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LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 23.04.2010, 10 Sa 203/10

   
Schlagworte: Ausschlussfrist, Urlaubsabgeltung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen: 10 Sa 203/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.04.2010
   
Leitsätze: Eine tarifliche Verfallvorschrift, die u. a. vorsieht, dass Ansprüche auf Urlaub und Urlaubsabgeltung spätestens drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, sofern sie nicht innerhalb der Frist schriftlich geltend gemacht werden (hier § 24 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel NRW), erfasst auch den Abgeltungsanspruch für den gesetzlichen Erholungsurlaub aus § 7 Abs. 4 BUrlG.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Oberhausen, Urteil vom 16.12.2009, 1 Ca 2212/09
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.08.2011, 9 AZR 365/10
   

Te­nor:

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ober­hau­sen vom 16.12.2009 - 1 Ca 2212/09 - wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

TAT­BESTAND:

Die Par­tei­en strei­ten dar­um, ob der An­spruch der Kläge­rin auf Ab­gel­tung von Ur­laub, den sie we­gen ei­ner von 1997 bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses im Jah­re 2008 durch­ge­hend be­ste­hen­der Ar­beits­unfähig­keit nicht neh­men konn­te, auf­grund ta­rif­ver­trag­li­cher Ver­fall­vor­schrif­ten un­ter­ge­gan­gen ist.

Die Kläge­rin trat am 01.02.1980 als Verkäufe­r­in in die Diens­te der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin, die ein Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men be­treibt. Im Ar­beits­ver­trag, we­gen des­sen In­halt im Übri­gen auf die von Be­klag­ten­sei­te zu den Ak­ten ge­reich­te Ko­pie Be­zug ge­nom­men wird (Blatt 14 - 15 d.A.), heißt es aus­zugs­wei­se:

„Für das Dienst­verhält­nis gel­ten - so­weit im Rah­men die­ses Ver­tra­ges nichts an­de­res ver­ein­bart wird - die Be­stim­mun­gen des ört­lich maßgeb­li­chen Ta­rif­ver­tra­ges für den Ein­zel­han­del ein­sch­ließlich der ent­spre­chen­den Zu­satz­ab­kom­men."

Ört­lich maßgeb­lich ist der Man­tel­ta­rif­ver­trag für den Ein­zel­han­del in Nord­rhein-West­fa­len (im Fol­gen­den: MTV-Ein­zel­han­del NRW). Die­ser enthält un­ter § 15 ur­laubs­spe­zi­fi­sche Re­ge­lun­gen und un­ter § 24 ei­ne Ver­fall­klau­sel, die aus­zugs­wei­se wie folgt lau­tet:

„(1) Die Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis ver­fal­len wie folgt

a) ...

b) spätes­tens drei Mo­na­te nach En­de des Ur­laubs­jah­res bzw. Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses:

Ansprüche auf Ur­laub, Ur­laubs­ab­gel­tung und Son­der­zah­lun­gen;

c) ...

(2) Die Ansprüche ver­fal­len nicht, so­fern sie in­ner­halb der vor­ge­nann­ten Fris­ten schrift­lich gel­tend ge­macht wor­den sind.

...“

Seit dem 27.01.1997 war die Kläge­rin durch­ge­hend ar­beits­unfähig er­krankt. Zunächst be­zog sie ei­ne be­fris­te­te Er­werbs­unfähig­keits­ren­te. Mit Ab­lauf des 31.03.2008 en­de­te das Ar­beits­verhält­nis. Seit­her be­zieht die Kläge­rin die Er­werbs­unfähig­keits­ren­te un­be­fris­tet.

Mit Schrei­ben vom 26.06.2009, we­gen des­sen ge­nau­en In­halt auf die mit der Kla­ge­schrift zu den Ak­ten ge­reich­te Ko­pie ver­wie­sen wird (Blatt 3 f. d.A.), mach­te die Kläge­rin Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche für die Jah­re 2006 bis 2008 gel­tend. Nach­dem die Be­klag­te die Zah­lung ab­ge­lehnt hat­te, er­hob die Kläge­rin Zah­lungs­kla­ge, mit der sie, aus­ge­hend von ei­nem ta­rif­ver­trag­li­chen Jah­res­ur­laubs­an­spruch von 36 Werk­ta­gen (§ 15 Abs. 3 MTV-Ein­zel­han­del NRW), für den Zeit­raum vom 01.01.2006 bis zum 31.03.2008 Ab­gel­tung von ins­ge­samt 81 Werk­ta­gen in rech­ne­risch nicht an­ge­grif­fe­ner Höhe von 2.179,05 € brut­to be­gehrt.

Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, ihr ste­he in An­se­hung der geänder­ten Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur Fra­ge des Ver­falls von Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüchen bei dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung zu. Die ta­rif­li­che Aus­schluss­frist könne je­den­falls nicht den ge­setz­li­chen Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch er­fas­sen.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 2.179,05 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten ober­halb des Ba­sis­zins­sat­zes ab Kla­ge­zu­stel­lung zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch sei ver­fal­len. Fer­ner sei die Kläge­rin nach Treu und Glau­ben ge­hin­dert, sich auf den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch zu be­ru­fen.

Mit Ur­teil vom 16.12.2009 hat das Ar­beits­ge­richt die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Die Ansprüche der Kläge­rin sei­en gemäß § 24 MTV-Ein­zel­han­del NRW ver­fal­len.

Sei der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch bei Ar­beits­unfähig­keit auf­grund der neu­en Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG vom 24.3.2009 - 9 AZR 983/07, vollständig do­ku­men­tiert bei ju­ris) nicht (mehr) nach § 7 Abs. 3 BurIG be­fris­tet, un­ter­schei­de sich auch § 7 Abs. 4 BUrlG nicht mehr von an­de­ren zwin­gen­den Vor­schrif­ten, bei de­nen oh­ne Wei­te­res ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten zur An­wen­dung kom­men könn­ten. So sei es für die mit § 13 BUrIG ver­gleich­ba­re Vor­schrift des § 12 EFZG ge­si­cher­te Recht­spre­chung, dass Aus­schluss­fris­ten zum Ver­fall ent­spre­chen­der Ansprüche führen könn­ten (BAG vom 16.01.2002 - 5 AZR 430/00, do­ku­men­tiert bei ju­ris). Zur Be­gründung wer­de über­zeu­gend an­geführt, die Aus­schluss­frist be­tref­fe nicht die in­halt­li­che Ein­schränkung des An­spruchs, die § 12 EFZG ver­bie­te, son­dern nur des­sen Gel­tend­ma­chung und zeit­li­che Be­gren­zung (BAG vom 30.03.1962 - 2 AZR 101/61, AP Nr. 28 zu § 4 TVG Aus­schluss­fris­ten; BAG vom 16.1.2002 - 5 AZR 430/00, a.a.O.). Ein Grund für ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung von Ent­gelt­fort­zah­lungs­ansprüchen mit Ansprüchen auf Ur­laubs­ab­gel­tung be­ste­he nicht. Ent­schei­dend sei, dass der Eu­ropäische Ge­richts­hof den Ver­fall der Ur­laubs­ansprüche le­dig­lich in den Fällen ver­hin­dern wol­le, in de­nen der Ar­beit­neh­mer auf­grund sei­ner Ar­beits­unfähig­keit auf den Ver­fall nicht den ge­rings­ten Ein­fluss neh­men könne (vgl. EuGH, Urt. v. 20.1.2009 - C¬350/06, do­ku­men­tiert bei ju­ris). Der Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs könne dem­ge­genüber nicht ent­nom­men wer­den, dass die Richt­li­nie 2003/88/EG ge­ne­rell ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten ent­ge­gen­ste­he, zu­mal der Ar­beit­neh­mer den Ver­fall nach ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten durch recht­zei­ti­ge Gel­tend­ma­chung un­pro­ble­ma­tisch ver­hin­dern könne.

Sch­ließlich könne die Kläge­rin im Hin­blick auf die Versäum­ung der ta­rif­li­chen Aus­schluss­frist kei­nen Ver­trau­ens­schutz in An­spruch neh­men. Eben­so wie es das Bun­des­ar­beits­ge­richt ab­ge­lehnt ha­be, seit der Be­kannt­ma­chung des Vor­la­ge­be­schlus­ses des LAG Düssel­dorf (Be­schl. v. 2.8.2006 - 12 Sa 486/06, do­ku­me­ni­tert bei ju­ris) Ver­trau­ens­schutz für den Ar­beit­ge­ber zu gewähren (vgl. BAG vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 a.a.O), sei es auch der Kläge­rin un­be­nom­men ge­we­sen wäre, be­reits bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses die Ur­laubs­ab­gel­tung vor­sorg­lich gel­tend zu ma­chen. Denn zu die­sem Zeit­punkt sei der Vor­la­ge­be­schluss be­kannt ge­we­sen.

Mit ih­rer Be­ru­fung wen­det sich die Kläge­rin un­ter Auf­recht­er­hal­tung ih­rer erst­in­stanz­lich ver­tre­te­nen Rechts­auf­fas­sung ge­gen das Ur­teil.

Der be­zahl­te Jah­res­ur­laub sei als so­zia­les Grund­recht und je­der­mann zu­ste­hen­des Men­schen­recht im Sin­ne von Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on an­zu­se­hen. Auch der Eu­ropäische Ge­richts­hof ha­be in sei­ner Ent­schei­dung vom 20. Ja­nu­ar 2009 deut­lich her­vor­ge­ho­ben, dass der An­spruch je­des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub ein be­son­ders be­deut­sa­mer Grund­satz des So­zi­al­rechts der Ge­mein­schaf­ten sei, von dem nicht ab­ge­wi­chen wer­den dürfe. Die­sen Grundsätzen wi­der­spre­che es, den An­spruch - kur­zen - ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten zu un­ter­wer­fen. Mit sei­ner Ent­schei­dung vom 24. März 2009 sei das Bun­des­ar­beits­ge­richt dem Ur­teil des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ge­folgt, dem zu­min­dest sinn­gemäß zu ent­neh­men sei, dass auch ein kurz­fris­ti­ger Ver­fall der Ur­laubs- (Ab­gel­tungs-) Ansprüche dem Ge­mein­schafts­recht ent­ge­gen­ste­he.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Ober­hau­sen vom 16.12.2009 die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 2.179,05 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten ober­halb des Ba­sis­zins­sat­zes ab Kla­ge­zu­stel­lung zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil. We­gen ih­res wei­te­ren Vor­brin­gens wird auf die Be­ru­fungs­be­ant­wor­tung vom 13.03.2010 (Bl. 73 ff.) ver­wie­sen.

Im Übri­gen wird we­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zu­grun­de­lie­gen­den Sach­ver­halts so­wie des wi­der­strei­ten­den Sach­vor­trags und der un­ter­schied­li­chen Rechts­auf­fas­sun­gen der Par­tei­en ergänzend Be­zug ge­nom­men auf den Ak­ten­in­halt, ins­be­son­de­re die wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze der Par­tei­en nebst An­la­gen so­wie die Pro­to­kol­le der münd­li­chen Ver­hand­lun­gen aus bei­den In­stan­zen.

ENT­SCHEI­DUN­GSGRÜNDE:

I.

Die den An­for­de­run­gen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 1, 2, 6 ArbGG in Ver­bin­dung mit §§ 519, 520 ZPO genügen­de und des­halb zulässi­ge Be­ru­fung konn­te in der Sa­che kei­nen Er­folg ha­ben.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen.

Jed­we­der An­spruch auf Ab­gel­tung von Ur­laub, den die Kläge­rin in den Jah­ren 2006 bis 2008 in­fol­ge ih­rer durch­ge­hen­den Ar­beits­unfähig­keit nicht neh­men konn­te, ist gemäß § 24 MTV-Ein­zel­han­del NRW ver­fal­len.

1. Für das Ar­beits­verhält­nis galt auf­grund der Ver­ein­ba­rung der Par­tei­en der ört­lich ein­schlägi­ge MTV-Ein­zel­han­del NRW und da­mit auch des­sen § 24.

Nach die­ser Re­ge­lung ver­fal­len Ansprüche auf Ur­laub und Ur­laubs­ab­gel­tung spätes­tens drei Mo­na­te nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, so­fern sie nicht bin­nen die­ser Frist schrift­lich gel­tend ge­macht wur­den.

Das ge­schah hier nicht.

Das Ar­beits­verhält­nis en­de­te mit dem 31.03.2008. Ei­ne Gel­tend­ma­chung er­folg­te erst im Ju­ni 2009. Das war er­sicht­lich zu spät.

2. § 24 MTV-Ein­zel­han­del ist nicht nur auf den ta­rif­ver­trag­li­chen Mehr­ur­laub, son­dern auch auf den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub der Kläge­rin an­wend­bar.

Das folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1und Satz 2 BUrlG.

a) Es kann da­hin­ste­hen, ob es je­mals rich­tig oder son­der­lich über­zeu­gend war, den An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung aus § 7 Abs. 4 BUrlG für ab­so­lut un­ab­ding­bar zu er­ach­ten, ob­gleich er nach der zu­tref­fen­den Fest­stel­lung des Ar­beits­ge­richts nicht zum Kreis der Vor­schrif­ten zählt, die § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG für un­ab­ding­bar erklärt. Das Ar­beits­ge­richt weist in­so­weit zu­tref­fend dar­auf hin, dass die­se Fra­ge auf­grund der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zum re­gelmäßigen Ver­fall von Ur­laub, der in­fol­ge durch­ge­hen­der Er­kran­kung nicht ge­nom­men wer­den konn­te, kei­ne be­son­de­re Be­deu­tung zu­kam. Denn nach die­ser Recht­spre­chung ver­fiel der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch un­abhängig von der Fra­ge, ob und wann der Ar­beit­neh­mer wie­der ar­beitsfähig wur­de, nach den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten spätes­tens zum 31.03. des Fol­ge­jah­res (§ 7 Abs. 1 S. 1 u. 3 BUrlG). Ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten er­ach­te­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt als nicht auf den ge­setz­li­chen Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch an­wend­bar. Das fol­ge aus der ge­setz­li­chen Be­fris­tung des Ur­laubs­an­spruchs (vgl. BAG vom 24.11.1992 - 9 AZR 549/91; BAG vom 18.11.2003 - 9 AZR 95/03, al­le­samt vollständig do­ku­men­tiert bei ju­ris).

Je­den­falls seit Weg­fall des be­son­de­ren „Zeit­re­gimes“ des Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs mit Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 24. März 2009 ist die­se Recht­fer­ti­gung der Son­der­be­hand­lung ei­nes ur­laubs­recht­li­chen Geld­an­spruchs ge­genüber an­de­ren ge­setz­li­chen Zah­lungs­ansprüchen im Hin­blick auf die An­wen­dung von ta­rif­ver­trag­li­chen Ver­fall­klau­seln ent­kräftet mit der Fol­ge, dass fort­an ta­rif­ver­trag­li­che Ver­fall­klau­seln auch auf den Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch An­wen­dung fin­den.

Das Be­ru­fungs­ge­richt folgt in­so­weit den zu­tref­fen­den Erwägun­gen des Ar­beits­ge­richts und stellt dies un­ter Ver­wei­sung auf die Ent­schei­dungs­gründe des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

b) Mit der Be­ru­fung sind kei­ne As­pek­te vor­ge­bracht wor­den, die die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts in Fra­ge stel­len könn­ten.

Der An­wen­dung der ta­rif­ver­trag­li­chen Ver­fall­klau­sel auch auf den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub ste­hen we­der die Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (sog. Ar­beits­zeit­richt­li­nie, ABl. EG Nr. L 299 vom 18. No­vem­ber 2003 S. 9) noch die Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs vom 20. Ja­nu­ar 2009 (- C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff]) ent­ge­gen, mit der der Eu­ropäische Ge­richts­hof im Rah­men ei­ner Vor­ab­ent­schei­dung nach Art. 234 EG in Aus­le­gung von Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richt­li­nie 2003/88/EG Rechts­grundsätze zur Fra­ge der Gewährung von Ur­laubs­ab­gel­tung bei durch­ge­hen­der Ar­beits­unfähig­keit auf­ge­stellt hat.

Da­nach ist Art. 7 Abs. 1 EGRL 88/2003 zwar da­hin aus­zu­le­gen, dass er ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten oder Ge­pflo­gen­hei­ten ent­ge­gen­steht, nach de­nen der An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub bei Ab­lauf des Be­zugs­zeit­raums und/oder ei­nes im na­tio­na­len Recht fest­ge­leg­ten Über­tra­gungs­zeit­raums auch dann er­lischt, wenn der Ar­beit­neh­mer während des ge­sam­ten Be­zugs­zeit­raums oder ei­nes Teils da­von krank­ge­schrie­ben war und sei­ne Ar­beits­unfähig­keit bis zum En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses fort­be­stand, wes­halb er sei­nen An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub nicht ausüben konn­te. Das be­deu­tet je­doch nicht, dass Art. 7 Abs. 1 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie jed­we­der na­tio­na­len Re­ge­lung, die für die Ausübung des mit der Richt­li­nie aus­drück­lich ver­lie­he­nen An­spruchs auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub Mo­da­litäten vor­sieht, ent­ge­gen stünde. Nach der aus­drück­li­chen Fest­stel­lung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs muss durch das na­tio­na­le Recht le­dig­lich gewähr­leis­tet sein, "dass der Ar­beit­neh­mer, des­sen An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub er­lo­schen ist, tatsächlich die Möglich­keit hat­te, den ihm mit der Richt­li­nie ver­lie­he­nen An­spruch aus­zuüben" (vgl. EuGH 20.01.2009 - C-350/06 und C-520/06, aaO, Rn. 43).

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat dar­aus ge­schlos­sen, dass der Eu­ropäische Ge­richts­hof die Auf­recht­er­hal­tung des Ur­laubs­an­spruchs in den Aus­nah­mefällen, in de­nen vom Wil­len des Ar­beit­neh­mers un­abhängi­ge Gründe der Ur­laubs­gewährung ent­ge­gen­ste­hen, an en­ge Vor­aus­set­zun­gen bin­de. Der Ar­beit­neh­mer dürfe bei Krank­heit we­gen der dar­aus herrühren­den Ar­beits­unfähig­keit nicht da­zu in der La­ge ge­we­sen sein, sei­nen Ur­laubs­an­spruch bis zum En­de des Ur­laubs­jah­res oder ei­nes ein­zel­staat­lich vor­ge­se­he­nen Über­tra­gungs­zeit­raums zu ver­wirk­li­chen (BAG vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07, a.a.O., Rn. 49).

Die­se Einschätzung teilt das Be­ru­fungs­ge­richt.

Wie auch schon das Ar­beits­ge­richt be­tont hat, kommt es für die Wah­rung des eu­ropäischen Min­dest­stan­dards in Fra­gen der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung aus der Richt­li­nie 2003/88/EG ent­schei­dend dar­auf an, dass der Ar­beit­neh­mer die Möglich­keit hat­te, sei­ne Ur­laubs­ansprüche zu rea­li­sie­ren, sei es nach Ge­ne­sung in Ge­stalt von tatsächlich gewähr­tem und ge­nom­me­nen Ur­laub, sei es we­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Ge­stalt ei­ner fi­nan­zi­el­len Ab­gel­tung. Gewährt das na­tio­na­le Recht dem Ar­beit­neh­mer fak­tisch und re­al die­se Möglich­keit, so ist dem Schutz­ge­dan­ken der Richt­li­nie und da­mit zu­gleich auch dem von Kläger­sei­te mit der Be­ru­fungs­be­gründung her­an­ge­zo­ge­nen Cha­rak­ter des Ur­laubs­an­spruchs als so­zia­les Grund­recht und je­der­mann zu­ste­hen­des Men­schen­recht im Sin­ne der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on Genüge ge­tan.

So verhält es sich hier.

Mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31.03.2008 stand fest, dass die auf­ge­lau­fe­nen Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin nicht mehr durch Gewährung in na­tu­ra würden be­frie­digt wer­den können. Ei­ne fi­nan­zi­el­le Ab­gel­tung des Ur­laubs­an­spruchs war von die­sem Mo­ment an die al­lein ver­blie­be­ne Möglich­keit. Mit der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses wird der An­spruch auf Ab­gel­tung nicht ge­nom­me­nen Ur­laubs auch fällig (vgl. BAG vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07, a.a.O. Rn 69). Dem­nach hat­te die Kläge­rin nach dem 31.03.2008 für die Dau­er von drei Mo­na­ten die fak­ti­sche und rea­le Möglich­keit ih­re Ansprüche auf Ur­laubs­ab­gel­tung durch ein ein­fa­ches schrift­li­ches Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben bei der Be­klag­ten ein­zu­for­dern und im Fal­le der Erfüllungs­ver­wei­ge­rung Kla­ge zu er­he­ben.

Von die­ser Möglich­keit hat die Kläge­rin bin­nen der ge­nann­ten Frist kei­nen Ge­brauch ge­macht. Es mag sein, dass sie zur da­ma­li­gen Zeit von der
Gel­tend­ma­chung ih­rer Ansprüche ab­sah, weil sie auf Ba­sis der langjähri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts da­von aus­ging, we­gen fort­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit we­der bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses noch da­nach Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche rea­li­sie­ren zu können. Die­se recht­li­che Fehl­einschätzung und die dar­auf be­ru­hen­de Untätig­keit ver­mag je­doch nichts dar­an zu ändern, dass die Kläge­rin die vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof ge­for­der­te tatsächli­che Möglich­keit hat­te, den mit der Ar­beits­zeit­richt­li­nie ver­lie­he­nen An­spruch aus­zuüben. Das Ge­mein­schafts­recht schützt nur den Ar­beit­neh­mer, der ge­hin­dert ist, sei­ne Ansprüche zu rea­li­sie­ren, nicht aber den, der untätig bleibt (ErfK/Dörner, 10. Aufl., § 7 BUrIG Rn. 65).

c) Dass der Kläge­rin im Hin­blick auf die Fol­gen die­ser recht­li­chen Fehl­einschätzung kein "Ver­trau­ens­schutz" gewährt wer­den kann, hat das Ar­beits­ge­richt mit über­zeu­gen­den Gründen dar­ge­legt, de­nen das Be­ru­fungs­ge­richt folgt (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

II.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Ver­bin­dung mit § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Re­vi­si­on an das Bun­des­ar­beits­ge­richt war we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung i.S.d. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zu­zu­las­sen.

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