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ARBEITSRECHT AKTUELL // 08/112

AiP-Zei­ten als Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tä­tig­keit ge­mäß dem TV-Ärz­te

Ge­richt er­kennt Tä­tig­keit als "Arzt im Prak­ti­kum" als ärzt­li­che Dienst­zeit bei der ta­rif­li­chen Ein­grup­pie­rung an: Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 22.08.2008, 9 Sa 114/08
Brutkasten Ist der Arzt im Prak­ti­kum auch ein Arzt "im Ta­rif­sinn"?

30.10.2008. Bei der An­wen­dung des En­de 2006 vom Mar­bur­ger Bund ver­ein­bar­ten Ta­rif­ver­trags für Ärz­tin­nen und Ärz­te an Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken ("TV-Ärz­te") kommt es im­mer wie­der zu Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen den Kli­nik­lei­tung und Ärz­ten.

Ei­ne der vie­len der­zeit strei­ti­gen Fra­gen be­steht dar­in, ob die ver­gü­tungs­re­le­van­te Dau­er der ärzt­li­chen Tä­tig­keit un­ter Ein­schluss von AiP-Zei­ten zu be­rech­nen ist. An­ders ge­sagt: Sind Zei­ten als Arzt im Prak­ti­kum (AiP) "Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tä­tig­keit" im Sin­ne des TV-Ärz­te oder nicht?

In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung hat das Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Rhein­land-Pfalz die Mei­nung ver­tre­ten, dass AiP-Zei­ten Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tä­tig­keit ge­mäß TV-Ärz­te sind. Da­mit setzt sich das LAG al­ler­dings in Wi­der­spruch zu den Ent­schei­dun­gen ei­ni­ger an­de­rer Lan­des­ar­beits­ge­rich­te: LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 22.08.2008, 9 Sa 114/08.

Sind Tätig­kei­ten als Arzt im Prak­ti­kum "Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit" im Sin­ne des TV-Ärz­te?

30.10.2008. Der zwi­schen dem Mar­bur­ger Bund und der Ta­rif­ge­mein­schaft deut­scher Länder ge­schlos­se­ne Ta­rif­ver­trag für Ärz­tin­nen und Ärz­te an Uni­ver­sitätsklin­ken (TV-Ärz­te) vom 30.10.2006 sorgt seit sei­ner erst­ma­li­gen An­wen­dung am 01.11.2006 für ei­ne Viel­zahl von Strei­tig­kei­ten in­fol­ge des neu ein­geführ­ten Vergütungs­sys­tems.

An­ders als die zu­vor für an­ge­stell­te Kran­ken­hausärz­te gel­ten­den Ta­rif­sys­te­me un­ter­schei­det der TV-Ärz­te nur noch zwi­schen vier Ent­gelt­grup­pen, mit de­nen der fak­ti­schen Hier­ar­chie in den meis­ten Kran­kenhäusern Rech­nung ge­tra­gen wer­den soll, d.h. es wird zwi­schen Arzt, Fach­arzt, Ober­arzt und dem Ober­arzt als ständi­gem Ver­tre­ter des Chef­arz­tes un­ter­schie­den.

Die ers­ten drei die­ser vier ärzt­li­chen Ent­gelt­grup­pen (Arzt bis Ober­arzt) sind in Stu­fen auf­ge­glie­dert, die in­ner­halb der je­wei­li­gen Ent­gelt­grup­pe zu ei­nem höhe­ren Ge­halt führen je nach­dem, wie hoch die er­reich­te Stu­fe ist. Für die Zu­ord­nung des Arz­tes zu ei­ner be­stimm­ten Stu­fe in­ner­halb ei­ner Ent­gelt­grup­pe ist die Dau­er sei­ner ein­schlägi­gen Be­rufstätig­keit maßgeb­lich. So er­reicht man zum Bei­spiel in der Ent­gelt­grup­pe Ä1 (Arzt) die Stu­fe 2 im zwei­ten Jahr der Tätig­keit als Arzt, die bes­ser be­zahl­te Stu­fe 3 im drit­ten Jahr der Tätig­keit als Arzt usw.

Strei­tig ist die Fra­ge, ob die Tätig­keit als Arzt bzw. Ärz­tin im Prak­ti­kum (AiP) als ei­ne „ärzt­li­che“ Tätig­keit im Sin­ne der Ta­rif­nor­men zu gel­ten hat. Ist die­se Fra­ge mit „ja“ zu be­ant­wor­ten, hätten vie­le gemäß Ent­gelt­grup­pe Ä1 zu vergüten­de As­sis­tenzärz­te ei­nen An­spruch auf höhe­re Vergütung, da sie dann auf­grund ih­rer ein­ein­halbjähri­gen Tätig­keit als AiP auf ei­ne länge­re ärzt­li­che Tätig­keit ver­wei­sen und da­her in­ner­halb der Ent­gelt­grup­pe Ä1 ei­ne höhe­re Stu­fe für sich be­an­spru­chen könn­ten. Ein­schlägig ist hier § 16 Abs.2 TV-Ärz­te, der die Vor­aus­set­zun­gen für die An­rech­nung von Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit re­gelt. Die­se Vor­schrift lau­tet:

„Für die An­rech­nung von Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit gilt fol­gen­des: Bei der Stu­fen­zu­ord­nung wer­den Zei­ten mit ein­schlägi­ger Be­rufs­er­fah­rung als förder­li­che Zei­ten berück­sich­tigt. Zei­ten von Be­rufs­er­fah­rung aus nichtärzt­li­cher Tätig­keit können berück­sich­tigt wer­den.“

Zu dem Pro­blem, ob die Tätig­keit als AiP als „ärzt­li­che“ Tätig­keit im Sin­ne von § 16 Abs.2 TV-Ärz­te zu gel­ten hat, sind bis­lang ei­ni­ge lan­des­ar­beits­ge­richt­li­che Ur­tei­len er­gan­gen.

Da­bei be­ant­wor­te­ten die Fra­ge der An­re­chen­bar­keit von AiP-Zei­ten mit „nein“ das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Meck­len­burg-Vor­pom­mern mit Ur­teil vom 07.05.2008 (2 Sa 296/07), das LAG München mit Ur­teil vom 22.04.2008 (7 Sa 18/08) und das LAG Düssel­dorf mit Ur­teil vom 16.04.2008 (12 Sa 2237/07), über das wir in Ar­beits­recht ak­tu­ell 08/065 be­rich­te­ten.

Dem­ge­genüber ha­ben das LAG Sach­sen-An­halt (Ur­teil vom 24.04.2008, 9 Sa 475/07 ) und in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung auch das LAG Rhein­land-Pfalz (Ur­teil vom 22.08.2008, 9 Sa 114/08) die­se Fra­ge be­jaht, d.h. im Sin­ne der Ärz­te ent­schie­den. Da ge­gen die Ur­tei­le der­zeit Re­vi­si­ons­ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) anhängig sind, ist die­se Fra­ge noch nicht ab­sch­ließend durch das BAG geklärt.

Der Streit­fall: Anästhe­sis­tin strei­tet über ih­re Dienst­al­ters­stu­fe im Rah­men der Ein­grup­pie­rung in Ta­rif­grup­pe Ä1

Die Kläge­rin ist bei dem be­klag­ten Land seit dem 01.09.2005 in ei­ner Kli­nik für Anästhe­sio­lo­gie als Ärz­tin in der Wei­ter­bil­dung zur Fachärz­tin für Anästhe­sio­lo­gie beschäftigt. Zu­vor war sie in der Zeit vom 08.01.2004, dem Tag ih­rer Ap­pro­ba­ti­on, bis 31.08.2005 an­dern­orts als As­sis­tenzärz­tin in der Wei­ter­bil­dung tätig.

Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fin­det seit dem 01.11.2006 der TV-Ärz­te und TVÜ-Ärz­te An­wen­dung. Die Be­klag­te stuf­te die Kläge­rin dar­auf­hin in die Ent­gelt­grup­pe Ä 1, Stu­fe 4 ein. Sie berück­sich­tig­te da­bei die ge­nann­ten bei­den Beschäfti­gungs­zei­ten.

Vor ih­rer Ap­pro­ba­ti­on war die Kläge­rin je­doch in der Zeit vom 01.07.2002 bis 07.01.2004 als Ärz­tin im Prak­ti­kum ganztägig un­mit­tel­bar in der Pa­ti­en­ten­ver­sor­gung tätig. Un­ter an­de­rem wur­de sie be­reits nach ih­rem ers­ten Mo­nat als AiP im Be­reit­schafts­dienst ein­ge­setzt. Da­bei war sie zeit­wei­se die ein­zi­ge Ärz­tin vor Ort und traf al­le ärzt­li­chen Ent­schei­dun­gen im We­sent­li­chen selbstständig.

Gleich­wohl berück­sich­tig­te die Be­klag­te Tätig­kei­ten aus die­sen Zeit­raum nicht. Die Kläge­rin woll­te dies je­doch nicht hin­neh­men und ging vor Ge­richt.

Das in ers­ter In­stanz zuständi­ge Ar­beits­ge­richt Mainz gab ihr recht (Ur­teil vom 31.01.2008, 3 Ca 1352/07). Das Ar­beits­ge­richt stell­te fest, das be­klag­te Land sei ver­pflich­tet, die Kläge­rin nach der Ent­gelt­grup­pe Ä 1, Stu­fe 5 zu be­zah­len. Das Land Rhein­land-Pfalz ging da­ge­gen in Be­ru­fung.

LAG Rhein­land-Pfalz: AiP-Zei­ten sind "Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit" im Sin­ne der Ta­rif­be­stim­mun­gen des TV-Ärz­te

Das LAG Rhein­land-Pfalz schloss sich voll­umfäng­lich der „zu­tref­fen­den, sorgfälti­gen Be­gründung“ des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils an und bestätig­te da­mit auch das Er­geb­nis des Ar­beits­ge­richts. Des­sen un­ge­ach­tet lies es sich das LAG nicht neh­men, sei­ner­seits er­neut die we­sent­li­chen Ge­dan­kengänge her­vor­zu­he­ben.

Aus­gangs­punkt der Ent­schei­dungs­fin­dung ist zunächst der Wort­laut der §§ 5 TVÜ-Ärz­te, 16 Abs.2 TV-Ärz­te. Da­nach sind „Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­kei­ten“ sol­che Zei­ten ärzt­li­cher Tätig­keit, die der be­tref­fen­de Arzt vor der Ein­stel­lung in das im Zeit­punkt der Ein­grup­pie­rung nach den Tätig­keits­merk­ma­len des TV-Ärz­te be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis zurück­ge­legt hat. Was da­bei al­ler­dings ei­ne „ärzt­li­che Tätig­keit“ ist und was nicht, ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nicht de­fi­niert.

Das LAG kon­sul­tiert da­her den Du­den und stell­te fest, dass mit „Arzt“ kei­nes­wegs zwin­gend nur ge­meint ist, wer ei­ne Vol­l­ap­pro­ba­ti­on be­sitzt. Die dor­ti­ge De­fi­ni­ti­on be­zog sich viel­mehr all­ge­mein auf ei­ne „staat­li­che Er­laub­nis“. Im Übri­gen be­le­ge die Ver­wen­dung des Wor­tes Arzt in der Be­zeich­nung „Arzt im Prak­ti­kum“ so­wie die Wahr­neh­mung von de­ren Tätig­keit durch die Pa­ti­en­ten, dass auch ein AiP als „Arzt“ im all­ge­mei­nen Wort­sinn ver­stan­den wer­den könne.

Auch aus der Sicht ei­ner Fach­ter­mi­no­lo­gie, d.h. des ju­ris­ti­schen (me­di­zi­nal­recht­li­chen) Sprach­ge­brauchs spricht nach Auf­fas­sung des LAG mehr für ei­ne Berück­sich­ti­gung von AiP-Zei­ten als ge­gen sie. Im We­sent­li­chen be­zieht sich das LAG da­bei auf die Bun­desärz­te­ord­nung (BÄrz­tO) in der Fas­sung, wie sie bei Ab­schaf­fung des AiP in Kraft war.

Da­nach durf­te die Be­rufs­be­zeich­nung Arzt bzw. Ärz­tin auch der­je­ni­ge tra­gen, der ei­ne Er­laub­nis zur vorüber­ge­hen­den oder auf be­stimm­te Tätig­kei­ten be­schränk­ten Ausübung des ärzt­li­chen (Heil-)Be­ru­fes hat­te (vgl. §§ 2a, 2 Abs.2 und Abs.5 BÄrz­teO). Die Ein­zel­hei­ten ei­ner sol­chen Er­laub­nis re­gel­te § 10 BÄrz­teO, auf den wie­der­um § 35 der Ap­pro­ba­ti­ons­ord­nung für Ärz­te Be­zug nahm. Es er­gab sich folg­lich aus den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten, dass der Arzt im Prak­ti­kum be­ruf­lich als Arzt tätig war und mit­hin ei­ne „ärzt­li­che Tätig­keit“ ausübte. In­so­weit kann das LAG Rhein­land-Pfalz auf ei­ne Ent­schei­dung des BAG aus dem Jah­re 2006 ver­wei­sen (vgl. BAG, Ur­teil vom 08.11.2006, 4 AZR 624/05).

Im Er­geb­nis be­trach­tet das LAG Tätig­keit ei­nes AiP als „ärzt­li­che Tätig­keit“, da dies so­wohl dem natürli­chen als auch dem ju­ris­ti­schen Wort­sinn ent­spre­che und die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den Be­griff nicht ab­wei­chend de­fi­niert hätten.

Ergänzend ver­weist das Ge­richt dar­auf, dass die strei­ti­ge ta­rif­li­che Vor­schrift (§ 16 Abs.2 Satz 2 TV-Ärz­te) Vor­zei­ten ärzt­li­cher Tätig­kei­ten aus dem Grun­de vergütungs­erhöhend an­rech­ne, weil der Arzt aus sol­chen vor­he­ri­gen Tätig­kei­ten be­reits über Er­fah­run­gen verfüge und da­her ei­ne erhöhte Leis­tungsfähig­keit und Kom­pe­tenz vor­wei­sen könne. Dies führe zu ei­nem ge­rin­ge­ren An­lei­tungs- und Ein­ar­bei­tungs­auf­wand und ei­nem ge­rin­ge­ren Kon­trol­ler-for­der­nis. Die Auf­fas­sung, dass tätig­keits­spe­zi­fi­sche und de­nen ei­nes ap­pro­bier­ten Arz­tes ent­spre­chen­de Zei­ten der Be­rufs­er­fah­rung un­berück­sich­tigt blie­ben, wird da­her nach An­sicht des LAG auch dem Zweck der um­strit­te­nen An­rech­nungs­vor­schrift nicht ge­recht.

Sch­ließlich nimmt das LAG Rhein­land-Pfalz auch die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Ta­rif­ver­trags für sei­ne Mei­nung in An­spruch. Die Ta­rif­par­tei­en hat­ten sich - dies ist wohl un­strei­tig - nicht darüber ge­ei­nigt, ob AiP-Zei­ten berück­sich­tigt wer­den soll­ten oder nicht. Der Hin­weis der Ar­beit­ge­ber­sei­te, die For­mu­lie­run­gen des TV-Ärz­te sei­en mit Hin­blick auf das Ur­teil des BAG vom 25.09.1996 (4 AZR 200/95) gewählt wor­den, über­zeu­ge nicht. In dem dor­ti­gen Ur­teil ha­be das BAG AiP-Zei­ten bei der Ein­grup­pie­rung in ei­ne Vergütungs­grup­pe des BAT un­berück­sich­tigt ge­las­sen, weil die­ser „ärzt­li­che Tätig­kei­ten als Arzt“ vor­aus­setz­te, d.h. die Be­rufs­be­zeich­nung und die Ap­pro­ba­ti­on be­ton­te.

Die For­mu­lie­rung im TV-Ärz­te hin­ge­gen be­to­ne stärker die Tätig­keit. Außer­dem hat­te es bei der Nor­mie­rung der ent­spre­chen­den BAT-Vergütungs­grup­pe den AiP noch nicht ge­ge­ben.

Die Re­vi­si­on ge­gen die Ent­schei­dung des LAG Rhein­land-Pfalz ist beim BAG anhängig un­ter dem Ak­ten­zei­chen 4 AZR 771/08.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 20. Dezember 2017

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