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BAG, Ur­teil vom 12.04.2011, 9 AZR 80/10

   
Schlagworte: Urlaub, Urlaubsabgeltung, Mehrurlaub
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 80/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.04.2011
   
Leitsätze:

1. Die Tarifvertragsparteien können für den nicht unionsrechtlich verbürgten Teil des Urlaubs (Mehrurlaub) regeln, dass der Arbeitnehmer das Risiko der Inanspruchnahme bis zu einem von ihnen festgelegten Zeitpunkt trägt.

2. Die richtlinienkonforme Fortbildung oder unionsrechtskonforme Auslegung von Vorschriften des BUrlG ist nicht auf den tariflichen Mehrurlaub anzuwenden, wenn ein Tarifvertrag eigenständige Regelungen trifft. Dazu muss die Auslegung ergeben, dass der Tarifvertrag vom grundsätzlichen Gleichlauf zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub abweicht. Das ist der Fall, wenn er entweder zwischen gesetzlichem Urlaub und tariflichem Mehrurlaub unterscheidet oder sowohl für Mindest- als auch Mehrurlaub wesentlich von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende Übertragungs- und Verfallsregeln bestimmt.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 10.03.2009, 25 Ca 392/08
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 29.10.2009, 2 Sa 146/09
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 80/10
2 Sa 146/09
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ham­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

12. April 2011

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 12. April 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Düwell, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und
 


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Dr. Suckow so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin We­ge und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Leit­ner für Recht er­kannt:

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 29. Ok­to­ber 2009 - 2 Sa 146/09 - wird zurück­ge­wie­sen.

Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten in der Re­vi­si­ons­in­stanz noch darüber, ob dem Kläger aus dem Jahr 2007 ein ta­rif­li­cher Mehr­ur­laubs­an­spruch von zehn Ar­beits­ta­gen zu­steht.


Der schwer­be­hin­der­te Kläger ist seit 1975 bei der Be­klag­ten beschäftigt. Die­se be­treibt ein Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men zur War­tung, In­stand­hal­tung und Aus­stat­tung von Flug­zeu­gen im Ver­bund des DLH-Kon­zerns.


Nach Ziff. 3 des Ar­beits­ver­trags er­ge­ben sich die Rech­te und Pflich­ten des Klägers aus den je­weils gülti­gen Ta­rif­verträgen, den Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen und Dienst­vor­schrif­ten der DLH. Die Par­tei­en wen­den des­halb auf ihr Ar­beits­verhält­nis den Man­tel­ta­rif­ver­trag Nr. 14 für das Bo­den­per­so­nal in der Fas­sung vom 1. Ja­nu­ar 2007 (MTV Bo­den) an. Dort heißt es zum Ur­laubs­an­spruch ua.:


„§ 32 Er­ho­lungs­ur­laub

(1) Je­der Mit­ar­bei­ter hat in je­dem vom 01. Ja­nu­ar bis 31. De­zem­ber lau­fen­den Ur­laubs­jahr An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub, der möglichst zu­sam­menhängend zu neh­men und zu gewähren ist. ...
...
 


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§ 36 An­tei­li­ger Ur­laub im lau­fen­den Ur­laubs­jahr

...

(3) Wech­selt der Mit­ar­bei­ter im lau­fen­den Ka­len­der­jahr zwi­schen der DLH und LSG oder ei­ner Ge­sell­schaft im Ta­rif­ver­trag zur Er­wei­te­rung des Gel­tungs­be­rei­ches oder ei­ner an­de­ren Ge­sell­schaft im Luft­han­sa-Kon­zern, so ste­hen ihm aus den Ar­beits­verhält­nis­sen ins­ge­samt mehr als 12/12 des ta­rif­li­chen Ur­laubs zu.

...

(4) Bei Ar­beits­be­frei­ung oh­ne Fort­zah­lung der Vergütung - aus­ge­nom­men der Fälle des § 12 a - und Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses, die 15 Ka­len­der­ta­ge in ei­nem Jahr über­schrei­ten, wird der Ur­laub an­tei­lig für die­je­ni­ge Zeit gekürzt, in der das Ar­beits­verhält­nis ruh­te, und zwar für je­den Ka­len­der­tag um 1/365, so­fern ge­setz­lich nichts an­de­res be­stimmt ist. ...

§ 37 Ver­fal­len und Über­tra­gung des Ur­laubs­an­spruchs

(1) Nicht ge­nom­me­ner Er­ho­lungs­ur­laub verfällt oh­ne An­spruch auf Ab­gel­tung am 31. März des fol­gen­den Jah­res, frühes­tens je­doch 6 Mo­na­te nach Be­en­di­gung der War­te­zeit.


(2) Hat je­doch der Mit­ar­bei­ter den An­spruch auf Ur­laub er­folg­los gel­tend ge­macht, so ist ihm der Ur­laub nach­zu­gewähren.“


Nach § 32 Abs. 3 MTV Bo­den beträgt der Ur­laubs­an­spruch ab dem fünf­ten Jahr der Beschäfti­gung 30 Ur­laubs­ta­ge.


2007 gewähr­te die Be­klag­te dem Kläger 14 Ur­laubs­ta­ge. Da­nach war der Kläger vom 28. Ju­li 2007 bis zum 30. April 2008 ar­beits­unfähig er­krankt. Mit Ur­laubs­an­trag vom 23. April 2008 ver­lang­te er er­folg­los, ihm für die Zeit vom 2. Mai bis zum 30. Mai 2008 Ur­laub aus dem Vor­jahr zu gewähren. Am 8. Mai 2008 nahm der Kläger sei­ne Ar­beitstätig­keit wie­der auf. Die Zeit­kon­ten­lis­te der Be­klag­ten vom 8. Mai 2008 für die Ab­rech­nungs­pe­ri­ode 1. Mai bis 31. Mai 2008 weist ei­nen Rest­ur­laubs­an­spruch des Klägers von 21 Ta­gen aus. Mit Schrei­ben sei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vom 10. Ju­ni 2008 for­der­te der Kläger die Be­klag­te auf, sei­nen Ur­laubs­an­spruch iHv. 21 Rest­ur­laubs­ta­gen zu bestäti­gen.



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Vor­in­stanz­lich hat der Kläger gel­tend ge­macht, ihm ste­he aus dem Jahr 2007 noch ei­ne Ur­laubs­dau­er von 21 Ta­gen zu, nämlich fünf Ta­ge Zu­satz­ur­laub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX, sechs Ta­ge ge­setz­li­cher Min­des­t­ur­laub so­wie zehn Ta­ge ta­rif­li­cher Mehr­ur­laub.

Er hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, sei­ne Ur­laubs­ansprüche sei­en nicht ver­fal­len, da er nur we­gen sei­ner Ar­beits­unfähig­keit dar­an ge­hin­dert ge­we­sen sei, den Ur­laub tatsächlich in An­spruch zu neh­men.


Der Kläger hat vor­in­stanz­lich be­an­tragt fest­zu­stel­len, dass ihm aus dem Jahr 2007 noch ein Rest­ur­laubs­an­spruch von 21 Ar­beits­ta­gen zu­steht.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der ta­rif­li­che Mehr­ur­laub des Klägers sei nach § 37 Abs. 1 MTV Bo­den ver­fal­len. Der MTV Bo­den ent­hal­te hin­sicht­lich des Ver­falls der Ur­laubs­ansprüche ei­ne ei­genständi­ge von § 7 Abs. 3 BUrlG ab­wei­chen­de Re­ge­lung.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Dar­auf hat die Be­klag­te dem Zeit­kon­to des Klägers elf Ur­laubs­ta­ge gut­ge­schrie­ben. Sie wen­det sich in der Re­vi­si­on nur noch ge­gen die Fest­stel­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, dass dem Kläger aus dem Jahr 2007 noch ein An­spruch auf Rest­ur­laub von zehn Ar­beits­ta­gen für nicht gewähr­ten ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub zu­steht.

Ent­schei­dungs­gründe


A. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht fest­ge­stellt, dass dem Kläger we­gen des 2007 zwar ent­stan­de­nen, aber nicht voll erfüll­ten Ur­laubs­an­spruchs noch zehn Ur­laubs­ta­ge zu gewähren sind.
 


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I. Die Fest­stel­lungs­kla­ge ist zulässig. Ins­be­son­de­re be­steht das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se.

1. Ei­ne Fest­stel­lungs­kla­ge ist dann zulässig, wenn auf die­sem We­ge ei­ne sach­gemäße, ein­fa­che Er­le­di­gung der Streit­punk­te zu er­rei­chen ist und pro­zess­wirt­schaft­li­che Erwägun­gen ge­gen ei­nen Zwang zur Leis­tungs­kla­ge spre­chen (BAG 9. Sep­tem­ber 2003 - 9 AZR 468/02 - zu I der Gründe, EzA TVG § 4 Che­mi­sche In­dus­trie Nr. 6).


2. So ist es hier. Ei­ne Leis­tungs­kla­ge wäre nur als Kla­ge auf Ab­ga­be ei­ner Wil­lens­erklärung iSv. § 894 ZPO möglich. Denn der Ar­beit­ge­ber hat zur Erfüllung des Ur­laubs­an­spruchs den Ar­beit­neh­mer von der Ar­beits­pflicht frei­zu­stel­len. Die­se Frei­stel­lung er­folgt durch ein­sei­ti­ge emp­fangs­bedürf­ti­ge Wil­lens­erklärung, wo­bei der Ar­beit­ge­ber gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG die Ur­laubswünsche des Ar­beit­neh­mers zu berück­sich­ti­gen hat (BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 9 AZR 650/07 - Rn. 24). Voll­streck­bar wäre ein ent­spre­chen­der Ti­tel aber nur, wenn er auf Ab­ga­be ei­ner be­stimm­ten Wil­lens­erklärung ge­rich­tet ist (vgl. PG/Ol­zen ZPO 3. Aufl. § 887 Rn. 6). Bei man­geln­der Be­stimmt­heit der Kla­ge auf Ab­ga­be ei­ner Wil­lens­erklärung wäre nur ei­ne Voll­stre­ckung nach § 888 ZPO möglich (OLG Hamm 25. Ju­ni 1970 - 14 W 31/70 - MDR 1971, 401).


3. Ei­ne Kla­ge iSv. § 894 ZPO auf Gewährung des Ur­laubs für ei­nen be­stimm­ten ka­len­dermäßig fest­ge­leg­ten Zeit­raum wäre we­der pro­zess­wirt­schaft­li­cher als die Fest­stel­lungs­kla­ge, noch wäre sie dem Ar­beit­neh­mer zu­mut­bar. Wird der Schuld­ner zur Ab­ga­be ei­ner emp­fangs­bedürf­ti­gen Wil­lens­erklärung an­trags­gemäß ver­ur­teilt, gilt nach § 894 ZPO die Wil­lens­erklärung erst dann als ab­ge­ge­ben, wenn das Ur­teil rechts­kräftig ge­wor­den ist (BAG 15. Sep­tem­ber 2009 - 9 AZR 608/08 - Rn. 23, AP BGB § 311a Nr. 3 = EzA ZPO 2002 § 894 Nr. 1). Zum Zeit­punkt der Kla­ge­er­he­bung ist nicht be­kannt, wann ein ge­ge­be­nen­falls statt­ge­ben­des Ur­teil rechts­kräftig wird. Der Kläger müss­te des­halb sei­nen mit der Leis­tungs­kla­ge an­ge­ge­be­nen Ur­laubs­zeit­raum mit­tels Kla­geände­rung fort­lau­fend an­pas­sen. Das wäre zB dann nicht mehr möglich, wenn der zu­letzt be­an­trag­te Ur­laubs­zeit­raum zwi­schen Verkündung und Ab­lauf der Rechts­mit­tel­frist läge.

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4. Auf ei­ne Kla­ge zur Gewährung des Ur­laubs für ei­nen nicht fest­ge­leg­ten Zeit­raum darf der Ar­beit­neh­mer nicht ver­wie­sen wer­den. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob ein ent­spre­chen­der Ti­tel nach § 888 ZPO zu voll­stre­cken wäre. Bei ei­ner sol­chen Kla­ge müss­te der Ar­beit­neh­mer auf sein Recht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, den Ur­laub nach sei­nen Wünschen zeit­lich fest­zu­le­gen, ver­zich­ten. Denn im Hin­blick auf die nach § 894 ZPO er­for­der­li­che Be­stimmt­heit müss­te die Kla­ge da­hin aus­ge­legt wer­den, dass der Ar­beit­neh­mer sei­nem be­klag­ten Ar­beit­ge­ber die zeit­li­che Fest­le­gung des Ur­laubs über­las­sen wol­le. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG hat der Ar­beit­ge­ber dem­ge­genüber bei der zeit­li­chen Fest­le­gung des Ur­laubs die Ur­laubswünsche des Ar­beit­neh­mers zu berück­sich­ti­gen, es sei denn, dass dem drin­gen­de be­trieb­li­che Be­lan­ge oder Ur­laubswünsche an­de­rer Ar­beit­neh­mer ent­ge­gen­ste­hen, die un­ter so­zia­len Ge­sichts­punk­ten den Vor­rang ver­die­nen (BAG 14. Au­gust 2007 - 9 AZR 934/06 - Rn. 12, AP BUrlG § 7 Nr. 38 = EzA BUrlG § 7 Nr. 119). Pro­zess-wirt­schaft­li­che Erwägun­gen recht­fer­ti­gen es nicht, dem Ar­beit­neh­mer die­ses ers­te Be­stim­mungs­recht zu ent­zie­hen und sei­ne ma­te­ri­el­len Ansprüche des­halb ein­zu­schränken.

II. Die Kla­ge ist be­gründet. Der un­strei­tig 2007 ent­stan­de­ne und nicht erfüll­te An­spruch auf zehn Ta­ge ta­rif­ver­trag­li­chen Mehr­ur­laub ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on nicht nach § 37 Abs. 1 MTV Bo­den oder gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit dem 31. März 2008, son­dern erst während des Ver­zugs der Be­klag­ten mit dem 31. März 2009 un­ter­ge­gan­gen. Der Kläger hat des­halb An­spruch nach § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB auf noch zu gewähren­den Er­satz­ur­laub.


1. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist nach Ziff. 3 des Ar­beits­ver­trags der Par­tei­en der MTV Bo­den an­zu­wen­den.

2. Der Ur­laubs­an­spruch des Klägers ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on nicht zum 31. März 2008 ver­fal­len. Er konn­te den Ur­laub für das Jahr 2007 nicht bis zum 31. März 2008 an­tre­ten, da er vom 28. Ju­li 2007 bis zum 30. April 2008 durch­ge­hend ar­beits­unfähig er­krankt war. Sein An­spruch auf den über­ge­setz­li­chen ta­rif­ver­trag­li­chen Mehr­ur­laub von zehn Ar­beits­ta­gen war da­mit

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auch bis zum En­de des Über­tra­gungs­zeit­raums gemäß § 37 Abs. 1 MTV Bo­den am 31. März 2008 nicht erfüll­bar.

3. Nach der neue­ren Recht­spre­chung des Se­nats führt die fort­dau­ern­de Ar­beits­unfähig­keit zur wei­te­ren au­to­ma­ti­schen Über­tra­gung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs und hin­dert so des­sen Ver­fall (vgl. zu­letzt BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 18, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 17).


4. Ent­ge­gen der Re­vi­si­on ist die­se Recht­spre­chung auch auf den ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub nach dem MTV Bo­den an­zu­wen­den. Die ta­rif­li­che Re­ge­lung lässt nicht er­ken­nen, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en von dem Grund­satz, dem­zu­fol­ge die Be­stim­mun­gen zur Über­tra­gung und zum Ver­fall des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs mit de­nen zum ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub gleich­lau­fen, ab­wei­chen wol­len. Das er­gibt die Aus­le­gung der maßgeb­li­chen Ta­rif­vor­schrif­ten.


a) Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en können Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG gewähr­leis­te­ten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG be­gründe­ten An­spruch auf Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen über­stei­gen, frei re­geln. Ih­re Re­ge­lungs­macht ist nicht durch die für ge­setz­li­che Ur­laubs­ansprüche er­for­der­li­che richt­li­ni­en­kon­for­me Fort­bil­dung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG be­schränkt. Ei­nem ta­rif­lich an­ge­ord­ne­ten Ver­fall des über­ge­setz­li­chen Ur­laubs­an­spruchs und sei­ner Ab­gel­tung steht nach dem kla­ren Richt­li­ni­en­recht und der ge­si­cher­ten Recht­spre­chung des EuGH kein Uni­ons­recht ent­ge­gen (vgl. BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 23 mwN, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 17).


b) Der Se­nat hat die hier zu be­ur­tei­len­den ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten des­halb an­hand des in­ner­staat­li­chen Rechts aus­zu­le­gen. Es ist zu prüfen, ob die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en von ih­rer frei­en Re­ge­lungs­macht Ge­brauch ge­macht ha­ben. Dies kann sich dar­aus er­ge­ben, dass sie ent­we­der bei ih­rer Ver­falls­re­ge­lung zwi­schen ge­setz­li­chem Min­des­t­ur­laub und ta­rif­ver­trag­li­chem Mehr­ur­laub un­ter­schie­den oder sich vom ge­setz­li­chen Fris­ten­re­gime gelöst und ei­genständi­ge vom BUrlG ab­wei­chen­de Re­ge­lun­gen zur Über­tra­gung und zum Ver­fall des
 


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Ur­laubs­an­spruchs ge­trof­fen ha­ben. Bei­des ist nach § 37 Abs. 1 MTV Bo­den nicht der Fall.

aa) Un­ter­schei­det ein Ta­rif­ver­trag zwi­schen ge­setz­li­chem Min­des­t­ur­laub und ta­rif­ver­trag­li­chem Mehr­ur­laub, ist es re­gelmäßig ge­recht­fer­tigt, auch hin­sicht­lich des Ver­falls von Ur­laubs­ansprüchen ent­spre­chend zu dif­fe­ren­zie­ren. Die vom Se­nat ent­wi­ckel­te richt­li­ni­en­kon­for­me Fort­bil­dung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG be­trifft nur die Min­des­t­ur­laubs­ansprüche (BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 18, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 17). Tren­nen die Ta­rif­ver­trag­par­tei­en zwi­schen ge­setz­li­chem und ta­rif­ver­trag­li­chem Ur­laub, ma­chen sie von ih­rer frei­en, nicht durch § 13 Abs. 1 BUrlG be­schränk­ten Re­ge­lungs-macht für den ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub Ge­brauch. Es ist dann aus­ge­schlos­sen, oh­ne kon­kre­te An­halts­punk­te die richt­li­ni­en­kon­for­me Fort­bil­dung von Vor­schrif­ten des BUrlG auch auf den ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub an­zu­wen­den. Ein ent­spre­chen­der zwi­schen bei­den Ur­laubs­ar­ten dif­fe­ren­zie­ren­der Re­ge­lungs­wil­le der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en lässt sich nicht schon dar­aus her­lei­ten, dass ein Ta­rif­ver­trag sich vom ge­setz­li­chen Ur­laubs­re­gime löst und statt­des­sen ei­ge­ne Re­geln auf­stellt (so aber LAG Hamm 24. Fe­bru­ar 2011 - 16 Sa 727/10 - Rn. 49; LAG Düssel­dorf 20. Ja­nu­ar 2011 - 11 Sa 1493/10 - Rn. 32, ZTR 2011, 377; LAG Rhein­land-Pfalz 19. Au­gust 2010 - 10 Sa 244/10 - Rn. 31, ZTR 2011, 98). Denn ein sol­cher Ta­rif­ver­trag, der nicht zwi­schen bei­den Ur­laubs­ar­ten un­ter­schei­det, löst sich ins­ge­samt für ge­setz­li­chen und ta­rif­ver­trag­li­chen Ur­laub vom Re­gime des BUrlG.

Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben im MTV Bo­den nicht zwi­schen ge­setz­li­chem und ta­rif­ver­trag­li­chem Ur­laub un­ter­schie­den.

(1) Der Se­nat hat in ständi­ger Recht­spre­chung die Aus­le­gungs­re­gel auf­ge­stellt, für ei­nen Re­ge­lungs­wil­len, der zwi­schen ge­setz­li­chen und über­ge­setz­li­chen ta­rif­ver­trag­li­chen Ansprüchen un­ter­schei­de, müss­ten deut­li­che An­halts­punk­te be­ste­hen. Trotz teil­wei­ser Kri­tik in der Li­te­ra­tur und von In­stanz­ge­rich­ten hat der Se­nat auch für Ta­rif­verträge hier­an fest­ge­hal­ten (BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 35 ff. mwN, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 16).



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(2) Sol­che An­halts­punk­te sind im MTV Bo­den nicht er­sicht­lich. Die­se können sich nur dar­aus er­ge­ben, dass der Ta­rif­ver­trag ge­setz­li­che und ta­rif­ver­trag­li­che Ur­laubs­ansprüche un­ter­schied­lich re­gelt. Das ist im MTV Bo­den nicht der Fall. Sämt­li­che Ur­laubs­re­ge­lun­gen dif­fe­ren­zie­ren nicht zwi­schen ge­setz­li­chem Ur­laub und ta­rif­ver­trag­li­chem Mehr­ur­laub.

bb) Ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ein­heit­lich so­wohl für den uni­ons­recht­lich verbürg­ten Min­dest- als auch für den über­stei­gen­den Mehr­ur­laub von § 7 Abs. 3 BUrlG we­sent­lich ab­wei­chen­de Über­tra­gungs- und Ver­falls­re­geln ver­ein­bart, so zeugt das eben­falls für ei­nen ei­genständi­gen Re­ge­lungs­wil­len. Da­nach soll der Ar­beit­neh­mer das Ri­si­ko, den Ur­laub nicht in An­spruch neh­men zu können, tra­gen. Dies schließt ei­nen ergänzen­den Rück­griff auf die - uni­ons­recht­lich be­dingt - re­for­mier­te Recht­spre­chung des Se­nats, der zu­fol­ge der Ur­laubs­an­spruch auch im Fall der krank­heits­be­ding­ten Unmöglichkkeit ei­ner Erfüllung er­hal­ten bleibt, un­abhängig da­von aus, ob die­se Recht­spre­chung auf ei­ner richt­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung oder auf ei­ner richt­li­ni­en­kon­for­men Rechts­fort­bil­dung be­ruht. Un­er­heb­lich ist in die­sem Zu­sam­men­hang, dass die ei­genständi­ge Son­der­re­ge­lung für den uni­ons­recht­lich verbürg­ten Min­des­t­ur­laub im Hin­blick auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG iVm. § 134 BGB un­wirk­sam ist. Für den vom Min­des­t­ur­laub ab­trenn­ba­ren Teil der ein­heit­lich ge­re­gel­ten Ge­samt­ur­laubs­dau­er, den sog. Mehr­ur­laub, bleibt sie gemäß § 139 BGB wirk­sam.

So­weit die In­stanz­recht­spre­chung ei­nen ei­genständi­gen, dem Gleich­lauf von Min­dest- und Mehr­ur­laub ent­ge­gen­ste­hen­den Re­ge­lungs­wil­len be­reits dann an­nimmt, wenn in ei­nem Ta­rif­ver­trag von der Zwölf­te­lungs­re­ge­lung des § 5 BUrlG ab­ge­wi­chen wird (so ArbG München 11. Fe­bru­ar 2010 - 3 Ca 10454/09 -), kann dem nicht zu­ge­stimmt wer­den (zu­tref­fend LAG München 29. Ju­li 2010 - 3 Sa 280/10 - Rn. 25 ff.). Ent­schei­dend ist viel­mehr, ob vom Fris­ten­re­gime des BUrlG ab­ge­wi­chen oder zu­min­dest durch die Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Min­dest- und Mehr­ur­laub er­kenn­bar ge­macht wird, dass der Ar­beit­neh­mer für den Mehr­ur­laub das Ver­falls­ri­si­ko tra­gen soll.
 


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Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner sol­chen Ab­wei­chung sind im MTV Bo­den nicht erfüllt. Der MTV Bo­den re­gelt we­der ein ei­genständi­ges vom BUrlG ab­wei­chen­des Fris­ten­re­gime, noch lässt er er­ken­nen, dass der Ar­beit­neh­mer das Ri­si­ko der In­an­spruch­nah­memöglich­keit für den Mehr­ur­laub tra­gen soll.


(1) § 37 Abs. 1 MTV Bo­den wie­der­holt vor­ran­gig die be­reits im BUrlG be­stimm­te Be­fris­tung des Ur­laubs­an­spruchs. Nach den Ta­rif­re­ge­lun­gen muss der Ur­laub - wie auch gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG - im Ur­laubs­jahr gewährt und ge­nom­men wer­den. Denn § 32 Abs. 1 MTV Bo­den be­stimmt, dass je­der Mit­ar­bei­ter in je­dem vom 1. Ja­nu­ar bis 31. De­zem­ber lau­fen­den Ur­laubs­jahr An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub hat. Im Zu­sam­men­hang mit § 37 Abs. 1 MTV Bo­den lässt sich hier­aus her­lei­ten, dass der Ur­laub im Ka­len­der­jahr gewährt und ge­nom­men wer­den muss. Die­se Bin­dung an das Ka­len­der­jahr wird durch § 37 Abs. 1 MTV Bo­den bestätigt (vgl. zum gleich­lau­ten­den § 17d MTV Cock­pit BAG 11. April 2006 - 9 AZR 523/05 - Rn. 20, AP BUrlG § 7 Über­tra­gung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116). Da­nach verfällt „nicht ge­nom­me­ner Er­ho­lungs­ur­laub“ am 31. März des fol­gen­den Jah­res. Das zeigt, dass der Er­ho­lungs­ur­laub im Ur­laubs­jahr ge­nom­men wer­den soll und al­len­falls auf die ers­ten drei Mo­na­te des fol­gen­den Jah­res über­tra­gen wird. Dies wird durch die Über­schrift die­ser Ta­rif­norm „Ver­fal­len und Über­tra­gung des Ur­laubs­an­spruchs“ ver­deut­licht.


(2) Auch der in § 37 Abs. 1 MTV Bo­den an­ge­ord­ne­te Ver­fall nicht ge­nom­me­nen Ur­laubs am 31. März des fol­gen­den Jah­res ent­spricht dem Fris­ten­re­gime des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG.


(3) So­weit die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en für die Über­tra­gung des Ur­laubs­an­spruchs auf die ers­ten drei Mo­na­te des Fol­ge­jah­res in Ab­wei­chung von § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG auf be­trieb­li­che oder in der Per­son des Ar­beit­neh­mers lie­gen­de recht­fer­ti­gen­de Gründe ver­zich­tet ha­ben, lässt dies nicht aus­rei­chend ein ei­genständi­ges ab­sch­ließen­des Fris­ten­re­gime er­ken­nen. Es wird le­dig­lich, mögli­cher­wei­se aus Prak­ti­ka­bi­litätserwägun­gen, auf die an­sons­ten not­wen­di­ge Prüfung der Über­tra­gungs­vor­aus­set­zun­gen ver­zich­tet. Ei­ne sol­che Teil­ab­wei­chung lässt nicht auf den Re­ge­lungs­wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en schließen, sich an­sons­ten vom Fris­ten­re­gime des BUrlG lösen zu wol­len, zu­mal

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sie hier den 31. März des Fol­ge­jah­res aus der ge­setz­li­chen Re­ge­lung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG über­nom­men ha­ben.

(4) Zwar ord­net § 37 Abs. 1 MTV Bo­den über den Wort­laut in § 7 BUrlG hin­aus aus­drück­lich den Ver­fall des Ur­laubs­an­spruchs an. Auch hier­aus lässt sich kein ei­genständi­ger Re­ge­lungs­wil­le der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en fol­gern. Sie ha­ben le­dig­lich die Recht­spre­chung des Se­nats zu § 7 BUrlG de­kla­ra­to­risch über­nom­men. Da­nach verfällt der gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG auf das fol­gen­de Ka­len­der­jahr über­tra­ge­ne und nicht bis zum 31. März des fol­gen­den Jah­res ver­wirk­lich­te Ur­laub mit Ab­lauf die­ser Frist (so schon BAG 24. No­vem­ber 1987 - 8 AZR 140/87 - zu 2 der Gründe, BA­GE 56, 340). Das­sel­be gilt für die Re­ge­lung in § 37 Abs. 2 MTV Bo­den. Da­nach ist der vom Mit­ar­bei­ter er­folg­los gel­tend ge­mach­te Ur­laub nach­zu­gewähren. Dies ent­spricht der Recht­spre­chung, nach der sich der Ur­laubs­an­spruch gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB in ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch um­wan­delt, der auf Gewährung von Er­satz­ur­laub als Na­tu­ral­re­sti­tu­ti­on ge­rich­tet ist, wenn der Ar­beit­ge­ber den recht­zei­tig ver­lang­ten Ur­laub nicht gewährt und der Ur­laub auf­grund sei­ner Be­fris­tung verfällt (BAG 11. April 2006 - 9 AZR 523/05 - Rn. 24, AP BUrlG § 7 Über­tra­gung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116). Ein vom BUrlG in Aus­prägung der Recht­spre­chung des Se­nats ab­wei­chen­der Re­ge­lungs­wil­le der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en er­gibt sich des­halb nicht.

(5) Die Re­vi­si­on ver­weist oh­ne Er­folg auf § 36 Abs. 4 Satz 1 MTV Bo­den. Da­nach wird der Ur­laub an­tei­lig um Zei­ten der Ar­beits­be­frei­ung oh­ne Fort­zah­lung der Vergütung gekürzt. Die Kürzung soll­te nur statt­fin­den, „so­fern ge­setz­lich nichts an­de­res be­stimmt ist“. Die Be­klag­te be­ruft sich in­so­weit zu Un­recht auf die Ent­schei­dung des Se­nats vom 24. März 2009 (- 9 AZR 983/07 - Rn. 85, BA­GE 130, 119). Dort hat der Se­nat zwar die For­mu­lie­rung in ei­ner kirch­li­chen Ar­beits- und Vergütungs­ord­nung (KA­VO) „so­weit ge­setz­lich nicht an­de­res ge­re­gelt ist“ zum An­lass ge­nom­men, ei­ne Un­ter­schei­dung zwi­schen ge­setz­li­chen und über­ge­setz­li­chen Ansprüchen an­zu­neh­men. Al­ler­dings be­traf die­se Ge­set­zes­vor­be­halts­re­ge­lung aus­sch­ließlich den aus­drück­lich in der KA­VO auch in den Fris­ten ab­wei­chend vom BUrlG ge­re­gel­ten Ver­fall des
 


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Ur­laubs­an­spruchs. Da­mit wird deut­lich, dass die KA­VO ein ei­ge­nes Fris­ten- und Ver­falls­re­gime be­stimm­te und le­dig­lich sons­ti­ge, zwin­gen­de ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen des BUrlG wei­ter Be­stand ha­ben soll­ten. Ein sol­ches ei­gen-ständi­ges Fris­ten­re­gime so­wie ei­ne dar­auf be­zo­ge­ne Ge­set­zes­vor­be­halts­re­ge­lung enthält die Ver­falls­re­ge­lung des MTV Bo­den in sei­nem § 37 ge­ra­de nicht.


(6) So­weit § 36 Abs. 3 MTV Bo­den be­stimmt, dass dem Ar­beit­neh­mer ins­ge­samt nicht mehr als 12/12 des ta­rif­li­chen Ur­laubs zu­ste­hen soll, wenn er zu ei­ner an­de­ren Ge­sell­schaft im DLH-Kon­zern wech­selt, kann dies im Ein­zel-fall von § 5 Abs. 1 BUrlG ab­wei­chen. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on schließt dies ei­nen Rück­griff auf die Ver­falls­re­ge­lun­gen des § 7 BUrlG nicht aus. Da­zu genügen Ab­wei­chun­gen bei der Be­rech­nung des Ur­laubs­an­spruchs nicht.


5. Der An­spruch ver­fiel je­doch gemäß § 37 Abs. 1 MTV Bo­den und nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätes­tens zum 31. März 2009. Der we­gen der man­geln­den Möglich­keit der In­an­spruch­nah­me in­fol­ge krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit über den Über­tra­gungs­zeit­raum des ers­ten Quar­tals des Fol­ge­jah­res hin­aus fort­be­ste­hen­de Ur­laubs­an­spruch un­terfällt, so­bald die Ar­beits­unfähig­keit als Erfüllungs­hin­der­nis des Ur­laubs­an­spruchs wegfällt, er­neut dem ge­setz­li­chen oder ta­rif­ver­trag­li­chen Fris­ten­re­gime.

a) Der im Vor­jahr we­gen Ar­beits­unfähig­keit nicht erfüll­ba­re Ur­laubs­an­spruch wird nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG bei ei­nem in der Per­son des Ar­beit­neh­mers lie­gen­den Grund au­to­ma­tisch über­tra­gen. Er tritt dem am 1. Ja­nu­ar des Fol­ge­jah­res nach § 4 BUrlG ent­ste­hen­den neu­en Ur­laubs­an­spruch mit der Maßga­be hin­zu, dass er nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG bis zum 31. März des Fol­ge­jah­res gewährt und ge­nom­men wer­den muss (Gaul/Bo­nan­ni/Lud­wig DB 2009, 1013; Düwell dbr 8/2009 S. 9). Ist ein Ur­laubs­an­spruch aus­nahms­wei­se bis zum En­de des Über­tra­gungs­zeit­raums we­gen Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers nicht erfüll­bar, kann zwar nach der - uni­ons­recht­lich be­dingt - re­for­mier­ten Recht­spre­chung des Se­nats der Ver­fall des Ur­laubs­an­spruchs nicht ein­tre­ten. So­wohl für den über­tra­ge­nen als auch für
 


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den neu ent­stan­de­nen Ur­laubs­teil­an­spruch gel­ten dann aber die in § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG be­stimm­te Be­zugs­dau­er bis zum 31. De­zem­ber als auch die in ei­ner Art per­pe­tu­ie­ren­dem Sys­tem ein­grei­fen­den Über­tra­gungs­re­geln aus § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BUrlG; denn an die­sen Be­fris­tun­gen des Ur­laubs­an­spruchs ist für den Re­gel­fall der mögli­chen In­an­spruch­nah­me fest­zu­hal­ten (AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 91; dem fol­gend: LAG München 30. No­vem­ber 2010 - 6 Sa 684/10 - Rn. 30). Das er­gibt sich aus fol­gen­den Erwägun­gen:

aa) § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BUrlG er­fasst nicht nur den Ur­laubs­an­spruch des lau­fen­den Jah­res (so aber Bau­er/Ar­nold NJW 2009, 631). Nach dem Wort­laut des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG muss der Ur­laub im lau­fen­den Ka­len­der­jahr gewährt und ge­nom­men wer­den. Die Vor­schrift be­schränkt ih­ren Re­ge­lungs­be­reich des­halb nicht auf den für das „lau­fen­de Jahr“ ent­stan­de­nen Ur­laub. Sie re­gelt viel­mehr je­den be­ste­hen­den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub. Auch der we­gen Ar­beits­unfähig­keit fort­be­ste­hen­de Ur­laubs­an­spruch ist ge­setz­li­cher Ur­laub im Sin­ne des BUrlG. Die­ser muss im lau­fen­den Ka­len­der­jahr (dem Jahr sei­nes Be­ste­hens) gewährt und ge­nom­men wer­den.


bb) Auch aus der Recht­spre­chung des EuGH folgt nicht, dass § 7 Abs. 3 BUrlG auf we­gen Ar­beits­unfähig­keit nicht ver­fal­le­ne Ur­laubs­ansprüche kei­ne An­wen­dung fin­den darf (so fälsch­lich Pi­cker ZTR 2009, 230). Der EuGH hat viel­mehr aus­drück­lich bestätigt, dass Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung nicht ent­ge­gen­steht, die den Ver­lust des Ur­laubs­an­spruchs am En­de ei­nes Be­zugs­zeit­raums oder ei­nes Über­tra­gungs­zeit­raums be­stimmt, wenn der Ar­beit­neh­mer tatsächlich die Möglich­keit hat­te, den Ur­laub zu neh­men (EuGH 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 42, Slg. 2009, I-179). Des­halb kann der Ur­laub in den fol­gen­den Ur­laubs­jah­ren ver­fal­len, wenn der Ar­beit­neh­mer ihn nicht recht­zei­tig ge­nom­men hat und er nicht an der Ur­laubs­nah­me we­gen Ar­beits­unfähig­keit ge­hin­dert war.


b) Der Kläger hätte sei­nen Rest­ur­laubs­an­spruch aus 2007 nach Wie­der­her­stel­lung sei­ner Ar­beitsfähig­keit ab Mai 2008 neh­men können. Es war des­halb Ver­fall spätes­tens zum 31. März 2009 ein­ge­tre­ten. Die Be­klag­te be­fand
 


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sich je­doch seit Au­gust 2008 mit der Ur­laubs­gewährung in Ver­zug, da der Kläger zu­vor spätes­tens mit der ihr am 10. Au­gust 2008 zu­ge­stell­ten Kla­ge sei­ne Ur­laubs­ansprüche er­folg­los gel­tend ge­macht hat­te. Das be­gründet ei­nen ent­spre­chen­den Er­satz­ur­laubs­an­spruch des Klägers aus Ver­zug.


III. Die Be­klag­te hat für den ver­fal­le­nen Ur­laub Er­satz nach § 249 Abs. 1 BGB zu leis­ten, weil sie sich gemäß § 286 BGB im Schuld­ner­ver­zug be­fand, als der An­spruch auf den rest­li­chen ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub un­ter­ging.

B. Die Be­klag­te hat die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re­vi­si­on nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tra­gen.

 

Düwell 

Suckow 

Krasshöfer

D. We­ge 

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