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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/194

Vol­ler Frei­zeit­aus­gleich für Über­schrei­tun­gen der Höchst­ar­beits­zeit bei der Feu­er­wehr

Feu­er­wehr­be­am­te, die bis 2006 über 48 St­un­den pro Wo­che ge­ar­bei­tet ha­ben, kön­nen vol­len Frei­zeit­aus­gleich für die zu­viel ge­leis­te­ten St­un­den ver­lan­gen, auch für Be­reit­schafts­diens­te: Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Ur­tei­le vom 29.09.2011, 2 C 32.10 bis 2 C 37.10
Auch Feu­er­wehr­leu­te ha­ben ei­nen An­spruch auf Frei­zeit­aus­gleich
06.10.2011. Das Eu­ro­pa­recht schreibt ei­ne re­gel­mä­ßi­ge Ar­beits­wo­che von ma­xi­mal 48 St­un­den in­klu­si­ve Über­stun­den vor. Die­ser Schutz vor über­lan­gen Ar­beits­zei­ten gilt auch für Feu­er­wehr­be­am­te, Po­li­zis­ten und an­de­re Be­am­ten. Die­se Ar­beits­zeit­höchst­gren­ze wur­de in der Ver­gan­gen­heit von Bund und Län­dern viel­fach miss­ach­tet.

Nach­dem be­reits 2010 der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) die­sen sys­te­ma­ti­schen Rechts­ver­let­zun­gen ei­nen Rie­gel vor­ge­scho­ben hat und ei­ne ef­fek­ti­ve Sank­ti­on bzw. ei­nen ef­fek­ti­ven Aus­gleich für rechts­wid­ri­ge Ar­beits­zei­ten an­ge­mahnt hat­te (EuGH, Ur­teil vom 25.11.2010, C-429/09), hat nun­mehr auch das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung zu­guns­ten der Feu­er­wehr­leu­te ge­än­dert: BVerwG, Ur­tei­le vom 29.09.2011, 2 C 32.10 bis 2 C 37.10.

Auch für Feu­er­wehr­be­am­te gilt die 48-St­un­den­wo­che - ein­sch­ließlich Be­reit­schafts­dienst­zei­ten

Auf­grund der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 04.11.2003 (Richt­li­nie 2003/88/EG), der sog. Ar­beits­zeit­richt­li­nie müssen die EU-Mit­glied­staa­ten gewähr­leis­ten, dass die durch­schnitt­li­che Ar­beits­zeit der Ar­beit­neh­mer pro Sie­ben-Ta­ges-Zeit­raum 48 St­un­den nicht über­schrei­tet - Über­stun­den ein­ge­rech­net (Art.6 Buch­sta­be b) Ar­beits­zeit­richt­li­nie). Die­se Höchst­gren­ze von 48 Ar­beits­stun­den pro Wo­che en­hielt be­reits die Vorgänger­richt­li­nie aus dem Jahr 1993.

Außer­dem steht seit spätes­tens 2000 auf­grund ent­spre­chen­der Ur­tei­le des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH) fest, dass auch Be­reit­schafts­diens­te als Ar­beits­zeit gel­ten. Ar­beit­ge­ber können die 48-St­un­den-Gren­ze al­so nicht mit der "Be­gründung" um­ge­hen, dass Be­reit­schafts­dienst­zei­ten nicht als Ar­beits­zeit im Sin­ne die­ser Richt­li­nie zu zählen sei­en. Sch­ließlich gel­ten die Richt­li­nie und die 48-St­un­den-Gren­ze auch für Be­am­te, ins­be­son­de­re auch für Feu­er­wehr­be­am­te. Zwar dürfen die Mit­glied­staa­ten von die­sen Vor­ga­ben ab­wei­chen, al­ler­dings nicht im Rah­men der re­gulären Dienst­pla­nung, son­dern nur bei Notfällen.

Rechts­wid­ri­ge Ar­beits­zei­ten bei der Feu­er­wehr - oh­ne Aus­gleich?

Vie­le Bun­desländer ha­ben ih­re Feu­er­wehr­be­am­te trotz die­ser ein­deu­ti­gen Vor­ga­ben des Eu­ro­pa­rechts jah­re­lang sys­te­ma­tisch zu deut­lich länge­ren Diens­ten her­an­ge­zo­gen. Und nicht nur das - auch ein Frei­zeit­aus­gleich und/oder ein fi­nan­zi­el­ler Aus­gleich wur­de den Feu­er­wehr­be­am­ten ver­wei­gert.

Zur Be­gründung ver­wies man auf Re­ge­lun­gen des deut­schen Be­am­ten­recht, das ei­nen Frei­zeit­aus­gleich für Mehr­ar­beit nur un­ter en­gen Vor­aus­set­zun­gen vor­sieht, ins­be­son­de­re nur dann, wenn der Be­trof­fe­ne ei­nen vor­he­ri­gen aus­drück­li­chen An­trag auf Aus­gleich zu­viel bzw. rechts­wid­rig ge­leis­te­ter Über­stun­den ge­stellt hat.

Außer­dem soll es ei­nen Aus­gleich für rechts­wid­rig lan­ge Ar­beits­zei­ten al­len­falls in Form ei­nes Frei­zeit­aus­gleichs ge­ben, kei­nes­falls aber in Form zusätz­li­cher Be­zah­lung. Auch hier be­rie­fen sich die Dienst­her­ren auf das deut­sche Be­am­ten­recht, dem zu­fol­ge Be­am­te über­haupt nicht für ih­re Ar­beits­zei­ten be­zahlt wer­den, son­dern ei­ne von der Ar­beits­leis­tung un­abhängi­ge "Ali­men­ta­ti­on" er­hal­ten.

Die­se Ver­wei­ge­rungs­hal­tung gerät seit 2007 un­ter Druck, da die Ver­wal­tungs­ge­rich­te den kla­gen­den Fei­er­wehr­be­am­ten zu­neh­mend großzügi­ger Entschädi­gun­gen für rechts­wid­rig an­ge­ord­ne­te Ar­beits­zei­ten. Die­ser Recht­spre­chungs­wan­del ist rich­tig, da an­dern­falls das Eu­ro­pa­recht von deut­schen Dienst­her­ren oh­ne je­de Sank­ti­on miss­ach­tet wer­den könn­te, was den Grund­ge­dan­ken der Be­ein­flus­sung na­tio­na­ler Rechts­ord­nun­gen durch EU-Richt­li­ni­en wi­der­spricht.

Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt: Vol­ler Aus­gleich für rechts­wid­rig lan­ge Ar­beits­zei­ten und Be­reit­schafts­dienst­zei­ten

Nach­dem be­reits der Eu­ropäische Ge­richts­hof (EuGH) 2010 ent­schie­den hat, dass die be­trof­fe­nen Feu­er­wehr­be­am­ten ei­nen aus dem Eu­ro­pa­recht fol­gen­den An­spruch auf ei­nen „äqui­va­len­ten“ Aus­gleich rechts­wid­rig ge­leis­te­ter Mehr­ar­beit ha­ben (EuGH, Ur­teil vom 25.11.2010, C-429/09 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 10/235 Feu­er­wehr­leu­te und Po­li­zei­be­am­te können Aus­gleich für rechts­wid­ri­ge Mehr­ar­beit ver­lan­gen), hat vor ei­ni­gen Ta­gen das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt nach­ge­zo­gen und eben­falls ent­schie­den, dass es rech­tich un­zulässig ist, den Feu­er­wehr­be­am­ten - wie bis­her - ei­nen vollständi­gen Aus­gleichs für rechts­wid­ri­ge Mehr­ar­beit zu ver­wei­gern (BVerwG, Ur­tei­le vom 29.09.2011, 2 C 32.10 bis 2 C 37.10).

Feu­er­wehr­be­am­te, so der Kern­satz der Ent­schei­dung des BVerwG, ha­ben für rechts­wid­rig über 48 Wo­chen­stun­den hin­aus­ge­hen­de Dienst­zei­ten - auch für Be­reit­schafts­dienst­zei­ten - ei­nen An­spruch auf Frei­zeit­aus­gleich im vol­len Um­fang der zu­viel ge­leis­te­ten St­un­den. Da­mit hat das höchs­te deut­sche Ver­wal­tungs­ge­richt den bis­her oft ver­tre­te­nen An­sich­ten und Ge­richts­ent­schei­dun­gen ei­ne Ab­sa­ge er­teilt, de­nen zu­fol­ge es aus­rei­chend sei, ei­nen Frei­zeit­aus­gleich erst bei ei­ner Ar­beits­zeit von mehr als (48 + 5 =) 53 Wo­chen­stun­den zu gewähren, und/oder dass es für ei­ne vol­le ge­leis­te­te Be­reit­schafts­dienst­stun­de nicht un­be­dingt ei­ne vol­le St­un­de Frei­zeit­aus­gleich ge­ben muss.

So­weit der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung des BVerwG ent­nom­men wer­den kann, be­gründet das Ge­richt die­se Ent­schei­dung mit der Über­le­gung, dass an­dern­falls die eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben nicht aus­rei­chend um­ge­setzt wer­den würden. Hier­zu heißt es in der Pres­se­mel­dung:

"Die da­von ab­wei­chen­den Ar­beits­zeit­vor­schrif­ten für den feu­er­wehr­tech­ni­schen Dienst wa­ren we­gen Ver­s­toßes ge­gen Uni­ons­recht un­an­wend­bar. Zum Aus­gleich die­ses Rechts­ver­s­toßes steht den Klägern nach dem Grund­satz von Treu und Glau­ben ein An­spruch auf an­ge­mes­se­nen Frei­zeit­aus­gleich zu. Bei der Be­rech­nung die­ses An­spruchs muss der ge­leis­te­te Be­reit­schafts­dienst in vol­lem Um­fang berück­sich­tigt wer­den, um ei­nen Wer­tungs­wi­der­spruch zum Uni­ons­recht zu ver­mei­den."

Fa­zit: Mehr oder we­ni­ger sym­bo­li­sche Aus­gleichs­maßnah­men für rechts­wid­ri­ge Ar­beits­zei­ten von Feu­er­wehr­be­am­ten sind eu­ro­pa­rechts­wid­rig. Sie sind nämlich kein an­ge­mes­se­ner Aus­gleich für die jah­re­lan­ge sys­te­ma­ti­sche Miss­ach­tung der 48-St­un­den-Gren­ze durch deut­sche Dienst­her­ren. Of­fen bleibt der­zeit noch, ob bzw. un­ter wel­chen Umständen be­trof­fe­ne Feu­er­wehr­be­am­te nicht nur ei­nen Aus­gleich in Form von Frei­zeit ver­lan­gen können, son­dern darüber hin­aus (auch) in Form von Geld. In je­dem Fall ist be­trof­fe­nen Be­am­ten da­zu zu ra­ten, ih­re Rech­te not­falls ver­wal­tungs­ge­richt­lich gel­tend zu ma­chen. 

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 3. August 2020

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