und Ver­wal­tungs­kräfte so­wie 9 Mit­ar­bei­ter der kaufmänni­schen Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und je nach Ar­beits­an­fall set­ze sie bis zu 12 Ho­no­rar­kräfte ein. Sie ver­wei­se in­so­weit auf die Auf­stel­lung ih­rer haupt­amt­lich Beschäftig­ten. Darüber hin­aus könne sie in ih­rer ge­werk­schaft­li­chen Ar­beit auf bis zu 2.500 Mit­glie­der als eh­ren­amt­li­che Mit­ar­bei­ter zurück­grei­fen. In al­len ih­ren Büros sei ei­ne kla­re Ab­gren­zung in Be­zug auf Per­so­nal und Sach­mit­tel zu den Schwes­ter­ge­werk­schaf­ten und dem Dach­ver­band gewähr­leis­tet. Die haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter würden durch die ak­ti­ven Lan­des­vorstände (ca. 80 Mit­glie­der) und ei­ne brei­te eh­ren­amt­li­che Ba­sis vor Ort un­terstützt und be­glei­tet. An­ge­sichts ih­res Rech­tes zur Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on sei­en ih­re Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren nicht auf ih­re Zweckmäßig­keit über­prüfbar. Sie un­ter­hal­te ne­ben den Lan­des­geschäfts­stel­len ei­ne zen­tra­le Haupt­geschäfts­stel­le mit ei­nem ei­ge­nen Ta­rif­ar­chiv zur Si­cher­stel­lung der ad­mi­nis­tra­ti­ven Auf­ga­ben in den be­an­spruch­ten Ta­rif­be­rei­chen. Bei der Be­set­zung ih­rer Ta­rif­kom­mis­sio­nen grei­fe sie auf et­wa 500 mit be­son­de­rer Sach-, Bran­chen- und Markt­kennt­nis aus­ge­stat­te­te Mit­glie­der zurück.
41 Zu­dem stel­le sie in ei­ner Viel­zahl von nam­haf­ten Un­ter­neh­men in ih­rem Zuständig­keits­be­reich Auf­sichtsräte, Be­triebs- und Per­so­nalräte, eh­ren­amt­li­che Rich­ter in der Ar­beits- und So­zi­al­ge­richts­bar­keit, Mit­glie­der in der Selbst­ver­wal­tung der deut­schen So­zi­al­ver­si­che­rung, Ver­si­cher­ten­be­ra­ter und Mit­glie­der von Wi­der­spruchs­ausschüssen in der So­zi­al­ver­si­che­rung.
42 Sie verfüge über deut­lich mehr als die un­ter­stell­ten 10.000 Mit­glie­der. Per 31. De­zem­ber 2013 ha­be ih­re Ge­samt­mit­glie­der­zahl 74.373 Mit­glie­der be­tra­gen, per 31. De­zem­ber 2014 75.065 Mit­glie­der. Al­lei­ne in Ba­den-Würt­tem­berg ha­be die Mit­glie­der­zahl mit Stand 31. De­zem­ber 2013 ... Mit­glie­der be­tra­gen. Bei der Kran­ken­kas­se 1 ha­be sie ei­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad von et­wa ... % der dort täti­gen ca. 10.000 Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer. In ih­rem Lan­des­ver­band Nord-Ost ha­be der Be­stand per 31. De­zem­ber 2013 bei et­wa ... Mit­glie­dern ge­le­gen.
43 Zu­dem schließe sie im Sin­ne be­wusst se­lek­ti­ver Ta­rif­ab­schlüsse und im Sin­ne ei­ner lang­fris­tig an­ge­leg­ten Kern­mar­ken­stra­te­gie im Rah­men ih­rer sat­zungsmäßigen Ta­rif­zuständig­keit nur dort Ta­rif­verträge ab, wo sie nach­weis­lich Ar­beits­be­din­gun­gen ih­rer Mit­glie­der ge­stal­te. Dies be­tref­fe et­wa die Bau­spar­kas­se 1 und ih­re Mut­ter­ge­sell­schaft, die Ver­si­che­rung 1, die Ver­si­che­rung 2, Ta­rif­verträge mit dem Ar­beit­ge­ber­ver­band 2, mit dem Ar­beit­ge­ber­ver­band 3 und ihr ta­rif­po­li­ti­sches und ge­werk­schaft­li­ches Wir­ken in den zu­gehöri­gen Un­ter­neh­men, die Kran­ken­kas­se 1 und die Kran­ken­kas­se 2 so­wie die S. L.. Es müsse in­so­weit die sat­zungs­gemäße Zuständig­keit von der tatsächlich durch Be­triebs­grup­pen- und Ta­rifar­beit aus­geübten und ge­leb­ten Zuständig­keit un­ter­schie­den wer­den. Die Sat­zung bil­de nur die recht­li­che Außen­gren­ze ih­res Han­delns als Ge­werk­schaft. Sie stel­le nicht ih­re Ta­riffähig­keit ins­ge­samt zur Dis­po­si­ti­on, in­dem sie ver­su­che, ih­re Ak­ti­vitäten auf an­de­re Zuständig­keits­be­rei­che aus­zu­deh­nen. Ei­ne ta­riffähi­ge, mit­glie­der­ge­tra­ge­ne Kern­ba­sis ge­he durch ei­ne Aus­wei­tung des sat­zungsmäßigen Ta­rif­zuständig­keits­be­reichs nicht ver­lo­ren und führe auch nicht zwin­gend zu ei­ner Über­for­de­rung der Or­ga­ni­sa­ti­on, da nicht je­des der Ta­rif­zuständig­keit neu un­ter­fal­len­de Un­ter­neh­men ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­siert wer­den sol­le und müsse.
44 Sie sei geg­ner­frei durch die Beiträge ih­rer Mit­glie­der und ih­re ge­werk­schaft­li­chen Ak­ti­vitäten fi­nan­ziert. Im Jahr 2012 ha­be sie ei­ne Über­de­ckung ih­rer Aus­ga­ben durch Ein­nah­men in Höhe von et­wa € ...,- auf­ge­wie­sen, ih­re Strei­krück­la­ge be­lau­fe sich der­zeit auf et­wa € ...,-.
45 Der Be­tei­lig­te zu 11 trägt vor, Fol­ge ei­ner der DHV die Ta­riffähig­keit ab­spre­chen­den Ent­schei­dung wäre vor­aus­sicht­lich die Un­wirk­sam­keit ei­nes gan­zen mit ihm, dem Be­tei­lig­ten zu 11, ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­werks. Hier­durch wer­de er in sei­nen Rech­ten be­trof­fen. Die Rechts­kraft der er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen, ins­be­son­de­re der­je­ni­gen des Ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 10. De­zem­ber 1956, ste­he ei­ner er­neu­ten Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit der DHV ent­ge­gen. Ei­ne Ände­rung der we­sent­li­chen, die Ent­schei­dung stützen­den maßgeb­li­chen recht­li­chen und tatsächli­chen Verhält­nis­se lie­ge nicht vor. Auch im Übri­gen lägen die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Ta­riffähig­keit der DHV vor. Die Vor­aus­set­zun­gen der Mäch­tig­keit und Durch­set­zungsfähig­keit sei­en je­den­falls in Be­zug auf den von ihm, dem Be­tei­lig­ten zu 11), ab­ge­deck­ten Ta­rif­zuständig­keits­be­reich erfüllt. Seit 2004 sei­en ver­schie­de­ne Ta­rif­verträge in die­sem Be­reich ab­ge­schlos­sen wor­den. Al­lein für die Bun­desländer Bran­den­burg, Thürin­gen und Sach­sen sei­en in sei­nem Be­reich 14.585 Ar­beit­neh­mer ta­rif­ge­bun­den. Die über­wie­gen­de An­zahl der Ar­beit­neh­mer in sei­nem Be­reich un­ter­lie­ge den Re­ge­lun­gen von mit der DHV ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträgen. In ih­rem Zuständig­keits­be­reich verfüge die DHV über ei­nen we­sent­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad.
46 Durch den der DHV am 23. Ju­ni 2015 und dem Be­tei­lig­ten zu 11 am 25. Ju­ni 2015 zu­ge­stell­ten Be­schluss vom 19. Ju­ni 2015, auf den zur nähe­ren Sach­dar­stel­lung Be­zug ge­nom­men wird, hat das Ar­beits­ge­richt dem An­trag statt­ge­ge­ben: Je­den­falls die Sat­zungsände­rung 2012 stel­le ei­ne we­sent­li­che Ände­rung der Verhält­nis­se dar, so dass die Rechts­kraft frühe­rer Ent­schei­dun­gen durch­bro­chen sei. Ein Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad von un­ter 0,1 % be­zo­gen auf den ge­sam­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich rei­che für die An­nah­me ei­ner Ta­riffähig­keit nicht.
47 Hier­ge­gen rich­tet sich die am 6. Ju­li 2015 ein­ge­leg­te und mit am 21. Sep­tem­ber 2015 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründe­te Be­schwer­de der DHV, nach­dem die Be­schwer­de­be­gründungs­frist am 14. Ju­li 2015 bis zum 23. Sep­tem­ber 2015 verlängert wor­den war. Die am 20. Ju­li 2015 ein­ge­leg­te Be­schwer­de des Be­tei­lig­ten zu 11 wur­de ein­ge­hend bei Ge­richt am Mon­tag, 28. Sep­tem­ber 2015, be­gründet, nach­dem die Be­schwer­de­be­gründungs­frist am 25. Au­gust 2015 bis zum 26. Sep­tem­ber 2015 verlängert wor­den war.
48 Die DHV ist der An­sicht, dass auf­grund der Ver­dop­pe­lung des Or­ga­ni­sa­ti­ons­gra­des seit 1997 von 0,5 Pro­zent auf über 1 Pro­zent und der „Kon­zen­tra­ti­on auf den Mar­ken­kern“ kei­ne ent­schei­dungs­er­heb­li­che Verände­rung vor­lie­ge. Sie sei wei­ter­hin ta­rif­zuständig für Ar­beit­neh­mer in kaufmänni­schen und ver­wal­ten­den Be­ru­fen bei kom­mu­na­len Ar­beit­ge­bern und bei Körper­schaf­ten des öffent­li­chen Rechts auf kom­mu­na­ler Ebe­ne. Der sat­zungsmäßige Zuständig­keits­be­reich wer­de da­durch cha­rak­te­ri­siert, dass die dort or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mer weit­aus über­wie­gend, nämlich durch­schnitt­lich zu 80 Pro­zent, An­ge­stell­te sei­en. Die Er­wei­te­rung auf ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer wer­de durch die bran­chen­be­zo­ge­ne Ein­schränkung mehr als kom­pen­siert. Es sei le­dig­lich die Gleich­stel­lung von An­ge­stell­ten und Ar­beit­neh­mern nach­ge­zeich­net wor­den und die An­ge­stell­ten in der In­dus­trie, mit Aus­nah­me der Fleisch­wa­ren­in­dus­trie, aus der Ta­rif­zuständig­keit ein­schränkend her­aus­ge­nom­men wor­den. Ent­schei­dend sei al­lein die Sat­zungs­la­ge zum Zeit­punkt des Schlus­ses der münd­li­chen Ver­hand­lung.
49 Der Be­tei­lig­te zu 11 ist der Auf­fas­sung, dass iden­ti­sche Streit­ge­genstände vorlägen, da die Sat­zungsände­rung der An­trags­geg­ne­rin nur die ge­sell­schaft­li­chen und recht­li­chen Verände­run­gen des Ar­beit­neh­mer­be­grif­fes wi­der­spie­gel­ten. Auch der Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad der An­trags­stel­ler wei­se ei­nen am ge­sam­ten Ta­rif­zuständig­keits­be­reich ge­mes­se­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad von nicht mehr als 10 - 20 Pro­zent auf, ob­wohl es sich um die mit­glie­derstärks­ten Ge­werk­schaf­ten welt­weit han­de­le. Es sei ei­ne Viel­zahl von Ta­rif­verträgen ge­schlos­sen wor­den, was In­dizwir­kung für ih­re Ta­riffähig­keit ent­fal­te. Wäre al­lein der Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad für die Durch­set­zungsfähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ge­mes­sen an der ge­sam­ten Ta­rif­zuständig­keit ent­schei­dend, führe das zum grund­rechts­wid­ri­gen Grund­satz „groß schlägt klein“.
50 Die Be­tei­lig­te zu 5, die DHV, be­an­tragt,
51 un­ter Abände­rung des Be­schlus­ses des Ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 19. Ju­ni 2015 – 1 BV 2/14
52

den An­trag zurück­zu­wei­sen.

53 Die Be­tei­lig­te zu 11 be­an­tragt,
54 den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ham­burg – 1 BV 2/14 – auf­zu­he­ben und zur er­neu­ten Ent­schei­dung an ei­ne zuständi­ge Kam­mer zurück zu ver­wei­sen;
55 hilfs­wei­se, den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ham­burg – 1 BV 2/14 – vom 19. Ju­ni 2015 ab­zuändern und die Anträge zur Fest­stel­lung, dass die Be­tei­lig­te zu 5 nicht ta­riffähig ist, zurück­zu­wei­sen;
56 für den Fall der be­ab­sich­tig­ten An­trags­bestäti­gung hilfs­wei­se
57 gemäß Art. 100 Abs. 1 GG iVm § 13 Nr. 11 BVerfGG den Recht­streit dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im Hin­blick auf die Fra­ge vor­zu­le­gen, dass § 97 iVm. § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG un­ter Berück­sich­ti­gung der seit Schaf­fung des Ge­set­zes ein­ge­tre­te­nen Rechts­ent­wick­lung, ins­be­son­de­re die Be­reit­schaft von Ar­beit­neh­mern sich in neu­en und an­de­ren For­men ge­werk­schaft­lich zu or­ga­ni­sie­ren und so ih­re Ko­ali­ti­ons­frei­heit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG zu le­ben, un­zulässig ein­schränkt und min­des­tens die Be­fug­nis der staat­li­chen Behörden ei­nen An­trag nach § 97 ArbGG zu stel­len die Ko­ali­ti­ons­frei­heit un­ter ei­ne un­zulässi­ge Staats­auf­sicht stellt und in­fol­ge­des­sen nicht den An­for­de­run­gen der Ver­fas­sung genügt;
58 und un­ge­ach­tet vor­ste­hen­der Anträge,
59 den Recht­streit dem Ge­richts­hof der eu­ropäischen Uni­on (EuGH) gemäß Art. 234 EGV mit der Fra­ge vor­zu­le­gen,
60 verstößt die bun­des­deut­sche Re­ge­lung in § 97 ArbGG, mit de­nen die Betäti­gungs­frei­heit von Ar­beit­neh­mer­or­ga­ni­sa­tio­nen (Ge­werk­schaf­ten) un­ter ei­nen Mäch­tig­keits­vor­be­halt ge­stellt wer­den, ge­gen im Ge­mein­schafts­recht ge­re­gel­te und/oder an­ge­leg­te grund­le­gen­de Rech­te der Ar­beit­neh­mer, ih­rer Betäti­gungs­frei­heit im Rah­men von Zu­sam­men­schlüssen und/oder den Vor­ga­ben des Ge­mein­schafts­rechts zur „Kar­tell­frei­heit“ von Ar­beit­neh­mer­verbünden jeg­li­cher Art Aus­druck zu ver­lei­hen.
61 Die Be­tei­lig­ten zu 1 - 4, 8 und 10 be­an­tra­gen
62 die Be­schwer­den der Be­tei­lig­ten zu 5 und 11 zurück­zu­wei­sen.
63 Die Be­tei­lig­te zu 6 be­an­tragt,
64

das Ver­fah­ren auf­grund Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des § 97 ArbGG und der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu den Vor­aus­set­zun­gen der Ta­riffähig­keit, kon­kret dem Er­for­der­nis der so­zia­len Mäch­tig­keit ei­ner Ko­ali­ti­on, we­gen Ver­s­toßes ge­gen Art. 9 Abs. 3 GG aus­zu­set­zen und die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ein­zu­ho­len.

65 Die übri­gen Be­tei­lig­ten ha­ben kei­ne ei­ge­nen Anträge ge­stellt.
66 Die Be­tei­lig­ten zu 2 und 4 sind der Auf­fas­sung, dass der Zuständig­keits­be­reich durch die Sat­zungsände­run­gen er­heb­lich verändert wor­den sei, in­dem er ei­ner­seits en­ger ge­fasst wur­de und an­de­rer­seits wei­ter.
67 Die Be­tei­lig­te zu 10 ist der Auf­fas­sung, dass Ver­gleichs­grund­la­ge für die Fest­stel­lung der Rechts­kraft die Ent­schei­dung aus dem Jahr 1956 sei, da an­de­ren­falls die Ta­riffähig­keit pro­lon­giert würde, ob­wohl Grund­la­ge der nach­fol­gen­den Be­schlüsse ge­ra­de nicht die ma­te­ri­el­len Vor­aus­set­zun­gen der Ta­riffähig­keit ge­we­sen sei. Die Rechts­kraft die­ser Ent­schei­dung sei durch die grundsätz­li­che Ände­rung des Cha­rak­ters der DHV und die er­heb­li­che Aus­wei­tung ih­res Zuständig­keits­be­reichs un­ter­bro­chen. Denn da­durch hätten sich der Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich und da­mit die Be­zugs­größe zur Be­stim­mung des Or­ga­ni­sa­ti­ons­gra­des verändert.
68 Die Be­tei­lig­ten zu 1 und 8 sind der Auf­fas­sung, dass die DHV durch die Sat­zungsände­run­gen ei­ne qua­li­ta­tiv an­ders zu be­ur­tei­len­de Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung sei als noch im Jahr 1997. Die Ände­rung ih­res Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reichs bedürfe ei­ner ma­te­ri­el­len Prüfung, da er in­so­weit noch nicht ge­richt­lich geklärt sei. Da­mit lie­ge ein neu­er Sach­ver­halt vor, der die Rechts­kraft der vor­an­ge­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen durch­bre­che. Es feh­le der DHV an Durch­set­zungsfähig­keit, da bei ei­nem un­ter­stell­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad von 1,07 Pro­zent der von der Recht­spre­chung des BAG als Zwei­fels­fall be­zeich­ne­te 1,6 pro­zen­ti­ge Or­ga­ni­sa­ti­ongrad um 1/3 un­ter­schrit­ten sei. Auf die Ta­rifar­beit der DHV kom­me es im Er­geb­nis nicht an, weil be­reits der Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad zu ge­ring sei.
69 We­gen des wei­te­ren Sach­vor­tra­ges der Be­tei­lig­ten und der von ih­nen über­reich­ten Un­ter­la­gen so­wie we­gen ih­rer Rechts­ausführun­gen im Übri­gen wird ergänzend auf den ge­sam­ten Ak­ten­in­halt Be­zug ge­nom­men.
70 Es ist von Amts we­gen Be­weis er­ho­ben wor­den über die Mit­glieds­zah­len der DHV durch Ein­sicht in die no­ta­ri­el­le Ur­kun­de vom 22. Ja­nu­ar 2016 (Hülle Bl. 2008 d.A,) gemäß § 58 Abs. 3 ArbGG. Es ist von Amts we­gen der Zeu­ge A. ver­nom­men wor­den. Hin­sicht­lich der Be­weis­be­schlüsse wird auf die Sit­zungs­nie­der­schrift vom 4. Mai 2016 Be­zug ge­nom­men (Bl. 2606 ff d.A.). Der Zeu­ge hat im We­sent­li­chen be­kun­det, dass die Mit­glieds­zah­len der DHV sich auf ca. 70 bis 75.000 be­lie­fen, dass es 13 haupt­amt­li­che Ge­werk­schafts­se­kretäre - ganz über­wie­gend in Voll­zeit beschäftigt - ge­be, außer­dem 18 Ver­wal­tungs­kräfte. Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten und der wei­te­ren Be­kun­dun­gen des Zeu­gen wird Be­zug ge­nom­men auf die Sit­zungs­nie­der­schrift vom 4. Mai 2016.

B.

I.

71 Die Be­schwer­den sind gemäß §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statt­haft und im Übri­gen form- und frist­gemäß ein­ge­legt und be­gründet wor­den und da­mit zulässig (§§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO). So­weit der Be­tei­lig­te zu 11 das Ver­fah­ren wie­der beim Ar­beits­ge­richt neu be­gin­nen las­sen möch­te, ist die­ses Be­geh­ren gemäß § 91 Abs. 1 Satz 2 ArbGG un­zulässig. Der Vor­schlag, das Ver­fah­ren dem EuGH und/oder gemäß Art. 100 GG dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt vor­zu­le­gen, ist als An­re­gung zu ver­ste­hen, denn Umstände, die dies na­he­le­gen würden, wären von Amts we­gen zu berück­sich­ti­gen.
72 Das Ver­fah­ren konn­te nicht gemäß § 148 ZPO aus­ge­setzt wer­den. Ist während des Rechts­streits ein Be­fan­gen­heits­an­trag – wie hier - ge­gen be­tei­lig­te Rich­ter durch ei­ne rechts­kräfti­ge Be­schwer­de­ent­schei­dung zurück­ge­wie­sen wor­den und hat ei­ne Par­tei ge­gen die­se Zwi­schen­ent­schei­dung Ver­fas­sungs­be­schwer­de ein­ge­legt, kann der Rechts­streit nicht bis zur Ent­schei­dung über die Ver­fas­sungs­be­schwer­de aus­ge­setzt wer­den, da es in­so­weit an der er­for­der­li­chen Vor­greif­lich­keit im Sin­ne von § 148 ZPO fehlt. (OLG Frank­furt 23. Fe­bru­ar 2016 – 6 W 22/16 –, OLG Hamm 29. Ok­to­ber 1998 – 27 W 44/98 - ju­ris). Ei­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­de ist kein zusätz­li­ches Rechts­mit­tel, ihr kommt we­der ein Sus­pen­siv- noch ein De­vo­lu­ti­ve­f­fekt zu (OLG Hamm aaO).

II.

73 Die Be­schwer­den sind be­gründet.
74 1. Der im Rah­men des § 97 ArbGG – gemäß § 112 ArbGG in al­ter Fas­sung - an­ge­brach­te An­trag ist zulässig.
75 a. Der An­trag der Be­tei­lig­ten von 1 bis 4 und 10 ist auf die Ge­gen­wart ge­rich­tet und nicht ver­gan­gen­heits­be­zo­gen. Den An­trag­stel­lern geht es er­sicht­lich um die ge­genwärti­ge Fest­stel­lung, dass die DHV nicht ta­riffähig ist. Die­se nicht ver­gan­gen­heits­be­zo­ge­nen Fest­stel­lungs­anträge sind zulässig (BAG 14. De­zem­ber 2010 – 1 ABR 19/10 –; LAG Ham­burg 21. März 2012 – 3 TaBV 7/11 – ju­ris)
76 b. Wer an dem Ver­fah­ren zur Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung zu be­tei­li­gen ist, ist von Amts we­gen zu prüfen. Im Ver­fah­ren um die Ta­riffähig­keit der DHV sind not­wen­dig gem. §§ 97 Abs. 2, 83 Abs. 3 ArbGG die An­trag­stel­ler, die DHV so­wie die­je­ni­gen zu be­tei­li­gen, de­ren ma­te­ri­el­le Rechts­stel­lung un­mit­tel­bar be­trof­fen ist. Da­bei ist die Be­tei­li­gung der Spit­zen­verbände so­wie der Ar­beits­behörde des Bun­des aus­rei­chend, wenn sich die Ta­rif­zuständig­keit auf meh­re­re Bun­desländer er­streckt. Darüber hin­aus können sich auch ein­zel­ne Mit­glieds­verbände am Ver­fah­ren be­tei­li­gen, wenn sie ei­nen Sach­an­trag stel­len.
77 aa. Die Ge­werk­schaft 1, die Ge­werk­schaft 2 und die Ge­werk­schaft 3 sind nach § 97 Abs. 1 ArbGG an­trags­be­rech­tigt. An­trags­be­rech­tigt in ei­nem Ver­fah­ren über die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on sind nach § 97 Abs. 1 ArbGG ne­ben an­de­ren ei­ne räum­lich und sach­lich zuständi­ge Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­neh­mern und die obers­te Ar­beits­behörde ei­nes Lan­des, auf des­sen Ge­biet sich die Tätig­keit der Ver­ei­ni­gung er­streckt. Die ge­nann­ten Ge­werk­schaf­ten verfügen über die not­wen­di­ge An­trags­be­fug­nis. Die An­trags­be­fug­nis ei­ner kon­kur­rie­ren­den Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung in ei­nem Ver­fah­ren nach § 97 Abs. 1 ArbGG setzt kein wei­ter­ge­hen­des ei­ge­nes Recht der Ge­werk­schaft vor­aus. Aus § 97 Abs. 1 ArbGG folgt die pro­zes­sua­le Be­fug­nis ei­ner räum­lich und sach­lich zuständi­gen Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­neh­mern, die Ta­riffähig­keit ei­ner an­de­ren, ganz oder teil­wei­se den­sel­ben Zuständig­keits­be­reich be­an­spru­chen­den Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ge­richt­lich klären zu las­sen (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 27, ju­ris). Es ist aus­rei­chend, wenn sich der räum­li­che und sach­li­che Zuständig­keits­be­reich der an­trag­stel­len­den Ge­werk­schaft zu­min­dest teil­wei­se mit den Zuständig­keits­be­rei­chen der Ver­ei­ni­gung deckt, de­ren Ta­riffähig­keit be­strit­ten wird (BAG 6. Ju­ni 2000 - 1 ABR 10/99 - ; 14. De­zem­ber 2010 – 1 ABR 19/10 - ju­ris). So­weit ei­ne an­trag­stel­len­de Ko­ali­ti­on die Ta­riffähig­keit ei­ner an­de­ren Ver­ei­ni­gung be­strei­tet, muss sie selbst ta­riffähig sein (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 28 mwN, aaO). Die Ta­riffähig­keit der an­trag­stel­len­den Ge­werk­schaf­ten wird von kei­nem der Be­tei­lig­ten in Ab­re­de ge­stellt. Die er­for­der­li­che Kon­kur­renz ge­genüber der von der DHV be­an­spruch­ten Ta­rif­zuständig­keit für die je­weils ver­schie­de­nen Be­rei­che liegt eben­falls un­strei­tig vor. Der Ge­werk­schafts­bund 2 ist als Spit­zen­or­ga­ni­sa­ti­on eben­falls an­trags­be­fugt.
78 bb. Auch die Länder B. und N. sind an­trags­be­fugt. § 97 Abs. 1 ArbGG dient der Si­che­rung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leis­te­ten Ta­rif­au­to­no­mie (BAG 28. Ja­nu­ar 2008 - 3 AZB 30/07 -; 14. De­zem­ber 2010 – 1 ABR 19/10 - ju­ris). Da der Ge­setz­ge­ber in der Ver­gan­gen­heit weit­ge­hend von der Nor­mie­rung der Vor­aus­set­zun­gen für die Ta­riffähig­keit ab­ge­se­hen hat, kann je­de Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung oh­ne vor­he­ri­ge Zu­las­sung am Ta­rif­ge­sche­hen teil­neh­men und für ih­re Mit­glie­der Ver­ein­ba­run­gen ab­sch­ließen, die für sich die Gel­tung als Ta­rif­ver­trag be­an­spru­chen. Das ob­jek­ti­vier­te Ver­fah­ren nach § 97 Abs. 1 ArbGG stellt das im In­ter­es­se ei­ner funk­tio­nie­ren­den Ta­rif­au­to­no­mie da­zu not­wen­di­ge Kor­rek­tiv dar. Die ge­richt­li­che Ent­schei­dung soll klären, ob die Ver­ei­ni­gung die recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für den Ab­schluss von Ta­rif­verträgen erfüllt. Die An­trags­be­fug­nis zur Ein­lei­tung ei­nes sol­chen Ver­fah­rens hat der Ge­setz­ge­ber vor­ran­gig den in § 97 Abs. 1 ArbGG ge­nann­ten Ver­ei­ni­gun­gen und Stel­len über­tra­gen, so­fern de­ren In­ter­es­sen von der Tätig­keit der Ver­ei­ni­gung berührt wer­den. Hier­von geht das Ge­setz bei der obers­ten Ar­beits­behörde des Bun­des stets und bei den obers­ten Ar­beits­behörden der Länder dann aus, wenn die Tätig­keit der Ko­ali­ti­on, de­ren Ta­riffähig­keit oder Ta­rif­zuständig­keit um­strit­ten ist, sich auf das räum­li­che Ge­biet des je­wei­li­gen Bun­des­lan­des er­streckt. Ei­ne darüber hin­aus­ge­hen­de Be­trof­fen­heit muss nicht vor­lie­gen. Es steht mit dem Norm­zweck der §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 1 ArbGG in Ein­klang, wenn ne­ben der obers­ten Ar­beits­behörde des Bun­des auch die nach Lan­des­recht zuständi­gen obers­ten Ar­beits­behörden zu­guns­ten der auf ih­rem Lan­des­ge­biet täti­gen Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber ei­ne ge­richt­li­che Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit und Ta­rif­zuständig­keit ei­ner Ver­ei­ni­gung her­beiführen können, die für ih­re Mit­glie­der die nor­ma­ti­ve Re­ge­lung von Ar­beits­be­din­gun­gen be­an­sprucht. Die An­trags­be­fug­nis der obers­ten Ar­beits­behörde ei­nes Lan­des steht nicht un­ter dem Vor­be­halt, dass sich die Tätig­keit der Ver­ei­ni­gung auf das Ge­biet der an­trag­stel­len­den Ar­beits­behörde ei­nes Bun­des­lan­des be­schränkt (BAG 14. De­zem­ber 2010 – 1 ABR 19/10 – ju­ris).
79 cc. Die däni­sche Ge­werk­schaft 4 war hin­ge­gen nicht zu be­tei­li­gen: Sie hat mit der DHV ein so­ge­nann­tes Grenzgänger­ab­kom­men ge­schlos­sen. Die DHV ver­tritt die­je­ni­gen Mit­glie­der der Ge­werk­schaft 4, die in Deutsch­land tätig sind. Da­mit ist die Ge­werk­schaft 4 im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren nur mit­tel­bar be­trof­fen. Es geht im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren um die Fra­ge, ob die DHV ta­riffähig iSd. § 97 ArbGG ist. Auch bei rechts­kräfti­ger Fest­stel­lung, dass sie es nicht ist, wäre ih­re Rechts­persönlich­keit als Ge­werk­schaft nicht be­sei­tigt. Sie könn­te wei­ter­hin Mit­glie­der der Ge­werk­schaft 4 in Deutsch­land ver­tre­ten.
80 c. Die Rechts­kraft der Be­schlüsse vom 10. De­zem­ber 1956 des Ar­beits­ge­richts Ham­burg, der Fol­ge­ver­fah­ren und zu­letzt des Be­schlus­ses des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 18. Fe­bru­ar 1997 steht ei­ner er­neu­ten Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit der DHV nicht ent­ge­gen.
81 aa. In­so­weit ist von fol­gen­den Rechts­grundsätzen aus­zu­ge­hen: Auch Be­schlüsse im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schluss­ver­fah­ren sind nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (6. Ju­ni 2000 – 1 ABR 21/99 -; 20. März 1996 - 7 ABR 41/95 -; 1. Fe­bru­ar 1983 - 1 ABR 33/78 - ju­ris) der for­mel­len und ma­te­ri­el­len Rechts­kraft fähig.
82 For­mell rechts­kräftig wer­den die Be­schlüsse im Be­schluss­ver­fah­ren - wie Ur­tei­le im Ur­teils­ver­fah­ren -, wenn sie mit ei­nem or­dent­li­chen Rechts­mit­tel nicht mehr an­ge­foch­ten wer­den können. Die von die­ser äußeren Rechts­kraft abhängi­ge ma­te­ri­el­le (in­ne­re) Rechts­kraft be­deu­tet, dass die in dem Be­schluss be­han­del­ten Fra­gen durch die am Ver­fah­ren Be­tei­lig­ten bei un­veränder­tem Sach­ver­halt nicht er­neut ei­ner Ent­schei­dung der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen un­ter­brei­tet wer­den können. Die­se ma­te­ri­el­le Rechts­kraft soll der Ge­fahr ei­ner zwei­ten, wi­der­spre­chen­den Ent­schei­dung be­geg­nen, um Rechts­si­cher­heit und Rechts­frie­den zu gewähr­leis­ten (BAG 6. Ju­ni 2000 aaO.).
83 Das Feh­len ent­ge­gen­ste­hen­der in­ne­rer Rechts­kraft ei­ner vor­an­ge­gan­ge­nen Ent­schei­dung ist ne­ga­ti­ve Pro­zess­vor­aus­set­zung für die Fol­ge­ent­schei­dung; das gilt auch für die Be­schlüsse im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schluss­ver­fah­ren. Fol­ge der ma­te­ri­el­len Rechts­kraft ei­nes frühe­ren Be­schlus­ses ist so­mit, dass ei­ne er­neu­te Ent­schei­dung des­sel­ben oder ei­nes an­de­ren Ge­richts in­ner­halb be­stimm­ter ob­jek­ti­ver, sub­jek­ti­ver und zeit­li­cher Gren­zen aus­ge­schlos­sen ist. Nur in­ner­halb die­ser Gren­zen tre­ten die Wir­kun­gen der ma­te­ri­el­len Rechts­kraft ein. Ein An­trag, der die glei­che Streit­fra­ge er­neut zur Ent­schei­dung stellt, ist un­zulässig, weil der Rechts­schutz be­reits gewährt wur­de (vgl. BAG 6. Ju­ni 2000 aaO. mwN.).
84 Die­se Re­gel kann aus­nahms­wei­se durch­bro­chen wer­den. In zeit­li­cher Hin­sicht al­ler­dings ist die Rechts­kraft ei­ner ge­richt­li­chen Ent­schei­dung grundsätz­lich nicht be­grenzt. Der bloße Zeit­ab­lauf ist in­so­weit oh­ne Be­deu­tung. Dies gilt auch bei fest­stel­len­den Ent­schei­dun­gen mit Dau­er­wir­kung, et­wa - wie hier - bei der Fest­stel­lung, dass ei­ne be­stimm­te Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ei­ne Ge­werk­schaft ist oder nicht (BAG 6. Ju­ni 2000 aaO.). Die Be­en­di­gung der Rechts­kraft kommt aber bei Ent­schei­dun­gen mit Dau­er­wir­kung dann in Be­tracht, wenn sich die maßgeb­li­chen tatsächli­chen oder recht­li­chen Verhält­nis­se we­sent­lich ändern. Auch für Ei­gen­schaf­ten, die im Be­schluss­ver­fah­ren fest­ge­stellt wer­den, gilt dem­zu­fol­ge, dass die Rechts­kraft dann ei­ner er­neu­ten Ent­schei­dung nicht mehr im We­ge steht, wenn sich der ent­schei­dungs­er­heb­li­che Sach­ver­halt oder die Rechts­la­ge we­sent­lich geändert ha­ben. Es müssen sich da­bei ge­ra­de die­je­ni­gen Tat­sa­chen oder Rechts­grund­la­gen geändert ha­ben, die für die in der frühe­ren Ent­schei­dung aus­ge­spro­che­ne Rechts­fol­ge als maßgeb­lich an­ge­se­hen wor­den sind (BAG 6. Ju­ni 2000 aaO.; 20. März 1996 - 7 ABR 41/95 - ju­ris).
85 bb. Über­tra­gen auf vor­lie­gen­den Rechts­streit be­deu­tet dies Fol­gen­des: Nicht nur der Sach­be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 10. De­zem­ber 1956, son­dern auch zu­letzt der Pro­zess­be­schluss vom 18. Fe­bru­ar 1997 sind in ma­te­ri­el­le Rechts­kraft er­wach­sen. Der vor­lie­gen­de Haupt­an­trag ist mit dem An­trag des Ver­fah­rens aus dem Jah­re 1956 zwar nicht wört­lich iden­tisch, dort wur­de aber fest­ge­stellt, dass die DHV ta­riffähig ist. Die Fest­stel­lung des kon­tra­dik­to­ri­schen Ge­gen­teils, das mit dem Ver­fah­ren er­strebt wird, wird eben­falls von den ob­jek­ti­ven Gren­zen der Rechts­kraft er­fasst (BAG 6. Ju­ni 2000 aaO.). Gestützt auf den­sel­ben Sach­ver­halt wie die Anträge der Ver­fah­ren von 1956 und 1997 kann ein An­trag da­mit grundsätz­lich nicht zulässig wie­der­holt wer­den.
86 Sub­jek­tiv wirkt die ma­te­ri­el­le Rechts­kraft zwar prin­zi­pi­ell nur zwi­schen den Par­tei­en des Vor­pro­zes­ses, § 325 ZPO; im Be­schluss­ver­fah­ren zwi­schen den Be­tei­lig­ten. Im Fal­le des § 97 Abs. 1 ArbGG kommt es aber auf die - hier teil­wei­se be­ste­hen­de – Iden­tität der Be­tei­lig­ten nicht an, denn die Ent­schei­dung gemäß § 97 ArbGG wirkt ge­ne­rell ge­genüber je­der­mann (BAG 25. No­vem­ber 1986 - 1 ABR 22/85 – mwN. ju­ris).
87 Der An­trag des hie­si­gen Ver­fah­rens muss des­halb ei­nen an­de­ren In­halt ha­ben. Ge­gen­stand des vor­lie­gen­den Ver­fah­rens kann nur sein, ob ge­genüber den vor­an­ge­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen we­sent­li­che recht­li­che oder tatsächli­che Verände­run­gen ein­ge­tre­ten sind (selbst­verständ­lich nicht, ob die da­ma­li­gen Ent­schei­dun­gen zu­tref­fend wa­ren). In Rechts­kraft er­wach­sen ist der In­halt, dass die DHV ta­riffähig ist, so­wie dass der Streit­ge­gen­stand zu­letzt aus den Jah­ren 1995 und 1997 iden­tisch mit dem Ver­fah­ren von 1956 war.
88 An­ders ge­sagt: Al­le recht­li­chen und tatsächli­chen Verände­run­gen zwi­schen den Jah­ren 1956 und der Ent­schei­dung im Jah­re 1997 sind nicht we­sent­lich, denn mit der Ent­schei­dung vom 18. Fe­bru­ar 1997 ist ge­nau das rechts­kräftig fest­ge­stellt wor­den. Dies be­trifft zunächst die Ände­rung der Recht­spre­chung des BAG zur Fra­ge der Mäch­tig­keit (9. Ju­li 1968 - 1 ABR 2/67 – ju­ris), wo­bei of­fen blei­ben kann, ob ei­ne Recht­spre­chungsände­rung über­haupt ei­ne we­sent­li­che Ände­rung sein kann (vgl. die Nach­wei­se bei BAG 6. Ju­ni 2000 aaO. Rn 35). Je­den­falls hat schon der Be­schluss des LAG Ham­burg vom 29. Ok­to­ber 1980 (5 TaBv 1/80) die so­zia­le Mäch­tig­keit als Vor­aus­set­zung der Ta­riffähig­keit in der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts als ein „Ru­di­ment“ des zunächst vom Bun­des­ar­beits­ge­richt auf­ge­stell­ten und dann aber von Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­wor­fe­nen Er­for­der­nis­ses der Ar­beits­kampf­be­reit­schaft ge­nannt und fest­ge­stellt, dass des­halb das Ar­beits­ge­richt sich in sei­nem Be­schluss vom 10. De­zem­ber 1956 be­reits mit der An­for­de­rung der so­zia­len Mäch­tig­keit beschäftigt und dies für die DHV aus­drück­lich be­jaht ha­be.
89 Dies be­trifft auch die Ände­rung hin­sicht­lich der Ge­werk­schafts­ei­gen­schaft ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung in der Auf­nah­me der von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten maßgeb­li­chen Kri­te­ri­en in den Wil­len des Ge­setz­ge­bers durch die Ra­ti­fi­zie­rung des Staats­ver­tra­ges mit der DDR über die Währungs-, Wirt­schafts- und So­zi­al­uni­on, die da­mit im vor­lie­gen­den Fal­le – an­ders im Fal­le der Ent­schei­dung des BAG vom 6. Ju­ni 2000 - eben kei­ne we­sent­li­che Ände­rung zur Durch­bre­chung der Rechts­kraft dar­stellt.
90 Gleich­falls rechts­kräftig ent­schie­den war im Jah­re 1997 da­mit, dass die seit dem Be­schluss vom 10. De­zem­ber 1956 ein­ge­tra­ge­nen Sat­zungsände­run­gen der DHV kei­ne we­sent­li­che Ände­rung der Verhält­nis­se aus­mach­ten, denn die ge­richt­li­che Fest­stel­lung des Vor­lie­gens oder Nicht­vor­lie­gens der Ta­riffähig­keit ei­ner Ver­ei­ni­gung ent­fal­tet dann ei­ne Bin­dungs­wir­kung für nach­fol­gen­de Ver­fah­ren, wenn im Gel­tungs­be­reich der nämli­chen Sat­zung die­se Ei­gen­schaf­ten ent­we­der streit­ge­genständ­lich oder nur als Vor­fra­ge für den er­ho­be­nen pro­zes­sua­len An­spruch zu be­ur­tei­len sind (BAG 23. Mai 2012 – 1 AZB 58/11).
91 Das be­deu­tet aber zu­gleich: Wenn die Ver­ei­ni­gung ih­ren Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich in ih­rer Sat­zung au­to­nom fest­legt (BAG 10. Fe­bru­ar 2009 – 1 ABR 36/08 – ju­ris), kann da­mit ei­ne dort ein­tre­ten­de Ände­rung durch­aus ei­ne we­sent­li­che Verände­rung der Verhält­nis­se dar­stel­len. Mit der Ände­rung der Sat­zung kann sich al­so der Le­bens­sach­ver­halt, der der vor­her­ge­hen­den Ent­schei­dung zu­grun­de lag, in ei­nem we­sent­li­chen Merk­mal geändert ha­ben (BAG 19. No­vem­ber 1985 – 1 ABR 37/83 – ju­ris).
92 Vor­lie­gend war des­halb zu prüfen, ob die Verände­run­gen der Sat­zun­gen der DHV zeit­lich be­gin­nend seit der Ent­schei­dung des LAG Ham­burg vom 18. Fe­bru­ar 1997 ei­ne we­sent­li­che Verände­rung im Sin­ne ei­ner Durch­bre­chung der Rechts­kraft dar­stel­len. Zu die­ser Zeit galt § 2 Abs. 1 der Sat­zung 1972:
93 „Der DHV ist die Ge­werk­schaft der An­ge­stell­ten im Han­del, in der In­dus­trie und dem pri­va­ten und öffent­li­chen Dienst­leis­tungs­be­reich...
94 und wei­ter in § 3 Abs. 1:
95 „Die Mit­glied­schaft im DHV können al­le An­ge­stell­ten im Han­del, in der In­dus­trie und im pri­va­ten und öffent­li­chen Dienst­leis­tungs­be­reich (or­dent­li­che Mit­glie­der) so­wie die zu ei­nem An­ge­stell­ten­be­ruf Aus­zu­bil­den­den und Be­rufs­anwärter (Ju­gend­mit­glie­der) er­wer­ben.“
96 Die bis zum Jah­re 1997 fol­gen­den Sat­zungsände­run­gen ent­hiel­ten kei­ne vor­lie­gend re­le­van­ten Ände­run­gen hin­sicht­lich der Ta­rif­zuständig­keit und der Mit­glied­schaft im DHV.
97 Nach dem Jah­re 1997 kam es zu ei­ner Rei­he von wei­te­ren Sat­zungsände­run­gen. Für die Prüfung der Rechts­kraft ist da­bei – ent­ge­gen der Auf­fas­sung der An­trags­geg­ner – nicht auf die zum Schluss der münd­li­chen Ver­hand­lung gel­ten­de Sat­zung ab­zu­stel­len. Die Rechts­kraft entfällt viel­mehr bei Verände­rung der maßgeb­li­chen Verhält­nis­se und nicht erst durch Ein­lei­tung ei­nes er­neu­ten ge­richt­li­chen Ver­fah­rens oder durch Her­beiführung ei­ner ge­richt­li­chen Ent­schei­dung (vgl. BAG 6. Ju­ni 2000 – 1 ABR 21/99 -: „Die Rechts­kraft­wir­kung des Be­schlus­ses … hat­te in­des­sen ge­en­det, be­vor das vor­lie­gen­de Ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wur­de“). Da­mit kann ins­be­son­de­re die Sat­zungsände­rung der DHV von 2012 die Rechts­kraft be­en­det ha­ben. Das ist – wie es auch das Ar­beits­ge­richt sieht - der Fall.
98 Schon die Sat­zungsände­run­gen aus den Jah­ren 2006 („Die Mit­glied­schaft können ins­be­son­de­re Ar­beit­neh­mer in kaufmänni­schen und ver­wal­ten­den Be­ru­fen er­wer­ben…“) und 2009 (…Bran­chen…, in de­nen die DHV eta­blier­ter Ta­rif­part­ner ist oder in de­nen die DHV über ei­ne hin­rei­chen­de Re­präsen­ta­ti­vität verfügt…“) dien­ten der Er­wei­te­rung der Zuständig­keit der DHV bei­spiels­wei­se in die Be­rei­che Deut­sches Ro­tes Kreuz und Pri­vat­kli­ni­ken. Die­se Sat­zun­gen hat­ten vor dem BAG kei­nen Be­stand (10. Fe­bru­ar 2009 – 1 ABR 36/08; 17. April 2012 – 1 ABR 5/11 – ju­ris). Zu­gleich wa­ren sie Re­flex auf die teil­wei­se par­al­lel lau­fen­den Ge­richts­ver­fah­ren und aus­drück­lich be­gründet mit den An­for­de­run­gen der Recht­spre­chung. In der Ent­schei­dung vom 10. Fe­bru­ar 2009 (Rn 44) heißt es wört­lich: „Ei­ne Sat­zungs­aus­le­gung, die ei­ne All­zuständig­keit der DHV be­gründet, wi­der­spricht zu­dem de­ren ob­jek­ti­vem In­ter­es­se. Sie könn­te zu ih­rer Exis­tenz­ver­nich­tung führen, weil sie ih­re - nur zur frühe­ren Fas­sung der Sat­zung rechts­kräftig fest­ge­stell­te - Ta­riffähig­keit in Ge­fahr bräch­te. Die DHV hat aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich ih­re so­zia­le Mäch­tig­keit für ei­ne All­zuständig­keit als nicht aus­rei­chend er­wei­sen könn­te“. Mit an­de­ren Wor­ten: Nicht nur kann ei­ne Sat­zungsände­rung ei­ne we­sent­li­che Ände­rung der Verhält­nis­se dar­stel­len und die Ver­ei­ni­gung in exis­ten­ti­el­le Ge­fahr brin­gen; auf­grund der kla­ren Wor­te des BAG war die DHV ge­wahr­schaut, ih­re Funk­ti­ons­träger und Mit­glie­der wuss­ten um die Ge­fahr ei­ner Verwässe­rung des Zuständig­keits­be­rei­ches.
99 Mit dem Ar­beits­ge­richt Ham­burg ist ei­ne we­sent­li­che Ände­rung der tatsächli­chen Verhält­nis­se in der Er­stre­ckung des Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reichs auf al­le Ar­beit­neh­mer der ge­nann­ten Bran­chen zu se­hen. Die DHV ist von ei­ner An­ge­stell­ten-Ge­werk­schaft zu ei­ner Ge­werk­schaft ge­wor­den, die auch ge­werb­li­che Mit­ar­bei­ter er­fasst. 1956 er­streck­te sich der Zuständig­keits­be­reich der DHV auf Kauf­manns­ge­hil­fen, 1978 dann auf An­ge­stell­te im Han­del, der In­dus­trie und im pri­va­ten und öffent­li­chen Dienst­leis­tungs­be­reich. Ab 2002 wur­den Ar­beit­neh­mer in kaufmänni­schen und ver­wal­ten­den Be­ru­fen, die in der pri­va­ten Wirt­schaft und dem öffent­li­chen Dienst tätig sind, er­fasst. 2012 wur­de die­se abs­trak­te Be­schrei­bung kom­bi­niert mit ei­ner kon­kre­ten Bran­chen­be­schrei­bung (Ban­ken, Ein­zel­han­del, Groß- und Außen­han­del usw.) so­wie zusätz­lich auf die Leih­ar­beit­neh­mer in den Bran­chen er­streckt. Mit der Sat­zung 2012 wur­den 15 Mil­lio­nen Beschäfti­gungs­verhält­nis­se er­fasst. Mit die­ser Sat­zung wur­den die Zuständig­keits­be­rei­che da­durch cha­rak­te­ri­siert, dass die or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mer über­wie­gend An­ge­stell­te – nach al­tem Rechts­verständ­nis - sind und zwar im Durch­schnitt zu 80 Pro­zent. An­ders ge­sagt: ei­ne Er­stre­ckung der Zuständig­keit auf ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer im Um­fang von 20 Pro­zent stellt ei­ne er­heb­li­che Ände­rung ge­genüber dem – frühe­ren – elitären Selbst­verständ­nis der DHV dar. Dies und die Neu­aus­rich­tung der Sat­zung nach Bran­chen führen im Er­geb­nis da­zu, dass dem Ge­richt ein Streit un­ter­brei­tet wird, der sich im Ver­gleich zu den vor­an­ge­gan­gen, rechts­kräftig ent­schie­de­nen Anträgen als ein neu­er Streit dar­stellt.
100 2. Die da­nach zulässig ge­stell­ten Anträge der An­trag­stel­ler sind al­ler­dings un­be­gründet. Auf der Grund­la­ge der tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen die­ses Ge­richts und bei ver­fas­sungs­kon­for­mer Aus­le­gung des Ge­werk­schafts­be­griffs ist die Ta­riffähig­keit der DHV zu be­ja­hen.
101 a. Das BAG fasst die an­zu­wen­den­den Rechts­grund­la­gen in der GKH-Ent­schei­dung (5. Ok­to­ber 2010 – 1 ABR 88/09 – ju­ris, GKH = Ge­werk­schaft für Kunst­stoff­ge­wer­be und Holz­ver­ar­bei­tung im Christ­li­chen Ge­werk­schafts­bund) wie folgt zu­sam­men: We­der der Be­griff noch die An­for­de­run­gen, die an die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung zu stel­len sind, sind ge­setz­lich ge­re­gelt. § 2 Abs. 1 TVG be­stimmt den Be­griff der ta­riffähi­gen Ge­werk­schaft nicht, son­dern setzt ihn vor­aus. Die Re­ge­lung in A III 2 des Staats­ver­trags über die Schaf­fung ei­ner Währungs-, Wirt­schafts- und So­zi­al­uni­on zwi­schen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der Deut­schen De­mo­kra­ti­schen Re­pu­blik vom 18. Mai 1990 und dem Ge­mein­sa­men Pro­to­koll über Leitsätze, die na­he­zu wort­gleich den von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten An­for­de­run­gen ent­spricht, stellt eben­falls kei­ne ge­setz­li­che Nor­mie­rung der an die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung zu stel­len­den Vor­aus­set­zun­gen dar. Sie hat zwar durch das Zu­stim­mungs­ge­setz des Bun­des­tags vom 25. Ju­ni 1990 (BGBl. II S. 518) Auf­nah­me in den Wil­len des Ge­setz­ge­bers ge­fun­den. Ma­te­ri­el­les Ge­setz ist sie da­durch aber nicht ge­wor­den (BAG 6. Ju­ni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 4 c der Gründe, BA­GE 95, 47). Es ist da­her Auf­ga­be der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen, im Rah­men der an sie her­an­ge­tra­ge­nen Strei­tig­keit den un­be­stimm­ten Rechts­be­griff durch Aus­le­gung im Lich­te des Art. 9 Abs. 3 GG aus­zufüllen (vgl. BVerfG 20. Ok­to­ber 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I 2 der Gründe, BVerfGE 58, 233) und da­bei die im Zu­stim­mungs­ge­setz vom 25. Ju­ni 1990 zum Aus­druck ge­kom­me­ne Wil­lens­be­kun­dung der Ge­setz­ge­bungs­or­ga­ne der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu be­ach­ten (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 36, BA­GE 117, 308).
102 Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts muss ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung be­stimm­te Min­dest­vor­aus­set­zun­gen erfüllen, um ta­riffähig zu sein.
103 aa. Die Ko­ali­ti­on muss sich als sat­zungs­gemäße Auf­ga­be die Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen ih­rer Mit­glie­der in de­ren Ei­gen­schaft als Ar­beit­neh­mer ge­setzt ha­ben und wil­lens sein, Ta­rif­verträge zu schließen.
104 Dies ist bei der DHV sat­zungs­gemäß be­stimmt und nicht im Streit.
105 bb. Sie muss frei ge­bil­det, geg­ner­frei, un­abhängig und auf über­be­trieb­li­cher Grund­la­ge or­ga­ni­siert sein und das gel­ten­de Ta­rif­recht als ver­bind­lich an­er­ken­nen.Das Er­for­der­nis der Geg­ner­un­abhängig­keit ist al­ler­dings nicht im for­ma­len, son­dern im ma­te­ri­el­len Sinn zu ver­ste­hen. Es soll si­cher­stel­len, dass die Ver­ei­ni­gung durch ih­re ko­ali­ti­onsmäßige Betäti­gung zu ei­ner sinn­vol­len Ord­nung des Ar­beits­le­bens bei­tra­gen kann. Die er­for­der­li­che Geg­ner­un­abhängig­keit fehlt, wenn die Abhängig­keit vom so­zia­len Ge­gen­spie­ler in der Struk­tur der Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung an­ge­legt und ver­ste­tigt und die ei­genständi­ge In­ter­es­sen­wahr­neh­mung der Ta­rif­ver­trags­par­tei durch per­so­nel­le Ver­flech­tun­gen, auf or­ga­ni­sa­to­ri­schem Weg oder durch we­sent­li­che fi­nan­zi­el­le Zu­wen­dun­gen ernst­haft gefähr­det ist. Dar­an ist ins­be­son­de­re zu den­ken, wenn sie sich im We­sent­li­chen nicht aus den Beiträgen ih­rer Mit­glie­der fi­nan­ziert und des­halb zu befürch­ten ist, dass die Ar­beit­ge­ber­sei­te durch An­dro­hung der Zah­lungs­ein­stel­lung die Wil­lens­bil­dung auf Ar­beit­neh­mer­sei­te be­ein­flus­sen kann.
106 Die DHV an­er­kennt das gel­ten­de Ta­rif­recht und sie ist geg­ner­frei. An­ders als im Jah­re 1956 fin­den sich je­den­falls jetzt kei­ne Hin­wei­se dar­auf, dass die DHV geg­ner­fi­nan­ziert und kor­rupt sein könn­te. Nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me verfügt die DHV über nen­nens­wer­te jähr­li­che Ein­nah­men, nämlich – bei der letzt­lich nach­ge­wie­se­nen Mit­glie­der­zahl von 70 bis 75.000 und ei­nem Mo­nats­bei­trag von ca. € 11,- - über ca. € ... (so auch der Haus­halts­plan, Anl. AG 210, Bl. 2009 ff d.A.). Auch im Übri­gen ist nicht er­kenn­bar, dass die DHV ar­beit­ge­ber­ge­steu­ert ist.
107 cc. Ei­ne Ge­werk­schaft muss auch von ih­rem or­ga­ni­sa­to­ri­schen Auf­bau her in der La­ge sein, die ihr ge­stell­ten Auf­ga­ben zu erfüllen. Der Ab­schluss von Ta­rif­verträgen er­for­dert Vor­be­rei­tun­gen. Hierfür sind die wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen und sons­ti­gen Rah­men­be­din­gun­gen zu be­ob­ach­ten und zu pro­gnos­ti­zie­ren, um dar­aus die Ta­rif­for­de­run­gen zu ent­wi­ckeln. Auch muss die tatsächli­che Durchführung ei­nes Ta­rif­ver­trags über­wacht und ab­ge­si­chert wer­den. Das Ver­hand­lungs­er­geb­nis, das re­gelmäßig Kom­pro­miss­cha­rak­ter hat, muss ver­bands­in­tern ver­mit­telt und durch­ge­setzt wer­den. Die Erfüllung die­ser Auf­ga­ben muss ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung si­cher­stel­len, um als Ge­werk­schaft Ta­rif­verträge ab­sch­ließen zu können. An den er­for­der­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­ons­auf­bau können da­bei kei­ne star­ren Min­dest­an­for­de­run­gen ge­stellt wer­den. Maßgeb­lich sind auch in­so­weit die Umstände des Ein­zel­falls. Ent­schei­dend ist, ob die Or­ga­ni­sa­ti­on ih­re Auf­ga­ben in dem selbst be­stimm­ten Zuständig­keits­be­reich erfüllen kann. Er­streckt sich die­ser auf das ge­sam­te Bun­des­ge­biet und auf Ar­beit­neh­mer in ei­ner Viel­zahl von Be­ru­fen und Spar­ten, wird re­gelmäßig ei­ne er­heb­li­che or­ga­ni­sa­to­ri­sche Aus­stat­tung auch in der Fläche er­for­der­lich sein. Meist wird ei­ne leis­tungsfähi­ge Or­ga­ni­sa­ti­on ei­nen haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­te­rap­pa­rat er­for­dern. Un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung für ei­ne Ge­werk­schaft ist die Beschäfti­gung haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter aber nicht. Es ist nicht von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen, ei­ne leis­tungsfähi­ge Or­ga­ni­sa­ti­on auch auf der Grund­la­ge eh­ren­amt­li­cher Mit­ar­beit auf­zu­bau­en. Al­ler­dings müssen dann die eh­ren­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter über die er­for­der­li­chen Kennt­nis­se und Er­fah­run­gen verfügen (BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 - m.w.N., ju­ris). An­ders ge­sagt: Es kann von ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung nicht ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on ver­langt wer­den, die aus­sch­ließlich oder über­wie­gend von Mit­ar­bei­tern ge­tra­gen wird, die in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu ihr ste­hen. Es muss je­doch gewähr­leis­tet sein, dass die Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung über loya­le Mit­ar­bei­ter verfügt, die ihr und ih­ren Mit­glie­dern im Kon­flikt­fall ver­pflich­tet sind und nicht dem be­stim­men­den Ein­fluss Drit­ter un­ter­lie­gen.
108 Auch in­so­weit genügt die DHV den An­for­de­run­gen der Recht­spre­chung. Sie hat seit dem Jah­re 1950 ca. 24.000 Ta­rif­verträge ab­ge­schlos­sen und verfügt in ih­rem bun­des­wei­ten Zuständig­keits­be­reich über ei­ne ei­ge­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, die hin­rei­chend leis­tungsfähig ist, um die ge­stell­ten Auf­ga­ben im Rah­men der Ta­rif­au­to­no­mie auch als klei­ne Ge­werk­schaft zu erfüllen. Die DHV verfügt so­gar über haupt­amt­li­che Mit­ar­bei­ter. Nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me gilt: Die DHV beschäftigt re­gelmäßig 13 haupt­amt­li­che Ge­werk­schafts­se­kretäre, ge­nannt Geschäftsführer. Si­cher­lich gibt es bei die­sen Stel­len ei­ne Fluk­tua­ti­on. Freie Stel­len wer­den aber re­gelmäßig wie­der­be­setzt. Die­se Mit­ar­bei­ter sind ganz über­wie­gend in Voll­zeit beschäftigt. Mögen sie auch teil­wei­se – eh­ren­amt­lich – im Dach­ver­band Ge­werk­schafts­bund 1 tätig sein, ste­hen sie haupt­amt­lich der DHV zur Verfügung. Da­zu kom­men 18 Ver­wal­tungs­kräfte und es er­gibt sich da­mit ei­ne durch­aus leis­tungsfähi­ge Or­ga­ni­sa­ti­on.
109 Die­se Er­kennt­nis­se be­ru­hen auf den Aus­sa­gen des Zeu­gen A.. Auch wenn er der frühe­re Vor­sit­zen­de der DHV war, hat die Kam­mer kei­ne Zwei­fel an der Glaubwürdig­keit des Zeu­gen. Er hat sei­ne Aus­sa­gen de­tail­liert und wi­der­spruchs­frei ge­macht und ein­geräumt, wenn er Din­ge nicht wuss­te oder Fra­gen nur nach Ein­blick in Un­ter­la­gen hätte be­ant­wor­ten können. Auch im Rah­men ih­rer Stel­lung­nah­me zur durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me wur­den ernst­haf­te Zwei­fel von Sei­ten der An­trag­stel­ler an sei­ner Glaubwürdig­keit nicht geäußert.
110 dd. Darüber hin­aus muss die Ver­ei­ni­gung nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts über Durch­set­zungs­kraft ge­genüber dem so­zia­len Ge­gen­spie­ler verfügen. Der ihr ob­lie­gen­den Mit­wir­kung am Zu­stan­de­kom­men ei­nes an­ge­mes­se­nen, so­zi­al be­frie­den­den In­ter­es­sen­aus­gleichs kann sie nur sach­ge­recht nach­kom­men, wenn sie auf die Ar­beit­ge­ber­sei­te zu­min­dest so viel Druck ausüben kann, dass die­se sich ver­an­lasst sieht, sich auf Ver­hand­lun­gen über ta­rif­ver­trag­lich re­gel­ba­re Ar­beits­be­din­gun­gen ein­zu­las­sen (BAG vom 5. Ok­to­ber 2010 - 1 ABR 88/09 - ju­ris). Die­se An­for­de­run­gen an die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on si­chern die Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie und sind ge­mes­sen an die­sem Re­ge­lungs­ziel – je­den­falls nach der vom BAG vor­ge­fun­de­nen Rechts­la­ge im Jah­re 2010 - ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.
111 Die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­or­ga­ni­sa­ti­on be­stimmt sich nach ei­ner Ge­wich­tung der hierfür von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Kri­te­ri­en ent­spre­chend den Umständen des Ein­zel­falls. Da­bei dürfen die je­wei­li­gen An­for­de­run­gen an die Ta­riffähig­keit und da­mit an die so­zia­le Mäch­tig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung nicht von Umständen abhängig ge­macht wer­den, die nicht von der im all­ge­mei­nen In­ter­es­se lie­gen­den Auf­ga­be der Ko­ali­tio­nen, das Ar­beits­le­ben zu ord­nen und zu be­frie­den, ge­for­dert wer­den. An­for­de­run­gen, die nicht zur Si­che­rung der Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie ge­eig­net, er­for­der­lich und an­ge­mes­sen sind, über­schrei­ten die Gren­ze der Aus­ge­stal­tung. Die da­mit ver­bun­de­ne Be­ein­träch­ti­gung der Ko­ali­ti­ons­betäti­gungs­frei­heit wäre ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu recht­fer­ti­gen. Da die an die Ta­riffähig­keit zu stel­len­den An­for­de­run­gen nicht un­verhält­nismäßig auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te freie Bil­dung und Betäti­gung ei­ner Ko­ali­ti­on zurück­wir­ken dürfen, kann Durch­set­zungsfähig­keit ge­genüber dem so­zia­len Ge­gen­spie­ler nicht be­deu­ten, dass die Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on die Chan­ce des vollständi­gen Sie­ges ha­ben muss. Es muss nur er­war­tet wer­den können, dass sie auf­grund ih­rer Mit­glie­der- oder Or­ga­ni­sa­ti­onsstärke vom Geg­ner ernst ge­nom­men wird und des­halb die Re­ge­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen nicht ei­nem Dik­tat der Ar­beit­ge­ber­sei­te ent­springt.
112 Für die ein­zel­fall­be­zo­ge­ne Be­ur­tei­lung der Mäch­tig­keit und Leis­tungsfähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung kommt der Mit­glie­der­zahl ei­ne ent­schei­den­de Be­deu­tung zu. Darüber hin­aus kommt es auf die Teil­nah­me am Ta­rif­ge­sche­hen an. Die Zahl der or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mer be­stimmt zunächst die fi­nan­zi­el­le Aus­stat­tung ei­ner Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on. Sie ent­schei­det über de­ren or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit und auch darüber, ob ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung in der La­ge ist, die mit dem Ab­schluss von Ta­rif­verträgen ver­bun­de­nen fi­nan­zi­el­len und per­so­nel­len Las­ten zu tra­gen. Vor al­lem aber gibt die Mit­glie­der­zahl im selbst gewähl­ten fach­li­chen und räum­li­chen Zuständig­keits­be­reich Auf­schluss darüber, ob ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung un­ter Berück­sich­ti­gung ih­res or­ga­ni­sa­to­ri­schen Auf­baus über­haupt in der La­ge ist, hin­rei­chen­den Druck auf den so­zia­len Ge­gen­spie­ler auf­zu­bau­en, um Ver­hand­lun­gen über den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags zu er­zwin­gen. Die­se Fähig­keit kann sich auch dar­aus er­ge­ben, dass es sich bei den or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mern um Spe­zia­lis­ten in Schlüssel­stel­lun­gen han­delt, die von der Ar­beit­ge­ber­sei­te im Fall ei­nes Ar­beits­kamp­fes kurz­fris­tig nur schwer er­setzt wer­den können. Ins­ge­samt genügt es, wenn ei­ne Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on ei­ne mit­glieds­be­zo­ge­ne Durch­set­zungsfähig­keit in ei­nem zu­min­dest nicht un­er­heb­li­chen Teil des be­an­spruch­ten Zuständig­keits­be­reichs be­sitzt. Be­reits dies lässt er­war­ten, dass sich die Ver­ei­ni­gung auch in den Be­rei­chen, in de­nen es ihr an Durch­set­zungs­kraft fehlt, beim Ab­schluss von Ta­rif­verträgen nicht den For­de­run­gen der Ar­beit­ge­ber­sei­te un­ter­wirft.
113 Ver­blei­ben Zwei­fel an der durch die Mit­glie­der ver­mit­tel­ten so­zia­len Mäch­tig­keit und der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Leis­tungsfähig­keit, kann zur Fest­stel­lung der Durch­set­zungs­kraft ei­ner Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on auch de­ren langjähri­ge Teil­nah­me am Ta­rif­ge­sche­hen in die Be­ur­tei­lung ein­be­zo­gen wer­den. Ei­ne ei­ge­ne ak­ti­ve und dau­er­haf­te Be­tei­li­gung am Pro­zess der ta­rif­li­chen Re­ge­lung von Ar­beits­be­din­gun­gen in ei­nem re­le­van­ten Teil des be­an­spruch­ten Zuständig­keits­be­reichs kann ein Be­leg dafür sein, dass die Ko­ali­ti­on von der Ar­beit­ge­ber­sei­te wahr- und ernst­ge­nom­men wird. Hat ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ori­ginär aus­ge­han­del­te, ei­genständi­ge Ta­rif­verträge in nen­nens­wer­tem Um­fang ge­schlos­sen, ist die­ser Um­stand ge­eig­net, ih­re Durch­set­zungsfähig­keit zu be­le­gen, so­weit es sich nicht um Schein- oder Gefällig­keits­ta­rif­verträge han­delt oder sol­che, die auf ei­nem Dik­tat der Ar­beit­ge­ber­sei­te be­ru­hen. Ta­rif­ab­schlüsse, die von ei­ner Ta­rif­ge­mein­schaft er­zielt wer­den, können da­ge­gen nicht als ein zu­verlässi­ges In­diz dafür an­ge­se­hen wer­den, dass die ein­zel­nen Mit­glie­der der Ta­rif­ge­mein­schaft je­weils für sich ge­nom­men von den Ar­beit­ge­bern ernst ge­nom­men wer­den und je­weils die er­for­der­li­che Durch­set­zungs­kraft be­sit­zen. In die­sen Fällen kommt es viel­mehr auf­grund des ge­mein­sa­men Auf­tre­tens der in der Ta­rif­ge­mein­schaft zu­sam­men­ge­fass­ten Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gun­gen zum Ta­rif­ab­schluss, oh­ne dass den ein­zel­nen Ko­ali­tio­nen hier­bei in­di­vi­du­el­le Ver­hand­lungs­beiträge zu­ge­ord­net wer­den können. Ei­ne nen­nens­wer­te An­zahl be­reits ab­ge­schlos­se­ner Ta­rif­verträge in­di­ziert re­gelmäßig auch die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Fähig­keit zu de­ren Vor­be­rei­tung und Ab­schluss. Für die Fähig­keit, die tatsächli­che Durchführung ei­nes Ta­rif­ver­trags zu über­wa­chen, gilt das al­ler­dings nur ein­ge­schränkt. In­so­weit genügt aber, dass die Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on im Be­darfs­fall die tatsächli­che Ein­hal­tung der von ihr ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge kon­trol­lie­ren und gewähr­leis­ten kann (BAG vom 5. Ok­to­ber 2010 - 1 ABR 88/09 - m.w.N., ju­ris).
114 b. Die Kam­mer ver­steht die der Rechts­la­ge im Jah­re 2010 ent­spre­chen­den Rechts­grundsätze des BAG zur Mäch­tig­keit hier­bei wie folgt: Nach der CGM-Ent­schei­dung (28. März 2006 – 1 ABR 58/04 – ju­ris, CGM = Christ­li­che Ge­werk­schaft Me­tall) be­legt schon ein nen­nens­wer­ter Um­fang von ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträgen re­gelmäßig die Durch­set­zungs­kraft ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung, die be­reits am Ta­rif­ge­sche­hen teil­ge­nom­men hat. Die GKH-Ent­schei­dung präzi­siert die­se An­for­de­rung ins­be­son­de­re für jun­ge Ar­beit­neh­mer­ko­ali­tio­nen. Bei ih­nen be­mes­se sich ih­re Durch­set­zungs­kraft vor­ran­gig an­hand der Mit­glie­der­zahl und or­ga­ni­sa­to­ri­schen Leis­tungsfähig­keit.
115 Die bei­den Kri­te­ri­en, die für die so­zia­le Mäch­tig­keit Be­deu­tung ha­ben, sind dem­nach ein Mit-glie­der­be­stand, der die Ver­ei­ni­gung in die La­ge ver­setzt, hin­rei­chen­den Druck auf den so­zia­len Ge­gen­spie­ler aus­zuüben und ei­ne bis­he­ri­ge Teil­nah­me am Ta­rif­ge­sche­hen, die be­le­gen kann, dass sie von der Ar­beit­ge­ber­sei­te wahr- und ernst­ge­nom­men wird. Die Kri­te­ri­en ste­hen da­bei nicht be­lang­los ne­ben­ein­an­der. Je nach „Al­ter“ der Ge­werk­schaft kommt es mehr auf den ei­nen oder den an­de­ren Punkt an: Die CGM, ei­ne Ge­werk­schaft die im Jahr 1899 ge­gründet wur­de, konn­te mit dem Ab­schluss von ca. 3.000 An­schluss­ta­rif­verträgen ih­re Durch­set­zungs­kraft be­le­gen, ob­wohl ih­re Or­ga­ni­sa­ti­onsstärke mit et­wa 1,6 % al­lein die­sen Schluss nicht zu­ließ. Die GKH hin­ge­gen war mit ih­rer Gründung im Jah­re 2003 ei­ne jun­ge Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung. Das LAG Hamm hat­te ih­re Mit­glie­derstärke nicht fest­ge­stellt und al­lein auf­grund der Zahl der ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge (120) ih­re Leis­tungsfähig­keit be­jaht (LAG Hamm 13. März 2009 – 10 TaBV 89/08). Das BAG stell­te mit sei­ner Ent­schei­dung vom 5. Ok­to­ber 2010 klar, dass die­ser Schluss un­zu­tref­fend war. Denn auch in der CGM-Ent­schei­dung hat­te das BAG auf ei­ne Fest­stel­lung des Or­ga­ni­sa­ti­ons­gra­des nicht ver­zich­tet, son­dern nur die Fra­ge of­fen ge­las­sen, ob al­lein der Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad der CGM aus­rei­chend sei, um ih­re Durch­set­zungs­kraft zu be­ja­hen. Die Fest­stel­lung des Mit­glieds­be­stands sei vor al­lem bei ei­ner jun­gen Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on un­ent­behr­lich, da ih­re Ta­riffähig­keit nicht mit dem Ab­schluss von Ta­rif­verträgen ent­ste­he, son­dern dafür Vor­aus­set­zung sei. Dass die Ar­beit­ge­ber­sei­te ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung beim erst­ma­li­gen Aus­han­deln ei­nes Ta­rif­ver­trags ernst ge­nom­men ha­be, sei an­hand der Mit­glie­der­zahl oder -struk­tur zu er­mit­teln. An­de­ren­falls be­ste­he das Po­ten­ti­al für Miss­brauch, denn die Ar­beit­ge­ber­sei­te könn­te sich nur des­halb auf ei­nen Ta­rif­ab­schluss ein­ge­las­sen ha­ben, um die Ar­beits­be­din­gun­gen auf ei­ne für sie güns­ti­ge Wei­se zu re­geln.
116 Die Ent­schei­dung des BAG in Sa­che der GKH hat da­mit nicht mit den Grundsätzen der CGM-Ent­schei­dung ge­bro­chen, son­dern sie für die Fest­stel­lung der Ta­riffähig­keit jun­ger Ar­beit­neh­mer­ko­ali­tio­nen ergänzt. Al­lein die Fest­stel­lung der Ta­rif­ab­schlüsse von nen­nens­wer­tem Um­fang genügt dann nicht für die Durch­set­zungs­kraft ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung, da an­de­ren­falls bei jun­gen Ge­werk­schaf­ten ein Kor­rup­ti­ons­an­reiz be­gründet würde, möglichst schnell vie­le Ta­rif­ab­schlüsse zu er­wir­ken. Des­halb kommt der Mit­glie­der­zahl ent­schei­den­de Be­deu­tung zu, bei Zwei­feln an der durch die Mit­glie­der ver­mit­tel­ten so­zia­len Mäch­tig­keit und or­ga­ni­sa­to­ri­scher Leis­tungsfähig­keit kommt es darüber hin­aus auf die Teil­nah­me am Ta­rif­ge­sche­hen an. Die Ta­riffähig­keit ei­ner eta­blier­ten Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung soll nach die­sen Grundsätzen nicht dar­an schei­tern, dass kein großer Mit­glieds­be­stand auf­ge­zeigt wer­den kann. In die­sem Fall kann auch die ak­ti­ve und dau­er­haf­te Teil­nah­me am Ta­rif­ge­sche­hen die so­zia­le Mäch­tig­keit be­le­gen. Sie stellt dann nicht nur ein In­diz der Ta­riffähig­keit dar, son­dern ih­ren Be­leg.
117 Wel­che Or­ga­ni­sa­ti­onsstärke ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung auf­wei­sen muss, um ta­riffähig zu sein, lässt sich nicht pau­schal be­ant­wor­ten. In der Recht­spre­chung fin­det sich der Wert von 0,3 % als ein Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad, der die Durch­set­zungs­kraft um­fas­send in Fra­ge stel­le (BAG 14. De­zem­ber 2010 – 1 ABR 19/10 – Rn 107, ju­ris), bzw. 1 Pro­zent (LAG Ham­burg 21. März 2012 - 3 TaBV 7/11 – ju­ris, zu Med­so­net) so­wie der Wert von 1,6 %, bei dem Zwei­fel an der Durch­set­zungs­kraft bestünden (CGM-Ent­schei­dung).
118 c. In An­wen­dung die­ser vom BAG auf­ge­stell­ten Grundsätze auf vor­lie­gen­den Ein­zel­fall ist zunächst fest­zu­stel­len, dass die DHV kei­ne jun­ge Ge­werk­schaft ist, bei der es auf die Zahl der ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge eher we­ni­ger an­kom­men könn­te. Die DHV wur­de im 19. Jahr­hun­dert ge­gründet und ver­lor ih­re Ge­werk­schafts­ei­gen­schaft im Jah­re 1933. Art. 9 Abs. 3 GG wur­de ge­schaf­fen, da­mit Ge­werk­schaf­ten wie­der ge­bil­det wer­den konn­ten, nach­dem man sie in den fa­ta­len 12 Jah­ren nach 1933 ge­ra­de be­sei­tigt hat­te (Ga­mill­scheg AuR 2015, 223). Die DHV wur­de im Jah­re 1950 neu­ge­gründet. Sat­zungsände­run­gen, die auf­bau­end auf die­se lan­ge Tra­di­ti­on der DHV Zuständig­keits­be­rei­che er­wei­tern, teil­wei­se neu zu­schnei­den und zu ei­nem An­teil von 20% ge­werb­li­chen Mit­ar­bei­tern führen, las­sen nicht den Schluss zu, es han­de­le sich um ei­ne Neu­gründung, ei­ne neue Ver­ei­ni­gung iS. vor­ge­nann­ter Recht­spre­chung.
119 Nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me tref­fen die An­ga­ben der DHV über die Zahl der seit dem Jah­re 1950 ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge und ih­re Mit­glie­der­zahl in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zu. Der Zeu­ge A. hat die Zahl der seit dem Jah­re 1950 ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge mit ca. 25.000 an­ge­ge­ben, eher mehr. Der Zeu­ge A. hat glaub­haft von ca. 70 bis 75.000 Mit­glie­dern ge­spro­chen. Die­se Zah­len sei­en ihm auf­grund sei­ner Ei­gen­schaft als frühe­rer Vor­sit­zen­der be­kannt. Sei­ne An­ga­ben wer­den bestätigt durch die gemäß § 58 Abs. 3 ArbGG zum Ge­gen­stand der Anhörung ge­mach­te no­ta­ri­el­le Ur­kun­de vom 22. Ja­nu­ar 2016 (Anl. AG 209, Bl. 2008 d.A.). Die No­ta­rin be­schei­nigt dar­in, dass ihr ein Schriftstück im Um­fang von 954 Sei­ten vor­ge­legt wor­den sei. Es sei ihr mit­ge­teilt wor­den, dass die­ses Schriftstück die Da­tensätze der DHV-Mit­glie­der wie­der­ge­be. Je­de Sei­te würde um die 77 Da­tensätze (u.a. Mit­glieds­num­mer, Na­men, Adres­sen) ent­hal­ten und die Da­ten­satz­num­mern würden je­den­falls fort­lau­fend er­schei­nen. Die letz­te Zahl lau­te 73.451. Je­den­falls in Ver­bin­dung mit der Zeu­gen­aus­sa­ge stellt sich die no­ta­ri­el­le Ur­kun­de als wei­te­res Er­kennt­nis­mit­tel mit schlüssi­gen An­ga­ben für das Be­weisthe­ma dar.
120 An­ge­sichts die­ses da­mit nach­ge­wie­se­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­gra­des, der Viel­zahl der ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge und der lan­gen Ge­schich­te der DHV als al­ter, wenn auch klei­ner Ge­werk­schaft ist des­halb bei ei­ner Ge­samtwürdi­gung des Ein­zel­fal­les von ei­ner hin­rei­chen­den Mäch­tig­keit und da­mit ih­rer Ta­riffähig­keit aus­zu­ge­hen.
121 d. Darüber hin­aus ist auf­grund neue­rer Ge­set­ze zur Re­ge­lung der Ta­rif­au­to­no­mie die Mäch­tig­keits­recht­spre­chung des BAG zu über­den­ken. Zu­min­dest ist nach Auf­fas­sung der Kam­mer der Maßstab für die Prüfung der Mäch­tig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung we­gen die­ser veränder­ten recht­li­chen Si­tua­ti­on in An­be­tracht des aus Art. 9 Abs. 3 GG fol­gen­den Schut­zes zu­guns­ten der klei­nen Ge­werk­schaf­ten nicht nur un­be­deu­tend ab­zu­sen­ken.
122 Das Er­for­der­nis ei­ner ge­wis­sen „Ver­bands­macht" stellt herkömmlich ein ge­eig­ne­tes und er­for­der­li­ches Mit­tel der Be­stim­mung der Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung dar. Es sol­len nur sol­che Ko­ali­tio­nen an der Ta­rif­au­to­no­mie teil­neh­men können, die in der La­ge sind, den von der staat­li­chen Rechts­ord­nung frei­ge­las­se­nen Raum des Ar­beits­le­bens durch Ta­rif­verträge zu ge­stal­ten, und so die Ge­mein­schaft zu be­frie­den. Da­zu gehört ei­ne ge­wis­se „Mäch­tig­keit" (BVerfG 16. Sep­tem­ber 1991 - 1 BvR 453/90 – ju­ris). In­dem die Recht­spre­chung des BAG ei­ner nicht durch­set­zungsfähi­gen Ko­ali­ti­on die Ta­riffähig­keit nicht zu­er­kennt und dies da­mit an­de­ren - durch­set­zungsfähi­gen – Ko­ali­tio­nen zu­weist, sorgt sie für ein funk­tio­nie­ren­des Ta­rif­sys­tem und ver­mei­det, dass der Staat zur sinn­vol­len Ord­nung des Ar­beits­le­bens ge­zwun­gen wird, Ar­beits­be­din­gun­gen fest­zu­set­zen (Ga­mill­scheg AuR 2015, S.225). Der Ein­griff in das Grund­recht aus Art. 9 Abs. 3 GG recht­fer­tigt sich so­mit durch die Gewähr­leis­tung ei­nes funk­ti­onsfähi­gen – staats­fer­nen - Ta­rif­ver­trags­sys­tems.
123 Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leis­tet je­der­mann das Recht, zur Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen Ver­ei­ni­gun­gen zu bil­den. Die in­di­vi­du­al­recht­li­che Gewähr­leis­tung setzt sich nach fest­ste­hen­der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts in ei­nem Frei­heits­recht der Ko­ali­tio­nen selbst fort. Es schützt ih­ren Be­stand und ih­re Or­ga­ni­sa­ti­on, das Ver­fah­ren ih­rer Wil­lens­bil­dung und die Führung ih­rer Geschäfte. Geschützt sind fer­ner die Selbst­be­stim­mung der Ko­ali­tio­nen über ih­re in­ne­re Ord­nung so­wie ih­re Tätig­kei­ten zum Zwe­cke der Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen ih­rer Mit­glie­der (BVerfG 24. Fe­bru­ar 1999 – 1 BvR 123/93 – ju­ris).
124 In die­ses bewähr­te Sys­tem aus Grund­recht und des­sen Ein­schränkung durch das Er­for­der­nis ei­nes funk­tio­nie­ren­den Ta­rif­ver­trags­sys­tems hat der Staat al­ler­dings auch in Fol­ge der Recht­spre­chung des BAG zur Ta­rifp­lu­ra­lität (7. Ju­li 2010 - 4 AZR 537/08 – ju­ris) mitt­ler­wei­le ein­ge­grif­fen: Die seit 1. Ju­li 2015 im Rah­men des Ta­rif­ein­heits­ge­set­zes in Kraft ge­tre­te­ne in § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG ge­re­gel­te Ver­drängung des Min­der­hei­ten­ta­rifs greift stark zum Nach­teil klei­ne­rer Ge­werk­schaf­ten in de­ren Ko­ali­ti­ons­frei­heit ein. Wenn nach der Be­gründung (BT-Drs. 18/4082) im Kol­li­si­ons­fall „im Sin­ne der Ta­rif­ein­heit“ ent­schie­den wer­den soll, dann wird ein Ar­beits­kampf der Min­der­heits­ge­werk­schaft un­verhält­nismäßig und un­zulässig sein (Grei­ner NZA, 776). Wenn die­ser Ein­griff ge­recht­fer­tigt wird mit der Si­che­rung der Schutz­funk­ti­on von Rechts­nor­men des Ta­rif­ver­tra­ges, § 4a Abs. 1 TVG, al­so der Ta­rif­au­to­no­mie, ist zu fra­gen, in­wie­weit es dann noch der Mäch­tig­keits­kon­trol­le klei­ne­rer Ge­werk­schaf­ten be­darf, de­ren Streikfähig­keit und da­mit At­trak­ti­vität für po­ten­ti­el­le Mit­glie­der so­wie­so schon stark ein­ge­schränkt ist. Die Ant­wort lau­tet: Zur Si­che­rung ei­ner funk­tio­nie­ren­den Ta­rif­au­to­no­mie ist da­mit ei­ne Mäch­tig­keits­kon­trol­le im je­den­falls herkömmli­chen Aus­maß bei der Prüfung der Ta­riffähig­keit im Rah­men des be­wusst vom Ge­setz­ge­ber nicht ab­ge­schaff­ten § 97 ArbGG nicht mehr er­for­der­lich.
125 Hin­zu kommt, dass durch die Vor­ga­ben ei­nes Min­dest­lohns der Ge­setz­ge­ber den wich­tigs­ten Pa­ra­me­ter des Ar­beits­le­bens be­reits nach un­ten hin fest­ge­setzt hat. Ei­ner ein­sei­ti­gen Fest­le­gung der Ar­beit­ge­ber­sei­te auf­grund ei­ner nicht durch­set­zungsfähi­gen Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung sind da­mit im Be­reich der Löhne rich­tig­keits­gewähren­de Gren­zen ge­setzt. Die so­zi­al­staat­li­che Ord­nungs- und Schutz­auf­ga­be der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en hat durch den Min­dest­lohn spürbar an Be­deu­tung ver­lo­ren. Der Staat hat ein­ge­grif­fen.
126 Zwar ist es wei­ter­hin ge­recht­fer­tigt und ge­bo­ten, ge­wis­se Min­dest­an­for­de­run­gen an den Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung zu stel­len, da Ta­rifp­lu­ra­lität nicht schlecht­hin aus­ge­schlos­sen ist. Der Ge­setz­ge­ber hat den § 97 ArbGG nicht ab­ge­schafft. We­gen des Fil­ters der Mit­glie­derstärke bei der An­wend­bar­keit ei­nes Ta­rif­ver­trags im Be­trieb über § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG und der ge­setz­lich fest­ge­leg­ten Lohn­un­ter­gren­ze des § 1 Mi­LoG sind die zu erfüllen­den Quo­ten je­doch im Lich­te des Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu hoch an­zu­set­zen. Bei Ge­werk­schaf­ten wie der DHV, die be­reits dau­er­haft am Ta­rif­le­ben teil­ge­nom­men und Ta­rif­verträge im nen­nens­wer­ten Um­fang ge­schlos­sen ha­ben, ist bei der Prüfung gemäß § 97 ArbGG aus ver­fas­sungs­recht­li­chen Gründen der Maßstab der Mäch­tig­keits­kon­trol­le bis hin zu ei­ner Ba­ga­tell­kon­trol­le ab­zu­sen­ken. Auch wenn die Mit­glie­derstärke der DHV da­nach be­zo­gen auf ih­ren Zuständig­keits­be­reich ei­nen An­teil von ca. 1 % oder knapp dar­un­ter er­gibt, so lässt sich ih­re Ta­riffähig­keit an­ge­sichts ih­rer langjähri­gen Tra­di­ti­on, der Zahl der ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge und an­ge­sichts der ge­setz­ge­be­ri­schen Ak­ti­vitäten im Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht ver­nei­nen.
127 Die erst­in­stanz­li­che Ent­schei­dung war des­halb ab­zuändern, die Anträge wa­ren zurück­zu­wei­sen.

C.

128 Die Rechts­be­schwer­de war gemäß §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zu­zu­las­sen.

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