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LAG Nürnberg, Urteil vom 05.12.2006, 6 Sa 450/06
Schlagworte: | Tarifvertrag, Kündigungsfrist, Gleichbehandlung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Nürnberg | |
Aktenzeichen: | 6 Sa 450/06 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 05.12.2006 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Bamberg | |
6 Sa 450/06
1 Ca 1411/05 (Bamberg)
Verkündet am 05. Dezember 2006
Urteil
Ausfertigung.
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG
IM NAMEN DES VOLKES
in dem Rechtsstreit
Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg Vetter als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Haller und Beer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2006
für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 22.03.2006, Az. 1 Ca 1411/05, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
II. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
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Tatbestand:
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Wirksamkeit einer tariflichen Regelung von Kündigungsfristen.
Der über 50-jährige Kläger war seit 24.02.1975 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Kfz-Mechaniker beschäftigt. Im.— im Zuge des im April 1989 durchgeführten Umzugs von E, nach Hr — geänderten Arbeitsvertrag vom 01.04.1989 ist, soweit vorliegend von Interesse, folgendes aufgeführt (Anlage zum Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 09.12.2005, BI. 13 d.A.):
„1. Die Bestimmungen des regional geltenden Manteltarifvertrags und Lohntarifvertrags für das Kraftfahrzeuggewerbe sind in ihrer jeweils letzten Fassung Bestandteil dieses Vertrags.
2. Der Arbeitnehmer wird als KFZ-Mechaniker u. Schlosser eingestellt und in Lohngruppe VII eingestuft....
3. Wird das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit fortgesetzt, so gilt es als auf unbestimmte Zeit begründet. Für die Kündigung gelten sodann die tarifvertraglich vorgesehenen Kündigungsfristen...."
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Mit Schreiben vom 29.05.1995 (Anlage zum Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 14.03.2006, Bi. 50 f. d.A.) erhielt der Kläger einen Auszug aus dem Manteltarifvertrag mit dem Hinweis, dass hierin die Kündigungsfristen neu festgelegt seien. Die Bestimmungen des vorgelegten Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des Kraftfahrzeuggewerbes in Bayern. vom 07.02.1994 lauten in der Fassung vom 05.04.2004 wie folgt:
„Ziff. II Einstellungen und Kündigungen 1. ...
3.2. Kündigung
3.1 Die beiderseitige Kündigungsfrist beträgt während der ersten 3 Monate einer Beschäftigung 2 Wochen, während des vierten bis sechsten Beschäftigungsmonats 4 Wochen, jeweils zum Schluss des Kalendermonats.
3.2 Nach 6 Monaten beträgt die beiderseitige Kündigungsfrist 6 Wochen zum Schluss eines Kalendermonats.
3.3 In Betrieben/Betriebsstätten mit in der Regel mindestens 20 Arbeitnehmern (ohne Auszubildende und mithelfende Familienangehörige) beträgt die Frist für eine Kündigung durch den Arbeitgeber bei einer Betriebszugehörigkeit von
5 Jahren 2 Monate,
8 Jahren 3 Monate,
10 Jahren 4 Monate,
12 Jahren 5 Monate,
15 Jahren 6 Monate,
20 Jahren 7 Monate,
jeweils zum Ende eines Kalendermonats.
Auch in Betrieben/Betriebsstätten mit in der Regel weniger als 20 Arbeitnehmern können längere Kündigungsfristen vereinbart werden.
Bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit werden Zeiten vor der Vollendung des 25.. Lebensjahres nicht berücksichtigt.
Berücksichtigt werden jedoch auch die Ausbildungsjahre im selben Betrieb nach dem 25. Lebensjahr."
Der Kläger bezog zuletzt ein Monatsgehalt von etwa 2.700,- € brutto. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.11.2005 mit Wir-
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kung zum 31.12.2005 mit der Begründung, der Betrieb werde endgültig geschlossen.
Mit seiner am 02.12.2005 beim Arbeitsgericht Bamberg eingegangenen, der Beklagten am 08.12.2005 zugestellten Klage vorn 29.1.1.2005 hat der Kläger die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht. Er hat vorgetragen, die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigung keineswegs die.. endgültige Absicht zur Stilllegung gehabt; der Geschäftsführer habe vielmehr gegenüber der Presse zum Ausdruck gebracht, er hoffe noch auf eine Betriebsnachfolge. Unabhängig davon sei die Kündigungsfrist nicht eingehalten. Es müssten die gesetzlichen Kündigungsfristen zur Anwendung kommen, für ihn als 52-jährigen Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 30 Jahren sieben Monate. Die Kündigung könne daher allenfalls zum 30.06.2006 Wirkung entfalten; bis zu diesem Zeitpunkt müsse die Beklagte das monatliche Entgelt eingeklagt werde zunächst das Januarentgelt zahlen. Selbst wenn der Tarifvertrag eine derart drastische Verkürzung der Kündigungsfristen für ältere Arbeitnehmer aufweise, sei dies nicht wirksam.
Seine ursprüngliche Auffassung, dass die Parteien die Anwendung des zitierten Tarifvertrags nicht vereinbart hätten, hat der Kläger zuletzt nicht mehr aufrechterhalten,
Der Kläger hat im Verfahren vor dem Arbeitsgericht daher zuletzt folgende Anträge gestellt:
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 14.11.2005 nicht zum 31.12.2005 aufgelöst worden ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.700,- € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem gültigen Basiszinssatz aus dem daraus geschuldeten Nettobetrag seit dem 01.02.2006 ZU bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, die Betriebsstillegung sei wegen des Alters und schlechten Gesundheitszustandes des Geschäftsführers sowie wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage erfolgt. An der Gültigkeit der tarifvertraglichen Kündigungsfristen sei nicht zu zweifeln. Tarifverträge stellten ein Ergebnis aus Vor- und Nachteilen dar, das die Tarifparteien auf gleicher. Augenhöhe ausgehandelt hätten. Die eigenständige Regelung von Kündigungsfristen sei in § 622 Abs. 4 S. 2 BGB den Tarifparteien ausdrücklich gestattet. Der Kläger habe auch die Vorteile des Tarifvertrages wie überdurchschnittliches Gehalt und zusätzliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld über all die Jahre in Anspruch genommen. Verlängerte Kündigungsfristen seien im Tarifvertrag für Kleinbetriebe sie selbst habe in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt — nicht vorgesehen.
Der Kläger hat eingewandt, nach herrschender Meinung müsse ein Tarifvertrag wenigstens Abstufungen zwischen der Grundkündigungsfrist und den verlängerten Kündigungsfristen für ältere Arbeitnehmer vorsehen, mit denen dem gesetzgeberischen Gedanken zur Verlängerung der Kündigungsfrist für ältere Arbeitnehmer zumindest entsprechend Rechnung getragen werde.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Endurteil vom 22.03.2006 abgewiesen. Es hat dies im wesentlichen damit begründet, nach dem Sachvortrag der Parteien und der tatsächlich erfolgten Stilllegung sei davon auszugehen, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sei. Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des Kfz-Gewerbes in Bayern sei in zulässiger Weise pauschal in Bezug genommen worden. Die Tarifparteien hätten eine zulässige Regelung über die Geltung von Kündigungsfristen getroffen. Hierzu seien sie nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, der den Tarifparteien umfassende Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt habe, auch befugt. Die Tarifparteien seien bei einer eigenständigen Regelung nicht gezwungen, sich am gesetzlichen Leitbild zu orientieren. Das Ar-
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beitsverhältnis sei daher zum 31.12.2005 beendet worden, so dass auch der Anspruch auf Zahlung des Januargehalts nicht bestehe.
Das Endurteil des Arbeitsgerichts ist den Klägervertretern ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 23.05.2006 zugestellt worden (BL 67 d.A.). Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Vertreter vom 19.06.2006, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 21.06.2006, Berufung eingelegt. Er hat diese Berufung mit am 21.07.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 19.07.2006 begründet.
Der Kläger hat in der Berufung nicht mehr bestritten, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 14.11.2005 beendet worden sei; er vertritt aber weiter die Auffassung, dass die Beendigungswirkung erst zum 30.06.2006 eingetreten sei. Er hat seinen Antrag in der Verhandlung vom 10.10.2006 entsprechend geändert. Der Kläger bezieht sich weiterhin auf die auch von Spilger im Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht vertretene Auffassung, dass die Tarifparteien zwar die Kündigungsfristen für ältere Arbeitnehmer verkürzen dürften; sie dürften sie aber nicht gänzlich abschaffen und auf die Grundkündigungsfrist reduzieren. Dasselbe ergebe sich aus dem Urteil des LAG Hamm vom 02.07.1970, welches ausgeführt habe, ein Abstand zur Regelfrist müsse stets gewahrt sein. Diese Entscheidung sei vom Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 05.08.1971 bestätigt worden. Diese Auffassung werde etwa auch von Wiedemann und Hanau gestützt. Hintergrund sei, dass es die älteren Arbeitnehmer wesentlich schwerer hätten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Hierdurch solle durch die verlängerten Kündigungsfristen wenigstens teilweise ein Ausgleich geschaffen werden. Die Tarifparteien hätten sich an diesem gesetzlichen Leitbild zu orientieren. Wende man die tariflichen Regelungen an, verstoße dies auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil der Kläger als langjährig beschäftigter älterer Arbeitnehmer nicht anders behandelt werde als ein junger und nur ganz kurz beschäftigter Kollege.
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Der Kläger stellt als Berufungskläger daher in der Berufungsinstanz —. unter Zurücknahme des ursprünglich weitergehenden Antrags folgende Anträge:
1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 22.03.2006 wird aufgehoben.
11. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 14.11.2005 nicht mit Wirkung zum 31.12.2005, sondern erst zum 30.06.2006 aufgelöst worden ist.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.700,- € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem gültigen Basiszinssatz aus dem daraus geschuldeten Nettobetrag seit dem 01.02.2006 zu zahlen.
IV. Die Beklagte trägt die. Kosten des Rechtsstreits.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts für zutreffend. Sie führt aus, die von der Beklagten aufgeführten Zitate bezögen sich auf § 622 BGB alte Fassung. Diese Auffassung sei nach der Neuregelung in § 622 Abs. 4 BGB nicht mehr vertretbar. Der Gesetzgeber habe vielmehr gerade klargestellt, dass jegliche Abweichung bei den Kündigungsfristen zulässig sei. Der Kläger habe auch die Vergünstigungen des Manteltarifvertrages (Volltext als Anlage zur Berufungserwiderung, BI. .103 ff. d.A.) in Anspruch genommen; er müsse auch die Nachteile, die der Tarifvertrag enthalte, in Kauf nehmen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Ersturteils vom 22.03.2006 (BI. 60 ff. d.A.), die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 10.10.2006 (BI. 134 ff. d.A.) und die
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zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, weil sie sich gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil richtet (§ 64 Abs. 1 ArbGG). Hinsichtlich des Feststellungsantrages ist ein Beschwerdewert nicht erforderlich (§ 64 Abs. 2 c) ArbGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt insgesamt 600,- Euro (§ 64 Abs. 2 b) ArbGG). Die Berufung ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und
begründet worden (§§ 64 Abs. 6 S..1 ArbGG, 519, 520 WO, 66 Abs. 1 5. 1, S. 2 ArbGG).
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts erweist sich auch hinsichtlich der Kündigungsfrist — über die Berechtigung der Kündigung als solche war mangels entsprechender Berufung nicht mehr zu befinden — als richtig. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufungskammer folgt den sorgfältigen Erwägungen des Arbeitsgerichts, denen sie sich in vollem Umfang anschließt, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Nur ergänzend ist im Hinblick auf die in der Berufung von den Parteien vorgetragenen Argumente noch hinzuzufügen:
1. Der Anspruch des Klägers auf Anwendung der gesetzlichen Kündigungsfristen ergibt sich nicht daraus, dass die Tarifparteien verpflichtet wären, für länger beschäftigte Arbeitnehmer gegenüber den Grundkündigungsfristen längere Kündigungsfristen festzulegen.
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a. Dabei hat die Berufungskammer nach dem vom Kläger nunmehr zugestandenen Sachvortrag davon auszugehen, dass die Arbeitsvertragsparteien die Arbeitsvertragsbedingungen einschließlich der Kündigungsfristen durch Vertrag vom 01.02.1989 auf eine neue. Grundlage gestellt haben. Sie haben übereinstimmend erklärt, diese richteten sich insgesamt nach den Bedingungen der Tarifverträge für die Betriebe des Kraftfahrzeuggewerbes. Sie haben, was dem vorgelegten schriftlichen Vertragstext und dem Schreiben der Beklagten vom 29.05.1995 (a.a.O., BI. 50 f. d.A.) entspricht, auch erklärt, dass die Verweisung auf den gesamten, von der Beklagten vorgelegten Manteltarifvertrag erfolgt sei, dass dessen Bestimmungen insgesamt auf das Arbeitsverhältnis angewandt worden sind. Damit hat die Kammer, worauf schon das Arbeitsgericht hingewiesen hat, von einer nach § 622 Abs. 4 S. 2 BGB wirksamen Vereinbarung der zitierten tariflichen Kündigungsbestimmungen auszugehen.
b. Mit Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass sich aus dem Wortlaut des § 622 Abs. 4 BGB kein Anhaltspunkt für die Pflicht der Tarifparteien, eine bestimmte Regelung zu treffen, ergibt. Der Gesetzgeber hat mit dieser umfassenden Regelung im Jahr 1993 klargestellt, dass „von den Absätzen 1 bis 3 abweichende" Regelungen durch die Tarifpartner getroffen werden können, und zwar auch in Bezug auf Wartezeiten und Kündigungstermine. Die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf (abgedruckt in RdA 1993, 170 ff.) lautet hierzu:
„Nach Absatz 4 Satz 1 kann von den Regelungen über die Grundkündigungsfrist (Absatz 1), die verlängerten Kündigungsfristen (Absatz 2) und die Kündigungsfrist während der Probezeit (Absatz 3) auch zuungunsten des Arbeitnehmers durch Tarifvertrag abgewichen werden. Bereits nach geltendem Recht sind die Grundkündigungsfristen und die Kündigungsfristen während der Probezeit für Arbeiter und Angestellte sowie die verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter dispositiv. Das entspricht dem praktischen Bedürfnis nach Regelungen, die die Besonderheiten einzelner Wirtschaftsbereiche oder Beschäftigungsgruppen berücksichtigen. Insoweit lässt die gesetzliche Neuregelung der Kündigungsfristen auch die bestehenden abweichenden Tarifregelungen unberührt. Als Konsequenz aus der Vereinheitlichung der Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte gilt die Tariföffnung künftig auch für die verlängerten Kündigungsfristen für Angestellte, die derzeit nach dem Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten von 1926 nicht tarifdispositiv sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien — wie bisher von der Möglichkeit abweichender tariflicher Regelungen unter ausreichender Berücksichtigung der Schutzinteressen der Arbeitnehmer Gebrauch machen. Im Vergleich zur gegenwärtigen Fassung des § 622 Abs. 3 BGB bezieht sich die Formulierung der Tariföffnungsklause! nicht nur aus-
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drücklich auf die Regelung der Kündigungsfristen, sondern schließt abweichende Regelungen sowohl hinsichtlich der Kündigungsfristen und der Kündigungstermine als auch der Voraussetzungen, unter denen der Anspruch auf verlängerte Kündigungsfristen entsteht (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Berechnung der Betriebszugehörigkeit ab einem bestimmten Lebensalter) ein. Während nach herrschender Meinung die Nichterwähnung des Begriffs „Kündigungstermin" in der jetzigen Fassung des § 622 Abs. 3 BGB lediglich auf einem Redaktionsversehen beruht, bestehen zumindest nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 29. August 1991, 2 AZR 220/91) Zweifel daran, ob gegenwärtig auch eine vom Gesetz abweichende tarifvertragliche Regelung der für die verlängerten Kündigungsfristen maßgeblichen Wartezeiten (Dauer der Betriebszugehörigkeit) zulässig ist. Die gewählte Formulierung „von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen" stellt klar, dass auch diese Abweichung gemeint ist."
Diese Begründung zeigt, dass es gerade der Wille des Gesetzgebers im Jahr 1993 war, den Tarifparteien die Regelung der Kündigungsfristen vollständig zu überlassen. Dazu gehört auch, wann und unter welchen Uniständen eine verlängerte Kündigungsfrist für länger beschäftigte Arbeitnehmer einzuhalten ist.
c. Soweit sich der Kläger zur Begründung seiner Auffassung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 05,08.1971 beruft (2 AZR 276/70, AP Nr. 10 zu § 622 BGB), erscheint dies als nicht überzeugend. Das BAG beschäftigt sich mit der inzwischen überholten — Neufassung im Jahr 1969. Es hat seine Entscheidung entscheidend auf das Verhältnis der zum 01.09.1969 Wirksamkeit erlangenden Gesetzesänderung 1969 zu damals bereits bestehenden Tarifnormen gestützt. Es hat festgestellt, dass nach der Übergangsvorschrift in Art. 6 Abs. .2 des Ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes durch Beschränkung der Übergangsregelung auf Satz 1 in § 622 Abs. 2 BGB in der Fassung von 1969 klargestellt sei, dass die Kündigungsfristen in schon bisher geltenden Tarifverträgen nur bei Grundkündigungsfristen Anwendung fänden, wenn sie gegenüber der neuen gesetzlichen Regelung kürzer seien; tariflich schon früher vereinbarte, gegenüber dem neuen Gesetz kürzere Kündigungsfristen für länger beschäftigte Arbeitnehmer seien dagegen nicht mehr anzuwenden. Eine Äußerung dahingehend, Tarifverträge könnten die Kündigungsfristen für länger beschäftigte Arbeitnehmer in Ansehung des neu-
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en Gesetzes nicht ganz anders regeln oder gar beseitigen, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen.
Die in der gesetzlichen Übergangsvorschrift zum Ausdruck kommende Unterscheidung zwischen den Grundkündigungsfristen und den Kündigungsfristen für länger beschäftigte Arbeitnehmer erscheint auch als logisch nachvollziehbar. Durch die genannte Gesetzesänderung wurden solche verlängerten Kündigungsfristen für länger beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer erst als zwingend eingeführt Diese gesetzliche. Wertentscheidung konnte den Tarifpartnern bei schon früher abgeschlossenen Tarifverträgen nicht gewärtig sein. Den Tarifpartnern sollte — und nur dieser Inhalt lässt sich aus dem vom Kläger zitierten letzten Abschnitt der Entscheidungsgründe entnehmen — durch die Beschränkung der Übergangsvorschrift aufgegeben werden, „der gesetzlich zum Ausdruck kommenden Tendenz.... durch neue Tarifverträge im. Rahmen des jeweiligen Gewerbezweiges Rechnung" zu tragen. Dies bedeutet eine Obliegenheit der Tarifpartner, eine Neuregelung in Ansehung der neuen gesetzgeberischen Wertentscheidung zu treffen. Eine Einschränkung der Tarifautonomie für solche unter Ansehung der 1969 neu geschaffenen gesetzlichen Regelung kann die Kammer hierin nicht erkennen.
Wiedemann führt demzufolge in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung (Anm. in AP, a.a.O.) auch aus, es sei „bemerkenswert, dass der Senat auf die ... Argumentation ... des LAG Hamm" nicht eingegangen sei, dass nämlich von dem Prinzip, dass älteren Arbeitnehmern auch eine verlängerte Kündigungsfrist zugebilligt werden müsse, auch tarifvertraglich nicht abgewichen werden dürfe. Wiedemann meint aber dennoch, die tariflichen Kündigungsfristen müssten „gleichwertigen" Schutz vorsehen. Der Abstand der Kündigungsfristen des Satzes 2 jetzt .§ 622 Abs. .2 BGB — von der. Regelfrist müsse erhalten bleiben.
Dem kann nicht zugestimmt werden. Abgesehen davon, dass eine solche Bindung der Tarifparteien nach „Leitidee des Gesetzgebers" nur
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schwer praktikabel wäre, kommt dieser Gedanke in der im Jahr 1969 getroffenen gesetzlichen Regelung in keiner Weise zum Ausdruck. Allenfalls die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung „kürzere ... Kündigungsfristen", also nicht Termine und Wartezeiten, die man möglicherweise als Einschränkung interpretieren konnte, könnte auf einen entsprechenden Willen hindeuten — dazu würde man die Konstruktion, dass die Tarifparteien nicht von der gesetzlichen „Leitidee" abweichen dürften, aber nicht benötigen. Gerade diesen Wortlaut hat der Gesetzgeber durch die zitierte Neuregelung des Jahres 1993 aber ausdrücklich in dem Sinne geändert, dass eine solche Einschränkung nicht gemeint sei. Im übrigen spricht neben der bei einer solchen Lösung bestehenden Rechtsunsicherheit — es bliebe unklar, was den Tarifpartnern im einzelnen erlaubt oder verboten wäre, wie auch Wiedemann einräumt — nichts dafür, dass eine solche „ungeschriebene" Einschränkung der. Befugnisse der Tarifparteien vom Gesetzgeber beabsichtigt war, auch und gerade im Hin¬blick .auf die den Tarifparteien zustehende. Tarifautonomie.
Schließlich muss davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber die Auffassung des LAG Hamm und die abweichenden Auffassungen in der Literatur Wiedemann, a.a.O., einerseits, Richardi ZfA 1971, 73 ff. andererseits — bei der umfassenden Neuregelung im Jahr 1993 bekannt gewesen sind. Er hat die Neuregelung im Jahr 1993 gerade zu diesem Punkt aber getroffen, ohne eine solche Einschränkung zu normieren oder — etwa in der Begründung zum Gesetzentwurf — auch nur auf diese mögliche Einschränkung hinzuweisen. Auch dies spricht gegen den Willen des Gesetzgebers zur „ungeschriebenen" Einschränkung der Tarifautonomie.
d. Die Kammer folgt den vom Kläger zitierten abweichenden Auffassungen insbesondere KR-Spilger, Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht, 7, Aufl.. 2004, § 622 BGB Rn. 214 mit weiteren Nachweisen — daher nicht. Sie schließt sich vielmehr denjenigen Autoren an, die eine solche Einschränkung nicht erkennen (vgl. insbesondere Linck in Ascheid/
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Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 2. Aufl. 2004, § 622 BGB Rn. 113; Müller-Gläge in ErfKomm., 7. Aufl. 2007, § 622 BGB Rri. 42 f.; Müller-Glöge in Festschrift für Schaub, München, 1998, S. 497 ff.; Erman-Belling, BGB, 11. Aufl. 2004, § 622 Rn. 12 f.; Preis in. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl. 2005, Rn. 524 ff.; Wiedemann, TVG, 6. Aufl. 1999, § 1 .Rn. 543 ff.; Linck in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl. 2005,.§ 124 Rn, 45; Palandt-Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. 2007, § 622 Rn. 20; Wank, NZA 1993, 961, 965; Bauer/Rennpferdt, AR-Blattei SD Kündigung V Rn. 42 ff.). Die Tarifparteien sind in ihrer Gestaltungsmacht auch hinsichtlich längerer Kündigungsfristen nicht eingeschränkt.
e. Diese Tarifautonomie gilt erst recht angesichts dessen, dass die Tarifparteien im vorliegenden Tarifvertrag nicht einfach die verlängerten Kündigungsfristen pauschal für alle Arbeitnehmer beseitigt haben. Sie haben vielmehr eine differenzierte Regelung getroffen, haben sowohl hinsichtlich der Grundkündigungsfrist als auch hinsichtlich verlängerter Kündigungsfristen eigenständige Regelungen festgelegt. Sie haben allerdings diese verlängerten Regelungen nur für Betriebe mit mindestens 20 Beschäftigten getroffen. Dabei war ihnen die Tatsache, dass es in solchen Kleinbetrieben bei der Grundkündigungsfrist verblieb — dies zeigt der Zusatz „in Betrieben/Betriebsstätten mit weniger als 20 Arbeitnehmern können längere Kündigungsfristen vereinbart werden" auch bewusst; die Differenzierung war von ihnen gewollt. Die Argumentation mit der „gesetzlichen Leitidee", welche ein Absehen von verlängerten Fristen verbiete, trifft auf den vorliegenden in Bezug genommenen Tarifvertrag daher gar nicht zu.
2. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG, an den auch die Tarifparteien gebunden sind. Die Tarifparteien haben hier zwischen kleineren Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern und größeren Betrieben differenziert. Sie haben allerdings mit der Beibehaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Schluss eines Kalendermo-
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nats von vornherein eine gegenüber der gesetzlichen Regelung längere Grundkündigungsfrist und hierdurch einen weitergehenden Schutz für die. Arbeitnehmer. geschaffen. Die Differenzierung nach der Betriebsgröße begegnet unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative der Tarifparteien und ihrem weiten Gestaltungsspielraum keinen Bedenken. Auch der Gesetzgeber hat in § 622 Abs. 5 S..1 Nr. 2 BGB -- allerdings für die Grundkündigungsfrist — selbst auf das Größenmaß von zwanzig beschäftigten Arbeitnehmern abgestellt, Er hat damit selbst zum Ausdruck gebracht, dass in Kleinbetrieben ein Bedürfnis an flexibleren Regelungen bestehen kann. Der Gesetzgeber differenziert zugunsten der Kleinbetriebe auch in anderen Vorschriften, etwa im Hinblick auf das Eingreifen des Kündigungsschutzes erst ab einer bestimmten Betriebsgröße (§ 23 KSchG).. Diese Differenzierung ist vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt worden (Beschluss vom 27.01.1998, 1 BvL 15/87, EzA § 23 KSchG Nr. 17). Auch das Bundesarbeitsgericht weist ausdrücklich darauf hin, dass es „nicht ernsthaft zu bezweifeln" sei, dass sich beim Kleinbetriebsinhaber die durch das KSchG herbeigeführte Einschränkung der Vertragsfreiheit persönlich und finanziell stärker auswirken kann als beim Inhaber. eines Mittel- oder Großbetriebes (Urteil vom 19.04.1990, 2 AZR 487/89, EzA § 23 KSchG Nr, 8). Auf weitere Differenzierungen, in denen der Gesetzgeber die Notwendigkeit zu flexibleren und weniger belasteten Regelungen in Kleinbetrieben abstellt - etwa § 99 Abs. 1 oder § 111 ff. BetrVG — sei hingewiesen. Die Kammer kann keinen Grund dafür erkennen, dass diese vom Gesetzgeber selbst gewählte Differenzierung den Tarifparteien verboten wäre. Vieles spricht dafür, dass auch im Bereich des Kraftfahrzeuggewerbes, in dem vielfach Kleinbetriebe existieren, von den Tarifparteien ein starkes Bedürfnis für Flexibilität dieser Kleinbetriebe auch im Hinblick auf die Möglichkeit, bei Konjunkturschwankungen auch hinsichtlich länger Beschäftigter eine schnellere Trennung herbeiführen zu können, ohne die Existenz des Betriebes zu gefährden, erkannt und berücksichtigt worden ist.
Unabhängig davon kann die Kammer nicht erkennen, welche Regelung die Tarifparteien getroffen hätten, wäre die Differenzierung tatsächlich gleich-
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heitswidrig. Nach dem Vortrag der .Parteien ist nicht einmal klar, in welchem Umfang die Regelungen für kleine Betriebe unter 20 Arbeitnehmern und für größere Betriebe im Kfz-Gewerbe zum Tragen kommen. Nach Auffassung der Kammer liegt es nicht fern, dass es in diesem Gewerbe weit mehr Klein-als Großbetriebe gibt. Es erscheint als fraglich, ob eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in einem solchen Fall dazu führen würde, dass die für die große Mehrheit der betroffenen Arbeitnehmer geltenden Regelungen unwirksam wären.
3. Nach alldem ist das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2005 beendet worden. Dem Kläger steht auch die Vergütung für Januar 2006 nicht mehr zu. Das Urteil des Arbeitsgerichts erweist sich als richtig, so dass die Berufung — soweit sie aufrechterhalten worden ist zurückzuweisen ist.
4. Der Kläger, Berufungskläger, hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO).
Die Zulassung der Revision ist veranlasst wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Vielzahl möglicher betroffener Arbeitsverhältnisse.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil kann vorn Kläger Revision eingelegt werden.
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Die Revision muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung dieses Urteils beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz .1, 99084 Erfurt (Telefax-Nr. 0361/2636.— 20 00) eingelegt werden.
Die Revision muss innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich begründet werden.
Die Revisions- und die Revisionsbegründungsschrift müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Vetter Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht
Haller Ehrenamtlicher Richter
Beer Ehrenamtlicher Richter
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