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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/033

OT-Mit­glied­schaft: BVerfG ent­schei­det zur Mit­glied­schaft oh­ne Ta­rif­bin­dung

BVerfG bil­ligt BAG-Recht­spre­chung zur OT-Mit­glied­schaft im Ar­beit­ge­ber­ver­band: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 01.12.2010, 1 BvR 2593/09
Münzen, Münzhaufen Das BVerfG äu­ßert sich zu OT-Mit­glied­schaf­ten
16.02.2011. Ar­beit­ge­bern ist es un­be­nom­men, Mit­glied ei­nes Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des zu wer­den, oh­ne sich zur An­wen­dung der gel­ten­den Ver­bands­ta­rif­ver­trä­ge zu ver­pflich­ten (sog. OT-Mit­glied­schaft, Mit­glied­schaft oh­ne Ta­rif­bin­dung). Doch dür­fen Un­ter­neh­men Ein­fluss auf die Kün­di­gung oder den Ab­schluss von Ta­rif­ver­trä­gen neh­men, oh­ne selbst zur ta­rif­li­chen Zah­lung ver­pflich­tet zu sein?

Da­zu hat sich nun­mehr das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ge­äu­ßert (BVerfG, Be­schluss vom 01.12.2010, 1 BvR 2593/09) und da­mit die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) ab­ge­seg­net. Da­nach ist ei­ne OT-Mit­glied­schaft zu­läss­sig, doch muss in den Sat­zun­gen der Ver­bän­de ei­ne strik­te Tren­nung der Rech­te und Pflich­ten von Voll­mit­glie­dern und sol­cher oh­ne Ta­rif­bin­dung vor­ge­nom­men wer­den. Die­ser Um­stand kann je­doch er­heb­li­che Schwie­rig­kei­ten be­rei­ten, wie das vom BAG ent­schie­de­ne Aus­gangs­ver­fah­ren (BAG, Ur­teil vom 22.04.2009, 4 AZR 111/08) zeigt.

Recht­li­che Zulässig­keit von Mit­glied­schaf­ten oh­ne Ta­rif­bin­dung (OT-Mit­glied­schaft)

Seit vie­len Jah­ren ha­ben Ar­beit­ge­ber die Möglich­keit, Mit­glied ei­nes Ar­beit­ge­ber­ver­bands zu sein, oh­ne an die von ihm ver­ein­bar­ten Ta­rif­verträge ge­bun­den zu sein bzw. die­se an­wen­den zu müssen. In vie­len Ar­beit­ge­ber­verbänden kann man nämlich Mit­glied oh­ne Ta­rif­bin­dung sein (sog. „OT-Mit­glied­schaft“). Da den Ar­beit­ge­bern da­mit die Ser­vice­leis­tun­gen des Ver­ban­des zur Verfügung ste­hen, ei­ne An­wen­dung der oft als zu teu­er emp­fun­de­nen Ver­bands­ta­rif­verträge aber nicht nötig ist, ma­chen v.a. klei­ne­re Un­ter­neh­men im­mer wie­der von die­ser Form der Mit­glied­schaft Ge­brauch.

Kri­tik an die­ser Mit­glied­schafts­form kommt von den Ge­werk­schaf­ten. Die OT-Mit­glied­schaft leis­tet der Ero­si­on des Flächen­ta­rif­ver­tra­ges Vor­schub und trägt nicht ge­ra­de zu kla­ren Verhält­nis­sen bei, da Außen­ste­hen­de nicht wis­sen können, ob ein Ver­bands­mit­glied auch an die Ver­bands­ta­ri­fe ge­bun­den ist oder nicht.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schied trotz die­ser Kri­tik, dass die OT-Mit­glied­schaft im Prin­zip recht­lich zulässig ist (Be­schluss vom 18.07.2006, 1 ABR 36/05). Al­ler­dings, so das BAG in ei­ner Rei­he von Fol­ge­ent­schei­dun­gen, müssen die Ar­beit­ge­ber­verbände in ih­ren Sat­zun­gen aus­drück­lich und in al­ler Klar­heit zwi­schen den Rech­ten der Voll­mit­glie­der und den Be­fug­nis­sen der OT-Mit­glie­der un­ter­schei­den. Trennt die Sat­zung ei­nes Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des nicht deut­lich ge­nug zwi­schen die­sen bei­den Mit­glied­schafts­for­men, sind auch (ver­meint­li­che) OT-Mit­glie­der an die Ver­bands­ta­rif­verträge ge­bun­den. Wich­tig sind dem BAG vor al­lem sat­zungsmäßige Re­ge­lun­gen, die ver­hin­dern, dass OT-Mit­glie­der Ein­fluss auf ta­rif­ver­trags­be­zo­ge­ne Ent­schei­dun­gen des Ver­ban­des neh­men können. Nur Voll­mit­glie­der dürfen ent­schei­den, ob ein Ta­rif­ver­trag gekündigt, ob ein neu­er Ta­rif­ver­trag ab­ge­schlos­sen wer­den und ob man in ei­nen Ar­beits­kampf ein­tre­ten soll­te.

Die­se Vor­ga­ben bzgl. der Ge­stal­tung der Ar­beit­ge­ber­ver­bands­sat­zun­gen grei­fen al­ler­dings in die Ko­ali­ti­ons­frei­heit (Art.9 Abs. 3 Grund­ge­setz - GG) der Ar­beit­ge­ber und ih­rer Verbände ein. Sol­len die­se Ein­grif­fe nicht ver­fas­sungs­wid­rig sein, müssen sie er­for­der­lich und an­ge­mes­sen, d.h. „verhält­nismäßig“ sein. Das ist, so das BAG, der Fall, denn an­dern­falls würde die OT-Mit­glied­schaft die „Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie“ stören.

Ar­beit­ge­ber, die ei­ne sat­zungs­gemäß vor­ge­se­he­ne OT-Mit­glied­schaft gewählt ha­ben und in­fol­ge der stren­gen An­for­de­run­gen, die das BAG an die Ver­bands­sat­zun­gen stellt, recht­lich wie Voll­mit­glie­der be­han­delt wer­den und da­her die Ver­bands­ta­riflöhne zah­len müssen, wer­den die­se Sicht­wei­se verständ­li­cher­wei­se nicht tei­len. So ein Me­tall­ar­beit­ge­ber, der OT-Mit­glied sei­nes Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des sein woll­te und im Jah­re 2009 den­noch vom BAG zur wei­te­ren An­wen­dung der Ver­bands­ta­rif­verträge ver­ur­teilt wor­den war. Die­ses BAG-Ur­teil vom 22.04.2009 (4 AZR 111/08) woll­te er nicht auf sich be­ru­hen las­sen und leg­te da­ge­gen Ver­fas­sungs­be­schwer­de beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ein. Über die­se Be­schwer­de hat das BVerfG nun­mehr be­fun­den (Be­schluss vom 01.12.2010, 1 BvR 2593/09).

Ein OT-Mit­glied mit Ein­fluss auf die Ar­beits­kampf­kas­se – zu Recht?

Der Ar­beit­ge­ber­ver­band Rem­scheid bie­tet sei­nen Mit­glie­dern in sei­ner Sat­zung die Möglich­keit ei­ner OT-Mit­glied­schaft. Um­ge­setzt wird die OT-Mit­glied­schaft in­dem, gemäß Sat­zung, nur die­je­ni­gen Mit­glie­der an die Ver­bands­ta­rif­verträge ge­bun­den sein sol­len, die auch den sog. Fach­grup­pen des Ver­bands an­gehören. Dem­ent­spre­chend ist in der Sat­zung vor­ge­se­hen, dass ta­rif­po­li­ti­sche Fra­gen vom Ta­rif­bei­rat der je­wei­li­gen Fach­grup­pe ent­schie­den wer­den. Al­ler­dings sah die Sat­zung auch ei­nen Un­terstützungs­fonds vor. Die­ser dien­te (auch) als Ar­beits­kampf­kas­se, doch war er nicht den Fach­grup­pen un­ter­stellt, son­dern un­mit­tel­bar dem Ver­bands­vor­stand. In­fol­ge­des­sen konn­ten mögli­cher­wei­se auch OT-Mit­glie­der über die Ver­wen­dung der Gel­der des Un­terstützungs­fonds mit­ent­schei­den.

2005 kündig­te ein Ma­schi­nen­bau­un­ter­neh­men, das et­wa 100 Ar­beit­neh­mer beschäftigt, sei­ne Mit­glied­schaft in der Fach­grup­pe Me­tall zum 30. Ju­ni. Seit­dem wur­de es als OT-Mit­glied geführt. Im De­zem­ber 2006 ver­ein­bar­te der Ar­beit­ge­ber mit ei­nem Ar­beit­neh­mer die Erhöhung der Wo­chen­ar­beits­zeit. Sie hat­te bis­lang ent­spre­chend den ein­schlägi­gen ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen 35 St­un­den be­tra­gen und wur­de nun­mehr ar­beits­ver­trag­lich auf 40 St­un­den an­ge­ho­ben, und zwar oh­ne Vergütungs­aus­gleich. Der Ar­beit­neh­mer trat kur­ze Zeit später der In­dus­trie­ge­werk­schaft Me­tall (IG Me­tall) bei.

Als frisch­ge­ba­cke­nes Ge­werk­schafts­mit­glied ver­lang­te er un­ter Hin­weis auf die gel­ten­den, von der IG Me­tall ab­ge­schlos­se­nen, Me­tall­ver­bands­ta­rif­verträge Be­zah­lung von 129 Ar­beits­stun­den. Die­se St­un­den er­rech­ne­ten sich aus der Dif­fe­renz zwi­schen der im Ta­rif­ver­trag ge­re­gel­ten 35-St­un­den-Wo­che und der im De­zem­ber 2006 ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten 40-St­un­den-Wo­che in der Zeit von No­vem­ber 2006 bis April 2007. Nach­dem der Ar­beit­ge­ber Zah­lung ver­wei­ger­te, zog der Ar­beit­neh­mer vor Ge­richt.

Das BAG gab der Kla­ge statt. Das Ma­schi­nen­bau­un­ter­neh­men sei trotz des Aus­tritts aus der Fach­grup­pe Me­tall wei­ter­hin ta­rif­ge­bun­den, so das BAG. Denn in­dem die Sat­zung des Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des Rem­scheid nicht aus­sch­ließt, dass OT-Mit­glie­der über den Un­terstützungs­fonds und da­mit die (mögli­che) Ar­beits­kampf­kas­se mit­ent­schei­den, trennt sie nicht klar ge­nug zwi­schen den Rech­ten der Voll­mit­glie­der und de­nen der OT-Mit­glie­der. Oh­ne ei­ne sol­che Tren­nung war die vom Ar­beit­ge­ber gewähl­te OT-Mit­glied­schaft recht­lich nicht wirk­sam.

Durch die­se Ent­schei­dung sah sich der Ar­beit­ge­ber in sei­nen ver­fas­sungsmäßigen Rech­ten ver­letzt, ins­be­son­de­re sei­ner aus Art. 9 Abs. 3 GG fol­gen­den Ko­ali­ti­ons­frei­heit. Die­ses Frei­heits­recht ga­ran­tiert nicht nur das Recht ei­ner Ko­ali­ti­on bei­zu­tre­ten und dar­in zu ver­blei­ben, son­dern auch die Frei­heit, ei­nen Mit­glied­schafts­sta­tus zu wählen, der hin­ter der Voll­mit­glied­schaft mit Ta­rif­bin­dung zurück­bleibt. Die­ses Wahl­recht hat­te der Ver­band nach An­sicht des BAG mißach­tet, in­dem es die vom Ar­beit­ge­ber gewähl­te OT-Mit­glied­schaft im Er­geb­nis ei­ner Voll­mit­glied­schaft mit Ta­rif­bin­dung gleich­ge­stellt hat.

Sat­zungsmäßige Be­schränkun­gen von OT-Mit­glie­dern als Ein­griff in die Grund­rech­te?

Da die Ver­fas­sungs­be­schwer­de kei­ne Aus­sicht auf Er­folg hat­te, nahm das BVerfG sie nicht zur Ent­schei­dung an. Da­bei konn­te es of­fen­blei­ben, ob das BAG mit dem vom Be­schwer­deführer an­ge­grif­fe­nen Ur­teil in des­sen Grund­rech­te ein­ge­grif­fen hat­te oder nicht. Denn auch dann, wenn das BAG-Ur­teil in die Ko­ali­ti­ons­frei­heit des Ma­schi­nen­bau­un­ter­neh­mens ein­ge­grif­fen ha­ben soll­te, wäre ein sol­cher Ein­griff ge­recht­fer­tigt, da sich das BAG da­bei an der „Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie“ ori­en­tiert hat­te und da­mit, so das BVerfG, an ei­nem von der Ver­fas­sung selbst vor­ge­ge­be­nen Ziel.

Die Ent­schei­dungs­gründe des BVerfG sind zwar knapp ge­hal­ten, zei­gen aber, dass das BVerfG mit den Kern­aus­sa­gen der BAG-Recht­spre­chung übe­rein­stimmt. Die Ta­rif­po­li­tik ei­nes Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des, d.h. so­wohl sein Ver­hal­ten in Ta­rif­ver­hand­lun­gen, als auch die Ent­schei­dung über Ar­beits­kampf­maßnah­men, darf nicht von Mit­glie­dern be­ein­flusst wer­den, die sich selbst nicht ta­rif­lich bin­den wol­len. An­sons­ten kann nicht gewähr­leis­tet wer­den, dass sach­frem­de Erwägun­gen in die Ent­schei­dun­gen des Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des ein­fließen. #

Fa­zit: Soll es Mit­glied­schaf­ten im Ar­beit­ge­ber­ver­band oh­ne Ta­rif­bin­dung ge­ben, müssen die Sat­zun­gen der Ar­beit­ge­ber­verbände auch wei­ter­hin zwi­schen Rech­ten und Pflich­ten von Voll­mit­glie­dern und von OT-Mit­glie­dern un­ter­schei­den. Wel­che Schwie­rig­kei­ten das be­rei­ten kann, zeigt das vom BAG ent­schie­de­ne Aus­gangs­ver­fah­ren. Des­halb soll­ten sich Ar­beit­neh­mer nicht vor­schnell von ei­ner OT-Mit­glied­schaft ih­res Ar­beit­ge­bers ab­schre­cken las­sen, wenn sie darüber nach­den­ken, Rech­te aus ein­schlägi­gen Ver­bands­ta­rif­verträgen gel­tend zu ma­chen.

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Letzte Überarbeitung: 10. März 2015

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