HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BVerwG, Ur­teil vom 29.11.2011, 2 C 37.10

   
Schlagworte: Mehrarbeit, Freizeitausgleich
   
Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Aktenzeichen: 2 C 37.10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.11.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Verwaltungsgericht Minden, Urteil vom 25.07.2007, 4 K 2665/06
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.05.2009, 1 A 2654/07
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.07.2010, 2 B 67.09
   


BUN­DES­VER­WAL­TUN­GS­GERICHT

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

 

BVerwG 2 C 37.10 OVG 1 A 2654/07

Verkündet
am
29. Sep­tem­ber 2011
Mel­zer
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che

 

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hat der 2. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 29. Sep­tem­ber 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Her­bert und die Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Heitz, Dr. Mai­dow­ski, Dr. Har­tung und Dr. von der Wei­den

für Recht er­kannt:

Die Be­klag­te wird ver­pflich­tet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Fe­bru­ar 2002 bis zum 31. De­zem­ber 2006 ei­nen Frei­zeit­aus­gleich im Um­fang von wei­te­ren 4,89 St­un­den je Ka­len­der­mo­nat zu gewähren. Die Ur­tei­le des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 7. Mai 2009 und des Ver­wal­tungs­ge­richts Min­den vom 25. Ju­li 2007 so­wie der Be­scheid der Be­klag­ten vom 8. De­zem­ber 2003 in der Ge­stalt des Wi­der­spruchs­be­scheids vom 26. Ju­li 2006 wer­den auf­ge­ho­ben, so­weit sie die­ser Ver­pflich­tung ent­ge­gen­ste­hen.

Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Ver­fah­rens.

G r ü n d e :

I

Der Kläger ist städti­scher Be­am­ter auf Le­bens­zeit und als Ober­brand­meis­ter bei der Be­rufs­feu­er­wehr der Be­klag­ten beschäftigt. Er will Frei­zeit­aus­gleich für die Über­schrei­tung der höchs­tens zulässi­gen Wo­chen­ar­beits­zeit in dem Zeit­raum von Fe­bru­ar 2002 bis En­de 2006 er­hal­ten. In die­sem Zeit­raum be­trug sei­ne re­gelmäßige wöchent­li­che Ar­beits­zeit 56 St­un­den. Da­von ent­fie­len 31 Stun-

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den auf Be­reit­schafts­dienst; zwei St­un­den wur­den je­weils durch Frei­zeit aus­ge­gli­chen.

Im Ja­nu­ar 2002 be­an­trag­te der Kläger, ab dem 1. Fe­bru­ar 2002 bei der Ge­stal­tung der Dienst­pläne zu be­ach­ten, dass nach eu­ropäischem Ge­mein­schafts­recht höchs­tens 48 Wo­chen­stun­den ge­ar­bei­tet wer­den dürfen. Sei­ner Kla­ge, ihm Frei­zeit­aus­gleich im Um­fang von 17 St­un­den pro Mo­nat zu gewähren, hat das Ver­wal­tungs­ge­richt im Um­fang von 7 St­un­den pro Mo­nat für die Zeit ab Ja­nu­ar 2006 statt­ge­ge­ben. Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt hat die Be­klag­te ver­pflich­tet, ins­ge­samt 12,11 St­un­den pro Mo­nat für die Zeit vom 1. Fe­bru­ar 2002 bis zum 31. De­zem­ber 2006 aus­zu­glei­chen. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt:

Die wöchent­li­che Ar­beits­zeit des Klägers sei in den Jah­ren 2002 bis 2006 un­ter Ver­s­toß ge­gen Uni­ons­recht um sechs Wo­chen­stun­den zu hoch fest­ge­setzt wor­den, weil der Be­reit­schafts­dienst im feu­er­wehr­tech­ni­schen Dienst als Vol­l­ar­beits­zeit ein­zu­stu­fen sei. Des­halb ste­he dem Kläger nach Treu und Glau­ben ein an­ge­mes­se­ner zeit­li­cher Aus­gleich zu. Zu viel ge­leis­te­ter Be­reit­schafts­dienst müsse al­ler­dings nur mit ei­ner Quo­te von 50 % an­ge­rech­net wer­den. Von dem sich hier­aus er­ge­ben­den An­spruch von 17,11 St­un­den sei­en noch­mals fünf St­un­den ab­zu­zie­hen, da von je­dem Be­am­ten in die­sem Um­fang aus­gleichs­lo­se Mehr­ar­beit ge­for­dert wer­den dürfe.

Mit sei­ner Re­vi­si­on rügt der Kläger die Ver­let­zung ma­te­ri­el­len Rechts. Er be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­pflich­ten, dem Kläger für die Zeit vom 1. Fe­bru­ar 2002 bis zum 31. De­zem­ber 2006 Frei­zeit­aus­gleich von wei­te­ren 4,89 St­un­den je Ka­len­der­mo­nat zu gewähren, so­wie die Ur­tei­le des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 7. Mai 2009 und des Ver­wal­tungs­ge­richts Min­den vom 25. Ju­li 2007 und den Be­scheid der Be­klag­ten vom 8. De­zem­ber 2003 in der Ge­stalt des Wi­der­spruchs­be­scheids vom 26. Ju­li 2006 auf­zu­he­ben, so­weit sie die­ser Ver­pflich­tung ent­ge­gen­ste­hen.

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Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.

Der Ver­tre­ter des Bun­des­in­ter­es­ses beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hält das Be­ru­fungs­ur­teil für rich­tig.

II

Die Re­vi­si­on des Klägers ist be­gründet. Er kann ei­nen zeit­li­chen Aus­gleich für zu­viel ge­leis­te­ten Dienst in dem von ihm be­an­trag­ten Um­fang von ins­ge­samt 17 St­un­den pro Mo­nat für die Zeit vom 1. Fe­bru­ar 2002 bis zum 31. De­zem­ber 2006 be­an­spru­chen. So­weit das Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts den gel­tend ge­mach­ten An­spruch im Um­fang von 4,89 St­un­den im Mo­nat ab­ge­wie­sen hat, ver­letzt es re­vi­si­bles Recht (§ 127 Nr. 2 BRRG, § 63 Abs. 3 Satz 2 Be­am­tStG).

Der gel­tend ge­mach­te An­spruch folgt aus dem Grund­satz von Treu und Glau­ben i.V.m. § 78a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW in der Fas­sung der Be­kannt­ma­chung vom 1. Mai 1981 (GV NRW S. 234, ber. 1982, S. 256). Vor­aus­set­zung für die­sen An­spruch ist ei­ne rechts­wid­ri­ge In­an­spruch­nah­me des Be­am­ten über die höchs­tens zulässi­ge Ar­beits­zeit hin­aus. Der An­spruch ist auf ei­nen zeit­li­chen Aus­gleich im Um­fang der rechts­wid­rig ver­lang­ten Zu­viel­ar­beit ge­rich­tet. Zei­ten des Be­reit­schafts­diens­tes sind in vol­lem Um­fang aus­zu­glei­chen; ein Ab­zug von fünf aus­gleichs­los zu leis­ten­den St­un­den ist je­den­falls in Fällen, in de­nen die nor­ma­tiv fest­ge­setz­te Höchst­ar­beits­zeit rechts­wid­rig über­schrit­ten wor­den ist, nicht zulässig. Zu­dem ent­steht der Aus­gleichs­an­spruch mit Wir­kung für die Zu­kunft erst, wenn der Be­am­te ihn gel­tend macht.

Zieht der Dienst­herr ei­nen Be­am­ten auf der Grund­la­ge ei­ner rechts­wid­rig zu hoch fest­ge­setz­ten re­gelmäßigen Ar­beits­zeit zum Dienst her­an oder nimmt ihn über die rechtmäßig fest­ge­setz­te re­gelmäßige Ar­beits­zeit hin­aus in An­spruch, oh­ne dass die Vor­aus­set­zun­gen für die An­ord­nung oder Ge­neh­mi­gung von

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Mehr­ar­beit erfüllt sind, so ist die­se In­an­spruch­nah­me rechts­wid­rig (Zu­viel­ar­beit). So­weit das je­weils maßgeb­li­che Bun­des- oder Lan­des­be­am­ten­recht kei­ne Re­ge­lung da­zu enthält, ob und in wel­chem Um­fang ei­ne sol­che In­an­spruch­nah­me aus­zu­glei­chen ist, be­deu­tet dies je­doch nicht, dass der­ar­ti­ge Zu­viel­ar­beit fol­gen­los bleibt. Viel­mehr ist die im Ein­zel­fall ein­schlägi­ge Vor­schrift - im vor­lie­gen­den Fall § 78a Abs. 1 Satz 2 LBG NRW a.F. - nach Treu und Glau­ben in ei­ner Wei­se zu ergänzen, die die In­ter­es­sen des Be­am­ten und des Dienst­herrn auch bei ei­ner rechts­wid­ri­gen In­an­spruch­nah­me des Be­am­ten zu ei­nem bil­li­gen Aus­gleich bringt und da­bei dem Sinn und Zweck der Ar­beits­zeit­re­ge­lung ge­recht wird. Be­am­te, die von Zu­viel­ar­beit be­trof­fen sind, ha­ben des­halb ei­nen An­spruch auf an­ge­mes­se­ne Dienst­be­frei­ung (vgl. Ur­teil vom 28. Mai 2003 - BVerwG 2 C 28.02 - Buch­holz 232 § 72 BBG Nr. 38 S. 6 f. und Be­schluss vom 10. Ju­ni 2009 - BVerwG 2 B 26.09 - ju­ris Rn. 5 ff.).

Im vor­lie­gen­den Fall ist der gel­tend ge­mach­te An­spruch ge­ge­ben. Ein Fall der Zu­viel­ar­beit über die Gren­ze der höchs­tens zulässi­gen Wo­chen­ar­beits­zeit hin­aus liegt vor. Der Kläger hat im Zeit­raum von Fe­bru­ar 2002 bis ein­sch­ließlich 2006 - ab­ge­se­hen von zwei wei­te­ren St­un­den, für die Frei­zeit­aus­gleich be­reits gewährt wor­den ist - re­gelmäßig an­stel­le der uni­ons­recht­lich zulässi­gen 48 Wo­chen­stun­den 54 St­un­den Dienst ge­leis­tet. Die­se Zu­viel­ar­beit von sechs St­un­den wöchent­lich er­gibt bei pau­scha­lier­ter Berück­sich­ti­gung von Ur­laubs­zei­ten ei­nen Um­fang von 24 St­un­den im Mo­nat.

Zwar hat sich die Be­klag­te bei der Er­stel­lung der Dienst­pläne an § 1 Abs. 1 der Ver­ord­nung über die Ar­beits­zeit der Be­am­ten des feu­er­wehr­tech­ni­schen Diens­tes in den Feu­er­weh­ren der Ge­mein­den und Ge­mein­de­verbände des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len (AZ­VO­Feu) in den hier maßgeb­li­chen Fas­sun­gen vom 29. Sep­tem­ber 1998 und vom 18. Fe­bru­ar 2003 (GV. NW 1998 S. 589 und 2003 S. 74) so­wie des Ge­set­zes vom 5. April 2005 (GV. NW S. 306) ori­en­tiert. Die­se Be­stim­mung ließ ei­ne re­gelmäßige Wo­chen­ar­beits­zeit von durch­schnitt­lich 54 St­un­den zu, auf­ge­teilt in 23 St­un­den Vol­l­ar­beits­zeit und 31 St­un­den Be­reit­schafts­dienst. Nach dem Kon­zept des Norm­ge­bers ent­sprach dies bei ei­ner An­rech­nung des Be­reit­schafts­diens­tes zu 50 % ei­ner re­gelmäßigen Wo­chen­ar­beits­zeit von 38,5 St­un­den (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 der Ver­ord­nung über die

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Ar­beits­zeit der Be­am­ten im Lan­de Nord­rhein-West­fa­len vom 28. De­zem­ber 1986, GV. NW 1987 S. 15). Die Vor­schrift war je­doch, so­weit sie ei­ne re­gelmäßige wöchent­li­che Ar­beits­zeit von mehr als 48 St­un­den fest­setz­te, we­gen Ver­s­toßes ge­gen Art. 6 Buchst. b der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (EGRL 2003/88, ABl L 299 vom 18. No­vem­ber 2003, S. 9, Ar­beits­zeit­richt­li­nie) un­an­wend­bar.

Nach Art. 6 Buchst. b EGRL 2003/88, der Art. 6 Nr. 2 der in­so­weit in­halts­glei­chen Richt­li­nie 93/104/EG des Ra­tes vom 23. No­vem­ber 1993 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl L 307 vom 13. De­zem­ber 1993, S. 18) er­setzt, darf die wöchent­li­che Ar­beits­zeit ein­sch­ließlich der Über­stun­den ei­nen Um­fang von 48 St­un­den nicht über­schrei­ten. Un­ter Ar­beits­zeit ist nach Art. 2 Nr. 1 EGRL 2003/88 je­de Zeit­span­ne zu ver­ste­hen, während der ein Ar­beit­neh­mer gemäß den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten ar­bei­tet, dem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung steht und sei­ne Tätig­keit ausübt oder Auf­ga­ben wahr­nimmt. Nach die­ser Be­griffs­be­stim­mung zählen auch Zei­ten des Be­reit­schafts­diens­tes - ein­sch­ließlich der „in­ak­ti­ven Zei­ten“ - oh­ne Ab­stri­che als Ar­beits­zeit, wenn der Be­am­te sie an ei­nem vom Dienst­herrn be­stimm­ten Ort außer­halb des Pri­vat­be­reichs leis­tet und sich zu ei­nem je­der­zei­ti­gen un­verzügli­chen Ein­satz be­reithält, und wenn er­fah­rungs­gemäß mit ei­ner dienst­li­chen In­an­spruch­nah­me zu rech­nen ist (Ur­tei­le vom 29. April 2004 - BVerwG 2 C 9.03 - Buch­holz 240 § 48 BBesG Nr. 8 Rn. 17 und vom 22. Ja­nu­ar 2009 - BVerwG 2 C 90.07 - Buch­holz 240.1 BBe­sO Nr. 31; EuGH, Ur­tei­le vom 3. Ok­to­ber 2000 - Rs. C-303/98, Si­map - Slg. 2000, I-7963 und vom 9. Sep­tem­ber 2003 - Rs. C-151/02, Jäger - Slg. 2003, I- 8389, stRspr). Dar­aus folgt, dass Be­reit­schafts­dienst in die Be­rech­nung der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit in vol­lem Um­fang ein­zu­be­zie­hen ist. Die vom Kläger re­gelmäßig ge­leis­te­ten 31 St­un­den Be­reit­schafts­dienst zählen da­her als Vol­l­ar­beits­zeit, da die Be­am­ten in der Dienst­stel­le an­we­send sein muss­ten und je­der­zeit in ei­nen Ein­satz be­ru­fen wer­den konn­ten (vgl. § 2 Abs. 1 und 2 AZ­VO­Feu).

Die uni­ons­recht­li­che Ar­beits­zeit­richt­li­nie (EGRL 2003/88) gilt auch für Feu­er-

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der Feu­er­wehr Ham­burg - Slg. 2005, I- 7111). Sie ist auch un­mit­tel­bar an­wend­bar, da sie trotz ein­deu­ti­gen Nor­min­halts nicht hin­rei­chend in deut­sches Recht um­ge­setzt wor­den und die Um­set­zungs­frist der Vorgänger­richt­li­nie be­reits seit 1996 ab­ge­lau­fen ist (EuGH, Ur­teil vom 25. No­vem­ber 2010 - Rs. C-429/09, Fuß - NZA 2001, 53 Rn. 35 ff.).

Die An­ord­nung ei­ner re­gelmäßigen Ar­beits­zeit, die über die uni­ons­recht­lich höchs­tens zulässi­ge Wo­chen­ar­beits­zeit hin­aus­geht, kann auch nicht als Mehr­ar­beit ge­recht­fer­tigt wer­den. Die Vor­aus­set­zun­gen für die An­ord­nung oder Ge­neh­mi­gung von Mehr­ar­beit la­gen nicht vor. Zum ei­nen darf die uni­ons­recht­li­che Höchst­ar­beits­zeit­gren­ze von 48 Wo­chen­stun­den auch durch die An­ord­nung von Mehr­ar­beit - außer­halb der vom Uni­ons­recht vor­ge­se­he­nen Ver­fah­ren - nicht über­schrit­ten wer­den. Zum an­de­ren soll Mehr­ar­beit ei­nen vorüber­ge­hen­den außer­gewöhn­li­chen Be­darf de­cken (vgl. § 78a Abs. 1 Satz 1 LBG NW), nicht aber ei­ne dau­er­haf­te Erhöhung der re­gelmäßigen Wo­chen­ar­beits­zeit be­wir­ken.

Der An­spruch ist auf zeit­li­chen Aus­gleich in an­ge­mes­se­nem Um­fang ge­rich­tet. Als an­ge­mes­sen ist der zeit­li­che Aus­gleich von Zu­viel­ar­beit grundsätz­lich an­zu­se­hen, wenn er eben­so lang ist wie der zu­vor ge­leis­te­te rechts­wid­rig ge­for­der­te Dienst (Ur­teil vom 28. Mai 2003 a.a.O. Rn. 23). Da­bei ist die in Form von Be­reit­schafts­dienst ge­leis­te­te Zu­viel­ar­beit mit dem­sel­ben Ge­wicht zu be­wer­ten wie zu viel ge­leis­te­te Vol­l­ar­beits­zeit; ein Ab­zug von wei­te­ren fünf St­un­den mo­nat­lich schei­det aus. Al­ler­dings ent­steht der An­spruch für die Zu­kunft erst, wenn er gel­tend ge­macht wird.

Die An­nah­me des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts, die Zei­ten des Be­reit­schafts­diens­tes müss­ten nicht in dem­sel­ben Um­fang aus­ge­gli­chen wer­den wie Vol­l­ar­beits­zeit, ent­spricht nicht dem ge­bo­te­nen Aus­gleich nach Treu und Glau­ben. Dem In­ter­es­se des Be­am­ten, der die rechts­wid­rig von ihm ver­lang­te Dienst­leis­tung - pflicht­gemäß - zunächst er­bracht hat, an ei­nem vol­len Aus­gleich für die Über­schrei­tung der ge­setz­li­chen Höchst­ar­beits­zeit steht kein gleich ge­wich­ti­ges In­ter­es­se des Dienst­herrn an ei­ner Re­du­zie­rung des Aus­gleichs­um­fangs ge­genüber. Dem be­rech­tig­ten öffent­li­chen In­ter­es­se an der Auf­recht­er­hal­tung der Dienst­be­reit­schaft im feu­er­wehr­tech­ni­schen Dienst kann durch ge­eig­ne­te Maß-

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nah­men bei der Erfüllung des An­spruchs auf Frei­zeit­aus­gleich Rech­nung ge­tra­gen wer­den. So kann et­wa der Zeit­raum, in dem der Frei­zeit­aus­gleich be­wirkt wer­den muss, nach dienst­li­chen Bedürf­nis­sen verlängert wer­den, um die Ein­satz­be­reit­schaft dau­er­haft si­cher zu stel­len. Auch das An­ge­bot ei­ner fi­nan­zi­el­len Ab­gel­tung des An­spruchs auf Frei­zeit­aus­gleich kommt in Be­tracht. Ei­ne Ermäßigung des zeit­li­chen Aus­gleichs durch ei­ne ge­rin­ge­re Ge­wich­tung des Be­reit­schafts­diens­tes ist hierfür nicht er­for­der­lich. Sie würde dem Ziel des An­spruchs - Aus­gleich ei­nes von dem Dienst­herrn be­gan­ge­nen Rechts­feh­lers (vgl. Be­schluss vom 10. Ju­ni 2009 a.a.O. Rn. 8) - auch nicht ge­recht, son­dern könn­te im Ge­gen­teil als An­reiz für die Fortführung ei­ner der­ar­ti­gen Pra­xis wir­ken. Auch fis­ka­li­sche In­ter­es­sen des Dienst­herrn an ei­ner Re­du­zie­rung des Aus­gleichs­an­spruchs spie­len bei der Be­mes­sung des Aus­gleichs­an­spruchs kei­ne Rol­le, da dem Dienst­herrn aus ei­ner langjähri­gen uni­ons­rechts­wid­ri­gen Pra­xis kei­ne Vor­tei­le er­wach­sen dürfen.

Ei­ne ge­rin­ge­re Ge­wich­tung des Be­reit­schafts­diens­tes bei der Be­mes­sung des Aus­gleichs­an­spruchs führt zu­dem zu ei­nem Wer­tungs­wi­der­spruch zu den Norm­zie­len des uni­ons­recht­li­chen Ar­beits­zeit­rechts. Die wöchent­li­che Höchst­ar­beits­zeit, in die so­wohl Be­reit­schafts­dienst in vol­lem Um­fang als auch Über­stun­den ein­zu­rech­nen sind, ist zum Schutz der Ge­sund­heit und der Ar­beits­si­cher­heit fest­ge­legt wor­den (vgl. Art. 1 Abs. 1 so­wie Erwägungs­gründe 4 und 11 EGRL 2003/88). Ein ermäßig­ter Aus­gleich des ge­leis­te­ten Be­reit­schafts­diens­tes würde die­se Schutz­zie­le gefähr­den. Denn er würde letzt­lich da­zu führen, dass Über­schrei­tun­gen der höchs­tens zulässi­gen Ar­beits­zeit, die aus Gründen des Ge­sund­heits­schut­zes und der Ar­beits­si­cher­heit ver­mie­den wer­den sol­len, dau­er­haft nur teil­wei­se aus­zu­glei­chen wären. Den be­trof­fe­nen Be­am­ten würde die Möglich­keit, ih­re Dienstfähig­keit durch Frei­zeit­aus­gleich um­fas­send wie­der her­zu­stel­len, teil­wei­se ge­nom­men. Mögli­che nor­ma­ti­ve An­knüpfungs­punk­te für ei­ne ge­rin­ge­re Ge­wich­tung des Be­reit­schafts­diens­tes im in­ner­staat­li­chen Recht sind dem­ge­genüber oh­ne Be­deu­tung, da sie der Ver­pflich­tung zu­wi­der lau­fen, die vol­le Wirk­sam­keit des Uni­ons­rechts si­cher­zu­stel­len. Dies gilt un­ge­ach­tet des­sen, dass die Be­stim­mung von Art und Höhe ei­ner Entschädi­gung für Zu­viel­ar­beit nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on dem na­tio­na­len Recht vor­be­hal­ten wird (Ur­tei­le vom 5. Mai 1996 - Rs. C-

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46/93 und 48/93, Bras­se­rie du pêcheur und Fac­tor­ta­me - Slg. 1996 I-1029 Rn. 82 f. und vom 25. No­vem­ber 2010 a.a.O. Rn. 91 ff.; vgl. auch Art. 153 AEUV).

Der An­spruch auf vol­len Aus­gleich für Zu­viel­ar­beit über die wöchent­li­che Höchst­ar­beits­zeit hin­aus kann aus den ge­nann­ten Gründen auch nicht um fünf St­un­den mo­nat­lich re­du­ziert wer­den. Denn auch dies würde dem Sinn und Zweck der Ar­beits­zeit­re­ge­lung wi­der­spre­chen. Die Sank­tio­nie­rung ei­ner uni­ons­rechts­wid­ri­gen Pra­xis würde zu­dem das Ge­bot ver­let­zen, die vol­le Wirk­sam­keit des Uni­ons­rechts zu si­chern, weil die Über­schrei­tung der nor­ma­tiv fest­ge­leg­ten Höchst­ar­beits­zeit in die­sem Um­fang fol­gen­los blie­be. Zwar sind Be­am­te grundsätz­lich ver­pflich­tet, in ge­wis­sem Um­fang aus­gleichs­lo­se Mehr­ar­beit zu leis­ten (vgl. § 78a Abs. 1 LBG NRW a.F., § 61 LBG NRW, § 88 BBG). Dies gilt je­doch nicht, wenn die uni­ons­recht­lich ver­bind­li­che Höchst­gren­ze der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit be­reits er­reicht ist, da die­se durch Mehr­ar­beits­stun­den grundsätz­lich nicht über­schrit­ten wer­den darf (Art. 6 Buchst. b EGRL 2003/88); Ab­wei­chun­gen sind nur im Rah­men der uni­ons­recht­li­chen Be­stim­mun­gen zulässig (vgl. Art. 17, 18 und 22 EGRL 2003/88).

Der An­spruch auf zeit­li­chen Aus­gleich für Zu­viel­ar­beit muss al­ler­dings von dem Be­am­ten ge­genüber sei­nem Dienst­herrn aus­drück­lich gel­tend ge­macht wer­den. Ein Aus­gleich kommt nur für Zu­viel­ar­beit in Be­tracht, die der Be­am­te nach An­trag­stel­lung leis­ten muss. Ein Aus­gleich der vor­her er­brach­ten Zu­viel­ar­beit ist un­abhängig da­von, ob der An­spruch verjährt ist oder nicht, nicht an­ge­mes­sen und würde dem Grund­satz von Treu und Glau­ben wi­der­spre­chen. Dies folgt aus der sich aus dem Be­am­ten­verhält­nis er­ge­ben­den Pflicht, auch im Rah­men ei­nes Aus­gleichs für rechts­wid­ri­ges Ver­hal­ten auf die Be­lan­ge des Dienst­herrn Rück­sicht zu neh­men und ihm die Möglich­keit zu ge­ben, sich auf die ge­gen ihn er­ho­be­nen Ansprüche ein­zu­stel­len. Der Dienst­herr hat ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­an, nicht nachträglich mit ho­hen Aus­gleichs­for­de­run­gen be­las­tet zu wer­den. Auch der Zweck des An­spruchs, durch Frei­zeit­aus­gleich die be­son­de­ren ge­sund­heit­li­chen Be­las­tun­gen der Zu­viel­ar­beit aus­zu­glei­chen, spricht für das Er­for­der­nis ei­ner Gel­tend­ma­chung im zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit der Be­las­tung. Hier­von un­abhängig ist es dem Be­am­ten in dem von ge­gen­sei­ti­ger Rück-

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sicht­nah­me ge­prägten Verhält­nis zu sei­nem Dienst­herrn zu­zu­mu­ten, sei­nem Be­geh­ren auf Gewährung von zeit­li­chem Aus­gleich frühzei­tig Aus­druck zu ver­lei­hen, zu­mal an ei­nen sol­chen An­trag kei­ne ho­hen An­for­de­run­gen zu stel­len sind (Ur­tei­le vom 27. Mai 2010 - BVerwG 2 C 33.09 - Buch­holz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 117 Rn. 14, 15 und vom 13. No­vem­ber 2008 - BVerwG 2 C 16.07 - Buch­holz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 101 Rn. 21 ff.).

Dies ist mit der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on (Ur­teil vom 25. No­vem­ber 2010 a.a.O. Rn. 71 ff.) ver­ein­bar. Zwar darf die Ausübung der Rech­te, die dem Ein­zel­nen aus den un­mit­tel­bar an­wend­ba­ren Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts er­wach­sen, nicht durch die Aus­ge­stal­tung des in­ner­staat­li­chen Ver­fah­rens­rechts unmöglich ge­macht oder übermäßig er­schwert wer­den. Ins­be­son­de­re darf der An­spruch ei­nes Be­am­ten auf Er­satz des Scha­dens, der ihm durch den Ver­s­toß der Behörden ge­gen Art. 6 Buchst. b der Richt­li­nie 2003/88 ent­stan­den ist, nicht da­von abhängig ge­macht wer­den, dass zu­vor ein An­trag auf Ein­hal­tung die­ser uni­ons­recht­li­chen Be­stim­mung bei sei­nem Dienst­herrn ge­stellt wur­de (EuGH, Ur­teil vom 25. No­vem­ber 2010 a.a.O. Rn. 90). Denn das Recht der Eu­ropäischen Uni­on ist von den Behörden und Ge­rich­ten der Mit­glied­staa­ten un­abhängig da­von an­zu­wen­den, ob sei­ne An­wen­dung aus­drück­lich be­an­tragt wor­den ist oder nicht. Dies steht je­doch dem Er­for­der­nis ei­nes An­trags auf Gewährung von zeit­li­chem Aus­gleich für die Zu­kunft nicht ent­ge­gen. Oh­ne ei­nen der­ar­ti­gen An­trag muss der Dienst­herr nicht da­von aus­ge­hen, je­der Be­am­te wer­de die Über­schrei­tung der zulässi­gen Ar­beits­zeit be­an­stan­den, zu­mal ihn zunächst die Pflicht trifft, die von ihm ver­lang­te Zu­viel­ar­beit zu leis­ten. Der An­trag ist viel­mehr er­for­der­lich, ei­ne Prüfung mit dem Ziel her­bei­zuführen, die Be­lan­ge des Be­am­ten zu berück­sich­ti­gen und die Dienst­pläne ent­spre­chend an­zu­pas­sen. Ei­ne übermäßige Er­schwe­rung der Durch­set­zung von Uni­ons­recht liegt dar­in eben­so we­nig wie bei­spiels­wei­se in der nor­ma­ti­ven Fest­set­zung an­ge­mes­se­ner Aus­schluss- und Verjährungs­fris­ten (vgl. zu § 15 Abs. 4 AGG EuGH, Ur­teil vom 8. Ju­li 2010 - Rs. C-246/09, Buli­cke - NZA 2010, 869).

Nach die­sen Maßstäben ist der vom Kläger gel­tend ge­mach­te An­spruch in vol-

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dar­aus, dass der Kläger sei­nen An­trag auf die­sen Um­fang be­schränkt hat. Der Kläger hat auch den er­for­der­li­chen An­trag recht­zei­tig, nämlich im Ja­nu­ar 2002 mit Wir­kung für die Zeit ab Fe­bru­ar des­sel­ben Jah­res, ge­stellt.

Ob der Kläger zusätz­lich ei­nen un­mit­tel­bar aus Uni­ons­recht ab­ge­lei­te­ten An­spruch gel­tend ma­chen kann (vgl. EuGH, Ur­teil vom 25. No­vem­ber 2010 a.a.O.), muss nicht ent­schie­den wer­den. Denn der auf Treu und Glau­ben gestütz­te An­spruch auf Frei­zeit­aus­gleich wird dem vom Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on auf­ge­stell­ten Er­for­der­nis ge­recht, dass die Entschädi­gung dem er­lit­te­nen Scha­den an­ge­mes­sen ist und dass ein ef­fek­ti­ver Schutz der uni­ons­recht­li­chen Rech­te des Ein­zel­nen gewähr­leis­tet wird (vgl. EuGH, Ur­teil vom 25. No­vem­ber 2010 a.a.O. Rn. 91 ff.).

Die Kos­ten­ent­schei­dung er­gibt sich aus § 154 Abs. 1 Vw­GO.

 

Her­bert 

Dr. Heitz 

Dr. Mai­dow­ski

Dr. Har­tung 

Dr. von der Wei­den

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