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BAG, Ur­teil vom 15.11.2011, 9 AZR 386/10

   
Schlagworte: Zeugnis, Zeugnis: Geheimcode
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 386/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.11.2011
   
Leitsätze:

Bescheinigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in einem Zeugnis:


„Wir haben Herrn K. als sehr interessierten und hoch-motivierten Mitarbeiter kennen gelernt, der stets eine sehr hohe Einsatzbereitschaft zeigte“,

handelt es sich nicht um eine dem Gebot der Zeugnisklarheit widersprechende verschlüsselte Formulierung (Geheimcode). Mit der Wendung „kennen gelernt“ bringt der Arbeitgeber nicht zum Ausdruck, dass die im Zusammenhang angeführten Eigenschaften tatsächlich nicht vorliegen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 17.6.2008 - 14 Ca 7148/07
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 18.12.2009 - 11 Sa 1092/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 386/10
11 Sa 1092/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
15. No­vem­ber 2011

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Wi­der­be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Wi­derkläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 15. No­vem­ber 2011 durch den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer als Vor­sit­zen­den, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Suckow und Klo­se so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Jun­ger­mann und Dr. Leit­ner für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 18. De­zem­ber 2009 - 11 Sa 1092/08 - wird zurück­ge­wie­sen.


Der Kläger hat die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über den In­halt ei­nes Ar­beits­zeug­nis­ses


Der Kläger war bei der Be­klag­ten in der Zeit vom 1. April 2004 bis zum 28. Fe­bru­ar 2007 als Mit­ar­bei­ter im SAP Com­pe­tence Cen­ter beschäftigt. Das Ar­beits­verhält­nis en­de­te auf­grund or­dent­li­cher be­triebs­be­ding­ter Kündi­gung der Be­klag­ten.


Un­ter dem Da­tum 28. Fe­bru­ar 2007 er­teil­te die Be­klag­te dem Kläger ein Zeug­nis. Dort heißt es aus­zugs­wei­se:

„Wir ha­ben Herrn K. als sehr in­ter­es­sier­ten und hoch­mo­ti­vier­ten Mit­ar­bei­ter ken­nen ge­lernt, der stets ei­ne sehr ho­he Ein­satz­be­reit­schaft zeig­te. Herr K. war je­der­zeit be­reit, sich über die nor­ma­le Ar­beits­zeit hin­aus für die Be­lan­ge des Un­ter­neh­mens ein­zu­set­zen. Er er­le­dig­te sei­ne Auf­ga­ben stets zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit.“


Der Kläger hat die An­sicht ver­tre­ten, das Zeug­nis sei nicht ord­nungs­gemäß. Der Ge­brauch der Wor­te „ken­nen ge­lernt“ drücke stets das Nicht­vor­han­den­sein der im Kon­text auf­geführ­ten Fähig­keit aus.


Der Kläger hat be­an­tragt, 


1. ihm un­ter dem Aus­stel­lungs­da­tum 28. Fe­bru­ar 2007 ein kor­ri­gier­tes Zeug­nis nach fol­gen­der Maßga­be zu er­tei­len:

1.1 Auf Blatt 1 wird der drit­te Punkt in der Auf­ga­ben­be­schrei­bung durch das Wort „Cust­o­mi­zing“ ergänzt

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und wie folgt ge­fasst:


„Op­ti­mie­rung und Be­treu­ung des Ma­te­ri­al Led­gers (Ana­ly­se, Pro­zess­mo­del­lie­rung, Kon­zep­ti­on, Cust­o­mi­zing, Spe­zi­al­re­porting)“.


1.2 Auf Blatt 1 letz­ter Ab­satz ist der ers­te Satz wie folgt zu ändern:


„Herr K. war dank sei­ner gu­ten Fach­kennt­nis-se stets in der La­ge, die ihm über­tra­ge­nen Auf­ga­ben gut zu lösen.“

1.3 Im ers­ten Ab­satz auf der zwei­ten Sei­te wird der Satz:

„Wir ha­ben Herrn K. als sehr in­ter­es­sier­ten und hoch­mo­ti­vier­ten Mit­ar­bei­ter ken­nen ge­lernt, der stets ei­ne sehr ho­he Ein­satz­be­reit­schaft zeig­te“,

durch den Satz:

„Herr K. war ein sehr in­ter­es­sier­ter und hoch­mo­ti­vier­ter Mit­ar­bei­ter, der stets ei­ne sehr ho­he Ein­satz­be­reit­schaft zeig­te“,


er­setzt.


1.4 Der letz­te Satz auf Blatt 2 des Zeug­nis­ses ist wie folgt ab­zuändern:


„Für sei­ne persönli­che und be­ruf­li­che Zu­kunft wünschen wir Herrn K. wei­ter­hin al­les Gu­te und viel Er­folg.“

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, das Zeug­nis genüge den An­for­de­run­gen ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses mit der No­te „gut“. Sie ha­be die Schwer­punk­te der Tätig­keit im Zeug­nis rich­tig be­schrie­ben. Das gu­te Zeug­nis sei ins­ge­samt po­si­tiv for­mu­liert.


Der Kläger hat in der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on nur noch den An­trag zu 1.3 ge­stellt.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


A. Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die kla­ge­ab­wei­sen­de Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts zu Recht bestätigt. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf Er­tei­lung ei­nes Zeug­nis­ses mit dem be­gehr­ten In­halt. Die Be­klag­te erfüll­te ih­re Ver­pflich­tung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 Ge­wO, dem Kläger bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ein schrift­li­ches qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis zu er­tei­len, mit dem von ihr un­ter dem Da­tum 28. Fe­bru­ar 2007 er­teil­ten Zeug­nis mit der be­an­stan­de­ten For­mu­lie­rung. Sein An­spruch ist des­halb gemäß § 362 Abs. 1 BGB er­lo­schen.

I. Ein Ar­beit­ge­ber erfüllt den Zeug­nis­an­spruch, wenn das von ihm er­teil­te Zeug­nis nach Form und In­halt den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen des § 109 Ge­wO ent­spricht. Auf Ver­lan­gen des Ar­beit­neh­mers muss sich das Zeug­nis auf Führung (Ver­hal­ten) und Leis­tung er­stre­cken (qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis), § 109 Abs. 1 Satz 3 Ge­wO. Da­bei rich­tet sich der ge­setz­lich ge­schul­de­te In­halt des Zeug­nis­ses nach den mit ihm ver­folg­ten Zwe­cken. Es dient dem Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig als Be­wer­bungs­un­ter­la­ge und ist in­so­weit Drit­ten, ins­be­son­de­re mögli­chen künf­ti­gen Ar­beit­ge­bern, Grund­la­ge für ih­re Per­so­nal­aus­wahl (st. Rspr., vgl. BAG 20. Fe­bru­ar 2001 - 9 AZR 44/00 - zu B I 2 a der Gründe, BA­GE 97, 57). Dem Ar­beit­neh­mer gibt es zu­gleich Auf­schluss darüber, wie der Ar­beit­ge­ber sei­ne Leis­tung be­ur­teilt (vgl. be­reits BAG 8. Fe­bru­ar 1972 - 1 AZR 189/71 - BA­GE 24, 112). Dar­aus er­ge­ben sich als in­halt­li­che An­for­de­run­gen das Ge­bot der Zeug­nis­wahr­heit und das in § 109 Abs. 2 Ge­wO auch aus­drück­lich nor­mier­te Ge­bot der Zeug­nis­klar­heit (vgl. BAG 14. Ok­to­ber 2003 - 9 AZR 12/03 - zu III 2 der Gründe, BA­GE 108, 86). Genügt das er­teil­te Zeug­nis die­sen An­for­de­run­gen nicht, kann der Ar­beit­neh­mer die Be­rich­ti­gung des Ar­beits­zeug­nis­ses oder des­sen Ergänzung ver­lan­gen (st. Rspr., vgl. BAG 12. Au­gust 2008 - 9 AZR 632/07 - Rn. 13, BA­GE 127, 232; 14. Ok­to­ber 2003 - 9 AZR 12/03 - zu IV 2 b bb der Gründe, BA­GE 108, 86).
 


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II. Die­sen An­for­de­run­gen genügt das von der Be­klag­ten dem Kläger er­teil­te Zeug­nis. Die Rüge der Re­vi­si­on, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be zu Un­recht die For­mu­lie­rung: „Wir ha­ben Herrn K. als sehr in­ter­es­sier­ten und hoch­mo­ti­vier­ten Mit­ar­bei­ter ken­nen ge­lernt ...“, als mit die­sen Ge­bo­ten ver­ein­bar an­ge­se­hen, geht fehl. Die­se For­mu­lie­rung verstößt nicht ge­gen die Ge­bo­te der Zeug­nis­wahr­heit und Zeug­nis­klar­heit.

1. Es ist grundsätz­lich Sa­che des Ar­beit­ge­bers, das Zeug­nis im Ein­zel­nen zu ver­fas­sen. Die For­mu­lie­rung und Aus­drucks­wei­se steht in sei­nem pflicht­gemäßen Er­mes­sen. Maßstab ist da­bei ein wohl­wol­len­der verständi­ger Ar­beit­ge­ber (vgl. BAG 12. Au­gust 2008 - 9 AZR 632/07 - Rn. 19, BA­GE 127, 232). Der Ar­beit­ge­ber hat in­so­weit ei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum. Dies gilt ins­be­son­de­re für die For­mu­lie­rung von Wert­ur­tei­len. Sie lässt sich nicht bis in die Ein­zel­hei­ten re­geln und vor­schrei­ben (so be­reits BAG 12. Au­gust 1976 - 3 AZR 720/75 - zu I 1 a der Gründe, AP BGB § 630 Nr. 11 = EzA BGB § 630 Nr. 7). So­lan­ge das Zeug­nis all­ge­mein verständ­lich ist und nichts Fal­sches enthält, kann der Ar­beit­neh­mer da­her kei­ne ab­wei­chen­de For­mu­lie­rung ver­lan­gen.


2. Mit dem be­an­stan­de­ten Satz: „Wir ha­ben Herrn K. als sehr in­ter­es­sier­ten und hoch­mo­ti­vier­ten Mit­ar­bei­ter ken­nen ge­lernt, der stets ei­ne sehr ho­he Ein­satz­be­reit­schaft zeig­te“, leg­te die Be­klag­te die­se aus ih­rer Sicht ge­ge­be­nen (po­si­ti­ven) Ei­gen­schaf­ten des Klägers im Zeug­nis nie­der. Die von ihr hierfür gewähl­te For­mu­lie­rung bringt für den Le­ser zum Aus­druck, dass der Kläger dank sei­nes großen In­ter­es­ses und sei­ner ho­hen Mo­ti­va­ti­on stets sehr leis­tungs­be­reit war. Die­ser Ein­druck wird durch den Fol­ge­satz: „Herr K. war je­der­zeit be­reit, sich über die nor­ma­le Ar­beits­zeit hin­aus für die Be­lan­ge des Un­ter­neh­mens ein­zu­set­zen“, un­ter­stri­chen.


Es han­delt sich für den un­be­fan­ge­nen Le­ser um die Wie­der­ga­be ei­ner durch­weg gu­ten Ein­zel­be­wer­tung, die sich stim­mig in die gu­te Ge­samt­be­wer­tung der Leis­tung nach dem übli­chen Be­ur­tei­lungs­sys­tem mit „stets zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit“ einfügt (vgl. zur übli­chen For­mu­lie­rung ei­ner gu­ten Ge­samt­leis­tung auch: BAG 23. Sep­tem­ber 1992 - 5 AZR 573/91 - zu II der Gründe, EzA BGB § 630 Nr. 16).

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3. Die Re­vi­si­on wen­det oh­ne Er­folg ein, bei der ge­brauch­ten Wen­dung „ken­nen ge­lernt“ han­de­le es sich um ei­ne ver­schlei­ern­de Zeug­nis­spra­che. Mit die­ser Wen­dung spre­che der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer die auf­geführ­ten Fähig­kei­ten ab. Dem Kläger wer­de des­halb mit dem im ers­ten Ab­satz auf der zwei­ten Zeug­nis­sei­te ent­hal­te­nen Satz in Wahr­heit Des­in­ter­es­se und feh­len­de Mo­ti­va­ti­on at­tes­tiert.

a) Es trifft zu, dass nach dem Ge­bot der Zeug­nis­klar­heit gemäß § 109 Abs. 2 Satz 1 Ge­wO das Zeug­nis klar und verständ­lich for­mu­liert sein muss. Nach § 109 Abs. 2 Satz 2 Ge­wO darf ein Zeug­nis zu­dem kei­ne For­mu­lie­run­gen ent­hal­ten, die den Zweck ha­ben, ei­ne an­de­re als aus der Wort­wahl er­sicht­li­che Aus­sa­ge über den Ar­beit­neh­mer zu tref­fen. Da­her ist es un­zulässig, ein Zeug­nis mit un­kla­ren For­mu­lie­run­gen zu ver­se­hen, durch die der Ar­beit­neh­mer an­ders be­ur­teilt wer­den soll, als dies aus dem Zeug­nis­wort­laut er­sicht­lich ist. Denn in­halt­lich „falsch“ ist ein Zeug­nis auch dann, wenn es ei­ne Aus­drucks­wei­se enthält, der ent­nom­men wer­den muss, der Ar­beit­ge­ber dis­tan­zie­re sich vom buchstäbli­chen Wort­laut sei­ner Erklärun­gen und der Ar­beit­neh­mer wer­de in Wahr­heit an­ders be­ur­teilt, nämlich ungüns­ti­ger als im Zeug­nis be­schei­nigt (vgl. BAG 20. Fe­bru­ar 2001 - 9 AZR 44/00 - zu B I 2 a der Gründe, BA­GE 97, 57). We­der Wort­wahl noch Aus­las­sun­gen dürfen da­zu führen, beim Le­ser des Zeug­nis­ses der Wahr­heit nicht ent­spre­chen­de Vor­stel­lun­gen ent­ste­hen zu las­sen (vgl. BAG 12. Au­gust 2008 - 9 AZR 632/07 - Rn. 21 mwN, BA­GE 127, 232; 21. Ju­ni 2005 - 9 AZR 352/04 - zu II 2 der Gründe, BA­GE 115, 130). Ent­schei­dend ist da­bei nicht, wel­che Vor­stel­lun­gen der Zeug­nis­ver­fas­ser mit sei­ner Wort­wahl ver­bin­det. Maßgeb­lich ist al­lein der ob­jek­ti­ve Empfänger­ho­ri­zont des Zeug­nis­le­sers (vgl. BAG 12. Au­gust 2008 - 9 AZR 632/07 - Rn. 18, aaO; 21. Ju­ni 2005 - 9 AZR 352/04 - zu II 2 der Gründe, aaO).


b) Sol­che ver­schlüssel­ten, dem Kläger nach­tei­li­gen Be­wer­tun­gen enthält das Zeug­nis nicht. Ins­be­son­de­re wird ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on nicht al­lein mit dem Ge­brauch der For­mu­lie­rung „ken­nen ge­lernt“ stets und un­abhängig vom übri­gen Zeug­nis­in­halt das Nicht­vor­han­den­sein der im Kon­text die­ser Wor­te an­geführ­ten Ei­gen­schaf­ten aus­ge­drückt.


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aa) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat bis­her die Ver­wen­dung der For­mu­lie­rung „ken­nen ge­lernt“ noch nicht als all­ge­mei­ne ver­schlüssel­te ne­ga­ti­ve Be­ur­tei­lung ge­wer­tet. Im Ge­gen­teil ent­schied es in ei­nem Scha­dens­er­satz­pro­zess, dass sich der Ar­beit­ge­ber man­gels ent­ge­gen­ste­hen­der Vor­be­hal­te an der Be­ur­tei­lung: „... ha­ben wir ... als ei­nen fleißigen, ehr­li­chen und ge­wis­sen­haf­ten Mit­ar­bei­ter ken­nen ge­lernt“, fest­hal­ten las­sen müsse und des­halb auch ei­nen schon früher fest­ge­stell­ten In­ven­tur­fehl­be­trag nicht aus Man­ko­haf­tung nach des­sen Aus­schei­den ver­lan­gen könne (vgl. BAG 8. Fe­bru­ar 1972 - 1 AZR 189/71 - BA­GE 24, 112).


bb) Die ver­ein­zel­te Rechts­an­sicht ei­ner Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm (27. April 2000 - 4 Sa 1018/99 - zu 3.2.6 der Gründe; 28. März 2000 - 4 Sa 648/99 - zu 3.2 der Gründe), dass der Aus­druck „ken­nen ge­lernt“ stets ei­ne beschöni­gen­de For­mu­lie­rung dar­stel­le, die sich zwar nicht ab­wer­tend anhöre, aber den­noch stets das Nicht­vor­han­den­sein der an­geführ­ten Ei­gen­schaf­ten und da­mit ei­ne ne­ga­ti­ve Be­ur­tei­lung be­deu­te, hat sich nicht durch­ge­setzt (vgl. zur Kri­tik: Sch­leßmann Das Ar­beits­zeug­nis 19. Aufl. S. 183; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 109 Ge­wO Rn. 36; Weus­ter/Scheer Ar­beits­zeug­nis­se in Text­bau­stei­nen 12. Aufl. S. 134 f.; Hunold NZA-RR 2001, 113, 118; Düwell/Dahl NZA 2011, 958, 960 f.; kri­tisch auch Münch­KommBGB/Hens­s­ler 5. Aufl. § 630 Rn. 100).


cc) Die Re­vi­si­on ver­kennt, dass es auf die Sicht des ob­jek­ti­ven Empfänger­ho­ri­zonts und nicht auf ei­ne ver­ein­zelt geäußer­te Rechts­auf­fas­sung an-kommt, selbst wenn sie teil­wei­se auch in sog. Über­set­zungs­lis­ten zu Ge­heim­codes im In­ter­net und in der Li­te­ra­tur wie­der­ge­ge­ben wird.

(1) Ein ent­spre­chen­des Spra­ch­emp­fin­den hat sich nicht her­aus­ge­bil­det (vgl. ErfK/Müller-Glöge § 109 Ge­wO Rn. 36; Hunold NZA-RR 2001, 113, 118). Es gibt kei­ne em­pi­risch-sta­tis­ti­schen Be­le­ge, dass mitt­ler­wei­le ei­ne all­ge­mein ver­schlüssel­te Be­deu­tung der For­mu­lie­rung „ken­nen ge­lernt“ in der Zeug­nis­spra­che be­steht (so zu den Ent­schei­dun­gen des LAG Hamm: Weus­ter
 


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BB 2001, 629; Weus­ter/Scheer S. 134; kri­tisch zur Möglich­keit, dies über­haupt em­pi­risch zu be­le­gen: Düwell/Dahl NZA 2011, 958, 960).
 

Auch aus die­sem Grund wird die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm vor­ge­nom­me­ne all­ge­mei­ne Deu­tung der For­mu­lie­rung „ken­nen ge­lernt“ als Nicht­vor­han­den­sein der im Kon­text an­geführ­ten Ei­gen­schaf­ten zu Recht als ei­ne nicht her­leit­ba­re und fal­sche Aus­le­gung ab­ge­lehnt (vgl. Sch­leßmann S. 183; ErfK/Müller-Glöge § 109 Ge­wO Rn. 36; Weus­ter/Scheer S. 134 f.; Hunold NZA-RR 2001, 113, 118; Düwell/Dahl NZA 2011, 958, 960 f.; kri­tisch auch Münch-KommBGB/Hens­s­ler § 630 Rn. 100).


(2) Der Kläger selbst be­haup­tet nicht sub­stan­zi­iert, es be­ste­he ein ent­spre­chen­der Zeug­nis­brauch als „Ge­heim­code“ (vgl. zur dies­bezügli­chen Dar­le­gungs­last: ErfK/Müller-Glöge § 109 Ge­wO Rn. 85). Viel­mehr ver­weist er le­dig­lich dar­auf, dass der Aus­druck „ken­nen ge­lernt“ auch in der Rechts­li­te­ra­tur und Öffent­lich­keit viel­fach gleich­falls in der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm an­geführ­ten ver­schlüssel­ten ne­ga­ti­ven Wei­se in­ter­pre­tiert wird, und führt als Be­leg hierfür ei­ne Li­te­ra­tur­fund­stel­le und vier In­ter­net­fund­stel­len an. Es mag sein, dass sich in sog. Über­set­zungs­lis­ten in der Li­te­ra­tur und im In­ter­net durch­aus auch die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm kon­kret bemängel­ten Zeug­nis­for­mu­lie­run­gen: „... wir lern­ten ihn als umgäng­li­chen Mit­ar­bei­ter ken­nen“ so­wie „Wir lern­ten ... als freund­li­che und äußerst zu­verlässi­ge Mit­ar­bei­te­rin ken­nen“, wie­der­fin­den. Da­bei könn­te al­ler­dings die ne­ga­ti­ve Be­wer­tung des Sat­zes: „... wir lern­ten ihn als umgäng­li­chen Mit­ar­bei­ter ken­nen“, eben­so aus der Wahl des Worts „umgäng­lich“ fol­gen (vgl. HWK/Gänt­gen 4. Aufl. § 109 Ge­wO Rn. 31). Sch­ließlich wird mit dem Wort „umgäng­lich“ ei­ne Iro­nie in der Zeug­nis­spra­che ver­bun­den (Weus­ter BB 2001, 629, 630). Doch ge­ben die sog. Über­set­zungs­lis­ten über­wie­gend le­dig­lich Bei­spie­le aus der Recht­spre­chung völlig iso­liert und zu­sam­men­hangs­los wie­der (vgl. an­schau­lich zur hier­mit ver­bun­de­nen Ge­fahr der Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on: Weus­ter/Scheer S. 142 f.). Des­halb kann al­lein aus der Auf­nah­me ei­ner For­mu­lie­rung in ei­ne sol­che Aufzählung nicht ab­ge­lei­tet wer­den, die dort an­geführ­te For­mu­lie­rung sei los­gelöst vom rest­li­chen Zeug­nis­in­halt stets im ne­ga­ti­ven Sinn zu ver­ste­hen. Denn ei­ner gewähl­ten For­mu­lie­rung
 


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kommt ge­ra­de im Zeug­nis nicht zwin­gend ei­ne abschätzi­ge Be­deu­tung un­abhängig vom Ge­samt­zu­sam­men­hang zu. Viel­mehr ent­schei­den häufig Klei­nig­kei­ten über den Sinn der Aus­sa­ge, wie an­schau­lich das sog. be­red­te Schwei­gen be­legt. Ein be­kann­tes Bei­spiel hierfür bil­det das Wort „bemühen“. Schweigt das Zeug­nis zum Er­folg des Bemühens, so ist die Wort­wahl als Aus­druck von Ta­del zu ver­ste­hen (vgl. BAG 23. Ju­ni 1960 - 5 AZR 560/58 - zu I 2 der Gründe, BA­GE 9, 289).

(3) Die Re­vi­si­on ver­kennt bei ih­rer An­nah­me ei­nes Ge­heim­codes den maßgeb­li­chen ob­jek­ti­ven Empfänger­ho­ri­zont.


(a) Das Ar­beits­zeug­nis dient re­gelmäßig als Be­wer­bungs­un­ter­la­ge und da­mit gleich­zei­tig als Ent­schei­dungs­grund­la­ge für die Per­so­nal­aus­wahl künf­ti­ger Ar­beit­ge­ber (st. Rspr., vgl. zu­letzt BAG 12. Au­gust 2008 - 9 AZR 632/07 - Rn. 16, BA­GE 127, 232). Adres­sat ist da­mit ein größerer Per­so­nen­kreis, der nicht zwangsläufig über ein ein­heit­li­ches Sprach­verständ­nis verfügt. Dem­ent­spre­chend ist als maßgeb­li­cher ob­jek­ti­ver Empfänger­ho­ri­zont die Verständ­nismöglich­keit ei­nes durch­schnitt­lich Be­tei­lig­ten oder An­gehöri­gen des vom Zeug­nis an­ge­spro­che­nen Per­so­nen­krei­ses zu­grun­de zu le­gen (vgl. all­ge­mein zum Aus­le­gungs­maßstab von Erklärun­gen an die All­ge­mein­heit: Pa­landt/El­len­ber­ger BGB 70. Aufl. § 133 Rn. 12). Zur Be­ur­tei­lung der be­an­stan­de­ten For­mu­lie­rung ist auf die Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven und da­mit un­be­fan­ge­nen Ar­beit­ge­bers mit Be­rufs- und Bran­chen­kennt­nis­sen ab­zu­stel­len. Ent­schei­dend ist, wie ein sol­cher Zeug­nis­le­ser das Zeug­nis und die ent­hal­te­nen For­mu­lie­run­gen auf­fas­sen muss (ähn­lich auch Sch­leßmann S. 177; HWK/Gänt­gen § 109 Ge­wO Rn. 4). Be­nutzt der Ar­beit­ge­ber ein im Ar­beits­le­ben übli­ches Be­ur­tei­lungs­sys­tem, so ist das Zeug­nis aus Sicht des ob­jek­ti­ven Empfänger­ho­ri­zonts so zu le­sen, wie es die­ser Üblich­keit ent­spricht (vgl. BAG 14. Ok­to­ber 2003 - 9 AZR 12/03 - zu III 3 der Gründe, BA­GE 108, 86).


(b) Un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ser Sicht­wei­se wird das vor­lie­gen­de Zeug­nis vom Zeug­nis­le­ser auch in der bemängel­ten For­mu­lie­rung der Ein­zel­be­wer­tung ge­ra­de nicht, wie die Re­vi­si­on meint, miss­ver­stan­den wer­den.



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Ein Zeug­nis und des­sen For­mu­lie­run­gen können re­gelmäßig nur im Zu­sam­men­hang des ge­sam­ten In­halts aus­ge­legt wer­den. Das Zeug­nis ist ein ein­heit­li­ches Gan­zes; sei­ne Tei­le können nicht oh­ne die Ge­fahr der Sinn­ent­stel­lung aus­ein­an­der­ge­ris­sen wer­den. Sch­ließlich sind die ein­zel­nen vom Ar­beit­ge­ber zu be­ur­tei­len­den Qua­li­fi­ka­tio­nen des Ar­beit­neh­mers so eng mit­ein­an­der ver­floch­ten, dass die ei­ne nicht oh­ne die Be­zie­hung und den Zu­sam­men­hang zur an­de­ren be­trach­tet wer­den kann (so be­reits BAG 23. Ju­ni 1960 - 5 AZR 560/58 - zu I 1 der Gründe, BA­GE 9, 289). Des­halb ver­bie­tet es sich, ein­zel­ne Satz­tei­le los­gelöst vom Zu­sam­men­hang mit dem übri­gen Zeug­nis­text zu be­wer­ten. Ei­ne For­mu­lie­rung erhält erst aus dem Zu­sam­men­hang, in dem sie ver­wen­det wird, ih­ren Sinn. Es ist des­halb auch das nähe­re Text­um­feld ei­ner Aus­sa­ge bei der Su­che nach dem wah­ren In­halt ein­zu­be­zie­hen (vgl. Weus­ter/Scheer S. 143 f.).


(c) An die­sen Maßstäben ge­mes­sen er­weckt die im Zeug­nis des Klägers ent­hal­te­ne For­mu­lie­rung, „als sehr in­ter­es­sier­ten und hoch­mo­ti­vier­ten Mit­ar­bei­ter ken­nen ge­lernt“, aus Sicht des ob­jek­ti­ven Empfänger­ho­ri­zonts nicht den Ein­druck, die Be­klag­te at­tes­tie­re dem Kläger in Wahr­heit Des­in­ter­es­se und feh­len­de Mo­ti­va­ti­on.


(aa) Im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch drückt „ken­nen ge­lernt“ aus, dass je­mand selbst et­was er­lebt, er­fah­ren, fest­ge­stellt oder ent­deckt hat. Es wird mit die­ser Wort­wahl in der All­tags­spra­che le­dig­lich be­tont, dass das Ge­schil­der­te auf ei­nem ei­ge­nen Ein­druck be­ruht. Ei­ne Mehr­deu­tig­keit kommt der For­mu­lie­rung selbst nicht zu.


(bb) In der Zeug­nis­pra­xis han­delt es bei dem Aus­druck „ken­nen ge­lernt“ um ei­ne gängi­ge For­mu­lie­rungs­wei­se, die je nach Kon­text Po­si­ti­ves oder Ne­ga­ti­ves be­schrei­ben kann (vgl. Weus­ter/Scheer S. 134). Da­bei ist die For­mu­lie­rung „ken­nen ge­lernt“ re­gelmäßig im Wort­sinn ge­meint (vgl. ErfK/Müller-Glöge § 109 Ge­wO Rn. 36; Sch­leßmann S. 183; Hunold NZA-RR 2001, 113, 118; Düwell/Dahl NZA 2011, 958, 961, Weus­ter/Scheer S. 134). Le­dig­lich aus dem



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Zu­sam­men­hang, in dem die­se For­mu­lie­rung ge­braucht wird, kann sich et­was an­de­res er­ge­ben.


(cc) Vor­lie­gend wird nach die­sen Grundsätzen aus Sicht des ob­jek­ti­ven Empfänger­ho­ri­zonts ei­nes Zeug­nis­le­sers dem Kläger be­schei­nigt, dass er tatsächlich sehr in­ter­es­siert und hoch­mo­ti­viert war. Dies folgt aus dem Kon­text in dem die For­mu­lie­rung steht, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Recht an­geführt hat. Der vollständi­ge Satz lau­tet be­reits: „Wir ha­ben Herrn K. als sehr in­ter­es­sier­ten und hoch­mo­ti­vier­ten Mit­ar­bei­ter ken­nen ge­lernt, der stets ei­ne sehr ho­he Ein­satz­be­reit­schaft zeig­te.“ Für den Zeug­nis­le­ser folgt aus dem wei­ter­ge­hen­den Ne­ben­satz, dass die an­geführ­ten Ei­gen­schaf­ten tatsächlich vor­la­gen, da aus ih­nen die des Wei­te­ren at­tes­tier­te sehr ho­he Ein­satz­be­reit­schaft herrührt. Verstärkt wird dies noch durch den Fol­ge­satz, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt eben­falls zu­tref­fend ausführt. Da­nach war der Kläger je­der­zeit be­reit, sich über die nor­ma­le Ar­beits­zeit hin­aus für die Be­lan­ge des Un­ter­neh­mens ein­zu­set­zen. Sch­ließlich wird in dem­sel­ben Ab­satz noch die Leis­tung des Klägers mit der Ge­samt­no­te „stets zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit“ und da­mit nach dem gebräuch­li­chen Be­ur­tei­lungs­sys­tem mit der No­te „gut“ be­wer­tet (vgl. BAG 23. Sep­tem­ber 1992 - 5 AZR 573/91 - zu II der Gründe, EzA BGB § 630 Nr. 16). An­halts­punk­te für den ob­jek­tiv und un­be­fan­gen ur­tei­len­den Zeug­nis­le­ser, dass sich die Be­klag­te als Ar­beit­ge­be­rin durch die Ver­wen­dung der For­mu­lie­rung „ken­nen ge­lernt als ...“ vom buchstäbli­chen Wort­laut ih­rer Erklärung dis­tan­zie­re, sind da­her nicht ge­ge­ben.


III. Nach al­le­dem ist da­her die von der Be­klag­ten ver­wen­de­te For­mu­lie­rung nicht zu be­an­stan­den. Der Kläger hat kei­nen An­spruch dar­auf, dass die von der Be­klag­ten gewähl­te For­mu­lie­rung durch ei­ne ihm ge­neh­me­re mit glei­chem Aus­sa­ge­wert er­setzt wird. Sein Zeug­nis­an­spruch ist des­halb mit dem er­teil­ten Zeug­nis erfüllt wor­den und nach § 362 Abs. 1 BGB er­lo­schen.
 


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B. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten sei­ner er­folg­lo­sen Re­vi­si­on zu tra­gen.

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