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LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 24.06.2009, 12 Sa 336/09

   
Schlagworte: Kündigung: Fristlos, Betriebsrat: Anhörung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen: 12 Sa 336/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.06.2009
   
Leitsätze: Im Falle der erstmaligen Wahl eines Betriebsrats ist der Arbeitgeber nicht schon ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses, sondern erst mit Konstituierung des Betriebsrats verpflichtet, diesen zu einer Kündigung anzuhören.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Wuppertal, Urteil vom 26.02.2009, 6 Ca 2028/08
   

12 Sa 336/09

6 Ca 2028/08
Ar­beits­ge­richt Wup­per­tal  

Verkündet

am 24. Ju­ni 2009

Es­ser
Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

 

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT DÜSSEL­DORF

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

des Herrn B. L., L. berg 17, X.,

- Kläger und Be­ru­fungskläger -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te: Rechts­anwälte Dr. C. & Kol­le­gen,
Q. str. 16, S.,

g e g e n

die X. T. GmbH & Co. KG, die­se ver­tre­ten durch die T. GmbH, die­se ver­tre­ten durch die Geschäftsführe­rin N.-M. L., U. 6 - 8, S.,

- Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te: Rechts­anwälte F. & L.,
X. 39, X.,

hat die 12. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 24.06.2009
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. Plüm als Vor­sit­zen­den so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Fran­zen und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schem­berg

für R e c h t er­kannt:

Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Wup­per­tal vom 26.02.2009 wird kos­tenfällig zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

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G R Ü N D E :

1. Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung.

Der Kläger war seit 1985 als La­ger­lei­ter bei der Be­klag­ten, die ein Au­to­haus in S. be­treibt, beschäftigt.

Am 19.06.2008 wähl­te die Be­leg­schaft erst­mals ei­nen Be­triebs­rat. Das Wahl­er­geb­nis des sie­benköpfi­gen Be­triebs­rats wur­de in ei­nem der vier Be­triebs­tei­le am 19.06.2000, in den übri­gen Be­triebs­tei­len am 20.06.2008 be­kannt­ge­macht. Am 20.06.2008 er­hielt die Ar­beit­ge­be­rin auch ei­ne Ab­schrift der Wahl­nie­der­schrift. Die kon­sti­tu­ie­ren­de Sit­zung des sie­benköpfi­gen Be­triebs­rats fand am 26.06.2008 statt.

Am 23.08.2008 er­fuhr die Be­klag­te, dass der Kläger und der Be­triebs­lei­ter K. seit dem Jahr 2003 mit­tels fin­gier­ter Kun­den­gut­schrif­ten Kas­sen­aus­zah­lun­gen ver­an­lass­ten und selbst ver­ein­nahm­ten. Der Kläger gab die „Ba­rent­nah­men“, von der Be­klag­ten auf ins­ge­samt € 138.840,42 be­zif­fert, dem Grun­de nach ge­genüber der Be­klag­ten zu, wo­bei er gel­tend mach­te, die Beträge meis­tens an den K. wei­ter­ge­lei­tet zu ha­ben. Wei­ter­hin räum­te er ein, mehr­fach sei­nen Pri­vat­wa­gen und den sei­ner Ehe­frau an der fir­men­ei­ge­nen Tank­an­la­ge be­tankt zu ha­ben so­wie aus dem Be­trieb Ar­ti­kel wie Toi­let­ten­pa­pier und Küchen­rol­len mit­ge­nom­men zu ha­ben. Sch­ließlich wirft die Be­klag­te dem Kläger vor, auf Fir­men­kos­ten bei Lie­fe­ran­ten lie­fer­scheinmäßig an­ders aus­ge­wie­se­ne, je­doch für ihn und den K. pri­vat be­stimm­te Wa­ren im Wert von € 77.008.00 be­stellt zu ha­ben. Zu der Be­stel­lung der Fer­ra­ri-Rei­fen trägt der Kläger vor, von K. an­ge­wie­sen wor­den zu sein, die Rei­fen für des­sen Pri­vat­fahr­zeug zu be­stel­len.

Mit Schrei­ben vom 23.06.2008, am 24.06.2008 zu­ge­gan­gen, erklärte die Be­klag­te dar­auf­hin die frist­lo­se Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses.

 

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Mit der am 04.07.2008 beim Ar­beits­ge­richt Wup­per­tal ein­ge­reich­ten Kündi­gungs­schutz­kla­ge hat der Kläger gerügt, dass, was un­strei­tig ist, der am 19.06.2008 gewähl­te Be­triebs­rat nicht zur Kündi­gung an­gehört wor­den sei, und sich zur Anhörungs­pflicht auf das BAG-Ur­teil vom 28.09.1983 – 7 AZR 266/82 – EzA Nr. 56 zu § 102 Be­trVG 1972 be­zo­gen. Die Be­klag­te hat ih­rer­seits un­ter Hin­weis auf das BAG-Ur­teil vom 23.09.1984 – 6 AZR 520/82 – EzA Nr. 59 zu § 102 Be­trVG 1972 ei­ne Anhörungs­pflicht ne­giert und seit­her da­von ab­ge­se­hen, un­ter Anhörung des Be­triebs­rats vor­sorg­lich dem Kläger er­neut zu kündi­gen.

Das Ar­beits­ge­richt hat durch Ur­teil vom 26.02.2009 die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­ten und be­gründe­ten Be­ru­fung greift der Kläger das Ur­teil, auf das hier­mit zur nähe­ren Dar­stel­lung des Sach- und Streit­stan­des ver­wie­sen wird, al­lein mit dem Ein­wand an, dass die Kündi­gung man­gels vor­he­ri­ger Be­triebs­rats­anhörung un­wirk­sam sei. Er be­an­tragt die Abände­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils und Statt­ga­be der Kla­ge. Die Be­klag­te ver­tei­digt das Ur­teil und be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Be­ru­fung.

We­gen der Ein­zel­hei­ten des Par­tei­vor­brin­gens wird auf den In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze mit den hier­zu über­reich­ten An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

2. Die Be­ru­fung hat kei­nen Er­folg. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Kam­mer macht sich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG die zu­tref­fen­den Ent­schei­dungs­gründe des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils zu ei­gen. Auf die An­grif­fe der Be­ru­fung ist le­dig­lich das Fol­gen­de an­zufügen.

Nach herr­schen­der Mei­nung (BAG 23.09.1984, a.a.O., LAG Hamm 20.05.1999, 4 Sa 1989/98, Zin­sO 1999, 362 f., Fit­ting, Be­trVG, 24. Aufl., § 102 Rn. 7 Wlotz­ke/Preis, Be­trVG, 3. Aufl., § 102 Rn. 12, Löwisch/Kai­ser, Be­trVG, 5. Aufl., § 102 Rn. 1, TLL/Thüsing, KSchG, § 102 Be­trVG Rn 10, Et­zel, HzA, Grup­pe 19, Rn. 821, Heit­her, AR-Blat­tei SD 530.143, Rn. 532) be­ginnt die Anhörungs­pflicht erst mit Kon­sti­tu­ie­rung des Be­triebs­rats: Bis zu die­sem Zeit­punkt sei der

 

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Be­triebs­rat funk­ti­ons­unfähig. Oh­ne Vor­sit­zen­den und Ver­tre­ter feh­le es an ei­nem Ab­sen­der und Adres­sat von Erklärun­gen gemäß § 26 Abs. 2 Be­trVG. Die Ob­lie­gen­heit, das Gre­mi­um als Gan­zes zu un­ter­rich­ten, stoße auf unüber­wind­li­che recht­li­che und prak­tisch Pro­ble­me.
Letz­te­res will ei­ne Min­der­mei­nung (Wie­se, Anm. EzA Nr. 58 zu § 102 Be­trVG 1972 , APS/L., 3. Aufl., § 102 Be­trVG Rn. 45, DKK/Kitt­ner/Bach­ner, Be­trVG, 10. Aufl., § 102 Rn. 30, Näge­le, Ha­Ko-KSchR, 3. Aufl., § 102 Be­trVG Rn. 13) zur Ver­mei­dung ei­ner ge­setz­li­chen Schutzlücke nicht gel­ten las­sen: Nach § 21 Satz 2 Be­trVG be­gin­ne die Amts­zeit des Be­triebs­rats mit Be­kannt­ga­be des Wahl­er­geb­nis­ses bzw. Ab­lauf der Amts­zeit des vor­he­ri­gen Be­triebs­rats; das Gre­mi­um als Gan­zes sei ab die­sem Zeit­punkt auch hand­lungsfähig.

Die Kam­mer folgt dem Ge­set­zes­verständ­nis der vor­herr­schen­den Rechts­mei­nung. Rich­tig ist, dass hier­nach zwar ei­ne „Schutzlücke“ zwi­schen Amts­be­ginn (§ 21 Satz 2 Be­trVG) und kon­sti­tu­ie­ren­der Sit­zung (§ 29 Abs. 1 Be­trVG) ent­ste­hen kann. Je­doch ist die­se Lücke, die sich ins­be­son­de­re im Fall der erst­ma­li­gen Wahl ei­nes Be­triebs­rats auf­tun kann, ge­set­zes­im­ma­nent, weil der Ar­beit­ge­ber bzw. die zu sei­ner Ver­tre­tung be­rech­tig­ten Per­so­nen nach § 26 Abs. 2 Be­trVG auf Sei­ten des Be­triebs­rats eben­falls zur Ver­tre­tung be­ru­fe­ne Per­so­nen vor­fin­den sol­len. In der Pra­xis kann im übri­gen die Schutzlücke da­durch mi­ni­miert wer­den, dass der Wahl­vor­stand die kon­sti­tu­ie­ren­de Sit­zung un­mit­tel­bar der Be­kannt­ga­be des Wahl­er­geb­nis­ses nach­fol­gen lässt (DKK/Wed­de, § 29 Rn. 6). Die Kon­sti­tu­ie­rung liegt in der Sphäre des Be­triebs­rats bzw. Wahl­vor­stan­des, de­nen es übe­r­ant­wor­tet ist, recht­zei­tig für ei­nen funk­ti­onsfähi­gen Be­triebs­rat zu sor­gen (SPV/Preis, Kündi­gung und Kündi­gungs­schutz im Ar­beits­verhält­nis, 9. Aufl., Rn 360).
Dem Ar­beit­ge­ber wird be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz­lich nicht ab­ver­langt, die Kon­sti­tu­ie­rung des Be­triebs­rats ab­zu­war­ten, um die­sen vor ei­ner be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung an­zuhören. Ab­ge­se­hen von der Erwägung, dass ein Zu­war­ten mit der Kündi­gung hin­sicht­lich der Wah­rung der Aus­schluss­frist des § 626 BGB oder des nächstmögli­chen Kündi­gungs­ter­mins un­tun­lich sein kann, und von der Un­ge­wiss­heit, ob bzw. wann es zu ei­ner er­folg­rei­chen Kon­sti­tu­ie­rung des

 

- 5 -

Be­triebs­rats kommt, würde sich der Ar­beit­ge­ber, der zur frist­lo­sen Kündi­gung be­rech­tigt ist, durch Ab­war­ten (Ver­zugs)Lohn­ansprüchen aus­set­zen.

Ob er Ar­beit­ge­ber nach § 2 Abs. 1 Be­trVG in Aus­nah­mefällen ge­hal­ten sein kann, die kon­sti­tu­ie­ren­de Sit­zung ab­zu­war­ten, be­darf hier kei­ner Klärung. Es lie­gen kei­ne Umstände vor, die es der Be­klag­ten als ge­bo­ten er­schei­nen las­sen muss­ten, sich zunächst mit et­wai­gen Einwänden des Be­triebs­rats aus­ein­an­der­zu­set­zen, be­vor sie die Kündi­gung aus­spre­chen würde.

3. Die Kos­ten der Be­ru­fung hat nach § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tra­gen.

Die Kam­mer hat der ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG grundsätz­li­che Be­deu­tung bei­ge­mes­sen und da­her für den Kläger die Re­vi­si­on an das Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­sen.

RECH­TSMIT­TEL­BE­LEH­RUNG

Ge­gen die­ses Ur­teil kann vom Kläger

R E V I S I O N

ein­ge­legt wer­den.

Für die be­klag­te Par­tei ist ge­gen die­ses Ur­teil kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Not­frist* von ei­nem Mo­nat schrift­lich beim

Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt

Fax: 0361 2636 2000

ein­ge­legt wer­den.

Die Not­frist be­ginnt mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss von ei­nem Be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

 

- 6 -

1. Rechts­anwälte,
2. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
3. Ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der in Num­mer 2 be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­rer Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.

In den Fällen der Zif­fern 2 und 3 müssen die Per­so­nen, die die Re­vi­si­ons­schrift un­ter­zeich­nen, die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

Ei­ne Par­tei, die als Be­vollmäch­tig­ter zu­ge­las­sen ist, kann sich selbst ver­tre­ten.

* ei­ne Not­frist ist un­abänder­lich und kann nicht verlängert wer­den.

 

Dr. Plüm 

Fran­zen 

Schem­berg

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