HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 22.05.2014, C-539/12 - Lock

   
Schlagworte: Urlaubsvergütung: Provision, Provision: Urlaubsvergütung
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-539/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.05.2014
   
Leitsätze:

1. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen und Praktiken entgegensteht, nach denen ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt sich aus einem Grundgehalt und einer Provision zusammensetzt, deren Höhe sich nach den Verträgen bemisst, die vom Arbeitgeber aufgrund der vom Arbeitnehmer getätigten Verkäufe geschlossen wurden, hinsichtlich seines bezahlten Jahresurlaubs nur Anspruch auf ein Arbeitsentgelt hat, das ausschließlich aus seinem Grundgehalt besteht.

2. Die Methoden der Berechnung der Provision, auf die ein Arbeitnehmer wie der Kläger des Ausgangsverfahrens hinsichtlich seines Jahresurlaubs Anspruch hat, sind vom nationalen Gericht anhand der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgestellten Regeln und Kriterien und im Licht des mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verfolgten Ziels zu beurteilen.

Vorinstanzen: Employment Tribunal Leicester (Vereinigtes Königreich), Entscheidung vom 16.11.2012
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Ers­te Kam­mer)

22. Mai 2014(*)

„So­zi­al­po­li­tik - Ar­beits­zeit­ge­stal­tung - Richt­li­nie 2003/88/EG - An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub - Zu­sam­men­set­zung des Ar­beits­ent­gelts - Grund­ge­halt und mo­nat­li­che Pro­vi­si­on nach Maßga­be des er­ziel­ten Um­sat­zes“

In der Rechts­sa­che C-539/12

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Em­ploy­ment Tri­bu­nal Leices­ter (Ver­ei­nig­tes König­reich), mit Ent­schei­dung vom 16. No­vem­ber 2012, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 26. No­vem­ber 2012, in dem Ver­fah­ren

Z. J. R. Lock

ge­gen

Bri­tish Gas Tra­ding Li­mi­ted

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Ers­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten A. Tiz­za­no, der Rich­ter A. Borg Bart­het und E. Le­vits (Be­richt­er­stat­ter), der Rich­te­rin M. Ber­ger so­wie des Rich­ters F. Bilt­gen,

Ge­ne­ral­an­walt: Y. Bot,

Kanz­ler: L. Hew­lett, Haupt­ver­wal­tungsrätin,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 13. No­vem­ber 2013,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

- von Herrn Lock, ver­tre­ten durch M. Ford, Bar­ris­ter, und S. Cheetham, BL, in­stru­iert durch C. Be­lich, So­li­ci­tor,

- der Bri­tish Gas Tra­ding Li­mi­ted, ver­tre­ten durch J. Ca­va­nagh, Bar­ris­ter, und S. Ri­ce-Bir­chall, ad­vo­ca­te,

- der Re­gie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs, ver­tre­ten durch L. Chris­tie als Be­vollmäch­tig­ten im Bei­stand von S. Lee, Bar­ris­ter,

- der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch M. van Beek als Be­vollmäch­tig­ten,

nach Anhörung der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts in der Sit­zung vom 5. De­zem­ber 2013

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. L 299, S. 9).
2 Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Herrn Lock und sei­nem Ar­beit­ge­ber, der Bri­tish Gas Tra­ding Li­mi­ted (im Fol­gen­den: Bri­tish Gas), über das während sei­nes be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs be­zo­ge­ne Ar­beits­ent­gelt.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

3 Art. 7 („Jah­res­ur­laub“) der Richt­li­nie 2003/88 lau­tet:

„(1) Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind.

(2) Der be­zahl­te Min­dest­jah­res­ur­laub darf außer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht durch ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung er­setzt wer­den.“

Recht des Ver­ei­nig­ten König­reichs

4 Die Ar­beits­zeit­ver­ord­nung von 1998 (Working Ti­me Re­gu­la­ti­ons 1998) be­stimmt:

„Sec­tion 16 – Ent­gelt hin­sicht­lich Zeit­ab­schnit­ten des Ur­laubs

(1) Ein Ar­beit­neh­mer hat hin­sicht­lich je­des Zeit­ab­schnitts des Jah­res­ur­laubs, auf den er … An­spruch hat, An­spruch auf ein Ent­gelt in Höhe ei­nes Wo­chen­lohns für je­de Ur­laubs­wo­che.

(2) Bei der Be­stim­mung der Höhe des Wo­chen­lohns im Sin­ne die­ser Re­gu­la­ti­on fin­den die Sec­tions 221 bis 224 des Ge­set­zes von 1996 [über Ar­beit­neh­mer­rech­te (Em­ploy­ment Rights Act 1996)] An­wen­dung.“

5 Die­ses Ge­setz von 1996 be­stimmt in Sec­tion 221:

„221. - All­ge­mei­nes

(1) Die­se Sec­tion [fin­det] An­wen­dung, so­weit für ei­nen Ar­beit­neh­mer in ei­nem zum Be­rech­nungs­stich­tag in Kraft be­find­li­chen Ar­beits­ver­trag kei­ne gewöhn­li­chen Ar­beits­stun­den vor­ge­se­hen sind.

(2) … so­weit sich der Lohn des Ar­beit­neh­mers für ei­ne Beschäfti­gung während gewöhn­li­cher Ar­beits­stun­den … nicht in Abhängig­keit von dem in die­sem Zeit­raum ge­leis­te­ten Ar­beits­vo­lu­men ändert, …

(3) … so­weit sich der Lohn des Ar­beit­neh­mers für ei­ne Beschäfti­gung während gewöhn­li­cher Ar­beits­stun­den … in Abhängig­keit vom Ar­beits­vo­lu­men in die­sem Zeit­raum ändert, gilt als Wo­chen­lohn der Lohn für die An­zahl der gewöhn­li­chen Ar­beits­stun­den in ei­ner Wo­che, be­rech­net nach dem durch­schnitt­li­chen St­un­den­lohn, den der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer für den Zwölf­wo­chen­zeit­raum zu zah­len hat …

(4) In die­ser Sec­tion um­fasst der Be­griff ‚Lohn, der sich in Abhängig­keit vom Ar­beits­vo­lu­men ändert‘ auch Pro­vi­sio­nen oder ähn­li­che der Höhe nach veränder­li­che Ent­gel­te.“

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

6 Herr Lock ist seit dem Jahr 2010 bei Bri­tish Gas im In­nen­dienst als Ver­kaufs­be­ra­ter in der En­er­gie­spar­te („In­ter­nal En­er­gy Sa­les Con­sul­tant“) beschäftigt. Sei­ne Auf­ga­be ist es, Geschäfts­kun­den zum Er­werb der En­er­gie­pro­duk­te sei­nes Ar­beit­ge­bers zu be­we­gen.
7 Sein Ar­beits­ent­gelt setzt sich aus zwei Haupt­kom­po­nen­ten zu­sam­men. Die ers­te be­steht aus ei­nem Grund­ge­halt und die zwei­te aus ei­ner Pro­vi­si­on. Im strei­ti­gen Zeit­raum ent­sprach das Grund­ge­halt ei­nem Fest­be­trag von mo­nat­lich 1 222,50 GBP.
8 Die eben­falls mo­nat­lich aus­ge­zahl­te Pro­vi­si­on ist va­ria­bel. Sie be­misst sich nach den tatsächlich er­ziel­ten Verkäufen und hängt so­mit nicht von der auf­ge­wen­de­ten Ar­beits­zeit, son­dern von dem Er­geb­nis die­ser Ar­beit, d. h. von An­zahl und Art der von Bri­tish Gas neu ge­schlos­se­nen Verträge, ab. Die Pro­vi­si­on wird nicht zum Zeit­punkt der Ver­rich­tung der Ar­beit aus­ge­zahlt, die den Pro­vi­si­ons­an­spruch be­gründet, son­dern meh­re­re Wo­chen oder Mo­na­te nach Ab­schluss des Kauf­ver­trags mit Bri­tish Gas.
9 Herr Lock be­fand sich vom 19. De­zem­ber 2011 bis zum 3. Ja­nu­ar 2012 in be­zahl­tem Jah­res­ur­laub.
10 In die­sem De­zem­ber setz­te sich sein Ar­beits­ent­gelt aus dem Grund­ge­halt von 1 222,50 GBP und ei­ner Pro­vi­si­on in Höhe von 2 350,31 GBP zu­sam­men, die er im Lauf der vor­her­ge­hen­den Wo­chen ver­dient hat­te. Im Jahr 2011 be­zog Herr Lock ei­ne mo­nat­li­che Pro­vi­si­on in Höhe von durch­schnitt­lich 1 912,67 GBP.
11 Da Herr Lock während sei­nes Jah­res­ur­laubs kei­ne Ar­beit ver­rich­te­te, konn­te er in die­sem Zeit­raum we­der neue Verkäufe täti­gen noch mögli­che Verkäufe wei­ter­ver­fol­gen. In­fol­ge­des­sen konn­te er in die­sem Zeit­raum kei­ne Pro­vi­si­on ver­die­nen. Da sich die­ser Um­stand nach­tei­lig auf das Ge­halt aus­wirk­te, das Herr Lock in den auf die­sen Jah­res­ur­laub fol­gen­den Mo­na­ten er­hielt, be­schloss die­ser, beim vor­le­gen­den Ge­richt Kla­ge we­gen aus­ste­hen­den Ent­gelts für be­zahl­ten Jah­res­ur­laub („ho­li­day pay“) für den Zeit­raum vom 19. De­zem­ber 2011 bis zum 3. Ja­nu­ar 2012 zu er­he­ben.
12

Un­ter die­sen Umständen hat das Em­ploy­ment Tri­bu­nal Leices­ter be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

1. Wenn

- sich das Jah­res­ar­beits­ent­gelt ei­nes Ar­beit­neh­mers aus ei­nem Grund­ge­halt und aus Pro­vi­si­ons­zah­lun­gen zu­sam­men­setzt, die auf­grund ei­nes ver­trag­li­chen Pro­vi­si­ons­an­spruchs ge­leis­tet wer­den,

- sich die Pro­vi­si­on nach den Verkäufen und Verträgen be­misst, die der Ar­beit­ge­ber auf­grund der vom Ar­beit­neh­mer ge­leis­te­ten Ar­beit tätigt bzw. ab­sch­ließt,

- die Pro­vi­si­on rück­wir­kend ge­zahlt wird und die Höhe der in ei­nem be­stimm­ten Re­fe­renz­zeit­raum er­hal­te­nen Pro­vi­si­on je nach dem Wert der getätig­ten Verkäufe und der ge­schlos­se­nen Verträge so­wie nach dem Zeit­punkt der Ver­kaufs­geschäfte va­ri­iert,

- der Ar­beit­neh­mer während des Jah­res­ur­laubs kei­ne Ar­beit ver­rich­tet, die ei­nen An­spruch auf sol­che Pro­vi­si­ons­zah­lun­gen be­gründet, und dem­ent­spre­chend in die­ser Zeit kei­ne Pro­vi­si­on ver­dient,

- der Ar­beit­neh­mer im Ent­gel­tab­rech­nungs­zeit­raum, der ei­nen Jah­res­ur­laubs­zeit­ab­schnitt um­fasst, An­spruch auf das Grund­ge­halt hat und wei­ter­hin Pro­vi­si­ons­zah­lun­gen für zu­vor ver­dien­te Pro­vi­sio­nen erhält und

- sein im Lauf des Jah­res er­ziel­tes durch­schnitt­li­ches Pro­vi­si­ons­ein­kom­men nied­ri­ger ist, als es oh­ne die In­an­spruch­nah­me von Ur­laub wäre, weil er während des Ur­laubs kei­ne Ar­beit ver­rich­tet, die ei­nen Pro­vi­si­ons­an­spruch be­gründet,

ha­ben dann die Mit­glied­staa­ten nach Art. 7 der Richt­li­nie 93/104/EG des Ra­tes vom 23. No­vem­ber 1993 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. L 307, S. 18) in der durch die Richt­li­nie 2003/88 geänder­ten Fas­sung Maßnah­men zu tref­fen, da­mit ein Ar­beit­neh­mer hin­sicht­lich der Zei­ten des Jah­res­ur­laubs ei­ne Be­zah­lung erhält, die sich nach den Pro­vi­sio­nen, die er oh­ne In­an­spruch­nah­me des Ur­laubs ver­dient hätte, so­wie nach sei­nem Grund­ge­halt be­misst?

2. Wel­che Grundsätze sind für die Be­ant­wor­tung der ers­ten Fra­ge maßge­bend?

3. Falls die ers­te Fra­ge zu be­ja­hen ist: Wel­che Grundsätze ha­ben die Mit­glied­staa­ten ge­ge­be­nen­falls bei der Be­rech­nung der Beträge zu be­ach­ten, die dem Ar­beit­neh­mer un­ter Zu­grun­de­le­gung der Pro­vi­si­on zu zah­len sind, die der Ar­beit­neh­mer oh­ne In­an­spruch­nah­me des Jah­res­ur­laubs ver­dient hätte oder hätte ver­die­nen können?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

Zur ers­ten und zur zwei­ten Fra­ge

13

13 Mit sei­ner ers­ten und sei­ner zwei­ten Fra­ge, die ge­mein­sam zu prüfen sind, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er na­tio­na­len Be­stim­mun­gen und Prak­ti­ken ent­ge­gen­steht, nach de­nen ein Ar­beit­neh­mer, des­sen Ar­beits­ent­gelt sich aus ei­nem Grund­ge­halt und ei­ner Pro­vi­si­on zu­sam­men­setzt, de­ren Höhe sich nach den Verträgen be­misst, die vom Ar­beit­ge­ber auf­grund der vom Ar­beit­neh­mer getätig­ten Verkäufe ge­schlos­sen wur­den, hin­sicht­lich sei­nes be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs nur An­spruch auf ein Ar­beits­ent­gelt hat, das aus­sch­ließlich aus sei­nem Grund­ge­halt be­steht.

14 Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs ist der An­spruch je­des Ar­beit­neh­mers auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub als ein be­son­ders be­deut­sa­mer Grund­satz des So­zi­al­rechts der Uni­on an­zu­se­hen, von dem nicht ab­ge­wi­chen wer­den darf und den die zuständi­gen na­tio­na­len Stel­len nur in den Gren­zen um­set­zen dürfen, die in der Richt­li­nie 93/104, die durch die Richt­li­nie 2003/88 ko­di­fi­ziert wur­de, selbst aus­drück­lich ge­zo­gen sind (vgl. Ur­teil KHS, C-214/10, EU:C:2011:761, Rn. 23 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung). Die­ses Recht ist im Übri­gen in Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on aus­drück­lich ver­an­kert, der in Art. 6 Abs. 1 EUV der­sel­be recht­li­che Rang wie den Verträgen zu­er­kannt wird.
15 In die­sem Kon­text ist Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 im Licht sei­nes Wort­lauts und des mit ihm ver­folg­ten Ziels aus­zu­le­gen.
16 Zwar enthält Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 kei­nen aus­drück­li­chen Hin­weis auf das Ent­gelt, auf das der Ar­beit­neh­mer während sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat, doch hat der Ge­richts­hof be­reits klar­ge­stellt, dass der Aus­druck „be­zahl­ter [J]ah­res­ur­laub“ in Art. 7 Abs. 1 be­deu­tet, dass das Ar­beits­ent­gelt für die Dau­er des „Jah­res­ur­laubs“ im Sin­ne die­ser Richt­li­nie wei­ter­zu­gewähren ist und dass der Ar­beit­neh­mer mit an­de­ren Wor­ten für die­se Ru­he­zeit das gewöhn­li­che Ar­beits­ent­gelt er­hal­ten muss (vgl. Ur­tei­le Ro­bin­son-Stee­le u. a., C-131/04 und C-257/04, EU:C:2006:177, Rn. 50, so­wie Schultz-Hoff u. a., C-350/06 und C-520/06, EU:C:2009:18, Rn. 58).
17 Die Richt­li­nie 2003/88 be­han­delt den An­spruch auf Jah­res­ur­laub und den auf Zah­lung des Ur­laubs­ent­gelts nämlich als die zwei As­pek­te ei­nes ein­zi­gen An­spruchs. Durch die Zah­lung des Ur­laubs­ent­gelts soll der Ar­beit­neh­mer während des Jah­res­ur­laubs in ei­ne La­ge ver­setzt wer­den, die in Be­zug auf das Ent­gelt mit den Zei­ten ge­leis­te­ter Ar­beit ver­gleich­bar ist (vgl. Ur­tei­le Ro­bin­son-Stee­le u. a., EU:C:2006:177, Rn. 58, so­wie Schultz-Hoff u. a., EU:C:2009:18, Rn. 60).
18 Im Hin­blick auf die­se Recht­spre­chung ma­chen Bri­tish Gas und die Re­gie­rung des Ver­ei­nig­ten König­reichs gel­tend, dass nach den na­tio­na­len Be­stim­mun­gen und Prak­ti­ken das Ziel von Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88, wie er vom Ge­richts­hof aus­ge­legt wird, er­reicht sei, da der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens während sei­nes be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs ein Ent­gelt er­hal­ten ha­be, das mit dem in den Zei­ten, in de­nen er ar­bei­te, ver­gleich­bar sei. Er ha­be nämlich im Ur­laubs­zeit­raum nicht nur über sein Grund­ge­halt, son­dern auch über die Pro­vi­si­on auf­grund der Verkäufe verfügt, die er in den Wo­chen vor dem Ur­laubs­zeit­raum getätigt ha­be.
19 Die­ser Ar­gu­men­ta­ti­on kann nicht ge­folgt wer­den.
20 Die Vor­aus­set­zun­gen des Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88, wie er vom Ge­richts­hof aus­ge­legt wird, schei­nen zwar durch die na­tio­na­len Be­stim­mun­gen und Prak­ti­ken in­so­weit ein­ge­hal­ten zu sein, als der Ar­beit­neh­mer während sei­nes Jah­res­ur­laubs über ei­nen Ge­samt­be­trag verfügt, der mit dem in Zei­ten, in de­nen er ar­bei­tet, be­zo­ge­nen ver­gleich­bar ist. Die­ser hin­sicht­lich so­wohl sei­nes Jah­res­ur­laubs als auch der von ihm in den Wo­chen vor sei­nem Jah­res­ur­laub getätig­ten Verkäufe ge­zahl­te Be­trag ermöglicht es dem Ar­beit­neh­mer, den Ur­laub, auf den An­spruch hat, tatsächlich zu neh­men (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Ro­bin­son-Stee­le u. a., EU:C:2006:177, Rn. 49).
21 Es ist je­doch zu be­den­ken, dass der Ar­beit­neh­mer trotz des Ent­gelts, über das er in dem Zeit­raum verfügt, in dem er den Jah­res­ur­laub tatsächlich nimmt, mögli­cher­wei­se auf­grund des fi­nan­zi­el­len Nach­teils, der zwar hin­aus­ge­scho­ben ist, den er je­doch in der auf den Jah­res­ur­laub fol­gen­den Zeit tatsächlich er­lei­det, da­von ab­sieht, sein Recht auf Jah­res­ur­laub aus­zuüben.
22 Wie nämlich Bri­tish Gas in der Sit­zung ein­geräumt hat, ver­dient der Ar­beit­neh­mer während sei­nes Jah­res­ur­laubs kei­ne Pro­vi­si­on. Da­her erhält er, wie aus Rn. 8 des vor­lie­gen­den Ur­teils her­vor­geht, in der auf sei­nen Jah­res­ur­laub fol­gen­den Zeit nur ein auf sein Grund­ge­halt re­du­zier­tes Ar­beits­ent­gelt. Die­ser fi­nan­zi­el­le Nach­teil kann sich, wie der Ge­ne­ral­an­walt in Nr. 34 sei­ner Schluss­anträge aus­geführt hat, da­hin aus­wir­ken, dass da­von ab­ge­se­hen wird, den Ur­laub tatsächlich zu neh­men, was in ei­ner Si­tua­ti­on wie der des Aus­gangs­ver­fah­rens, in der die Pro­vi­si­on im Durch­schnitt mehr als 60 % des vom Ar­beit­neh­mer be­zo­ge­nen Ar­beits­ent­gelts aus­macht, um­so wahr­schein­li­cher ist.
23 Ei­ne sol­che Ver­rin­ge­rung des Ar­beits­ent­gelts ei­nes Ar­beit­neh­mers hin­sicht­lich sei­nes be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs, auf­grund de­ren er mögli­cher­wei­se da­von ab­sieht, sein Recht auf die­sen Ur­laub tatsächlich aus­zuüben, verstößt ge­gen das mit Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 ver­folg­te Ziel (vgl. in die­sem Sin­ne u. a. Ur­teil Wil­liams u. a., C-155/10, EU:C:2011:588, Rn. 21). Dass die Ver­rin­ge­rung des Ar­beits­ent­gelts, wie im Aus­gangs­ver­fah­ren, in der Zeit nach dem Jah­res­ur­laub ein­tritt, ist da­bei un­er­heb­lich.
24 Nach al­le­dem ist auf die ers­te und die zwei­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er na­tio­na­len Be­stim­mun­gen und Prak­ti­ken ent­ge­gen­steht, nach de­nen ein Ar­beit­neh­mer, des­sen Ar­beits­ent­gelt sich aus ei­nem Grund­ge­halt und ei­ner Pro­vi­si­on zu­sam­men­setzt, de­ren Höhe sich nach den Verträgen be­misst, die vom Ar­beit­ge­ber auf­grund der vom Ar­beit­neh­mer getätig­ten Verkäufe ge­schlos­sen wur­den, hin­sicht­lich sei­nes be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs nur An­spruch auf ein Ar­beits­ent­gelt hat, das aus­sch­ließlich aus sei­nem Grund­ge­halt be­steht.

Zur drit­ten Fra­ge

25 Mit sei­ner drit­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob sich un­ter Berück­sich­ti­gung der Ant­wort auf die ers­te Fra­ge Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 Hin­wei­se auf die Me­tho­den der Be­rech­nung der Pro­vi­si­on ent­neh­men las­sen, auf die ein Ar­beit­neh­mer wie der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens hin­sicht­lich sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat, und ge­ge­be­nen­falls, wel­che dies sind.
26 In­so­weit ist zunächst fest­zu­stel­len, dass das hin­sicht­lich des Ur­laubs ge­zahl­te Ar­beits­ent­gelt grundsätz­lich so be­mes­sen sein muss, dass es mit dem gewöhn­li­chen Ent­gelt des Ar­beit­neh­mers übe­rein­stimmt (vgl. Ur­teil Wil­liams u. a., EU:C:2011:588, Rn. 21).
27 Be­steht das vom Ar­beit­neh­mer be­zo­ge­ne Ent­gelt aus meh­re­ren Be­stand­tei­len, er­for­dert die Be­stim­mung des gewöhn­li­chen Ent­gelts, auf das der Ar­beit­neh­mer während sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat, ei­ne spe­zi­fi­sche Prüfung (vgl. Ur­teil Wil­liams u. a., EU:C:2011:588, Rn. 22).
28 Wie in Rn. 7 des vor­lie­gen­den Ur­teils an­ge­ge­ben, ist dies beim Ar­beits­ent­gelt von Herrn Lock der Fall. Die­ser Ar­beit­neh­mer be­zieht nämlich als bei ei­nem Han­dels­un­ter­neh­men an­ge­stell­ter Ver­kaufs­be­ra­ter ein Ent­gelt, das aus ei­nem mo­nat­li­chen fes­ten Ge­halt und ei­ner va­ria­blen Pro­vi­si­on im Zu­sam­men­hang mit den Verträgen be­steht, die vom Ar­beit­ge­ber auf­grund der von Herrn Lock getätig­ten Verkäufe ab­ge­schlos­sen wer­den.
29 Im Rah­men ei­ner spe­zi­fi­schen Prüfung im Sin­ne der an­geführ­ten Recht­spre­chung steht fest, dass je­de Un­an­nehm­lich­keit, die un­trenn­bar mit der Erfüllung der dem Ar­beit­neh­mer nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben ver­bun­den ist und durch ei­nen in die Be­rech­nung des Ge­sam­tent­gelts des Ar­beit­neh­mers ein­ge­hen­den Geld­be­trag ab­ge­gol­ten wird, zwin­gend Teil des Be­trags sein muss, auf den der Ar­beit­neh­mer während sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat (vgl. Ur­teil Wil­liams u. a., EU:C:2011:588, Rn. 24).
30 Außer­dem hat der Ge­richts­hof klar­ge­stellt, dass al­le die­je­ni­gen Be­stand­tei­le des Ge­sam­tent­gelts, die an die persönli­che und be­ruf­li­che Stel­lung des Ar­beit­neh­mers an­knüpfen, während sei­nes be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs fort­zu­zah­len sind. Da­her sind ge­ge­be­nen­falls die Zu­la­gen, die an sei­ne lei­ten­de Po­si­ti­on, die Dau­er sei­ner Be­triebs­zu­gehörig­keit und an sei­ne be­ruf­li­chen Qua­li­fi­ka­tio­nen an­knüpfen, fort­zu­zah­len (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le Par­viai­nen, C-471/08, EU:C:2010:391, Rn. 73, so­wie Wil­liams u. a., EU:C:2011:588, Rn. 27).
31 Da­ge­gen müssen nach die­ser Recht­spre­chung Be­stand­tei­le des Ge­sam­tent­gelts des Ar­beit­neh­mers, die aus­sch­ließlich ge­le­gent­lich an­fal­len­de Kos­ten oder Ne­ben­kos­ten de­cken sol­len, die bei der Erfüllung der dem Ar­beit­neh­mer nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben ent­ste­hen, bei der Be­rech­nung der während des Jah­res­ur­laubs zu ent­rich­ten­den Zah­lung nicht berück­sich­tigt wer­den (vgl. Ur­teil Wil­liams u. a., EU:C:2011:588, Rn.25).
32 Im Aus­gangs­ver­fah­ren ist, wie der Ge­ne­ral­an­walt in den Nrn. 31 bis 33 sei­ner Schluss­anträge aus­geführt hat, die von Herrn Lock be­zo­ge­ne Pro­vi­si­on un­mit­tel­bar mit des­sen Tätig­keit in sei­nem Un­ter­neh­men ver­bun­den. Da­her be­steht zwi­schen der mo­nat­li­chen Pro­vi­si­on, die Herr Lock erhält, und der Erfüllung der ihm nach sei­nem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­den Auf­ga­ben ein in­ne­rer Zu­sam­men­hang.
33 Folg­lich ist ei­ne sol­che Pro­vi­si­on bei der Be­rech­nung des Ge­sam­tent­gelts zu berück­sich­ti­gen, auf das ein Ar­beit­neh­mer wie der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens hin­sicht­lich sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat.
34 Un­ter die­sen Umständen ist es Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts, im Licht der in der erwähn­ten Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs ent­wi­ckel­ten Grundsätze zu be­ur­tei­len, ob die Me­tho­den der Be­rech­nung der ei­nem Ar­beit­neh­mer wie dem Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens hin­sicht­lich sei­nes Jah­res­ur­laubs ge­schul­de­ten Pro­vi­si­on auf der Grund­la­ge ei­nes Mit­tel­werts aus ei­nem nach dem na­tio­na­len Recht als re­präsen­ta­tiv gel­ten­den Re­fe­renz­zeit­raum dem mit Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 ver­folg­ten Ziel ent­spre­chen.  

35

In­fol­ge­des­sen ist auf die drit­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass die Me­tho­den der Be­rech­nung der Pro­vi­si­on, auf die ein Ar­beit­neh­mer wie der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens hin­sicht­lich sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat, vom na­tio­na­len Ge­richt an­hand der in der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs auf­ge­stell­ten Re­geln und Kri­te­ri­en und im Licht des mit Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 ver­folg­ten Ziels zu be­ur­tei­len sind.

Kos­ten

36 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Ers­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

1. Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung ist da­hin aus­zu­le­gen, dass er na­tio­na­len Be­stim­mun­gen und Prak­ti­ken ent­ge­gen­steht, nach de­nen ein Ar­beit­neh­mer, des­sen Ar­beits­ent­gelt sich aus ei­nem Grund­ge­halt und ei­ner Pro­vi­si­on zu­sam­men­setzt, de­ren Höhe sich nach den Verträgen be­misst, die vom Ar­beit­ge­ber auf­grund der vom Ar­beit­neh­mer getätig­ten Verkäufe ge­schlos­sen wur­den, hin­sicht­lich sei­nes be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs nur An­spruch auf ein Ar­beits­ent­gelt hat, das aus­sch­ließlich aus sei­nem Grund­ge­halt be­steht.

2. Die Me­tho­den der Be­rech­nung der Pro­vi­si­on, auf die ein Ar­beit­neh­mer wie der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens hin­sicht­lich sei­nes Jah­res­ur­laubs An­spruch hat, sind vom na­tio­na­len Ge­richt an­hand der in der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on auf­ge­stell­ten Re­geln und Kri­te­ri­en und im Licht des mit Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 ver­folg­ten Ziels zu be­ur­tei­len.

Un­ter­schrif­ten

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* Ver­fah­rens­spra­che: Eng­lisch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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