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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/296

An­spruch auf Wie­der­ein­stel­lung für Ar­beit­neh­mer der Ci­ty BKK

Das Land Ber­lin muss 200 Ar­beit­neh­mer der Ci­ty BKK auf­grund ei­ner Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge über­neh­men: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 15.10.2013, 9 AZR 564/12
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17.10.2013. Jah­re­lang hat­te sich der Se­nat von Ber­lin ge­wei­gert, Ar­beit­neh­mer der Mit­te 2011 ge­schlos­se­nen Ci­ty BKK zu über­neh­men, ob­wohl die­se auf ei­ne Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge des Lan­des Ber­lin ver­wei­sen konn­ten.

Nach­dem be­reits das Ar­beits­ge­richt Ber­lin im Jah­re 2011 und da­nach das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg im Jah­re 2012 die ei­gen­wil­li­ge In­ter­pre­ta­ti­on der 1998 ge­ge­be­nen Rück­kehr­zu­sa­ge durch den Ber­li­ner Se­nat zu­rück­ge­wie­sen hat­ten, zog die­ser vor­ges­tern auch beim Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) den Kür­ze­ren.

Da­mit steht rechts­kräf­tig fest, dass et­wa 200 Mit­ar­bei­ter der ehe­ma­li­gen Ci­ty BKK, die bis 1998 beim Land Ber­lin be­schäf­tigt wa­ren, wie­der Ar­beit­neh­mer des Lan­des Ber­lin sind: BAG, Ur­teil vom 15.10.2013, 9 AZR 564/12.

Um­fasst ein "un­be­fris­te­tes" Rück­kehr­recht "für den Fall der Sch­ließung/Auflösung" ei­ner Be­triebs­kran­ken­kas­se auch die Sch­ließung ei­nes Rechts­nach­fol­gers?

§ 147 Abs.2 Fünf­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB V) sieht die Möglich­keit vor, dass Ver­wal­tungs­an­ge­stell­te von ih­rem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber zu "des­sen" Be­triebs­kran­ken­kas­se (BKK) als neu­em Ar­beit­ge­ber über­wech­seln - al­ler­dings nur dann, wenn sie zu­stim­men.

Er­tei­len die An­ge­stell­ten ih­re Zu­stim­mung zum Ar­beit­ge­ber­wech­sel, tritt die Kran­ken­kas­se als neu­er Ar­beit­ge­ber in die Ar­beits­verhält­nis­se in ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 613a Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ein, d.h. die Rechts­la­ge ist im Fal­le ei­ner Zu­stim­mung so wie bei ei­nem Be­triebsüber­gang.

Für ei­nen Ar­beit­ge­ber, der An­ge­stell­te da­zu be­we­gen möch­te, zu "sei­ner" BKK zu wech­seln, ist es da­her wich­tig, Ver­trau­en her­zu­stel­len. Am bes­ten ge­eig­net ist hier ei­ne Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge: Hat die BKK als neu­er Ar­beit­ge­ber kei­nen Er­folg oder wird sie im schlimms­ten Fall auf­gelöst bzw. ge­schlos­sen, können die Ar­beit­neh­mer wie­der zu ih­rem al­ten Ar­beit­ge­ber zurück­keh­ren, d.h. sie ha­ben ein Rück­fahr­ti­cket in der Ta­sche.

Frag­lich ist al­ler­dings, wie lan­ge und für wel­che Fälle ei­ne sol­che Zu­sa­ge gilt. Denn nicht nur in der Pri­vat­wirt­schaft kommt es zu Fu­sio­nen, son­dern auch bei öffent­li­chen Ar­beit­ge­bern wie z.B. bei ei­ner Kran­ken­kas­se.

Kon­kret fragt sich, ob ei­ne Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge, die für den Fall der Sch­ließung oder Auflösung ei­ner BKK ab­ge­ge­ben wur­de, auch dann noch gilt, wenn es die­se BKK gar nicht mehr gibt, weil sie in­zwi­schen mit an­de­ren Kas­sen fu­sio­niert wur­de, und wenn schließlich der Rechts­nach­fol­ger ge­schlos­sen bzw. auf­gelöst wird.

Um die­se Fra­ge ging es in den ar­beits­recht­li­chen Wie­der­ein­stel­lungs­pro­zes­sen, die vie­le ehe­ma­li­ge Ber­li­ner Lan­des­an­ge­stell­ten seit 2011 geführt ha­ben, nach­dem die Ci­ty BKK ge­schlos­sen wur­de.

Der Streit­fall: 200 Ber­li­ner Lan­des­an­ge­stell­te wech­seln 1998 zur BKK Ber­lin, die 2004 mit der BKK Ham­burg zu Ci­ty BKK fu­sio­niert und 2011 ab­ge­wi­ckelt wird

1998 woll­te das Land Ber­lin auf der Grund­la­ge von § 147 Abs.2 SGB V et­wa 200 Ar­beit­neh­mer auf sei­ne da­ma­li­ge BKK Ber­lin über­lei­ten. Der Ar­beit­ge­ber­wech­sel soll­te zum 01.01.1999 statt­fin­den.

Mit Schrei­ben vom 20.04.1998 gab der In­nen­se­na­tor für das Land ge­genüber den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer fol­gen­de Erklärung ab:

„Vor­aus­ge­setzt, dass Sie dem Über­gang Ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses auf die BKK Ber­lin zu­ge­stimmt ha­ben, freue ich mich, Ih­nen mit­tei­len zu können, dass der Se­nat von Ber­lin Ih­nen ein un­be­fris­te­tes Rück­kehr­recht zum Land Ber­lin für den Fall der Sch­ließung/Auflösung der BKK Ber­lin einräumt.“

Zum 01.01.2004 fu­sio­nier­te die BKK Ber­lin mit der BKK Ham­burg zu Ci­ty BKK, der sich später noch zwei wei­te­re klei­ne­re Be­triebs­kran­ken­kas­sen an­schlos­sen. Auf­grund der zum 01.01.2004 er­folg­ten Fu­si­on gab das Land Ber­lin ge­genüber der Ge­werk­schaft ver.di am 21.06.2004 fol­gen­de Zu­sa­ge ab:

„Schei­det ein Ar­beit­neh­mer, des­sen Ar­beits­verhält­nis nach § 147 Abs. 2 SGB V vom Land Ber­lin auf die BKK Ber­lin über­ge­gan­gen ist, aus dem Ar­beits­verhält­nis bei der Ci­ty BKK aus und wird in un­mit­tel­ba­ren An­schluss dar­an ein neu­es Ar­beits­verhält­nis zum Land Ber­lin be­gründet, wird das Land Ber­lin die bis zum 31. De­zem­ber 2003 bei der BKK Ber­lin ver­brach­te Zeit als Beschäfti­gungs­zeit nach § 19 BAT/BAT-O bzw. § 6 BMT-G-O und als Dienst­zeit nach § 20 BAT berück­sich­ti­gen."

Als die Ci­ty BKK zum 30.06.2011 vom Bun­des­ver­si­che­rungs­amt we­gen In­sol­venz ge­schlos­sen und in der Fol­ge ab­ge­wi­ckelt wur­de, ha­gel­te es be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen, ge­gen die vie­le Be­trof­fe­ne Kündi­gungs­schutz­kla­gen er­ho­ben. Wer im Jah­re 1998 ei­ne Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge er­hal­ten hat­te, ver­lang­te zu­gleich vom Land Ber­lin Wie­der­ein­stel­lung.

Das Land lehn­te aber grundsätz­lich ab, da es der Mei­nung war, die Rück­kehr­zu­sa­ge hätte nur für ei­ne Sch­ließung oder Auflösung der BKK Ber­lin Gel­tung und nicht für die Sch­ließung bzw. Auflösung der Ci­ty BKK.

In den meis­ten Pro­zes­sen zog das Land den Kürze­ren, d.h. die mit den Fällen be­fass­ten Kam­mern des Ar­beits­ge­richts Ber­lin und des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg leg­ten die Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge weit­her­zig und da­mit im Sin­ne der kla­gen­den Ar­beit­neh­mer aus (so z.B. LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 04.04.2012, 4 Sa 2440/11 u.a.). Ei­ni­ge Ur­tei­le gin­gen aber in der zwei­ten In­stanz auch zu­las­ten der Ar­beit­neh­mer aus (so z.B. LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 23.05.2012, 15 Sa 180/12).

BAG: Nach Sinn und Zweck der 1998 ge­ge­be­nen Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge ist das Land Ber­lin auch nach der Fu­si­on der BKK Ber­lin zur Ci­ty BKK an die Zu­sa­ge ge­bun­den

Das BAG schloss sich der Mei­nung der kla­gen­den Ar­beit­neh­mer an und bestätig­te da­her die LAG-Ent­schei­dun­gen, mit de­nen das be­klag­te Land da­zu ver­ur­teilt wur­de, sei­ne Ex-Ar­beit­neh­mer zum 01.07.2011 wie­der ein­stel­len. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung heißt es zur Be­gründung:

Zwar erwähnt die Rück­kehr­zu­sa­ge aus­drück­lich nur den Fall ei­ner Sch­ließung/Auflösung der BKK Ber­lin, doch soll­te die Zu­sa­ge die et­wa 200 Beschäftig­ten da­zu ver­an­las­sen, ih­ren si­che­ren Ar­beits­platz beim be­klag­ten Land auf­zu­ge­ben. Da­her ist die Zu­sa­ge nach ih­rem "Sinn und Zweck" weit aus­zu­le­gen, d.h. in der Wei­se, dass das Land Ber­lin auch nach der Fu­si­on der BKK Ber­lin zur Ci­ty BKK zur Wie­der­ein­stel­lung ver­pflich­tet ist, so das BAG.

Außer­dem seg­ne­te das BAG die LAG-Ur­tei­le auch in dem Punkt ab, dass das Land Ber­lin ver­pflich­tet wur­de, ent­spre­chend der ge­genüber ver.di ge­mach­ten Zu­sa­ge die bei der BKK Ber­lin bis En­de 2003 zurück­ge­leg­ten Dienst­zei­ten als Beschäfti­gungs­zei­ten zu berück­sich­ti­gen.

Fa­zit: Ob es um eu­ro­pa­rechts­wid­ri­ge Dienst­zei­ten bei der Feu­er­wehr geht, um die Dis­kri­mi­nie­rung jünge­rer Ar­beit­neh­mer durch die Le­bens­al­ters­stu­fen des BAT oder um die rechts­wid­ri­ge Ver­wei­ge­rung der Erfüllung ei­ner in 200 Fällen ge­ge­be­nen Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge - das Land Ber­lin verhält sich ge­genüber sei­nen Beschäftig­ten im­mer wie­der rüpel­haft und fällt da­mit ju­ris­tisch auf die Na­se.

Auch dies­mal kommt die Rechts­ver­wei­ge­rung das Land letzt­lich teu­er zu ste­hen: Hätte der Se­nat be­reits Mit­te 2011 die Rechts­la­ge rea­lis­tisch ein­geschätzt und sich zu­gleich als Ar­beit­ge­ber ho­no­rig ver­hal­ten, hätte man das Pro­blem der Wie­der­ein­glie­de­rung von 200 Ar­beit­neh­mern mitt­ler­wei­le gelöst. Statt des­sen hat man über zwei Jah­re oh­ne Er­folg pro­zes­siert, muss rück­wir­kend ab Mit­te 2011 Gehälter nach­be­zah­len und hat mit der Ein­glie­de­rung der un­ge­woll­ten "neu­en" Ar­beit­neh­mer noch nicht ein­mal be­gon­nen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 21. Oktober 2017

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