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EuGH, Ur­teil vom 11.12.2007, C-438/05 - The In­ter­na­tio­nal Trans­port Workers' Fe­de­ra­ti­on und The Fin­nish Sea­men's Uni­on

   
Schlagworte: Niederlassungsrecht
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-438/05
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 11.12.2007
   
Leitsätze:

1. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Bestimmungen des Vertrags – Anwendungsbereich

(Art. 43 EG)

2. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme – Vereinbarkeit mit den vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten

(Art. 43 EG)

3. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Bestimmungen des Vertrags – Persönlicher Anwendungsbereich

(Art. 43 EG)

4. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Beschränkungen – Von einer Gewerkschaft betriebene kollektive Maßnahme, mit der ein privates Unternehmen zum Abschluss eines Arbeitstarifvertrags veranlasst werden soll

(Art. 43 EG)

1. Art. 43 EG ist dahin auszulegen, dass grundsätzlich eine kollektive Maßnahme, die von einer Gewerkschaft oder einem Gewerkschaftsverband gegen ein privates Unternehmen zu dem Zweck betrieben wird, dieses Unternehmen dazu zu veranlassen, einen Tarifvertrag abzuschließen, dessen Inhalt geeignet ist, das Unternehmen davon abzubringen, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, dem Anwendungsbereich von Art. 43 EG nicht entzogen ist.

Art. 43 EG gilt nämlich nicht nur für Akte der staatlichen Behörden, sondern erstreckt sich auch auf Regelwerke anderer Art, die die abhängige Erwerbstätigkeit, die selbständige Arbeit und die Erbringung von Dienstleistungen kollektiv regeln sollen. Da die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten teilweise durch Gesetze oder Verordnungen und teilweise durch Tarifverträge und sonstige Maßnahmen, die von Privatpersonen geschlossen bzw. vorgenommen werden, geregelt sind, bestünde die Gefahr, dass eine Beschränkung der in dem genannten Artikel vorgesehenen Verbote auf Maßnahmen der öffentlichen Gewalt bei ihrer Anwendung zu Ungleichheiten führen würde.

Da die Organisation kollektiver Maßnahmen durch die Gewerkschaften unter die rechtliche Autonomie fällt, über die diese Einrichtungen, die nicht öffentlich-rechtlich verfasst sind, im Rahmen der ihnen insbesondere durch das nationale Recht gewährten Koalitionsfreiheit verfügen, und da diese kollektiven Maßnahmen untrennbar mit dem Tarifvertrag verbunden sind, auf dessen Abschluss die Gewerkschaften hinarbeiten, fallen solche Maßnahmen grundsätzlich in den Anwendungsbereich von Art. 43 EG.

(vgl. Randnrn. 33-37, 55, Tenor 1)

2. Das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts wird sowohl in unterschiedlichen internationalen Rechtsakten, bei denen die Mitgliedstaaten mitgewirkt haben oder denen sie beigetreten sind – wie der Europäischen Sozialcharta, die überdies ausdrücklich in Art. 136 EG erwähnt wird, und dem 1948 von der Internationalen Arbeitsorganisation angenommenen Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes –, als auch in Rechtsakten anerkannt, die die Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene oder im Rahmen der Europäischen Union erarbeitet haben, wie der 1989 angenommenen Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die auch in Art. 136 EG erwähnt wird, und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Demnach ist zwar das Recht auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme einschließlich des Streikrechts als Grundrecht anzuerkennen, das fester Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ist, deren Beachtung der Gerichtshof sicherstellt, doch kann seine Ausübung bestimmten Beschränkungen unterworfen werden. Denn wie in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erneut bekräftigt wird, wird es nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geschützt.

Insoweit liegt, obwohl der Grundrechtsschutz ein berechtigtes Interesse ist, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit, bestehen, die Ausübung dieser Grundrechte nicht außerhalb des Anwendungsbereichs der Bestimmungen des Vertrags und muss mit den Erfordernissen hinsichtlich der durch den Vertrag geschützten Rechte in Einklang gebracht werden sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.

Daraus ergibt sich, dass der Grundrechtscharakter des Rechts auf Durchführung einer kollektiven Maßnahme eine derartige Maßnahme, die gegen ein Unternehmen zu dem Zweck betrieben wird, es dazu zu veranlassen, einen Tarifvertrag abzuschließen, dessen Inhalt geeignet ist, das Unternehmen davon abzubringen, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, nicht dem Anwendungsbereich von Art. 43 EG zu entziehen vermag.

(vgl. Randnrn. 43-47)

3. Art. 43 EG ist geeignet, einem Privatunternehmen Rechte zu verleihen, auf die es sich gegenüber einer Gewerkschaft oder einem Gewerkschaftsverband berufen kann.

Denn die Beseitigung der Hindernisse für die Freizügigkeit und den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten wäre gefährdet, wenn die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse neutralisiert werden könnte, die nicht dem öffentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen im Rahmen ihrer rechtlichen Autonomie setzen. Zudem schließt die Tatsache, dass sich bestimmte Vertragsbestimmungen förmlich an die Mitgliedstaaten richten, nicht aus, dass zugleich allen an der Einhaltung der so definierten Pflichten interessierten Privatpersonen Rechte verliehen sein können. Ferner gilt das Verbot, eine in einer Vertragsbestimmung mit zwingendem Charakter vorgesehene Grundfreiheit anzutasten, insbesondere für alle Verträge, die die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln sollen.

(vgl. Randnrn. 57-58, 66, Tenor 2)

4. Art. 43 EG ist dahin auszulegen, dass kollektive Maßnahmen, die darauf abzielen, ein Privatunternehmen, dessen Sitz in einem bestimmten Mitgliedstaat liegt, zu veranlassen, einen Arbeitstarifvertrag mit einer in diesem Staat ansässigen Gewerkschaft zu schließen und die Klauseln dieses Tarifvertrags auf Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft des genannten Unternehmens, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, anzuwenden, Beschränkungen im Sinne des genannten Artikels sind.

Eine derartige kollektive Maßnahme hat nämlich zur Folge, es für das Unternehmen weniger attraktiv und sogar zwecklos zu machen, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, da die kollektive Maßnahme das Unternehmen daran hindert, im Aufnahmemitgliedstaat in den Genuss der gleichen Behandlung wie die anderen in diesem Staat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer zu kommen. Auch ist davon auszugehen, dass eine solche kollektive Maßnahme, die darauf abzielt, die Reeder daran zu hindern, ihre Schiffe in einem anderen Staat als dem registrieren zu lassen, dessen Staatsangehörigkeit die wirtschaftlichen Eigentümer dieser Schiffe besitzen, zumindest geeignet ist, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch ein Unternehmen zu beschränken.

Grundsätzlich können diese Beschränkungen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie etwa den Arbeitnehmerschutz gerechtfertigt sein, vorausgesetzt, es ist erwiesen, dass sie geeignet sind, die Erreichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und dass sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

(vgl. Randnrn. 72-74, 90, Tenor 3)

 


 

Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Große Kam­mer)

11. De­zem­ber 2007(*)

„See­schiff­fahrt − Nie­der­las­sungs­recht − Grund­rech­te − Zie­le der ge­mein­schaft­li­chen So­zi­al­po­li­tik − Kol­lek­ti­ve Maßnah­me ei­ner ge­werk­schaft­li­chen Or­ga­ni­sa­ti­on ge­gen ein pri­va­tes Un­ter­neh­men − Ta­rif­ver­trag, der da­zu ge­eig­net ist, ein Un­ter­neh­men von der Re­gis­trie­rung ei­nes Schif­fes un­ter der Flag­ge ei­nes an­de­ren Mit­glied­staats ab­zu­brin­gen“

In der Rechts­sa­che C‑438/05

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 234 EG, ein­ge­reicht vom Court of Ap­peal (Eng­land & Wa­les) (Ci­vil Di­vi­si­on) (Ver­ei­nig­tes König­reich) mit Ent­schei­dung vom 23. No­vem­ber 2005, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 6. De­zem­ber 2005, in dem Ver­fah­ren

In­ter­na­tio­nal Trans­port Workers’ Fe­de­ra­ti­on,

Fin­nish Sea­men’s Uni­on

ge­gen

Vi­king Li­ne ABP,

OÜ Vi­king Li­ne Ee­sti

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Große Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Präsi­den­ten V. Skou­ris, der Kam­mer­präsi­den­ten P. Jann, A. Ro­sas, K. Lena­erts, U. Lõhmus und L. Bay Lar­sen, des Rich­ters R. Sch­int­gen (Be­richt­er­stat­ter), der Rich­te­rin R. Sil­va de La­pu­er­ta so­wie der Rich­ter K. Schie­mann, J. Ma­k­arc­zyk, P. Kūris, E. Le­vits und A. Ó Cao­imh,

Ge­ne­ral­an­walt: M. Poia­res Ma­du­ro,

Kanz­ler: L. Hew­lett, Haupt­ver­wal­tungsrätin,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 10. Ja­nu­ar 2007,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

– der In­ter­na­tio­nal Trans­port Workers’ Fe­de­ra­ti­on, ver­tre­ten durch M. Brea­ley, QC, im Bei­stand von M. De­me­triou, Bar­ris­ter, im Auf­trag von D. Fitz­pa­trick, So­li­ci­tor,

– der Fin­nish Sea­men’s Uni­on, ver­tre­ten durch M. Brea­ley, QC, im Bei­stand von M. De­me­triou, Bar­ris­ter, im Auf­trag von J. Tat­ten, So­li­ci­tor,

– der Vi­king Li­ne ABP und OÜ Vi­king Li­ne Ee­sti, ver­tre­ten durch M. Hos­kins, Bar­ris­ter, im Auf­trag von I. Ross und J. Bla­cker, So­li­ci­tors,

– der Re­gie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs, ver­tre­ten durch E. O’Neill als Be­vollmäch­tig­ten im Bei­stand von D. An­der­son, QC, so­wie von J. Swift und S. Lee, Bar­rist­ers,

– der bel­gi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch A. Hu­bert als Be­vollmäch­tig­ten,

– der tsche­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch T. Boček als Be­vollmäch­tig­ten,

– der däni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch J. Mol­de als Be­vollmäch­tig­ten,

– der deut­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch M. Lum­ma und C. Schul­ze-Bahr als Be­vollmäch­tig­te,

– der est­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch L. Ui­bo als Be­vollmäch­tig­ten,

– der französi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch G. de Ber­gues und O. Christ­mann als Be­vollmäch­tig­te,

– von Ir­land, ver­tre­ten durch D. O’Ha­gan als Be­vollmäch­tig­ten im Bei­stand von E. Fitz­si­mons und B. O’Moo­re, SC, so­wie von N. Tra­vers, BL,

– der ita­lie­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch I. M. Bra­guglia als Be­vollmäch­tig­ten im Bei­stand von G. Al­ben­zio, av­vo­ca­to del­lo Sta­to,

– der let­ti­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch E. Ba­lo­de‑Bu­ra­ka und K. Bārdiŋa als Be­vollmäch­tig­te,

– der öster­rei­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch C. Pe­sen­dor­fer und G. Hes­se als Be­vollmäch­tig­te,

– der pol­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch J. Pie­tras und M. Ko­ro­lec als Be­vollmäch­tig­te,

– der fin­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch E. Bygg­lin und A. Gui­ma­ra­es-Pu­ro­koski als Be­vollmäch­tig­te,

– der schwe­di­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch A. Kru­se und A. Falk als Be­vollmäch­tig­te,

– der nor­we­gi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch K. Waa­ge, K. Fløistad und F. Se­jer­sted als Be­vollmäch­tig­te,

– der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten, ver­tre­ten durch F. Be­n­yon, J. En­e­gren und K. Si­mons­son als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts in der Sit­zung vom 23. Mai 2007

fol­gen­des

Ur­teil

1

Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 43 EG und der Ver­ord­nung (EWG) Nr. 4055/86 des Ra­tes vom 22. De­zem­ber 1986 zur An­wen­dung des Grund­sat­zes des frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehrs auf die See­schiff­fahrt zwi­schen Mit­glied­staa­ten so­wie zwi­schen Mit­glied­staa­ten und Drittländern (ABl. L 378, S. 1).

2

Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits, in dem die In­ter­na­tio­nal Trans­port Workers’ Fe­de­ra­ti­on (In­ter­na­tio­na­le Trans­port­ar­bei­ter‑Föde­ra­ti­on, im Fol­gen­den: ITF) und die Fin­nish Sea­men’s Uni­on (Suo­men Me­ri­mies-Unio­ni ry [See­manns­uni­on Finn­lands], im Fol­gen­den: FSU) der Vi­king Li­ne ABP (im Fol­gen­den: Vi­king) und de­ren Toch­ter­ge­sell­schaft OÜ Vi­king Li­ne Ee­sti (im Fol­gen­den: Vi­king Ee­sti) we­gen ei­ner kol­lek­ti­ven Maßnah­me und Dro­hun­gen mit ei­ner der­ar­ti­gen Maßnah­me ge­genüber­ste­hen, die da­zu ge­eig­net sind, Vi­king da­von ab­zu­brin­gen, ei­nes ih­rer Schif­fe nicht mehr un­ter fin­ni­scher Flag­ge fah­ren, son­dern es un­ter der Flag­ge ei­nes an­de­ren Mit­glied­staats re­gis­trie­ren zu las­sen.

Recht­li­cher Rah­men

Ge­mein­schafts­recht

3

Art. 1 Abs. 1 der Ver­ord­nung Nr. 4055/86 sieht vor:

„Der Grund­satz des frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehrs in der See­schiff­fahrt zwi­schen Mit­glied­staa­ten so­wie zwi­schen Mit­glied­staa­ten und Drittländern gilt für Staats­an­gehöri­ge der Mit­glied­staa­ten mit Sitz in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat als dem des Dienst­leis­tungs­neh­mers.“

Na­tio­na­les Recht

4

Aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung geht her­vor, dass § 13 der fin­ni­schen Ver­fas­sung, der für je­der­mann die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit in­ner­halb ei­nes Be­rufs­zweigs und die Frei­heit, sich zum Schutz an­de­rer In­ter­es­sen zu or­ga­ni­sie­ren, gewähr­leis­tet, da­hin aus­ge­legt wor­den ist, dass die­se Vor­schrift den Ge­werk­schaf­ten ge­stat­tet, kol­lek­ti­ve Maßnah­men ge­gen Ge­sell­schaf­ten zur Ver­tei­di­gung der In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer ein­zu­lei­ten.

5

Al­ler­dings un­ter­liegt in Finn­land das Streik­recht be­stimm­ten Be­schränkun­gen. Nach der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung die­ses Staa­tes darf u. a. dann nicht ge­streikt wer­den, wenn der Streik ge­gen die gu­ten Sit­ten, das in­ner­staat­li­che Recht oder das Ge­mein­schafts­recht ver­stieße.

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

6

Vi­king, ei­ne Ge­sell­schaft fin­ni­schen Rechts, ist ein be­deu­ten­des Fähr­un­ter­neh­men. Sie be­treibt sie­ben Schif­fe, dar­un­ter die Ro­sel­la, die un­ter fin­ni­scher Flag­ge auf dem See­weg zwi­schen Tal­linn (Est­land) und Hel­sin­ki (Finn­land) ver­kehrt.

7

Die FSU ist ei­ne fin­ni­sche Ge­werk­schaft für See­leu­te und um­fasst et­wa 10 000 Mit­glie­der. Die Be­sat­zung der Ro­sel­la be­steht aus Mit­glie­dern die­ser Ge­werk­schaft. Die FSU ist der ITF an­ge­schlos­sen, ei­ner in­ter­na­tio­na­len Föde­ra­ti­on von Ge­werk­schaf­ten für Ar­bei­ter, die im Trans­port­sek­tor beschäftigt sind; ihr Sitz be­fin­det sich in Lon­don (Ver­ei­nig­tes König­reich). In der ITF sind 600 Ge­werk­schaf­ten aus 140 Staa­ten zu­sam­men­ge­schlos­sen.

8

Aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung geht her­vor, dass ei­nes der Haupt­an­lie­gen der ITF ihr Kampf ge­gen die Bil­lig­flag­gen ist. Haupt­zie­le die­ses An­lie­gens sind zum ei­nen, ei­ne ech­te Ver­bin­dung zwi­schen der Flag­ge ei­nes Schif­fes und der Staats­an­gehörig­keit des Eig­ners zu schaf­fen, und zum an­de­ren, die Be­sat­zung auf un­ter Bil­lig­flag­ge fah­ren­den Schif­fen zu schützen und ih­re Ar­beits­be­din­gun­gen zu ver­bes­sern. Nach Auf­fas­sung der ITF fährt ein Schiff un­ter ei­ner Bil­lig­flag­ge, wenn das wirt­schaft­li­che Ei­gen­tum und die Kon­trol­le des Schif­fes in ei­nem an­de­ren Staat als dem, un­ter des­sen Flag­ge das be­tref­fen­de Schiff re­gis­triert ist, lie­gen. Nur die Ge­werk­schaf­ten im Staat des wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tums ha­ben nach der Po­li­tik der ITF das Recht, Kol­lek­tiv­ver­ein­ba­run­gen in Be­zug auf die­ses Schiff zu tref­fen. Die Bil­lig­flag­gen‑Kam­pa­gne wird mit Boy­kott und an­de­ren So­li­da­ritäts­maßnah­men auf Ar­beit­neh­me­r­e­be­ne durch­geführt.

9

So­lan­ge die Ro­sel­la un­ter fin­ni­scher Flag­ge fährt, ist Vi­king nach fin­ni­schem Recht und dem gel­ten­den Ta­rif­ver­trag ge­hal­ten, der Be­sat­zung Löhne gemäß fin­ni­schem Lohn­ni­veau zu zah­len. Die Löhne est­ni­scher Be­sat­zun­gen sind nicht so hoch wie die fin­ni­scher Be­sat­zun­gen. Die Ro­sel­la wur­de in­fol­ge der un­mit­tel­ba­ren Kon­kur­renz est­ni­scher Schif­fe, die auf der­sel­ben Li­nie mit ge­rin­ge­ren Lohn­kos­ten ver­kehr­ten, mit Ver­lust be­trie­ben. An­statt das Schiff zu veräußern, plan­te Vi­king im Ok­to­ber 2003, es um­zu­flag­gen und in Est­land oder Nor­we­gen re­gis­trie­ren zu las­sen, um ei­nen neu­en Ta­rif­ver­trag mit ei­ner Ge­werk­schaft ei­nes die­ser Staa­ten ab­sch­ließen zu können.

10

Vi­king un­ter­rich­te­te gemäß fin­ni­schem Recht die FSU und die Be­sat­zung der Ro­sel­la über ihr Vor­ha­ben. Bei Tref­fen der Par­tei­en brach­te die FSU klar ih­ren Wi­der­stand ge­genüber ei­nem der­ar­ti­gen Vor­ha­ben zum Aus­druck.

11

Mit E‑Mail vom 4. No­vem­ber 2003 setz­te die FSU die ITF über das Vor­ha­ben der Um­flag­gung der Ro­sel­la in Kennt­nis. Außer­dem ent­hielt die­se Mail den Hin­weis, dass das wirt­schaft­li­che Ei­gen­tum der Ro­sel­la in Finn­land lie­ge und der FSU so­mit wei­ter­hin das Recht zu Ver­hand­lun­gen mit Vi­king ver­blei­be. Die FSU bat die ITF, die­se In­for­ma­ti­on an al­le an­ge­schlos­se­nen Ge­werk­schaf­ten wei­ter­zu­lei­ten und sie auf­zu­for­dern, nicht mit Vi­king zu ver­han­deln.

12

Am 6. No­vem­ber 2003 über­sand­te die ITF ih­ren Mit­glie­dern ein Rund­schrei­ben, in dem sie die­se an­wies, mit Vi­king oder Vi­king Ee­sti kei­ne Ver­hand­lun­gen zu führen; von den an­ge­schlos­se­nen Ge­werk­schaf­ten wur­de er­war­tet, dass sie die­se Emp­feh­lung ge­treu dem Grund­satz der ge­werk­schaft­li­chen So­li­da­rität und zur Ver­mei­dung von ih­nen bei Nicht­be­ach­tung des Rund­schrei­bens dro­hen­den Sank­tio­nen be­folg­ten.

13

Die gel­ten­de Ver­ein­ba­rung über die Be­sat­zung der Ro­sel­la en­de­te am 17. No­vem­ber 2003, so dass die FSU von die­sem Zeit­punkt an nicht mehr an die nach fin­ni­schem Recht ge­bo­te­ne Frie­dens­pflicht ge­bun­den war. Sie kündig­te da­her ei­nen Streik an und for­der­te Vi­king auf, zum ei­nen die Be­sat­zung an Bord der Ro­sel­la um acht Mann auf­zu­sto­cken und zum an­de­ren von ih­rem Um­flag­gungs­vor­ha­ben hin­sicht­lich die­ses Schif­fes Ab­stand zu neh­men.

14

Vi­king ergänz­te die Be­sat­zung um acht wei­te­re Per­so­nen, wei­ger­te sich aber, auf das ge­nann­te Vor­ha­ben zu ver­zich­ten.

15

Da die FSU je­doch nicht be­reit war, ih­re Zu­stim­mung zu ei­ner Er­neue­rung der Ver­ein­ba­rung über die Be­sat­zung zu erklären, teil­te sie mit Schrei­ben vom 18. No­vem­ber 2003 mit, ei­ne der­ar­ti­ge Er­neue­rung sei für sie nur un­ter der zwei­fa­chen Vor­aus­set­zung ak­zep­ta­bel, dass sich Vi­king zum ei­nen un­abhängig von ei­ner et­wai­gen Um­flag­gung der Ro­sel­la ver­pflich­te, sich wei­ter­hin an das fin­ni­sche Recht, den gel­ten­den Ta­rif­ver­trag, die all­ge­mei­ne Ver­ein­ba­rung so­wie die Ver­ein­ba­rung über die Be­sat­zung an Bord des ge­nann­ten Schif­fes zu hal­ten, und dass zum an­de­ren ei­ne et­wai­ge Um­flag­gung nicht zu Ent­las­sun­gen von Ar­beit­neh­mern, die an Bord ei­nes der un­ter fin­ni­scher Flag­ge fah­ren­den Schif­fe die­ses Un­ter­neh­mens beschäftigt würden, führe und oh­ne Zu­stim­mung der Ar­beit­neh­mer auch die Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen nicht verändert würden. In Pres­se­mit­tei­lun­gen recht­fer­tig­te die FSU ih­ren Stand­punkt mit der Not­wen­dig­keit, fin­ni­sche Ar­beitsplätze zu schützen.

16

Am 17. No­vem­ber 2003 rief Vi­king ein fin­ni­sches Ar­beits­ge­richt an und be­an­trag­te, fest­zu­stel­len, dass die Ver­ein­ba­rung über die Be­sat­zung für die Par­tei­en wei­ter­hin ver­bind­lich sei. Die FSU kündig­te un­ter Be­ru­fung auf ih­ren Stand­punkt, dass die ge­nann­te Ver­ein­ba­rung ab­ge­lau­fen sei, an, gemäß dem fin­ni­schen Ge­setz über die Ver­mitt­lung in Kon­flik­ten zwi­schen den So­zi­al­part­nern am 2. De­zem­ber 2003 ei­ne Streik­maßnah­me hin­sicht­lich der Ro­sel­la ein­zu­lei­ten.

17

Am 24. No­vem­ber 2003 er­fuhr Vi­king von der Exis­tenz des ITF‑Rund­schrei­bens. Am fol­gen­den Tag be­an­trag­te sie beim Hel­sin­gin käräjäoi­keus (Finn­land) (Ge­richt ers­ter In­stanz), die von der FSU an­gekündig­te Streik­maßnah­me zu un­ter­sa­gen. Das Ar­beits­ge­richt be­raum­te ei­nen ers­ten Erörte­rungs­ter­min für den 2. De­zem­ber 2003 an.

18

Dem vor­le­gen­den Ge­richt zu­fol­ge war sich die FSU völlig darüber im Kla­ren, dass ih­re Haupt­for­de­rung, im Fall der Um­flag­gung müsse die Be­sat­zung wei­ter­hin nach den im fin­ni­schen Recht und im gel­ten­den Ta­rif­ver­trag vor­ge­se­he­nen Be­din­gun­gen beschäftigt wer­den, ei­ne Um­flag­gung sinn­los mach­te, weil Vi­king mit die­ser im We­sent­li­chen das Ziel ver­folg­te, ih­re Lohn­kos­ten zu sen­ken. Außer­dem hätte die Re­gis­trie­rung der Ro­sel­la un­ter est­ni­scher Flag­ge zur Fol­ge, dass Vi­king zu­min­dest hin­sicht­lich die­ses Schif­fes nicht mehr in den Ge­nuss der staat­li­chen Bei­hil­fen käme, die die fin­ni­sche Re­gie­rung un­ter fin­ni­scher Flag­ge fah­ren­den Schif­fen gewähr­te.

19

In ei­nem Güte­ver­fah­ren ver­pflich­te­te sich Vi­king zunächst, dass die Um­flag­gung nicht zu Ent­las­sun­gen führen wer­de. Da die FSU sich trotz­dem wei­ger­te, auf den Streik zu ver­zich­ten, be­en­de­te Vi­king am 2. De­zem­ber 2003 den Rechts­streit da­durch, dass sie die For­de­run­gen die­ser Ge­werk­schaft ak­zep­tier­te und ih­re Rechts­be­hel­fe nicht wei­ter ver­folg­te. Im Übri­gen ver­pflich­te­te sie sich da­zu, das Um­flag­gungs­ver­fah­ren nicht vor dem 28. Fe­bru­ar 2005 ein­zu­lei­ten.

20

Am 1. Mai 2004 trat die Re­pu­blik Est­land der Eu­ropäischen Uni­on bei.

21

Die Ro­sel­la er­wirt­schaf­te­te wei­ter Ver­lus­te; des­halb hielt Vi­king an ih­rem Vor­ha­ben fest, das Schiff un­ter est­ni­scher Flag­ge re­gis­trie­ren zu las­sen. Da das ITF‑Rund­schrei­ben an­ge­sichts des­sen, dass die ITF es nie­mals zurück­ge­zo­gen hat­te, wei­ter­hin sei­ne Wir­kung ent­fal­te­te, blieb de­ren Auf­ruf an die an­ge­schlos­se­nen Ge­werk­schaf­ten in Be­zug auf die Ro­sel­la wirk­sam.

22

Vi­king er­hob am 18. Au­gust 2004 beim High Court of Jus­ti­ce (Eng­land & Wa­les), Queen’s Bench Di­vi­si­on (Com­mer­ci­al Court) (Ver­ei­nig­tes König­reich), Kla­ge und be­an­trag­te, fest­zu­stel­len, dass die Maßnah­me der ITF und der FSU ge­gen Art. 43 EG ver­s­toße, zu verfügen, dass das ITF‑Rund­schrei­ben zurück­zu­zie­hen sei, und der FSU auf­zu­ge­ben, nicht die Rech­te zu be­ein­träch­ti­gen, die Vi­king aus dem Ge­mein­schafts­recht erwüch­sen.

23

Mit Ur­teil vom 16. Ju­ni 2005 gab das ge­nann­te Ge­richt dem An­trag von Vi­king statt und führ­te zur Be­gründung aus, die kol­lek­ti­ve Maßnah­me und die Dro­hun­gen mit kol­lek­ti­ven Maßnah­men der ITF und der FSU sei­en ge­gen Art. 43 EG ver­s­toßen­de Be­schränkun­gen der Nie­der­las­sungs­frei­heit und, hilfs­wei­se, rechts­wid­ri­ge Be­schränkun­gen der Freizügig­keit der Ar­beit­neh­mer so­wie des frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehrs im Sin­ne der Art. 39 EG und 49 EG.

24

Am 30. Ju­ni 2005 leg­ten die ITF und die FSU beim vor­le­gen­den Ge­richt Be­ru­fung ge­gen die­ses Ur­teil ein. Sie ma­chen ins­be­son­de­re gel­tend, dass das Recht der Ge­werk­schaf­ten auf Durchführung kol­lek­ti­ver Maßnah­men zur Er­hal­tung der Ar­beitsplätze ein Grund­recht sei, das in Ti­tel XI des EG‑Ver­trags und ins­be­son­de­re in Art. 136 EG an­er­kannt wer­de, des­sen Abs. 1 vor­se­he: „Die Ge­mein­schaft und die Mit­glied­staa­ten ver­fol­gen ein­ge­denk der so­zia­len Grund­rech­te, wie sie in der am 18. Ok­to­ber 1961 in Tu­rin un­ter­zeich­ne­ten Eu­ropäischen So­zi­al­char­ta und in der Ge­mein­schafts­char­ta der so­zia­len Grund­rech­te der Ar­beit­neh­mer von 1989 fest­ge­legt sind, fol­gen­de Zie­le: die Förde­rung der Beschäfti­gung, die Ver­bes­se­rung der Le­bens- und Ar­beits­be­din­gun­gen, um da­durch auf dem We­ge des Fort­schritts ih­re An­glei­chung zu ermögli­chen, ei­nen an­ge­mes­se­nen so­zia­len Schutz, den so­zia­len Dia­log, die Ent­wick­lung des Ar­beits­kräfte­po­ten­zi­als im Hin­blick auf ein dau­er­haft ho­hes Beschäfti­gungs­ni­veau und die Bekämp­fung von Aus­gren­zun­gen.“

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Dass in der ge­nann­ten Be­stim­mung die Eu­ropäische So­zi­al­char­ta und die Ge­mein­schafts­char­ta der so­zia­len Grund­rech­te der Ar­beit­neh­mer erwähnt würden, im­pli­zie­re nämlich ei­nen Ver­weis auf das in die­sen Rechts­ak­ten an­er­kann­te Streik­recht. Da­her sei­en die Ge­werk­schaf­ten be­rech­tigt, ge­genüber ei­nem in ei­nem Mit­glied­staat nie­der­ge­las­se­nen Ar­beit­ge­ber kol­lek­ti­ve Maßnah­men durch­zuführen, um ihn da­von ab­zu­brin­gen, sein Un­ter­neh­men zum Teil oder ganz in ei­nen an­de­ren Mit­glied­staat zu ver­la­gern.

26

Da­her stel­le sich die Fra­ge, ob der Ver­trag ei­ne ge­werk­schaft­li­che Ak­ti­on ver­bie­ten wol­le, die dar­auf ab­zie­le, ei­nen Un­ter­neh­mer da­von ab­zu­hal­ten, aus wirt­schaft­li­chen Gründen von der Nie­der­las­sungs­frei­heit Ge­brauch zu ma­chen. Ent­spre­chend dem, was der Ge­richts­hof zu Ti­tel VI des Ver­trags (Ur­tei­le vom 21. Sep­tem­ber 1999, Al­ba­ny, C‑67/96, Slg. 1999, I‑5751, vom 12. Sep­tem­ber 2000, Pavlov u. a., C‑180/98 bis C‑184/98, Slg. 2000, I‑6451, und vom 21. Sep­tem­ber 2000, van der Wou­de, C‑222/98, Slg. 2000, I‑7111) ent­schie­den ha­be, sei­en Ti­tel III des Ver­trags und des­sen Ar­ti­kel über die Freizügig­keit und den frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehr nicht auf „ech­te ge­werk­schaft­li­che Ak­ti­vitäten“ an­wend­bar.

27

In An­be­tracht des­sen ist der Court of Ap­peal (Eng­land & Wa­les) (Ci­vil Di­vi­si­on) der Auf­fas­sung, dass die Ent­schei­dung des bei ihm anhängi­gen Rechts­streits von der Aus­le­gung des Ge­mein­schafts­rechts abhängig sei, und hat be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

An­wen­dungs­be­reich der Be­stim­mun­gen über die Freizügig­keit

1. Fällt ei­ne ge­gen ein pri­va­tes Un­ter­neh­men ge­rich­te­te kol­lek­ti­ve Maßnah­me ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nes Ge­werk­schafts­ver­bands, mit der die­ses Un­ter­neh­men ver­pflich­tet wer­den soll, mit ei­ner Ge­werk­schaft in ei­nem be­stimm­ten Mit­glied­staat ei­nen Ta­rif­ver­trag zu schließen, der da­zu führt, dass es für die­ses Un­ter­neh­men zweck­los wird, ein Schiff auf ei­nen an­de­ren Mit­glied­staat um­zu­flag­gen, auf­grund der So­zi­al­po­li­tik der EG, die u. a. Ti­tel XI des EG-Ver­trags ein­sch­ließt, und ins­be­son­de­re ana­log zu den Erwägun­gen des Ge­richts­hofs in der Rechts­sa­che Al­ba­ny (Rand­nrn. 52 bis 64) aus dem An­wen­dungs­be­reich von Art. 43 EG und/oder der Ver­ord­nung Nr. 4055/86 her­aus?

Ho­ri­zon­ta­le un­mit­tel­ba­re Wir­kung

2. Ha­ben Art. 43 EG und/oder die Ver­ord­nung Nr. 4055/86 in­so­fern ho­ri­zon­ta­le Di­rekt­wir­kung, als sie ei­nem pri­va­ten Un­ter­neh­men Rech­te ver­lei­hen, auf die es sich ge­genüber ei­ner an­de­ren Pri­vat­per­son und ins­be­son­de­re ge­genüber ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nem Ge­werk­schafts­ver­band in Be­zug auf kol­lek­ti­ve Maßnah­men die­ser Ge­werk­schaft oder die­ses Ge­werk­schafts­ver­bands be­ru­fen kann?

Exis­tenz von Be­schränkun­gen der Freizügig­keit

3. Stellt ei­ne ge­gen ein pri­va­tes Un­ter­neh­men ge­rich­te­te kol­lek­ti­ve Maßnah­me ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nes Ge­werk­schafts­ver­bands, mit der die­ses Un­ter­neh­men ver­pflich­tet wer­den soll, mit ei­ner Ge­werk­schaft in ei­nem be­stimm­ten Mit­glied­staat ei­nen Ta­rif­ver­trag zu schließen, der da­zu führt, dass es für die­ses Un­ter­neh­men zweck­los wird, ein Schiff auf ei­nen an­de­ren Mit­glied­staat um­zu­flag­gen, ei­ne Be­schränkung im Sin­ne von Art. 43 EG und/oder der Ver­ord­nung Nr. 4055/86 dar?

4. Ist ei­ne Po­li­tik ei­nes Ge­werk­schafts­ver­bands, wo­nach Schif­fe im Flag­gen­re­gis­ter des Lan­des ein­ge­tra­gen sein soll­ten, in dem sich das wirt­schaft­li­che Ei­gen­tum des Schif­fes und die Kon­trol­le über das Schiff be­fin­den, so dass die Ge­werk­schaf­ten im Land des wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tums ei­nes Schif­fes das Recht ha­ben, Ta­rif­verträge in Be­zug auf die­ses Schiff zu schließen, ei­ne un­mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­ren­de, mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­ren­de oder nicht dis­kri­mi­nie­ren­de Be­schränkung im Sin­ne von Art. 43 EG oder der Ver­ord­nung Nr. 4055/86?

5. Ist bei der Klärung der Fra­ge, ob ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nes Ge­werk­schafts­ver­bands ei­ne un­mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­ren­de, mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­ren­de oder nicht dis­kri­mi­nie­ren­de Be­schränkung im Sin­ne von Art. 43 EG oder der Ver­ord­nung Nr. 4055/86 ist, die sub­jek­ti­ve Ab­sicht der die Maßnah­me er­grei­fen­den Ge­werk­schaft re­le­vant, oder hat das na­tio­na­le Ge­richt die Fra­ge al­lein an­hand der ob­jek­ti­ven Wir­kun­gen die­ser Maßnah­me zu klären?

Nie­der­las­sung/Dienst­leis­tun­gen

6. Kann in ei­nem Fall, in dem ei­ne im Mit­glied­staat A ansässi­ge Mut­ter­ge­sell­schaft be­ab­sich­tigt, die Nie­der­las­sungs­frei­heit durch Um­flag­gung ei­nes Schif­fes auf den Mit­glied­staat B aus­zuüben, in dem es von ei­ner be­ste­hen­den 100%igen Toch­ter­ge­sell­schaft be­trie­ben wer­den soll, die un­ter der Lei­tung und Kon­trol­le der Mut­ter­ge­sell­schaft steht,

a) ei­ne an­ge­droh­te oder er­folg­te kol­lek­ti­ve Maßnah­me ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nes Ge­werk­schafts­ver­bands, die dar­auf ab­zielt, den oben ge­nann­ten Vor­gang zweck­los zu ma­chen, ei­ne Be­schränkung des Nie­der­las­sungs­rechts der Mut­ter­ge­sell­schaft nach Art. 43 EG dar­stel­len, und

b) kann sich die Toch­ter­ge­sell­schaft nach dem Um­flag­gen des Schif­fes in Be­zug auf die Er­brin­gung von Dienst­leis­tun­gen durch sie von Mit­glied­staat B nach Mit­glied­staat A auf die Ver­ord­nung Nr. 4055/86 be­ru­fen?

Recht­fer­ti­gung

Un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung

7. Falls ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nes Ge­werk­schafts­ver­bands ei­ne un­mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­ren­de Be­schränkung im Sin­ne von Art. 43 EG oder der Ver­ord­nung Nr. 4055/86 ist, kann sie grundsätz­lich mit der Aus­nah­me aus Gründen der öffent­li­chen Ord­nung im Sin­ne von Art. 46 EG ge­recht­fer­tigt wer­den, auf der Grund­la­ge,

a) dass kol­lek­ti­ve Maßnah­men (ein­sch­ließlich ei­nes Streiks) ein durch das Ge­mein­schafts­recht geschütz­tes Grund­recht sind, und/oder

b) des Schut­zes der Ar­beit­neh­mer?

ITF-Po­li­tik: ob­jek­ti­ve Recht­fer­ti­gung

8. Schafft die An­wen­dung ei­ner Po­li­tik ei­nes Ge­werk­schafts­ver­bands, wo­nach Schif­fe im Flag­gen­re­gis­ter des Lan­des ein­ge­tra­gen sein soll­ten, in dem sich das wirt­schaft­li­che Ei­gen­tum des Schif­fes und die Kon­trol­le über das Schiff be­fin­den, so dass die Ge­werk­schaf­ten im Land des wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tums ei­nes Schif­fes das Recht ha­ben, Ta­rif­verträge in Be­zug auf die­ses Schiff zu schließen, ei­nen ge­rech­ten Aus­gleich zwi­schen dem so­zia­len Grund­recht, kol­lek­ti­ve Maßnah­men zu er­grei­fen, und der Nie­der­las­sungs- und Dienst­leis­tungs­frei­heit, ist sie ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt, an­ge­mes­sen und verhält­nismäßig, und steht sie in Ein­klang mit dem Grund­satz ge­gen­sei­ti­ger An­er­ken­nung?

Die Maßnah­men der FSU: ob­jek­ti­ve Recht­fer­ti­gung

9. Schafft in ei­nem Fall, in dem

– ei­ner Mut­ter­ge­sell­schaft im Mit­glied­staat A ein die Flag­ge die­ses Mit­glied­staats führen­des Schiff gehört, mit dem sie Fähr­diens­te zwi­schen Mit­glied­staat A und Mit­glied­staat B er­bringt,

– die Mut­ter­ge­sell­schaft das Schiff auf den Mit­glied­staat B um­flag­gen möch­te, da­mit we­ni­ger stren­ge Ar­beits- und Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen als im Mit­glied­staat A zur An­wen­dung kom­men,

– ei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft im Mit­glied­staat B zu 100 % im Ei­gen­tum der Mut­ter­ge­sell­schaft im Mit­glied­staat A steht und von die­ser ge­lei­tet und kon­trol­liert wird,

– ge­plant ist, dass die Toch­ter­ge­sell­schaft das Schiff nach des­sen Um­flag­gen auf den Mit­glied­staat B mit ei­ner im Mit­glied­staat B ein­ge­stell­ten Be­sat­zung be­treibt, für die ein Ta­rif­ver­trag gilt, der mit ei­ner der ITF an­gehören­den Ge­werk­schaft im Mit­glied­staat B ge­schlos­sen wur­de,

– das Schiff im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum der Mut­ter­ge­sell­schaft ver­bleibt und von der Toch­ter­ge­sell­schaft oh­ne Be­sat­zung ge­char­tert wird,

– das Schiff wei­ter­hin tägli­che Fähr­diens­te zwi­schen Mit­glied­staat A und Mit­glied­staat B er­bringt und

– ei­ne im Mit­glied­staat A ansässi­ge Ge­werk­schaft ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me trifft, um die Mut­ter- und/oder die Toch­ter­ge­sell­schaft zum Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags mit ihr zu ver­pflich­ten, der vor­sieht, dass auch nach dem Um­flag­gen für die Be­sat­zung des Schif­fes Ar­beits- und Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen gel­ten, die für die Ge­werk­schaft im Mit­glied­staat A ak­zep­ta­bel sind, und der da­zu führt, dass ein Um­flag­gen des Schif­fes auf den Mit­glied­staat B für die Mut­ter­ge­sell­schaft zweck­los wird,

die­se kol­lek­ti­ve Maßnah­me ei­nen ge­rech­ten Aus­gleich zwi­schen dem so­zia­len Grund­recht, kol­lek­ti­ve Maßnah­men zu er­grei­fen, und der Nie­der­las­sungs- und Dienst­leis­tungs­frei­heit, ist sie ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt, an­ge­mes­sen und verhält­nismäßig, und steht sie in Ein­klang mit dem Grund­satz ge­gen­sei­ti­ger An­er­ken­nung?

10. Würde es für die Be­ant­wor­tung von Fra­ge 9 ei­nen Un­ter­schied ma­chen, wenn die Mut­ter­ge­sell­schaft ei­nem Ge­richt im ei­ge­nen Na­men und im Na­men al­ler zur glei­chen Grup­pe gehören­den Ge­sell­schaf­ten zu­si­chern würde, dass we­gen des Um­flag­gens kein Beschäfti­gungs­verhält­nis ei­nes ih­rer Ar­beit­neh­mer be­en­det wird (wo­bei die­se Zu­si­che­rung we­der zur Er­neue­rung be­fris­te­ter Ar­beits­verträge ver­pflich­ten noch die Um­set­zung ei­nes Ar­beit­neh­mers zu glei­chen Be­din­gun­gen ver­hin­dern würde)?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

Vor­be­mer­kun­gen

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Nach ständi­ger Recht­spre­chung ist es im Rah­men der in Art. 234 EG ge­schaf­fe­nen Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen dem Ge­richts­hof und den na­tio­na­len Ge­rich­ten al­lein Sa­che des mit dem Rechts­streit be­fass­ten na­tio­na­len Ge­richts, in des­sen Ver­ant­wor­tungs­be­reich die zu er­las­sen­de ge­richt­li­che Ent­schei­dung fällt, im Hin­blick auf die Be­son­der­hei­ten der Rechts­sa­che so­wohl die Er­for­der­lich­keit ei­ner Vor­ab­ent­schei­dung zum Er­lass sei­nes Ur­teils als auch die Er­heb­lich­keit der dem Ge­richts­hof von ihm vor­ge­leg­ten Fra­gen zu be­ur­tei­len. Gleich­wohl hat sich der Ge­richts­hof ins­be­son­de­re dann außer­stan­de ge­se­hen, über ei­ne von ei­nem na­tio­na­len Ge­richt zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­leg­te Fra­ge zu be­fin­den, wenn of­fen­sicht­lich ist, dass die Aus­le­gung des Ge­mein­schafts­rechts, um die das na­tio­na­le Ge­richt er­sucht, in kei­nem Zu­sam­men­hang mit der Rea­lität oder dem Ge­gen­stand des Aus­gangs­rechts­streits steht, oder wenn das dem Ge­richts­hof un­ter­brei­te­te Pro­blem hy­po­the­ti­scher Na­tur ist (vgl. Ur­tei­le vom 15. De­zem­ber 1995, Bos­man, C‑415/93, Slg. 1995, I‑4921, Rand­nrn. 59 und 61, und vom 25. Ok­to­ber 2005, Schul­te, C‑350/03, Slg. 2005, I‑9215, Rand­nr. 43).

29

Im vor­lie­gen­den Fall be­trifft das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen zum ei­nen die Ver­trags­be­stim­mun­gen über die Nie­der­las­sungs­frei­heit und zum an­de­ren die Be­stim­mun­gen der Ver­ord­nung Nr. 4055/86 zur An­wen­dung des Grund­sat­zes des frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehrs auf die See­schiff­fahrt.

30

Fest­zu­stel­len ist al­ler­dings, dass das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen in­so­weit hy­po­the­ti­schen Cha­rak­ter hat, als sich die Fra­ge zum frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehr erst nach dem von Vi­king be­ab­sich­tig­ten Um­flag­gen der Ro­sel­la stel­len kann und zu dem Zeit­punkt, zu dem die Vor­la­ge­fra­gen dem Ge­richts­hof un­ter­brei­tet wor­den sind, ein sol­ches Um­flag­gen noch nicht statt­ge­fun­den hat, und so­mit in­so­weit un­zulässig ist, so­weit es sich auf die Aus­le­gung der Ver­ord­nung Nr. 4055/86 be­zieht.

31

Dem­nach ist auf die vom vor­le­gen­den Ge­richt ge­stell­ten Fra­gen nur zu ant­wor­ten, so­weit sie die Aus­le­gung von Art. 43 EG be­tref­fen.

Zu Fra­ge 1

32

Mit sei­ner ers­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt im We­sent­li­chen wis­sen, ob Art. 43 EG da­hin aus­zu­le­gen ist, dass ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me, die von ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nem Ge­werk­schafts­ver­band ge­gen ein Un­ter­neh­men zu dem Zweck be­trie­ben wird, die­ses Un­ter­neh­men da­zu zu ver­an­las­sen, ei­nen Ta­rif­ver­trag ab­zu­sch­ließen, der sei­nem In­halt nach das Un­ter­neh­men da­von ab­brin­gen kann, von der Nie­der­las­sungs­frei­heit Ge­brauch zu ma­chen, dem An­wen­dungs­be­reich von Art. 43 EG ent­zo­gen ist.

33

Nach ständi­ger Recht­spre­chung gel­ten die Art. 39 EG, 43 EG und 49 EG nicht nur für Ak­te der staat­li­chen Behörden, son­dern er­stre­cken sich auch auf Re­gel­wer­ke an­de­rer Art, die die abhängi­ge Er­werbstätig­keit, die selbständi­ge Ar­beit und die Er­brin­gung von Dienst­leis­tun­gen kol­lek­tiv re­geln sol­len (vgl. Ur­tei­le vom 12. De­zem­ber 1974, Wal­ra­ve, 36/74, Slg. 1974, 1405, Rand­nr. 17, vom 14. Ju­li 1976, Donà, 13/76, Slg. 1976, 1333, Rand­nr. 17, Bos­man, Rand­nr. 82, vom 11. April 2000, De­liège, C‑51/96 und C‑191/97, Slg. 2000, I‑2549, Rand­nr. 47, vom 6. Ju­ni 2000, An­go­ne­se, C‑281/98, Slg. 2000, I‑4139, Rand­nr. 31, und vom 19. Fe­bru­ar 2002, Wou­ters u. a., C‑309/99, Slg. 2002, I‑1577, Rand­nr. 120).

34

Da die Ar­beits­be­din­gun­gen in den ver­schie­de­nen Mit­glied­staa­ten teil­wei­se durch Ge­set­ze oder Ver­ord­nun­gen und teil­wei­se durch Ta­rif­verträge und sons­ti­ge Maßnah­men, die von Pri­vat­per­so­nen ge­schlos­sen bzw. vor­ge­nom­men wer­den, ge­re­gelt sind, bestünde die Ge­fahr, dass ei­ne Be­schränkung der in den ge­nann­ten Ar­ti­keln vor­ge­se­he­nen Ver­bo­te auf Maßnah­men der öffent­li­chen Ge­walt bei ih­rer An­wen­dung zu Un­gleich­hei­ten führen würde (vgl. ent­spre­chend Ur­tei­le Wal­ra­ve, Rand­nr. 19, Bos­man, Rand­nr. 84, und An­go­ne­se, Rand­nr. 33).

35

Im vor­lie­gen­den Fall ist zum ei­nen fest­zu­stel­len, dass die Or­ga­ni­sa­ti­on kol­lek­ti­ver Maßnah­men durch die Ge­werk­schaf­ten als un­ter die recht­li­che Au­to­no­mie fal­lend an­zu­se­hen ist, über die die­se Ein­rich­tun­gen, die nicht öffent­lich-recht­lich ver­fasst sind, im Rah­men der ih­nen ins­be­son­de­re durch das na­tio­na­le Recht gewähr­ten Ko­ali­ti­ons­frei­heit verfügen.

36

Zum an­de­ren sind, wie die FSU und die ITF gel­tend ma­chen, kol­lek­ti­ve Maßnah­men wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den, die für die ge­werk­schaft­li­chen Or­ga­ni­sa­tio­nen das letz­te Mit­tel sein können, um ih­re For­de­rung nach kol­lek­ti­ver Re­ge­lung der Ar­beit der Ar­beit­neh­mer von Vi­king durch­zu­set­zen, als un­trenn­bar mit dem Ta­rif­ver­trag an­zu­se­hen, auf des­sen Ab­schluss die FSU hin­ar­bei­tet.

37

Dar­aus folgt, dass kol­lek­ti­ve Maßnah­men wie die, auf die sich die ers­te Fra­ge des vor­le­gen­den Ge­richts be­zieht, grundsätz­lich in den An­wen­dungs­be­reich von Art. 43 EG fal­len.

38

Die­ses Er­geb­nis wird nicht durch die ver­schie­de­nen Ar­gu­men­te in Fra­ge ge­stellt, die die FSU, die ITF und ei­ni­ge Mit­glied­staa­ten, die Erklärun­gen beim Ge­richts­hof ein­ge­reicht ha­ben, zur Stützung der ge­gen­tei­li­gen Auf­fas­sung vor­ge­bracht ha­ben.

39

Zunächst macht die däni­sche Re­gie­rung gel­tend, dass die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit, das Streik­recht und das Aus­sper­rungs­recht außer­halb des Be­reichs der in Art. 43 EG for­mu­lier­ten Grund­frei­heit lägen, weil die Ge­mein­schaft gemäß Art. 137 Abs. 5 EG in der durch den Ver­trag von Niz­za geänder­ten Fas­sung für die Re­ge­lung die­ser Rech­te nicht zuständig sei.

40

Hier­zu genügt der Hin­weis, dass es den Mit­glied­staa­ten in den Be­rei­chen, für die die Ge­mein­schaft nicht zuständig ist, zwar grundsätz­lich wei­ter­hin frei­steht, die Be­din­gun­gen für den Be­stand der frag­li­chen Rech­te und die Mo­da­litäten ih­rer Ausübung fest­zu­set­zen, dass sie aber gleich­wohl ge­hal­ten sind, das Ge­mein­schafts­recht bei der Ausübung die­ser Be­fug­nis bei der Ausübung die­ser Be­fug­nis zu be­ach­ten (vgl. ent­spre­chend zur so­zia­len Si­cher­heit Ur­tei­le vom 28. April 1998, De­cker, C‑120/95, Slg. 1998, I‑1831, Rand­nrn. 22 und 23, und Kohll, C‑158/96, Slg. 1998, I‑1931, Rand­nrn. 18 und 19, hin­sicht­lich der di­rek­ten Steu­ern Ur­tei­le vom 4. März 2004, Kom­mis­si­on/Frank­reich, C‑334/02, Slg. 2004, I‑2229, Rand­nr. 21, und vom 13. De­zem­ber 2005, Marks & Spen­cer, C‑446/03, Slg. 2005, I‑10837, Rand­nr. 29).

41

Der Um­stand, dass Art. 137 EG we­der für das Streik­recht noch für das Recht auf Aus­sper­rung gilt, kann da­her ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de nicht von der An­wen­dung des Art. 43 EG aus­neh­men.

42

So­dann tra­gen die däni­sche und die schwe­di­sche Re­gie­rung in ih­ren Erklärun­gen vor, dass das Recht auf Durchführung ei­ner kol­lek­ti­ven Maßnah­me ein­sch­ließlich des Streik­rechts ein Grund­recht sei, das als sol­ches außer­halb des An­wen­dungs­be­reichs von Art. 43 EG lie­ge.

43

Hier­zu ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass das Recht auf Durchführung ei­ner kol­lek­ti­ven Maßnah­me ein­sch­ließlich des Streik­rechts so­wohl in un­ter­schied­li­chen in­ter­na­tio­na­len Rechts­ak­ten, bei de­nen die Mit­glied­staa­ten mit­ge­wirkt ha­ben oder de­nen sie bei­ge­tre­ten sind – wie der am 18. Ok­to­ber 1961 in Tu­rin un­ter­zeich­ne­ten Eu­ropäischen So­zi­al­char­ta, die über­dies aus­drück­lich in Art. 136 EG erwähnt wird, und dem am 9. Ju­li 1948 von der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on an­ge­nom­me­nen Übe­r­ein­kom­men 87 über die Ver­ei­ni­gungs­frei­heit und den Schutz des Ver­ei­ni­gungs­rech­tes –, als auch in Rechts­ak­ten an­er­kannt wird, die die Mit­glied­staa­ten auf Ge­mein­schafts­ebe­ne oder im Rah­men der Uni­on er­ar­bei­tet ha­ben, wie der anläss­lich der Ta­gung des Eu­ropäischen Ra­tes in Straßburg am 9. De­zem­ber 1989 an­ge­nom­me­nen und eben­falls in Art. 136 EG erwähn­ten Ge­mein­schafts­char­ta der so­zia­len Grund­rech­te der Ar­beit­neh­mer und der am 7. De­zem­ber 2000 in Niz­za pro­kla­mier­ten Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (ABl. C 364, S. 1).

44

Dem­nach ist zwar das Recht auf Durchführung ei­ner kol­lek­ti­ven Maßnah­me ein­sch­ließlich des Streik­rechts als Grund­recht an­zu­er­ken­nen, das fes­ter Be­stand­teil der all­ge­mei­nen Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts ist, de­ren Be­ach­tung der Ge­richts­hof si­cher­stellt, doch kann sei­ne Ausübung be­stimm­ten Be­schränkun­gen un­ter­wor­fen wer­den. Denn wie in Art. 28 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on er­neut be­kräftigt wird, wer­den die ge­nann­ten Rech­te nach dem Ge­mein­schafts­recht und den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten geschützt. Außer­dem kann das Streik­recht, wie aus Rand­nr. 5 des vor­lie­gen­den Ur­teils her­vor­geht, nach fin­ni­schem Recht u. a. dann nicht aus­geübt wer­den, wenn der Streik ge­gen die gu­ten Sit­ten, das in­ner­staat­li­che Recht oder das Ge­mein­schafts­recht ver­s­toßen würde.

45

Hier­zu hat der Ge­richts­hof be­reits ent­schie­den, dass der Grund­rechts­schutz ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se ist, das grundsätz­lich ge­eig­net ist, ei­ne Be­schränkung der Ver­pflich­tun­gen zu recht­fer­ti­gen, die nach dem Ge­mein­schafts­recht, auch kraft ei­ner durch den EG‑Ver­trag gewähr­leis­te­ten Grund­frei­heit wie des frei­en Wa­ren­ver­kehrs (vgl. Ur­teil vom 12. Ju­ni 2003, Schmid­ber­ger, C‑112/00, Slg. 2003, I‑5659, Rand­nr. 74) oder der Dienst­leis­tungs­frei­heit (vgl. Ur­teil vom 14. Ok­to­ber 2004, Ome­ga, C‑36/02, Slg. 2004, I‑9609, Rand­nr. 35), be­ste­hen.

46

Al­ler­dings hat der Ge­richts­hof in den Ur­tei­len Schmid­ber­ger und Ome­ga ent­schie­den, dass die Ausübung der dort be­trof­fe­nen Grund­rech­te, nämlich der Mei­nungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit so­wie der Men­schenwürde, nicht außer­halb des An­wen­dungs­be­reichs der Be­stim­mun­gen des Ver­trags liegt und dass sie mit den Er­for­der­nis­sen hin­sicht­lich der durch den Ver­trag geschütz­ten Rech­te in Ein­klang ge­bracht wer­den und dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz ent­spre­chen muss (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le Schmid­ber­ger, Rand­nr. 77, und Ome­ga, Rand­nr. 36).

47

Aus dem Vor­ste­hen­den er­gibt sich, dass der Grund­rechtscha­rak­ter des Rechts auf Durchführung ei­ner kol­lek­ti­ven Maßnah­me die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen kol­lek­ti­ven Maßnah­men nicht dem An­wen­dungs­be­reich von Art. 43 EG zu ent­zie­hen ver­mag.

48

Sch­ließlich tra­gen die FSU und die ITF vor, dass die vom Ge­richts­hof im Ur­teil Al­ba­ny an­ge­stell­ten Erwägun­gen ent­spre­chend auf das Aus­gangs­ver­fah­ren an­zu­wen­den sei­en, da ge­wis­se Be­schränkun­gen der Nie­der­las­sungs­frei­heit und des frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehrs zwangsläufig mit im Rah­men von Ta­rif­ver­hand­lun­gen durch­geführ­ten kol­lek­ti­ven Maßnah­men ein­her­gin­gen.

49

In­so­weit ist dar­an zu er­in­nern, dass der Ge­richts­hof in Rand­nr. 59 des Ur­teils Al­ba­ny nach der Fest­stel­lung, dass mit Taifverträgen zwi­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen, die die Ar­beit­ge­ber und die Ar­beit­neh­mer ver­tre­ten, zwangsläufig ge­wis­se den Wett­be­werb be­schränken­de Wir­kun­gen ver­bun­den sind, in­des­sen ent­schie­den hat, dass die Er­rei­chung der mit der­ar­ti­gen Verträgen an­ge­streb­ten so­zi­al­po­li­ti­schen Zie­le ernst­haft gefähr­det wäre, wenn die So­zi­al­part­ner bei der ge­mein­sa­men Su­che nach Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen Art. 85 Abs. 1 EG‑Ver­trag (jetzt Art. 81 Abs. 1 EG) un­terlägen.

50

Dar­aus hat der Ge­richts­hof in Rand­nr. 60 des Ur­teils Al­ba­ny ge­fol­gert, dass die im Rah­men von Ta­rif­ver­hand­lun­gen zwi­schen den So­zi­al­part­nern im Hin­blick auf die­se Zie­le ge­schlos­se­nen Verträge auf­grund ih­rer Art und ih­res Ge­gen­stands nicht un­ter Art. 85 Abs. 1 des Ver­trags fal­len.

51

Es ist je­doch fest­zu­stel­len, dass sich die­se Erwägun­gen nicht auf die in Ti­tel III des EG-Ver­trags auf­geführ­ten Grund­frei­hei­ten über­tra­gen las­sen.

52

Ent­ge­gen dem Vor­brin­gen der FSU und der ITF lässt sich nämlich nicht sa­gen, dass mit der Wahr­neh­mung der Ko­ali­ti­ons­frei­heit selbst und des Rechts auf Durchführung ei­ner kol­lek­ti­ven Maßnah­me zwangsläufig ei­ne ge­wis­se Be­ein­träch­ti­gung der ge­nann­ten Grund­frei­hei­ten ver­bun­den wäre.

53

Außer­dem ist zu be­to­nen, dass der Um­stand, dass ei­ne Ver­ein­ba­rung oder ei­ne Tätig­keit dem An­wen­dungs­be­reich der Ver­trags­be­stim­mun­gen über den Wett­be­werb ent­zo­gen ist, nicht zur Fol­ge hat, dass die­se Ver­ein­ba­rung oder die­se Tätig­keit auch außer­halb des An­wen­dungs­be­reichs der Ver­trags­be­stim­mun­gen über die Freizügig­keit und den frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehr liegt, da die ge­nann­ten Be­stim­mun­gen je­weils ei­ge­nen An­wen­dungs­vor­aus­set­zun­gen ge­hor­chen (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 18. Ju­li 2006, Me­ca-Me­di­na und Ma­j­cen/Kom­mis­si­on, C‑519/04 P, Slg. 2006, I‑6991).

54

Sch­ließlich ist dar­an zu er­in­nern, dass der Ge­richts­hof be­reits ent­schie­den hat, dass Klau­seln von Ta­rif­verträgen nicht dem An­wen­dungs­be­reich der Ver­trags­be­stim­mun­gen über die Freizügig­keit ent­zo­gen sind (Ur­tei­le vom 15. Ja­nu­ar 1998, Schöning-Kouge­be­to­pou­lou, C‑15/96, Slg. 1998, I‑47, vom 24. Sep­tem­ber 1998, Kom­mis­si­on/Frank­reich, C‑35/97, Slg. 1998, I‑5325, und vom 16. Sep­tem­ber 2004, Me­ri­da, C‑400/02, Slg. 2004, I‑8471).

55

Nach al­le­dem ist auf die ers­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art. 43 EG da­hin aus­zu­le­gen ist, dass grundsätz­lich ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me, die von ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nem Ge­werk­schafts­ver­band ge­gen ein Un­ter­neh­men zu dem Zweck be­trie­ben wird, die­ses Un­ter­neh­men da­zu zu ver­an­las­sen, ei­nen Ta­rif­ver­trag ab­zu­sch­ließen, des­sen In­halt ge­eig­net ist, das Un­ter­neh­men da­von ab­zu­brin­gen von der Nie­der­las­sungs­frei­heit Ge­brauch zu ma­chen, dem An­wen­dungs­be­reich von Art. 43 EG nicht ent­zo­gen ist.

Zu Fra­ge 2

56

Mit die­ser Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt im We­sent­li­chen wis­sen, ob Art. 43 EG ge­eig­net ist, ei­nem Pri­vat­un­ter­neh­men Rech­te zu ver­lei­hen, auf die es sich ge­genüber ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nem Ge­werk­schafts­ver­band be­ru­fen kann.

57

Zur Be­ant­wor­tung die­ser Fra­ge ist dar­an zu er­in­nern, dass aus der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs her­vor­geht, dass die Be­sei­ti­gung der Hin­der­nis­se für die Freizügig­keit und den frei­en Dienst­leis­tungs­ver­kehr zwi­schen den Mit­glied­staa­ten gefähr­det wäre, wenn die Ab­schaf­fung der Schran­ken staat­li­chen Ur­sprungs durch Hin­der­nis­se neu­tra­li­siert wer­den könn­te, die nicht dem öffent­li­chen Recht un­ter­lie­gen­de Ver­ei­ni­gun­gen und Ein­rich­tun­gen im Rah­men ih­rer recht­li­chen Au­to­no­mie set­zen (vgl. Ur­tei­le Wal­ra­ve, Rand­nr. 18, Bos­man, Rand­nr. 83, De­liège, Rand­nr. 47, An­go­ne­se, Rand­nr. 32, und Wou­ters u. a., Rand­nr. 120).

58

Zu­dem hat der Ge­richts­hof be­reits ent­schie­den, dass die Tat­sa­che, dass sich be­stimm­te Ver­trags­be­stim­mun­gen förm­lich an die Mit­glied­staa­ten rich­ten, nicht aus­sch­ließt, dass zu­gleich al­len an der Ein­hal­tung der so de­fi­nier­ten Pflich­ten in­ter­es­sier­ten Pri­vat­per­so­nen Rech­te ver­lie­hen sein können, und dass das Ver­bot, ei­ne in ei­ner Ver­trags­be­stim­mung mit zwin­gen­dem Cha­rak­ter vor­ge­se­he­ne Grund­frei­heit an­zu­tas­ten, ins­be­son­de­re für al­le Verträge gilt, die die abhängi­ge Er­werbstätig­keit kol­lek­tiv re­geln sol­len (vgl. Ur­teil vom 8. April 1976, De­fren­ne, 43/75, Slg. 1976, 455, Rand­nrn. 31 und 39).

59

Sol­che Erwägun­gen müssen auch für Art. 43 EG gel­ten, in dem ei­ne Grund­frei­heit verbürgt wird.

60

Im vor­lie­gen­den Fall ist fest­zu­stel­len, dass die von der FSU und der ITF durch­geführ­ten kol­lek­ti­ven Maßnah­men, wie aus den Rand­nrn. 35 und 36 des vor­lie­gen­den Ur­teils her­vor­geht, den Ab­schluss ei­nes Ver­trags be­zwe­cken, der kol­lek­tiv die Ar­beit der Ar­beit­neh­mer von Vi­king re­geln soll, und dass die bei­den Ge­werk­schaf­ten Ein­rich­tun­gen sind, die nicht öffent­lich-recht­lich ver­fasst sind und die Ge­brauch von der recht­li­chen Au­to­no­mie ma­chen, die ih­nen ins­be­son­de­re vom na­tio­na­len Recht zu­er­kannt wird.

61

Dar­aus folgt, dass Art. 43 EG so aus­zu­le­gen ist, das er un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens un­mit­tel­bar von ei­nem pri­va­ten Un­ter­neh­men ge­genüber ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nen Ge­werk­schafts­ver­band gel­tend ge­macht wer­den kann.

62

Die­se Aus­le­gung wird außer­dem durch die Recht­spre­chung zu den Ver­trags­be­stim­mun­gen über den frei­en Wa­ren­ver­kehr bestätigt, aus der her­vor­geht, dass Be­schränkun­gen nicht­staat­li­chen Ur­sprungs sein und sich aus Hand­lun­gen von Pri­va­ten oder von Zu­sam­men­schlüssen sol­cher Per­so­nen er­ge­ben können (vgl. Ur­tei­le vom 9. De­zem­ber 1997, Kom­mis­si­on/Frank­reich, C‑265/95, Slg. 1997, I‑6959, Rand­nr. 30, und Schmid­ber­ger, Rand­nrn. 57 und 62).

63

Die in Rand­nr. 61 des vor­lie­gen­den Ur­teils vor­ge­nom­me­ne Aus­le­gung wird auch nicht da­durch in Fra­ge ge­stellt, dass sich die Be­schränkung, die dem beim vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit zu­grun­de liegt, aus der Ausübung ei­nes vom in­ner­staat­li­chen fin­ni­schen Recht ver­lie­he­nen Rechts wie hier des Rechts auf Durchführung ei­ner kol­lek­ti­ven Maßnah­me ein­sch­ließlich des Streik­rechts er­gibt.

64

Hin­zu­zufügen ist, dass sich aus der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs, auf die in Rand­nr. 57 des vor­lie­gen­den Ur­teils ver­wie­sen wor­den ist, ent­ge­gen dem Vor­brin­gen ins­be­son­de­re der ITF nicht er­gibt, dass die ge­nann­te Aus­le­gung auf qua­siöffent­li­che Ein­rich­tun­gen oder auf Ver­ei­ni­gun­gen be­schränkt wäre, die ei­ne Re­ge­lungs­funk­ti­on wahr­neh­men und über qua­si­le­gis­la­ti­ve Be­fug­nis­se verfügen.

65

Die­ser Recht­spre­chung lässt sich nämlich kein Hin­weis dar­auf ent­neh­men, dass sie auf Ver­ei­ni­gun­gen oder Ein­rich­tun­gen be­schränkt wäre, die ei­ne Re­ge­lungs­funk­ti­on wahr­neh­men und über qua­si­le­gis­la­ti­ve Be­fug­nis­se verfügen. Im Übri­gen ist fest­zu­stel­len, dass ge­werk­schaft­li­che Or­ga­ni­sa­tio­nen der Ar­beit­neh­mer da­durch, dass sie die ih­nen auf­grund der Ko­ali­ti­ons­frei­heit zu­ste­hen­de au­to­no­me Be­fug­nis ausüben, mit den Ar­beit­ge­bern und be­rufsständi­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen über die Ar­beits- und Vergütungs­be­din­gun­gen der Ar­beit­neh­mer zu ver­han­deln, an der Ge­stal­tung der Verträge zur kol­lek­ti­ven Re­ge­lung der abhängi­gen Er­werbstätig­keit mit­wir­ken.

66

In An­be­tracht die­ser Erwägun­gen ist auf die zwei­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art. 43 EG ge­eig­net ist, ei­nem pri­va­ten Un­ter­neh­men Rech­te zu ver­lei­hen, auf die es sich ge­genüber ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nem Ge­werk­schafts­ver­band be­ru­fen kann.

Zu den Fra­gen 3 bis 10

67

Mit die­sen Fra­gen, die zu­sam­men zu prüfen sind, er­sucht das vor­le­gen­de Ge­richt den Ge­richts­hof im We­sent­li­chen um Aus­kunft, ob kol­lek­ti­ve Maßnah­men, wie sie im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen, Be­schränkun­gen im Sin­ne von Art. 43 EG sind und, wenn dies der Fall sein soll­te, in­wie­weit der­ar­ti­ge Be­schränkun­gen ei­ner Recht­fer­ti­gung zugäng­lich sind.

Zum Vor­lie­gen von Be­schränkun­gen

68

Ers­tens ist ein wei­te­res Mal dar­an zu er­in­nern, dass nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs die Nie­der­las­sungs­frei­heit ei­nes der Grund­prin­zi­pi­en der Ge­mein­schaft ist und die Be­stim­mun­gen des Ver­trags, die die­se Frei­heit gewähr­leis­ten, seit dem Ab­lauf der Über­g­angs­zeit un­mit­tel­bar an­wend­bar sind. Die­se Be­stim­mun­gen gewähren das Recht auf Nie­der­las­sung in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat nicht nur den Ge­mein­schaftsbürgern, son­dern auch den in Art. 48 EG de­fi­nier­ten Ge­sell­schaf­ten (Ur­teil vom 27. Sep­tem­ber 1988, Dai­ly Mail and Ge­ne­ral Trust, 81/87, Slg. 1988, 5483, Rand­nr. 15).

69

Zu­dem hat der Ge­richts­hof ent­schie­den, dass die Be­stim­mun­gen des Ver­trags über die Nie­der­las­sungs­frei­heit zwar die Inländer­be­hand­lung im Auf­nahm­e­mit­glied­staat si­chern sol­len, aber auch ver­bie­ten, dass der Her­kunfts­mit­glied­staat die Nie­der­las­sung ei­nes sei­ner Staats­an­gehöri­gen oder ei­ner nach sei­nem Recht ge­gründe­ten, der De­fi­ni­ti­on des Art. 48 EG genügen­den Ge­sell­schaft in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat be­hin­dert. Die in Art. 43 EG bis 48 EG gewähr­ten Rech­te wären sinn­ent­leert, wenn der Her­kunfts­staat Un­ter­neh­men ver­bie­ten könn­te, sein Ho­heits­ge­biet zu ver­las­sen, um sich in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat nie­der­zu­las­sen (vgl. Ur­teil Dai­ly Mail and Ge­ne­ral Trust, Rand­nr. 16).

70

Zwei­tens ist fest­zu­stel­len, dass nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Nie­der­las­sungs­be­griff im Sin­ne der ge­nann­ten Ar­ti­kel des Ver­trags die tatsächli­che Ausübung ei­ner wirt­schaft­li­chen Tätig­keit mit­tels ei­ner fes­ten Ein­rich­tung in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat auf un­be­stimm­te Zeit um­fasst und dass die Re­gis­trie­rung ei­nes Schif­fes nicht von der Ausübung der Nie­der­las­sungs­frei­heit los­gelöst wer­den kann, wenn die­ses Schiff ein Mit­tel zur Ausübung ei­ner wirt­schaft­li­chen Tätig­keit ist, die mit ei­ner fes­ten Ein­rich­tung im Mit­glied­staat der Re­gis­trie­rung ein­her­geht (Ur­teil vom 25. Ju­li 1991, Fac­tor­ta­me u. a., C‑221/89, Slg. 1991, I‑3905, Rand­nrn. 20 bis 22).

71

Dar­aus hat der Ge­richts­hof ge­fol­gert, dass die Vor­aus­set­zun­gen für die Re­gis­trie­rung von Schif­fen der Nie­der­las­sungs­frei­heit im Sin­ne der Art. 43 EG bis 48 EG nicht ent­ge­gen­ste­hen dürfen (Ur­teil Fac­tor­ta­me u. a., Rand­nr. 23).

72

Im vor­lie­gen­den Fall hat zum ei­nen ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me wie die von der FSU be­ab­sich­tig­te zur Fol­ge, es für Vi­king, wie das vor­le­gen­de Ge­richt auf­ge­zeigt hat, we­ni­ger at­trak­tiv und so­gar zweck­los zu ma­chen, von ih­rer Nie­der­las­sungs­frei­heit Ge­brauch zu ma­chen, da die kol­lek­ti­ve Maßnah­me das Un­ter­neh­men und sei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft Vi­king Ee­sti dar­an hin­dert, im Auf­nahm­e­mit­glied­staat in den Ge­nuss der glei­chen Be­hand­lung wie die an­de­ren in die­sem Staat nie­der­ge­las­se­nen Wirt­schafts­teil­neh­mer zu kom­men.

73

Zum an­de­ren ist da­von aus­zu­ge­hen, dass ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me, die zu dem Zweck durch­geführt wird, die von der ITF be­trie­be­ne Po­li­tik des Kamp­fes ge­gen Bil­lig­flag­gen um­zu­set­zen, die hauptsächlich, wie aus de­ren Erklärun­gen her­vor­geht, dar­auf ab­zielt, die Ree­der dar­an zu hin­dern, ih­re Schif­fe in ei­nem an­de­ren Staat als dem re­gis­trie­ren zu las­sen, des­sen Staats­an­gehörig­keit die wirt­schaft­li­chen Ei­gentümer die­ser Schif­fe be­sit­zen, zu­min­dest ge­eig­net ist, die Ausübung der Nie­der­las­sungs­frei­heit durch Vi­king zu be­schränken.

74

Dar­aus folgt, dass kol­lek­ti­ve Maßnah­men, wie sie im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen, Be­schränkun­gen der Nie­der­las­sungs­frei­heit im Sin­ne von Art. 43 EG sind.

Zur Recht­fer­ti­gung der Be­schränkun­gen

75

Ei­ne Be­schränkung der Nie­der­las­sungs­frei­heit kann nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs nur zulässig sein, wenn mit ihr ein be­rech­tig­tes und mit dem Ver­trag zu ver­ein­ba­ren­des Ziel ver­folgt wird und wenn sie durch zwin­gen­de Gründe des All­ge­mein­in­ter­es­ses ge­recht­fer­tigt ist. In ei­nem sol­chen Fall muss aber außer­dem die Be­schränkung ge­eig­net sein, die Er­rei­chung des ver­folg­ten Ziels zu gewähr­leis­ten, und darf nicht über das hin­aus­ge­hen, was zur Er­rei­chung die­ses Ziels er­for­der­lich ist (vgl. u. a. Ur­tei­le vom 30. No­vem­ber 1995, Geb­hard, C‑55/94, Slg. 1995, I‑4165, Rand­nr. 37, und Bos­man, Rand­nr. 104).

76

Die ITF, die ins­be­son­de­re von der deut­schen Re­gie­rung, von Ir­land und von der fin­ni­schen Re­gie­rung un­terstützt wird, macht gel­tend, dass die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen Be­schränkun­gen ge­recht­fer­tigt sei­en, da sie er­for­der­lich sei­en, um den Schutz ei­nes vom Ge­mein­schafts­recht an­er­kann­ten Grund­rechts zu gewähr­leis­ten, und da sie den Schutz der Rech­te der Ar­bei­ter be­zweck­ten, wor­in ein zwin­gen­der Grund des All­ge­mein­in­ter­es­ses lie­ge.

77

Hier­zu ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass das Recht auf Durchführung ei­ner kol­lek­ti­ven Maßnah­me, die den Schutz der Ar­beit­neh­mer zum Ziel hat, ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­stellt, das grundsätz­lich ei­ne Be­schränkung ei­ner der vom Ver­trag gewähr­leis­te­ten Grund­frei­hei­ten recht­fer­ti­gen kann (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Schmid­ber­ger, Rand­nr. 74), und dass der Schutz der Ar­beit­neh­mer zu den be­reits vom Ge­richts­hof an­er­kann­ten zwin­gen­den Gründen des All­ge­mein­in­ter­es­ses zählt (vgl. u. a. Ur­tei­le vom 23. No­vem­ber 1999, Ar­b­lade u. a., C‑369/96 und C‑376/96, Slg. 1999, I‑8453, Rand­nr. 36, vom 15. März 2001, Maz­zo­le­ni und ISA, C‑165/98, Slg. 2001, I‑2189, Rand­nr. 27, und vom 25. Ok­to­ber 2001, Fi­nal­ar­te u. a., C‑49/98, C‑50/98, C‑52/98 bis C‑54/98 und C‑68/98 bis C‑71/98, Slg. 2001, I‑7831, Rand­nr. 33).

78

Dem ist hin­zu­zufügen, dass die Tätig­keit der Ge­mein­schaft nach dem Wort­laut von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und j EG nicht nur „ei­nen Bin­nen­markt, der durch die Be­sei­ti­gung der Hin­der­nis­se für den frei­en Wa­ren-, Per­so­nen-, Dienst­leis­tungs- und Ka­pi­tal­ver­kehr zwi­schen den Mit­glied­staa­ten ge­kenn­zeich­net ist“, son­dern auch „ei­ne So­zi­al­po­li­tik“ um­fasst. Art. 2 EG be­stimmt nämlich, dass es u. a. Auf­ga­be der Ge­mein­schaft ist, „ei­ne har­mo­ni­sche, aus­ge­wo­ge­ne und nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung des Wirt­schafts­le­bens“ so­wie „ein ho­hes Beschäfti­gungs­ni­veau und ein ho­hes Maß an so­zia­lem Schutz“ zu fördern.

79

Da die Ge­mein­schaft so­mit nicht nur ei­ne wirt­schaft­li­che, son­dern auch ei­ne so­zia­le Ziel­rich­tung hat, müssen die sich aus den Be­stim­mun­gen des Ver­trags über den frei­en Wa­ren-, Per­so­nen-, Dienst­leis­tungs- und Ka­pi­tal­ver­kehr er­ge­ben­den Rech­te ge­gen die mit der So­zi­al­po­li­tik ver­folg­ten Zie­le ab­ge­wo­gen wer­den, zu de­nen, wie aus Art. 136 Abs. 1 EG her­vor­geht, ins­be­son­de­re die Ver­bes­se­rung der Le­bens- und Ar­beits­be­din­gun­gen, um da­durch auf dem We­ge des Fort­schritts ih­re An­glei­chung zu ermögli­chen, ein an­ge­mes­se­ner so­zia­ler Schutz und der so­zia­le Dia­log zählen.

80

Im vor­lie­gen­den Fall ist es Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts, zu prüfen, ob die Zie­le, die die FSU und die ITF mit der von ih­nen be­trie­be­nen kol­lek­ti­ven Maßnah­me ver­folg­ten, dem Schutz der Ar­beit­neh­mer gal­ten.

81

Was in­so­weit ers­tens die von der FSU durch­geführ­te kol­lek­ti­ve Maßnah­me an­geht, konn­te zwar die­se Maßnah­me zum Schutz der Ar­beitsplätze und der Ar­beits­be­din­gun­gen der Ge­werk­schafts­mit­glie­der, die vom Um­flag­gen der Ro­sel­la be­trof­fen sein können, auf den ers­ten Blick mit gu­ten Gründen als dem Ziel des Ar­beit­neh­mer­schut­zes die­nend an­ge­se­hen wer­den, doch ließe sich die­se Ein­stu­fung nicht auf­recht­er­hal­ten, wenn er­wie­sen wäre, dass die frag­li­chen Ar­beitsplätze oder Ar­beits­be­din­gun­gen nicht gefähr­det oder ernst­lich be­droht wa­ren.

82

Dies wäre ins­be­son­de­re dann der Fall, wenn sich die vom vor­le­gen­den Ge­richt in sei­ner Fra­ge 10 an­ge­spro­che­ne Ver­pflich­tung recht­lich ge­se­hen als eben­so ver­bind­lich wie die Klau­seln ei­nes Ta­rif­ver­trags er­wei­sen und ge­eig­net sein soll­te, den Ar­beit­neh­mern die Be­ach­tung der Rechts­vor­schrif­ten und die Auf­recht­er­hal­tung der Be­stim­mun­gen des Ta­rif­ver­trags zu ga­ran­tie­ren, der für ihr Ar­beits­verhält­nis gilt.

83

Da aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung nicht klar her­vor­geht, wel­che recht­li­che Trag­wei­te ei­ner Ver­pflich­tung wie der in der Fra­ge 10 an­ge­spro­che­nen bei­zu­mes­sen ist, ist es Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts, fest­zu­stel­len, ob die Ar­beitsplätze oder die Ar­beits­be­din­gun­gen der Ge­werk­schafts­mit­glie­der, die vom Um­flag­gen der Ro­sel­la be­trof­fen sein können, gefähr­det oder ernst­lich be­droht wa­ren.

84

Soll­te das vor­le­gen­de Ge­richt nach die­ser Prüfung zu dem Er­geb­nis ge­lan­gen, dass in dem bei ihm anhängi­gen Rechts­streit die Ar­beitsplätze oder die Ar­beits­be­din­gun­gen der Mit­glie­der der FSU, die vom Um­flag­gen der Ro­sel­la be­trof­fen sein können, tatsächlich gefähr­det oder ernst­lich be­droht sind, wird es wei­ter zu prüfen ha­ben, ob die von die­ser Ge­werk­schaft be­trie­be­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me ge­eig­net ist, die Er­rei­chung des ver­folg­ten Ziels zu gewähr­leis­ten, und nicht über das hin­aus­geht, was zur Er­rei­chung die­ses Ziels er­for­der­lich ist.

85

In­so­weit ist dar­an zu er­in­nern, dass es zwar letzt­lich Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts ist, das al­lein für die Be­ur­tei­lung des Sach­ver­halts und die Aus­le­gung der na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten zuständig ist, zu be­stim­men, ob und in­wie­weit die ge­nann­te kol­lek­ti­ve Maßnah­me die­sen An­for­de­run­gen ent­spricht; in­des ist der Ge­richts­hof, der da­zu auf­ge­ru­fen ist, dem na­tio­na­len Ge­richt zweck­dien­li­che Ant­wor­ten zu ge­ben, be­fugt, auf der Grund­la­ge der Ak­ten des Aus­gangs­ver­fah­rens und der schrift­li­chen und münd­li­chen Erklärun­gen, die ihm un­ter­brei­tet wor­den sind, dem na­tio­na­len Ge­richt Hin­wei­se zu ge­ben, die es die­sem ermögli­chen, über den kon­kre­ten bei ihm anhängi­gen Rechts­streit zu ent­schei­den.

86

Was die Eig­nung der Maßnah­men an­geht, die die FSU zur Er­rei­chung der im Aus­gangs­ver­fah­ren ver­folg­ten Zie­le durchführt, steht fest, dass kol­lek­ti­ve Maßnah­men so­wie Ta­rif­ver­hand­lun­gen und Ta­rif­verträge un­ter den be­son­de­ren Umständen ei­ner Rechts­sa­che ei­nes der Haupt­mit­tel der Ge­werk­schaf­ten zum Schutz der In­ter­es­sen ih­rer Mit­glie­der sein können (Eu­ropäischer Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te, Ur­tei­le vom 27. Ok­to­ber 1975, Na­tio­na­le bel­gi­sche Po­li­zei­ge­werk­schaft/Bel­gi­en, Se­rie A, Nr. 19, und vom 2. Ju­li 2002, Wil­son, Na­tio­nal Uni­on of Jour­na­lists u. a./Ver­ei­nig­tes König­reich, Re­cueil des arrêts et déci­si­ons 2002-V, § 44).

87

In Be­zug auf die Fra­ge, ob die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de kol­lek­ti­ve Maßnah­me nicht über das zur Er­rei­chung des ver­folg­ten Ziels Er­for­der­li­che hin­aus­geht, ob­liegt es dem vor­le­gen­den Ge­richt, ins­be­son­de­re zu prüfen, ob zum ei­nen die FSU nach den na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten und dem für die­se Maßnah­me gel­ten­den Ta­rif­recht nicht über an­de­re, die Nie­der­las­sungs­frei­heit we­ni­ger be­schränken­de Mit­tel verfügte, um zu ei­nem Ab­schluss der Ta­rif­ver­hand­lun­gen mit Vi­king zu ge­lan­gen, und ob zum an­de­ren die FSU die­se Mit­tel vor Ein­lei­tung ei­ner der­ar­ti­gen Maßnah­me aus­geschöpft hat­te.

88

Was zwei­tens die kol­lek­ti­ven Maßnah­men zur Gewähr­leis­tung der Um­set­zung der ITF‑Po­li­tik be­trifft, ist zu be­to­nen, dass sich die Be­schränkun­gen der Nie­der­las­sungs­frei­heit, die sich aus der­ar­ti­gen Maßnah­men er­ge­ben, ob­jek­tiv nicht recht­fer­ti­gen las­sen, so­weit die­se Po­li­tik dar­auf hin­ausläuft, die Ree­der dar­an zu hin­dern, ih­re Schif­fe in ei­nem an­de­ren Staat als dem re­gis­trie­ren zu las­sen, des­sen Staats­an­gehörig­keit die wirt­schaft­li­chen Ei­gentümer die­ser Schif­fe be­sit­zen. Al­ler­dings ist fest­zu­stel­len, dass die ge­nann­te Po­li­tik, wie aus dem Vor­la­ge­be­schluss her­vor­geht, auch das Ziel des Schut­zes und der Ver­bes­se­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen der See­leu­te ver­folgt.

89

Wie je­doch aus den dem Ge­richts­hof vor­lie­gen­den Ak­ten her­vor­geht, ist die ITF im Rah­men ih­rer Po­li­tik des Kamp­fes ge­gen Bil­lig­flag­gen, wenn sie von ei­nem ih­rer Mit­glie­der dar­um er­sucht wird, ge­hal­ten, ge­gen den wirt­schaft­li­chen Ei­gentümer ei­nes Schif­fes, das in ei­nem an­de­ren Staat als dem re­gis­triert ist, des­sen Staats­an­gehörig­keit die­ser Ei­gentümer be­sitzt, ei­ne So­li­da­ritäts­maßnah­me un­abhängig von der Fra­ge ein­zu­lei­ten, ob die Ausübung der Nie­der­las­sungs­frei­heit durch die­sen Ei­gentümer schädli­che Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beitsplätze oder die Ar­beits­be­din­gun­gen sei­ner Ar­beit­neh­mer ha­ben kann. Wie Vi­king in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor­ge­tra­gen hat, oh­ne dass die ITF dem wi­der­spro­chen hätte, kommt so­mit die Po­li­tik, die dar­in be­steht, das Recht auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen den Ge­werk­schaf­ten des Staats, des­sen Staats­an­gehöri­ger der wirt­schaft­li­che Ei­gentümer ei­nes Schif­fes ist, vor­zu­be­hal­ten, auch dann zur An­wen­dung, wenn das Schiff in ei­nem Staat re­gis­triert ist, der den Ar­beit­neh­mern ei­nen höhe­ren so­zia­len Schutz als den­je­ni­gen gewähr­leis­tet, in des­sen Ge­nuss sie in dem erst­ge­nann­ten Staat kämen.

90

In An­be­tracht die­ser Erwägun­gen ist auf die Fra­gen 3 bis 10 zu ant­wor­ten, dass Art. 43 EG da­hin aus­zu­le­gen ist, dass kol­lek­ti­ve Maßnah­men wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den, die dar­auf ab­zie­len, ein Un­ter­neh­men, des­sen Sitz in ei­nem be­stimm­ten Mit­glied­staat liegt, zu ver­an­las­sen, ei­nen Ta­rif­ver­trag mit ei­ner in die­sem Staat ansässi­gen Ge­werk­schaft zu schließen und die Klau­seln die­ses Ta­rif­ver­trags auf Ar­beit­neh­mer ei­ner Toch­ter­ge­sell­schaft des ge­nann­ten Un­ter­neh­mens, die in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat ansässig ist, an­zu­wen­den, Be­schränkun­gen im Sin­ne des ge­nann­ten Ar­ti­kels sind. Grundsätz­lich können die­se Be­schränkun­gen durch ei­nen zwin­gen­den Grund des All­ge­mein­in­ter­es­ses wie et­wa den Ar­beit­neh­mer­schutz ge­recht­fer­tigt sein, vor­aus­ge­setzt, es ist er­wie­sen, dass sie ge­eig­net sind, die Er­rei­chung des ver­folg­ten le­gi­ti­men Ziels zu gewähr­leis­ten, und dass sie nicht über das hin­aus­ge­hen, was zur Er­rei­chung die­ses Ziels er­for­der­lich ist.

Kos­ten

91

Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Große Kam­mer) für Recht er­kannt:

1. Art. 43 EG ist da­hin aus­zu­le­gen, dass grundsätz­lich ei­ne kol­lek­ti­ve Maßnah­me, die von ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nem Ge­werk­schafts­ver­band ge­gen ein pri­va­tes Un­ter­neh­men zu dem Zweck be­trie­ben wird, die­ses Un­ter­neh­men da­zu zu ver­an­las­sen, ei­nen Ta­rif­ver­trag ab­zu­sch­ließen, des­sen In­halt ge­eig­net ist, das Un­ter­neh­men da­von ab­zu­brin­gen, von der Nie­der­las­sungs­frei­heit Ge­brauch zu ma­chen, dem An­wen­dungs­be­reich von Art. 43 EG nicht ent­zo­gen ist.

2. Art. 43 EG ist ge­eig­net, ei­nem pri­va­ten Un­ter­neh­men Rech­te zu ver­lei­hen, auf die es sich ge­genüber ei­ner Ge­werk­schaft oder ei­nem Ge­werk­schafts­ver­band be­ru­fen kann.

3. Art. 43 EG ist da­hin aus­zu­le­gen, dass kol­lek­ti­ve Maßnah­men wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den, die dar­auf ab­zie­len, ein pri­va­tes Un­ter­neh­men, des­sen Sitz in ei­nem be­stimm­ten Mit­glied­staat liegt, zu ver­an­las­sen, ei­nen Ta­rif­ver­trag mit ei­ner in die­sem Staat ansässi­ge

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