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LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.11.2008, 23 Sa 919/08
Schlagworte: | Gewerkschaft: Mitgliederwerbung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg | |
Aktenzeichen: | 23 Sa 919/08 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 05.11.2008 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Neuruppin, Urteil vom 6.03.2008, 1 Ca 1495/07 | |
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Verkündet
am 5. November 2008
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
23 Sa 919/08
1 Ca 1495/07
Arbeitsgericht Neuruppin
H., VA
als Urkundsbeamter/in
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In Sachen
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 23. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 5. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht P. als Vorsitzenden
sowie die ehrenamtlichen Richter Herr L. und Herr M.
für Recht erkannt:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgericht Neuruppin vom 06.03.2008
- 1 Ca 1495/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
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T A T B E S T A N D
Die Parteien streiten um Zugangsrechte der klagenden Gewerkschaft.
Die Beklagte ist ein Tief- und Hochbauunternehmen. Sie ist nicht aufgrund einer Organisationszugehörigkeit tarifgebunden. Der Bundesrahmentarifvertrag für das Bauhauptgewerbe (BRTV) findet auf sie wegen seiner Allgemeinverbindlichkeit Anwendung. Ein Betriebsrat besteht nicht.
Die Klägerin ist eine für die Baubranche zuständige Fachgewerkschaft. Sie ist Vertragspartei des BRTV. Zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört es, unter anderem durch Abschluss von Tarifverträgen und Einflussnahme die Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Ihre Bezirksverbände haben Mitgliederwerbung durchzuführen, die Einhaltung der dem Schutz der Arbeitnehmer dienenden Gesetze und Tarifverträge zu überwachen sowie die gewerkschaftliche Betriebsbetreuung zu organisieren.
Die Beklagte unterhält mehrere Straßenbaustellen. Ihre dort eingesetzten Beschäftigten verbringen die Pausenzeiten in Bauwagen oder firmeneigenen Transportern. Am 16.8.2007 und 23.8.2007 besuchten Vertreter der Klägerin Baustellen der Beklagten, teilweise auch während des laufenden Betriebes. Mit Schreiben vom 23.8.2007 untersagte ihr die Beklagte, Mitarbeiter während der Arbeitszeit von der Arbeit abzuhalten bzw. die Baustellen zu betreten. Bei ihrer Haltung blieb sie auch nach dem Hinweis der Klägerin auf ihr Zutrittsrecht gem. Art. 51 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV Bdbg). Gleichwohl fanden weitere Baustellenbesuche am 3.9., 6.9. und 18.10.2007 sowie im Verlauf des Rechtsstreits am 21.2. und 27.2.2008 statt. Am 11.10.2007 wurden Vertreter der Klägerin aufgefordert, eine von ihnen besuchte Baustelle wieder zu verlassen, während ihnen der Besuch einer anderen Baustelle nicht verwehrt wurde. Der Besuch einer weiteren Baustelle am 15.10.2007 wurde verhindert. In der folgenden Zeit unterzeichneten mehrere Arbeitnehmer der Beklagten eine von ihr vorbereitete Erklärung, in der sie bekunden, kein Interesse an weiteren
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Besuchen zu haben. Mit der am 15.10.2007 eingegangenen Klage begehrte die Klägerin, ihr den Zutritt zu den Baustellen zu gestatten.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass ihr nach Art. 51 LV Bdbg ein uneingeschränktes Zutrittsrecht zustehe. Ihr Anspruch sei zudem nach Art. 9 Abs. 3 GG und § 13 BRTV begründet. Es sei nicht entscheidend, ob die Besuche, die wegen des häufigen Personalwechsels auf den Baustellen in kürzeren Abständen erfolgen müssten, von den Arbeitnehmern gewünscht werden. Die vorgelegten Erklärungen der teilweise unterhalb des Mindestlohnes vergüteten Arbeitnehmer seien nichtssagend. Ihr gehe es nicht um Konfrontation, sondern um Aufklärung der Arbeitnehmer und Ermöglichung einer angemessenen Vergütung. Sicherheitsbedenken gegenüber den Besuchen seien unbegründet.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Zutritt der Gewerkschaftssekretäre der Klägerin P. H., U. K., J.Sch., J. R. und Hi. Ka. jeweils einzeln, allenfalls zu zweit, sowie einer von diesen zu bestimmenden weiteren Begleitperson auf sämtlichen Baustellen, die sie betreibt, einmal wöchentlich, hilfsweise 14tägig, möglichst in den Pausenzeiten, nachdem der genannte jeweilige Gewerkschaftssekretär/in oder/und ehrenamtlich tätige Mitarbeiter vor Durchführung des Baustellenbesuches vor Ort den Bauleiter, in dessen Verhinderungsfall den Polier, hiervon unterrichtet hat, unter Vermeidung jeglicher Störung des Betriebsfriedens sowie der - abläufe zu gestatten, um durch Überreichen von Broschüren, Formularen und Flugblättern insbesondere Mitgliederwerbung betrieben zu können und über den gesetzlichen Mindestlohn im Bauhauptgewerbe und die Tarifentwicklung 2007/2008 sowie den Gesundheitsschutz im Bauhauptgewerbe informieren zu können.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Antrag zu weit gefasst und die Klage daher unzulässig sei. Er sei zudem unbegründet. Es gebe kein Zutrittsrecht für betriebsfremde Gewerkschaftsvertreter. Art. 51 LV Bdgb beinhalte lediglich
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einen Programmsatz ohne eigenen Regelungsgehalt. Einem Zutrittsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG stehe entgegen, dass zwischen ihr und der Klägerin keinerlei Rechtsbeziehung bestehe. Ihm sei zudem durch die durchgeführten Betriebsbesuche in ausreichendem Maße Rechnung getragen worden. Auch angesichts der in einem Gespräch von dem Gewerkschaftssekretär H. bekundeten Absicht, den Abschluss eines Haustarifvertrages gegebenenfalls erstreiken zu wollen, könne es kein weiteres Zutrittsrecht geben. Den Besuchen stünden mit ihnen einhergehende Betriebsstörungen entgegen. Es bestünden erhebliche Sicherheitsrisiken, zumal die Gewerkschaftsvertreter die Baustellen zumeist ohne die vorgeschriebenen Sicherheitsschuhe, Helm und sonstige Sicherheitskleidung betreten hätten
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 6.3.2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der weit gefasste Klageantrag auch Fall-konstellationen erfasse, in denen ein Zutrittsrecht nicht bestehen könne.
Gegen das ihr am 16.4.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.5.2008 Berufung eingelegt und sie am 16.7.2008 begründet. Die Begründungsfrist ist durch Beschluss vom 16.6.2008 zum 17.7.2008 verlängert worden.
Die Klägerin führt aus, dass ihr Antrag nicht als zu umfassend zu bewerten sei. Bei Unterlassungs- und Duldungsanträgen seien generalisierende Formulierungen unvermeidlich. Sie seien nicht schon deshalb unbegründet, weil sie völlig abstrakt eine denkbare Konstellation erfassen, bei der kein Zutrittsrecht besteht. Andernfalls ließe sich das Zutrittsrecht nicht realisieren. Andererseits würden durch ihre Besuche Rechte der Beklagten nicht konkret nachvollziehbar beeinträchtigt. Potentielle Gegenrechte seien im Antrag durch rahmenmäßige Einschränkungen berücksichtigt. Die Häufigkeit der Besuche brauche nicht begründet werden. Im Übrigen gewähre Art 51 Abs. 2 LV Bdbg ebenso wie § 13 BRTV ein unbeschränktes Zutrittsrecht. Das Auftreten ihrer Vertreter in der Vergangenheit gebe keinen Grund, ihnen den Zutritt zu versagen.
Die Klägerin beantragt,
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1. das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 6.3.2008 - 1 Ca 1495/07 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Zutritt der Sicherheitskleidung tragenden Gewerkschaftssekretäre der Berufungsklägerin P. H., U. K., J.Sch., J. R., und Hi. Ka. einzeln oder zu zweit oder zusätzlich mit einem von der Klägerin benannten gewerkschaftlichen Beauftragen, ebenfalls Sicherheitskleidung tragend, einmal wöchentlich in den Pausenzeiten der von der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmern sowie vor Beginn und nach Beendigung deren Arbeitszeiten zu den von der Beklagten betriebenen Baustellen zum Zwecke der Mitgliederwerbung und der Information über die satzungsgemäßen Aufgaben der Klägerin, insbesondere die aktuelle Tarifentwicklung, den gesetzlichen Mindestlohn sowie den Gesundheitsschutz durch Überreichen von Broschüren, Formularen und Flugblättern und durch Führen von persönlichen Gesprächen nach vorheriger Unterrichtung über den bevorstehenden Zutritt zu dulden;
2. hilfsweise, den Zutritt gemäß Antrag zu 1. lediglich einmal zweiwöchentlich zu gestatten;
3. hilfsweise, den Zutritt gemäß Antrag zu 1. lediglich einmal monatlich zu gestatten;
4. hilfsweise, den Zutritt gemäß Antrag zu 1. zu den Unterkünften und Sozialräumen auf den Baustellen zu dulden;
5. hilfsweise, den Zutritt gemäß Antrag zu 1., hilfsweise zu 2., hilfsweise zu 3. und hilfsweise zu 4. mit der Maßgabe, bei Vermeidung jeglicher Störung des Betriebsablaufs und des Betriebsfriedens und soweit nicht bedeutende Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen der Beklagten dem entgegenstehen, zu dulden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertieft ihre bereits erstinstanzlich vorgebrachte Auffassung, wonach ein Zutrittsrecht sowohl grundsätzlich als auch konkret nicht gegeben sei. Dies gelte auch für § 13 BRTV, der lediglich schuldrechtliche Wirkung zwischen den Tarifvertragsparteien entfalte und der Allgemeinverbindlichkeit nicht zugänglich sei. Tatsächlich gehe es mit der Klage nicht um den Zutritt zum Zwecke der Information und Mitgliederwerbung, sondern um beabsichtigte rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen. Zudem seien in der Vergangenheit einzelne Gewerkschaftssekretäre ungebührlich aufgetreten, hätten sie zu Unrecht wegen
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illegaler Beschäftigung und Verstößen gegen den Mindestlohn angezeigt, sie vor anderen diffamiert und zum Arbeitskampf aufgerufen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Rechts abgewiesen. Die Berufung der Klägerin lässt auch mit ihren geänderten Anträgen keine abweichende Entscheidung zu.
1. Die Änderung der Klageanträge in der Berufung war zulässig. Der Hauptantrag konkretisiert die Umstände, unter denen der Zutritt geduldet werden soll. Der Hilfsantrag zu 2. war inhaltlich bereits in dem erstinstanzlich zuletzt gestellten Klageantrag enthalten. Der Hilfsantrag zu 3. stellt lediglich eine zeitliche Einschränkung des Hauptantrages dar. Mit dem Hilfsantrag zu 4. wird der geforderte Zutritt räumlich begrenzt. Der Hilfsantrag zu 5. beinhaltet weitere, über den erstinstanzlich gestellten Antrag hinausgehende und zunächst auch mit der Berufungsbegründung angekündigte Bedingungen für den Zutritt. Insgesamt wird damit der ursprüngliche Klageantrag in der Hauptsache eingeschränkt. Eine Änderung des Klagegrundes ist damit nicht verbunden. Das gilt auch für den Hilfsantrag zu 4. Die Klägerin stützt ihn auf § 13 BRTV. Auf dessen Regelung hat sie in dem ihrer Klageschrift beigefügten Schreiben vom 3.9.2007 (Blatt 29) abgestellt. Eine Änderung des der Klage zugrunde liegenden Sachverhaltes ist mit ihm nicht verbunden. Gemäß § 263 ZPO liegt damit keine Klageänderung vor, so dass § 533 ZPO nicht zur Anwendung kommt.
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2. Die Klage ist mit ihrem Hauptantrag und den Hilfsanträgen zu 2. bis 4. zulässig aber unbegründet. Mit ihrem Hilfsantrag zu 5. ist sie unzulässig.
2.1. Der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge zu 2. bis 4 genügen dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Demnach muss der erhobene Anspruch konkret bezeichnet, dadurch der Rahmen der gerichtlichen Ent-scheidungsbefugnis abgesteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung erkennbar, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeiten auf den Beklagten abgewälzt und eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren zu erwarten sein (vgl. BGH Urteil vom 14.12.1998 - II ZR 330/97 - in NJW 1999, 954). Hiervon ausgehend bestehen gegen den Hauptantrag und die Hilfsanträge zu 2. bis 4. keine Bedenken. Mit dem Zutritt zu dem Baustellen bzw. Unterkünften und Sozialräumen (Hilfsantrag zu 4.) der Beklagten ist der Gegenstand des Anspruchs bezeichnet. Er wird in den Anträgen hinsichtlich dem Zweck, der Häufigkeit, zeitlichen Lage sowie der Personen, die das Zutrittsrecht ausüben sollen, so konkretisiert, dass sich die Beklagte darauf einstellen kann, wann sie wo, wie oft und zu welchem Zweck den Zutritt welcher Personen zu dulden hat. Ob dabei auch Fallkonstellationen auftreten können, bei denen der geltend gemachte Anspruch nicht besteht, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrages (vgl. BAG Beschluss vom 3.5.1994 - 1 ABR 24/93 - in AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972).
2.2 Der geltend gemachte Anspruch auf Zutritt zu den Baustellen der Beklagten (Anträge zu 1. bis 3.) steht der Klägerin lediglich unter den Voraussetzungen zu, die das Bundesarbeitsgericht für das Zutrittsrecht als Folge der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften aufgestellt hat (vgl. BAG Urteil vom 28.2.2006 - 1 AZR 460/04 - in AP Nr. 127 zu Art 9 GG). § 2 Abs. 2 BetrVG gewährt lediglich ein Zutrittsrecht zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben und Befugnisse, um die es im vorliegenden Streitfall nicht geht. § 13 BRTV beschränkt das Zutrittsrecht auf Unterkünfte und Sozialräume. Dieser Anspruch ist Gegenstand des Hilfsantrags zu 4. Das mit dem Hauptantrag zu 1. und den Hilfsanträgen zu
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2. und 3. geltend gemachte Zugangsrecht geht über ihn hinaus. Es betrifft den gesamten Baustellenbereich.
2.2.1 Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG schützt die Gewerkschaften in ihren Betätigungen, die darauf gerichtet sind, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zufördern. Dies kann auch durch betriebsexterne Beauftragte erfolgen (vgl. BAG Urteil vom 28.2.2006 - 1 AZR 460/04 - a.a.O.). Diesem Interesse dient der begehrt Zutritt zu den Baustellen. Sein Zweck wird in den Anträgen hinreichend deutlich auf die Mitgliederwerbung und die damit einhergehende Information über die Aufgaben der Klägerin sowie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beschränkt. Der Aufruf zu Arbeitskampfmaßnahmen ist nicht sein Inhalt. Er wird von dem Klagebegehren nicht erfasst.
Die von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 geschützte Mitgliederwerbung und damit einhergehende Information im Betrieb hat der durch sein Haus- und Eigentumsrecht sowie seine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit nach Art 13, 14 und 2 Abs. 1 GG geschützte Arbeitgeber und Betriebsinhaber nur insoweit zu dulden, als dem im Einzelfall berechtigte betriebliche Belange wie z.B. dessen Interesse an einem störungsfreien Betriebsablauf oder der Wahrung des Betriebsfriedens nicht entgegen stehen. Das Zutrittsrecht der betriebsexternen Beauftragten ist demnach von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Erfasst der auf die Zukunft gerichtete Klageantrag auch mögliche Fallgestaltungen, in denen ein Zutrittsrecht nicht besteht, ist er insgesamt als unbegründet abzuweisen (vgl. BAG Urteil vom 28.2.2006 - 1 AZR 460/04 - a.a.O.).
Der Hauptantrag und die Hilfsanträge zu 2. und 3. erfassen Fallgestaltungen, in denen der geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Sie unterscheiden sich lediglich in der Häufigkeit der Baustellenbesuche. Unabhängig von der Häufigkeit kann es aber Fälle geben, in denen das Interesse der Beklagten, den Zugang zu verweigern, überwiegt. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich dabei keineswegs um eine rein abstrakte Möglichkeit ohne jeden konkreten Bezug zum gegebenen Fall. Nach den von der Beklagten vorgelegten Erklärungen (Blatt 58 bis 60) haben sich in der Zeit vom 23.
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Oktober bis zum 1. November 2007 44 ihrer Arbeitnehmer gegen weitere Besuche betriebsfremder Vertreter der Klägerin ausgesprochen, die sie mittlerweile als überflüssig, lästig und Störung ihrer Pausen empfinden. Die Erklärungen sind nicht deswegen wertlos und unbeachtlich, weil den Arbeitnehmern ein vorgefertigter Text vorgelegt worden ist. Mit ihrer Unterschrift haben sie zuerkennen gegeben, dass sie zu dem Inhalt der Erklärung stehen und sie ihre Einstellung wiedergibt. Der Hinweis darauf, dass das Zustandekommen der Erklärungen vor dem Hintergrund der Drucksituation zu sehen sei, die durch die allgemeine Beschäftigungssituation im Baugewerbe und die auf den Mindestlohn beschränkte Vergütungssituation bei der Beklagten gekennzeichnet werde, kann ebenfalls nicht verfangen. Hieraus folgt nicht, dass die Arbeitnehmer nicht zu dem Inhalt der Erklärung stehen und ihre Unterschrift nur das Ergebnis einer konkreten Druckausübung ist. Zudem wird auch aus der eidesstattlichen Versicherung des Arbeitnehmers Böhnke (Blatt 76) das Desinteresse an den Besuchen der Klägerin erkennbar. Es ist daher durchaus möglich, dass es zu Situationen kommen kann, in denen die betriebsfremden Vertreter der Klägerin bei ihren Besuchen in Konflikt mit den Arbeitnehmern der Beklagten geraten oder die Besuche zu Konflikten unter den Arbeitnehmern führen, die den Betriebsfrieden und den Arbeitsablauf in einer nicht hinnehmbaren Weise stören.
Hinzu kommt, dass auf den Baustellen auch noch andere Firmen tätig sind und die Besuche der Vertreter der Klägerin auch deren Arbeitnehmer und Arbeitsabläufe tangieren können. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass die Beklagte in Konflikt mit diesen Firmen gerät, wenn sie sich in ihren Betriebsabläufen und dem Betriebsfrieden gestört sehen.
Der Hauptantrag und die Hilfsanträge zu 2. und 3. berücksichtigen diese Fallkonstellationen nicht, so dass sie keinen Erfolg haben konnten.
2.2.2 Die Anträge zu 1. bis 3. sind ebenso wenig nach Art. 51 Abs. 2 Satz 2 LV Bdbg begründet. Demnach haben die Gewerkschaften das Recht auf Zutritt zu allen Betrieben, Unternehmen und Dienststellen nach Maßgabe der Gesetze. Zu den Gesetzen gehört auch das Grundgesetz mit seinem Schutz der Haus-
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und Eigentumsrechte sowie der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers nach Art 13, 14 und 2 Abs. 1. Damit ist aber auch nach Art 51 Abs. 2 Satz 2 LV Bdbg der Anspruch auf Zutritt wie bei Art 9 Abs. 3 GG jeweils von der Interessenabwägung im konkreten Einzelfall abhängig. Art 51 Abs. 2 Satz 2LV Bdbg führt daher im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis.
2.3 Der auf den Zutritt zu den Unterkünften und Sozialräumen gem. § 13 BRTV beschränkte Hilfsantrag zu 4. ist ebenfalls unbegründet.
§ 13 BRTV gestattet den Tarifvertragsparteien das Betreten der Unterkünfte und Sozialräume. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist das Betreten nicht auf den Zweck der Kontrolle des Vorhandenseins und des Zustandes von Unterkünften und Sozialräumen beschränkt. Selbst wenn dies Grund für die Aufnahme der Regelung in den Tarifvertrag war, so hat er sich in ihr selbst nicht niedergeschlagen. Der Zweck ist daher den satzungsgemäßen Aufgaben der Tarifvertragsparteien zu entnehmen, in deren Verfolgung der Tarifvertrag zustande gekommen ist. Zu diesen Aufgaben gehört auf Seiten der Klägerin unstreitig die Mitgliederwerbung.
§ 13 BRTV findet gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 TVG unmittelbar und zwingend auf die Beklagte Anwendung. Zwar ist die Beklagte nicht aufgrund ihrer Organisationszugehörigkeit tarifgebunden. Die Fachgemeinschaft Bau, der sie angehört, ist weder vertragsschließende Partei des BRTV noch Mitglied eines der vertragsschließenden Verbände. Die Beklagte wird aber von § 13 gemäß § 5 Abs. 4 TVG aufgrund der Allgemeinverbindlichkeit des BRTV erfasst. Es handelt sich um eine Rechtsnorm über betriebliche Fragen. Es wird das Zutrittsrecht Dritter geregelt, mit dem die Duldung des Zutritts durch den Arbeitgeber und die Arbeitnehmer einhergeht. Eine lediglich schuldrechtliche Wirkung scheitert bereits daran, dass nicht die vertragsschließenden Parteien verpflichtet werden, sondern der einzelne Arbeitgeber.
Letztlich kann aber dahingestellt bleiben, ob § 13 BRTV als Betriebsnorm die Beklagte bindet und auch den Zutritt zum Zweck der Mitgliederwerbung erfasst. § 13 BRTV regelt nicht die inhaltliche Ausgestaltung des Zutrittsrechts. Es
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enthält keine Aussage darüber unter welchen Umständen das Zutrittsrecht versagt werden kann. Gleichwohl kann es nicht ohne Rücksicht auf berechtigte Belange des Arbeitgebers ausgeübt werden. Bereits das im Interesse der Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben in § 2 Abs. 2 BetrVG geregelte Zutrittsrecht steht den Gewerkschaften nicht uneingeschränkt zu. Es endet dort, wo ihm unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen. Damit wird der gebotenen Rücksichtnahme auf die Interessen und die nach Art. 13, 14 und 2 Abs. 2 GG geschützten Rechte des Arbeitgebers Rechnung getragen. Das Gebot der Rücksichtnahme bei der Ausübung eigener Rechte kommt in § 242 BGB allgemein zum Ausdruck, mit dem eine allen Rechten und Rechtsnormen immanente inhaltliche Begrenzung wiedergegeben wird (vgl. Palandt, BGB, 68 Auflage, § 242 Rn. 38). Demnach kann auch der Anspruch auf Zugang zu den Unterkünften und Sozialräumen gemäß § 13 BRTV nur dann gegeben sein, wenn - wie bei dem Anspruch nach Art 9 Abs. 3 Satz 1 GG - ihm im Einzelfall nicht berechtigte Belange der Beklagten entgegenstehen. Da der Antrag zu 4. ebenso wie die vorsehenden Anträge Fallkonstellationen erfasst, bei denen entsprechend den Ausführungen unter 2.2.1 der Anspruch im Einzelfall nicht gegeben sein kann, ist die Klage auch insoweit unbegründet.
2.4 Der Hilfsantrag zu 4. ist unzulässig. Er genügt nicht dem Bestimmtheitserfordernis nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Weder dem Antrag noch der Begründung sind die Kriterien zu entnehmen, die eine „jegliche Störung des Betriebsfriedens oder des Betriebsablaufs“ sowie die „bedeutenden Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen der Beklagten“ ausmachen sollen. Würde die Beklagte antragsgemäß verurteilt, müsste im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht nur geklärt werden, ob durch den Zutritt eine entsprechende Störung eintritt oder ihm die genannten Interessen entgegenstehen. Es wäre vielmehr erst zu klären, was bedeutende Interessen sind und was eine Störung ausmacht, damit sie dem Zutritt entgegenstehen können. Gegenstand des Vollstreckungsverfahrens wäre damit nicht nur die Frage der Durchsetzung des Anspruchs, sondern seiner
Existenz. Dies zu klären ist jedoch Sache des Erkenntnisverfahrens.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nummer 2 ArbGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen worden.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten bei dem
Bundesarbeitsgericht,
Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt
(Postadresse: 99113 Erfurt),
Revision eingelegt werden. Die Revision muss innerhalb
einer Notfrist von einem Monat
schriftlich beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.
Sie ist gleichzeitig oder innerhalb
einer Frist von zwei Monaten
schriftlich zu begründen.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Revisionsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Revision gerichtet wird und die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Revision eingelegt werde.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Prozessbevollmächtigte sind insoweit zugelassen.
• Rechtsanwälte,
• Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
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Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder, wenn diese Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln,
• juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet, wenn diese Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments i. S. d. § 46b ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de.
P.
L.
M.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
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Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |