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ArbG Frank­furt am Main, Ur­teil vom 29.02.2012, 9 Ga 24/12

   
Schlagworte: Streik
   
Gericht: Arbeitsgericht Frankfurt am Main
Aktenzeichen: 9 Ga 24/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.02.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main

Ak­ten­zei­chen: 9 Ga 24/12

Verkündet am:
29. Fe­bru­ar 2012

Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In dem einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­ren
1.
2.

- Verfügungskläge­rin - 

Pro­zess­be­vollmäch­tigt. zu 1, 2:

ge­gen

- Verfügungs­be­klag­te -

Pro­zess­be­vollmäch­tigt.:

hat das Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main, Kam­mer 9,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 29. Fe­bru­ar 2012

durch den Rich­ter XXXXXXXXX als Vor­sit­zen­den
und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin XXXXX und die
eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin XXXXX für Recht
er­kannt:

1. Der Verfügungs­be­klag­ten wird es un­ter­sagt, in den Ab­tei­lun­gen Vor­feld­kon­trol­le, Vor­feld­auf­sicht und/oder Ver­kehrs­zen­tra­le in dem Zeit­raum bis Don­ners­tag, den 01. März 2012, 5.00 Uhr Streiks durch­zuführen.

2. Der Verfügungs­be­klag­ten wird für je­den Fall der Zu­wi­der­hand­lung ge­gen die vor­ste­hen­den Un­ter­las­sungs­pflich­ten ein Ord­nungs­geld in Höhe von 250.000,00 EUR (in Wor­ten: Zwei­hun­dert-fünf­zig­tau­send und 00/100 Eu­ro), er­satz­wei­se Ord­nungs­haft bis zu sechs Mo­na­ten, zu voll­zie­hen an ih­rem Bun­des­vor­sit­zen­den, an­ge­droht.

3. Die Kos­ten des Rechts­streits hat die Verfügungs­be­klag­te zu tra­gen.

4. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf 5.000.000 Eu­ro fest­ge­setzt.

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Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten im einst­wei­li­gen Rechts­schutz um die Un­ter­las­sung ei­nes Streiks.

Die Verfügungskläge­rin zu 1) be­treibt den XXXXXX. Die Verfügungskläge­rin zu 2) ist die Ober­ge­sell­schaft des XXXXXX-Kon­zerns, ei­nem großen welt­weit agie­ren­den Kon­zern in der zi­vi­len Luft­fahrt. Sie be­treibt die in­tern als XXXXXX Pas­sa­ge be­zeich­ne­te Li­ni­en­flug­ge­sell­schaft mit Frank­furt als Hei­mat­flug­ha­fen.

Die Verfügungs­be­klag­te ist ei­ne Ge­werk­schaft, de­ren Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich sich gemäß der Sat­zung vom 9. Ju­li 2003 in der Fas­sung vom 15. Sep­tem­ber 2010 im We­sent­li­chen auf die Flug­si­che­rung be­zieht.

Un­ter dem 20. De­zem­ber 2007 schlos­sen die Verfügungskläge­rin zu 1) und die Verfügungs­be­klag­te den Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­trag Nr. 32/2007. Bezüglich des In­halts die­ses Ta­rif­ver­tra­ges wird Be­zug ge­nom­men auf Bl. 60 bis 67 d. A..

Mit E-Mail vom 30. Ju­ni 2011 über­sand­te die Verfügungs­be­klag­te der Verfügungskläge­rin zu 1) ein Kündi­gungs­schrei­ben mit dem sie zum 31. De­zem­ber 2011 mit Aus­nah­me der Re­ge­lun­gen in §§ 5 bis 8 kündig­te. Die­ses Schrei­ben ging der Verfügungskläge­rin zu 1) im Ori­gi­nal am 1. Ju­li 2011 zu.

Zwi­schen der Verfügungskläge­rin zu 1) und der Verfügungs­be­klag­ten be­steht ein Ta­rif­kon­flikt, der zunächst im We­ge der Sch­lich­tung bei­ge­legt wer­den soll­te. Er­geb­nis der Sch­lich­tungs­bemühun­gen war ein Sch­lich­tungs­vor­schlag. Hin­sicht­lich die­ses Sch­lich­tungs­vor­schlags wird auf Bl. 77 bis 114 d.A. (Kom­pro­misslösung) Be­zug ge­nom­men.

Mit Schrei­ben vom 15. Fe­bru­ar 2012 (Bl. 15 d. A.) kündig­te die Verfügungs­be­klag­te ge­genüber der Verfügungskläge­rin zu 1) ei­nen zunächst be­fris­te­ten Streik an. Man­gels Ei­ni­gung zwi­schen den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en wur­de der Streik fort­ge­setzt. Zu­letzt kündig­te die Verfügungs­be­klag­te mit Schrei­ben vom 22. Fe­bru­ar 2012 (Bl. 117 d. A.) ei­nen Streik ih­rer Mit­glie­der bei der Verfügungskläge­rin zu 1) in den Ab­tei­lun­gen Vor­feld­kon­trol­le, Ver­kehrs­zen­tra­le und Vor­feld­auf­sicht im Zeit­raum von Sonn­tag, den 26. Fe­bru­ar 2012 von 21:00 Uhr bis zum Don­ners­tag, den 1. März 2012 um 5:00 Uhr

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an. Die­se Maßnah­me soll­te zur Durch­set­zung der Sch­lich­tungs­emp­feh­lung (Bl. 70-114 d. A.) mit den in den Schrei­ben vom 15. und 25 Fe­bru­ar 2012 ge­nann­ten Ein­schränkun­gen (sie­he Bl. 115 und 118 d. A.) die­nen. Der Streik wur­de am Sonn­tag den 26. Fe­bru­ar 2012 aus­ge­ru­fen und be­gann um 21:00 Uhr.


In­fol­ge des Streiks kam es zu Flug­ausfällen, von de­nen so­wohl die Verfügungskläge­rin zu 1) als auch die Verfügungskläge­rin zu 2) be­trof­fen wa­ren. Hin­sicht­lich der Flug­ausfälle und der sich dar­aus er­ge­ben­den Fol­gen für die Verfügungskläge­rin­nen wird auf Bl. 13 bis 41 d. A. Be­zug ge­nom­men.

Die Verfügungskläge­rin­nen sind der Auf­fas­sung, dass die streit­ge­genständ­li­che Ar­beits­kampf­maßnah­me rechts­wid­rig sei, da sie in un­verhält­nismäßiger Wei­se in ih­re ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trie­be ein­grei­fe. Zu­dem ver­s­toße sie ge­gen die re­la­ti­ve und zu­dem ge­gen die gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 des Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­tra­ges be­ste­hen­de er­wei­ter­te Frie­dens­pflicht (dies­bezüglich wird auf Bl. 45 bis 46 und Bl. 116 bis 182 d. A. Be­zug ge­nom­men).

Die An­trag­stel­le­rin­nen be­an­tra­gen mit der bei Ge­richt am 28. Fe­bru­ar 2012 ein­ge­gan­ge­nen An­trags­schrift,

I.
1. der An­trags­geg­ne­rin wird es un­ter­sagt, ih­re Mit­glie­der und sons­ti­ge Ar­beit­neh­mer der An­trag­stel­le­rin zu 1. in den Ab­tei­lun­gen Vor­feld­kon­trol­le, Vor­feld­auf­sicht und/oder Ver­kehrs­zen­tra­le in dem Zeit­raum bis Don­ners­tag, den 1. März 2012, 5.00 Uhr zu Streiks auf­zu­ru­fen und/oder Streiks in den ge­nann­ten Ab­tei­lun­gen durch­zuführen.

2. Hilfs­wei­se zu I, 1: Der An­trags­geg­ne­rin wird es un­ter­sagt, ih­re Mit­glie­der und sons­ti­ge Ar­beit­neh­mer der An­trag­stel­le­rin zu 1. in den Ab­tei­lun­gen Vor­feld­kon­trol­le, Vor­feld­auf­sicht und/oder Ver­kehrs­zen­tra­le in dem Zeit­raum bis Don­ners­tag, den 01. März 2012, 5.00 Uhr, zu Streiks auf­zu­ru­fen und/oder Streiks in ge­nann­ten Ab­tei­lun­gen durch­zuführen, so­fern die­se

a) (aa) an mehr als ei­nem Tag pro Wo­che statt­fin­den;
(bb) hilfs­wei­se zu (aa): an mehr als 2 Ta­gen pro Wo­che statt- fin­den;
(cc) hilfs­wei­se zu (bb): an mehr als 3 Ta­gen pro Wo­che statt­fin­den; und/oder

b) (aa) die Dau­er von 2 St­un­den an ei­nem Tag über­schrei­ten;
(bb) hilfs­wei­se zu (aa): die Dau­er von 4 St­un­den an ei­nem Tag über­schrei­ten;

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(cc) hilfs­wei­se zu (bb): die Dau­er von 6 St­un­den an ei­nem Tag über­schrei­ten;
(dd) hilfs­wei­se zu (cc): die Dau­er von 8 St­un­den an ei­nem Tag über­schrei­ten;
und/oder
(ee) mehr­fach in­ner­halb ei­nes Ta­ges be­gin­nen und/oder en­den:
und/oder

c) un­ter Berück­sich­ti­gung be­reits vor­an­ge­gan­ge­ner Streik­maßna­men (aa) die Dau­er von ins­ge­samt ei­ner Wo­che über­schrei­ten;
(bb) hilfs­wei­se zu (aa): die Dau­er von ins­ge­samt zwei Wo­chen über­schrei­ten;
und/oder

d) zu Ausfällen von mehr als 5 % des re­gulären Flug­ver­kehrs führen.

II. Der An­trags­geg­ne­rin wird für je­den Fall der Zu­wi­der­hand­lung ge­gen die vor­ste­hen­den Un­ter­las­sungs­pflich­ten ein Ord­nungs­geld in Höhe von 250.000,00 EUR (in Wor­ten: Zwei­hun­dert- fünf­zig­tau­send und 00/100 Eu­ro), er­satz­wei­se Ord­nungs­haft bis zu sechs Mo­na­ten, zu voll­zie­hen an ih­rem Bun­des­vor­sit­zen­den, an­ge­droht.

Der An­trags­geg­ner be­an­tragt, die Anträge zurück­zu­wei­sen.

Hin­sicht­lich des Be­klag­ten­vor­trags wird auf Bl. 146 bis 149 so­wie Bl. 157 bis 172 Be­zug ge­nom­men.

Im Übri­gen wird zur Ergänzung des Tat­be­stan­des auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze samt An­la­gen so­wie auf das Pro­to­koll der münd­li­chen Ver­hand­lung ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Anträge zu I. 1. und II. sind zulässig und be­gründet. Über die wei­te­ren le­dig­lich hilfs­wei­se ge­stell­ten Anträge ist man­gels Be­din­gungs­ein­tritts nicht zu ent­schei­den.

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Die Verfügungskläge­rin­nen ha­ben so­wohl ei­nen Verfügungs­an­spruch als auch Verfügungs­grund glaub­haft ge­macht.

Der Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung im Ar­beits­kampf ist nach all­ge­mei­ner An­sicht grundsätz­lich zulässig (in der Li­te­ra­tur z.B. Kis­sel, Ar­beits­kampfR, § 65 Rd­nr. 9 m.w. Nachw.; in der Rspr. z.B. zu­letzt LAG Sach­sen [2. 11. 2007], NZA 2008, NZA 2008, 59 Rd­nr. 91). Bei ei­ner Un­ter­las­sungs­verfügung, wie im vor­lie­gen­den Fall, ist der Verfügungs­an­spruch ein Un­ter­las­sungs­an­spruch, der sich ent­we­der aus der ta­rif­ver­trag­li­chen Frie­dens­pflicht, dem Recht auf Durchführung ei­nes Ar­beits­kampfs aus Art. 9 Abs. 3 GG un­ter Berück­sich­ti­gung der durch die Recht­spre­chung ge­zo­ge­nen Gren­zen so­wie die Re­ge­lun­gen der §§ 823 Abs. 1 und 1004 BGB (Ein­griff in den ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb) er­ge­ben kann. Vor­aus­set­zung für den Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung ist, dass die Rechts­wid­rig­keit des Ar­beits­kampfs oder der ein­zel­nen Ar­beits­kampf­maßnah­men dar­ge­legt und glaub­haft ge­macht wird. Da­bei ist in Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur um­strit­ten, ob die Rechts­wid­rig­keit der Ar­beits­kampf­maßnah­men ein­deu­tig oder of­fen­kun­dig sein muss oder ob ei­ne „ein­fa­che” Rechts­wid­rig­keit der Ar­beits­kampf­maßnah­men aus­rei­chend ist. Mit dem LAG Hes­sen (vom 22. 7. 2004, NZA-RR 2005, 262) schließt sich auch die er­ken­nen­de Kam­mer der letzt­ge­nann­ten Auf­fas­sung an.

Der Verfügungs­an­spruch er­gibt sich aus ei­ner Ver­let­zung der Frie­dens­pflicht ge­genüber der Verfügungskläge­rin zu 1) so­wie aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGG, da die streit­ge­genständ­li­che Streik­maßnah­me eben we­gen die­ses Ver­s­toßes ge­gen die Frie­dens­pflicht rechts­wid­rig ist und in die Rechtsgüter auch der Verfügungskläge­rin zu 2), na­ment­lich in de­ren ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trie­be, ein­greift.

Im Ein­zel­nen:

Der Un­ter­las­sungs­an­spruch der Verfügungskläge­rin zu 1) er­gibt sich hier aus der Ver­let­zung der Frie­dens­pflicht. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob der Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­trag tatsächlich wirk­sam zum 31. De­zem­ber 2011 teil­gekündigt wur­de und ob ei­ne sol­che Teilkündi­gung vor­lie­gend über­haupt möglich war.

Ei­ne Ver­let­zung der Frie­dens­pflicht ist selbst dann ge­ge­ben, wenn man zu­guns­ten der Verfügungs­be­klag­ten ei­ne wirk­sa­me Teilkündi­gung an­nimmt und le­dig­lich die §§ 5 bis 8 des Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­tra­ges fort­gel­ten.

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Die Verfügungs­be­klag­te ver­letzt die zwi­schen ihr und der Verfügungskläge­rin zu 1) be­ste­hen­de Frie­dens­pflicht da­durch, dass sie mit dem streit­ge­genständ­li­chen Streik un­ter an­de­rem Ta­rif­zie­le durch­zu­set­zen ver­sucht, die be­reits ab­sch­ließend zwi­schen den Ta­rif­par­tei­en ge­re­gelt sind.

Da­hin­ste­hen kann in die­sem Zu­sam­men­hang auch, ob die um­fas­sen­de bzw. er­wei­ter­te Frie­dens­pflicht aus § 12 Abs. 2 S. 2 des Ta­rif­ver­tra­ges nach der aus­ge­spro­che­nen Teilkündi­gung noch Gel­tung be­an­spru­chen kann. Denn so­fern von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nicht aus­drück­lich et­was an­de­res ver­ein­bart ist, wirkt die Frie­dens­pflicht je­den­falls re­la­tiv. Sie be­zieht sich nur auf die ta­rif­ver­trag­lich ge­re­gel­ten Ge­genstände (BAG vom 21.12.1982 - 1 AZR 411/80 - BA­GE 41, 209, 219). Ih­re sach­li­che Reich­wei­te ist durch Aus­le­gung der ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen zu er­mit­teln (vgl. et­wa Kis­sel Ar­beits­kampf­recht § 26 Rn. 81 ff.; MünchArbR/Löwisch/Rieb­le 2. Aufl. § 277 Rn. 5; Schu­mann in Däubler Ar­beits­kampf­recht 2. Aufl. Rn. 212; Wie­de­mann in Wie­de­mann TVG 6. Aufl. § 1 Rn. 682). Ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ei­ne be­stimm­te Sach­ma­te­rie er­kenn­bar um­fas­send ge­re­gelt, ist da­von aus­zu­ge­hen, dass sie die­sen Be­reich der Frie­dens­pflicht un­ter­wer­fen und für die Lauf­zeit des Ta­rif­ver­trags die kampf­wei­se Durch­set­zung wei­te­rer Re­ge­lun­gen un­ter­bin­den wol­len, die in ei­nem sach­li­chen in­ne­ren Zu­sam­men­hang mit dem be­frie­de­ten Be­reich ste­hen (vgl. Ja­cobs ZTR 2001, 249; MünchArbR/Löwisch/Rieb­le 2. Aufl. § 277 Rn. 5; Wie­de­mann in Wie­de­mann TVG 6. Aufl. § 1 Rn. 682).

Nach § 12 Abs. 2 S. 1 des Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­tra­ges sol­len die Re­ge­lun­gen für „die ge­nann­ten Zeiträume“ ab­sch­ließend sein. Aus der For­mu­lie­rung im Plu­ral er­gibt sich, dass zu dif­fe­ren­zie­ren ist zwi­schen den­je­ni­gen Re­ge­lun­gen, die bis je­den­falls zum En­de des Jah­res 2017 gel­ten und den­je­ni­gen, die vor­zei­tig künd­bar sind. Der er­kenn­ba­re Wil­le der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ging al­so da­hin, dass die je­wei­li­gen Re­ge­lun­gen bzw. Re­ge­lungs­kom­ple­xe bis zu ei­ner wirk­sa­men Kündi­gung ab­sch­ließend sein sol­len.
Die Verfügungs­be­klag­te be­gehrt mit dem streit­ge­genständ­li­chen Streik die Durch­set­zung der in dem Sch­lich­tungs­vor­schlag vom 2. Fe­bru­ar 2012 (Bl. 77 – 114 d. A.) vor­ge­schla­ge­nen Ta­rif­be­stim­mun­gen. In die­sem vor­ge­schla­ge­nen Ta­rif­werk fin­den sich nun aber auch sol­che Re­ge­lun­gen, die mit den un­gekündig­ten Re­ge­lun­gen aus dem Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­trag in ei­nem sach­li­chen Zu­sam­men­hang ste­hen und von die­sen ab­wei­chen. So fin­det sich in § 7 des Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­tra­ges ei­ne Re­ge­lung über ei­nen Be­las­tungs­aus­gleich. Die­ser re­gelt ab­sch­ließend (s.o.), dass für langjährig

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Beschäftig­te im Be­reich „Apron Con­trol“ als Er­ho­lungs- und auch Präven­ti­ons­maßnah­me ein An­spruch auf Re­ge­ne­ra­ti­ons­ku­ren be­steht. Dem­ge­genüber er­gibt sich aus § 49 des vor­ge­schla­ge­nen Ta­rif­werks, dass darüber hin­aus zur Ent­las­tung älte­rer Mit­ar­bei­ter ein An­spruch auf ei­nen Wech­sel aus der Wech­sel­schicht in den Schicht­dienst be­steht. Bei­de Re­ge­lun­gen ha­ben die Re­du­zie­rung von Be­las­tun­gen zum Ziel und die­nen da­mit dem Ge­sund­heits­schutz. Da­her ste­hen die­se Re­ge­lun­gen in ei­nem aus­rei­chen­den sach­li­chen Zu­sam­men­hang.

Glei­ches gilt für § 8 des Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­tra­ges und § 18 der vor­ge­schla­ge­nen und mit dem streit­ge­genständ­li­chen Streik durch­zu­set­zen­den Ta­rif­re­ge­lung. Auch hier soll zu der ab­sch­ließen­den Re­ge­lung im Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­trag ei­ne wei­te­re Re­ge­lung, die mit die­ser in ei­nem sach­li­chen Zu­sam­men­hang steht, hin­zu­gefügt wer­den. In § 8 des Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­tra­ges fin­det sich ei­ne Re­ge­lung über den fi­nan­zi­el­len Aus­gleich für sol­che Mit­ar­bei­ter, die aus ge­sund­heit­li­chen Gründen nicht mehr auf ei­nem gleich­wer­ti­gen Ar­beits­platz ein­ge­setzt wer­den können. Die Dif­fe­renz zwi­schen den bis­he­ri­gen Mo­nats­bezügen und den künf­ti­gen, soll da­nach ge­staf­felt nach der Be­triebs­zu­gehörig­keit wie folgt ab­ge­si­chert wer­den:

- ab 28 Jah­ren 100%
- ab 23 Jah­ren gleichmäßige Ab­sen­kung auf 90 %
- ab 18 Jah­ren gleichmäßige Ab­sen­kung auf 80 %

§ 18 Abs. 8 des Sch­lich­tungs­vor­schlags enthält eben­falls ei­ne Re­ge­lung über die Beschäfti­gung auf ei­nem nicht gleich­wer­ti­gen Ar­beits­platz und sieht ei­nen nicht nach Beschäfti­gungs­dau­er ge­staf­fel­ten Aus­gleich der Ent­gelt­dif­fe­renz vor. Zwar re­gelt § 18 Abs. 8 le­dig­lich die Fol­gen ei­nes Ar­beits­un­falls, gleich­wohl über­schnei­det sich die­se Re­ge­lung hin­sicht­lich der Adres­sa­ten­krei­se mit der­je­ni­gen in § 8 des Lan­des­be­zirks­ta­rif­ver­tra­ges. Auch die­nen die­se Re­ge­lun­gen dem glei­chen Zweck, nämlich der so­zia­len Ab­si­che­rung von Mit­ar­bei­tern, die aus ge­sund­heit­li­chen Gründen ei­ne ge­ring­wer­ti­ge­re Tätig­keit ausüben müssen.

Der Rechts­wid­rig­keit der streit­ge­genständ­li­chen Streik­maßnah­me steht auch nicht ent­ge­gen, dass der Bun­des­vor­sit­zen­de der Verfügungs­be­klag­ten im Ter­min zur münd­li­chen Ver­hand­lung zu Pro­to­koll erklärte, dass an den o.g. Ta­rif­for­de­run­gen nicht mehr fest­ge­hal­ten wer­de. Viel­mehr han­delt es sich bei der streit­ge­genständ­li­chen Ar­beits­kampf­maßnah­me um ei­ne be­reits an­dau­ern­de ein­heit­li­che Maßnah­me, die auch

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nur ein­heit­lich als recht­wid­rig oder aber rechtmäßig be­ur­teilt wer­den kann. An­ders mag es sich ver­hal­ten, so­lan­ge ei­ne Ar­beits­kampf­maßnah­me le­dig­lich an­gekündigt ist, je­doch noch nicht be­gon­nen hat. Ei­ne sol­che Fall­kon­stel­la­ti­on ist hier aber nicht ge­ge­ben. Die Verfügungskläge­rin zu 1) muss­te spätes­tens mit Auf­ruf zum Streik und der Ar­beits­nie­der­le­gung für die ge­sam­te Dau­er des Streiks Maßnah­men er­grei­fen, um den Aus­wir­kun­gen der Ar­beits­nie­der­le­gung ent­ge­gen­zu­wir­ken. Die Ent­schei­dung wel­che Maßnah­men sie für wel­che Zeit­dau­er durchführt bzw. ob sie sich auf Ver­hand­lun­gen zu den kon­kre­ten Ta­rif­for­de­run­gen einlässt, satt den Ar­beits­kampf hin­zu­neh­men, ori­en­tiert sich an der Abwägung der durch den Ar­beits­kampf ein­tre­ten­den Fol­gen und dem mit dem Ar­beits­kampf durch­zu­set­zen­den Re­ge­lun­gen. Da­her können während ei­ner lau­fen­den Ar­beits­kampf­maßnah­me nicht die Kampf­zie­le geändert wer­den. Ob die zu Pro­to­koll erklärte Ände­rung der Kampf­zie­le nun er­heb­lich oder von über­ge­ord­ne­ter Be­deu­tung ist, ent­zieht sich der Be­ur­tei­lung durch die Ge­rich­te. An­dern­falls würden die Ge­rich­te ei­ne Ta­rif­zen­sur be­trei­ben. Es ist eben nicht die Auf­ga­be der Ge­rich­te die Kampf­zie­le zu be­wer­ten.

Auch die Verfügungskläge­rin zu 2) hat ei­nen Un­ter­las­sungs­an­spruch, der sich aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGG er­gibt, da durch den rechts­wid­ri­gen Streik in ih­ren ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb ein­ge­grif­fen wird. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Verfügungs­be­klag­ten sieht die Kam­mer in dem Streik ei­nen be­triebs­be­zo­ge­nen Ein­griff in den Ge­wer­be­be­trieb der Verfügungskläge­rin zu 2). Der Verfügungs­be­klag­ten ist be­wusst und es ist für sie ge­ra­de auch Mit­tel, um den Ver­hand­lungs­druck zu erhöhen, dass es durch den Streik zu Flug­ausfällen kommt, durch die ge­ra­de und auch zwin­gend die Verfügungskläge­rin zu 2) als am Stand­ort Frank­furt größte Flug­ge­sell­schaft be­trof­fen ist.

Ne­ben dem Verfügungs­an­spruch setzt der Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung als Verfügungs­grund vor­aus, dass die Ge­fahr des endgülti­gen Rechts­ver­lusts be­steht. Der Verfügungs­grund (§§ 935, 940) er­gibt sich aus dem be­reits an­dau­ern­den rechts­wid­ri­gen Ar­beits­kampf un­ter Abwägung In­ter­es­sen der An­trag­stel­le­rin­nen und des Verfügungs­be­klag­ten.

Gemäß § 91 Abs. 1 ZPO hat die Verfügungs­be­klag­te als un­ter­le­ge­ne Par­tei die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des be­ruht auf den von den Verfügungskläge­rin­nen vor­ge­tra­ge­nen und un­strei­tig ge­blie­be­nen wirt­schaft­li­chen Fol­gen des Streiks.

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