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ArbG Ber­lin, Ur­teil vom 17.06.2010, 2 Ca 1648/10

   
Schlagworte: Urlaubsanspruch, Urlaub
   
Gericht: Arbeitsgericht Berlin
Aktenzeichen: 2 Ca 1648/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.06.2010
   
Leitsätze:

Ist es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich, dass eine Arbeitnehmerin während eines bereits bewilligten Erholungsurlaubes wegen der Pflege eines erkrankten Kindes der Arbeit fernbleibt, so kommt es gleichwohl zum Erlöschen des Urlaubsanspruches im Umfang seiner Bewilligung. § 9 BUrlG ist hierauf nicht entsprechend anzuwenden.

Da es nicht Zweck des § 45 SGB V ist, den Arbeitnehmer vor Vergütungseinbußen wegen der Pflege eines erkrankten Kindes zu schützen, kommt in diesem Falle auch kein Schadensersatzanspruch auf Nachgewährung von Erholungsurlaub in Betracht. Will der Arbeitnehmer Nachteile bei der Vergütung vermeiden, so ist er in diesem Falle gehalten, von der Arbeitsfreistellung nach § 45 SGB V keinen Gebrauch zu machen und das erkrankte Kind während des Urlaubszeitraumes zu pflegen.

Vorinstanzen: Nachgehend Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.11.2010, 11 Sa 1475/10
   

Ar­beits­ge­richt Ber­lin
Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)
2 Ca 1648/10
 


Verkündet

am 17.06.2010

 


als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le
 


Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil


In Sa­chen

pp




 

hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin, 2. Kam­mer, auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 17.06.2010
durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt A. als Vor­sit­zen­der
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Frau H. und Herr Z.
für Recht er­kannt:


I. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.


II. Die Kos­ten des Rechts­streits hat die Kläge­rin zu tra­gen.


III. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf 443,08 EU­RO fest­ge­setzt.


IV. Die Be­ru­fung wird zu­ge­las­sen.

 

 

 

3

TAT­BESTAND

Die Kläge­rin ist seit dem 4.2.1998 bei ei­ner Brut­to­mo­nats­vergütung in Höhe von zu­letzt 1.600,00 EUR bei der Be­klag­ten als Verkäufe­r­in beschäftigt. Sie be­an­trag­te Er­ho­lungs­ur­laub für die Zeit vom 16.11.2009 bis zum 21.11.2009, den die Be­klag­te be­wil­lig­te.

Im Zeit­raum vom 16.11.2009 bis zum 21.11.2009 er­krank­te das neunjähri­ge Kind der Kläge­rin, wel­ches sie be­treu­en muss­te. Ei­ne ent­spre­chen­de ärzt­li­che Be­schei­ni­gung vom 16.11.2009 (Bl. 11 d.A.) leg­te sie der Be­klag­ten vor.

Die Kläge­rin be­an­trag­te so­dann Er­ho­lungs­ur­laub für die Zeit vom 23.12.2009 bis 31.12.2009, den die Be­klag­te nicht be­wil­lig­te. Ent­ge­gen dem Wunsch der Kläge­rin bestätig­te sie die­ser auch nicht, dass die sechs Ta­ge Er­ho­lungs­ur­laub we­gen der Er­kran­kung des Kin­des noch nicht ver­braucht sei­en.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

es wird fest­ge­stellt, dass die Kläge­rin An­spruch auf die Gewährung von sechs Ur­laubs­ta­gen aus dem Ur­laubs­jahr 2009 hat.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

We­gen des wei­te­ren Vor­tra­ges wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze der Par­tei­en nebst An­la­gen ver­wie­sen.


ENT­SCHEI­DUN­GSGRÜNDE

I.
Die zulässi­ge Kla­ge ist un­be­gründet. Der Kläge­rin steht kein An­spruch auf Gewährung von 6 Ur­laubs­ta­gen aus dem Ur­laubs­jahr 2009 zu.

1.

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Zunächst ge­hen die Par­tei­en übe­rein­stim­mend da­von aus, dass sons­ti­ge Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin aus 2009 nicht ge­ge­ben sind. Sie strei­ten al­lein um die Fra­ge, ob es auf­grund der Er­kran­kung des Kin­des der Kläge­rin im sechstägi­gen Ur­laubs­zeit­raum vom 16.11.2009 bis 21.11.2009 nicht zum Erlöschen des Ur­laubs­an­spru­ches aus 2009 in die­ser Höhe kam, so dass nur im Fal­le der Be­ja­hung die­ser Fra­ge kei­ne Ur­laubs­ansprüche aus 2009 mehr be­ste­hen können.

2.
Auf­grund der Er­kran­kung des Kin­des der Kläge­rin vom 16.11.2009 bis zum 21.11.2009 und der dar­aus fol­gen­den Ar­beits­be­frei­ung gem. § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V ist der auf die­sen Zeit­raum ent­fal­len­de Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin gem. §§ 243 Abs. 2, 275 Abs. 1 BGB er­lo­schen.

Die Be­klag­te hat­te als Schuld­ne­rin des Frei­stel­lungs­an­spru­ches nach §§ 1, 7 BUrlG auf An­trag der Kläge­rin 6 Ta­ge Ur­laub für die Zeit vom 16. bis 21.11.2009 zu gewähren und ist dem un­strei­tig nach­ge­kom­men, in­dem sie Ur­laub für die­sen Zeit­raum be­wil­lig­te. In­fol­ge der mit dem 16.11.2009 ein­ge­tre­te­nen Er­kran­kung des Kin­des der Kläge­rin er­losch je­doch un­abhängig hier­von gem. § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V die Ar­beits­pflicht der Kläge­rin für den ge­sam­ten Ur­laubs­zeit­raum. So­mit wur­de die Her­beiführung des mit der Be­wil­li­gung des Ur­lau­bes be­zweck­ten Leis­tungs­er­fol­ges, nämlich die Kläge­rin für die Ur­laubs­dau­er von der Ver­pflich­tung zur Ar­beits­leis­tung frei zu stel­len, aus von kei­ner Par­tei zu ver­tre­ten­den Umständen unmöglich. Fol­ge ist der er­satz­lo­se Un­ter­gang des Ur­laubs­an­spru­ches für die Dau­er der sich aus § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V er­ge­ben­den Ar­beits­frei­stel­lung. Gem. § 9 BUrlG ist dies nur dann nicht der Fall, wenn die Ver­pflich­tung zur Ar­beits­leis­tung während des Ur­lau­bes we­gen krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit er­lischt. § 9 BUrlG stellt in­so­weit ei­ne Aus­nah­me­vor­schrift dar, die selbst dann nicht ana­log an­ge­wen­det wer­den kann, wenn beim Ar­beit­neh­mer tatsächli­che Be­ein­träch­ti­gun­gen wie bei ei­ner Krank­heit vor­lie­gen (BAG v. 9.8.1994, 9 AZR 384/92, NZA 1995, 174). Der Ge­setz­ge­ber hat das BUrlG zu­letzt am 7.5.2002 geändert, die Re­ge­lung zur Ar­beits­frei­stel­lung bei Er­kran­kung ei­nes pfle­ge­bedürf­ti­gen Kin­des in § 45 SGB V hat der Ge­setz­ge­ber be­reits 1989 ein­geführt. Hätte der Ge­setz­ge­ber § 9 BUrlG auf die­se Fälle aus­deh­nen wol­len, so wäre ihm dies während der mehr­fa­chen No­vel­lie­run­gen des BUrlG oder des SGB V möglich ge­we­sen. Dass er dies nicht tat, spricht dafür, dass nach sei­nem Wil­len al­lein Zei­ten der krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers auf be­reits be­wil­lig­ten Ur­laub nicht an­zu­rech­nen sind. Auch mit Einführung des Pfle­ge­zeit­ge­set­zes im Jah­re 2008 hat es dies für die der vor­lie­gen­den Fall­ge­stal­tung ver­gleich­ba­re Pfle­ge na­her An­gehöri­ger nicht ge­re­gelt. Von ei­ner Re­ge­lungslücke im § 9 BUrlG ist des­halb nicht aus­zu­ge­hen.

5

 

Die Kläge­rin hat auch kei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch auf er­neu­te Gewährung des un­ter­ge­gan­ge­nen An­spru­ches. Ein sol­cher kommt nach den §§ 275 Abs. 1, 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1, 287 S. 2, 249 Abs. 1 BGB auch nach Ab­lauf des Ur­laubs­zeit­rau­mes bei recht­zei­ti­ger Gel­tend­ma­chung sei­tens des Ar­beit­neh­mers in Be­tracht, wenn der Ar­beit­ge­ber un­abhängig vom be­reits be­wil­lig­ten Ur­laub aus an­de­ren Gründen recht­lich ver­pflich­tet war, den Ar­beit­neh­mer bei Fort­zah­lung der Vergütung von der Ar­beit frei zu stel­len und der Ar­beit­neh­mer durch den er­satz­lo­sen Weg­fall des Ur­laubs­an­spru­ches dem Zweck der der Frei­stel­lungs­ver­pflich­tung zu­grun­de lie­gen­den Norm zu­wi­der be­nach­tei­ligt würde (BAG a.a.O.; BAG v. 10.5.2005, 9 AZR 251/04, NZA 2006, 439). Auf die Frei­stel­lung nach § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V trifft dies aber nicht zu. Sie er­folgt bei gleich­zei­ti­gem Weg­fall der Vergütungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers, ver­folgt al­so nicht den Zweck, den be­treu­ungs­pflich­ti­gen El­tern­teil ei­nes er­krank­ten Kin­des vor we­gen der Be­treu­ung ein­tre­ten­den Vergütungs­ein­bußen zu schützen.

Der Um­stand, dass die Kläge­rin nun­mehr den Nach­teil er­litt, dass es trotz Weg­fal­les der Vergütungs­pflicht der Be­klag­ten im Zeit­raum vom 16.11.2009 bis 21.11.2009 zum Erlöschen des Ur­laubs­an­spru­ches kam, zwingt nicht zu ei­ner an­de­ren Ent­schei­dung. Das Ri­si­ko ur­laubsstören­der Er­eig­nis­se hat der Ar­beit­neh­mer zu tra­gen (BAG v. 9.8.1994 a.a.O.). Die ein­ge­tre­te­nen Vergütungs­ein­bußen hätte die Kläge­rin vor­lie­gend ver­mie­den, wenn sie für die Dau­er des be­reits be­wil­lig­ten Ur­lau­bes kei­ne Ar­beits­frei­stel­lung nach § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V gel­tend ge­macht hätte. Denn dann hätte der Kläge­rin für die­sen Zeit­raum Ur­laubs­vergütung nach § 11 BUrlG zu­ge­stan­den. Der Ar­beit­neh­mer ist nicht ver­pflich­tet, bei Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen des § 45 SGB V die dort ge­re­gel­ten Ansprüche gel­tend zu ma­chen.

II.
Die Ne­ben­ent­schei­dun­gen fol­gen aus den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des ent­spricht dem Wert der auf 6 Ur­laubs­ta­ge ent­fal­len­den Vergütung.

Die Kam­mer hat gem. § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG die Be­ru­fung zu­ge­las­sen.

 

 

6


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von d. Kläger/in Be­ru­fung ein­ge­legt wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss von ei­nem Rechts­an­walt oder ei­nem Ver­tre­ter ei­ner Ge­werk­schaft bzw. ei­ner Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gung oder ei­nes Zu­sam­men­schlus­ses sol­cher Verbände ein­ge­reicht wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

bei dem


Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg,
Mag­de­bur­ger Platz 1, 10785 Ber­lin,

ein­ge­gan­gen sein.

Die Be­ru­fungs­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Be­ru­fung ge­rich­tet wird, so­wie die Erklärung ent­hal­ten, dass Be­ru­fung ge­gen die­ses Ur­teil ein­ge­legt wer­de.
Die Be­ru­fung ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb


ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

in glei­cher Form schrift­lich zu be­gründen.

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments im Sin­ne des § 46 c ArbGG genügt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen da­zu fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te un­ter www.ber­lin.de/erv.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Da­bei ist zu be­ach­ten, dass das Ur­teil mit der Ein­le­gung in den Brief­kas­ten oder ei­ner ähn­li­chen Vor­rich­tung für den Pos­t­emp­fang als zu­ge­stellt gilt.
Wird bei der Par­tei ei­ne schrift­li­che Mit­tei­lung ab­ge­ge­ben, dass das Ur­teil auf der Geschäfts­stel­le ei­nes Amts­ge­richts oder ei­ner von der Post be­stimm­ten Stel­le nie­der­ge­legt ist, gilt das Schriftstück mit der Ab­ga­be der schrift­li­chen Mit­tei­lung als zu­ge­stellt, al­so nicht erst mit der Ab­ho­lung der Sen­dung.
Das Zu­stel­lungs­da­tum ist auf dem Um­schlag der Sen­dung ver­merkt.
Für d. Be­klag­te/n ist kei­ne Be­ru­fung ge­ge­ben.
Von der Be­gründungs­schrift wer­den zwei zusätz­li­che Ab­schrif­ten zur Un­ter­rich­tung der eh­ren­amt­li­chen Rich­ter er­be­ten.

Wei­te­re Statt­haf­tig­keits­vor­aus­set­zun­gen er­ge­ben sich aus § 64 Abs.2 ArbGG :
"Die Be­ru­fung kann nur ein­ge­legt wer­den,
a) wenn sie in dem Ur­teil zu­ge­las­sen wor­den ist,
b) wenn der Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des 600 Eu­ro über­steigt,
c) in Rechts­strei­tig­kei­ten über das Be­ste­hen, das Nicht­be­ste­hen oder die Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses oder
d) wenn es sich um ein Versäum­nis­ur­teil han­delt, ge­gen das der Ein­spruch an sich nicht statt­haft ist, wenn die Be­ru­fung oder An­schluss­be­ru­fung dar­auf gestützt wird, dass der Fall schuld­haf­ter Versäum­ung nicht vor­ge­le­gen ha­be."
 

A.

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