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BAG, Be­schluss vom 27.07.2011, 7 ABR 61/10

   
Schlagworte: Betriebsrat
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 ABR 61/10
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 27.07.2011
   
Leitsätze:

1. Auf Antrag des Arbeitgebers ist eine Betriebsratswahl abzubrechen, wenn sie voraussichtlich nichtig ist. Die bloße Anfechtbarkeit genügt nicht.

2. Einem nicht existenten Wahlvorstand kann untersagt werden, weiter tätig zu werden. Die nur fehlerhafte Bestellung reicht nicht aus.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Wesel, Beschluss vom 02.06.2010, 3 BV 21/10
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 07.09.2010, 16 TaBV 57/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

7 ABR 61/10
16 TaBV 57/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Düssel­dorf

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

27. Ju­li 2011

BESCHLUSS

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­le­rin,

2.

Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 27. Ju­li 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Lin­sen­mai­er, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gall­ner, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Kiel so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Han­sen und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Schuh für Recht er­kannt:

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Auf die Rechts­be­schwer­de des Wahl­vor­stands wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 7. Sep­tem­ber 2010 - 16 TaBV 57/10 - auf­ge­ho­ben.


Die Sa­che wird zur neu­en Anhörung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten darüber, ob die im Jahr 2010 ein­ge­lei­te­te Be­triebs­rats­wahl ab­zu­bre­chen und dem Wahl­vor­stand zu un­ter­sa­gen ist, die Wahl er­neut ein­zu­lei­ten.


Die an­trag­stel­len­de Ar­beit­ge­be­rin ist ein Un­ter­neh­men, das Gebäuderei­ni­gungs­ar­bei­ten und sons­ti­ge Dienst­leis­tun­gen für ge­werb­li­che Kun­den ausführt. Sie beschäftigt ca. 827 Ar­beit­neh­mer in et­wa 350 Ob­jek­ten. Im Jahr 2008 wur­de bei ihr ein drei­zehnköpfi­ger Be­triebs­rat gewählt. Ei­nes der Be­triebs­rats­mit­glie­der war der Lei­ter der Lohn­buch­hal­tung der Ar­beit­ge­be­rin M. Das frühe­re Be­triebs­rats­mit­glied S ist der Schwie­ger­va­ter des Geschäftsführers der Ar­beit­ge­be­rin.

In der Zeit vom 1. März 2010 bis 31. Mai 2010 soll­ten die re­gelmäßigen Be­triebs­rats­wah­len statt­fin­den. Die Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de V lud mit Schrei­ben vom 26. März 2010 zu ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung am 30. März 2010, 9:00 Uhr, in das DGB-Haus in D, W-Saal, ein. Er­satz­mit­glie­der wur­den nicht ge­la­den. In der Ta­ges­ord­nung wa­ren ua. die The­men ge­nannt:

„5. Auf­nah­me von der BR-Sit­zung am 29.01.2010 (Han­dy) - Aus­schluss von der Sit­zung am 30.03.2010 von Herrn M und Herrn S mit Be­schluss­fas­sung

...

9. Wahl mit an­sch­ließen­dem Be­schluss ei­nes Wahl­vor­stan­des für die kom­men­de BR-Neu­wahl“

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Am 30. März 2010 er­schie­nen al­le 13 Mit­glie­der zu der Be­triebs­rats­sit­zung. Auch die Ge­werk­schafts­se­kretärin der IG Bau­en-Agrar-Um­welt B war an­we­send. Als über den Ta­ges­ord­nungs­punkt 5 be­ra­ten wer­den soll­te, ver­lang­te die Vor­sit­zen­de, dass die Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S den Sit­zungs­saal ver­las­sen soll­ten. Bei­de ka­men dem nicht nach. Es folg­te ein Streit­gespräch. Die Vor­sit­zen­de so­wie die Be­triebs­rats­mit­glie­der A, E, I, O und U ver­ließen den W-Saal, um in ei­nem an­de­ren Raum über den Aus­schluss der Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S zu be­ra­ten. Zu­vor hat­te die Vor­sit­zen­de die Be­triebs­rats­mit­glie­der F, K, R, H und Z auf­ge­for­dert, den Be­triebs­rats­mit­glie­dern zu fol­gen, die den Saal ver­ließen. Die fünf auf­ge­for­der­ten Be­triebs­rats­mit­glie­der hat­ten das ab­ge­lehnt. Nach den An­ga­ben des Wahl­vor­stands wur­de in dem an­de­ren Sit­zungs­saal be­schlos­sen, die Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S von der Be­triebs­rats­sit­zung vom 30. März 2010 aus­zu­sch­ließen.


Die Vor­sit­zen­de und die Be­triebs­rats­mit­glie­der A, E, I, O und U kehr­ten da­nach in den W-Saal zurück und teil­ten den übri­gen Be­triebs­rats­mit­glie­dern mit, die Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S sei­en mit sechs Ja­stim­men und fünf Ent­hal­tun­gen von der Be­triebs­rats­sit­zung vom 30. März 2010 aus­ge­schlos­sen wor­den. Die­ser Be­schluss ist in Nr. 3 ei­nes hand­schrift­li­chen Pro­to­kolls fest­ge­hal­ten, das von der Vor­sit­zen­den und der Schriftführe­rin O un­ter­zeich­net wur­de. Die Vor­sit­zen­de for­der­te die Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S auf, nun den W-Saal zu ver­las­sen, da­mit die Be­triebs­rats­sit­zung fort­geführt wer­den könne. Die bei­den Be­triebs­rats­mit­glie­der lehn­ten das ab. Die Vor­sit­zen­de so­wie die Be­triebs­rats­mit­glie­der A, E, I, O und U ver­ließen dar­auf­hin er­neut den W-Saal, um die Sit­zung in ei­nem an­de­ren Raum fort­zu­set­zen. Zu­vor hat­ten sie die Be­triebs­rats­mit­glie­der F, K, R, H und Z er­neut er­folg­los auf­ge­for­dert, sie zu be­glei­ten. Die Sit­zung wur­de von der Vor­sit­zen­den so­wie den Be­triebs­rats­mit­glie­dern A, E, I, O und U in dem an­de­ren Sit­zungs­saal fort­geführt. Auch auf die­sen Teil der Be­triebs­rats­sit­zung geht das hand­schrift­li­che Pro­to­koll der Vor­sit­zen­den und der Schriftführe­rin ein. Die Nie­der­schrift be­han­delt die Be­stel­lung ei­nes Wahl­vor­stands nicht. Über die Be­triebs­rats­sit­zung vom 30. März 2010 wur­de ein
 


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wei­te­res Pro­to­koll ver­fasst, das von den Be­triebs­rats­mit­glie­dern M und Z un­ter­schrie­ben wur­de.

Mit Schrei­ben vom 30. März 2010 ver­lang­te der Wahl­vor­stand von der Ar­beit­ge­be­rin die er­for­der­li­chen Auskünf­te, um ei­ne Wähler­lis­te zu er­stel­len. Die Ar­beit­ge­be­rin wei­ger­te sich mit der Be­gründung, ein Wahl­vor­stand sei nicht ord­nungs­gemäß ge­bil­det wor­den. Un­ter dem 1. April 2010 er­ließ der Wahl­vor­stand ein Wahl­aus­schrei­ben, mit dem die Be­triebs­rats­wahl für al­le Ar­beit­neh­mer der von der Ar­beit­ge­be­rin be­treu­ten Ob­jek­te ein­ge­lei­tet wur­de.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat in dem von ihr am 12. April 2010 ein­ge­lei­te­ten Be­schluss­ver­fah­ren ver­langt, die ein­ge­lei­te­te Be­triebs­rats­wahl ab­zu­bre­chen, weil der Wahl­vor­stand nicht wirk­sam er­rich­tet sei. Der Aus­schluss der Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S aus dem Be­triebs­rat sei un­wirk­sam. Als die Vor­sit­zen­de und die Be­triebs­rats­mit­glie­der A, E, I, O und U den W-Saal zum zwei­ten Mal ver­las­sen hätten, sei zu­vor nicht mit­ge­teilt wor­den, in wel­chem Raum die Sit­zung fort­ge­setzt und dass dort über die Be­stel­lung ei­nes Wahl­vor­stands ab­ge­stimmt wer­den sol­le. Die Be­triebs­rats­mit­glie­der F, K, M, R, H, S und Z hätten ge­gen ei­nen Wahl­vor­stand in der jet­zi­gen Be­set­zung ge­stimmt, wenn die Be­triebs­rats­sit­zung am 30. März 2010 mit den Be­triebs­rats­mit­glie­dern M und S im W-Saal fort­ge­setzt wor­den wäre. Die Wahl sei auch des­halb ab­zu­bre­chen, weil das Un­ter­neh­men der Ar­beit­ge­be­rin auf­grund ei­ner Um­struk­tu­rie­rung vom 28. Ok­to­ber 2009 in zehn ein­zel­ne Be­trie­be auf­ge­spal­ten wor­den sei.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat be­an­tragt, 


dem Wahl­vor­stand auf­zu­ge­ben, das ein­ge­lei­te­te Ver­fah­ren zur Durchführung der Wahl ei­nes Be­triebs­rats ab­zu­bre­chen und nicht fort­zuführen und auch nicht neu ein­zu­lei­ten.


Der Wahl­vor­stand hat be­an­tragt, den An­trag ab­zu­wei­sen. Er hat be­haup­tet, er sei in der Be­triebs­rats­sit­zung vom 30. März 2010 be­stellt wor­den, nach­dem die sechs Be­triebs­rats­mit­glie­der zum zwei­ten Mal den W-Saal ver­las­sen hätten. Der Wahl­vor­stand be­ste­he aus der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den V so­wie den Be­triebs­rats­mit­glie­dern A, E, I und O. Das Be­triebs­rats­mit­glied S ha­be die Sit­zung vom 30. März 2010 von Be­ginn an gestört. Herr S ha­be un­ter
 


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Hin­weis auf die Ar­beits­unfähig­keit der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den be­zwei­felt, dass sie auf­grund ih­res Ta­blet­ten­kon­sums in der La­ge sei, die Trag­wei­te ih­res Han­delns zu er­ken­nen. Dem hätten sich die an­de­ren, dem Ar­beit­ge­ber na­he­ste­hen­den Be­triebs­rats­mit­glie­der und vor al­lem das Be­triebs­rats­mit­glied M an­ge­schlos­sen. Sie hätten die Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de im­mer wie­der un­ter­bro­chen. Die Be­triebs­rats­sit­zung vom 30. März 2010 ha­be we­gen der Störun­gen in ei­nen an­de­ren Saal ver­legt wer­den müssen, um die Sit­zung oh­ne die Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S fort­zu­set­zen. Da die Be­triebs­rats­mit­glie­der F, K, R, H und Z dem nicht nach­ge­kom­men sei­en, ha­be ihr Ver­hal­ten als Stimm­ent­hal­tung ge­wer­tet wer­den müssen. Die Fortführung ei­ner Be­triebs­rats­wahl dürfe nur dann un­ter­sagt wer­den, wenn die Wahl nich­tig und nicht nur an­fecht­bar sei. Die durch­zuführen­de Wahl sei we­der nich­tig noch „si­cher an­fecht­bar“.

Das Ar­beits­ge­richt hat dem An­trag der Ar­beit­ge­be­rin statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­schwer­de des Wahl­vor­stands zurück­ge­wie­sen. Mit sei­ner vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­be­schwer­de ver­langt der Wahl­vor­stand wei­ter die Ab­wei­sung des An­trags der Ar­beit­ge­be­rin.


B. Die Rechts­be­schwer­de ist be­gründet. Sie führt zur Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Be­schlus­ses. Für ei­ne ab­sch­ließen­de Ent­schei­dung feh­len er­for­der­li­che Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen. Die Sa­che ist des­halb zur neu­en Anhörung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen.


I. Ne­ben der Ar­beit­ge­be­rin ist nur der Wahl­vor­stand am Ver­fah­ren be­tei­ligt. Die Wahl­vor­stands­mit­glie­der sind kei­ne Be­tei­lig­ten.

1. Der Wahl­vor­stand ist selbst dann am Ver­fah­ren be­tei­ligt, wenn sei­ne Be­stel­lung nich­tig ist, wie es das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat.


a) Nach § 83 Abs. 3 ArbGG ha­ben in ei­nem Be­schluss­ver­fah­ren ne­ben dem An­trag­stel­ler die­je­ni­gen Stel­len ein Recht auf Anhörung, die nach dem Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz im ein­zel­nen Fall be­tei­ligt sind. Be­tei­lig­te in An­ge­le­gen­hei­ten des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes ist je­de Stel­le, die durch die be­gehr­te Ent­schei­dung in ih­rer be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rechts­stel­lung
 


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un­mit­tel­bar be­trof­fen ist (für die st. Rspr. BAG 4. Mai 2011 - 7 ABR 3/10 - Rn. 10).

b) Der Wahl­vor­stand ist da­nach am Ver­fah­ren be­tei­ligt. Die von der Ar­beit­ge­be­rin er­streb­te Ent­schei­dung be­trifft un­mit­tel­bar sei­ne Exis­tenz und sei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rech­te.


2. Die ein­zel­nen Wahl­vor­stands­mit­glie­der sind kei­ne Be­tei­lig­ten des Ver­fah­rens. Es geht nicht um die be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rech­te der ein­zel­nen Wahl­vor­stands­mit­glie­der, son­dern um die Exis­tenz und die Rech­te des Gre­mi­ums.

II. Die Rechts­be­schwer­de des Wahl­vor­stands ist be­gründet. Sie führt zur Auf­he­bung der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung und zur Zurück­ver­wei­sung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt. Der An­trag der Ar­beit­ge­be­rin ist zulässig. Ob er be­gründet ist, lässt sich erst be­ur­tei­len, wenn wei­te­re Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen ge­trof­fen sind.


1. Der An­trag der Ar­beit­ge­be­rin ist zulässig. 


a) Wie die ge­bo­te­ne Aus­le­gung er­gibt, ist das Be­geh­ren der Ar­beit­ge­be­rin als ein­heit­li­cher Un­ter­las­sungs­an­trag zu ver­ste­hen. Er ist dar­auf ge­rich­tet, dem Wahl­vor­stand je­de wei­te­re Hand­lung zu un­ter­sa­gen, die auf die Durchführung der Wahl ge­rich­tet ist. Mit die­sem Verständ­nis ist der An­trag hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.


b) Die Ar­beit­ge­be­rin ist an­trags­be­fugt. Sie kann sich mit ei­nem Un­ter­las­sungs­an­trag da­ge­gen wen­den, dass der nach ih­rer Auf­fas­sung nicht wirk­sam er­rich­te­te Wahl­vor­stand tätig wird (vgl. schon BAG 3. Ju­ni 1975 - 1 ABR 98/74 - zu II 2 der Gründe, BA­GE 27, 163). Ih­re An­trags­be­fug­nis ent­spricht dem Recht, die späte­re Be­triebs­rats­wahl nach § 19 Abs. 2 Be­trVG an­zu­fech­ten.

c) Der Wahl­vor­stand ist be­tei­lig­tenfähig iSv. § 10 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG. Das gilt selbst dann, wenn sei­ne Be­stel­lung nich­tig ist. Der Wahl­vor­stand hält sich für exis­tent. Für das Ver­fah­ren, in dem mit­tel­bar über die Nich­tig­keit sei­ner

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Be­stel­lung ge­strit­ten wird, ist er als be­ste­hend zu be­han­deln und da­mit be­tei­lig­tenfähig.

d) Das Ver­fah­ren ist nicht er­le­digt. Im Be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin ist wei­ter ein Be­triebs­rat zu wählen.

2. Der Se­nat kann nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len, ob der An­trag der Ar­beit­ge­be­rin be­gründet ist. Mit der vom Be­schwer­de­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung kann dem Un­ter­las­sungs­an­trag nicht statt­ge­ge­ben wer­den. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zwar im Er­geb­nis zu Recht er­kannt, dass ei­nem in nich­ti­ger Wei­se er­rich­te­ten Wahl­vor­stand un­ter­sagt wer­den kann, wei­ter tätig zu wer­den. Die ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen las­sen aber nicht die Würdi­gung zu, dass die Er­rich­tung des Wahl­vor­stands nich­tig ist. Es feh­len Fest­stel­lun­gen zu der Fra­ge, ob die sechs Be­triebs­rats­mit­glie­der, die am 30. März 2010 zwei­mal den W-Saal ver­ließen, bei ih­rem zwei­ten Auf­ent­halt in dem an­de­ren Saal des DGB-Hau­ses in D über­haupt ei­nen Wahl­vor­stand be­stell­ten.

a) Ein An­spruch des Ar­beit­ge­bers dar­auf, die von ei­nem Wahl­vor­stand ein­ge­lei­te­te Be­triebs­rats­wahl ab­zu­bre­chen, kann sich zum ei­nen aus der zu er­war­ten­den Nich­tig­keit der Be­triebs­rats­wahl er­ge­ben. Die bloße An­fecht­bar­keit genügt nicht. Ein Un­ter­las­sungs­an­spruch des Ar­beit­ge­bers be­steht zum an­de­ren, wenn das Gre­mi­um, das als Wahl­vor­stand auf­tritt, in die­ser Funk­ti­on über­haupt nicht oder in nich­ti­ger Wei­se be­stellt wur­de.


aa) Der ge­richt­li­che Ab­bruch ei­ner Be­triebs­rats­wahl auf­grund von Mängeln des Wahl­ver­fah­rens kommt nur in Be­tracht, wenn die Wahl vor­aus­sicht­lich nich­tig wäre.


(1) Die Fra­ge, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­nem Wahl­vor­stand un­ter­sagt wer­den kann, ei­ne von ihm ein­ge­lei­te­te Be­triebs­rats­wahl wei­ter durch­zuführen, ist in Recht­spre­chung und Schrift­tum um­strit­ten. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt konn­te die Fra­ge bis­her nicht klären, weil die­se Strei­tig­kei­ten re­gelmäßig in einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­ren aus­ge­tra­gen wer­den, de­ren
 


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Rechtszüge vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt en­den (§ 92 Abs. 1 Satz 3 iVm. § 85 Abs. 2 ArbGG).

(a) Ein Teil der In­stanz­recht­spre­chung und der Li­te­ra­tur nimmt an, im All­ge­mei­nen könne der Ab­bruch ei­ner lau­fen­den Be­triebs­rats­wahl durch einst­wei­li­ge Verfügung nur an­ge­ord­net wer­den, wenn die ein­ge­lei­te­te Wahl mit Si­cher­heit als nich­tig an­zu­se­hen sei (vgl. bei­spiel­haft aus der In­stanz­recht­spre­chung Säch­si­sches LAG 22. April 2010 - 2 TaBV­Ga 2/10 - zu II 1 der Gründe, ZBVR on­line 2010 Nr. 7/8 16 - 19; LAG Ba­den-Würt­tem­berg 9. März 2010 - 15 TaBV­Ga 1/10 - zu II 3 der Gründe, ZBVR on­line 2010 Nr. 7/8 12 - 15; grund­le­gend LAG Ba­den-Würt­tem­berg 20. Mai 1998 - 8 Ta 9/98 - AiB 1998, 401; aus dem Schrift­tum zB ErfK/Koch 11. Aufl. § 18 Be­trVG Rn. 7; wohl auch Ri­char­di/Thüsing Be­trVG 12. Aufl. § 18 Rn. 21).


(b) Die noch im­mer über­wie­gen­de An­sicht lässt da­ge­gen be­reits die si­che­re An­fecht­bar­keit der Wahl genügen (vgl. bspw. LAG Schles­wig-Hol­stein 7. April 2011 - 4 TaBV­Ga 1/11 - zu II 2 a aa aE der Gründe; LAG Ham­burg 19. April 2010 - 7 TaBV­Ga 2/10 - zu II 2 b der Gründe, NZA-RR 2010, 585; Hes­si­sches LAG 7. Au­gust 2008 - 9 TaBV­Ga 188/08 - zu II der Gründe; im Schrift­tum zB Dzi­da/Ho­hen­statt BB-Spe­cial 14 Heft 50, 1, 2 bis 4; Fit­ting 25. Aufl. § 18 Rn. 42; DKKW/Schnei­der/Hom­burg 12. Aufl. § 18 Rn. 6; GK-Be­trVG/Kreutz 9. Aufl. § 18 Rn. 79 f. mwN; Rieb­le/Tris­ka­tis NZA 2006, 233, 234 bis 236; Veit/Wi­chert DB 2006, 390, 391; wohl auch Bram FA 2006, 66 ff.; sie­he zu wei­ter dif­fe­ren­zie­ren­den An­sich­ten auch die Über­sicht in LAG Ba­den-Würt­tem­berg 9. März 2010 - 15 TaBV­Ga 1/10 - zu II 2 b der Gründe, ZBVR on­line 2010 Nr. 7/8 12 - 15).

(2) Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz re­gelt nicht aus­drück­lich, ob und un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­ne ein­ge­lei­te­te Be­triebs­rats­wahl ab­zu­bre­chen ist und wer hierfür an­spruchs­be­rech­tigt ist. Aus­drück­lich ge­re­gelt ist in § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Be­trVG nur die An­fech­tung ei­ner durch­geführ­ten Wahl. Ob­wohl ei­ne aus­drück­li­che ge­setz­li­che An­spruchs­grund­la­ge fehlt, er­gibt sich aus dem ge­setz­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang, dass je­den­falls der Ar­beit­ge­ber es un­ter­bin­den kann, wenn in sei­nem Be­trieb ei­ne nich­ti­ge Be­triebs­rats­wahl
 


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durch­geführt wird. Er kann ver­lan­gen, die nich­ti­ge Wahl zu un­ter­las­sen. Die vor­aus­sicht­li­che An­fecht­bar­keit der Wahl genügt für den Un­ter­las­sungs­an­spruch da­ge­gen nicht.


(a) Der Ar­beit­ge­ber hat An­spruch dar­auf, dass ei­ne nich­ti­ge Be­triebs­rats­wahl nicht durch­geführt wird. Die mit der Durchführung ei­ner Be­triebs­rats­wahl ver­bun­de­nen Maßnah­men berühren den Ar­beit­ge­ber als Be­triebs­in­ha­ber un­mit­tel­bar in sei­nem Recht am ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb. Zu­gleich wer­den ihm im Zu­sam­men­hang mit der Wahl Pflich­ten auf­er­legt (vgl. zB § 2 Abs. 2 Satz 1 WO). Fer­ner hat er nach § 20 Abs. 3 Satz 1 Be­trVG die Kos­ten der Wahl zu tra­gen. Schon dar­aus er­gibt sich, dass der Ar­beit­ge­ber in sei­nem Be­trieb ver­lan­gen kann, ei­ne nich­ti­ge Be­triebs­rats­wahl nicht durch­zuführen. Der Fall ver­langt kei­ne Ent­schei­dung darüber, ob das in glei­cher Wei­se für die wei­te­ren in § 19 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG ge­nann­ten An­fech­tungs­be­rech­tig­ten gilt.


(b) Die vor­aus­sicht­li­che An­fecht­bar­keit der Wahl genügt für ei­nen An­spruch auf Ab­bruch der Wahl dem­ge­genüber nicht.

(aa) Der An­trag­stel­ler könn­te sonst mit dem ge­setz­lich nicht aus­drück­lich vor­ge­se­he­nen Un­ter­las­sungs­an­trag mehr er­rei­chen als mit der ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Wahl­an­fech­tung. Ei­ne er­folg­rei­che Wahl­an­fech­tung hat nach § 19 Abs. 1 Be­trVG kei­ne rück­wir­ken­de Kraft, son­dern wirkt nur für die Zu­kunft. Bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Wahl­an­fech­tungs­ver­fah­rens bleibt auch ein nicht ord­nungs­gemäß gewähl­ter Be­triebs­rat mit al­len be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­fug­nis­sen im Amt.

(bb) Würde schon im Fall der vor­aus­sicht­lich si­che­ren An­fecht­bar­keit der be­vor­ste­hen­den Wahl ein Ab­bruch zu­ge­las­sen, würde ver­hin­dert, dass zu­min­dest vorläufig ein Be­triebs­rat zu­stan­de kommt, wie es das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz vor­sieht. Da­mit würde ein be­triebs­rats­lo­ser Zu­stand auf­recht­er­hal­ten, der nach der Kon­zep­ti­on des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes le­dig­lich bei ei­ner nich­ti­gen Wahl ein­tre­ten darf. Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz will be­triebs­rats­lo­se Zustände möglichst ver­mei­den (vgl. BAG 31. Mai 2000 - 7 ABR
 


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78/98 - zu B IV 3 a der Gründe, BA­GE 95, 15). Das zei­gen nicht nur die ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen des Über­gangs- und des Rest­man­dats in §§ 21a und 21b Be­trVG so­wie der Wei­terführung der Geschäfte des Be­triebs­rats nach § 22 Be­trVG. Der Ge­set­zes­zweck kommt auch in § 1 Be­trVG zum Aus­druck. Die Be­stim­mung lässt den Wil­len des Ge­setz­ge­bers er­ken­nen, dass möglichst in je­dem be­triebs­ratsfähi­gen Be­trieb ein Be­triebs­rat be­steht. Die Vor­schrif­ten, die die Be­triebs­rats­wahl re­geln, sind da­her so aus­zu­le­gen, dass der Ge­set­zes­zweck, Be­triebsräte zu bil­den, möglichst er­reicht wird (vgl. schon BAG 14. De­zem­ber 1965 - 1 ABR 6/65 - zu 5 a der Gründe, BA­GE 18, 41).


(cc) Die Möglich­keit des vor­zei­ti­gen Ab­bruchs ei­ner vor­aus­sicht­lich nur an­fecht­ba­ren Wahl würde auch der Kon­zep­ti­on nicht ge­recht, die in § 19 Abs. 2 Satz 2 Be­trVG zum Aus­druck kommt. Da­nach ist die Wahl­an­fech­tung nur bin­nen ei­ner Frist von zwei Wo­chen, vom Tag der Be­kannt­ga­be des Wahl­er­geb­nis­ses an ge­rech­net, zulässig. Macht in­ner­halb die­ser Frist kei­ner der An­fech­tungs­be­rech­tig­ten von sei­nem An­fech­tungs­recht Ge­brauch, können Feh­ler bei der Wahl des Be­triebs­rats - mit Aus­nah­me der Nich­tig­keit der Wahl - nicht mehr gel­tend ge­macht wer­den. Durch den vor­zei­ti­gen Ab­bruch der Wahl würde dem An­fech­tungs­be­rech­tig­ten von vorn­her­ein die Möglich­keit ge­nom­men, die Frist ver­strei­chen und die Wahl un­an­ge­foch­ten zu las­sen.

(dd) Auch die Grundsätze, die für po­li­ti­sche Wah­len gel­ten, spre­chen dafür, den Ab­bruch der Wahl auf Fälle der Nich­tig­keit zu be­schränken. Ent­schei­dun­gen und Maßnah­men, die sich un­mit­tel­bar auf das Wahl­ver­fah­ren zum Deut­schen Bun­des­tag be­zie­hen, können nach § 49 BWahlG nur mit den im Bun­des­wahl­ge­setz und in der Bun­des­wahl­ord­nung vor­ge­se­he­nen Rechts­be­hel­fen so­wie im Wahl­prüfungs­ver­fah­ren an­ge­foch­ten wer­den. Ge­gen in­ter­ne Ent­schei­dun­gen des Wahl­or­gans kann außer­halb des Wahl­prüfungs­ver­fah­rens, das nach Ab­schluss des Wahl­ver­fah­rens er­folgt, kein ge­richt­li­cher Rechts­schutz er­langt wer­den (vgl. nur BVerfG 1. Sep­tem­ber 2009 - 2 BvR 1928/09, 2 BvR 1937/09 - Rn. 3 bis 14 mwN; s. auch Nießen Feh­ler­haf­te Be­triebs­rats­wah­len S. 374 f., der auf S. 377 ff. ei­ne - vollständi­ge - Über­tra­gung der Grundsätze po­li­ti­scher Wah­len auf Be­triebs­rats­wah­len ab­lehnt). Be­triebs­rats­wah­len
 


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sind zwar nicht so kom­plex wie Bun­des­tags­wah­len (vgl. da­zu BVerfG 1. Sep­tem­ber 2009 - 2 BvR 1928/09, 2 BvR 1937/09 - Rn. 4). Bei § 49 BWahlG han­delt es sich gleich­wohl um die Kon­kre­ti­sie­rung ei­nes all­ge­mei­nen für Wahl­rechts­an­ge­le­gen­hei­ten gel­ten­den Grund­sat­zes (vgl. für ei­ne Land­tags­wahl BVerfG 15. Mai 1963 - 2 BvR 194/63 - BVerfGE 16, 128; für ei­ne Stadt­rats­wahl BVerfG 20. Ok­to­ber 1960 - 2 BvQ 6/60 - BVerfGE 11, 329).


bb) Der Ar­beit­ge­ber kann zu­dem ver­lan­gen, dass die wei­te­re Durchführung der Wahl un­ter­las­sen wird, wenn das Gre­mi­um, das sich als Wahl­vor­stand ge­riert, in die­ser Funk­ti­on über­haupt nicht be­stellt wur­de oder sei­ne Be­stel­lung nich­tig ist. Hand­lun­gen ei­nes in­exis­ten­ten Wahl­vor­stands muss der Ar­beit­ge­ber in sei­nem Be­trieb nicht hin­neh­men.


b) Hier sind die von der Ar­beit­ge­be­rin gel­tend ge­mach­ten Mängel - bis auf die Fra­ge der wirk­sa­men Be­stel­lung des Wahl­vor­stands - nicht so schwer­wie­gend, dass sie die Nich­tig­keit der Wahl be­gründen könn­ten. Auch die bis­lang fest­stell­ba­ren Feh­ler bei der Be­stel­lung des Wahl­vor­stands sind nicht der­art ge­wich­tig, dass sie die Nich­tig­keit der Be­triebs­rats­wahl zur Fol­ge hätten. Der Se­nat kann aber nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len, ob der Wahl­vor­stand über­haupt be­stellt wur­de. Soll­te das nicht der Fall sein, wäre dem Gre­mi­um, das als Wahl­vor­stand auf­tritt, zu un­ter­sa­gen, die Wahl durch­zuführen.


aa) Die Be­triebs­rats­wahl ist im Ent­schei­dungs­fall vor­aus­sicht­lich nicht nich­tig.


(1) Ei­ne Be­triebs­rats­wahl ist nur in ganz be­son­de­ren Aus­nah­mefällen nich­tig. Vor­aus­set­zung dafür ist, dass ge­gen all­ge­mei­ne Grundsätze je­der ord­nungs­gemäßen Wahl in so ho­hem Maß ver­s­toßen wird, dass auch der An­schein ei­ner dem Ge­setz ent­spre­chen­den Wahl nicht mehr be­steht. Es muss sich um ei­nen of­fen­sicht­li­chen und be­son­ders gro­ben Ver­s­toß ge­gen Wahl­vor­schrif­ten han­deln (vgl. für die st. Rspr. BAG 21. Ju­li 2004 - 7 ABR 57/03 - zu B II 1 b bb (1) der Gründe mwN, AP Be­trVG 1972 § 4 Nr. 15 = EzA Be­trVG 2001 § 4 Nr. 1).
 


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(2) Die­sen ho­hen An­for­de­run­gen ist nicht genügt. Soll­te der Be­triebs­be­griff mit Blick auf die von der Ar­beit­ge­be­rin be­haup­te­te Be­triebs­auf­spal­tung vom 28. Ok­to­ber 2009 ver­kannt sein, führt die­ser Man­gel nicht da­zu, dass die ein­ge­lei­te­te Be­triebs­rats­wahl si­cher nich­tig ist. Auch die Feh­ler bei der Be­stel­lung des Wahl­vor­stands sind nicht so schwer­wie­gend, dass sie die Nich­tig­keit der Be­triebs­rats­wahl zur Fol­ge hätten.


(a) Die mögli­che Ver­ken­nung des Be­triebs­be­griffs führt nicht zur Nich­tig­keit der Be­triebs­rats­wahl.

(aa) Der Aus­nah­me­fall ei­ner von An­fang an un­wirk­sa­men Be­triebs­rats­wahl ist bei ei­ner Wahl, die un­ter Ver­ken­nung des Be­triebs­be­griffs durch­geführt wird, grundsätz­lich nicht an­zu­neh­men. Die Ver­ken­nung des Be­triebs­be­griffs hat in der Re­gel nicht die Nich­tig­keit, son­dern nur die An­fecht­bar­keit der dar­auf be­ru­hen­den Be­triebs­rats­wahl zur Fol­ge. Bei der Be­stim­mung des Be­triebs­be­griffs und sei­ner An­wen­dung auf die kon­kre­te be­trieb­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on ist ei­ne Viel­zahl von Ge­sichts­punk­ten zu be­ach­ten. Das er­for­dert ei­ne auf den je­wei­li­gen Ein­zel­fall be­zo­ge­ne Ent­schei­dung. Kommt es bei die­sem Pro­zess zu Feh­lern, sind sie re­gelmäßig nicht der­art grob und of­fen­sicht­lich, dass der An­schein ei­ner dem Ge­setz ent­spre­chen­den Wahl nicht be­steht (vgl. et­wa BAG 19. No­vem­ber 2003 - 7 ABR 25/03 - zu C I 1 der Gründe mwN, AP Be­trVG 1972 § 19 Nr. 55 = EzA Be­trVG 2001 § 19 Nr. 1).

(bb) Die Tat­sa­chen­grund­la­ge ei­ner mögli­chen Auf­spal­tung des ursprüng­lich ein­heit­li­chen Be­triebs in zehn selbständi­ge Be­trie­be auf­grund der von der Ar­beit­ge­be­rin be­haup­te­ten Um­struk­tu­rie­rung vom 28. Ok­to­ber 2009 war zwi­schen der Ar­beit­ge­be­rin und ei­nem Teil der Mit­glie­der des frühe­ren Be­triebs­rats um­strit­ten. In ei­nem sol­chen Fall kann we­gen der stets nöti­gen Ge­samtwürdi­gung der Ein­zel­fal­l­umstände nicht von ei­nem der­art gro­ben und evi­den­ten Ver­s­toß aus­ge­gan­gen wer­den, der selbst den An­schein ei­ner dem Ge­setz ent­spre­chen­den Be­triebs­rats­wahl aus­schlösse.


(b) Die bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts recht­fer­ti­gen es nicht an­zu­neh­men, die Be­triebs­rats­wahl sei vor­aus­sicht­lich des­halb nich­tig,
 


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weil der Wahl­vor­stand we­gen gra­vie­ren­der Feh­ler bei sei­ner Be­stel­lung recht­lich in­exis­tent sei. Da­bei kann of­fen­blei­ben, ob die nich­ti­ge Be­stel­lung des Wahl­vor­stands stets zur Nich­tig­keit der Be­triebs­rats­wahl führt. Die bis­lang fest­ge­stell­ten Mängel bei der Be­stel­lung des Wahl­vor­stands sind hier je­den­falls nicht so ge­wich­tig, dass sie die Nich­tig­keit der Be­stel­lung zur Fol­ge hätten.

(aa) Auch die Fra­ge der zwin­gen­den Fol­ge der Nich­tig­keit ei­ner ein­ge­lei­te­ten Be­triebs­rats­wahl auf­grund der nich­ti­gen Be­stel­lung des Wahl­vor­stands wird in Recht­spre­chung und Schrift­tum kon­tro­vers dis­ku­tiert. Ein Teil der In­stanz­recht­spre­chung und der Li­te­ra­tur nimmt die Nich­tig­keit der Be­triebs­rats­wahl in­fol­ge ei­ner nich­ti­gen Be­stel­lung des Wahl­vor­stands an (vgl. zB LAG Köln 10. März 2000 - 13 TaBV 9/00 - zu II 3 der Gründe, LA­GE Be­trVG 1972 § 3 Nr. 6; GK-Be­trVG/Kreutz § 16 Rn. 5; grund­le­gend Nießen S. 137 ff., 141 ff. mwN). Ein an­de­rer Teil der In­stanz­recht­spre­chung und des Schrift­tums ver­langt über die Nich­tig­keit der Be­stel­lung des Wahl­vor­stands hin­aus zusätz­li­che Umstände, um die Nich­tig­keit der ein­ge­lei­te­ten Be­triebs­rats­wahl an­neh­men zu können (vgl. zB LAG Ber­lin 8. April 2003 - 5 TaBV 1990/02 - zu II 3 c der Gründe, NZA-RR 2003, 587; LAG Nürn­berg 29. Ju­li 1998 - 4 TaBV 12/97 - zu II der Gründe; Fit­ting § 19 Rn. 5; grund­le­gend Ja­cobs Die Wahl­vorstände S. 124 ff. mwN). Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat die Fra­ge bis­her of­fen­ge­las­sen (vgl. BAG 19. No­vem­ber 2003 - 7 ABR 25/03 - zu C I 3 der Gründe mwN, AP Be­trVG 1972 § 19 Nr. 55 = EzA Be­trVG 2001 § 19 Nr. 1). Auch die­ser Fall ver­langt nicht, die Fra­ge ab­sch­ließend zu be­ant­wor­ten.


(bb) Die bis­lang fest­ge­stell­ten Feh­ler bei der Be­stel­lung des Wahl­vor­stands sind nicht so schwer­wie­gend, dass sie zur Nich­tig­keit der Be­stel­lung führ­ten.


(aaa) Zwi­schen der nur feh­ler­haf­ten und der darüber hin­aus nich­ti­gen Be­stel­lung des Wahl­vor­stands ist sorgfältig zu un­ter­schei­den. Im Fall ei­nes (ein­fa­chen) Er­rich­tungs­feh­lers bleibt die Be­stel­lung des Wahl­vor­stands wirk­sam. Die von ihm durch­geführ­te Be­triebs­rats­wahl kann dann zwar an­fecht­bar sein, sie ist aber nicht nich­tig. Die Nich­tig­keit der Be­stel­lung des Wahl­vor­stands ist auf aus­ge­spro­chen schwer­wie­gen­de Er­rich­tungs­feh­ler be­schränkt, die da­zu führen, dass das Gre­mi­um recht­lich in­exis­tent ist. Ei­ne nur feh­ler­haf­te Be­stel­lung
 


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genügt nicht. Er­for­der­lich ist viel­mehr, dass ge­gen all­ge­mei­ne Grundsätze je­der ord­nungs­gemäßen Er­rich­tung in so ho­hem Maß ver­s­toßen wur­de, dass auch der An­schein ei­ner dem Ge­setz ent­spre­chen­den Be­stel­lung des Wahl­vor­stands nicht mehr be­steht. Es muss sich um ei­nen of­fen­sicht­li­chen und be­son­ders gro­ben Ver­s­toß ge­gen die Be­stel­lungs­vor­schrif­ten der §§ 16 bis 17a Be­trVG han­deln. Für die Be­schränkung der nich­ti­gen Be­stel­lung auf un­gewöhn­li­che Aus­nah­mefälle spricht vor al­lem das vom Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz geschütz­te In­ter­es­se dar­an, be­triebs­rats­lo­se Zustände zu ver­mei­den, das ins­be­son­de­re in §§ 1, 21a, 21b und 22 Be­trVG zum Aus­druck kommt. Maßnah­men, die ei­ne Be­triebs­rats­wahl vor­be­rei­ten sol­len, dürfen nicht unnötig er­schwert wer­den. Das gilt für die Be­stel­lung des Wahl­vor­stands um­so mehr, als des­sen Kom­pe­ten­zen nach §§ 18 und 18a Be­trVG eng be­grenzt sind. Sei­ne Pflich­ten wer­den durch das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz und die Wahl­ord­nung ge­nau um­ris­sen (vgl. be­reits BAG 14. De­zem­ber 1965 - 1 ABR 6/65 - zu 5 a der Gründe, BA­GE 18, 41).


(bbb) Nach die­sen Grundsätzen recht­fer­ti­gen die bis­he­ri­gen tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen nicht die Be­ur­tei­lung, dass die Be­stel­lung des Wahl­vor­stands nich­tig ist.


(aaaa) Auf­grund der Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist al­ler­dings da­von aus­zu­ge­hen, dass der Wahl­vor­stand nicht mit der nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG er­for­der­li­chen Mehr­heit der Stim­men der an­we­sen­den Be­triebs­rats­mit­glie­der be­stellt wur­de. Der frühe­re Be­triebs­rat hat zum ei­nen ver­kannt, dass der vollständi­ge Aus­schluss der Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S aus dem Be­triebs­rat ein Aus­schluss­ver­fah­ren nach § 23 Abs. 1 Be­trVG vor­aus­setzt. Er hat zum an­de­ren nicht be­ach­tet, dass für zeit­wei­lig ver­hin­der­te Be­triebs­rats­mit­glie­der nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG Er­satz­mit­glie­der her­an­zu­zie­hen sind. Er ist schließlich auch zu Un­recht da­von aus­ge­gan­gen, die im W-Saal ver­blie­be­nen wei­te­ren fünf Be­triebs­rats­mit­glie­der ent­hiel­ten sich da­durch ih­rer Stim­me.

(bbbb) Die Be­stel­lung ei­nes Wahl­vor­stands durch die Min­der­heit der Be­triebs­rats­mit­glie­der ist auf der Grund­la­ge der ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen aber kein solch gra­vie­ren­der Ver­s­toß ge­gen die Be­stel­lungs­be­stim­mun­gen der §§ 16
 


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bis 17a Be­trVG, dass auch der An­schein ei­ner dem Ge­setz ent­spre­chen­den Be­stel­lung des Wahl­vor­stands nicht mehr be­steht. Die Feh­ler bei der Be­stel­lung des Wahl­vor­stands wa­ren hier er­heb­lich. Der ehe­ma­li­gen Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den und den Be­triebs­rats­mit­glie­dern, die sie in den an­de­ren Saal be­glei­te­ten, ging es je­doch er­sicht­lich dar­um, ih­rer Pflicht zur Be­stel­lung des Wahl­vor­stands nach­zu­kom­men. Ei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung könn­te dann ge­bo­ten sein, wenn die Be­stel­lung durch die Min­der­heit der Be­triebs­rats­mit­glie­der auf dem macht­tak­ti­schen oder willkürli­chen Kalkül be­ruht hätte, die Mehr­heit durch die Min­der­heit zu ma­jo­ri­sie­ren. Dafür be­ste­hen nach den un­an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts und dem Vor­trag der Ar­beit­ge­be­rin kei­ne aus­rei­chen­den An­halts­punk­te. Der sog. Aus­schluss der Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S von der Sit­zung vom 30. März 2010 war nach Nr. 3 des hand­schrift­li­chen Pro­to­kolls der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den V und der Schriftführe­rin O viel-mehr ins­be­son­de­re auf an­ge­nom­me­ne un­be­fug­te Ton­auf­nah­men ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung zurück­zuführen. Das er­gibt sich aus den in Nr. 1 der Nie­der­schrift ent­hal­te­nen Gründen für ein an­ge­streb­tes Aus­schluss­ver­fah­ren vor dem Ar­beits­ge­richt. Die sechs Be­triebs­rats­mit­glie­der ver­ließen den W-Saal, weil sie an­nah­men, die Be­triebs­rats­sit­zung we­gen der be­haup­te­ten er­heb­li­chen Störun­gen der Be­triebs­rats­mit­glie­der M und S nicht ord­nungs­gemäß durchführen zu können. Sie for­der­ten die übri­gen fünf Be­triebs­rats­mit­glie­der zu­dem er­folg­los auf, sie in den an­de­ren Saal zu be­glei­ten.


bb) Un­abhängig von ei­ner vor­aus­sicht­li­chen Nich­tig­keit der ein­ge­lei­te­ten Be­triebs­rats­wahl hat der Ar­beit­ge­ber An­spruch dar­auf, dass die Durchführung der Wahl un­ter­las­sen wird, wenn das Gre­mi­um, das als Wahl­vor­stand auf­tritt, in die­ser Funk­ti­on über­haupt nicht be­stellt wur­de oder sei­ne Be­stel­lung nich­tig ist. Von ei­ner nich­ti­gen Be­stel­lung des Wahl­vor­stands kann hier aus den ge­nann­ten Gründen nicht aus­ge­gan­gen wer­den. Nicht fest­ge­stellt ist aber, ob am 30. März 2010 während des zwei­ten Auf­ent­halts der Be­triebs­rats­mit­glie­der A, E, I, O, U und V in ei­nem an­de­ren Saal als dem W-Saal über­haupt ein Wahl­vor­stand be­stellt wur­de. Das hand­schrift­li­che Pro­to­koll der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den V und der Schriftführe­rin O über die Be­triebs­rats­sit­zung, die am
 


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30. März 2010 außer­halb des W-Saal ab­ge­hal­ten wur­de, weist kei­nen Be­schluss aus, mit dem ein Wahl­vor­stand be­stellt wur­de. Die Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­te des Wahl­vor­stands hat in der Anhörung vor dem Se­nat erklärt, die Be­triebs­rats­mit­glie­der A, E, I, O, U und V hätten in Ab­we­sen­heit der übri­gen Be­triebs­rats­mit­glie­der durch Be­schluss den Wahl­vor­stand be­stellt, nach­dem sie den W-Saal zum zwei­ten Mal ver­las­sen hätten. Die Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­te der Ar­beit­ge­be­rin konn­te die­ses Vor­brin­gen nicht un­strei­tig stel­len. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird den Um­stand des­halb auf­zuklären ha­ben.

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