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ArbG Berlin, Urteil vom 07.04.2010, 29 Ga 5197/10
Schlagworte: | Weiterbeschäftigungsanspruch, Fristlose Kündigung | |
Gericht: | Arbeitsgericht Berlin | |
Aktenzeichen: | 29 Ga 5197/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 07.04.2010 | |
Leitsätze: | 1. Nach der Rechtsprechung des BAG besteht der vorläufige Weiterbeschäftigungsanspruch auch dann, wenn zwar noch kein erstinstanzliches Urteil betreffend die Kündigungsschutzklage ergangen ist, die Kündigung jedoch offensichtlich unwirksam ist. 2. Eine fristlose Kündigung wegen gewerkschaftlicher Betätigung ist in der Regel offensichtlich unwirksam. 3. Ein Verfügungsgrund für die Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs im Wege der einstweiligen Verfügung kann darin liegen, dass dem gekündigten Piloten bei längerem Nichteinsatz Nachschulungen, beaufsichtigte Flüge oder Flugsimulatortests zur Erhaltung seiner beruflichen Qualifikation obliegen. |
|
Vorinstanzen: | ||
Arbeitsgericht Berlin
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
29 Ga 5197/10
Verkündet
am 07.04.2010
als Urkundsbeamter/in
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In der einstweiligen Verfügungssache
pp
hat das Arbeitsgericht Berlin, 29. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 07.04.2010
durch den Richter am Arbeitsgericht St. als Vorsitzender
sowie die ehrenamtlichen Richter Herr B. und Frau F.
für Recht erkannt:
I. Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Verfügungskläger nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 14.12.2006, zuletzt ergänzt durch Zusatz zum Arbeitsvertrag vom 02.10.2009, als Copilot auf dem Flugzeugmuster Boeing 737 weiterzubeschäftigen.
II. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens.
III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.750,00 EUR festgesetzt.
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Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um die Pflicht der Verfügungsbeklagten, den Verfügungskläger einstweilen weiter zu beschäftigen.
Der Verfügungskläger ist bei der Verfügungsbeklagten seit dem 15. Januar 2007 als Copilot – seit dem 1. November 2009 in Teilzeit – gegen ein monatliches Entgelt von 1.750,00 € brutto beschäftigt. Er ist Mitglied der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) und nach einem am 5. März 2010 von der VC veröffentlichten Ergebnis zu einem von 5 Mitgliedern der Tarifkommission bei der Verfügungsbeklagten gewählt worden (Ablichtung des Wahlergebnisses Bl. 20 d.A.).
Mit Schreiben vom 23. März 2010 (Ablichtung Bl. 21 d.A.) kündigte die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2010. Auch allen anderen Mitgliedern der Tarifkommission und dem Ersatzmitglied wurde das Arbeitsverhältnis gekündigt. In einer Stellungnahme vom 30. März 2010 (Ablichtung Bl. 23 d.A.) erklärte die Verfügungsbeklagte u.a., dass „G. nicht zum Spielball politisch motivierter Interessen einer VC“ werden solle und die „Forderungen der VC ausschließlich politisch motiviert“ seien.
Die Kündigung greift der Verfügungskläger im Hauptsacheverfahren 29 Ca 5515/10 – bei Gericht eingegangen am 7. April 2010 – an.
Mit seinem am 31. März 2010 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt er seine Weiterbeschäftigung.
Er ist der Ansicht, die Kündigung sei ausschließlich wegen seiner gewerkschaftlichen Betätigung erfolgt und daher offensichtlich unwirksam. Wegen des Verfügungsgrundes beruft er sich auf Anhang III der Verordnung EG Nr. 1899/2006 (Ablichtung Bl. 67 ff. d.A.), wonach er auf den fortlaufenden Nachweis seiner Flugpraxis dringend angewiesen sei.
Der Verfügungskläger beantragt,
der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, ihn nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 14.12.2006, zuletzt ergänzt durch Zusatz zum Arbeitsvertrag vom 02.10.2009, als Copilot auf dem Flugzeugmuster Boeing 737 weiterzubeschäftigen,
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie beruft sich zur Begründung der Kündigung darauf, dass sich die Geschäftsführung unter anderem durch die von Mitarbeitern geäußerte Arbeitsplatzangst unter Druck gesetzt fühle. Bei der VC handele es sich um eine Spartengewerkschaft, die lediglich Funktionseliten (nämlich die Piloten) vertrete. Als Negativbeispiel seien die aktuellen Ereignisse bei der L. zu erwähnen.
Ein Verfügungsgrund liege nicht vor. Die in der Antragsschrift genannte 90-Tages-Frist könne auf 120 Tage und darüber hinaus ausgedehnt werden. Bis 120 Tage des Nichteinsatzes sei zum Nachweis der Flugerfahrung nur ein Streckenflugeinsatz unter Aufsicht eines Lehrberechtigten erforderlich, bei einer Ausdehnung darüber hinaus ein Schulungsflug oder Simulatortest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Antragsschrift nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Die begehrte einstweilige Verfügung war zu erlassen, da die Voraussetzungen für den begehrten Beschäftigungsanspruch vorliegen.
1.
Außerhalb der Regelung der § 102 Abs 5 BetrVG, § 79 Abs 2 BPersVG hat der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen.
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Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG, Großer Senat, Beschluss vom 27.02.1985, GS 1/84, NZA 1985, 702-709).
a) Ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ist in der Hauptsache noch nicht ergangen, so dass der Verfügungskläger hierauf nicht seinen Beschäftigungsanspruch stützen kann.
b) Es bedarf nach alledem der Feststellung, ob bei gekündigtem Arbeitsverhältnis die während der Dauer des Rechtsstreits bestehende Ungewissheit hierüber ein dem Beschäftigungsinteresse des klagenden Arbeitnehmers entgegenstehendes überwiegendes und schutzwertes Interesse des beklagten Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung begründet ist und deswegen einen Beschäftigungsanspruch für die Prozessdauer entfallen lässt.
Die Ungewissheit über den Fortbestand des gekündigten Arbeitsvertrags kann dann nicht zu einer Verschiebung der Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien gegenüber der Zeit des unangefochtenen Bestands des Arbeitsverhältnisses führen, wenn die umstrittene Kündigung offensichtlich unwirksam ist.
Bei offensichtlicher Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung besteht in Wahrheit kein ernstzunehmender Zweifel am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, so dass in einem solchen Fall allein mit der rein subjektiven Ungewissheit des Arbeitgebers über den Prozessausgang kein der Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehendes überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründet werden kann.
Eine offensichtlich unwirksame Kündigung ist allerdings nicht schon dann anzunehmen, wenn ein Instanzgericht die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt. Sie liegt vielmehr nur dann vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen
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die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen muss. Die Unwirksamkeit der Kündigung muss also ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegen. Nur bei einem solchen Verständnis des Begriffs der offensichtlich unwirksamen Kündigung ist es gerechtfertigt, diese Kündigung für die Interessenabwägung unberücksichtigt zu lassen und für den Beschäftigungsanspruch davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht (vgl. BAG a.a.O.).
Vorliegend kann festgestellt werden, dass die Kündigung vom 23. März 2010 offensichtlich unwirksam ist. Nach dem Vortrag der Arbeitgeberin ist diese allein wegen der gewerkschaftlichen Betätigung des Verfügungsklägers erklärt worden.
Ausgehend hiervon ist die Kündigung der Beklagten dann nach § 612 a BGB unwirksam, wenn sie deswegen erfolgt ist, weil der Verfügungskläger für seine Gewerkschaft im Betrieb der Verfügungsbeklagten aktiv war. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG ist das Grundrecht der Koalitionsfreiheit für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Es gewährleistet die Freiheit des Zusammenschlusses zu Vereinigungen und die Freiheit der gemeinsamen Verfolgung dieses Zweckes (BVerfGE 4, 94, 108; 38, 386, 393). Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern versuchen, sind nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig.
2.
Darüber hinaus liegt ein Verfügungsgrund vor. Das besondere Beschäftigungsinteresse des Verfügungsklägers folgt bereits daraus, dass er zur Erhaltung seiner beruflichen Qualifikation dringend auf ständigen Einsatz angewiesen ist, um nicht der Verpflichtung zu einem beaufsichtigten Streckenflugeinsatz oder zu einem Schulungsflug oder Simulatortest ausgesetzt zu sein. Die Einhaltung der 90 bzw. 120-Tages-Fristen kann nicht gewährleistet werden, sollte der Verfügungskläger allein auf das Hauptsacheverfahren zur Erlangung eines Beschäftigungstitels verwiesen werden.
Angesichts der offensichtlichen Unwirksamkeit und auch Grundgesetzwidrigkeit der ausgesprochenen Kündigung sind dem Verfügungskläger derartige Schulungsflüge etc. auch nicht zuzumuten. Ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers ist nicht ersichtlich.
3.
Die Kosten trägt die Verfügungsbeklagte (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO). Der Streitwert ist auf ein Monatsbrutto festgesetzt worden.
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Geschäftszeichen
29 Ga 5197/10
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von d. Verfügungsbeklagten Berufung eingelegt werden.
Die Berufungsschrift muss von einem zugelassenen Rechtsanwalt oder einem Vertreter einer Gewerkschaft bzw. einer Arbeitgebervereinigung oder eines Zusammenschlusses solcher Verbände eingereicht werden.
Die Berufungsschrift muss innerhalb
einer Notfrist von einem Monat
bei dem
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg,
Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin,
eingegangen sein.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass Berufung gegen dieses Urteil eingelegt werde.
Die Berufung ist gleichzeitig oder innerhalb
einer Frist von zwei Monaten
in gleicher Form schriftlich zu begründen.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments im Sinne des § 46 c ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite unter www.berlin.de/erv.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Dabei ist zu beachten, dass das Urteil mit der Einlegung in den Briefkasten oder einer ähnlichen Vorrichtung für den Postempfang als zugestellt gilt.
Wird bei der Partei eine schriftliche Mitteilung abgegeben, dass das Urteil auf der Geschäftsstelle eines Amtsgerichts oder einer von der Post bestimmten Stelle niedergelegt ist, gilt das Schriftstück mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt, also nicht erst mit der Abholung der Sendung.
Das Zustellungsdatum ist auf dem Umschlag der Sendung vermerkt.
Für d. Verfügungskläger/in ist keine Berufung gegeben.
Von der Begründungsschrift werden zwei zusätzliche Abschriften zur Unterrichtung der ehrenamtlichen Richter erbeten.
Weitere Statthaftigkeitsvoraussetzungen ergeben sich aus § 64 Abs.2 ArbGG:
"Die Berufung kann nur eingelegt werden,
a) wenn sie in dem Urteil zugelassen worden ist,
b) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c) in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d) wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall schuldhafter Versäumung nicht vorgelegen habe."
St.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |