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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/055

Mit dem Be­triebs­er­wer­ber ver­han­deln und beim al­ten Ar­beit­ge­ber blei­ben

Kein miss­bräuch­li­cher Wi­der­spruch bei Be­triebs­über­gang, wenn der Ar­beit­neh­mer trotz des Wi­der­spruchs beim Er­wer­ber ar­bei­tet: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.02.2009, 8 AZR 176/08
Zwei Firmenschilder, eines durchgestrichen Bei ei­nem Be­triebs­über­gang ist oft nicht "al­les klar"

03.04.2009. Bei ei­nem Be­triebs­über­gangs wer­den die Ar­beits­ver­hält­nis­se zwar au­to­ma­tisch auf den Er­wer­ber über­ge­lei­tet, doch kön­nen die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer die­ser Über­lei­tung wi­der­spre­chen. Sie blei­ben dann beim al­ten Ar­beit­ge­ber, der al­ler­dings oft ei­ne be­triebs­be­ding­te Kün­di­gung in Be­tracht zie­hen wird.

Frag­lich ist, un­ter wel­chen Um­stän­den der Ar­beit­neh­mer sein Wi­der­spruch ver­liert, weil er sich "treu­wid­rig" ver­hält.

In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) klar­ge­stellt, dass der Wi­der­spruch ei­nes lang­jäh­rig be­schäf­tig­ten Ar­beit­neh­mers ge­gen die Über­lei­tung sei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses zum Er­wer­ber nicht schon des­halb als "treu­wid­rig" an­zu­se­hen ist, weil er trotz des Wi­der­spruchs mit dem Be­triebs­er­wer­ber über ei­ne ein­ver­nehm­li­che Über­lei­tung sei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses und über ei­ne Ge­halts­auf­bes­se­rung ver­han­delt: BAG, Ur­teil vom 19.02.2009, 8 AZR 176/08.

Wann ist der Wi­der­spruch ge­gen den Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses auf ei­nen Be­triebs­er­wer­ber "treu­wid­rig"?

Beim „Out­sour­cing“ ver­la­gern Un­ter­neh­men Tei­le Ih­rer Auf­ga­ben auf ein an­de­res, oft ei­gens dafür ge­gründe­tes, an­de­res Un­ter­neh­men. Wer­den die bis­he­ri­gen Auf­ga­ben dort mit den­sel­ben Be­triebs­mit­teln und Beschäftig­ten im We­sent­li­chen wie bis­her fort­geführt, liegt ein Be­triebs­teilüber­gang vor, der in § 613 a Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ge­re­gelt ist.

In die­sem Fall geht das Ar­beits­verhält­nis des Ar­beit­neh­mers au­to­ma­tisch von dem bis­he­ri­gen auf den neu­en Ar­beit­ge­ber über. Da­bei blei­ben auch die bis­he­ri­gen Ar­beits­be­din­gun­gen, al­so et­wa Ge­halt oder Ar­beits­zeit er­hal­ten.

Da dem Ar­beit­neh­mer ein (neu­er) Ar­beit­ge­ber aber nicht auf­ge­zwun­gen wer­den darf, muss er vor­ab ausführ­lich über den ge­plan­ten Be­triebsüber­gang in­for­miert wer­den und kann dem Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf den neu­en Ar­beit­ge­ber wi­der­spre­chen.

Im Fal­le ei­nes Wi­der­spruchs bleibt das Ar­beits­verhält­nis mit dem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber be­ste­hen. Die­ser spricht dann al­ler­dings meist ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung aus, weil durch die Ver­la­ge­rung der Auf­ga­be auch die Beschäfti­gungsmöglich­keit für den Ar­beit­neh­mer ent­fal­len ist.

Das Wi­der­spruchs­recht ist zwar an kei­ne Be­gründung ge­bun­den, d.h. es kann nach „frei­em Be­lie­ben“ aus­geübt wer­den. Trotz­dem kann der Wi­der­spruch im Ein­zel­fall - aus­nahms­wei­se - un­zulässig sein, wenn er ge­gen das Prin­zip von „Treu und Glau­ben“ (§ 242 BGB) ver­s­toßen würde.

Treu­wid­rig­keit nimmt die Recht­spre­chung z.B. an, wenn der Be­rech­tig­te sich wi­dersprüchlich verhält, in­dem er zunächst das Ver­trau­en er­weckt, er wer­de von sei­nem Recht kei­nen Ge­brauch ma­chen, um es dann doch aus­zuüben, oder auch dann, wenn dem Be­rech­tig­ten von vorn­her­ein ein schutzwürdi­ges Ei­gen­in­ter­es­se an der Ausübung des Rechts fehlt. Dies ist der Fall, wenn die Rechts­ausübung dem Be­rech­tig­ten nur als Vor­wand für die Er­rei­chung ver­trags­frem­der oder un­lau­te­rer Zwe­cke dient oder dem an­de­ren aus­sch­ließlich Scha­den zufügen soll.

Frag­lich ist, un­ter wel­chen Umständen der Grund­satz von Treu und Glau­ben der Ausübung des Wi­der­spruchs­rechts ent­ge­gen­steht. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich ein Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) vom 19.02.2009 (8 AZR 176/08), das der­zeit nur in Form ei­ner Pres­se­mit­tei­lung vor­liegt (BAG, Pres­se­mit­tei­lung Nr. 20/09).

Der Streit­fall: Spar­kas­sen­an­ge­stell­ter wi­der­spricht der Über­lei­tung in ei­ne Spar­kas­sen­toch­ter, ar­bei­tet dort aber und ver­han­delt über Ge­halts­auf­bes­se­run­gen

Der schwer­be­hin­der­te Kläger war seit 14 Jah­ren bei der Be­klag­ten, ei­ner Spar­kas­se, als Im­mo­bi­li­en­fach­be­ra­ter zu ei­nem Brut­to-Mo­nats­ge­halt von et­was un­ter 3.000 EUR beschäftigt. Er war Mit­glied des bei der Be­klag­ten be­ste­hen­den Per­so­nal­rats. Auf sein Ar­beits­verhält­nis fand der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) An­wen­dung.

Im Frühjahr 2006 be­schloss die Be­klag­te, das Im­mo­bi­li­en­geschäft, das von vier sog. Im­mo­bi­li­en­cen­tern ab­ge­wi­ckelt wur­de, zum Au­gust 2006 auf ei­ne hun­dert­pro­zen­ti­ge Toch­ter­ge­sell­schaft zu über­tra­gen. Der Kläger wi­der­sprach dem Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf die Toch­ter­ge­sell­schaft, erklärte sich aber be­reit, dort im We­ge der Per­so­nal­ge­stel­lung zu ar­bei­ten. Da­bei han­delt es sich um ei­ne in § 4 Abs. 3 TVöD ge­re­gel­te Möglich­keit, dass ein Ar­beit­ge­ber ei­nen Ar­beit­neh­mer bei ei­nem Drit­ten ein­set­zen kann, wenn Auf­ga­ben der Beschäftig­ten auf den Drit­ten ver­la­gert wer­den.

Bei sei­ner Auf­fas­sung, auf­grund sei­nes Wi­der­spruchs nach wie vor Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten zu sein, blieb der Kläger auch nach länge­rer Tätig­keit bei der Be­triebs­er­wer­be­rin und nach - er­folg­los ver­lau­fe­nen - Ver­hand­lun­gen über ei­nen neu­en, auf­bes­ser­ten Ar­beits­ver­tra­ge mit der Er­wer­be­rin. Die Be­klag­te war da­ge­gen der An­sicht, ein Ar­beits­verhält­nis mit ihr be­ste­he trotz des Wi­der­spruchs nicht mehr, weil der Wi­der­spruch rechts­miss­bräuch­lich sei.

Dar­auf­hin zog der Kläger vor das Ar­beits­ge­richt und klag­te auf ge­richt­li­che Fest­stel­lung, dass sein Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten fort­be­ste­he. So­wohl das Ar­beits­ge­richt als auch das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) - Ur­teil vom 10.01.2008, 8 Sa 181/07 - ga­ben dem Kläger Recht.

Da­bei ar­gu­men­tier­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt wie folgt: Der Wi­der­spruch ha­be er­kenn­bar das vom Ge­setz­ge­ber be­ab­sich­tig­te Ziel ge­habt, den Wech­sel des Ar­beit­ge­bers zu ver­hin­dern. Die­ses Ziel er­schei­ne an­ge­sichts des bis­lang be­ste­hen­den Be­stand­schut­zes kläge­ri­schen Ar­beits­verhält­nis­ses und der Größe der Ar­beit­ge­be­rin je­den­falls nach­voll­zieh­bar.

Auf­grund der sehr weit­ge­hen­den, recht­lich be­ste­hen­den Ein­satzmöglich­kei­ten bei der Be­klag­ten und an­ge­sichts des er­heb­li­chen recht­li­chen Be­stands­schut­zes, den das Ar­beits­verhält­nis des Klägers beim al­ten Ar­beit­ge­ber ge­nieße, sei nicht aus­ge­schlos­sen, dass die Be­klag­te dem Kläger künf­tig an­de­re als sei­ne der­zeit aus­geübten Tätig­kei­ten zu­wei­sen könn­te. Un­ter sol­chen Umständen brau­che der Kläger kei­ne be­son­de­ren „Gründe“ für sei­nen Wi­der­spruch.

In­dem der Kläger zu er­ken­nen ge­ge­ben hat, sich zu bes­se­ren fi­nan­zi­el­len Be­din­gun­gen auch ei­nen Ar­beit­ge­ber­wech­sel vor­stel­len zu können, hat er nach An­sicht des LAG nur das ihm zu­ste­hen­de Recht, ei­nem Ar­beit­ge­ber­wech­sel zu wi­der­spre­chen, wahr­ge­nom­men und außer­dem im Rah­men der Ver­trags­frei­heit ver­sucht, ei­ne Be­en­di­gung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten und den Ab­schluss ei­nes Ver­tra­ges mit der Toch­ter­ge­sell­schaft aus­zu­han­deln. Gleich­zei­tig sei er das Ri­si­ko ein­ge­gan­gen, dass ei­ne ent­spre­chen­de Ver­ein­ba­rung nicht ge­lin­gen und die Be­klag­te sein Ar­beits­verhält­nis - wie ge­sche­hen - aus be­triebs­be­ding­ten Gründen kündi­gen würde.

BAG: Ar­beit­neh­mer dürfen wi­der­spre­chen und gleich­zei­tig mit dem Be­triebs­er­wer­ber über ei­ne Ge­halts­auf­bes­se­rung ver­han­deln

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt schloss sich den Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen an und wies die Re­vi­si­on der Be­klag­ten zurück. So­weit der bis­lang vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung ent­nom­men wer­den kann, ist das BAG auch mit der vom LAG ge­ge­be­nen Be­gründung der Ent­schei­dung ein­ver­stan­den. Da­zu hat das BAG mit­ge­teilt:

Der Kläger ha­be durch sei­nen Wi­der­spruch den Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf die Toch­ter­ge­sell­schaft wirk­sam ver­hin­dert. Die­ser sei nicht rechts­miss­bräuch­lich ge­we­sen. Denn er ver­fol­ge mit sei­nem Wi­der­spruch kei­ne un­zulässi­gen Zie­le, wenn es ihm nicht nur dar­um ge­he, den Ar­beit­ge­ber­wech­sel zu ver­hin­dern, son­dern wenn er darüber hin­aus auf Ba­sis des Wi­der­spruchs mit dem Be­triebs­er­wer­ber über den Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges mit bes­se­ren Be­din­gun­gen ver­han­deln wol­le. Es ste­he dem Ar­beit­neh­mer frei, nach dem Wi­der­spruch mit dem Be­triebs­veräußerer oder dem Be­triebs­er­wer­ber über ein Ar­beits­verhält­nis auf neu­er Grund­la­ge zu ver­han­deln.

Das BAG ver­neint auch ein wi­dersprüchli­ches Ver­hal­ten des Klägers. Mit der Ar­beit für den Be­triebs­er­wer­ber ha­be sich der Kläger nicht wi­dersprüchlich ver­hal­ten. Er ha­be außer­dem stets auf sei­nem recht­lich zu­tref­fen­den Stand­punkt be­harrt, in­fol­ge sei­nes Wi­der­spruchs Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten ge­blie­ben zu sein.

Da­mit folgt das Bun­des­ar­beits­ge­richt weit­ge­hend der Ar­gu­men­ta­ti­on des Lan­des­ar­beits­ge­richts. Das LAG war der An­sicht, die bloße Tätig­keit des Kläger für den Er­wer­ber könne un­ter Berück­sich­ti­gung der Ge­samt­umstände nicht als Zu­stim­mung zu ei­nem Ar­beit­ge­ber­wech­sel ver­stan­den wer­den. An­ge­sichts des Um­stands, dass der Kläger ei­ne Wei­ter­ar­beit im We­ge der Per­so­nal­ge­stel­lung an­ge­bo­ten hat­te und die Si­tua­ti­on recht­lich un­geklärt ge­we­sen sei, könne aus der Wei­ter­ar­beit oh­ne wei­te­re Erklärun­gen nicht ge­fol­gert wer­den, dass der Kläger - ent­ge­gen sei­nem Wi­der­spruch - nun­mehr mit ei­nem Ar­beit­ge­ber­wech­sel ein­ver­stan­den sei.

Die Wei­ter­ar­beit beim Er­wer­ber sei auch des­halb nicht als Zu­stim­mung zu ei­nem Ar­beit­ge­ber­wech­sel zu in­ter­pre­tie­ren, weil der Kläger bei Un­ter­las­sen der Ar­beit beim Er­wer­ber Ge­fahr ge­lau­fen wäre, we­gen ei­nes „böswil­li­gen Un­ter­las­sens an­der­wei­ti­gen Er­werbs“ sei­nen ge­genüber der Be­klag­ten be­ste­hen­den An­spruch auf An­nah­me­ver­zugs­lohn gemäß § 615 S. 2 BGB zu ver­lie­ren.

Fa­zit: Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat ei­nen Rechts­miss­brauch im vor­lie­gen­den Fall zu­recht ver­neint. Das Wi­der­spruch­recht soll die freie Ent­schei­dung des Ar­beit­neh­mers darüber ermögli­chen, für wen er wei­ter ar­bei­ten möch­te. Von die­sem Recht hat­te der Kläger Ge­brauch ge­macht. Der da­mit ver­folg­te Zweck wird nicht da­durch un­red­lich, dass der Ar­beit­neh­mer gleich­zei­tig hofft, bes­se­re fi­nan­zi­el­le Be­din­gun­gen mit dem Er­wer­ber aus­han­deln zu können, zu­mal ein Ar­beit­neh­mer von ei­ner sol­chen Vor­ge­hens­wei­se auch Nach­tei­le ha­ben kann.

Auch ein wi­dersprüchli­ches Ver­hal­ten ist dem Kläger in die­sem Fall nicht an­zu­las­ten. Sei­ne Ar­beit bei dem Toch­ter­un­ter­neh­men hat den nach­voll­zieh­ba­ren Grund, dass der Kläger da­mit auf­grund der recht­lich un­geklärten Si­tua­ti­on dro­hen­de Nach­tei­le ver­mei­den woll­te. Dies ist, so das BAG, nicht da­mit zu ver­glei­chen, dass ein Ar­beit­neh­mer nach ei­nem Wi­der­spruch oh­ne An­lass bei dem Be­triebs­er­wer­ber die Ar­beit auf­nimmt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 15. September 2016

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