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Einheitliche Regelung für das Streikrecht in Europa durch Monti-II?
Da sich der Gesetzgeber trotz vieler Gesetzesvorschläge seit Gründung der Bundesrepublik nie an das politisch heikle Thema Streik (und Aussperrung?) herangewagt hat, sind die rechtlichen Grenzen des Streikrechts bis heute nur durch Gerichtsentscheidungen herausgearbeitet. Wichtig ist hier vor allem, dass eine Gewerkschaft hinter Streiks steht und dass sie mit dem Streik die Arbeitgeberseite zu einem Tarifabschluss zwingen will. Daher sind rein politische Streiks und Streiks von Beamten in Deutschland verboten. Abgesehen von diesen Grenzen entscheiden die Gewerkschaften aber selbst darüber, welche („großen“ oder „kleinen“) Ziele sie erstreiken wollen und ob ein Streik energisch und mit großem Aufwand oder nur als kurzer Warnstreik geführt werden soll.
Insbesondere gibt es in Deutschland keine Zwangsschlichtung von Tarifkonflikten, die Streiks ersetzen könnte oder auch „nur“ deren zwingende Vorstufe wäre. Und es darf sich auch kein Arbeitsgericht anmaßen zu entscheiden, ob ein Streik unter Berücksichtigung der Tarifziele „angemessen“ ist oder nicht.
Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur immer wieder gesagt, dass die Rechtmäßigkeit eines Streiks u.a. auch von seiner „Verhältnismäßigkeit“ abhängen soll, doch findet eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit von Streikmaßnahmen gerade nicht statt. Vielmehr ist es eine theoretische juristische Extremvorstellung, dass ein Streik ausnahmsweise einmal „offensichtlich unverhältnismäßig“ sein könnte, wenn er z.B. auf eine absichtliche wirtschaftliche Zerstörung des Gegenspielers gerichtet wäre. So etwas kommt aber in der Praxis nie vor, denn Gewerkschaften wollen die Kuh ja melken und nicht schlachten.
In Deutschland gilt damit ein streikfreundliches Arbeitskampfrecht, das den Gewerkschaften viele Freiheiten bietet, ihre Ziele zu erreichen. Sorge vor Schadensersatzansprüchen wegen rechtswidriger Streiks müssen sie bei innerdeutschen Fällen in aller Regel nicht haben.
Der EuGH und das unionsrechtliche Streikrecht
Bei Streiks mit grenzüberschreitenden Bezügen ist jedoch nicht nur das innerstaatliche Recht, sondern auch die Rechtslage in der Europäischen Union (EU) zu beachten. Die - ebenfalls durch Rechtsprechung geprägte - Situation sieht dabei völlig anders aus.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte Ende 2007 in den Urteilen „Viking-Line“ (Urteil vom 11.12.2007, C-438/05) und „Laval“ (Urteil vom 18.12.2007, C-341/05) erstmals deutlich entschieden, dass das Streikrecht zwar ein Grundrecht ist, jedoch in die Grundprinzipien der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit eingreift (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 08/011 Streikrecht versus Niederlassungsfreiheit).
Hintergrund dieser beiden Entscheidungen waren Streiks, mit denen die Arbeitnehmer eines „reichen“ EU-Landes den Einsatz „billigerer“ Arbeitskräfte aus einem ärmeren EU-Land abwehren wollten. Diese Streiks waren somit gegen eine der „Grundfreiheiten“ innerhalb der EU gerichtet, nämlich gegen die grenzüberschreitende Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Und diese hat für die EU-Kommission und den EuGH eine sehr große Bedeutung.
In den o.g. beiden Entscheidungen hat der EuGH deutlich gemacht, dass ein Eingriff in die grenzüberschreitende Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit in Form von Streiks nur dann mit dem EU-Recht vereinbar ist, wenn mit dem Streik Ziele verfolgt werden, die mit dem Vertrag über die Europäische Union vereinbar sind und die durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind. Konkret muss es nach Ansicht des EuGH bei solchen Streiks z.B. darum gehen, Arbeitnehmer vor einer Gefährdung ihrer Arbeitsplätze oder ihrer Arbeitsbedingungen zu schützen oder auch darum, Störungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern.
Aber damit nicht genug: Der im Streik liegende Eingriff in die grenzüberschreitende Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit muss zudem geeignet sein, das Ziel zu erreichen, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Zielerreichung erforderlich ist. Anscheinend geht der EuGH davon aus, dass Streiks von der Art, wie sie den Urteilen „Viking-Line“ und „Laval“ zugrunde lagen, nur rechtmäßig sein können, wenn sie einen Verhältnismäßigkeits-Check bestehen.
Streit ums Streikrecht
Dieser Ansatz, dass Streiks nur unter diesen Bedingungen durchgeführt werden und dann auch nur „minimalinvasiv“ sein dürfen, läuft auf einen Vorrang der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit gegenüber dem Streikrecht hinaus. In der weiteren Konsequenz dieser EuGH-Entscheidungen ist es auch denkbar (obwohl nicht wirklich wahrscheinlich), dass Streiks gegen grenzüberschreitende Betriebsverlagerungen oder gegen einen grenzüberschreitenden Arbeitskräfteeinsatz Forderungen nach Schadensersatz zur Folge haben, die sich v.a. gegen die den Streik organisierenden Gewerkschaften richten würden.
Kein Wunder also, dass die beiden EuGH-Urteile in Sachen „Viking-Line“ und „Laval“ von gewerkschaftsnahen Autoren kritisch bewertet, von der Arbeitgeberseite dagegen als richtige „Klarstellung“ begrüßt wurde.
„Lösung“ der EU-Kommission: Monti-II-Verordnung
Vor diesem Hintergrund trat die EU-Kommission im März 2012 auf den Plan und legte einen Vorschlag für eine neue Rechtsverordnung vor („Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit“, Vorschlag der Kommission vom 21.03.2012). Da sie an eine andere Verordnung angelehnt ist, an der der italienische Wirtschaftswissenschaftler und Regierungschef Mario Monti ebenfalls maßgeblich beteiligt war, wird sie auch als „Monti-II-Verordnung“ bezeichnet.
Inhaltlich ist der Vorschlag in fünf Artikel aufgeteilt. Es wird zunächst klargestellt, dass innerstaatliche Grundrechte (insbesondere das Streikrecht) durch die Verordnung nicht beeinträchtigt werden dürfen (Artikel 1). Artikel 2 regelt sehr kurz „Allgemeine Grundsätze“ der Ausübung der Marktfreiheiten und des Rechts auf Arbeitskampfmaßnahmen. Bei der Ausübung dieser Rechte soll jeweils das andere Recht „gewahrt“ werden. Dies soll die Gleichberechtigung beider Rechte verdeutlichen.
Im dritten Artikel werden auf den ersten Blick nur Regelungen für den Fall getroffenen, dass ein Mitgliedsstaat ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren für Arbeitskämpfe vorsieht (was er nicht muss). Artikel 3 Nr.4 betont dann allerdings die von dieser außergerichtlichen Streitbeilegung unabhängige Rolle der nationalen Gerichte und des EuGH. Sie sollen (weiter) bestimmen können, ob und inwieweit Arbeitskampfmaßnahmen „nicht über das zur Erreichung des (der) verfolgten Ziels (Ziele) erforderliche Maß hinausgehen“.
Mit Artikel 4 soll schließlich ein „Warnmechanismus“ für Situationen errichtet werden, die die effiziente Ausübung der Marktfreien berühren und das Funktionieren des Binnenmarkts schwerwiegend beeinträchtigen könnten oder die das System der Arbeitsbeziehungen schwer schädigen oder ernsthafte Unruhen hervorrufen könnten. Der Warnmechanismus soll darin bestehen, dass die Staaten, in denen gestreikt wird, unverzüglich den Herkunftsstaat des bestreikten Dienstleistungsunternehmens sowie die Kommission informieren.
Artikel 5 betrifft dann das Inkrafttreten der Verordnung. Ob es aber jemals dazu kommen wird, ist derzeit mehr als fraglich.
Gelbe Karte für „Monti-II“ - Denkzettel für EU-Kommission
Für ihren Vorschlag erntete die EU-Kommission große Kritik, v.a. von den Gewerkschaften. Statt einer Regelung über den Vorrang des Grundrechts auf Streik gegenüber der grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit stellt die Monti-II-Verordnung diese beiden Rechte auf eine Stufe und untermauert damit die EuGH-Urteile in Sachen „Viking-Line“ und „Laval“, so die Kritik (Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Vorschlag „Monti II“).
Vor allem der in dem Verordnungs-Entwurf enthaltene Warnmechanismus wird als „Errichtung eines Überwachungssystems“ kritisiert, das die Gefahr einer staatlichen Einmischung in Arbeitskämpfe mit sich bringt (Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Vorschlag „Monti II“, S.5).
Neben diesen inhaltlichen Bedenken bestehen aber auch Zweifel, ob die EU überhaupt die nötige Regelungskompetenz hat, da das Streikrecht an sich von Vorschriften der EU ausgeschlossen ist.
Die Verordnung soll jedenfalls auf eine nachrangige Handlungsermächtigung gestützt werden, die zu besonderen Hürden für das Gesetzgebungsverfahren führt. Hierzu gehört, dass auf den Entwurf schon im Vorfeld - wie nun geschehen - besonders hingewiesen werden muss und er nur einstimmig vom Rat der Europäischen Union (den Repräsentanten der EU-Mitgliedsstaaten) mit Zustimmung des Europäischen Parlaments (den Repräsentanten der EU-Bevölkerung) angenommen werden kann.
Zu denken geben sollte der EU-Kommission dabei die Reaktion der nationalen Parlamente. Erstmals seit Einführung des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit haben mehr als ein Drittel der Parlamente begründete Bedenken gegen die Zuständigkeit der EU angemeldet. Unter ihnen befindet sich auch der deutsche Bundesrat. Damit wurde der Kommission die „Gelbe Karte“ gezeigt, d.h. sie ist nun verpflichtet, den Entwurf zu überprüfen (Art.7 Abs.2 des Protokolls).
Fazit: Viel Rauch und wenig Braten
Der Vorschlag der EU-Kommission ist vor allem deshalb seltsam, weil er keinen konkreten Inhalt besitzt. Das stellt auch der Bundesrat in deutlichen Worten heraus. Der Bundesrat sehe „den Mehrwert dieses Verordnungsvorschlags nicht“. Man halte ihn schon „mangels Regelungsgehaltes“ nicht für angemessen.
Was dann allerdings doch an Regelungsabsichten und/oder politischen Bewertungen deutlich wird, so v.a. durch den Vorschlag eines „Warnmechanismus“ sowie durch die betonte Gleichwertigkeit von Niederlassungsfreiheit und Streikrecht, geht in die falsche Richtung. Denn aufgrund der Stärkung des Grundrechts auf Streik durch die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist in den letzten zwei Jahren deutlich geworden, dass das Streikrecht ein sehr wichtiger Teil der Charta der Grundrechte der EU ist. Ob der EuGH daher angesichts dieser aktuellen Vorgaben des EGMR heute noch genauso wie im Jahre 2007 über die Streitfälle „Viking Line“ und „Laval“ entscheiden würde, ist zweifelhaft.
Die Monti-II-Verordnung ist zwar noch nicht aus der Welt. Es ist aber absehbar, dass sich der ohnehin starke Gegenwind gegen ein unionsrechtliches Streikrecht nach dem Geschmack der EU-Kommission in einem möglichen Gesetzgebungsverfahren noch verstärken würde. Die EU-Kommission wäre daher gut beraten, ihren Entwurf zu den Akten zu legen.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Vorschlag der EU-Kommission für eine „Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit“ vom 21.03.2012 (COM(2012) 130 final)
- Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Vorschlag „Monti II“
- Beschluss des Bundesrates zu „Monti II“ vom 15.06.2012 (BR-Drucksache 158/12)
- “The Draft Monti II Regulation – An Inadequate Response to Viking and Laval” By K D Ewing, Professor of Public Law, King’s College, London
- Handbuch Arbeitsrecht: Streik und Streikrecht
- Arbeitsrecht aktuell: 10/025 Ist die Erlaubnis von Flashmob-Streiks verfassungswidrig?
- Arbeitsrecht aktuell: 08/011 Streikrecht versus Niederlassungsfreiheit
Letzte Überarbeitung: 18. Dezember 2013
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