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BAG, Ur­teil vom 12.04.2002, 2 AZR 148/01

   
Schlagworte: Krankheitsbedingte Kündigung, Krankheit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 148/01
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.04.2002
   
Leitsätze:

1. Weigert sich der erkrankte Arbeitnehmer vorprozessual, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien, so ist es ihm dennoch nicht verwehrt, im Kündigungsschutzprozeß die negative Gesundheitsprognose unter Bezugnahme auf ärztliches Zeugnis zu bestreiten.

2. Bei einer Kündigung aus Anlaß einer Langzeiterkrankung ist bei krankheitsbedingter dauerhafter Leistungsunfähigkeit in aller Regel von einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen (2. Stufe) auszugehen. Der dauerhaften Leistungsunfähigkeit steht die Ungewißheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann. Für die Prognose kommt es auf den Zeitpunkt der Kündigung an. Vor der Kündigung liegende Krankheitszeiten können in den Prognosezeitraum (24 Monate) nicht eingerechnet werden (Bestätigung und Ergänzung des Senatsurteils vom 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - BAGE 91, 271).

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bielefeld, Urteil vom 18.10.2000, 4 Ca 2029/00
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 16.01.2001, 7 Sa 1833/00
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 148/01
7 Sa 1833/00
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Hamm

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
12. April 2002

UR­TEIL

An­derl, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

PP.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 12. April 2002 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Bröhl und Schmitz-Scho­le­mann, die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin En­gel und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Bühler für Recht er­kannt:

Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 16. Ja­nu­ar 2001 - 7 Sa 1833/00 - auf-ge­ho­ben.

 

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Die Sa­che wird zur an­der­wei­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung, die we­gen lang an­hal­ten­der Krank­heit der Kläge­rin aus­ge­spro­chen wur­de.

Die 1964 ge­bo­re­ne, le­di­ge Kläge­rin trat im Fe­bru­ar 1986 als Kin­der­pfle­ge­rin in die Diens­te der be­klag­ten Kir­chen­ge­mein­de, die et­wa 50 Ar­beit­neh­mer beschäftigt. Die Kläge­rin war in dem von der Be­klag­ten be­trie­be­nen Kin­der­gar­ten tätig. Die mo­nat­li­che Brut­to­vergütung be­trug zu­letzt 3.876,92 DM. Im Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en ist die Gel­tung des Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­tra­ges in der für die An­ge­stell­ten im Be­reich der Evan­ge­li­schen Kir­che von West­fa­len je­weils gel­ten­den Fas­sung (BAT-KF) so­wie des Kir­chen­ge­set­zes über das Ver­fah­ren zur Re­ge­lung der Ar­beits­verhält­nis­se der Mit­ar­bei­ter im Kirch­li­chen Dienst (ARRG) vom 25. Ok­to­ber 1979 (KA­BI. S 230) ver­ein­bart.

Im Jah­re 1992 war die Kläge­rin an 52 Ar­beits­ta­gen und im Jah­re 1993 bis En­de No­vem­ber an 58 Ar­beits­ta­gen ar­beits­unfähig er­krankt. Seit dem 30. No­vem­ber 1993 war die Kläge­rin - ab­ge­se­hen von ei­nem fehl­ge­schla­ge­nen Ver­such der Wie­der­ein­glie­de­rung im Jahr 1994 - fort­lau­fend ar­beits­unfähig (ua. we­gen Amal­gam - In­to­xi­ka­ti­on). In der Zeit vom 9. Au­gust 1995 bis zum 31. De­zem­ber 1996 er­hielt sie Er­werbs­unfähig­keits­ren­te, we­gen de­ren wei­te­rer Be­wil­li­gung sie ei­ne Kla­ge vor dem So­zi­al­ge­richt er­ho­ben hat.

Auf An­fra­ge der Be­klag­ten teil­te die Kläge­rin im Ju­ni 1998 mit, die Aus­lei­tung der Gif­te und Schwer­me­tal­le fin­de in re­gelmäßigen Abständen statt, voll­zie­he sich aber sehr lang­sam. Das So­zi­al­ge­richt ha­be ein Sach­verständi­gen­gut­ach­ten in Auf­trag ge­ge­ben. Im Ver­lauf wei­te­rer Kor­re­spon­denz der Par­tei­en in­for­mier­te die Kläge­rin die Be­klag­te im Ja­nu­ar 1999, es sei noch nicht ab­seh­bar, wann sie ih­re Tätig­keit wie­der auf­neh­men könne, ihr Ge­sund­heits­zu­stand ha­be sich noch nicht we­sent­lich ge­bes­sert und präzi­se­re An­ga­ben könne sie nicht ma­chen. Die von der Be­klag­ten geäußer­te Bit­te

 

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um Ent­bin­dung ih­res Arz­tes von der Schwei­ge­pflicht lehn­te die Kläge­rin un­ter dem 13. Mai 1999 ab, da sich auch nach Rück­spra­che mit ih­ren Ärz­ten kein ge­nau­er Zeit­punkt der Rück­kehr zur Ar­beit ab­se­hen las­se. Die Be­klag­te kündig­te dar­auf­hin mit Schrei­ben vom 25. Ju­ni 1999 zum 31. De­zem­ber 1999. Das Ar­beits­ge­richt Bie­le­feld stell­te rechts­kräftig die Un­wirk­sam­keit die­ser Kündi­gung we­gen feh­len­der Be­tei­li­gung der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung fest (ArbG Bie­le­feld - 4 Ca 1934/99 -).

Am 21. Ju­ni 2000 faßte das Pres­by­te­ri­um der Be­klag­ten den Be­schluß, das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin "vor­be­halt­lich der kir­chen­auf­sicht­li­chen Ge­neh­mi­gung" zum 31. De­zem­ber 2000 zu kündi­gen. Aus­weis­lich ei­nes von der Be­klag­ten vor­ge­leg­ten Schrei­bens des Lan­des­kir­chen­am­tes vom 23. Ju­ni 2000 er­teil­te die­ses die kir­chen­auf­sicht­li­che Ge­neh­mi­gung.

Mit Schrei­ben vom 28. Ju­ni 2000, das der Kläge­rin am Ta­ge dar­auf zu­ging, erklärte die Be­klag­te die or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31. De­zem­ber 2000.

Ein Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren nach dem Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tungs­ge­setz (MVG) ging der Kündi­gung nicht vor­aus. Wie im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren nicht mehr strei­tig ist, hat­te die frühe­re Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung (MAV) am 27. Sep­tem­ber 1999 ih­ren Rück­tritt be­schlos­sen. Am 28. Ok­to­ber 1999 fand ei­ne Mit­ar­bei­ter­ver­samm­lung statt, auf der ein Wahl­vor­stand für die Neu­wahl ei­ner MAV gewählt wur­de. Zur Neu­wahl kam es dann je­doch nicht, weil sich kei­ne Kan­di­da­ten zur Verfügung stell­ten.

Die Kläge­rin hält die Kündi­gung vom 28. Ju­ni 2000 für un­wirk­sam. Die Kündi­gung schei­te­re schon des­halb, weil das Pres­by­te­ri­um den Kündi­gungs­be­schluß zu ei­nem Zeit­punkt ge­faßt ha­be, als die kir­chen­auf­sicht­li­che Ge­neh­mi­gung noch nicht vor­ge­le­gen ha­be. Fer­ner ha­be die Be­klag­te ein Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren nach dem MVG durchführen müssen. Un­ter Be­ru­fung auf das sach­verständi­ge Zeug­nis der sie be­han­deln­den Ärz­te R und M hat die Kläge­rin vor­ge­tra­gen, nach ei­ge­ner Be­find­lich­keit ge­he sie da­von aus, der Be­klag­ten spätes­tens am En­de des ers­ten Quar­tals 2001 voll­schich­tig zur Verfügung zu ste­hen.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, daß das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis nicht durch die ar­beit­ge­ber­sei­ti­ge Kündi­gung vom 28. Ju­ni 2000 auf­gelöst wor­den ist.

 

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Die Be­klag­te hat um Ab­wei­sung der Kla­ge ge­be­ten. Es rei­che aus, daß die kir­chen­auf­sicht­li­che Ge­neh­mi­gung bei Aus­spruch der Kündi­gung vor­ge­le­gen ha­be. Die MAV ha­be seit ih­rem Rück­tritt nicht mehr exis­tiert. Der am 28. Ok­to­ber 1999 ge­bil­de­te Wahl­vor­stand neh­me die Auf­ga­ben der MAV nach dem MVG längs­tens für ei­nen Zeit-raum von sechs Mo­na­ten wahr. Nach Ab­lauf die­ses Zeit­raums be­ste­he kei­ne Möglich­keit zur Durchführung ei­nes Be­tei­li­gungs­ver­fah­rens. Im Zeit­punkt des Kündi­gungs­zu­gangs sei mit ei­ner Wie­der­her­stel­lung der Ge­sund­heit der Kläge­rin auf ab­seh­ba­re Zeit - zu­min­dest für die fol­gen­den 24 Mo­na­te - nicht zu rech­nen ge­we­sen. Ob­jek­ti­ve An­halts­punk­te für ei­ne Bes­se­rung ha­be die Kläge­rin nicht be­nannt. Die Be­klag­te ha­be während der Ar­beits­unfähig­keit der Kläge­rin im­mer wie­der mit be­fris­tet täti­gen Ver­tre­tungs­kräften ar­bei­ten müssen. Wei­te­re Über­brückungs­maßnah­men sei­en ihr nicht zu­mut­bar. Die In­ter­es­sen­abwägung müsse, da die Kläge­rin noch re­la­tiv jung sei und das Ar­beits­verhält­nis bis zum Be­ginn der Er­kran­kun­gen nicht all­zu lan­ge be­stan­den ha­be, zu­guns­ten der Be­klag­ten aus­ge­hen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Kläge­rin nach Be­weis­auf­nah­me zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Sie führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, die Kündi­gung sei we­der for­mell zu be­an­stan­den noch als Wie­der­ho­lungskündi­gung un­wirk­sam. Sie sei durch Gründe in der Per­son der Kläge­rin be­dingt und des­halb nicht so­zi­al­wid­rig iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Die für die Wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung aus An­laß ei­ner Lang­zeit­er­kran­kung ge­ge­be­nen drei Vor­aus­set­zun­gen sei­en erfüllt. Die ne­ga­ti­ve Zu­kunfts­pro­gno­se sei durch die seit 1993 be­ste­hen­de Ar­beits­unfähig­keit in­di­ziert. Zwar ha­be der be­han­deln­de Arzt der Kläge­rin in sei­ner schrift­li­chen Aus­sa­ge als sach­verständi­ger Zeu­ge erklärt, bei Aus­spruch der Kündi­gung sei nicht ab­seh­bar ge­we­sen, daß die Kläge­rin länger als bis März 2001 ar­beits­unfähig blei­ben würde. Auf die­se po­si­ti­ve Zu­kunfts­pro­gno­se könne sich die Kläge­rin je­doch nicht be­ru­fen, weil sie vor­pro­zes­su­al treu­wid­rig die Aufklärung der ob­jek­tiv vor­herr­schen­den ge­sund­heit­li­chen Si­tua­ti­on ver­hin­dert ha­be. Ei­ne

 

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er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen fol­ge dar­aus, daß bei Aus­spruch der Kündi­gung die Ge­ne­sung der Kläge­rin völlig un­ge­wiß ge­we­sen sei. Das ha­be durch­aus auch für die vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ge­for­der­te Dau­er von 24 Mo­na­ten ge­gol­ten, wie sich aus ei­ner Ge­samtwürdi­gung der schrift­li­chen Aus­sa­ge des sach­verständi­gen Zeu­gen Dr. M er­ge­be. Ab­ge­se­hen da­von sei der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ge­setz­te Rah­men von 24 Mo­na­ten im vor­lie­gen­den Fall un­an­ge­mes­sen, weil die Be­klag­te un­gewöhn­lich lan­ge mit der Kündi­gung ge­war­tet und da­mit die Zu­kunfts­pro­gno­se vor­weg­ge­nom­men ha­be. Die In­ter­es­sen­abwägung ge­he zu Las­ten der Kläge­rin aus. Sie sei jung ge­nug, um ei­nen neu­en be­ruf­li­chen An­fang zu star­ten, und ih­re Bin­dung an die Be­klag­te fal­le an­ge­sichts ei­nes nur an­fangs un­gestörten Beschäfti­gungs­ver­laufs nicht so sehr ins Ge­wicht.

II. Dem folgt der Se­nat nur in Tei­len der Be­gründung.

1. Zu­tref­fend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt, daß die Kündi­gung nicht als so­ge­nann­te "Wie­der­ho­lungskündi­gung" un­wirk­sam ist. Die Be­klag­te war nicht ge­hin­dert, die Kündi­gung auf die Gründe zu stützen, aus de­nen sie die vor­aus­ge­gan­ge­ne Kündi­gung erklärt hat­te.

a) Ist in ei­nem Kündi­gungs­rechts­streit ent­schie­den, daß das Ar­beits­verhält­nis durch ei­ne be­stimm­te Kündi­gung nicht auf­gelöst wor­den ist, so kann der Ar­beit­ge­ber ei­ne er­neu­te Kündi­gung nur dann nicht auf die Kündi­gungs­gründe stützen, die er schon zur Be­gründung der ers­ten Kündi­gung vor­ge­bracht hat, wenn die­se in dem ers­ten Kündi­gungs­schutz­pro­zeß ma­te­ri­ell ge­prüft wor­den sind mit dem Er­geb­nis, daß sie die Kündi­gung nicht recht­fer­ti­gen können (Se­nat 26. Au­gust 1993 - 2 AZR 159/93 -BA­GE 74, 143; 5. Fe­bru­ar 1998 - 2 AZR 227/97 - BA­GE 88, 10).

b) Im Pro­zeß um die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 25. Ju­ni 1999 hat ei­ne sol­che ma­te­ri­el­le Prüfung nicht statt­ge­fun­den. Das Ar­beits­ge­richt hat die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung viel­mehr des­halb fest­ge­stellt, weil es an der Durchführung des Be­tei­li­gungs­ver­fah­rens nach dem MVG fehl­te. Außer­dem kommt es für die Be­gründet­heit der Krank­heitskündi­gung auf die Ge­sund­heits­pro­gno­se im Zeit­punkt der Kündi­gung an. Mit die­sem ändert sich zu­gleich der Kündi­gungs­sach­ver­halt.

2. Die Kündi­gung ist nicht we­gen feh­len­der Be­tei­li­gung der MAV un­wirk­sam.

 

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a) Das Kir­chen­ge­setz über Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen in der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land (Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tungs­ge­setz - MVG) vom 6. No­vem­ber 1992 (ABI.EKD 1992 S 445), zu­letzt geändert durch Kir­chen­ge­setz vom 5. No­vem­ber 1998 (ABI.EKD 1998 S 478), trifft, so­weit von In­ter­es­se, fol­gen­de Re­ge­lun­gen:

"§ 7 MVG

Neu­bil­dung von Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen

So­fern kei­ne Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung be­steht, hat die Dienst­stel­len­lei­tung ... un­verzüglich ei­ne Mit­ar­bei­ter­ver­samm­lung zur Bil­dung ei­nes Wahl­vor­stan­des ein­zu­be­ru­fen. Kommt die Bil­dung ei­ner Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung nicht zu­stan­de, so ist auf An­trag von min­des­tens drei Wahl­be­rech­tig­ten und spätes­tens nach Ab­lauf ei­ner Frist von je­weils längs­tens ei­nem Jahr er­neut ei­ne Mit­ar­bei­ter­ver­samm­lung ein­zu­be­ru­fen, um ei­nen Wahl­vor­stand zu bil­den.

§ 16

Neu­wahl der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung vor Ab­lauf der Amts­zeit

(1) Die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung ist vor Ab­lauf ih­rer Amts­zeit un­verzüglich neu zu wählen, wenn

a)

b) die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung mit den Stim­men der Mehr­heit der Mit­glie­der ih­ren Rück­tritt be­schlos­sen hat,

c)

(2) In den Fällen des Ab­sat­zes 1 ist un­verzüglich das Ver­fah­ren für die Neu- oder Nach­wahl ein­zu­lei­ten. Bis zum Ab­schluß der Neu­wahl neh­men im Fal­le des Ab­sat­zes 1 Buch­sta­be a die ver­blie­be­nen Mit­glie­der der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung de­ren Auf­ga­ben wahr ...; in den übri­gen Fällen nimmt der Wahl­vor­stand die Auf­ga­ben der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung bis zum Ab­schluß der Neu­wahl, längs­tens aber für ei­nen Zeit­raum von sechs Mo­na­ten wahr ..."

Gern. § 42 b, § 41 Abs. 3, § 38 MVG darf ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung erst aus­ge­spro­chen wer­den, wenn die MAV zu­ge­stimmt hat oder die Zu­stim­mung durch die Sch­lich­tungs­stel­le er­setzt wor­den ist.

b) Nach den für den Se­nat bin­den­den und auch von der Kläge­rin nicht mehr be­strit­te­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts war die zuständi­ge Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung am 30. Sep­tem­ber 1999 zurück­ge­tre­ten. Am 28. Ok­to­ber 1999 wur­de in ei­ner

 

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Mit­ar­bei­ter­ver­samm­lung ein Wahl­vor­stand gewählt. Zur Wahl ei­ner Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung kam es dann je­doch nicht. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat al­so zu Recht an­ge­nom­men, daß bei Aus­spruch der Kündi­gung im Ju­ni 2000 ei­ne MAV nicht be­stand. Wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt eben­falls zu­tref­fend an­ge­nom­men hat, konn­te die Be­klag­te den am 28. Ok­to­ber 1999 gewähl­ten Wahl­vor­stand nicht be­tei­li­gen, weil des­sen Man­dat gern. § 16 Abs. 2 Satz 2 MVG am 28. April 2000 ab­ge­lau­fen war (vgl. Fey-Reh­ren Kir­chen­ge­setz über Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen in der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land Pra­xis­kom­men­tar Stand Ja­nu­ar 2000 § 16 MVG Rn. 7).

c) Oh­ne Er­folg rügt die Re­vi­si­on, die Be­klag­te ha­be es treu­wid­rig (§ 242 BGB) un­ter­las­sen, die Mit­ar­bei­ter darüber zu un­ter­rich­ten, daß oh­ne Neu­wahl ei­ner Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung die Kündi­gungsmöglich­kei­ten der Be­klag­ten er­wei­tert würden.

aa) An­ders als das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz sieht § 7 MVG al­ler­dings ei­ne Initia­tiv­pflicht des Ar­beit­ge­bers zur Wahl ei­ner Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung vor. Die­ser Ver­pflich­tung ist die Be­klag­te je­doch nach­ge­kom­men, in­dem sie am 28. Ok­to­ber 1999 ei­ne Mit­ar­bei­ter­ver­samm­lung ein­be­rief. Nun­mehr war es Sa­che des Wahl­vor­stan­des und der Mit­ar­bei­ter, ei­ne Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung zu wählen. Darüber hin­aus­ge­hen­de Un­ter-rich­tungs­pflich­ten sieht das MVG nicht vor. Erst nach Ab­lauf ei­nes Jah­res mußte die Be­klag­te er­neut ei­ne Mit­ar­bei­ter­ver­samm­lung ein­be­ru­fen. Ob sie die­ser Ver­pflich­tung nach­ge­kom­men ist, kann da­hin­ste­hen, weil die Kündi­gung vor Ab­lauf die­ser Jah­res­frist aus­ge­spro­chen wur­de.

bb) Die Be­klag­te han­delt nicht treu­wid­rig, wenn sie sich auf die feh­len­de Pflicht zur Durchführung ei­nes Be­tei­li­gungs­ver­fah­rens be­ruft. Treu­wid­rig­keit könn­te al­len­falls dann an­ge­nom­men wer­den - un­ter dem Ge­sichts­punkt der Ver­ei­te­lung von Rech­ten der Ge­gen­par­tei (vgl. auch § 162 Abs. 1 BGB, § 815 BGB) -, wenn die Be­klag­te die Bil­dung ei­ner Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung be­hin­dert oder nicht pflicht­gemäß gefördert hätte. Die Be­klag­te hat aber ih­re Pflich­ten nach dem MVG erfüllt. Daß sich kein Mit­ar­bei­ter zur Kan­di­da­tur be­reit fand, ist ihr nicht an­zu­las­ten.

3. Zu Un­recht meint die Re­vi­si­on, die Kündi­gung sei un­ter ei­ner Be­din­gung aus-ge­spro­chen wor­den und des­halb un­wirk­sam. Das Kündi­gungs­schrei­ben lau­tet:

"Wir kündi­gen hier­mit das Ar­beits­verhält­nis mit Ih­nen aus per­so­nen­be­ding­ten Gründen (Ar­beits­unfähig­keit von nicht ab­seh­ba­rer Dau­er) frist­gemäß zum 31.12.2000."

 

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Da­mit ist die Wirk­sam­keit der Kündi­gung nicht vom Ein­tritt oder Nicht­ein­tritt ei­nes Er­eig­nis­ses abhängig ge­macht wor­den. Die Kündi­gung ist un­be­dingt erklärt.

4. Eben­falls zu Un­recht macht die Re­vi­si­on ei­ne Ver­let­zung von § 180 BGB gel­tend. Die­se Vor­schrift re­gelt das Schick­sal ein­sei­ti­ger Rechts­geschäfte des voll­macht-lo­sen Ver­tre­ters. Die Kündi­gung ist je­doch nicht von ei­nem voll­macht­lo­sen Ver­tre­ter aus­ge­spro­chen wor­den, son­dern von der Be­klag­ten selbst. Ar­beit­ge­be­rin und da­mit Ver­trags­part­ne­rin der Kläge­rin ist al­lein die als Körper­schaft des öffent­li­chen Rechts ver­faßte be­klag­te Kir­chen­ge­mein­de.

Al­ler­dings be­darf nach § 3 Nr. 3, § 5 Abs. 2 Nr. 7 der Ver­ord­nung über die kir­chen­auf­sicht­li­che Ge­neh­mi­gung dienst- und ar­beits­recht­li­cher Maßnah­men (Ge­neh­mi­gungs­ver­ord­nung - Gen­VO) vom 29. No­vem­ber 1995 (KA­BI. 1996 S 5 ff.) die Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses der vor­he­ri­gen Ge­neh­mi­gung durch das Lan­des­kir­chen­amt. Dar­in liegt in­des kei­ne Be­schränkung der Ver­tre­tungs­macht. Die ge­nann­ten Vor­schrif­ten be­inhal­ten viel­mehr das Zu­stim­mungs­er­for­der­nis ei­nes Drit­ten, das in §§ 182 bis184 BGB ge­re­gelt ist. Als zu­stim­mungs­bedürf­ti­ges Rechts­geschäft ist in § 3 Nr. 3 Gen­VO die Kündi­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses be­zeich­net. Wie sich aus § 182 Abs. 3 BGB er­gibt, muß, wenn die Wirk­sam­keit ei­nes ein­sei­ti­gen Rechts­geschäfts von ei­ner vor­he­ri­gen Zu­stim­mung (= Ein­wil­li­gung) abhängt, die Ein­wil­li­gung erst bei Vor­nah­me des Rechts­geschäfts vor­lie­gen. Erst in die­sem Zeit­punkt kann nämlich der Erklärungs­empfänger die Vor­la­ge der schrift­li­chen Ein­wil­li­gung ver­lan­gen (§ 182 Abs. 3 BGB iVm. § 111 Satz 2, 3 BGB). Dem ist hier Genüge ge­tan. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat bin­dend und oh­ne daß die Re­vi­si­on hier­ge­gen Ver­fah­rensrügen er­ho­ben hätte, fest­ge­stellt, bei Aus­spruch der Kündi­gung ha­be die kir­chen­auf­sicht­li­che Ge­neh­mi­gung vor­ge­le­gen. Daß die Ge­neh­mi­gung im Zeit­punkt, als das Pres­by­te­ri­um den Kündi­gungs­ent­schluß faßte, noch nicht vor­lag, ist un­er­heb­lich. Das nach § 3 Nr. 3 Gen­VO ge­neh­mi­gungs­bedürf­ti­ge Rechts­geschäft ist nicht der Be­schluß des Pres­by­te­ri­ums, son­dern die Kündi­gung selbst.

5. Zu­tref­fend rügt da­ge­gen die Re­vi­si­on ei­ne feh­ler­haf­te An­wen­dung des § 1 Abs. 2 KSchG durch das Be­ru­fungs­ge­richt.

a) Bei der Fra­ge, ob die Kündi­gung auf Grund krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit aus Gründen in der Per­son be­dingt und des­halb so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), han­delt es sich um die An­wen­dung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs, die vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur da­hin über­prüft wer­den kann, ob das Be-

 

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ru­fungs­ge­richt den Rechts­be­griff selbst ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men des § 1 KSchG Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt hat, ob es bei der ge­bo­te­nen In­ter­es­sen­abwägung, bei der dem Tat­sa­chen­rich­ter ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­steht, al­le we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt hat und ob die Ent­schei­dung in sich wi­der­spruchs­frei ist (vgl. ua. Se­nat
28. Fe­bru­ar 1990 - 2 AZR 401/89 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung Nr. 5 und 6. Fe­bru­ar 1997 - 2 AZR 192/96 - EzA Be­trVG 1972 § 102 Nr. 95). Auch un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ses ein­ge­schränk­ten Über­prüfungs­maßsta­bes hält das an­ge­foch­te­ne Ur­teil ei­ner re­vi­si­ons­ge­richt­li­chen Über­prüfung nicht stand.

b) Im Aus­gangs­punkt zu­tref­fend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, es han­de­le sich bei der hier ge­ge­be­nen, mehr als sechsjähri­gen Ar­beits­unfähig­keit um ei­ne lang­an­hal­ten­de Krank­heit im Sin­ne der ein­schlägi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts.

c) Im An­satz eben­falls rich­tig ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt von der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur so­zia­len Recht­fer­ti­gung von Kündi­gun­gen aus-ge­gan­gen, die aus An­laß lang­an­hal­ten­der Krank­heit aus­ge­spro­chen wer­den. Da­nach ist auch in die­sen Fällen ei­ne drei­stu­fi­ge Prüfung vor­zu­neh­men. Die Kündi­gung ist so­zi­al ge­recht­fer­tigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se hin­sicht­lich der vor­aus­sicht­li­chen Dau­er der Ar­beits­unfähig­keit vor­liegt - ers­te Stu­fe -, ei­ne dar­auf be­ru­hen­de er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gung be­trieb­li­cher In­ter­es­sen fest­zu­stel­len ist - zwei­te Stu­fe - und ei­ne In­ter­es­sen­abwägung er­gibt, daß die be­trieb­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen zu ei­ner bil­li­ger­wei­se nicht mehr hin­zu­neh­men­den Be­las­tung des Ar­beit­ge­bers führen - drit­te Stu­fe - (st. Rspr. des BAG zB 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - BA­GE 91, 271; 21. Fe­bru­ar 1992 - 2 AZR 399/91 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 30 = EzA KSchG § 1 Krank­heit Nr. 38). Bei krank­heits­be­ding­ter dau­ern­der Leis­tungs­unfähig­keit ist in al­ler Re­gel oh­ne wei­te­res von ei­ner er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen aus­zu­ge­hen. Die Un­ge­wißheit der Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit steht ei­ner krank­heits­be­ding­ten dau­ern­den Leis­tungs­unfähig­keit dann gleich, wenn in den nächs­ten 24 Mo­na­ten mit ei­ner an­de­ren Pro­gno­se nicht ge­rech­net wer­den kann (BAG 29. April 1999 aaO). Die späte­re Ent­wick­lung ei­ner Krank­heit nach Aus­spruch ei­ner Kündi­gung kann we­der zur Bestäti­gung noch zur Kor­rek­tur der Pro­gno­se ver­wer­tet wer­den. Viel­mehr ist al­lein auf den Kündi­gungs­zeit­punkt ab­zu­stel­len (BAG 29. April 1999 aaO).

 

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d) Die bis­her ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen recht­fer­ti­gen al­ler­dings - ent­ge­gen der An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts - noch kei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se.

aa) Auch für die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung trifft den Ar­beit­ge­ber die Dar­le­gungs- und Be­weis­last gern. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG. Hin­sicht­lich der ne­ga­ti­ven Ge­sund­heits­pro­gno­se genügt der Ar­beit­ge­ber sei­ner Dar­le­gungs­last zunächst, wenn er die bis­he­ri­ge Dau­er der Er­kran­kung so­wie die ihm be­kann­ten Krank­heits­ur­sa­chen dar­legt. Die Dau­er der bis­he­ri­gen Ar­beits­unfähig­keit al­lein muß zwar noch nichts darüber aus­sa­gen, ob der Ar­beit­neh­mer auch in Zu­kunft auf nicht ab­seh­ba­re Zeit ar­beits­unfähig krank sein wird. Ihr kann aber un­ter Umständen ei­ne ge­wis­se In­dizwir­kung ent­nom­men wer­den (BAG 25. No­vem­ber 1982 - 2 AZR 140/81 - BA­GE 40, 361). Wenn auf die zunächst pau­scha­le Dar­le­gung der bis­he­ri­gen Krank­heits­zeit der Ar­beit­neh­mer kon­kret ggf. un­ter Ent­bin­dung sei­ner Ärz­te von der Schwei­ge­pflicht dar­tut, daß mit ei­ner frühe­ren Ge­ne­sung zu rech­nen ist, ob­liegt nun­mehr dem Ar­beit­ge­ber der Be­weis für die Be­rech­ti­gung der ne­ga­ti­ven Pro­gno­se, den er in der Re­gel nur durch ein me­di­zi­ni­sches Sach­verständi­gen­gut­ach­ten er­brin­gen kann. Ein Er­fah­rungs­satz des In­halts, bei lang­an­hal­ten­den Krank­hei­ten sei für die Zu­kunft mit un­ge­wis­ser Fort­dau­er der Krank­heit zu rech­nen, be­steht nicht (BAG 25. No­vem­ber 1982 aaO; 19. Mai 1993 - 2 AZR 598/92 - nv.).

bb) Die Be­klag­te hat­te ih­rer Dar­le­gungs­last zunächst da­durch genügt, daß sie die Krank­heits­dau­er und die wei­te­ren ihr be­kann­ten Umstände vor­trug. Die Kläge­rin hat dem­ge­genüber dar­ge­legt, nach ih­rem sub­jek­ti­ven Be­fin­den ge­he sie von ei­ner Ge­ne­sung in ab­seh­ba­rer Zeit aus. Bei dem dif­fu­sen Krank­heits­bild und an­ge­sichts des Um­stan­des, daß auch die Kläge­rin nicht Me­di­zi­ne­rin ist, konn­te kon­kre­te­rer Vor­trag von ihr nicht er­war­tet wer­den. Hier­von ist of­fen­bar auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt aus­ge­gan­gen und hat die von ihm ein­ge­hol­te schrift­li­che Erklärung des von der Kläge­rin be­nann­ten sach­verständi­gen Zeu­gen Dr. M als der Kläge­rin güns­ti­ge Pro­gno­se gewürdigt. Das ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Nach den vor­ste­hend wie­der­ge­ge­ben Grundsätzen hätte das Lan­des­ar­beits­ge­richt nun­mehr dem Be­weis­an­tritt der Be­klag­ten nach­ge­hen und das von ihr an­ge­bo­te­ne me­di­zi­ni­sche Sach­verständi­gen­gut­ach­ten ein­ho­len müssen.

(1) Da­von hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt in­des ab­ge­se­hen, weil es die Be­ru­fung der Kläge­rin auf die von ihr be­haup­te­te güns­ti­ge Pro­gno­se und die ihr güns­ti­ge Aus­sa- 

 

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ge des sach­verständi­gen Zeu­gen Dr. M als treu­wid­rig an­ge­se­hen und an­ge­nom­men hat, des­halb sei ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se zu un­ter­stel­len.

(2) Dem stimmt der Se­nat nicht zu.

(a) Es kann da­hin­ste­hen, ob die Kläge­rin, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt ent­ge­gen der herr­schen­den Mei­nung (vgl. von Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck KSchG 13. Aufl. § 1 Rn. 223 ff. mwN) meint, schon nach all­ge­mei­nen Grundsätzen ver­pflich­tet war, vor­pro­zes­su­al ih­re Ärz­te von der Schwei­ge­pflicht zu ent­bin­den, wie es die Be­klag­te von der Kläge­rin ver­langt hat. Eben­falls of­fen­blei­ben kann, ob ei­ne sol­che Ver­pflich­tung gern. § 7 Abs. 2 BAT KF be­stand. Selbst wenn die Kläge­rin sich vor­pro­zes­su­al zu Un­recht ge­wei­gert hätte, ih­re Ärz­te von der Schwei­ge­pflicht zu ent­bin­den, wäre es ihr nicht ver­wehrt, die von der Be­klag­ten be­haup­te­te ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se zu be­strei­ten. Ei­ne Rechts­vor­schrift hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zur Stützung sei­ner ge-gen­tei­li­gen Auf­fas­sung nicht ge­nannt, son­dern das Ver­hal­ten der Kläge­rin le­dig­lich als treu­wid­rig be­zeich­net.

(b) Der Vor­schrift des § 242 BGB ist al­ler­dings ein Ver­bot wi­dersprüchli­chen Ver­hal­tens zu ent­neh­men, das auch Aus­wir­kun­gen auf den Zi­vil­pro­zeß ha­ben kann (vgl. et­wa BGH 21. Ju­ni 2000 - IV ZR 157/99 - MDR 2000, 1247; 14. Ju­ni 1967 - IV ZR 21/66 - NJW 1968, 794; 27. Sep­tem­ber 1984 - IX ZR 53/83 - BGHZ 92, 194). So kann es ei­ner Par­tei im Pro­zeß ver­wehrt sein, sich auf ei­ne für die Ge­gen­sei­te ungüns­ti­ge Be­weis­la­ge zu be­ru­fen, wenn sie die­se ungüns­ti­ge Be­weis­la­ge vor­pro­zes­su­al selbst her­bei­geführt hat­te. In die­sem Sin­ne hat der Bun­des­ge­richts­hof et­wa ei­nem Ver­si­che­rer, der das Ori­gi­nal ei­nes Ver­si­che­rungs­an­trags vor­pro­zes­su­al ver­nich­tet hat­te, die Be­ru­fung dar­auf ver­sagt, der Ver­si­che­rungs­an­trag sei nicht mit ei­ner (ech­ten) Un­ter­schrift ver­se­hen (BGH aaO). In­des hat sich durch das vor­pro­zes­sua­le Ver­hal­ten der Kläge­rin die Be­weis­la­ge der Be­klag­ten im Kündi­gungs­schutz­pro­zeß nicht geändert: Für die Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung kommt es auf die ob­jek­ti­ve La­ge bei Aus­spruch der Kündi­gung an. Ob im Streit­fall bei Zu­gang der Kündi­gung ei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se ge­recht­fer­tigt war oder nicht, hat nichts da­mit zu tun, ob die Kläge­rin vor­pro­zes­su­al ih­re Ärz­te von der Schwei­ge­pflicht ent­band. Die Ent­bin­dung von der Schwei­ge­pflicht hat we­der Aus­wir­kun­gen auf den Ge­sund­heits­zu­stand noch auf des­sen Be­weis­bar­keit. Auch ei­ne et­wa vom be­han­deln­den Arzt vor­pro­zes­su­al ab­ge­ge­be­ne Pro­gno­se bin­det kei­ne der Par­tei­en im et­wa sich an­sch­ließen­den Pro­zeß. Nicht der Ge­sund­heits­zu­stand der Kläge­rin und da­mit die Recht­fer­ti­gung der Pro­gno­se wur­de

 

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durch das Ver­hal­ten der Kläge­rin be­ein­flußt, son­dern al­lein die Möglich­keit der Be­klag­ten, vor Pro­zeßbe­ginn Kennt­nis über den Ge­sund­heits­zu­stand der Kläge­rin zu er­lan­gen und da­mit ih­re Pro­zeßaus­sich­ten ein­zuschätzen.

(c) Gern. § 242 BGB kann die Gel­tend­ma­chung von Rech­ten auch dann un­zulässig sein, wenn sich die han­deln­de Par­tei zu­vor selbst ver­trags­un­treu ver­hal­ten hat. So ist dem Verkäufer im Pro­zeß die Be­ru­fung auf ei­nen ver­trag­li­chen Selbst­be­lie­fe­rungs­vor­be­halt nicht ge­stat­tet, wenn er das De­ckungs­geschäft nicht mit der nöti­gen Sorg­falt ab­ge­schlos­sen hat (BGH 14. No­vem­ber 1984 - Vgl ZR 283/83 - BGHZ 92, 396). In­des führt nicht je­der Ver­trags­ver­s­toß zum Ver­lust ei­ge­ner Rech­te. Das ist nur dann der Fall, wenn die ver­trag­li­chen und ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen nicht aus­rei­chen, um die an-spruch­stel­len­de Par­tei zur Ver­trags­treue an­zu­hal­ten. Ist der Ar­beit­neh­mer ver­pflich­tet, sich ärzt­lich un­ter­su­chen zu las­sen, so kann der Ar­beit­ge­ber ihn auf Erfüllung in An­spruch neh­men und bei Wei­ge­rung ei­ne Ab­mah­nung oder ggf. auch ei­ne Kündi­gung aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen aus­spre­chen (BAG 6. No­vem­ber 1997 - 2 AZR 801/96 - AP BGB § 626 Nr. 142 = EzA BGB § 626 nF Nr. 171; Hess. LAG 18. Fe­bru­ar 1999 - 12 Sa 716/97 - LA­GE § 1 KSchG Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 70; vgl. auch KR-Et­zel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 368). Ob darüber hin­aus ein Ar­beit­neh­mer, der rechts­wid­rig und schuld­haft ei­ne Fehl­einschätzung des Pro­zeßri­si­kos beim Ar­beit­ge­ber ver­ur­sacht, die­sem zum Er­satz des ent­stan­de­nen Scha­dens (ver­geb­lich auf­ge­wand­te Rechts­ver­fol­gungs­kos­ten) ver­pflich­tet ist, steht hier nicht zur Ent­schei­dung. Die Be­klag­te ist je­den­falls nicht recht­los ge­stellt. Ei­ner wei­te­ren Sank­tio­nie­rung durch Ver­lust pro­zes­sua­ler Rech­te der Kläge­rin be­darf es nicht.

6. Mit der An­nah­me, ei­ne er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gung be­trieb­li­cher In­ter­es­sen lie­ge auf der Grund­la­ge der bis­her ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen vor, ver­letzt das Lan­des­ar­beits­ge­richt § 286 Abs. 1 ZPO, wie die Re­vi­si­on zu­tref­fend rügt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat bei Prüfung der Fra­ge, ob be­trieb­li­che In­ter­es­sen be­ein­träch­tigt sei­en - 2. Stu­fe -, die schrift­li­che Aus­sa­ge des sach­verständi­gen Zeu­gen Dr. M zu Un­recht da­hin­ge­hend gewürdigt, die Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit der Kläge­rin sei bei Aus­spruch der Kündi­gung im Ju­ni 2000 völlig un­ge­wiß und mit ei­ner an­de­ren Pro­gno­se für die nächs­ten 24 Mo­na­te sei nicht zu rech­nen ge­we­sen.

a) Ei­ne vom Be­ru­fungs­ge­richt gern. § 286 Abs. 1 ZPO vor­ge­nom­me­ne Würdi­gung des ge­sam­ten In­halts der Ver­hand­lung und des Er­geb­nis­ses ei­ner Be­weis­auf­nah­me ist durch das Re­vi­si­ons­ge­richt nur be­schränkt nach­prüfbar. Die­ses kann le­dig-

 

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lich über­prüfen, ob das Be­ru­fungs­ge­richt die Vor­aus­set­zun­gen und die Gren­zen des § 286 Abs. 1 ZPO ge­wahrt und ein­ge­hal­ten hat. Re­vi­si­ons­recht­lich von Be­deu­tung ist des­halb nur, ob das Be­ru­fungs­ge­richt tatsächlich den ge­sam­ten In­halt der Ver­hand­lun­gen berück­sich­tigt und al­le er­ho­be­nen Be­wei­se gewürdigt hat, ob die Be­weiswürdi­gung in sich wi­der­spruchs­frei so­wie frei von Verstößen ge­gen Denk­ge­set­ze und all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ist und ob sie recht­lich möglich ist (BAG 1. Ok­to­ber 1997 - 5 AZR 685/96 - BA­GE 86, 347 mwN). Da­bei ver­langt die Berück­sich­ti­gung des Er­geb­nis­ses ei­ner Be­weis­auf­nah­me nicht ei­ne Würdi­gung je­der Ein­zel­ausführung ei­nes Zeu­gen oder Sach­verständi­gen. Es reicht aus, daß ins­ge­samt wi­der­spruchs­frei und um­fas­send zum Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me Stel­lung ge­nom­men wird (BAG 25. Fe­bru­ar 1998 - 2 AZR 327/97 - nv., zu 11 1 der Gründe mwN; 21. März 2001 - 5 AZR 352/99 - AP MuSchG 1968 § 3 Nr. 16 = EzA MuSchG § 3 Nr. 7).

b) Auch die­sem ein­ge­schränk­ten Über­prüfungs­maßstab hält die Würdi­gung durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht stand. Der sach­verständi­ge Zeu­ge hat in sei­ner schrift­li­chen Aus­sa­ge vom 15. Ja­nu­ar 2001 wört­lich aus­geführt:

"Es war zum da­ma­li­gen Zeit­punkt nicht ab­seh­bar, daß die AU noch so lan­ge an­dau­ern würde."

Dies ist das Ge­gen­teil des­sen, was das Lan­des­ar­beits­ge­richt als durch die Aus­sa­ge des Zeu­gen er­wie­sen an­ge­se­hen hat. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist auch wi­dersprüchlich, weil das Be­ru­fungs­ur­teil an an­de­rer Stel­le die Pro­gno­se des sach­verständi­gen Zeu­gen aus­drück­lich als "güns­tig" be­zeich­net. Auch so­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ne Ge­samtwürdi­gung mit an­geb­li­chen Wi­dersprüchen in den Stel­lung­nah­men des Zeu­gen be­gründet, kann ihm nicht ge­folgt wer­den. In sei­ner ers­ten Stel­lung­nah­me vom 11. Ja­nu­ar 2001 hat der Zeu­ge ei­ne Pro­gno­se nach dem Stand Ja­nu­ar 2001 ab­ge­ge­ben. Die Er­war­tung ei­ner Ge­ne­sung der Kläge­rin in den nächs­ten acht Wo­chen hat er mit ei­ner allmähli­chen Bes­se­rung, ei­nem Nach­las­sen pa­tho­lo­gi­scher Heil­re­ak­tio­nen und dem Ein­satz zusätz­li­cher The­ra­pi­en be­gründet. Dar­in liegt kein Wi­der­spruch zu der schrift­li­chen Aus­sa­ge vom 15. Ja­nu­ar 2001. Eben-so­we­nig durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ne Be­weiswürdi­gung da­mit be­gründen, die vor­aus­ge­gan­ge­ne Wei­ge­rung der Kläge­rin, die Ärz­te von der Schwei­ge­pflicht zu ent­bin­den, wir­ke nach. Die Wei­ge­rung der Kläge­rin hat­te er­sicht­lich we­der Ein­fluß auf ih­ren Ge­sund­heits­zu­stand noch auf die Aus­sa­ge des Zeu­gen.

 

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7. So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt in sei­ner Hilfs­erwägung an­ge­nom­men hat, die be­trieb­li­chen In­ter­es­sen sei­en hier des­halb be­ein­träch­tigt, weil es an­ge­sichts der langjähri­gen Vor­er­kran­kung der Kläge­rin aus­rei­chen müsse, daß die ne­ga­ti­ve Pro­gno­se für die Dau­er ei­ner halbjähri­gen Kündi­gungs­frist be­schrie­ben sei, ist wie­der­um § 1 Abs. 2 KSchG ver­letzt.

a) Von ei­ner Be­ein­träch­ti­gung be­trieb­li­cher In­ter­es­sen ist in al­ler Re­gel auch oh­ne wei­te­re Dar­le­gun­gen dann aus­zu­ge­hen, wenn bei Aus­spruch der Kündi­gung für die nächs­ten 24 Mo­na­te nicht mit ei­ner güns­ti­ge­ren Pro­gno­se zu rech­nen ist. Der Ar­beit­ge­ber kann nämlich für die­sen Zeit­raum ei­ne Er­satz­kraft ein­stel­len (vgl. Se­nat 29. April 1999 aaO - s. jetzt § 14 Abs. 2 Tz­B­fG).

b) Da­mit ist zwar nicht aus­ge­schlos­sen, daß sich die Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen auch aus an­de­ren Gründen er­ge­ben kann. Viel­mehr ist le­dig­lich - im po­si­ti­ven Sin­ne - ei­ne Re­gel an­ge­ge­ben, mit de­ren Hil­fe die Be­ein­träch­ti­gung be­trieb­li­cher In­ter­es­sen leicht fest­ge­stellt wer­den kann. So­weit aber das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf die langjähri­ge Vor­er­kran­kung der Kläge­rin und die von der Be­klag­ten geübte Zurück­hal­tung ab­hebt, ha­ben die­se Umstände kei­nen Zu­sam­men­hang mit der zukünf­ti­gen Be­ein­träch­ti­gung be­trieb­li­cher In­ter­es­sen. Al­lein dar­um geht es aber auf die­ser Stu­fe. Die per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung ist kei­ne Sank­ti­on für ver­gan­ge­ne Ver­tragsstörun­gen. Sie ist zu­kunfts­be­zo­gen und gibt dem Ar­beit­ge­ber die Möglich­keit, zu er­war­ten­den be­trieb­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen zu­vor­zu­kom­men. Für die be­trieb­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen kommt es auf den künf­ti­gen Hand­lungs­spiel­raum des Ar­beit­ge­bers im Zeit­punkt der Kündi­gung an, nicht aber dar­auf, ob er, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt anführt, in der Ver­gan­gen­heit Zurück­hal­tung geübt hat. Der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt her­an­ge­zo­ge­ne Zeit­raum der längs­ten Kündi­gungs­frist hat dem­ge­genüber kei­nen er-kenn­ba­ren Be­zug zu der Fra­ge, ob dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Über­brückung der zu er­war­ten­den Krank­heits­zei­ten zu­ge­mu­tet wer­den kann. Die Kündi­gungs­frist muß der Ar­beit­ge­ber oh­ne­dies von Ge­set­zes we­gen ein­hal­ten.

8. Die Ver­let­zung von § 1 Abs. 2 KSchG und § 286 Abs. 1 ZPO führt zur Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils, das sich nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig er­weist (§ 563 ZPO). Vor­aus­set­zung der so­zia­len Recht­fer­ti­gung der streit­ge­genständ­li­chen Kündi­gung ist in je­dem Fall ei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se (1. Stu­fe). An die­ser fehlt es bis­her eben­so wie an Tat­sa­chen, aus de­nen sich ei­ne Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen ergäbe (2. Stu­fe).

 

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Der Rechts­streit ist auf der Grund­la­ge der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen nicht zur End­ent­schei­dung reif (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

1. Ob die Kla­ge be­gründet ist, kann bis­her nicht be­ur­teilt wer­den. Hier­zu fehlt es an tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen.

a) Ob im Streit­fall ei­ne ne­ga­ti­ve Ge­sund­heits­pro­gno­se - 1. Stu­fe - im oben wie­der­ge­ge­be­nen Sin­ne ge­stellt wer­den kann, hängt vom Aus­gang der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt durch­zuführen­den Be­weis­auf­nah­me ab. Die Be­klag­te hat Be­weis durch Ein­ho­lung ei­nes me­di­zi­ni­schen Sach­verständi­gen­gut­ach­tens an­ge­bo­ten. Dem wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt nach­zu­ge­hen ha­ben.

b) Hin­sicht­lich der Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen - 2. Stu­fe - hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt be­zwei­felt, aber letzt­lich - von sei­nem Stand­punkt aus fol­ge-rich­tig - of­fen­ge­las­sen, ob der Vor­trag der Be­klag­ten aus­rei­chend ist, ei­ne wei­te­re ver­tre­tungs­wei­se Über­brückung sei un­zu­mut­bar. In der Tat reicht der bis­he­ri­ge Vor­trag der Be­klag­ten zur Un­zu­mut­bar­keit ei­ner wei­te­ren Über­brückung nicht aus, um ei­ne Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen an­zu­neh­men. Die Be­klag­te müßte hier­zu kon­kret dar­le­gen, wel­che be­trieb­li­chen Störun­gen zu befürch­ten sein mögen.

In­des wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu be­ach­ten ha­ben, daß, wie aus­geführt, von ei­ner Be­ein­träch­ti­gung be­trieb­li­cher In­ter­es­sen in al­ler Re­gel oh­ne wei­te­res aus­zu­ge­hen ist, wenn in den nächs­ten 24 Mo­na­ten mit ei­ner güns­ti­gen Pro­gno­se nicht ge­rech­net wer­den kann. In die­sem Fall steht nämlich die Un­ge­wißheit der Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit ei­ner krank­heits­be­ding­ten dau­ern­den Leis­tungs­unfähig­keit gleich (BAG 29. April 1999 aaO). Dem hier­zu von der Be­klag­ten an­ge­tre­te­nen Be­weis durch Ein­ho­lung ei­nes me­di­zi­ni­schen Sach­verständi­gen­gut­ach­tens wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­her nach­zu­ge­hen ha­ben, wenn die Be­klag­te nicht auf an­de­re Wei­se ei­ne Be­ein­träch­ti­gung be­trieb­li­cher In­ter­es­sen dar­legt und ggf. be­weist.

c) Die Kla­ge ist auch nicht des­halb be­gründet, weil die Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen - 3. Stu­fe - zu Guns­ten der Kläge­rin aus­ge­hen müßte. Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­ne In­ter­es­sen­abwägung ist auf der Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Die in Be­tracht kom­men­den Umstände sind berück­sich­tigt und in ver­tret­ba­rer Wei­se ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen wor­den. Da­bei hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, der Ar­beits­platz müsse aus be­trieb­li­chen Gründen dau­er­haft be­setzt wer­den. Die von der Re­vi­si­on

 

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hier­ge­gen er­ho­be­ne Aufklärungsrüge ist un­zulässig. Die Re­vi­si­on hat zwar aus­rei­chend deut­lich ge­macht, sie hal­te die rich­ter­li­che Hin­weis- und Aufklärungs­pflicht (§ 139 Abs. 1, § 278 Abs. 3 ZPO) für ver­letzt. Mit ih­ren Ausführun­gen hat die Re­vi­si­on aber kei­ne Tat­sa­chen, aus de­nen sich der Ver­fah­rens­man­gel er­ge­ben soll, be­zeich­net. Bei der Rüge un­ter­las­se­ner Fra­ge­stel­lung (§ 139 Abs. 1 ZPO) oder des un­ter­blie­be­nen Hin­wei­ses nach § 278 Abs. 3 ZPO muß die Re­vi­si­on die un­ter­las­se­ne Fra­ge oder den über­se­he­nen recht­li­chen Ge­sichts­punkt be­zeich­nen und an­ge­ben, wie dar­auf re­agiert wor­den wäre (vgl. zB Se­nat 20. Ja­nu­ar 2000 - 2 AZR 65/99 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 56 = EzA KSchG § 2 Nr. 39; 11. Au­gust 1994 - 2 AZR 9/94 - AP KSchG 1969 § 1 Krank­heit Nr. 31 = EzA BGB § 622 nF Nr. 51 mwN; Zöller/Gum­mer ZPO 22. Aufl. § 554 Rn. 14). An all dem hat es die Re­vi­si­on feh­len las­sen.

Rost 

Bröhl 

Schmitz-Scho­le­mann

En­gel 

Bühler

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