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LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 26.01.2007, 10 Sa 408/06

   
Schlagworte: Tarifvertrag
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Aktenzeichen: 10 Sa 408/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.01.2007
   
Leitsätze: Ein Caterer, der die Küche eines Krankenhauses in dessen Räumen betreibt und die stationär untergebrachten Patienten des Krankenhauses mit Verpflegung versorgt, unterfällt nicht dem fachlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Niedersachsen (MTV Hotel- und Gaststättengewerbe Niedersachsen) vom 28.06.2000.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hannover
   

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT

NIE­DERSACHSEN

 

Verkündet am:

26.01.2007

R., Ger.-Ang. als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

10 Sa 408/06

1 Ca 101/05 ArbG Han­no­ver

In dem Rechts­streit

Fir­ma A., A-Straße, A-Stadt

Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin,

Proz.-Bev.: Rechts­anwälte B., J.Straße, B-Stadt

ge­gen

Frau C., C-Straße, C-Stadt

Kläge­rin und Be­ru­fungs­be­klag­te,

Proz.-Bev.: DGB Rechts­schutz GmbH, D-Straße, A-Stadt

hat die 10. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 26. Ja­nu­ar 2007 durch

die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt Spel­ge,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Mi­ch­al­ke,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Bernt

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Han­no­ver vom 27.01.2006 – 1 Ca 101/05 – wird kos­ten­pflich­tig nach ei­nem Wert von 1.749,79 € zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um Ent­gelt­ansprüche der Kläge­rin für die Mo­na­te No­vem­ber 2004 bis Au­gust 2005 und Ok­to­ber so­wie No­vem­ber 2005. Streit­be­fan­gen ist da­bei in der Be­ru­fungs­in­stanz nur die Fra­ge, ob auf das Ar­beits­verhält­nis der Rah­men­ta­rif­ver­trag für die ge­werb­li­chen Beschäftig­ten in der Gebäuderei­ni­gung vom 04.10.2003 (künf­tig: RTV Gebäuderei­ni­gung) oder der Man­tel­ta­rif­ver­trag für das Ho­tel- und Gaststätten­ge­wer­be in Nie­der­sach­sen vom 28.06.2000 (künf­tig: MTV Gaststätten­ge­wer­be), die bei­de für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärt sind, An­wen­dung fand.

Die Kläge­rin, die Mit­glied der IG BAU ist, war vom 26.03.2002 bis zum 30.04.2006 bei der Be­klag­ten bzw. ih­rer Rechts­vorgänge­rin als Küchen­hil­fe beschäftigt. Das Ar­beits­verhält­nis be­gründe­te sie mit der H. GmbH, die über­wie­gend Rei­ni­gungs­kräfte beschäftig­te, so dass auf sie der RTV Gebäuderei­ni­gung An­wen­dung fand. Zum 01.08.2004 über­trug die H. GmbH den Teil­be­trieb Küchen­dienst, dem mehr als 20 Ar­beit­neh­mer, dar­un­ter die Kläge­rin, zu­ge­ord­net wa­ren, auf die Be­klag­te. Die­se beschäftigt 115 Ar­beit­neh­mer, von de­nen 96 als Küchen- bzw. Spül- oder Band­hil­fen so­wie fünf als Köche oder Küchen­lei­ter tätig sind. Die Be­klag­te be­rei­tet in der zum H., ei­nem öffent­li­chen Kran­ken­haus, gehören­den Küche Spei­sen zu, sorgt für de­ren Hin- und Rück­trans­port zu und von den Sta­tio­nen und rei­nigt die be­nutz­ten Uten­si­li­en. Z. T. wird Per­so­nal der Be­klag­ten auch zum Ver­tei­len der Spei­sen an Pa­ti­en­ten ein­ge­setzt. Die Pa­ti­en­ten ge­ben ih­re gewünsch­te Ver­pfle­gung in Wo­chen­plänen be­kannt, wo­bei un­ter Umständen die Ver­pfle­gung aus me­di­zi­ni­schen Gründen vor­ge­ge­ben wird. Die Pa­ti­en­ten be­zah­len die Ver­pfle­gung, die Teil des Kran­ken­haus­sat­zes ist, nicht ge­son­dert bei der Be­klag­ten. Darüber hin­aus be­treibt die Be­klag­te zwei Ta­gescafés auf dem Be­triebs­gelände des H., für die sie je­weils ei­ne Gaststätten­er­laub­nis be­sitzt. Im Übri­gen ist sie nicht im Be­sitz ei­ner sol­chen Er­laub­nis. Der MTV Gaststätten­ge­wer­be gilt fach­lich für al­le Be­trie­be, die im Be­sitz ei­ner Er­laub­nis nach dem Gaststätten­ge­setz sind oder ei­nen nach dem Gaststätten­ge­setz er­laub­nis­frei­en Be­trieb führen.

Die­se For­mu­lie­rung wird von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en seit den 80er Jah­ren ver­wen­det. Da­mit soll­ten ins­be­son­de­re al­ko­hol­aus­schen­ken­de Im­biss­be­trie­be in den Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­tra­ges ein­be­zo­gen wer­den. Mit dem Be­zug auf er­laub­nis­freie Be­trie­be soll­ten Ho­tels er­fasst wer­den.

Die Be­klag­te in­for­mier­te al­le Be­trof­fe­nen, auch die Kläge­rin, mit Schrei­ben vom 19.05. 2004 über den Be­triebsüber­gang. Die­sem Schrei­ben, auf das Be­zug ge­nom­men wird (Bl.

 

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152 - 158 d. A.), war als An­la­ge 2 ei­ne "In­for­ma­ti­on über Be­triebsüber­gang" bei­gefügt. Dar­in hieß es un­ter III 2 "Ta­rif­si­tua­ti­on":

Die H. GmbH ist ta­rif­ge­bun­den. Es fin­den der Ent­gelt-/ und der Man­tel­ta­rif­ver­trag für die Beschäftig­ten im Gast­ge­wer­be, S., auf das Ar­beits­verhält­nis An­wen­dung.

Die Be­klag­te ist nicht Mit­glied des Lan­des­ver­bands Nie­der­sach­sen der DE­HO­GA, die den MTV Gaststätten­ge­wer­be mit der NGG ab­ge­schlos­sen hat. Mit Wir­kung zum 01.10.2004 un­ter­zeich­ne­te die Kläge­rin ei­ne un­da­tier­te Ver­ein­ba­rung, auf die Be­zug ge­nom­men wird (Bl. 64 d. A.). Dar­in wies die Be­klag­te dar­auf hin, dass die all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­verträge für das Gebäuderei­ni­ger Hand­werk auf das "ak­tu­el­le" Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin An­wen­dung fänden und wei­ter­hin das bis­he­ri­ge Ein­kom­men von 8,00 € brut­to je Ar­beits­stun­de durch Zah­lung ei­ner frei­wil­li­gen und je­der­zeit wi­der­ruf­li­chen Zu­la­ge gewähr­leis­tet wer­de. Künf­ti­ge Ta­rif­loh­nerhöhun­gen würden dar­auf an­ge­rech­net.

Ab dem 01.01.2005 wand­te die Be­klag­te auf das Ar­beits­verhält­nis den MTV Gaststätten­ge­wer­be an, was sie der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 02.02.2005 (Bl. 158 d. A.) mit­teil­te. Sie zahl­te der Kläge­rin des­halb kei­ne Zu­schläge für Sonn- und Fei­er­tags­ar­beit mehr. Im April 2005 zahl­te sie der Kläge­rin ein Ur­laubs­geld von 183,92 € brut­to, im No­vem­ber 2005 ein Weih­nachts­geld, des­sen Höhe zwi­schen den Par­tei­en strei­tig ist, das je­doch min­des­tens 235,98 € brut­to be­trug. Auf die Ab­rech­nung für No­vem­ber 2005 (Bl. 292 d. A.) wird ver­wie­sen.

Mit ih­rer am 09.03.2005 er­ho­be­nen und wie­der­holt er­wei­ter­ten Kla­ge hat die Kläge­rin zu­letzt ei­ne Ent­gelt­dif­fe­renz von 1.021,20 € brut­to so­wie von 961,09 € net­to für die Mo­na­te No­vem­ber 2004 bis Au­gust 2005 so­wie Ok­to­ber und No­vem­ber 2005 nebst Zin­sen je­weils seit Zu­stel­lung der Kla­ge bzw. Kla­ger­wei­te­run­gen be­gehrt. Sie legt die­ser Be­rech­nung wei­ter­hin den RTV Gebäuderei­ni­gung zu­grun­de und ver­langt des­halb für die von ihr ge­leis­te­ten Ar­beit an Sonn- und Fei­er­ta­gen je­weils 75 % Zu­schlag, wo­von 50 % steu­er­frei und 25 % steu­er­pflich­tig sei­en. Für Ar­beit an den Weih­nachts­fei­er­ta­gen so­wie Os­ter­sonn­tag hat sie den 200%igen Zu­schlag gemäß § 3.7 lit e) RTV Gebäuderei­ni­gung ver­langt, der in Höhe von 150 % steu­er­frei sei. Ur­laubs­ent­gelt sei für ei­ne durch­schnitt­li­che Ar­beits­leis­tung von 7,8 St­un­den zu zah­len. Die von ihr in den streit­be­fan­ge­nen Mo­na­ten ge­leis­te­ten Ar­beits­stun­den, ins­be­son­de­re an Sonn- und Fei­er­ta­gen, so­wie die von der Be­klag­ten ge­leis­te­ten Zah­lun­gen er­ge­ben sich aus der Zu­sam­men­stel­lung des Ar­beits­ge­richts auf S. 3 f. des Tat­be­stands des an­ge­grif­fe­nen Ur­teils, auf die Be­zug ge­nom­men wird (Bl. 228 f. d. A.) Hin­sicht­lich der Be­rech­nung der Klag­for­de­rung im Ein­zel­nen wird Be­zug ge­nom­men

 

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auf die der Be­klag­ten am 16.07.2005 zu­ge­stell­ten Schriftsätze der Kläge­rin vom 09.06.2005 (Bl. 72 - 80 d. A.) und vom 13.06.2005 (Bl. 91 f. d. A.), den der Be­klag­ten am 24.08.2005 zu­ge­stell­ten Schrift­satz vom 19.08.2005 (Bl. 115 f. d. A.), den der Be­klag­ten am 12.09.2005 zu­ge­stell­ten Schrift­satz vom 06.09.2005 (Bl. 125 f. d. A.), den der Be­klag­ten am 28.11.2005 zu­ge­stell­ten Schrift­satz vom 24.11.2005 (Bl. 166 f. d. A.) so­wie auf den der Be­klag­ten am 15.12.2005 zu­ge­stell­ten Schrift­satz vom 12.12.2005 (Bl. 175 f. d. A.). Auf die­se For­de­rung lässt sich die Kläge­rin ei­ne Nach­zah­lung von 116,23 € net­to an­rech­nen, die die Be­klag­te im Fe­bru­ar 2005 für die Mo­na­te No­vem­ber und De­zem­ber 2004 er­bracht hat.

Das Ar­beits­ge­richt hat auf­grund Be­weis­be­schluss vom 12.08.2005 (Bl. 105 d. A.) Ta­rif­auskünf­te der IG BAU und des Bun­des­in­nungs­ver­ban­des des Gebäuderei­ni­ger­hand­werks über die Aus­le­gung von § 3.7 lit e) und g) so­wie § 3.8 RTV Gebäuderei­ni­gung ein­ge­holt. Auf die Auskünf­te vom 23.08.2005 (Bl. 121 und Bl. 123 f. d. A.) wird ver­wie­sen. Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 27.01.2006 der Kla­ge in Höhe von 912,20 € brut­to und 940,00 € net­to statt­ge­ge­ben und von der Brut­to­for­de­rung für No­vem­ber 2004 bis März 2005 ei­ne Über­zah­lung von 102,41 € net­to ab­ge­setzt. Die Kos­ten hat es der Be­klag­ten auf­er­legt. Die Be­klag­te un­ter­fal­le nicht dem MTV Gaststätten­ge­wer­be, weil sie kei­ne Gaststätte im Sin­ne des Gaststätten­ge­set­zes be­trei­be. Ihr Be­trieb sei nicht min­des­tens ei­nem be­stimm­ten Per­so­nen­kreis zugäng­lich. Das Ar­beits­verhält­nis rich­te sich des­halb nach wie vor nach den Be­din­gun­gen des RTV Gebäuderei­ni­gung. Al­ler­dings könne die Kläge­rin für die Tätig­keit an den Weih­nachts­fei­er­ta­gen und am Os­ter­sonn­tag nur 75 % Zu­schlag ver­lan­gen, wie sich aus den Ta­rif­auskünf­ten er­ge­be. Hin­sicht­lich der Be­rech­nung der der Kläge­rin da­nach im Ein­zel­nen zu­ste­hen­den Ansprüche wird Be­zug ge­nom­men auf S. 7 - 9 des an­ge­grif­fe­nen Ur­teils (Bl. 232 - 234 d. A.). Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten der Be­gründung des Ur­teils so­wie des strei­ti­gen erst­in­stanz­li­chen Vor­trags der Par­tei­en wird eben­falls auf das Ur­teil (Bl. 226 - 235 d. A.) ver­wie­sen. Ergänzend wird hin­sicht­lich der Ta­rif­ge­schich­te auf den Schrift­satz der Kläge­rin vom 16.01.2006 (Bl. 196 - 198 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen die­ses ihr am 01.03.2006 zu­ge­stell­te Ur­teil wen­det sich nur die Be­klag­te mit ih­rer am 09.03.2006 ein­ge­leg­ten und am 27.04.2006 be­gründe­ten Be­ru­fung. Hilfs­wei­se rech­net sie mit der von ihr nach ih­rem Vor­trag ge­leis­te­ten Zah­lung von 183,92 € brut­to Ur­laubs­geld so­wie von 277,78 € brut­to Son­der­zah­lung auf. Die Auf­rech­nungs­erklärung hat sie mit der der Kläge­rin am 04.05.2006 zu­ge­stell­ten Be­ru­fungs­be­gründung ab­ge­ge­ben. Auf recht­li­chen Hin­weis der Vor­sit­zen­den vom 18.01.2007, auf den Be­zug ge­nom­men wird

 

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(Bl. 338 f. d. A.), hat sie mit Schrift­satz vom 23.01.2007 hilfs­wei­se wi­der­kla­gend die Ver­ur­tei­lung der Kläge­rin zur Rück­zah­lung von 461,70 € be­gehrt.

Die Be­klag­te ist der An­sicht, sie un­ter­fal­le dem Gaststätten­ge­setz, oh­ne ei­ner Gaststätten­er­laub­nis zu bedürfen. Des­halb ha­be der all­ge­mein­ver­bind­li­che MTV Gaststätten­ge­wer­be den RTV Gebäuderei­ni­gung ab­gelöst, so dass die Kläge­rin kei­nen An­spruch mehr auf die ein­ge­klag­ten Zu­schläge ha­be. Ihr Rück­zah­lungs­an­spruch sei nicht ver­fal­len, weil die Aus­schluss­frist erst zu lau­fen be­gin­ne, wenn fest­ste­he, dass wei­ter­hin der RTV Gebäuderei­ni­gung auf das Ar­beits­verhält­nis an­zu­wen­den ge­we­sen sei. Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten ih­res zweit­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens wird auf die Be­ru­fungs­be­gründung (Bl. 266 - 274 d. A.) so­wie auf ih­re Schriftsätze vom 16.11.2006 (Bl. 330 - 337 d. A.) und 23.01. 2007 (Bl. 340 - 344 d. A.) ver­wie­sen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Han­no­ver vom 27.01.2006 – 1 Ca 101/05 – teil­wei­se ab­zuändern und die Kla­ge ins­ge­samt ab­zu­wei­sen,

hilfs­wei­se

die Kläge­rin zu ver­ur­tei­len, an die Be­klag­te 461,70 € nebst Zin­sen von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 25.01.2007 zu zah­len.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie meint, die Par­tei­en hätten mit Wir­kung zum 01.10.2004 ein­zel­ver­trag­lich die An­wen­dung des RTV Gebäuderei­ni­gung ver­ein­bart. Je­den­falls sei der MTV Gaststätten­ge­wer­be nicht ein­schlägig, so dass nach wie vor der RTV Gebäuderei­ni­gung an­zu­wen­den sei. Der Rück­zah­lungs­an­spruch der Be­klag­ten we­gen der Zah­lung von Ur­laubs- und Weih­nachts­geld sei ver­fal­len, je­den­falls nur in Höhe des aus­ge­zahl­ten Net­to­be­tra­ges zu erfüllen. Hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten ih­res Be­ru­fungs­vor­brin­gens wird Be­zug ge­nom­men auf ih­re Be­ru­fungs­er­wi­de­rung (Bl. 286 - 291 d. A.) so­wie auf ih­ren Schrift­satz vom 02.11.2006 (Bl. 317 - 320 d. A.).

 

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Auf das Pro­to­koll der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt vom 26.01. 2007 (Bl. 351 f. d. A.) wird Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Be­ru­fung ist statt­haft, sie ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den und so­mit zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, § 519, § 520 Abs. 3 ZPO). Sie ist je­doch un­be­gründet. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fan­den im streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum wei­ter­hin die Be­stim­mun­gen des für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärten RTV Gebäuderei­ni­gung vom 04.10.2003 und nicht die des eben­falls all­ge­mein­ver­bind­li­chen MTV Gaststätten­ge­wer­be vom 28.06.2000 An­wen­dung. Das hat das Ar­beits­ge­richt rich­tig er­kannt. Der Kläge­rin ste­hen da­her für die Mo­na­te No­vem­ber 2004 bis Au­gust 2005 und für Ok­to­ber und No­vem­ber 2005 ins­ge­samt 912,20 € brut­to und 940,00 € net­to Dif­fe­ren­zent­gelt­ansprüche zu, wo¬bei von der Brut­to­for­de­rung ei­ne Über­zah­lung von 102,41 € net­to ab­zu­set­zen ist.

Die in der Be­ru­fungs­in­stanz erklärte Auf­rech­nung der Be­klag­ten greift nicht durch, weil ihr das Auf­rech­nungs­ver­bot des § 394 BGB ent­ge­gen­steht. Die hilfs­wei­se er­ho­be­ne Wi­der­kla­ge ist nicht hin­rei­chend be­stimmt.

A
Al­ler­dings ha­ben die Par­tei­en nicht mit Wir­kung zum 01.10.2004 ein­zel­ver­trag­lich die (Wei­ter-) Gel­tung des RTV Gebäuderei­ni­gung durch die bei­der­sei­ti­ge Un­ter­zeich­nung der un­da­tier­ten Ver­ein­ba­rung über die Zah­lung ei­ner frei­wil­li­gen Zu­la­ge (An­la­ge C zum Schrift­satz vom 28.04.2005, Bl. 64 d. A.) ver­ein­bart. Die­se "Ver­ein­ba­rung" legt zwar zu­grun­de, dass nach wie vor der RTV Gebäuderei­ni­gung An­wen­dung fin­det. Ei­genständig ge­re­gelt wird je­doch nur die Wei­ter­zah­lung des bis­he­ri­gen Ent­gelts un­ter Ein­schluss ei­ner Zu­la­ge, die wi­der­ruf­lich aus­ge­stal­tet ist. Al­lein da­mit hat sich die Kläge­rin ein­ver­stan­den erklärt. Hin­sicht­lich der Fra­ge, wel­cher Ta­rif­ver­trag künf­tig gel­ten soll­te, fehl­te den Par­tei­en jeg­li­cher Re­ge­lungs­wil­le. Ei­ne kon­sti­tu­ti­ve Ver­ein­ba­rung des RTV Gebäuderei­ni­gung enthält die Ver­ein­ba­rung des­halb nicht.

B
Die Ta­rif­nor­men des RTV Gebäuderei­ni­gung sind je­doch gem. § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB am 01.08.2004 In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses der Par­tei­en ge­wor­den. Nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB greift die­se Be­stim­mung zwar nicht ein, wenn die Ar­beits­be­din­gun­gen beim Be­triebs­er­wer­ber durch ei­nen an­de­ren Ta­rif­ver­trag ge­re­gelt sind. § 613 a Abs. 1 Satz 3

 

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BGB er­for­dert je­doch nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts kon­gru­en­te Ta­rif­ge­bun­den­heit. Sie liegt nur vor, wenn bei­de Sei­ten ta­rif­ge­bun­den sind oder der Ta­rif­ver­trag all­ge­mein­ver­bind­lich ist und das Ar­beits­verhält­nis fach­lich, persönlich und räum­lich er­fasst (BAG, 21.02.2001, 4 AZR 18/00, AP Nr. 20 zu § 4 TVG, Rz. 33 ff.). Bei­des liegt nicht vor. Da­her fände der MTV Gaststätten­ge­wer­be nur auf das Ar­beits­verhält­nis An­wen­dung, wenn die Be­klag­te den Ver­trags­in­halt mit in­di­vi­du­al­recht­li­chen Mit­teln, al­so durch ein­ver­nehm­li­che Ver­tragsände­rung oder wirk­sa­me Ände­rungskündi­gung, ab­geändert hätte (BAG, 30.08.2000, 4 AZR 581/99, AP Nr. 12 zu § 1 TVG - Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag, Rz. 25). Das ist un­strei­tig nicht der Fall.

I.
Die Par­tei­en sind nicht Mit­glied der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, die den MTV Gaststätten­ge­wer­be ge­schlos­sen ha­ben. Die Kläge­rin ist nicht Mit­glied der NGG, son­dern der IG BAU, die Be­klag­te ist nicht Mit­glied des Lan­des­ver­bands Nie­der­sach­sen der DE­HO­GA.

II.
Die Be­klag­te un­terfällt auch nicht dem fach­li­chen Gel­tungs­be­reich des MTV Gaststätten­ge­wer­be. Die­ser gilt gemäß § 1 Zif­fer 2 fach­lich für "al­le Be­trie­be, die im Be­sitz ei­ner Er­laub­nis nach dem Gaststätten­ge­setz sind oder ei­nen nach dem Gaststätten­ge­setz er­laub­nis­frei­en Be­trieb führen". Da­von wird die Be­klag­te, wie die Aus­le­gung die­ser Be­stim­mung er­gibt, nicht er­fasst. Der MTV Gaststätten­ge­wer­be galt da­her trotz sei­ner All­ge­mein­ver­bind­lich­keit nicht für das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en.

1.
Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts folgt die Aus­le­gung des nor­ma­ti­ven Teils ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges den für die Aus­le­gung von Ge­set­zen gel­ten­den Re­geln. Da­bei ist zunächst vom Ta­rif­wort­laut aus­zu­ge­hen. Zu er­for­schen ist der maßgeb­li­che Sinn der Erklärung, oh­ne am Buch­sta­ben zu haf­ten (§ 133 BGB). Der wirk­li­che Wil­le der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en und da­mit der von ih­nen be­ab­sich­tig­te Sinn und Zweck der Ta­rif­norm sind mit zu berück­sich­ti­gen, so­fern und so­weit sie in den ta­rif­li­chen Nor­men ih­ren Nie­der­schlag ge­fun­den ha­ben. Auch auf den ta­rif­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang ist ab­zu­stel­len. Ver­blei­ben so­dann noch Zwei­fel, können wei­te­re Kri­te­ri­en wie Ta­rif­ge­schich­te, prak­ti­sche Ta­rifübung und Ent­ste­hungs­ge­schich­te des je­wei­li­gen Ta­rif­ver­tra­ges oh­ne Bin­dung an ei­ne be­stimm­te Rei­hen­fol­ge berück­sich­tigt wer­den. Im Zwei­fel ist die Ta­rif­aus­le­gung zu wählen, die zu ei­ner vernünf­ti­gen, sach­ge­rech­ten, zweck­ori­en­tier­ten und prak­tisch brauch­ba­ren Lösung führt. Die­se Aus­le­gungs­grundsätze gel­ten auch für die Be­stim­mung

 

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des fach­li­chen Gel­tungs­be­reichs ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges (BAG, 14.11.2001, 10 AZR 76/01, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Ta­rif­verträge – Brotin­dus­trie, Rz. 14).

2.
Die Aus­le­gung der Be­stim­mung über den fach­li­chen Gel­tungs­be­reich in § 1 Zif­fer 2 MTV Gaststätten­ge­wer­be nach die­sen Maßstäben er­gibt, dass die­ser Ta­rif­ver­trag nur für er­laub­nis­pflich­ti­ge und er­laub­nis­freie Be­trie­be des herkömmli­chen Gaststätten­ge­wer­bes, nicht aber für Ver­pfle­gungs­be­trie­be, wie ihn die Be­klag­te be­treibt, gilt.

a)
Der MTV Gaststätten­ge­wer­be er­fasst Be­trie­be, die im Be­sitz ei­ner Er­laub­nis nach dem Gaststätten­ge­setz sind oder ei­nen nach dem Gaststätten­ge­setz er­laub­nis­frei­en Be­trieb führen. Er knüpft da­mit sei­nem Wort­laut nach an die Be­griff­lich­kei­ten des Gaststätten­ge­set­zes an. Ein Gaststätten­ge­wer­be be­treibt nach § 1 GastG i. d. F. des Ge­set­zes zum Büro­kra­tie­ab­bau (BGBl. I, S. 1666), wer al­ter­na­tiv oder ku­mu­la­tiv Ge­tränke und/oder zu­be­rei­te­te Spei­sen zum Ver­zehr an Ort und Stel­le in ei­nem Be­trieb ver­ab­reicht, der je­der­mann oder zu­min­dest ei­nem be­stimm­ten Per­so­nen­kreis zugäng­lich ist. Das Ge­setz dif­fe­ren­ziert da­bei nach er­laub­nis­pflich­ti­gen und nicht er­laub­nis­pflich­ti­gen Schank- be­zie­hungs­wei­se Spei­se­wirt­schaf­ten. Nicht er­laub­nis­pflich­tig sind gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 GastG in der seit 01.07.2005 gel­ten­den Fas­sung des Ge­set­zes zum Büro­kra­tie­ab­bau (BGBl. I, S. 1666) un­ter an­de­rem Be­trie­be des Gaststätten­ge­wer­bes, die zu­be­rei­te­te Spei­sen ver­ab­rei­chen. Nach der Sys­te­ma­tik des Gaststätten­ge­set­zes kann es dem­nach kei­nen Be­trieb ge­ben, der ei­ner­seits Gaststätten­ge­wer­be be­treibt und da­mit von § 1 GastG er­fasst wird, an­de­rer­seits aber nicht er­laub­nis­pflich­tig ist, weil er nicht er­laub­nisfähig ist (Metz­ner, GastG, 6. Aufl., § 2, Rz. 11).

b)
Die Be­klag­te be­treibt kei­ne Spei­se­wirt­schaft i.S. des Gaststätten­rechts. We­der hat sie bis zum 30.06.2005 ei­ne er­laub­nis­pflich­ti­ge Spei­se­wirt­schaft be­trie­ben, oh­ne im Be­sitz der dafür er­for­der­li­chen Er­laub­nis zu sein, noch be­treibt sie seit dem 01.07.2005 un­ter Berück­sich­ti­gung von § 2 Abs. 2 Nr. 3 GastG in der seit­dem gel­ten­den Fas­sung ei­nen er­laub­nis­frei­en Be­trieb des Gaststätten­ge­wer­bes in der Form der Spei­se­wirt­schaft. Es fehlt – wor­auf schon das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend ab­ge­stellt hat – an der er­for­der­li­chen öffent­li­chen Zugäng­lich­keit ih­res Be­trie­bes. Auch ei­ne er­laub­nis­freie Spei­se­wirt­schaft muss nach der ge­setz­li­chen De­fi­ni­ti­on des § 1 Abs. 1 GastG "je­der­mann oder be­stimm­ten Per­so­nen­krei­sen zugäng­lich" sein. Dar­an fehlt es hier. Der Be­trieb der Be­klag­ten ist we­der

 

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je­der­mann noch auch nur ei­nem Kreis be­lie­big wech­seln­der Per­so­nen, der be­stimm­te Grup­pen¬merk­ma­le erfüllt, zugäng­lich, son­dern nur ganz be­stimm­ten Ein­zel­per­so­nen, nämlich den Pa­ti­en­ten des Kran­ken­hau­ses, in dem die Be­klag­te ih­ren Be­trieb un­terhält.

Vor­aus­set­zung für die Be­ja­hung der für ei­ne Spei­se­wirt­schaft er­for­der­li­che Öffent­lich­keit ist, dass die An­gehöri­gen ei­ner be­stimm­ten Per­so­nen­grup­pe oh­ne Un­ter­schied und nicht nur be­stimm­te Ein­zel­per­so­nen Zu­gang zum Be­trieb der Be­klag­ten ha­ben (Ba­yOLG, 13.01.1993, 3 OBO­Wi 111/92, Ge­wArch 1993, S. 166, Rz. 9; Metz­ner, a.a.O., Rz. 66 f.; Mi­chel/Kienz­le/Pau­ly, GastG, 14. Aufl., § 1, Rz. 49). Dar­an fehlt es beim Be­trieb der Be­klag­ten, die nur die im H. un­ter­ge­brach­ten Pa­ti­en­ten, nicht de­ren An­gehöri­ge ver­pflegt, und da­mit nur ein­zel­ne, ganz be­stimm­te, wenn auch häufig wech­seln­de Per­so­nen. Es be­steht ei­ne ver­gleich­ba­re Si­tua­ti­on wie in ei­nem Heim- oder Be­her­ber­gungs­be­trieb, der Spei­sen zum Ver­zehr auf den je­wei­li­gen Zim­mern nur für die Be­woh­ner an­bie­tet. Auch in die­sen Fällen wird die er­for­der­li­che Öffent­lich­keit ver­neint (Metz­ner, a.a.O., Rz. 67, 68; Mi­chel/Kienz­le/Pau­ly, a.a.O., Rz. 49).

We­sens­merk­mal ei­ner öffent­lich zugäng­li­chen Spei­se­wirt­schaft ist fer­ner, dass die Per­so­nen, die sie auf­su­chen, dies aus frei­en Stücken tun und auch die in den auf­ge­such­ten Räum­en an­ge­bo­te­ne Ver­pfle­gung frei­wil­lig aus­su­chen und zu sich neh­men und dafür ein Ent­gelt an den Be­trei­ber ent­rich­ten. Ge­nau dar­an fehlt es im Fall der von der Be­klag­ten ver­pfleg­ten Pa­ti­en­ten, die sich zur sta­ti­onären Be­hand­lung ins H. be­ge­ben müssen, auf die an­ge­bo­te­ne Kran­ken­haus­ver­pfle­gung, die zu­dem noch aus me­di­zi­ni­schen Gründen vor­ge­ge­ben oder ein­ge­schränkt sein kann, an­ge­wie­sen sind und die­se nicht ge­son­dert vergüten, weil sie im Ta­ges­satz ent­hal­ten sind. Des­halb verfängt auch der Hin­weis der Be­klag­ten auf die Li­te­ra­tur­mei­nun­gen, wo­nach die Ab­ga­be von Spei­sen oder Ge­tränken in Kran­ken­an­stal­ten durch Drit­te die Vor­aus­set­zun­gen der Spei­se- oder Schank­wirt­schaft erfüllt (Metz­ner, a.a.O., Rz. 69; Mi­chel/Kienz­le/Pau­ly, a.a.O., Rz. 50), nicht. Bei­de Kom­men­tarstel­len be­zie­hen sich nur auf die zusätz­li­che Ab­ga­be von Ge­tränken durch ei­nen Drit­ten auf ei­ge­ne Rech­nung ge­gen ein be­son­de­res Ent­gelt ne­ben der vom Kran­ken­haus ge­stell­ten Ver­pfle­gung. Dar­an fehlt es hier. Trotz der Fremd­ver­ga­be der Ver­pfle­gung an die Be­klag­te bleibt die Kran­ken­haus­kost völlig un­ter­ge­ord­ne­ter Teil der vom Ta­ges­satz ab­ge­deck­ten Leis­tung des H. an die Pa­ti­en­ten. Das Le­bens­mit­tel­recht gewähr­leis­tet hin­rei­chend die ge­sund­heit­li­che Un­be­denk­lich­keit der Spei­sen und genügt da­mit dem ge­sund­heits­po­li­zei­li­chen Zweck, der maßge­bend für die bis zum 30.06.2005 er­folg­te Ein­be­zie­hung der Spei­se­wirt­schaf­ten in die Er­laub­nis­pflicht war (Metz­ner, a.a.O., Rz. 86).

 

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Auch die Be­klag­te ist bis zur Ein­lei­tung des vor­lie­gen­den Ver­fah­rens nicht da­von aus­ge­gan­gen, ei­nen (da­mals noch er­laub­nis­pflich­ti­gen) Be­trieb des Gaststätten­ge­wer­bes zu be­trei­ben, sonst hätte sie sich um Ein­ho­lung der dann er­for­der­li­chen Er­laub­nis bemüht. Viel­mehr ist sie, wie ihr erst­in­stanz­li­cher Vor­trag auf S. 2 des Schrift­sat­zes vom 15.12.2005 (Bl. 181 d. A.) und ihr Schrei­ben vom 15.09.2004 (Bl. 155 d. A.) zei­gen, da­von aus­ge­gan­gen, kein Gaststätten­ge­wer­be i.S. des Gaststätten­ge­set­zes zu be­trei­ben, gleich­wohl als Ca­te­rer aber we­gen des Be­trei­bens ei­nes nicht er­laub­nisfähi­gen Be­triebs dem Gel­tungs­be­reich des MTV Gaststätten­ge­wer­be zu un­ter­fal­len. Dies ist – wie dar­ge­legt – nach der Sys­te­ma­tik des Gaststätten­ge­set­zes, die sich die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zu ei­gen ge­macht ha­ben, nicht möglich.

c)
Selbst wenn man dem nicht fol­gen will, ist bei der Aus­le­gung des fach­li­chen Gel­tungs­be­rei­ches des MTV Gaststätten­ge­wer­be zu berück­sich­ti­gen, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den Gel­tungs­be­reich die­ses Ta­rif­ver­tra­ges seit den 80er Jah­ren durch die An­knüpfung an den Be­sitz ei­ner Gaststätten­er­laub­nis oder das Be­trei­ben er­laub­nis­frei­er Be­trie­be ab­gren­zen. Sie wol­len da­mit die "klas­si­schen" Gaststätten, fer­ner die Al­ko­hol aus­schen­ken­den Im­bis­se und durch den Be­zug auf die Er­laub­nis­frei­heit die Ho­tels er­fas­sen, nicht aber Ver­pfle­gungs­be­trie­be wie die Be­klag­te. Die­sen Wil­len ha­ben sie durch die jah­re­lan­ge un­veränder­te Fas­sung des fach­li­chen Gel­tungs­be­rei­ches zum Aus­druck ge­bracht. Die Be­klag­te weist zu­tref­fend dar­auf hin, dass die DE­HO­GA und die NGG in den Ta­rif­verträgen des Gaststätten­ge­wer­bes in an­de­ren Ta­rif­ge­bie­ten aus­drück­lich die Be­trie­be der Sys­tem­gas­tro­no­mie ein­be­zo­gen ha­ben. Der NGG und an­de­ren Lan­des­or­ga­ni­sa­tio­nen der DE­HO­GA ist al­so der Un­ter­schied zwi­schen ei­nem herkömmli­chen Gaststätten­be­trieb und ei­nem Be­trieb der Sys­tem­gas­tro­no­mie geläufig. Hätten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en auch den MTV Gaststätten­ge­wer­be auf Be­trie­be der Sys­tem­gas­tro­no­mie an­wen­den wol­len, hätten sie die­se – wie in an­de­ren Ta­rif­ge­bie­ten – aus­drück­lich in den fach­li­chen Gel­tungs­be­reich auf­ge­nom­men. Sie hätten dann auch im Hin­blick auf den am 01.07.1996 zwi­schen der NGG und dem Bun­des­ver­band Be­triebs­gas­tro­no­mie e.V. (BVBG) ge­schlos­se­nen Man­tel­ta­rif­ver­trag für die Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­neh­me­rin­nen und Aus­zu­bil­den­den in Be­triebsküchen, Ka­si­nos, Kan­ti­nen und sons­ti­gen Ver­pfle­gungs­be­trie­ben (MTV BG 1996) ei­ne kla­re Ab­gren­zung zu den vom Gel­tungs­be­reich die­ses Ta­rif­ver­tra­ges er­fass­ten Be­trie­ben vor­ge­nom­men, da da­von aus­zu­ge­hen ist, dass der NGG der MTV BG 1996 be­kannt war (vgl. BAG, 24.09.2003, 10 AZR 14/03, EzA Nr. 2 zu § 4 TVG – Bäcker, Rz. 23 für die Ab­gren­zung zwi­schen Bäcker- und Kon­di­to­ren­hand­werk).

 

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C
I.
Auf­grund der nach wie vor an­zu­wen­den­den Be­stim­mun­gen des RTV Gebäuderei­ni­gung hat die Kläge­rin für die Mo­na­te No­vem­ber 2004 bis Au­gust 2005 und für Ok­to­ber und No­vem­ber 2005 un­ter Berück­sich­ti­gung des Lohn­zu­schlags von 75 % für Sonn- und Fei­er­tags­ar­beit (§ 3.7 lit. g) RTV Gebäuderei­ni­gung), der für Sonn­tags­ar­beit zu 50 % und für Fei­er­tags­ar­beit in vol­ler Höhe steu­er­frei ist (§ 3 b Abs. 1 EStG), An­spruch auf ins­ge­samt 912,20 € brut­to und 940,00 € net­to Dif­fe­ren­zent­gelt. Al­ler­dings ist von der Brut­to­for­de­rung die Über­zah­lung von 102,41 € net­to ab­zu­set­zen. Das ist zwi­schen den Par­tei­en in der Be­ru­fungs­in­stanz rech­ne­risch nicht mehr strei­tig. Zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen wird auf die recht­lich und rech­ne­risch kor­rek­ten Be­rech­nun­gen des Ar­beits­ge­richts im an­ge­grif­fe­nen Ur­teil (S. 7- 9, Bl. 232 - 234 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Die Kläge­rin kann für ih­re in ver­schie­de­nen Kla­ger­wei­te­run­gen gel­tend ge­mach­ten Ent­gelt­ansprüche Zin­sen von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz zu den vom Ar­beits­ge­richt aus­ge­ur­teil­ten Zeit­punk­ten be­an­spru­chen (§ 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).

II.
Der Net­to­lohn­an­spruch der Kläge­rin ist nicht in Höhe von 419,90 € brut­to durch die von der Be­klag­ten erklärte Pro­zess­auf­rech­nung un­ter­ge­gan­gen (§ 389 BGB).

1.
Der Rück­zah­lungs­an­spruch der Be­klag­ten war im Zeit­punkt der Auf­rech­nungs­erklärung al­ler­dings nicht be­reits ver­fal­len und konn­te des­halb noch zur Auf­rech­nung ge­stellt wer­den. Ob der Kläge­rin An­spruch auf die im MTV Gaststätten­ge­wer­be vor­ge­se­he­nen Son­der­zah­lun­gen zu­stand, kann die Be­klag­te erst mit Rechts­kraft des Ur­teils im vor­lie­gen­den Rechts­streit be­ur­tei­len, so dass erst in die­sem Zeit­punkt die Aus­schluss­frist des § 22 RTV Gebäuderei­ni­gung zu lau­fen be­ginnt (vgl. BAG, 19.1.1999, 9 AZR 405/97, AP Nr. 1 zu § 70 BAT-O, Rz. 62).

2.
Es ste­hen sich je­doch kei­ne gleich­ar­ti­gen For­de­run­gen ge­genüber, wie es § 387 BGB ver­langt. Zwar ist die Auf­rech­nungs­erklärung der Be­klag­ten da­hin aus­zu­le­gen, dass ge­gen die Net­to­lohn­ansprüche der Kläge­rin auf­ge­rech­net wird. Der Net­to­be­trag, ge­gen den auf­ge­rech­net wird, ist je­doch nicht be­stimmt, so dass der Um­fang der Rechts­kraft nach § 322 Abs. 2 ZPO bei ei­ner dem Vor­brin­gen der Be­klag­ten ent­spre­chen­den Auf­rech­nung

 

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un­klar blie­be. Es stünde nicht fest, in wel­cher Höhe die zur Auf­rech­nung ge­stell­te Ge­gen­for­de­rung er­lo­schen ist. Wel­che Vergütungs­dif­fe­ren­zen die Kläge­rin nach Ab­zug der Steu­ern und So­zi­al­ver­si­che­rungs­ab­ga­ben zu be­an­spru­chen hat, ent­zieht sich der Kennt­nis der we­gen des Bei­brin­gungs­grund­sat­zes zur Er­mitt­lung des be­tref­fen­den Sach­ver­hal­tes nicht von Amts we­gen ver­pflich­te­ten Kam­mer (vgl. BAG, 22.03.2000, 4 AZR 120/99, ju­ris; BAG, 05.12.2002, 6 AZR 569/01, AP Nr. 32 zu § 394 BGB). Aus der Ab­rech­nung für No­vem­ber 2005 (Bl. 292 d. A.) er­ge­ben sich nur die auf den ge­sam­ten Lohn für die­sen Mo­nat ge­zahl­te So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge und Steu­ern, nicht aber die auf den Teil­be­trag von 235,98 € brut­to.

Zu­dem hat die Be­klag­te kei­nen An­spruch auf Wert­er­satz der zu Un­recht ent­rich­te­ten Ar­beit­neh­mer­an­tei­le zur So­zi­al­ver­si­che­rung, son­dern kann bis zur Er­stat­tung die­ser An­tei­le an die Kläge­rin nur die Ab­tre­tung des Er­stat­tungs­an­spru­ches nach § 26 Abs. 2 SGB IV ver­lan­gen (vgl. BAG, 29.03.2001, 6 AZR 653/99, AP Nr. 1 zu § 26 SGB IV, Rz. 9). Es ste­hen sich hier al­so nicht Net­to­ansprüche, son­dern ein Net­to­nach­zah­lungs­an­spruch der Kläge­rin und ein Net­torück­zah­lungs­an­spruch der Be­klag­ten, des­sen Höhe nicht be­kannt ist, so­wie ein Ab­tre­tungs­an­spruch ge­genüber. Dies sind kei­ne gleich­ar­ti­gen Ansprüche i.S. des § 387 BGB.

3.
Sch­ließlich steht der Auf­rech­nung auch das Ver­bot des § 394 BGB ent­ge­gen. Die Kläge­rin ist ver­hei­ra­tet und hat ein Kind, sie ist so­mit zwei Per­so­nen zum Un­ter­halt ver­pflich­tet. Dar­aus er­gibt sich ein Pfändungs­frei­be­trag von 1.479,99 € bis zum 30.06.2005 und ein Frei­be­trag von 1.569,99 € seit dem 01.07.2005 (vgl. Zöller-Stöber, 25. Aufl., ZPO, § 850 c, Rz. 10 a).

Die Kläge­rin hat, so­weit aus den vor­ge­leg­ten Ab­rech­nun­gen er­sicht­lich, durch­ge­hend ein Net­to­ein­kom­men be­zo­gen, das un­ter die­sen Pfändungs­frei­beträgen lag. Die Be­klag­te hat nicht dar­ge­legt, dass – ge­ge­be­nen­falls un­ter Hin­zu­rech­nung der nach­zu­zah­len­den Beträge – auch nur in ei­nem ein­zi­gen Mo­nat der Pfändungs­frei­be­trag über­schrit­ten war.

D
Die Wi­der­kla­ge ist ab­zu­wei­sen.

 

- 13 -

I.
Die Wi­der­kla­ge ist oh­ne Ver­s­toß ge­gen Pro­zess­vor­schrif­ten erst im zwei­ten Rechts­zug er­ho­ben wor­den. Die Vor­aus­set­zun­gen des § 533 ZPO sind erfüllt. Der Wi­der­kla­ge liegt kein neu­er Tat­sa­chen­stoff zu­grun­de. Sie ist auch sach­dien­lich, weil da­durch ein wei­te­rer Pro­zess der Par­tei­en ver­mie­den wer­den kann. Un­er­heb­lich ist da­bei, dass der Kläge­rin ei­ne Tat­sa­chen­in­stanz ver­lo­ren geht (vgl. BAG, 06.12.2001, 2 AZR 733/00, EzA § 5 Be­trVG 1972 Nr. 65 <B I 1 d. Gr.>).

II.
Die Wi­der­kla­ge ist je­doch un­zulässig. Sie genügt nicht dem Be­stimmt­heits­er­for­der­nis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Ein Kla­ge­an­trag ist nur dann hin­rei­chend be­stimmt, wenn er den er­ho­be­nen An­spruch kon­kret be­zeich­net, In­halt und Um­fang der ma­te­ri­el­len Rechts­kraft der be­gehr­ten Ent­schei­dung (§ 322 ZPO) er­ken­nen lässt und die Zwangs­voll­stre­ckung aus dem Ur­teil oh­ne ei­ne Fort­set­zung des Streits im Voll­stre­ckungs­ver­fah­ren er­war­ten lässt (BAG, 27.07.2005, 7 ABR 54/04, AP Nr. 1 zu § 19 WahlO Be­trVG 1972, Rz. 17).

Un­abhängig vom Streit über die Fra­ge, ob bei Ent­geltüber­zah­lun­gen der Ar­beit­neh­mer den Brut­to- oder den Net­to­be­trag zurück­zah­len muss (zum Streit­stand s. Kütt­ner-Grie­se, Per­so­nal­buch 2006, Ent­geltrück­zah­lung, Rz. 11 f.), be­steht je­den­falls bis zur Er­stat­tung zu Un­recht ge­zahl­ter So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge kein An­spruch des Ar­beit­ge­bers auf Rück­zah­lung des Ar­beit­neh­mer­an­teils am Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag, son­dern nur ein An­spruch auf Ab­tre­tung die­ses Er­stat­tungs­an­spru­ches (BAG, AP Nr. 1 zu § 26 SGB IV, Rz. 9). Dem Vor­trag der Be­klag­ten lässt sich je­doch trotz des Hin­wei­ses vom 18.01.2007 nicht ent­neh­men, wel­cher Be­trag der Kläge­rin oh­ne den Ar­beit­neh­mer­an­teil am Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag zu­viel ge­zahlt wor­den ist. Ei­ne Ver­ur­tei­lung zur Rück­zah­lung des Brut­to­ent­gelts abzüglich des So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trags der Kläge­rin, wie sie al­lein möglich wäre, genügt aber dem Be­stimmt­heits­er­for­der­nis nicht.

E
Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Re­vi­si­on war zu­zu­las­sen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil fin­det, wie sich aus der Ur­teils­for­mel er­gibt, die Re­vi­si­on statt.

 

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Die Re­vi­si­ons­schrift muss in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­hen.

Die An­schrift des Bun­des­ar­beits­ge­richts lau­tet:

Post­fach, 99113 Er­furt

oder

Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt.

Te­le­fax-Nr.: (0361) 26 36 – 20 00

Die Re­vi­si­ons- und die Re­vi­si­ons­be­gründungs­schrift müssen von ei­nem Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

Die Re­vi­si­ons­schrift, die Re­vi­si­ons­be­gründungs­schrift und die sons­ti­gen wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren sol­len 7-fach – für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ein Ex­em­plar mehr – ein­ge­reicht wer­den.

 

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Bernt

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