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ArbG Nien­burg, Ur­teil vom 13.08.2015, 2 Ca 151/15

   
Schlagworte: Mindestlohn, Zeitungszusteller
   
Gericht: Arbeitsgericht Nienburg
Aktenzeichen: 2 Ca 151/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.08.2015
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

AR­BEITS­GERICHT NIEN­BURG

Ge­richts­an­ge­stell­te als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le 

IM NA­MEN DES VOLK

UR­TEIL
2 Ca 151115  

In dem Rechts­streit

Kläger,

Proz.-Bev.: DGB Rechts­schutz GmbH Büro Bre­men, Bahn­hofs­platz 22 - 28, 28195 Bre­men ge­gen

Be­klag­te,

hat die 2. Kam­mer des Ar­beits­ge­richts Nien­burg auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 13. Au­gust 2015 durch

die Rich­te­rin am Ar­beits­ge­richt als Vor­sit­zen­de,

den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn

die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Frau als Bei­sit­zer

für Recht er­kannt:

1. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat Ja­nu­ar 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 119,22 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 16.02.2015 zu zah­len.

2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat Fe­bru­ar 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 114,53 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 16.03.2015 zu zah­len.

3. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat März 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 127,10 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 16.04.2015 zu zah­len.

4. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat April 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 130,11 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 16.05.2015 zu zah­len.

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5. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat Mai 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 128,94 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 16.06.2015 zu zah­len.

6. Die Kos­ten des Rechts­streits trägt die Be­klag­te.

7. Der Ur­teils­streit­wert wird auf 619,90 € fest­ge­setzt.

8. Die Be­ru­fung wird ge­son­dert zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob der Kläger ab dem 1. Ja­nu­ar 2015 An­spruch auf den ge­setz­li­chen Min­dest­lohn in Höhe von 8,50 € brut­to pro St­un­de hat. Außer­dem be­gehrt der Kläger die Zah­lung von Nacht­zu­schlägen in Höhe von 25 % auf den St­un­den­satz von 8,50 € brut­to.

Der Kläger ist bei der Be­klag­ten seit dem 1. April 2014 auf Grund­la­ge ei­nes Ar­beits­ver­trags für Zu­stel­ler vom 28. März 2014 beschäftigt. Der Ar­beits­ver­trag be­stimmt ua.:

„I. Auf­ga­ben­be­reich:

1. Der Zu­stel­ler über­nimmt ab 01.04.14 in dem ihm zu­ge­wie­se­nen Ge­biet ei­ne Zu­stell­tour an al­len Werk- bzw. Er­schei­nungs­ta­gen für die von der Fir­ma ver­trie­be­nen Druckerzeug­nis­se, vor­nehm­lich Ta­ges­zei­tun­gen....

III. Vergütung

3. Zusätz­lich zu die­sem Stück­lohn für Ta­ges­zei­tungs­ex­em­pla­re erhält der Zu­stel­ler ei­nen Nacht­zu­schlag in Höhe von 25 %, der steu­er­frei gewährt wird, so­lan­ge und so­weit dies nach den steu­er­recht­li­chen Be­stim­mun­gen zulässig ist. ...

5. Die Aus­zah­lung des Lohns er­folgt bis zum '15. des Fol­ge­mo­nats....

Un­ter dem 28. März 2014 un­ter­zeich­ne­te der Kläger ei­ne An­la­ge 3 zum Ar­beits­ver­trag, de­ren Über­schrift lau­tet: „Pflich­ten des Zu­stel­lers bei der Ver­tei­lung von An­zei­gen­zei­tun­gen". Dar­in heißt es u.a.:

„Der Zu­stel­ler ist ver­pflich­tet,

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- Zusätz­lich ge­lie­fer­te Bei­la­gen ord­nungs­gemäß in das An­zei­gen­blatt ein­zu­le­gen, so­fern von der Fir­ma kei­ne ge­gen­tei­li­gen An­wei­sun­gen er­folgt sind."

Un­ter dem 4. De­zem­ber 2014 schlos­sen die Par­tei­en ei­nen wei­te­ren „Ar­beits­ver­trag für Zu­stel­ler". Die­ser be­trifft die Zu­stel­lung des An­zei­gen­blatts Wo­chen-Tipp und be­stimmt ua..

„I. Auf­ga­ben­be­reich:

1. Der Zu­stel­ler über­nimmt ab 17.12.14 als ge­ringfügig ent­lohnt Beschäftig­ter (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV) fol­gen­de Auf­ga­ben: Ver­tei­lung der von der Fir­ma ver­trie­be­nen Pres­se­er­zeug­nis­se, vor­nehm­lich An­zei­gen­zei­tun­gen und Pro­spek­te, in dem ihm je­weils zu­ge­wie­se­nen Be­zirk; Ver­tei­lung von Fly­ern zur Ge­win­nung wei­te­rer Zu­stel­ler; Über­prüfung von An­lie­fer­stel­len usw....

2. Zu­stell­be­zirk: VVo­Ti 3203; der­zei­ti­ge Auf­la­ge pro Zu­stell­tag: 200 St bis 18.00 Uhr.

II. Vergütung

3. Die Aus­zah­lung des Lohns er­folgt bis zum 15. des Fol­ge­mo­nats, ..."

Auch die­sem Ar­beits­ver­trag war ei­ne vom Kläger un­ter dem 4. De­zem­ber 2014 un­ter­schrie­be­ne „An­la­ge 3" mit der Über­schrift „Pflich­ten des Zu­stel­lers bei der Ver­tei­lung von An­zei­gen­zei­tun­gen" bei­gefügt, die ua. be­stimm­te:

„Der Zu­stel­ler ist ver­pflich­tet,

- Zusätz­lich ge­lie­fer­te Bei­la­gen ord­nungs­gemäß in das An­zei­gen­blatt ein­zu­le­gen, so­fern von der Fir­ma kei­ne ge­gen­tei­li­gen An­wei­sun­gen er­folgt sind."

Die vom Kläger aus­ge­tra­ge­ne Ta­ges­zei­tung so­wie das An­zei­gen­blatt „Wo­chen-Tipp" ent­hal­ten als Bei­la­ge Wer­be­pro­spek­te. Es han­delt sich hier­bei zB um Pro­spek­te von Al­di, Ede­ka oder Me­dia Markt. In die vom Kläger aus­ge­tra­ge­ne Ta­ges­zei­tung sind die­se Wer­be­pro­sek­te be­reits sei­tens der Dru­cke­rei ma­schi­nell „ein­ge­schos­sen". Auch bei dem An­zei­gen­blatt „Wo­chen-Tipp" wer­den Bei­la­gen - so­weit möglich - ma­schi­nell „ein­ge­schos­sen". Ua. bei ei­ner Teil­be­le­gung der Bei­la­gen kommt es je­doch vor, dass ein ma­schi­nel­les Ein­schießen nicht

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möglich ist. In die­sem Fall erhält der Kläger zusätz­lich zu den An­zei­gen­blättern mit ma­schi­nell ein­ge­schos­se­nen Bei­la­gen Pro­spek­te, die er vor der Ver­tei­lung in das An­zei­gen­blatt ein­le­gen muss (sog. Kon­fek­tio­nie­ren). Sämt­li­che Bei­la­gen sind in dem Bei­la­gen­hin­weis des An­zei­gen­blatts auf­geführt.

In dem „Wo­chen-Tipp" vom 18. März 2015 war der BBM Gar­ten­ka­ta­log (Pa­pier­for­mat 525 mm hoch x 350 mm breit) als Bei­la­ge auf­geführt. Im Hin­blick hier­auf teil­te die Be­klag­te dem Kläger fol­gen­des mit:

„Am 18.03.2015 ist der BBM Gar­ten­ka­ta­log mit da­bei. Die Vergütung beträgt 0,06 € Stck. Am Diens­tag, dem 17.03.2015 wird der Ka­ta­log an­ge­lie­fert und kann dann auch ver­teilt wer­den."

Der Kläger ver­teil­te den ge­nann­ten BBM Ka­ta­log zu­sam­men mit dem „Wo­chen-Tipp" am 18. März 2015.

Der Kläger erhält für die Zu­stel­lung je Zei­tung/An­zei­gen­blatt ei­nen Stück­lohn. Zu­dem zahlt die Be­klag­te dem Kläger aus­weis­lich der An­la­ge 1 zum Ar­beits­ver­trag vom 4. De­zem­ber 2014 ei­nen Stück­lohn je hand­ver­teil­ter Bei­la­ge.

Ab dem 1. Ja­nu­ar 2015 stockt die Be­klag­te den dem Kläger ge­zahl­ten Lohn durch ei­nen Aus­gleich zum Min­dest­lohn auf ei­nen St­un­den­lohn in Höhe von 6,38 € brut­to auf ("Aus­gleich MLohn"). Zu­dem zahlt die Be­klag­te dem Kläger ei­nen Nacht­zu­schlag von 25 % auf die­sen Aus­gleich zum Min­dest­lohn („NZ Aus­gleich MLohn stfrei").

Die Be­klag­te er­teilt dem Kläger mo­nat­lich ei­ne Lohn­ab­rech­nung. Aus­weis­lich der Lohn­ab-rech­nun­gen der Be­klag­ten von Ja­nu­ar 2015 bis ein­sch­ließlich Mai 2015 be­rech­ne­te die Be­klag­te den Aus­gleich Min­dest­lohn und den Nacht­zu­schlag zum Aus­gleich Min­dest­lohn auf der Grund­la­ge fol­gen­der St­un­den:

Ja­nu­ar 2015 46,25 ge­leis­te­te St­un­den  28,51 nacht­zu­schlags­pflich­ti­ge St­un­den 
Fe­bru­ar 2015 43,72 St­un­den 34,37 nacht­zu­schlags­pflich­ti­ge St­un­den 
März 2015 46,86 St­un­den 37,29 nacht­zu­schlags­pflich­ti­ge St­un­den 
April 2015 49,62 St­un­den 32,47 nacht­zu­schlags­pflich­ti­ge St­un­den 
Mai 2015 49,27 St­un­den 33,37 nacht­zu­schlags­pflich­ti­ge St­un­den 

Der Kläger ver­langt von der Be­klag­ten die Zah­lung ei­nes Min­dest­lohns in Höhe von 8,50 € brut­to so­wie die Zah­lung ei­nes Nacht­zu­schlags von 25 % für die nach­zu­schlags­pflich­ti­gen

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St­un­den auf ei­nen St­un­den­lohn in Höhe von 8,50 € brut­to. We­gen der Be­rech­nung der Kla­ge­for­de­rung wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 15. Ju­ni 2015 (Ja­nu­ar bis April 2015, BI. 66 bis 68 d. A.) und 24. Ju­li 2015 (Mai 2015, BI. 90 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Der Kläger ist der Auf­fas­sung, er ha­be ei­nen An­spruch auf die Zah­lung des Min­dest­lohns in Höhe von 8,50 € brut­to. Die in § 24 Abs. 2 Mi­LoG ent­hal­te­ne Aus­nah­me­vor­schrift für Zei­tungs­zu­stel­ler grei­fe nicht ein, da der Kläger nicht aus­sch­ließlich Zei­tun­gen und An­zei­gen­blätter zu­stel­le, son­dern auch die in die Ta­ges­zei­tun­gen und An­zei­gen­blätter ein­ge­leg­ten Wer­be­pro­spek­te ver­tei­le. Je­den­falls da­durch, dass in bei­den Ar­beits­verträgen die Pflicht ver­ein­bart sei, Pro­spek­te händisch in die zu ver­tei­len­den An­zei­gen­blätter ein­zu­sor­tie­ren, feh­le es an den Vor­aus­set­zun­gen des § 24 Abs. 2 Mi­LoG. Sch­ließlich sei § 24 Abs.2 Mi­LoG des­halb nicht ein­schlägig, weil der Kläger im März 2015 den BBM Ka­ta­log auch oh­ne das An­zei­gen­blatt „Wo­chen-Tipp" und zu­dem ei­nen Tag vor dem An­zei­gen­blatt ha­be ver­tei­len dürfen.

Der Kläger be­an­tragt zu­letzt:

1. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat Ja­nu­ar 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 119,22 € brut­to nebst
Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten seit dem 16.02.2015 zu zah­len.

2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat Fe­bru­ar 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 114,53 € brut­to nebst
Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten seit dem 16.03.2015 zu zah­len.

3. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat März 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 127,10 € brut­to nebst
Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten seit dem 16.04.2015 zu zah­len.

4. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat April 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 130,11 € brut­to nebst
Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten seit dem 16.05.2015 zu zah­len.

5. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, für den Ab­rech­nungs­mo­nat Mai 2015 an den Kläger ei­nen Be­trag in Höhe von 128,94 € brut­to nebst
Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten seit dem 16.06.2015 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ist der Auf­fas­sung, die Aus­nah­me­vor­schrift des § 24 Abs. 2 Mi­LoG grei­fe ein. Ein An­spruch auf ei­nen Min­dest­lohn in Höhe von 8,50 Eu­ro brut­to be­ste­he nicht, da der Kläger aus­sch­ließlich Zei­tun­gen und An­zei­gen­blätter mit re­dak­tio­nel­lem In­halt an End­kun­den zu­stel­le. Die der Ta­ges­zei­tung und dem An­zei­gen­blatt bei­gefügten Bei­la­gen sei­en un­selb-

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ständi­ge Be­stand­tei­le der Träger­pro­duk­te. Hier­an ände­re sich nichts durch den Um­stand, dass die Bei­la­gen nicht sämt­lich ma­schi­nell in das An­zei­gen­blatt ein­ge­schos­sen würden, son­dern durch den Zu­stel­ler kon­fek­tio­niert wer­den müss­ten. Denn das Kon­fek­tio­nie­ren sei un­selbständi­ger Teil des Zu­stel­lens. Ne­ben- und Hilfstätig­kei­ten bei der Zei­tungs­zu­stel­lung teil­ten de­ren Schick­sal. Auch das Be­pa­cken des Trans­port­mit­tels oder die Über­win­dung der Dis­tanz bei der Zu­stell­tour gehöre zum Zu­stel­len. Eben­so sei das Kon­fek­tio­nie­ren Teil des Be­rufs­bilds ei­nes Zu­stel­lers.
Die Be­klag­te meint, der Be­griff „aus­sch­ließlich" in § 24 Abs. 2 Mi­LoG be­zie­he sich auf „pe­ri­odi­sche Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten" und nicht auf „zu­stel­len". Die Aus­sch­ließlich­keit sei be­zo­gen auf das Pro­dukt, nicht aber be­zo­gen auf die Tätig­keit zu ver­ste­hen. Sch­ließlich ent­spre­che die­ses Verständ­nis von § 24 Abs. 2 Mi­LoG dem Zweck der Re­ge­lung, der in dem Schutz der nach Ar­ti­kel 5 Abs. 1 Satz 2 Grund­ge­setz geschütz­ten Pres­se­frei­heit be­ste­he. Die über­wie­gen­de An­zahl der An­zei­gen­blat­t­her­stel­ler las­se kon­fek­tio­nie­ren. Wenn die­se Tätig­keit von § 24 Abs. 2 Mi­LoG nicht er­fasst sei, lau­fe die Re­ge­lung leer.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze der Par­tei­en nebst An­la­gen und die Sit­zungs­nie­der­schrif­ten ergänzend ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Kla­ge ist zulässig und be­gründet.

I.

Der Kläger hat ei­nen An­spruch auf die Zah­lung ei­nes Min­dest­loh­nes in Höhe von 8,50 € brut¬to je St­un­de aus § 1 Abs. 2 Satz 1, § 1 Abs. 1 Mi­LoG.

1.

Nach § 1 Abs. 1 Mi­LoG hat je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen An­spruch auf die Zah­lung ei­nes Ar­beits­ent­gelts in Höhe des Min­dest­lohns durch den Ar­beit­ge­ber. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Mi­LoG beträgt die Höhe des Min­dest­lohns ab dem 1. Ja­nu­ar 2015 brut­to 8,50 Eu­ro je Zeit­stun­de. Der Kläger un­terfällt dem persönli­chen An­wen­dungs­be­reich des Ge­set­zes nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Mi­LoG.

2.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten greift die Aus­nah­me­vor­schrift des § 24 Abs. 2 Mi­LoG hier nicht ein. Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Mi­LoG er­hal­ten Zei­tungs­zu­stel­ler ab dem 1. Ja­nu­ar 2015 ei­nen Min­dest­lohn in Höhe von 75 % des Min­dest­lohns nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Mi­LoG.

Nach § 24 Abs. 2 Satz 3 sind Zei­tungs­zu­stel­ler in die­sem Sin­ne Per­so­nen, die in ei­nem Ar­beits­verhält­nis aus­sch­ließlich pe­ri­odi­sche Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten an End­kun­den zu­stel­len; dies um­fasst auch Zu­stel­ler von An­zei­gen­blättern mit re­dak­tio­nel­lem In­halt.

3.

Der Kläger stellt Ta­ges­zei­tun­gen und An­zei­gen­blätter mit re­dak­tio­nel­lem In­halt zu. Al­ler­dings stellt er nicht „aus­sch­ließlich" Zei­tun­gen und An­zei­gen­blätter mit re­dak­tio­nel­lem In­halt zu. An der Aus­sch­ließlich­keit fehlt es, weil der Kläger händisch Bei­la­gen in das An­zei­gen­blatt „Wo­chen-Tipp" ein­sor­tiert.

§ 24 Abs. 2 Mi­LoG ist als Aus­nah­me­vor­schrift re­strik­tiv aus­zu­le­gen.

Un­ter das Zu­stel­len iSd. § 24 Abs. 2 Mi­LoG fal­len zwar Hilfs- und Ne­bentätig­kei­ten, die un­ab­ding­bar zum Zu­stel­len des An­zei­gen­blatts und der Ta­ges­zei­tung gehören. Hier­zu zählen das Be­pa­cken des Trans­port­mit­tels und die Über­win­dung der Dis­tanz von Kun­de zu Kun­de. Das händi­sche Ein­sor­tie­ren ist da­ge­gen nicht mehr Teil der Zu­stelltätig­keit. Denn es kann von die­ser ge­trennt wer­den und durch drit­te Per­so­nen eben­so aus­geübt wer­den. Zei­tun­gen und An­zei­gen­blätter können vor der An­lie­fe­rung beim Kläger be­reits ma­schi­nell und händisch vollständig kon­fek­tio­niert wer­den. Dass es sich hier­bei um ei­ne Tätig­keit han­delt, die nicht von der Zu­stelltätig­keit um­fasst ist, zeigt auch die Vergütungs­pra­xis der Be­klag­ten. Denn die Be­klag­te vergütet das Kon­fek­tio­nie­ren mit ei­nem zusätz­li­chen Stück­lohn.

Der Be­griff „aus­sch­ließlich" be­zieht sich ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten nicht nur auf das Pro­dukt „Zei­tung/An­zei­gen­blatt". Der Be­griff ist pro­dukt- und tätig­keits­be­zo­gen. Nur wenn Zei­tun­gen/An­zei­gen­blätter „zu­ge­stellt" wer­den, greift der ab­ge­senk­te Min­dest­lohn von 6,38 Eu­ro brut­to je St­un­de. Auf an­de­re pro­dukt­be­zo­ge­ne Tätig­kei­ten wie das Dru­cken oder das Her­stel­len von Pres­se­pro­duk­ten be­zieht er sich ge­ra­de nicht.
Aus­weis­lich der Ge­set­zes­be­gründung ist Zweck der Vor­schrift ei­ne stu­fen­wei­se Einführung des Min­dest­lohns für die Zei­tungs­zu­stel­lung, um zu ver­hin­dern, dass die mit der Einführung des Min­dest­lohns ein­her­ge­hen­den Mehr­kos­ten ins­be­son­de­re in den länd­li­chen und struk­tur-schwa­chen Re­gio­nen die Träger­zu­stel­lung be­ein­träch­ti­gen. Das Funk­tio­nie­ren der durch Ar­ti¬kel 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschütz­ten frei­en Pres­se soll gewähr­leis­ten wer­den (vgl. BT-Drs. 18/2010 (neu), Sei­te 25). Auch der Ge­set­zes­zweck stellt da­mit auf das Ver­tei­len der Pres­se­pro­duk­te ab. Es soll gewähr­leis­tet wer­den, dass der End­kun­de am Tag des Er­schei­nens den In­halt des Pres­se­pro­dukts zur Kennt­nis neh­men kann. Dies setzt vor­aus, dass das Pro­dukt am Tag sei­nes Er­schei­nens von Zu­stel­lern ver­teilt wird. Um die­se ter­min­ge­rech­te Ver­tei­lung des Pres­se­pro­dukts zu gewähr­leis­ten, hat der Ge­setz­ge­ber ei­ne Son­der­re­ge­lung zum Min-

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dest­lohn ge­trof­fen. Die Pers6nen, die Ma­schi­nen be­die­nen, die Bei­la­gen ma­schi­nell in die Pres­se­pro­duk­te ein­schießen, hat der Ge­setz­ge­ber von dem An­spruch auf den Min­dest­lohn nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Mi­LoG nicht aus­ge­nom­men. Sie sind nicht mit dem Ver­tei­len - dem Zu­stel­len - der Pres­se­pro­duk­te beschäftigt. Eben­so sind Per­so­nen, die Bei­la­gen händisch in Pres­se­pro­duk­te einfügen, nicht mit dem Ver­tei­len der Pres­se­pro­duk­te beschäftigt. Mögen die­se Per­so­nen auch in ih­rer übri­gen Ar­beits­zeit Pres­se­pro­duk­te ver­tei­len, sind sie doch in dem Zeit­punkt, in dem sie Bei­la­gen händisch in Pres­se­pro­duk­te einfügen, nicht als Zu­stel­ler tätig.

2.

Der Kläger hat so­wohl für das Zu­stel­len der Ta­ges­zei­tung als auch für das Zu­stel­len des An­zei­gen­blatts ei­nen An­spruch auf Zah­lung des Min­dest­lohns in Höhe von 8,50 Eu­ro brut­to. Zwar ha­ben die Par­tei­en hier zwei Ar­beits­verträge schrift­lich ge­schlos­sen. Die­se sind je­doch als ein ein­heit­li­ches Ar­beits­verhält­nis zu be­han­deln. Denn der Kläger wird je­weils für die­sel­be Ar­beit­ge­be­rin tätig. Die Ab­rech­nung des Lohns er­folgt für bei­de Tätig­kei­ten in ei­ner ein­heit­li­chen Lohn­ab­rech­nung.

3.

We­gen der Höhe der Kla­ge­for­de­rung wird auf die zu­tref­fen­de Be­rech­nung in den Schriftsätzen des Klägers vom 15. Ju­ni 2015 (Ja­nu­ar bis April 2015, BI. 66 bis 68 d. A.) und 24. Ju­li 2015 (Mai 2015, BI. 90 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

4.

Der Zins­an­spruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB i. V. m. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. den Ver­ein­ba­run­gen in den Ar­beits­verträgen, wo­nach die Vergütungs­zah­lun­gen bis zum 15. des Fol­ge­mo­nats er­fol­gen.

II.

Der Kläger hat ei­nen An­spruch auf die Zah­lung ei­nes Nacht­zu­schlags in Höhe von 25 % auf den Min­dest­lohn in Höhe von 8,50 Eu­ro brut­to. Dies folgt aus 111.3 des Ar­beits­ver­trags vom 28. März 2014.

1.

Der Nacht­zu­schlag ist auf den Min­dest­lohn in Höhe von 8,50 € brut­to zu zah­len (vgl. iE [für Min­dest­lohn­an­spruch aus ei­nem auf­grund ei­ner Rechts­ver­ord­nung ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag] BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - Rn. 54 f.).

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2.

We­gen der Höhe der For­de­rung wird auch in­so­weit auf die zu­tref­fen­de Be­rech­nung in den Schriftsätzen des Klägers vom 15. Ju­ni 2015 (Ja­nu­ar bis April 2015, BI. 66 bis 68 d. A.) und 24. Ju­li 2015 (Mai 2015, BI. 90 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

3.

Der Zins­an­spruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB i. V. m. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. den Ver­ein­ba­run­gen in den Ar­beits­verträgen, wo­nach die Vergütungs­zah­lun­gen bis zum 15. des Fol­ge­mo­nats er­fol­gen.

Der nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Ur­teil fest­zu­set­zen­de Streit­wert be­lief sich auf 619,90 €. Der Gebühren­streit­wert, der al­le in dem Ver­fah­ren anhängig ge­wor­de­nen Ansprüche er­fasst, be­lief sich auf 658,48 Eu­ro. In die­sen wa­ren auch die vom Kläger zunächst gel­tend ge­mach­ten, aber später zurück ge­nom­me­nen (§ 269 ZPO) Beträge ein­zu­be­zie­hen. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt auf § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die von dem Kläger zunächst be­gehr­te wei­te­re For­de­rung war verhält­nismäßig ge­ringfügig und löste kei­ne zusätz­li­chen Kos­ten aus, da mit ih­nen kein Gebühren­sprung ver­bun­den war. Die Be­ru­fung war nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG im Hin­blick auf ei­ne Viel­zahl gleich bzw. ähn­lich ge­la­ger­ter Fälle zur Gewähr­leis­tung der Rechts­ein­heit zu­zu­las­sen.

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Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann Be­ru­fung ein­ge­legt wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein; an sei­ne Stel­le können Ver­tre­ter der Ge­werk­schaf­ten oder von Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern oder von Zu­sam­men­schlüssen sol­cher Verbände tre­ten, wenn sie kraft Sat­zung oder Voll­macht zur Ver­tre­tung be­fugt sind und der Zu­sam­men­schluss, der Ver­band oder de­ren Mit­glie­der Par­tei sind.

Die Be­ru­fung muss schrift­lich oder in der zu­ge­las­se­nen elek­tro­ni­schen Form ein­ge­legt wer­den. Die elek­tro­ni­sche Form wird durch ei­ne qua­li­fi­zier­te si­gnier­te Da­tei ge­wahrt, die nach den Maßga­ben der Nie­dersäch­si­sche Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr in der Jus­tiz (Nds. ERV­VO-Jus­tiz) vom 15. Ok­to­ber 2014 (Nds. GV­BI. vom 28. Ok­to­ber 2014, Sei­te 284) in der je­weils gel­ten­den Fas­sung in den elek­tro­ni­schen Ge­richts­brief­kas­ten zu über­mit­teln ist.

Die Be­ru­fungs­schrift muss bin­nen ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat nach Zu­stel­lung des Ur­teils bei dem

Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Leon­hardt­s­traße 15, 30175 Han­no­ver

ein­ge­gan­gen sein.

Die Be­ru­fungs­schrift muss das Ur­teil be­zeich­nen, ge­gen das die Be­ru­fung ge­rich­tet ist und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Be­ru­fung ein­ge­legt wer­de. Ihr soll fer­ner ei­ne Aus­fer­ti­gung oder be­glau­big­te Ab­schrift des an­ge­foch­te­nen Ur­teils bei­gefügt wer­den.

Die Be­ru­fung ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung des Ur­teils in glei­cher Form zu be­gründen.

Die für die Zu­stel­lung an die Ge­gen­sei­te er­for­der­li­che Zahl von be­glau­big­ten Ab­schrif­ten soll mit der Be­ru­fungs- bzw. Be­gründungs­schrift ein­ge­reicht wer­den.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt bit­tet dar­um, die Be­ru­fungs­be­gründung und die Be­ru­fungser-wi­de­rung in fünf­fa­cher Aus­fer­ti­gung, für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ein Ex­em­plar mehr, ein­zu­rei­chen.

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