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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 22.01.2008, 14 Sa 87/07

   
Schlagworte: Urlaubsgeld, Tarifeinheit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 14 Sa 87/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.01.2008
   
Leitsätze: Das Prinzip der Tarifeinheit führt nicht dazu, dass in einem Arbeitsverhältnis, auf das kraft beiderseitiger Verbandsmitgliedschaft der BAT Anwendung findet, nach Inkrafttreten des TVöD dieser gilt, obschon der Arbeitnehmer Mitglied des Marburger Bundes ist, der den TVöD (zunächst) nicht abgeschlossen hat. In einer solchen Konstellation ist eine Verdrängung bestehender Bindungen an den BAT nach dem Prinzip der Tarifeinheit wegen Unvereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 3 GG abzulehnen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mannheim, Urteil vom 31.07.2007, 12 Ca 120/07
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

- Kam­mern Mann­heim -

 

Verkündet

am 22.01.2008

Ak­ten­zei­chen:

14 Sa 87/07

12 Ca 120/07 (ArbG Mann­heim) (Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

Munk
Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In dem Rechts­streit

- Be­klag­te/Be­ru­fungskläge­rin -

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Kläger/Be­ru­fungs­be­klag­ter -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg - Kam­mern Mann­heim - - 14. Kam­mer -
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt Wit­te, den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Lehm­pfuhl
und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Wiet­s­tock auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 22.01.2008

für Recht er­kannt:

I.
Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mann­heim vom 31.07.2007 - 12 Ca 120/07 wird auf Kos­ten der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen.

II.
Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

- 2 -

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob der Kläger für den im Zeit­raum vom 15. bis 31.10.2005 ge­nom­me­nen Ur­laub Vergütung nach § 47 Abs. 2 BAT (Auf­schlag zur Ur­laubs­vergütung) be­an­spru­chen kann.

Der Kläger war vom 01.08.2000 bis 31.12.2007 als Arzt in der Wei­ter­bil­dung in dem von der Be­klag­ten be­trie­be­nen Kran­ken­haus beschäftigt. Der Kläger ist seit dem 01.01.2000 Mit­glied des Mar­bur­ger Bun­des. Die Be­klag­te gehört dem Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­ver­band an.

§ 2 des im Streit­fall in­ter­es­sie­ren­den schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges vom 12.03.2004 lau­tet u. a.:

Das Ar­beits­verhält­nis be­stimmt sich nach dem Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trag (BAT) vom 23. Fe­bru­ar 1961 und den ihn ergänzen­den, ändern­den oder er­set­zen­den Ta­rif­verträgen in der für den Be­reich der Ver­ei­ni­gung der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände (VKA) je­weils gel­ten­den Fas­sung. Außer­dem fin­den die für die Ar­beit­ge­be­rin je­weils gel­ten­den sons­ti­gen Ta­rif­verträge und be­zirk­li­chen Re­ge­lun­gen An­wen­dung ...“

Die Be­tei­li­gung des Mar­bur­ger Bun­des an den Ta­rif­ab­schlüssen für den öffent­li­chen Dienst hat­te sich in der Ver­gan­gen­heit ver­schie­den­ar­tig ge­stal­tet. Während vor­mals ei­ne Zu­gehörig­keit zu ei­ner Ta­rif­ge­mein­schaft der am Ta­rif­ab­schluss für den öffent­li­chen Dienst be­tei­lig­ten Ge­werk­schaf­ten be­stand, wur­de un­ter dem 11.11.1994 mit der DAG ei­ne Ver­ein­ba­rung über ei­ne ta­rif­ver­trag­li­che Zu­sam­men­ar­beit ab­ge­schlos­sen. Die­se lau­tet u. a.:

„Die DAG wird bis auf Wi­der­ruf be­vollmäch­tigt, mit dem Bund, der Ta­rif­ge­mein­schaft deut­scher Länder und der Ver­ei­ni­gung der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände auf dem Ta­rif­sek­tor Rechts­geschäfte und Rechts­hand­lun­gen für den Mar­bur­ger Bund vor­zu­neh­men...“

Als An­la­ge zu die­ser Ver­ein­ba­rung war ei­ne Voll­macht er­teilt wor­den, die, so­weit vor­lie­gend von In­ter­es­se, lau­tet: „... Die Deut­sche An­ge­stell­ten-Ge­werk­schaft ist ins­be­son­de­re be­vollmäch­tigt, mit bin­den­der Wir­kung für den Mar­bur­ger Bund Ta­rif­for­de­run­gen zu er­he­ben, Ta­rif­ver­hand­lun­gen zu führen, Ta­rif­verträge ab­zu­sch­ließen und sol­che zu kündi­gen ...“

 

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Auf die­ser Grund­la­ge er­folg­ten Ta­rif­ab­schlüsse mit Wir­kung für/ge­gen den Mar­bur­ger Bund nicht nur durch die DAG, son­dern auch durch de­ren Rechts­nach­fol­ge­rin, die Ge­werk­schaft ver.di.
Im Zu­sam­men­hang der Ver­hand­lun­gen über die Neu­re­ge­lung des Ta­rif­rech­tes des öffent­li­chen Diens­tes, mit Schrei­ben vom 10.09.2005 und mit­hin kurz vor Un­ter­zeich­nung des TVöD am 13.09.2005, wi­der­rief der Mar­bur­ger Bund ge­genüber ver.di die er­teil­te Voll­macht. Gleich­zei­tig wur­de die VKA zu Ta­rif­ver­hand­lun­gen über ei­nen arzt­spe­zi­fi­schen Ta­rif­ver­trag auf­ge­for­dert. Der BAT wur­de mit Schrei­ben vom 21.12.2005 zum 31.12.2005 gekündigt.

Die Be­klag­te hat­te ge­genüber dem Kläger den Stand­punkt ver­tre­ten, für die­sen sei­en mit Wir­kung ab 01.10.2005 die zu die­sem Zeit­punkt in Kraft ge­tre­te­nen Be­stim­mun­gen des TVöD/TVÜ-VKA mass­geb­lich. Die­ses ha­be für die Be­rech­nung der Ur­laubs­vergütung des Klägers im strei­ti­gen Zeit­raum vom 15. bis 31.10.2005 zur Fol­ge, dass der Kläger so zu be­han­deln sei als sei er ab 01.10.2005 neu an­ge­stellt wor­den.

Der Kläger sei­ner­seits hat ei­ne Bin­dung an die ab 01.10.2005 neu in Kraft ge­tre­te­nen ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen be­strit­ten und gel­tend ge­macht, der Kläger ha­be als Mit­glied des Mar­bur­ger Bun­des die Ur­laubs­vergütung gem. § 47 Abs. 2 BAT zu be­an­spru­chen, wes­halb die Be­klag­te über die gewähr­te Vergütung hin­aus zur Zah­lung des Ur­laubs­zu­schla­ges in - dem Be­tra­ge nach un­strei­ti­ger - Höhe von Eu­ro 628,76 brut­to ver­pflich­tet sei.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Für die Par­tei­en ha­be bis zum 31.12.2005 kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung der BAT ge­gol­ten. Zwar ha­be sich für den Kran­ken­haus­be­trieb der Be­klag­ten mit Wir­kung ab dem 01.10.2005, mit In­kraft­tre­ten des TVöD, ei­ne sog. Ta­rifp­lu­ra­lität er­ge­ben. Das Ne­ben­ein­an­der von BAT und TVöD könne aber ent­ge­gen der Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­klag­ten nicht un­ter Be­ru­fung auf den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit auf­gelöst wer­den der­ge­stalt, dass die Gel­tung des BAT gänz­lich ab­gelöst bzw. ver­drängt wor­den wäre. Viel­mehr kom­me un­ter den hier vor­lie­gen­den Umständen der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit nicht zum Tra­gen. Ins­be­son­de­re las­se es sich mit der ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ten Ko­ali­ti­ons­frei­heit nicht in Ein­klang brin­gen, dass aus­ge­han­del­ten Ta­rif­verträgen trotz bei­der­sei­ti­ger Bin­dung al­lein aus Prak­ti­ka­bi­litätserwägun­gen je­de Rechts­wirk­sam­keit ver­sagt wer­de. Aus der In­be­zug­nah­me­re­ge­lung gem. § 2 des Ar­beits­ver­tra­ges vom 12.03.2004 könne die Be­klag­te des­halb nichts zu ih­ren Guns­ten ab­lei­ten, weil dem das Güns­tig­keits­prin­zip gem. § 4 Abs. 3 TVG ent­ge­gen ste­he. Es sei nicht er­sicht­lich, dass die Ta­rif­be­stim­mun­gen des TVöD im Ver­gleich mit de­nen des BAG güns­ti­ger sei­en.

 

- 4 -

Zur nähe­ren Sach­dar­stel­lung wird im Übri­gen auf das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil vom 31.07.2007 Be­zug ge­nom­men.

Hier­ge­gen wen­det sich die Be­klag­te mit der Be­ru­fung. Sie ver­tei­digt un­verändert den bis­her ein­ge­nom­me­nen Stand­punkt und wie­der­holt und ergänzt dem­ent­spre­chend ihr erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen.

Die Be­klag­te be­an­tragt:

1. Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mann­heim vom 31. Ju­li 2007 - 12 Ca 120/07 - wird ab-geändert. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

2. Der Kläger trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

Der Kläger be­an­tragt:

Die Be­ru­fung kos­ten­pflich­tig zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger sei­ner­seits ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil.

We­gen der Ein­zel­hei­ten des bei­der­sei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gens im Be­ru­fungs­ver­fah­ren wird auf den In­halt der ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst der An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist nicht be­gründet.

Das Ar­beits­ge­richt hat zu­tref­fend ent­schie­den, dass sich die Ur­laubs­vergütung des Klägers im strei­ti­gen Zeit­raum nach § 47 Abs. 2 BAT be­misst. Bis zum 31.12.2005 galt für das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en kraft bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung der BAT. Ei­ne Ablösung durch die Be­stim­mun­gen des TVöD mit Wir­kung ab 01.10.2005 ist nicht er­folgt.

1.

Der Mar­bur­ger Bund war nicht Par­tei des am 13.09.2005 un­ter­zeich­ne­ten neu­en Ta­rif­rechts für die An­ge­stell­ten des öffent­li­chen Diens­tes (TVöD, TVÜ-VKA). Die­ser Um­stand re­sul­tiert aus dem Wi­der­ruf der zunächst ge­genüber der Ge­werk­schaft ver.di er­teil­ten Ab­schluss­voll-

 

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macht. Der Wi­der­ruf wur­de wirk­sam mit Zu­gang des ent­spre­chen­den Wi­der­rufs­schrei­bens vom 10.09.2005 (vgl. §§ 168, 167 BGB). Dies er­folg­te vor Un­ter­zeich­nung der neu­en Ta­rif­verträge am 13.09.2005.

Bei dem BAT - so­wie den die­sen ergänzen­den ta­rif­li­chen Be­stim­mun­gen - han­delt bzw. han­del­te es sich um ei­nen mehr­glied­ri­gen Ta­rif­ver­trag. So­wohl auf Ar­beit­ge­ber­sei­te als auch auf Ar­beit­neh­mer­sei­te wa­ren je­weils meh­re­re Or­ga­ni­sa­tio­nen am Ab­schluss be­tei­ligt. Ei­ne Ablösung durch den TVöD mit Wir­kung ab dem 01.10.2005 hat le­dig­lich statt­ge­fun­den durch die an der Un­ter­zeich­nung des neu­en Ta­rif­rechts be­tei­lig­ten Par­tei­en. Dies wa­ren auf Ar­beit­ge­ber­sei­te der Bund und die Mit­glieds­verbände der VKA, auf Ar­beit­neh­mer­sei­te die Ge­werk­schaft ver.di - gleich­zei­tig han­delnd für die Ge­werk­schaft der Po­li­zei, die In­dus­trie­ge­werk­schaft Bau­en-Agrar-Um­welt so­wie für die Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft, des-wei­te­ren die „dbb ta­rif­uni­on“ (vgl. hier­zu die §§ 2 TVÜ-Bund so­wie TVÜ-VKA).

Da die Ge­werk­schaft ver.di für den Mar­bur­ger Bund nicht ab­ge­schlos­sen hat, blieb es bis zum 31.12.2005 in­so­weit bei der be­ste­hen­den Bin­dung an den BAT.

Kraft Or­ga­ni­sa­ti­ons­zu­gehörig­keit bei­der Streit­par­tei­en be­deu­tet dies ei­ne bis zum 31.12.2005 wei­ter­hin be­ste­hen­de Ta­rif­bin­dung (§ 3 Abs. 1 TVG).

2.

An der Ta­rif­ge­bun­den­heit der Par­tei­en hin­sicht­lich der Be­stim­mun­gen des BAT ändert sich nichts durch das Prin­zip der Ta­rif­ein­heit.

a.)
In­so­weit hat be­reits das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend dar­auf hin­ge­wie­sen, dass für den be­trieb­li­chen Be­reich der ei­nem Mit­glieds­ver­band der VKA an­gehöri­gen Be­klag­ten mit Wir­kung ab dem 01.10.2005 zwei Ta­rif­verträge ne­ben­ein­an­der in Kraft wa­ren. Je nach­dem, ob ein Ar­beit­neh­mer auf­grund ent­spre­chen­der Or­ga­ni­sa­ti­ons­zu­gehörig­keit an den TVöD oder aber im Fall der Zu­gehörig­keit zum Mar­bur­ger Bund an den BAT ge­bun­den war, gal­ten kraft der dop­pel­ten Ta­rif­bin­dung auf Sei­ten der Be­klag­ten in de­ren Be­trieb so­wohl der ei­ne als auch der an­de­re Ta­rif­ver­trag ne­ben­ein­an­der. Dies ist ein Fall sog. Ta­rifp­lu­ra­lität. Im Fall des Ar­beits­verhält­nis­ses des Klägers galt bis zum 31.12.2005 die Bin­dung an den BAT.

Ent­ge­gen der Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­klag­ten lässt sich die­ser Zu­stand nicht mit Hin­weis auf das Prin­zip der Ta­rif­ein­heit be­sei­ti­gen mit der Fol­ge, dass auch für das Ar­beits­verhält­nis des

 

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Klägers der TVöD Bin­dungs­wir­kung ent­fal­tet hätte. Der­ar­ti­ges ist ge­ra­de, wie das Ar­beits­ge­richt rich­tig fest­ge­stellt hat, nicht der Fall.

b.)
Zwar hat das BAG (vgl. et­wa Ur­teil vom 20.03.1991 - 4 AZR 455/90) auch für den Fall ei­ner be­ste­hen­den Ta­rifp­lu­ra­lität ent­schie­den, dass nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit der sach­frem­de­re Ta­rif­ver­trag ver­drängt wer­de. Be­triebs­ein­heit­lich sol­le nach dem Grund­satz der Spe­zia­lität der­je­ni­ge Ta­rif­ver­trag zur An­wen­dung kom­men, wel­cher dem Be­trieb räum­lich, be­trieb­lich, fach­lich und persönlich am nächs­ten ste­he und des­halb den Er­for­der­nis­sen und Ei­gen­ar­ten des Be­trie­bes und der dar­in täti­gen Ar­beit­neh­mer am bes­ten Rech­nung tra­ge. Da­bei soll­te die Ver­drängung an­de­rer Ta­rif­verträge durch den spe­zi­el­le­ren Ta­rif­ver­trag auch den Fall ei­ner ein­zel­ver­trag­lich er­folg­ten In­be­zug­nah­me des ver­dräng­ten Ta­rif­ver­tra­ges um­fas­sen.

Zur Be­gründung wird aus­geführt, das TVG ent­hal­te ei­ne durch den Grund­satz der Ta­rif­ein­heit schließungs­bedürf­ti­ge Lücke. Er sei aus den über­ge­ord­ne­ten Grundsätzen von Rechts­si­cher­heit und Rechts­klar­heit so­wie aus Prak­ti­ka­bi­litätserwägun­gen ab­zu­lei­ten. Ta­rifp­lu­ra­lität führe zu „prak­tisch kaum lösba­ren Schwie­rig­kei­ten“. Bei Be­triebs­nor­men, für de­ren Gel­tung die Ta­rif­bin­dung des Ar­beit­ge­bers genüge, sei oh­ne­hin im­mer nur ein Ta­rif­ver­trag im Be­trieb an­wend­bar. Mit Blick auf Ab­gren­zungs­schwie­rig­kei­ten zwi­schen In­di­vi­du­al- und Be­triebs­nor­men müsse die Ta­rif­ein­heit auch für In­di­vi­dual­nor­men gel­ten. Dass Mit­glie­der der Ge­werk­schaft, de­ren Ta­rif­ver­trag ver­drängt wer­de, ih­ren Ta­rif­schutz verlören, sei hin­zu­neh­men. Sie könn­ten der „sieg­rei­chen“ Ge­werk­schaft bei­tre­ten. Zu­dem könn­ten die Ta­rif­par­tei­en des ver­dräng­ten Ta­rif­ver­tra­ges für ih­re Mit­glie­der an­de­re Nor­men schaf­fen, et­wa ei­nen noch spe­zi­el­le­ren Ta­rif oder ei­nen An­schluss­ta­rif.

Die­se Recht­spre­chung des BAG ist in der Li­te­ra­tur auf kri­ti­sche Ab­leh­nung ges­toßen. Über­wie­gend wird ar­gu­men­tiert, dass die in Re­de ste­hen­de Recht­spre­chung ei­nen nicht hin­nehm­ba­ren Ver­s­toß ge­gen Ar­ti­kel 9 Abs. 3 GG mit sich brin­ge. Da­mit sei es nicht ver­ein­bar, die Ar­beit­neh­mer auf den Bei­tritt zu der Ge­werk­schaft zu ver­wei­sen, die den an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­trag ab­ge­schlos­sen hat, noch die Ge­werk­schaft, de­ren Ta­rif­ver­trag ver­drängt wer­de, auf die Möglich­keit zu be­schränken, die be­reits ein­mal erkämpf­ten Ta­rif­er­geb­nis­se durch ei­nen neu­en Ta­rif­ver­trag zu si­chern (vgl. et­wa Däubler/Zwan­zi­ger, TVG, § 4 Rn. 944 ff, Ja­cobs, NZA 2008, Sei­te 325 ff, je­weils m. w. N.).
c.)

 

- 7 -

Be­zo­gen auf den Streit­fall ist fest­zu­stel­len, dass sich un­ter Her­an­zie­hung des Prin­zips der Ta­rif­ein­heit für sich ge­nom­men schon nicht be­gründen lässt, dass/wes­halb für den Kläger mit Wir­kung ab dem 01.10.2005 das neue Ta­rif­recht Gel­tung ha­ben soll­te.

Über­dies er­scheint be­reits höchst frag­lich, ob sich die vom BAG befürwor­te­te Ta­rif­ein­heit auch im Fall der Ta­rifp­lu­ra­lität über­haupt auf die nun­mehr vor­lie­gen­de Fall­kon­stel­la­ti­on über­tra­gen lässt. Im Ge­gen­satz zu den vom BAG ent­schie­de­nen Fällen der Ver­drängung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges nach dem Prin­zip der Ta­rif­ein­heit geht es vor­lie­gend nicht um die Su­che bzw. Fest­stel­lung ei­nes sachnähe­ren Ta­rif­ver­tra­ges. Der TVöD ist im Verhält­nis zum BAT nicht sachnäher oder spe­zi­el­ler, es han­delt sich viel­mehr um die Ablösung des al­ten durch neu­es Ta­rif­recht für den Be­reich des öffent­li­chen Diens­tes. Die Kern­fra­ge lau­tet, in­wie­weit die Gel­tung zusätz­li­cher Ta­rif­verträge zu­ge­las­sen wird un­ter Be­tei­li­gung von Ge­werk­schaf­ten, wel­che - wie im Fall des Mar­bur­ger Bun­des - ei­ne spe­zi­el­le Be­rufs­grup­pe ver­tre­ten. Je­den­falls ist in der vor­lie­gend ge­ge­be­nen Kon­stel­la­ti­on ei­ne Ver­drängung be­ste­hen­der Bin­dun­gen an den BAT nach dem Prin­zip der Ta­rif­ein­heit we­gen Un­ver­ein­bar­keit mit Art. 9 Abs. 3 GG ab-zu­leh­nen.

3.

Die Be­klag­te ver­mag die Gel­tung der Re­ge­lun­gen des TVöD ab dem 01.10.2005 auch nicht un­ter Be­ru­fung auf die In­be­zug­nah­me­klau­sel zu § 2 des Ar­beits­ver­tra­ges vom 12.03.2004 er­folg­reich zu be­gründen.

Nach dem oben Ge­sag­ten führt der Grund­satz der Ta­rif­ein­heit nicht da­zu, dass die bes­te-hen­de Ta­rif­bin­dung der Be­klag­ten ei­ner­seits so­wie des Klägers an­de­rer­seits an den BAT mit Wir­kung ab dem 01.10.2005 ver­drängt wor­den wäre. Die Ta­rif­ge­bun­den­heit be­stand bis zum 31.12.2005 viel­mehr fort.

Auf die­sem Hin­ter­grund hat be­reits das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend fest­ge­stellt, dass ei­ne et­wa an­zu­neh­men­de Ver­ein­ba­rung der Be­stim­mun­gen des TVöD mit Wir­kung ab dem 01.10.2005 in­fol­ge § 2 des Ar­beits­ver­tra­ges vom 12.03.2004 hin­sicht­lich der streit­ge­genständ­li­chen Ur­laubs­vergütung ge­gen § 4 Abs. 3 TVG (Güns­tig­keits­prin­zip) ver­s­toßen würde.

 

- 8 -

Darüber hin­aus ver­mag die von der Be­klag­ten vor­ge­nom­me­ne Aus­le­gung der Be­zug­nah­me­klau­sel nicht zu über­zeu­gen. Zwar ist bei der Aus­le­gung nach den §§ 133, 157 BGB vom Vor­lie­gen ei­ner sog. großen dy­na­mi­schen Ver­wei­sungs­klau­sel aus­zu­ge­hen. Denn

 

 

 

- 9 -

ver­ein­bart ist die Gel­tung nicht nur des BAT in der je­weils gel­ten­den Fas­sung, son­dern darüber hin­aus die Gel­tung der den BAT „ er­set­zen­den“ Ta­rif­verträge.

Ent­ge­gen der Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­klag­ten be­deu­tet ei­ne der­ar­ti­ge Ver­ein­ba­rung aber nicht, dass der Kläger nun­mehr auch „er­set­zen­den“ Ta­rif­verträgen un­ter­wor­fen sein soll­te, die von der für den Kläger fach­lich zuständi­gen Ge­werk­schaft ge­ra­de nicht ab­ge­schlos­sen wor­den sind. Die am Maßstab der §§ 133, 157 BGB ori­en­tier­te Aus­le­gung er­gibt viel­mehr, dass für den Be­reich der spe­zi­el­len Be­rufs­grup­pe, wel­cher der Kläger an­gehört, mit In­kraft­tre­ten des TVöD am 01.10.2005 noch kein „er­set­zen­der“ Ta­rif­ver­trag i. S. von § 2 des Ar­beits­ver­tra­ges vom 12.03.2004 ab­ge­schlos­sen wor­den ist.

* * *

Gem. § 97 Abs. 1 ZPO trägt die Be­klag­te die Kos­ten der Be­ru­fung.

Nach § 72 Abs. 2 ArbGG ist die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von der Be­klag­ten

R e v i s i o n

ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

schrift­lich beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den.

Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

schrift­lich zu be­gründen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

 

- 10 -

Bis zum 30.06.2008 müssen die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

Ab 01.07.2008 sind vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt außer Rechts­anwälten auch Ge-werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­ber­verbänden so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der als Be­vollmäch­tig­te ver­tre­tungs­be­fugt. Als Be­vollmäch­tig­te zu­ge­las­sen sind auch ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 5 ArbGG erfüllen. Die han­deln­den Per­so­nen müssen die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

Die An­schrift des Bun­des­ar­beits­ge­richts lau­tet:

Bun­des­ar­beits­ge­richt,

99113 Er­furt.

Per Te­le­fax ist das Bun­des­ar­beits­ge­richt

un­ter der Te­le­fax-Nr. (0361) 26 36 – 20 00

zu er­rei­chen.

Für den Kläger ist ge­gen die Ent­schei­dung kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

 

Wit­te

Lehm­pfuhl

Wiet­s­tock

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Nina Wesemann
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