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LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Ur­teil vom 21.03.2012, 2 Sa 265/11

   
Schlagworte: Betriebsübergang: Unterrichtung, Sozialplan: Privilegierung bei Neugründung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Aktenzeichen: 2 Sa 265/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.03.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Stralsund, Urteil vom 26.7.2011, 1 Ca 237/10
Nachgehend: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.11.2013, 8 AZR 824/12
   

Te­nor

I. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts S... vom 26. Ju­li 2011 - 1 Ca 237/10 - wie folgt ab­geändert:

1. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

2. Die Kos­ten des Rechts­streits wer­den dem Kläger auf­er­legt.

II. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten dar­um, ob zwi­schen ih­nen nach ei­nem Wi­der­spruch des Klägers ge­gen den Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses im Rah­men ei­nes Be­triebsüber­g­an­ges ein Ar­beits­verhält­nis be­steht.

Zwi­schen dem Kläger und der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänger be­stand ein Ar­beits­verhält­nis seit meh­re­ren Jah­ren. Mit Schrei­ben vom 16.01.2008 in­for­mier­te die Be­klag­te den Kläger darüber, dass die D... T... zum 1. März 2008 fünf wei­te­re Stand­or­te der ... GmbH an die a. AG veräußere, dar­un­ter auch den Stand­ort S. ... Mit a. sei­en Ver­ein­ba­run­gen er­zielt wor­den, die dem Kläger sta­bi­le be­ruf­li­che Per­spek­ti­ven eröff­nen würden. Al­le Mit­ar­bei­ter an den Stand­or­ten würden mit ei­ner Auf­trags­zu­sa­ge über fünf Jah­re an a. über­ge­ben. Im Übri­gen wird auf das Schrei­ben Be­zug ge­nom­men.

Mit Schrei­ben vom 17.01.2008 er­folg­te ei­ne wei­te­re In­for­ma­ti­on der Be­klag­ten und der ... S... GmbH, zum da­ma­li­gen Zeit­punkt noch ... B... GmbH. In die­sem Schrei­ben wur­de der Kläger darüber in­for­miert, dass der Stand­ort S... an die ... S... GmbH ver­kauft wer­de. Des­halb ge­he das Ar­beits­verhält­nis des Klägers auf die ... S... GmbH über. In dem Schrei­ben wur­de der Kläger dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich die ... S... GmbH vor­be­hal­te, die bis­he­ri­gen Ent­gelt­be­din­gun­gen und da­mit die Ge­samt­vergütung ab dem 1. Ja­nu­ar 2009 ab­zu­sen­ken. Da­bei wur­den die Ein­zel­hei­ten abhängig von den Auf­ga­ben­be­rei­chen un­ter An­ga­be ei­ner Min­dest­jah­res­vergütung dar­ge­stellt. Der Kläger wur­de im Übri­gen über sein Wi­der­spruchs­recht be­lehrt.

Hin­sicht­lich der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten wird auf das in den Ak­ten be­find­li­che Un­ter­rich­tungs­schrei­ben Be­zug ge­nom­men.

Mit Wir­kung zum 1. März 2008 ging der Be­trieb der Be­klag­ten in ... auf die ... S... GmbH (zukünf­tig: a...) über. Die­se war am 15.11.2007 ei­gens zu dem Zweck ge­gründet wor­den, dass Call­cen­ter der Be­klag­ten in ... zu über­neh­men. Sie wur­de als ... B... GmbH“ mit Sitz in G... am 15.11.2007 in das Han­dels­re­gis­ter ein­ge­tra­gen, am 14.02.2008 wur­de sie um­be­nannt in „ ... S... GmbH“, das Stamm­ka­pi­tal beträgt 25.000,00 EUR. Da­bei ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig, ob a. an die Be­klag­te ei­nen Kauf­preis ge­zahlt hat oder ... in­wie­weit ein so­ge­nann­ter „ne­ga­ti­ver Kauf­preis“ von der Be­klag­ten an a. ge­flos­sen ist. Je­den­falls leis­te­te die D... T... als Kon­zern­mut­ter der Be­klag­ten an a... Sub­ven­ti­ons­zah­lun­gen, um den schon bis da­to nicht wirt­schaft­lich lau­fen­den Be­trieb auf­recht­er­hal­ten zu können. Der Kläger, der dem Be­triebsüber­gang zunächst nicht wi­der­spro­chen hat­te, wird seit dem 1. März 2008 von a... wei­ter­beschäftigt.

Am 15.06.2010 gab der Geschäftsführer der a... die ge­plan­te Sch­ließung des Stand­or­tes S... zum 31. März 2011 be­kannt. Grund hierfür war der Um­stand, dass der Be­trieb trotz der Sub­ven­ti­ons­zah­lun­gen nicht wirt­schaft­lich be­trie­ben wer­den konn­te. Sch­ließlich soll­te die Sch­ließung zum 31.05.2011 rea­li­siert wer­den.

Mit Schrei­ben vom 20.07.2010 wi­der­sprach der Kläger nun­mehr dem Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf die ... S... GmbH.

Durch Ur­teil vom 26.07.2011 hat das Ar­beits­ge­richt S... fest­ge­stellt, dass zwi­schen den Par­tei­en ein Ar­beits­verhält­nis über den 29.02.2008 hin­aus be­ste­he. Die Kos­ten des Rechts­streits hat es der Be­klag­ten auf­er­legt.

In den Ent­schei­dungs­gründen hat das Ar­beits­ge­richt aus­geführt, der Kläger sei feh­ler­haft über den Grund des be­ab­sich­tig­ten Be­triebsüber­gangs in­for­miert wor­den. Dem Kläger hätte mit­ge­teilt wer­den müssen, dass der Be­trieb zum Zeit­punkt des Über­gangs nicht auf wirt­schaft­lich ge­sun­den Füßen ge­stan­den ha­be, son­dern ei­ner An­schubs­fi­nan­zie­rung durch die Be­klag­te be­durft ha­be. Auch hätte ihm mit­ge­teilt wer­den müssen, dass die a erst zum Zweck der Über­nah­me ei­nes de­fi­zitären Be­trie­bes ge­gründet wor­den sei. Auf­grund der feh­ler­haf­ten An­ga­ben im Un­ter­rich­tungs­schrei­ben hätte die Wi­der­spruchs­frist des § 613a Abs. 6 BGB nicht zu lau­fen be­gon­nen. Das Wi­der­spruchs­recht sei auch nicht ver­wirkt. Im Übri­gen wird auf die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen die­ses Ur­teil hat die Be­klag­te form- und frist­ge­recht Be­ru­fung ein­ge­legt.

Die Be­klag­te ist der Auf­fas­sung, der Kläger sei ord­nungs­gemäß un­ter­rich­tet wor­den. Das Schrei­ben vom 16.08.2008 ha­be kei­nen Ein­fluss auf die ord­nungs­gemäße Un­ter­rich­tung. Mit die­sem Schrei­ben sei dem Kläger auch nicht sug­ge­riert wor­den, für ihn be­ste­he ein ge­si­cher­ter Ar­beits­platz bis 2013. Ein Ver­zicht auf ei­ne Stand­ort­schließung sei nicht er­folgt. Ei­ne prekäre Si­tua­ti­on für den über­ge­gan­ge­nen Be­trieb zum Zeit­punkt des Über­gangs ha­be nicht be­stan­den.

Auch wer­de ei­ne er­heb­li­che An­schubs­fi­nan­zie­rung be­strit­ten. Im Übri­gen ha­be die Kon­zer­no­ber­ge­sell­schaft. die B... AG, zu­guns­ten der ... S... GmbH ei­ne un­be­schränk­te Pa­tro­nats­erklärung ab­ge­ge­ben. Aus dem Un­ter­rich­tungs­schrei­ben wer­de deut­lich, dass die a... ein neu ge­gründe­tes Un­ter­neh­men sei. Zum Zeit­punkt des Über­gangs ha­be auch kein An­lass be­stan­den, den Kläger über ein in Be­tracht zu zie­hen­des So­zi­al­plan­pri­vi­leg nach § 112a Be­trVG zu in­for­mie­ren. In­so­weit wer­de der Um­fang der ge­schul­de­ten Un­ter­rich­tungs­pflicht über­spannt.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts S... vom 26.07.2011 - 1 Ca 237/10 - ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger tritt der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung bei.

Hin­sicht­lich des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en wird auf die vor­be­rei­ten­den Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Kla­ge ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts S... nicht be­gründet. Zwi­schen den Par­tei­en hat über den 29.02.2008 hin­aus kein Ar­beits­verhält­nis mehr be­stan­den, weil mit Wir­kung zum 01.03.2008 das Ar­beits­verhält­nis des Klägers im We­ge des Be­triebsüber­gangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die ... S... GmbH über­ge­gan­gen ist. Die­sem Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses hat der Kläger nicht wirk­sam wi­der­spro­chen.

1.

Der mehr als zwei Jah­re nach dem Be­triebsüber­gang erklärte Wi­der­spruch er­folg­te nicht in­ner­halb der ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­nen Frist von ei­nem Mo­nat (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB).

2.

Die ein­mo­na­ti­ge Wi­der­spruchs­frist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB wird nur durch ei­ne ord­nungs­gemäße Un­ter­rich­tung nach § 613a Abs. 5 BGB in Lauf ge­setzt. Dies folgt be­reits aus dem Wort­laut des § 613a Abs. 6 BGB, wo­nach der Ar­beit­neh­mer dem Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses in­ner­halb ei­nes Mo­nats „nach Zu­gang der Un­ter­rich­tung nach Ab­satz 5“ wi­der­spre­chen kann.

Der In­halt der Un­ter­rich­tung rich­tet sich nach dem Kennt­nis­stand des Veräußerers und des Er­wer­bers zum Zeit­punkt der Un­ter­rich­tung. Ob ei­ne er­folg­te Un­ter­rich­tung den An­for­de­run­gen des § 613a Abs. 5 BGB ent­spro­chen hat, un­ter­liegt der ge­richt­li­chen Über­prüfung (vgl. BAG vom 22.01.2009, 8 AZR 808/07, AP BGB § 613a Un­ter­rich­tung Nr. 4 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 105). Genügt die Un­ter­rich­tung zunächst for­mal den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen, ins­be­son­de­re de­nen des § 613a Abs. 5 BGB, und ist sie nicht of­fen­sicht­lich feh­ler­haft, so ist es Sa­che des Ar­beit­neh­mers, der sich auf die Un­zuläng­lich­keit der Un­ter­rich­tung be­ruft, ei­nen be­haup­te­ten Man­gel näher dar­zu­le­gen. Hier­zu ist er im Rah­men ei­ner ab­ge­stuf­ten Dar­le­gungs­last nach § 138 Abs. 3 ZPO ver­pflich­tet. Dem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber und/oder dem neu­en In­ha­ber - je nach­dem, wer die Un­ter­rich­tung vor­ge­nom­men hat - ob­liegt dann die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für die ord­nungs­gemäße Erfüllung der Un­ter­rich­tungs­pflicht, in­dem mit ent­spre­chen­den Dar­le­gun­gen und Be­weis­an­ge­bo­ten die Einwände des Ar­beit­neh­mers ent­kräftet wer­den (vgl. BAG vom 31.01.2008, 8 AZR 1116/06, AP BGB, § 613a Un­ter­rich­tung Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 85).

3.

Ei­ne un­zu­rei­chen­de Un­ter­rich­tung liegt im Streit­fal­le nicht vor.

a) Zu den recht­li­chen Fol­gen gehören zunächst die sich un­mit­tel­bar aus dem Be­triebsüber­gang als sol­chem er­ge­ben­den Rechts­fol­gen. Dies er­for­dert ei­nen Hin­weis auf den Ein­tritt des Über­neh­mers in die Rech­te und Pflich­ten aus dem be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB), auf die ge­samt­schuld­ne­ri­sche Haf­tung des Über­neh­mers und des Veräußerers und de­ren Ver­tei­lung nach § 613a Abs. 2 BGB und grundsätz­lich auch, wenn sich Kündi­gun­gen ab­zeich­nen, auf die kündi­gungs­recht­li­che Si­tua­ti­on.

Zu den beim Über­neh­mer gel­ten­den Rech­ten und Pflich­ten gehört grundsätz­lich wei­ter die An­wend­bar­keit ta­rif­li­cher Nor­men und die Fra­ge, in­wie­weit beim Veräußerer gel­ten­de Ta­rif­verträge und Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen durch beim Er­wer­ber gel­ten­de Ta­rif­verträge oder Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen ab­gelöst wer­den (vgl. BAG vom 27.11.2008, 8 AZR 174/07, BA­GE 128, 328 = AP BGB, § 613a Nr. 363 = EzA BGB 2002, § 613a Nr. 106). Da­bei ist aber kei­ne de­tail­lier­te Be­zeich­nung ein­zel­ner Ta­rif­verträge und Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen nötig, da sich der Ar­beit­neh­mer - nach Er­halt der in Text­form zu er­tei­len­den In­for­ma­tio­nen - selbst näher er­kun­di­gen kann. Not­wen­dig ist aber ein Hin­weis dar­auf, ob die Nor­men kol­lek­tiv­recht­lich oder in­di­vi­du­al­recht­lich fort­wir­ken (vgl. BAG vom 13.07.2006, 8 AZR 305/05, BA­GE 119, 91 = AP BGB, § 613a Nr. 312 = EzA BGB 2002, § 613a Nr. 56). Zu den wirt­schaft­li­chen Fol­gen im Sin­ne des § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB gehören sol­che Verände­run­gen, die sich nicht als recht­li­che Fol­ge un­mit­tel­bar den Be­stim­mun­gen von § 613a Abs. 1 bis Abs. 4 BGB ent­neh­men las­sen.

Die Hin­wei­se auf die Rechts­fol­gen müssen präzi­se sein und dürfen kei­nen ju­ris­ti­schen Feh­ler ent­hal­ten (BAG vom 13.07.2006, 8 AZR 305/05, BA­GE 119, 91 = AP BGB, § 613a Nr. 312 = EzA BGB 2002, § 613a Nr. 56), wo­bei nicht be­reits dann ein sol­cher vor­liegt, wenn es zu der Rechts­fra­ge auch an­de­re Recht­spre­chun­gen oder Mei­nun­gen als die dar­ge­stell­te herr­schen­de Recht­spre­chung, ins­be­son­de­re die des Bun­des­ar­beits­ge­richts, gibt.

b) Zu den hin­sicht­lich der Ar­beit­neh­mer in Aus­sicht ge­nom­me­nen Maßnah­men gehören nach der Ge­set­zes­be­gründung Wei­ter­bil­dungs­maßnah­men im Zu­sam­men­hang mit ge­plan­ten Pro­duk­ti­ons­um­stel­lun­gen oder Um­struk­tu­rie­run­gen und an­de­re Maßnah­men, wel­che die be­ruf­li­che Ent­wick­lung der Ar­beit­neh­mer be­tref­fen (vgl. BT-Drucks. 14/7760 S. 19).

Un­ter Berück­sich­ti­gung der Ziel­set­zung von Art. 7 Abs. 1, Abs. 6 von RL 2001/23/EG sind „Maßnah­men“ im Sin­ne von § 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB wei­ter­ge­hend al­le durch den bis­he­ri­gen oder neu­en Be­triebs­in­ha­ber ge­plan­ten er­heb­li­chen Ände­run­gen der recht­li­chen, wirt­schaft­li­chen oder so­zia­len Si­tua­ti­on der von dem Über­gang be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer (vgl. Ho­hen­statt/Grau, NZA 2007, 13, 17; Fran­zen, RdA 2002, 258, 265). In Aus­sicht ge­nom­men sind Maßnah­men frühes­tens dann, wenn ein Sta­di­um kon­kre­ter Pla­nun­gen er­reicht ist (vgl. BAG vom 13.07.2006, 8 AZR 303/05, BA­GE 119, 81 = AP BGB, § 613a Nr. 311 = EzA BGB 2002, § 613a Nr. 55). All die­se Vor­aus­set­zun­gen sind im vor­lie­gen­den Fall nicht im Streit und erfüllt.

c) Im Un­ter­rich­tungs­schrei­ben der Be­klag­ten vom 17.01.2008 wur­de hin­rei­chend dar­ge­stellt, dass nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB der neue Be­triebs­in­ha­ber in die Rech­te und Pflich­ten aus den im Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­sen kraft Ge­set­zes ein­tritt. Auch hat das Un­ter­rich­tungs­schrei­ben darüber, ob Ta­rif­verträge bzw. Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen, die bis­her an­wend­bar wa­ren, bei dem neu­en In­ha­ber wei­ter­hin an­wend­bar sind, al­so kol­lek­tiv­recht­lich fort­gel­ten, ob sie gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zum In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses wer­den oder ob sie durch beim Er­wer­ber gel­ten­de Ta­rif­verträge bzw. Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen ab­gelöst wer­den, hin­rei­chend in­for­miert. Glei­ches gilt bezüglich der Un­ter­rich­tung über das Wi­der­spruchs­recht des Ar­beit­neh­mers gemäß § 613a Abs. 6 BGB und die recht­li­chen Fol­gen sei­ner Ausübung so­wie die wirt­schaft­li­chen Fol­gen bzw. die in Aus­sicht ge­nom­me­nen Maßnah­men.

aa) Im Un­ter­rich­tungs­schrei­ben ist die Über­neh­me­rin mit vollständi­ger Fir­men­be­zeich­nung, Fir­men­sitz und vollständi­ger An­schrift be­nannt. Der Na­me des Geschäftsführers geht aus dem Schrei­ben (sie­he Un­ter­schrift) eben­falls her­vor. Da­mit war der Kläger in die La­ge ver­setzt wor­den, Er­kun­di­gun­gen über den künf­ti­gen Be­triebs­er­wer­ber, ins­be­son­de­re auch durch Ein­sicht­nah­me in das zuständi­ge Han­dels­re­gis­ter, ein­zu­ho­len und un­ter der an­ge­ge­be­nen Adres­se ei­nen Wi­der­spruch ge­genüber dem neu­en In­ha­ber erklären zu können (vgl. BAG vom 23.07.2009, 8 AZR 538/08, BA­GE 131, 258 = AP BGB, § 613a Un­ter­rich­tung Nr. 10 = EzA BGB 2002, § 613a Nr. 114).

Es ist zwar miss­verständ­lich, dass in dem Schrei­ben der Be­klag­ten vom 16.01.2008 le­dig­lich von ei­nem Ver­kauf an die a..., und nicht, wie dann tatsächlich er­folgt, an ei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft die Re­de war, ei­ne aus­rei­chen­de Klar­stel­lung ist je­doch in dem ei­gent­li­chen Un­ter­rich­tungs­schrei­ben vom 17.01.2008 er­folgt. Aus ihm geht die Iden­tität des Be­triebs­er­wer­bers ein­deu­tig her­vor.

bb) Unschädlich ist es, dass die Ar­beit­neh­mer nicht dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den sind, dass es sich bei der a... um ei­ne Neu­gründung han­delt (a. A. in ei­nem ver­gleich­ba­ren Fall LAG Düssel­dorf vom 29.04.2008, 6 Sa 1809/07, NZA-RR 2008, 625). Dies folgt be­reits aus der Möglich­keit der Ein­sicht­nah­me in das Han­dels­re­gis­ter. Auch aus an­de­ren Gründen be­steht kei­ne Hin­weis­pflicht.

Der Um­stand der Neu­gründung kann an­ge­sichts der So­zi­al­plan­pri­vi­le­gie­rung in § 112a Abs. 2 Be­trVG von Be­deu­tung sein. Die Re­ge­lung des § 112a Abs. 2 Be­trVG gilt nämlich auch beim Über­gang ei­nes al­ten Be­trie­bes auf ein neu­ge­gründe­tes Un­ter­neh­men (vgl. BAG, 1 ABR 32/96). Gleich­wohl ist die An­nah­me der So­zi­al­plan­pri­vi­le­gie­rung im vor­lie­gen­den Fall nicht ganz un­pro­ble­ma­tisch, da in dem Schrei­ben vom 16.01.2008 auf be­son­ders in­ten­si­ve Wei­se mit dem Um­stand ge­wor­ben wor­den ist, dass es sich bei der a... um ein Un­ter­neh­men im B...-Kon­zern han­delt. Ei­nes be­son­de­ren Schut­zes bei der Kauf­preis­ge­stal­tung, den das BAG in der vor­zi­tier­ten Ent­schei­dung als Grund für sei­ne Rechts­auf­fas­sung an­ge­nom­men hat, wird die a..., die sich die­se In­for­ma­ti­on der Rechts­vorgänge­rin an­rech­nen las­sen muss, da­her nicht in An­spruch neh­men können.

Un­abhängig da­von ver­wirk­licht sich je­doch das Ri­si­ko der So­zi­al­plan­pri­vi­le­gie­rung der a... le­dig­lich im Fall ei­ner Be­triebs­sch­ließung in den ers­ten vier Jah­ren. Die kon­kre­te Pla­nung ei­ner Be­triebs­sch­ließung zum Zeit­punkt des Un­ter­rich­tungs­schrei­bens (nur dann bestände ei­ne Un­ter­rich­tungs­pflicht - s. o.) ist nicht er­sicht­lich. Ge­gen ei­ne kon­kre­te Pla­nung zum Un­ter­rich­tungs­zeit­punkt spricht schon der Um­stand, dass die Be­triebs­sch­ließung mehr als zwei Jah­re nach dem Über­gang er­folgt ist. Ei­ne Be­leh­rung, die al­le in der Zu­kunft mögli­chen Even­tua­litäten um­fasst, ist je­doch we­der vom Ge­setz ver­langt noch möglich.

cc) Die Höhe des Stamm­ka­pi­tals ist nicht mit­tei­lungs­pflich­tig. In­so­weit ist der Ar­beit­neh­mer in der La­ge, sich beim Han­dels­re­gis­ter zu in­for­mie­ren.

dd) Das Un­ter­rich­tungs­schrei­ben enthält auch kei­ne feh­ler­haf­te, weil vor­getäusch­te Ar­beits­platz­ga­ran­tie für die ers­ten fünf Jah­re nach dem Über­gang. In dem Schrei­ben der Be­klag­ten vom 16.01.2008 sind die Ar­beit­neh­mer dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den, dass die Stand­or­te mit „ei­ner Auf­trags­zu­sa­ge über fünf Jah­re über­ge­ben“ wer­den. Auch wenn es sich bei die­sem Schrei­ben nicht um das Un­ter­rich­tungs­schrei­ben han­delt, muss die Be­klag­te sich des­sen In­halt an­ge­sichts des en­gen zeit­li­chen und sach­li­chen Zu­sam­men­hangs als Teil der Un­ter­rich­tung zu­rech­nen las­sen.

Die­se Zu­sa­ge in dem Schrei­ben vom 16.01.2008 enthält aber kei­ne aus­drück­li­che oder kon­klu­den­te Ar­beits­platz­ga­ran­tie über den ge­nann­ten Zeit­raum. Ei­ne aus­drück­li­che Ar­beits­platz­ga­ran­tie liegt nicht vor, weil ei­ne Auf­trags­zu­sa­ge et­was an­de­res dar­stellt, als die Zu­sa­ge, in den ers­ten fünf Jah­ren kei­ne Kündi­gung aus be­triebs­be­ding­ten Gründen aus­zu­spre­chen. Auch ei­ne kon­klu­den­te Ar­beits­platz­ga­ran­tie liegt nicht vor. Die Auf­trags­ga­ran­tie für sich er­zeugt in dem un­vor­ein­ge­nom­me­nen Erklärungs­empfänger den Ein­druck, bei nor­ma­lem Ver­lauf der Din­ge sei in den ers­ten fünf Jah­ren ein störungs­frei­er Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses zu er­war­ten, so­weit nichts Un­vor­her­ge­se­he­nes ge­schieht.

Die Auf­trags­ga­ran­tie ist je­doch mit ei­ner we­sent­li­chen Ein­schränkung ver­se­hen. Die­se er­gibt sich aus der in dem Un­ter­rich­tungs­schrei­ben vom 17.01.2008 von der Über­neh­me­rin vor­be­hal­te­nen Lohnkürzung ab dem 01.01.2009. An­ge­sichts der kon­kre­ten zeit­li­chen und in­halt­li­chen In­for­ma­tio­nen über die Lohnkürzung geht die In­for­ma­ti­on hier­zu über die Mit­tei­lung ei­ner va­gen Möglich­keit hin­aus. Da­mit war den Ar­beit­neh­mern be­kannt, dass ne­ben der Si­cher­heit, die mit der Auf­trags­zu­sa­ge ver­bun­den war, in na­her Zu­kunft auch Ren­ta­bi­litäts­pro­ble­me möglich wa­ren. Die­se An­nah­me war zum da­ma­li­gen Zeit­punkt auch aus an­de­ren Gründen für die Ar­beit­neh­mer na­he­lie­gend.

Call­cen­ter sind lohn­in­ten­siv und die Ar­beit­neh­mer müssen ge­wusst ha­ben, dass sie mit ih­rer Vergütung von durch­schnitt­lich 3000,00 EUR brut­to mo­nat­lich die ge­richts­be­kannt übli­chen Löhne in die­ser Bran­che in Meck­len­burg-Vor­pom­mern um mehr als 100 Pro­zent über­stei­gen. Sie konn­ten auch des­halb nicht oh­ne Wei­te­res von ei­nem dau­er­haft pro­fi­ta­blem Be­trieb aus­ge­hen. Über die Möglich­keit ei­ner Be­triebs­sch­ließung für den Fall, dass die Lohnkürzung nicht durch­setz­bar ist, muss­te nicht in­for­miert wer­den, weil es sich auch da­bei um ei­ne un­ge­wis­se zukünf­ti­ge Ent­wick­lung han­delt. Ei­ne kon­kre­te Pla­nung für die­sen Fall zum Zeit­punkt der Un­ter­rich­tung ist nicht er­sicht­lich.

ee) Das Un­ter­rich­tungs­schrei­ben hat fer­ner den Grund für den Be­triebsüber­gang im Sin­ne von § 613a Abs. 5 Nr. 2 BGB ge­nannt, denn in die­sem ist ne­ben dem zu­grun­de lie­gen­den Rechts­geschäft (Kauf) die Tren­nung der DTAG von „Nicht­kern­kom­pe­ten­zen“ als un­ter­neh­me­ri­scher Grund an­ge­ge­ben. Die­se schlag­wort­ar­ti­ge Schil­de­rung der dem Be­triebsüber­gang zu­grun­de lie­gen­den Umstände ist aus­rei­chend (vgl. BAG, 8 AZR 430/10 mit wei­te­ren Nach­wei­sen). Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts S... kommt es auch nicht dar­auf an, ob in Wirk­lich­keit ein ne­ga­ti­ver Kauf­preis ge­flos­sen ist, was zu­dem zwi­schen den Par­tei­en strei­tig ist.

Ent­ge­gen der dem Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 23.07.2009 - 8 AZR 541/08 - zu­grun­de lie­gen­den Fall­ge­stal­tung ist hier da­von aus­zu­ge­hen, dass das ge­sam­te „Vermögen“ des Be­trie­bes S... über­tra­gen wor­den ist und auch ernst­haft ei­ne Fortführungs­ab­sicht be­stand. Nach der Erörte­rung in der münd­li­chen Ver­hand­lung sind auch nach ver­gleich­ba­ren Be­triebsübergängen von der Be­klag­ten auf an­de­re ört­li­che a... - Toch­ter­ge­sell­schaf­ten un­strei­tig nur die über­ge­gan­gen Be­trie­be ge­schlos­sen wor­den, in de­nen ei­ne ein­ver­nehm­li­che Lohnkürzung nicht durch­ge­setzt wer­den konn­te. Dies spricht an­ge­sichts des Lohnkürzungs­vor­be­halts in dem Un­ter­rich­tungs­schrei­ben ge­gen ei­ne be­ab­sich­tig­te Über­tra­gung zum Zwe­cke der schnel­len Still­le­gung. Es ist da­her auch un­er­heb­lich, ob tatsächlich ein Kauf­preis ge­flos­sen ist. Aus dem Wis­sen über das pro­ble­ma­tisch ho­he Lohn­ni­veau und die Auf­trags­zu­sa­ge konn­ten die Ar­beit­neh­mer je­den­falls er­ken­nen, dass der Be­triebsüber­gang von der Be­klag­ten sub­ven­tio­niert wor­den ist. Das reicht aus. Die Ein­zel­hei­ten sind nicht mit­tei­lungs­pflich­tig.

ff) Un­er­heb­lich ist auch, ob die Be­klag­te die Ar­beit­neh­mer, die dem Be­triebsüber­gang recht­zei­tig wi­der­spro­chen ha­ben, tatsächlich gekündigt hat oder nicht. Ei­ne fal­sche Un­ter­rich­tung hätte nur Vor­ge­le­gen, wenn die Be­klag­te schon bei Er­lass des Un­ter­rich­tungs­schrei­bens vor­ge­habt hätte, nie­man­den zu kündi­gen, auch wenn al­le Ar­beit­neh­mer von ih­rem Wi­der­spruchs­recht Ge­brauch ma­chen. Die­se An­nah­me ist we­der plau­si­bel noch un­ter Be­weis ge­stellt.

4.

Unschädlich ist es auch, dass es in dem Un­ter­rich­tungs­schrei­ben heißt, dass die Be­klag­te für den Fall des Wi­der­spruchs „vor­aus­sicht­lich ei­ne be­triebs­be­ding­te Be­en­di­gungskündi­gung aus­spre­chen müssen“. Ei­ne in­di­vi­du­el­le Prüfung ist in dem Schrei­ben zwei Absätze später zu­ge­sagt wor­den. Hier weist die Be­klag­te zu­tref­fend dar­auf hin, dass die ju­ris­tisch rich­ti­ge Dar­le­gung der kündi­gungs­schutz­recht­li­chen Stel­lung für die ver­schie­de­nen Ar­beit­neh­mer­grup­pen das Un­ter­rich­tungs­schrei­ben völlig un­verständ­lich ma­chen würde (vgl. S. 16 der Be­ru­fungs­be­gründung; eben­so LAG Bran­den­burg vom 30.04.2010, 9 Sa 480/10, BAG - 8 AZR 430/10).

5.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 ZPO.

6.

Es be­ste­hen kei­ne Gründe zur Zu­las­sung der Re­vi­si­on gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG.

Ei­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung liegt nicht vor, weil wei­te­re Ent­schei­dun­gen, die das glei­che Un­ter­rich­tungs­schrei­ben über die hier ent­schie­de­nen 18 Fälle hin­aus nicht zu er­war­ten sind.

Es liegt auch kei­ne Di­ver­genz gemäß § 72 Abs. 2 Zif­fer 2 ArbGG vor. Die zi­tier­te Ent­schei­dung des LAG Düssel­dorf im Rah­men der Ausführun­gen zur Pflicht der Fra­ge, ob der Um­stand der Neu­gründung mit­tei­lungs­pflich­tig ist, ist durch die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts 8 AZR 430/10 über­holt. Spätes­tens dort hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schie­den, dass es dem Ar­beit­neh­mer zu­zu­mu­ten ist, hin­sicht­lich der Ein­zel­hei­ten der ein­tra­gungs­pflich­ti­gen Tat­sa­chen Ein­blick in das Han­dels­re­gis­ter zu neh­men.

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