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BAG, Be­schluss vom 21.07.2009, 1 ABR 42/08

   
Schlagworte: AGG, Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 ABR 42/08
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 21.07.2009
   
Leitsätze:

1. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen bei der Einführung und Ausgestaltung des Verfahrens, in dem Arbeitnehmer ihr Beschwerderecht nach § 13 Abs. 1 Satz 1 AGG wahrnehmen können. Er hat insoweit auch ein Initiativrecht.

2. Kein Mitbestimmungsrecht besteht bei der Frage, wo der Arbeitgeber die Beschwerdestelle errichtet und wie er diese personell besetzt.

Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.04.2008, 9 TaBV 9/08
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


1 ABR 42/08
9 TaBV 9/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Rhein­land-Pfalz


Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

21. Ju­li 2009

BESCHLUSS

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren

mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­ler, Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

2.

3.

hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 21. Ju­li 2009 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, den Rich­ter am Bun­des-
 


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ar­beits­ge­richt Lin­sen­mai­er so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Brun­ner und Dr. Zum­pe für Recht er­kannt:
Die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats ge­gen den Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Rhein­land-Pfalz vom 17. April 2008 - 9 TaBV 9/08 - wird zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats hin­sicht­lich des Or­tes und der per­so­nel­len Be­set­zung ei­ner Be­schwer­de­stel­le nach § 12 Abs. 5, § 13 Abs. 1 Satz 1 AGG so­wie über ein Initia­tiv­recht des Be­triebs­rats zur Einführung ei­nes Be­schwer­de­ver­fah­rens.


Die Ar­beit­ge­be­rin be­treibt bun­des­weit Dro­ge­riemärk­te. Durch ei­nen Ta­rif­ver­trag nach § 3 Abs. 1 Ziff. 3 Be­trVG aF sind ab­wei­chend von §§ 1, 4 Be­trVG Fi­lia­len und Be­triebs­tei­le zu Be­trie­ben zu­sam­men­ge­fasst. Für die Re­gi­on T ist der an­trag­stel­len­de Be­triebs­rat er­rich­tet. Die Ver­wal­tung der Be­trie­be er­folgt durch sog. Ver­kaufsbüros. Für die Re­gi­on T war 2006 das Ver­kaufsbüro S zuständig. Im No­vem­ber 2007 wur­den meh­re­re Ver­kaufsbüros zu ei­nem Ver­triebsbüro zu­sam­men­ge­fasst. Seit­dem gehört das frühe­re Ver­kaufsbüro S or­ga­ni­sa­to­risch zum Ver­triebsbüro P bei G.


Mit Rund­schrei­ben vom De­zem­ber 2006 teil­te die Ar­beit­ge­be­rin den Ar­beit­neh­mern mit, sie ha­be ei­ne be­trieb­li­che Be­schwer­de­stel­le gemäß § 13 AGG ein­ge­rich­tet, und bat die Mit­ar­bei­ter, „al­le das AGG be­tref­fen­den Be­schwer­den an das für Sie zuständi­ge Ver­kaufsbüro“ zu rich­ten. Dies ist der­zeit das Ver­triebsbüro in P. Der an­trag­stel­len­de Be­triebs­rat re­kla­mier­te dar­auf­hin ein Mit­be­stim­mungs­recht bei der Ein­rich­tung der Be­schwer­de­stel­le. Ei­ne auf sei­nen An­trag vom Ar­beits­ge­richt zum Re­ge­lungs­ge­gen­stand „Ein­rich­tung ei­ner Be­schwer­de­stel­le gemäß § 13 Abs. 1 AGG“ er­rich­te­te Ei­ni­gungs­stel­le erklärte
 


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sich mit Be­schluss vom 13. Ju­li 2007 für un­zuständig und stell­te das Ver­fah­ren ein.

In dem dar­auf­hin von ihm ein­ge­lei­te­ten Be­schluss­ver­fah­ren hat der Be­triebs­rat den Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le an­ge­grif­fen. Er hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG ein Mit­be­stim­mungs­recht zu ha­ben hin­sicht­lich des Or­tes der Er­rich­tung der Be­schwer­de­stel­le und hin­sicht­lich de­ren Be­set­zung. Auch ha­be er ein Initia­tiv­recht zur Einführung ei­nes Be­schwer­de­ver­fah­rens. Die von der Ar­beit­ge­be­rin vor­ge­nom­me­ne Ein­rich­tung ei­ner ex­ter­nen, weit ent­fernt ge­le­ge­nen Be­schwer­de­stel­le ent­spre­che nicht dem Zweck des Ge­set­zes.

Der Be­triebs­rat hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass der Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le vom 13. Ju­li 2007 bezüglich der Er­rich­tung, Be­set­zung und des Ver­fah­rens der Be­schwer­de­stel­le nach § 13 AGG un­wirk­sam ist.


Das Ar­beits­ge­richt hat den An­trag, wie von der Ar­beit­ge­be­rin be­gehrt, ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­schwer­de des Be­triebs­rats zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­be­schwer­de ver­folgt der Be­triebs­rat sei­nen An­trag wei­ter.


B. Die Rechts­be­schwer­de ist un­be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben den An­trag des Be­triebs­rats zu Recht ab­ge­wie­sen. Der Be­triebs­rat hat kein Mit-be­stim­mungs­recht bei der Fra­ge, an wel­chem Ort der Ar­beit­ge­ber die Be­schwer­de­stel­le er­rich­tet und wie er die­se per­so­nell be­setzt. Hin­sicht­lich der Einführung ei­nes Be­schwer­de­ver­fah­rens hat er zwar ein Initia­tiv­recht. Die­ses steht aber nicht ihm, son­dern dem Ge­samt­be­triebs­rat zu.


I. Am Ver­fah­ren ist gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG ne­ben dem an­trag­stel­len­den Be­triebs­rat und der Ar­beit­ge­be­rin auch der Ge­samt­be­triebs­rat be­tei­ligt.



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1. Die Be­tei­li­gung an ei­nem ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schluss­ver­fah­ren 9 rich­tet sich da­nach, ob ei­ne Per­son oder Stel­le durch die be­gehr­te Ent­schei­dung in ih­rer be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen oder mit­be­stim­mungs­recht­li­chen Rechts­stel­lung un­mit­tel­bar be­trof­fen ist. Be­trof­fen ist ein Be­triebs­ver­fas­sungs­or­gan, wenn es als In­ha­ber des strei­ti­gen Rechts ma­te­ri­ell­recht­lich ernst­haft in Be­tracht kommt (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 59/04 - Rn. 11 mwN, BA­GE 117, 337).


2. Hier ist der Ge­samt­be­triebs­rat durch die vom Be­triebs­rat be­gehr­te 10 Ent­schei­dung in sei­ner be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rechts­stel­lung un­mit­tel­bar be­trof­fen. Nach dem Wort­laut des vom Be­triebs­rat ge­stell­ten, auf die Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit des Be­schlus­ses der Ei­ni­gungs­stel­le vom 13. Ju­li 2007 ge­rich­te­ten An­trags er­scheint ei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Be­trof­fen­heit des Ge­samt­be­triebs­rats zwar zwei­fel­haft. Die ge­bo­te­ne Aus­le­gung des An­trags er­gibt je­doch, dass die­ser auf die Fest­stel­lung des Be­ste­hens von Mit­be­stim­mungs­rech­ten bei der Ein­rich­tung der von der Ar­beit­ge­be­rin - be­triebsüberg­rei­fend - er­rich­te­ten Be­schwer­de­stel­le ge­rich­tet ist (vgl. zur Aus­le­gung des An­trags näher un­ter B II 1). Durch ei­ne dem An­trag ent­spre­chen­de Fest­stel­lung würde zu­gleich aus­ge­spro­chen, dass dem Ge­samt­be­triebs­rat an die­sem Re­ge­lungs­ge­gen­stand kein Mit­be­stim­mungs­recht zu­steht. Ein sol­ches kommt je­doch ernst­haft in Be­tracht. Da­her ist der Ge­samt­be­triebs­rat am Ver­fah­ren be­tei­ligt. Sei­ne Anhörung konn­te vom Se­nat noch im Rechts­be­schwer­de­ver­fah­ren nach­ge­holt wer­den. Das Un­ter­las­sen der Anhörung in den Vor­in­stan­zen und der dar­in lie­gen­de Ver­fah­rens­feh­ler ha­ben für die Über­prüfung des an­ge­foch­te­nen Be­schlus­ses oh­ne ei­ne dar­auf ge­rich­te­te Ver­fah­rensrüge kei­ne Be­deu­tung (vgl. BAG 31. Mai 2005 - 1 ABR 22/04 - zu B I der Gründe, BA­GE 115, 49). Ei­ne sol­che Rüge hat kei­ner der Be­tei­lig­ten er­ho­ben.


II. Der An­trag ist zulässig. Das pro­zes­sua­le Be­gehr des Be­triebs­rats be­steht aus drei Anträgen, die im We­ge der ob­jek­ti­ven An­tragshäufung ver­folgt wer­den. Die meh­re­ren Be­geh­ren sind hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2
 


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Nr. 2 ZPO. Der Be­triebs­rat hat das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che recht­li­che In­ter­es­se an als­bal­di­ger Fest­stel­lung.

1. Der An­trag be­darf umfäng­li­cher Aus­le­gung. 


a) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats sind Anträge möglichst so aus­zu­le­gen, dass sie ei­ne er­streb­te Sach­ent­schei­dung zu­las­sen. Dem­ent­spre­chend ist ein An­trag, der auf die Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit des Spruchs ei­ner Ei­ni­gungs­stel­le ge­rich­tet ist, mit dem sich die­se mit der Be­gründung, es feh­le für den be­tref­fen­den Ge­gen­stand an ei­nem Mit-be­stim­mungs­recht, für un­zuständig erklärt hat, re­gelmäßig da­hin aus­zu­le­gen, es möge das Be­ste­hen ei­nes ent­spre­chen­den Mit­be­stim­mungs­rechts fest­ge­stellt wer­den (10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 27/01 - zu B II 1 a der Gründe, BA­GE 104, 187; 31. Mai 2005 - 1 ABR 22/04 - zu B II 1 a der Gründe, BA­GE 115, 49). Für ei­nen aus­sch­ließlich auf die Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit ei­nes ih­re Zuständig­keit ver­nei­nen­den Spruchs der Ei­ni­gungs­stel­le ge­rich­te­ten An­trag wären die Vor­aus­set­zun­gen des § 256 Abs. 1 ZPO nicht ge­ge­ben. (Zwi­schen-)Be­schlüsse, mit de­nen ei­ne Ei­ni­gungs­stel­le ih­re Zuständig­keit be­jaht oder ver­neint, be­gründen kein Rechts­verhält­nis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO (10. De­zem­ber 2002 - 1 ABR 27/01 - aaO; 31. Mai 2005 - 1 ABR 22/04 - aaO).

b) Hier­nach ist der An­trag des Be­triebs­rats da­hin zu ver­ste­hen, es möge das Be­ste­hen der von der Ei­ni­gungs­stel­le ver­nein­ten Mit­be­stim­mungs­rech­te fest­ge­stellt wer­den. Wie die wei­te­re Aus­le­gung er­gibt, re­kla­miert der Be­triebs­rat ein Mit­be­stim­mungs­recht bei der be­trieb­li­chen Ver­or­tung der Be­schwer­de­stel­le und de­ren per­so­nel­ler Be­set­zung so­wie ein Initia­tiv­recht hin­sicht­lich der Einführung ei­nes Be­schwer­de­ver­fah­rens. In die­sem Sin­ne hat auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt, wie sich aus sei­nen Ent­schei­dungs­gründen er­gibt, der Sa­che nach das Be­gehr des Be­triebs­rats ver­stan­den. Der Ver­fah­rens­be­vollmäch­tig­te des Be­triebs­rats hat die­ses Verständ­nis sei­nes An­trags in der Anhörung vor dem Se­nat aus­drück­lich bestätigt.
 


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2. In die­ser Aus­le­gung genügt der An­trag den Er­for­der­nis­sen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Mit ei­ner Sach­ent­schei­dung über das so ver­stan­de­ne Be­gehr ist hin­rei­chend klar, in­wie­weit dem Be­triebs­rat das strei­ti­ge Mit­be­stim­mungs­recht zu­steht oder nicht.

3. Die Vor­aus­set­zun­gen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Das Be­ste­hen und der Um­fang ei­nes Mit­be­stim­mungs­rechts des Be­triebs­rats be­trifft ein be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­ches Rechts­verhält­nis zwi­schen den Be­triebs­par­tei­en und kann nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Se­nats Ge­gen­stand ei­nes Fest­stel­lungs­be­geh­rens iSv. § 256 Abs. 1 ZPO sein (vgl. 11. No­vem­ber 2008 - 1 ABR 68/07 - Rn. 12 ff. mwN, NZA 2009, 450). Dies gilt auch für ein zwi­schen den Be­triebs­par­tei­en strei­ti­ges Initia­tiv­recht. Der Be­triebs­rat hat ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se an als­bal­di­ger ge­richt­li­cher Fest­stel­lung. Die Ar­beit­ge­be­rin be­strei­tet die vom Be­triebs­rat be­an­spruch­ten Rech­te. Es han­delt sich um ei­nen ak­tu­el­len Streit anläss­lich der Er­rich­tung der Be­schwer­de­stel­le durch die Ar­beit­ge­be­rin.


III. Die Anträge sind un­be­gründet.

1. Der Be­triebs­rat hat kein Mit­be­stim­mungs­recht hin­sicht­lich der Fra­ge, an wel­chem Ort die Be­schwer­de­stel­le nach § 13 Abs. 1 AGG ein­zu­rich­ten ist. Ein sol­ches Mit­be­stim­mungs­recht folgt we­der un­mit­tel­bar aus § 12 Abs. 5, § 13 AGG noch aus dem Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz.


a) § 13 Abs. 1 AGG be­gründet selbständig kei­ne Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats. Die Be­stim­mung schließt Mit­be­stim­mungs­rech­te des Be­triebs­rats we­der aus noch er­wei­tert sie die Mit­be­stim­mung (eben­so Fit­ting Be­trVG 24. Aufl. § 87 Rn. 75). Dies macht auch § 13 Abs. 2 AGG deut­lich.


b) Auch aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG er­gibt sich kein Recht des Be­triebs­rats, über den Ort mit­zu­be­stim­men, an dem die Be­schwer­de­stel­le zu er­rich­ten ist.


aa) Ein ent­spre­chen­des Mit­be­stim­mungs­recht schei­tert nicht be­reits an § 87 Abs. 1 Ein­gangs­halbs. Be­trVG. Das AGG enthält kei­ne ab­sch­ließen­de Re­ge­lung, wo die Be­schwer­de­stel­le ein­zu­rich­ten ist. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1
 


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AGG ha­ben die Beschäftig­ten „das Recht, sich bei den zuständi­gen Stel­len des Be­triebs, des Un­ter­neh­mens oder der Dienst­stel­le zu be­schwe­ren“. Fer­ner be­stimmt § 12 Abs. 5 Satz 1 AGG, dass „In­for­ma­tio­nen über die für die Be­hand­lung von Be­schwer­den nach § 13 zuständi­gen Stel­len ... im Be­trieb oder in der Dienst­stel­le be­kannt zu ma­chen“ sind. Da­mit ist nicht zwin­gend ge­re­gelt, wo die Be­schwer­de­stel­le zu er­rich­ten ist. Da­bei ver­langt der Rechts­streit kei­ne ab­sch­ließen­de Be­ant­wor­tung der Fra­ge, ob der Ar­beit­ge­ber in je­dem sei­ner Be­trie­be ei­ne Be­schwer­de­stel­le ein­zu­rich­ten hat (so wohl Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 2. Aufl. § 13 Rn. 7; Wen­de­ling-Schröder/St­ein AGG § 13 Rn. 12) - und ob ggf. der Be­triebs­be­griff iSv. § 13 Abs. 1 Satz 1 AGG iden­tisch ist mit dem­je­ni­gen des Be­triebs­ver­fas­sungs­rechts, ins­be­son­de­re ob für ihn auch die Fik­ti­on des § 3 Abs. 5 Satz 1 Be­trVG gilt - oder ob auch bei Vor­lie­gen meh­re­rer Be­trie­be die Er­rich­tung ei­ner für al­le Beschäftig­ten zuständi­gen Un­ter­neh­mens­be­schwer­de­stel­le genügt (so zB Ko­cher in Schiek AGG § 13 Rn. 12; Oet­ker NZA 2008, 264, 266; v. Ro­et­te­ken Stand Ju­ni 2009 AGG § 13 Rn. 18). Je­den­falls ist die ge­setz­li­che Re­ge­lung nicht der­art zwin­gend, dass sie ein Or­ga­ni­sa­ti­ons­er­mes­sen des Ar­beit­ge­bers bei der Er­rich­tung der Be­schwer­de­stel­le aus­schlösse (vgl. Bau­er/Göpfert/Krie­ger § 13 Rn. 5; Gach/Ju­lis BB 2007, 773; Oet­ker NZA 2008, 264, 267; ErfK/Schlach­ter 9. Aufl. § 13 AGG Rn. 2; Wen­de­ling-Schröder/St­ein § 13 Rn. 11). Da­her hat der Ar­beit­ge­ber bei der Ver­or­tung der Be­schwer­de­stel­le ei­nen Ge­stal­tungs­spiel­raum, der ei­ne Mit­ge¬stal­tung durch den Be­triebs­rat ermögli­chen würde.


bb) Gleich­wohl be­steht bei der Fra­ge, wo die Be­schwer­de­stel­le zu er­rich­ten ist, kein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Be­trVG. Ein sol­ches folgt ins­be­son­de­re nicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG. Die Ver­or­tung der Be­schwer­de­stel­le ist kei­ne Fra­ge der Ord­nung des Be­triebs oder des Ver­hal­tens der Ar­beit­neh­mer im Be­trieb.


(1) Ge­gen­stand der Mit­be­stim­mung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG ist das be­trieb­li­che Zu­sam­men­le­ben und Zu­sam­men­wir­ken der Ar­beit­neh­mer. Es be­ruht dar­auf, dass die Ar­beit­neh­mer ih­re ver­trag­lich ge­schul­de­te Leis­tung in­ner­halb ei­ner vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­ge­be­nen Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on er­brin­gen
 


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und da­bei des­sen Wei­sungs­recht un­ter­lie­gen. Das be­rech­tigt den Ar­beit­ge­ber da­zu, Re­ge­lun­gen vor­zu­ge­ben, die das Ver­hal­ten der Be­leg­schaft im Be­trieb be­ein­flus­sen und ko­or­di­nie­ren sol­len. Bei sol­chen Maßnah­men hat der Be­triebs­rat mit­zu­be­stim­men. Das soll gewähr­leis­ten, dass die Ar­beit­neh­mer gleich­be­rech­tigt an der Ge­stal­tung des be­trieb­li­chen Zu­sam­men­le­bens teil-ha­ben (BAG 28. Mai 2002 - 1 ABR 32/01 - zu B I 2 a der Gründe mwN, BA­GE 101, 216). Die „Ord­nung des Be­triebs“ iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG ist je­doch nicht gleich­be­deu­tend mit des­sen Or­ga­ni­sa­ti­on. Die­se un­terfällt nicht der Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG (Wie­se GK-Be­trVG 8. Aufl. § 87 Rn. 173 mwN; Fit­ting § 87 Rn. 63). Or­ga­ni­sa­to­ri­sche Maßnah­men un­ter­lie­gen viel­mehr - in be­stimm­ten Fällen - den schwäche­ren Be­tei­li­gungs­rech­ten nach §§ 90, 91 Be­trVG. Zur mit­be­stim­mungs­frei­en Or­ga­ni­sa­ti­on des Ar­beit­ge­bers gehört auch des­sen Be­fug­nis zu be­stim­men, wel­che Per­so­nen oder Stel­len für ihn im Verhält­nis zu den Ar­beit­neh­mern Rech­te wahr­zu­neh­men und Pflich­ten zu erfüllen ha­ben (BAG 13. Mai 1997 - 1 ABR 2/97 - zu B II 2 b der Gründe mwN, AP Be­trVG 1972 § 37 Nr. 119 = EzA Be­trVG 1972 § 37 Nr. 135).

(2) Da­nach un­ter­liegt die Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers, wo er die Be­schwer­de­stel­le ein­rich­tet, nicht der Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG. Bei der Be­stim­mung der Be­schwer­de­stel­le geht es nicht um das be­trieb­li­che Zu­sam­men­le­ben und Zu­sam­men­wir­ken der Ar­beit­neh­mer, son­dern dar­um, wel­che Stel­le oder Per­son für den Ar­beit­ge­ber be­rech­tigt und ver­pflich­tet ist, die Be­schwer­den der Ar­beit­neh­mer ent­ge­gen­zu­neh­men. Dies be­trifft die mit­be­stim­mungs­freie Or­ga­ni­sa­ti­on des Ar­beit­ge­bers.


2. Glei­ches gilt für die per­so­nel­le Be­set­zung der Be­schwer­de­stel­le. 


a) Auch in­so­weit ist die Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats nicht be­reits nach § 87 Abs. 1 Ein­gangs­halbs. Be­trVG aus­ge­schlos­sen. Viel­mehr hat der Ar­beit­ge­ber ei­nen Ge­stal­tungs­spiel­raum, mit wel­chen Per­so­nen er die Be­schwer­de­stel­le be­setzt. So kann nach der Ge­set­zes­be­gründung zuständi­ge Stel­le iSv. § 13 Abs. 1 Satz 1 AGG bei­spiels­wei­se ein Vor­ge­setz­ter, ei­ne Gleich­stel­lungs-
 


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be­auf­trag­te oder ei­ne be­trieb­li­che Be­schwer­de­stel­le sein (BT-Drucks. 16/1780 S. 37).

b) Die per­so­nel­le Be­set­zung der Be­schwer­de­stel­le be­trifft - eben­so we­nig wie die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ver­or­tung - nicht die Ord­nung im Be­trieb oder das Ver­hal­ten der Ar­beit­neh­mer im Be­trieb iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG (Bau­er/Göpfert/Krie­ger § 13 Rn. 6a; Fit­ting § 87 Rn. 75; Gach/Ju­lis BB 2007, 773, 774; Oet­ker NZA 2008, 264, 270; v. Ro­et­te­ken § 13 Rn. 20; Wen­de­ling-Schröder/St­ein § 13 Rn. 23; aA DKK/Kle­be Be­trVG 11. Aufl. § 87 Rn. 50; Eh­rich/Frie­ters DB 2007, 1026, 1027; Hay­en JbAr­bR Bd. 44 S. 23, 44). Auch die Aus­wah­l­ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers, wen er mit der Ent­ge­gen­nah­me von Be­schwer­den be­traut, ist Teil sei­ner mit­be­stim­mungs­frei­en Or­ga­ni­sa­ti­on. Die Be­sorg­nis, der Ar­beit­ge­ber könne die Be­schwer­de­stel­le mit dafür un­ge­eig­ne­ten Per­so­nen be­set­zen, recht­fer­tigt nicht die An­nah­me ei­nes ge­setz­lich nicht vor­ge­se­he­nen Mit­be­stim­mungs­rechts. Falls der Ar­beit­ge­ber sei­ne Ver­pflich­tung, ei­ne den Er­for­der­nis­sen des AGG genügen­de Be­schwer­de­stel­le ein­zu­rich­ten, in gro­ber Wei­se ver­letzt, kann der Be­triebs­rat da­ge­gen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 AGG vor­ge­hen (Fit­ting § 87 aaO).


3. Der An­trag des Be­triebs­rats, ein Initia­tiv­recht hin­sicht­lich der Einführung ei­nes Be­schwer­de­ver­fah­rens fest­zu­stel­len, ist eben­falls un­be­gründet. Zwar be­steht ein sol­ches Initia­tiv­recht, falls ei­ne Be­schwer­de­stel­le ein­ge­rich­tet ist. Wenn und so­lan­ge aber nicht ei­ne be­trieb­li­che, son­dern aus­sch­ließlich ei­ne be­triebsüberg­rei­fen­de Be­schwer­de­stel­le er­rich­tet ist, steht die­ses Initia­tiv­recht nicht dem ört­li­chen Be­triebs­rat, son­dern dem Ge­samt­be­triebs­rat zu. So liegt der Fall hier.

a) Das ent­spre­chen­de Initia­tiv­recht folgt aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG. Das Be­schwer­de­ver­fah­ren nach § 13 Abs. 1 AGG be­trifft das Ver­hal­ten der Ar­beit­neh­mer im Be­trieb. Der Be­triebs­rat hat in­so­weit nicht nur ein Mit­ge­stal­tungs­recht bei vom Ar­beit­ge­ber be­ab­sich­tig­ten Maßnah­men, son­dern kann selbst in­itia­tiv wer­den.
 


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aa) Nach der Recht­spre­chung des Se­nats hat der Be­triebs­rat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG bei der Einführung und Aus­ge­stal­tung ei­nes je­den­falls in ge­wis­sem Um­fang stan­dar­di­sier­ten Mel­de­ver­fah­rens mit­zu­be­stim­men (BAG 22. Ju­li 2008 - 1 ABR 40/07 - Rn. 68 mwN, AP Be­trVG 1972 § 87 Nr. 14 = EzA Be­trVG 2001 § 87 Be­trieb­li­che Ord­nung Nr. 3). Durch ein stan­dar­di­sier­tes Mel­de­ver­fah­ren wird das Ver­hal­ten der Ar­beit­neh­mer im Be­trieb ge­steu­ert. Je­den­falls dann, wenn das Mel­de­ver­fah­ren nicht le­dig­lich das Ar­beits­ver­hal­ten be­trifft, un­ter­liegt sei­ne Aus­ge­stal­tung da­her der Mit­be­stim­mung.

bb) Hier­nach un­terfällt die Einführung und Aus­ge­stal­tung ei­nes Be­schwer­de­ver­fah­rens nach § 13 Abs. 1 AGG der Mit­be­stim­mung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG. Die Aus­ge­stal­tung des Ver­fah­rens ist dar­auf an­ge­legt, das Ord­nungs­ver­hal­ten der Ar­beit­neh­mer in stan­dar­di­sier­ter Wei­se zu steu­ern. Dies genügt. Das Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG setzt nicht vor­aus, dass es sich um ver­bind­li­che, ver­hal­tens­be­gründen­de Re­geln han­delt (BAG 22. Ju­li 2008 - 1 ABR 40/07 - Rn. 59, AP Be­trVG 1972 § 87 Nr. 14 = EzA Be­trVG 2001 § 87 Be­trieb­li­che Ord­nung Nr. 3).

b) Das Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Be­trVG ist mit ei­nem ent­spre­chen­den Initia­tiv­recht des Be­triebs­rats ver­bun­den (eben­so Bau­er/ Göpfert/Krie­ger § 13 Rn. 6a; Eh­rich/Frie­ters DB 2007, 1026, 1027; Fit­ting § 87 aaO; Hay­en JbAr­bR Bd. 44 S. 23, 44; aA Gach/Ju­lis BB 2007, 773, 775 f.). So­weit sich aus dem Ge­gen­stand der Mit­be­stim­mung nach § 87 Abs. 1 Be­trVG kei­ne Be­schränkun­gen er­ge­ben, enthält das Mit­be­stim­mungs­recht ein Initia­tiv-recht des Be­triebs­rats (vgl. et­wa Wie­se GK-Be­trVG § 87 Rn. 233 mwN; H/S/W/G/N/R-Worz­al­la Be­trVG 7. Aufl. § 87 Rn. 115a; Ri­char­di Be­trVG 11. Aufl. § 87 Rn. 201). Der­ar­ti­ge Be­schränkun­gen sind hier nicht er­sicht­lich.

c) Dem An­trag des Be­triebs­rats kann gleich­wohl auch in­so­weit nicht ent­spro­chen wer­den. Da die von der Ar­beit­ge­be­rin ein­ge­rich­te­te Be­schwer­de­stel­le sich nicht auf den Be­trieb Re­gi­on T be­schränkt, son­dern darüber hin­aus wei­te­re Be­trie­be er­fasst, steht das Mit­be­stim­mungs­recht nicht dem an­trag-stel­len­den ört­li­chen Be­triebs­rat, son­dern dem Ge­samt­be­triebs­rat zu. Dies folgt
 


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aus § 50 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG. Bei der Aus­ge­stal­tung des Be­schwer­de­ver­fah­rens für ei­ne über­be­trieb­li­che Be­schwer­de­stel­le han­delt es sich um ei­ne An­ge­le­gen­heit, die meh­re­re Be­trie­be be­trifft und nicht durch die ein­zel­nen Be­triebsräte in­ner­halb ih­rer Be­trie­be ge­re­gelt wer­den kann.


Schmidt 

Kreft 

Lin­sen­mai­er

Brun­ner 

M. Zum­pe

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