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LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 10.11.2011, 5 Sa 227/11

   
Schlagworte: Insolvenz
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 5 Sa 227/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 10.11.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Elmshorn - 3 Ca 1995 d/10
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 5 Sa 227/11
3 Ca 1995 d/10 ArbG Elms­horn

(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

Verkündet am 10.11.2011
Gez....
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes


In dem Rechts­streit

pp.


hat die 5. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 10.11.2011 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­de und d. eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... und ... als Bei­sit­zer

für Recht er­kannt:
 


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Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Elms­horn vom 05.05.2011 – Az.: 3 Ca 1995 d/10 – wird zurück­ge­wie­sen.

Der Kläger trägt die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil ist das Rechts­mit­tel der Re­vi­si­on nicht ge­ge­ben; im Übri­gen wird auf § 72 a ArbGG ver­wie­sen.
 


Tat­be­stand

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Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner In­sol­venz­an­fech­tung. Der Kläger be­gehrt nach er­folg­ter In­sol­venz­an­fech­tung von der Be­klag­ten die Rück­zah­lung noch vor In­sol­ven­zeröff­nung er­hal­te­ner Ge­halts­zah­lun­gen.

Der Kläger wur­de durch Be­schluss des Amts­ge­richts H. vom 13.09.2007, Az.: 67 g IN 287/07, zum In­sol­venz­ver­wal­ter über das Vermögen der Fa. S. AG (im Fol­gen­den: Schuld­ne­rin) be­stellt (Bl. 46 f. d. A.).

Die 57-jähri­ge Be­klag­te war bei der Schuld­ne­rin seit dem 20.03.2000 als Buch­hal­te­rin in Teil­zeit beschäftigt. Der Kläger kündig­te das Ar­beits­verhält­nis in der In­sol­venz zum 31.12.2007. Aus­weis­lich des ihr vom Kläger am 27.09.2007 er­teil­ten Zeug­nis­ses war die Be­klag­te bei der Schuld­ne­rin als „Al­lein­buch­hal­te­rin“ tätig und für (Bl. 48 f. d. A.)

„ei­gen­ver­ant­wort­lich zuständig:
• Al­le an­fal­len­den Buch­hal­tungs­ar­bei­ten im De­bi­to­ren-, Kre­di­to­ren- und Sach­kon­ten­be­reich wie Kon­tie­ren und Bu­chen al­ler Be­le­ge
• Kon­ten­ab­stim­mung
• Über­prüfung der Zah­lungs­eingänge und das Mahn­we­sen
• Führung der Kas­se
• Ab­stim­mung der Kon­ten
• Um­satz­steu­er­vor­an­mel­dun­gen
• Zu­sam­men­fas­sen­de Mel­dung an das Bun­des­amt für Fi­nan­zen
• In­tras­tat­mel­dun­gen
• Zah­lungs­ver­kehr im In- und Aus­land in­klu­si­ve Ak­kre­di­ti­ve, so­wie die Über­wa­chung der Zah­lungs­ter­mi­ne
• Vor­be­rei­ten­de Ar­bei­ten zum Jah­res­ab­schluss und zur Er­stel­lung der Bi­lanz
• Lohn- und Ge­halts­buch­hal­tung, ein­sch­ließlich ab­ge­ben al­ler Mel­dun­gen und aus­stel­len von Be­schei­ni­gun­gen
• Lohn-/Ge­halts­zah­lun­gen an die Mit­ar­bei­ter
• Führung der Ur­laubs­lis­ten
• Über­wa­chung der Zoll­anträge für den Im­port
• Kal­ku­la­ti­on der Ein­stands­prei­se

Zu­dem hat Frau E. die bei Ab­we­sen­heit der Geschäfts­lei­tung ihr ver­trau­ens­voll über­tra­ge­nen Auf­ga­ben der Geschäfts­lei­tung stets zu un­se­rer volls­ten Zu­frie­den­heit aus­geübt. ...“

Von Mai 2006 bis zum 31.12.2006 war sie ar­beits­unfähig er­krankt. Sie er­ar­bei­te­te für die Ge­mein­schuld­ne­rin die Ar­beits­bi­lanz vom 30.04.2007, die bei ei­nem ge­zeich­ne­ten Ka­pi­tal von € 256.000,00 ei­nen Ver­lust von € 631.000,00 aus­weist (Bl. 50 ff.

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d. A.). Die Schuld­ne­rin be­auf­trag­te die Fa. E. S. M. Un­ter­neh­mens­be­ra­tung GmbH mit der Er­stel­lung ei­nes Sa­nie­rungs­kon­zepts. Die­se führ­te die Ar­bei­ten im Zeit­raum vom 11.06. bis 29.06.2007 durch. In dem Sa­nie­rungs­kon­zept vom 03.07.2007 (aus-zugs­wei­se, Bl. 58 ff. d. A.) heißt es u.a. zu­sam­men­fas­send (Bl. 59 d. A.):

„Die Er­rei­chung der Er­geb­nis­zie­le ist maßgeb­lich abhängig von der kurz­fris­ti­gen Rea­li­sie­rung der ge­setz­ten ho­hen Um­satz­zie­le, ins­be­son­de­re bei Swan-Ar­ti­keln.

Das bi­lan­zi­el­le Ei­gen­ka­pi­tal der Ge­sell­schaft ist per 31.01.2007 ne­ga­tiv; durch Ran­grück­trit­te auf Ge­sell­schaf­ter­dar­le­hen fällt das wirt­schaft­li­che Ei­gen­ka­pi­tal je­doch po­si­tiv aus. Per 30.04.2007 ist das wirt­schaft­li­che Ei­gen­ka­pi­tal nur noch aus­ge­gli­chen. Zur Stärkung des Ei­gen­ka­pi­tals soll die Be­tei­li­gung ei­nes däni­schen Lie­fe­ran­ten am Un­ter­neh­men, u.a. durch Ver­zicht auf des­sen Lie­fe­ran­ten­ver­bind­lich­kei­ten, ein­ge­wor­ben wer­den.

Die Li­qui­ditäts­si­tua­ti­on ist äußerst an­ge­spannt, die ak­tu­el­len Kon­to­kor­rent­li­ni­en sind im Be­trach­tungs­zeit­raum nicht aus­rei­chend. In der Spit­ze wird im zwei­ten Halb­jahr 2007 zusätz­li­che Li­qui­dität von ca. TEUR 200 benötigt. Die zusätz­li­chen Mit­tel die­nen der Rückführung von Alt­ver­bind­lich­kei­ten“

Be­reits seit Be­ginn des Jah­res 2007 hat­te die Schuld­ne­rin fälli­ge Ver­bind­lich­kei­ten aus Lie­fe­run­gen und Leis­tun­gen in Höhe mehr als € 63.000,00 nicht mehr be­dient (vgl. Ta­bel­le nach § 175 In­sO, Bl. 4 ff. d. A.). Ins­ge­samt be­stan­den fälli­ge Ver­bind­lich­kei­ten von mehr als € 240.000,00, die über ei­nen Zeit­raum von mehr als drei Wo­chen von der Schuld­ne­rin nicht be­dient wur­den. Die Löhne und Gehälter bis ein-schließlich Ju­li 2007 zahl­te die Schuld­ne­rin in­des­sen je­weils ter­min­ge­recht. Für die Mo­na­te Ja­nu­ar 2007 bis Ju­li 2007 zahl­te die Schuld­ne­rin an die Be­klag­te je­weils zu Be­ginn des Fol­ge­mo­nats de­ren mo­nat­li­ches Net­to­ge­halt in Höhe von je­weils € 1.431,90.

Am 10.08.2007 stell­te die Schuld­ne­rin bei dem Amts­ge­richt In­sol­venz­an­trag.

Der Kläger focht u.a. die Net­to­ge­halts­zah­lun­gen der Be­klag­ten für die Zeit von Ja­nu­ar bis ein­sch­ließlich Ju­li 2007 an und for­der­te die Be­klag­te er­folg­los zur Rück­zah­lung der­sel­ben in Höhe von ins­ge­samt € 10.023,30 auf.

Mit der am 30.12.2010 vor dem Ar­beits­ge­richt er­ho­be­nen Zah­lungs­kla­ge hat der Kläger sei­ne Ansprüche wei­ter­ver­folgt.

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Der Kläger hat be­haup­tet,
die Schuld­ne­rin sei zum Zeit­punkt der je­wei­li­gen Ge­halts­zah­lun­gen be­reits zah­lungs­unfähig ge­we­sen. An­spruchs­grund­la­ge sei § 133 Abs. 1 In­sO. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­ho­fes ha­be ein Schuld­ner die an­ge­foch­te­nen Rechts­hand­lun­gen dann mit Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz vor­ge­nom­men, wenn er zur­zeit ih­rer Wirk­sam­keit zah­lungs­unfähig ge­we­sen sei. Dies sei vor­lie­gend der Fall ge­we­sen. Auch die Be­klag­te ha­be Kennt­nis von der zu­min­dest dro­hen­den Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin ge­habt. Denn die Be­klag­te ha­be als Al­lein­buch­hal­te­rin In­si­der­kennt­nis­se ge­habt. Sie ha­be die Ar­beits­bi­lanz als auch die Ge­winn- und Ver­lust­rech­nung er­stellt und sei eng mit der Er­stel­lung des Sa­nie­rungs­kon­zepts der Un­ter­neh­mens­be­ra­tung GmbH ver­bun­den ge­we­sen. Sie ha­be mit­hin po­si­ti­ve Kennt­nis von der Li­qui­ditätsla­ge der Schuld­ne­rin und de­ren Zah­lungs­ver­hal­ten ge­habt. Der Hin­weis der Be­klag­ten auf ein Bar­geschäft ge­he bei ei­ner An­fech­tung nach § 133 Abs. 1 In­sO fehl. § 142 In­sO fin­de aus­drück­lich auf An­fech­tun­gen gemäß § 133 Abs. 1 In­sO kei­ne An­wen­dung.

Der Kläger hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn € 10.023,30 nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz p.a. hier­auf seit dem 13.09.2007 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat be­strit­ten,
kon­kre­te Kennt­nis­se über die Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin ge­habt zu ha­ben. Fi­nan­zi­el­le Engpässe sei­en in der Ver­gan­gen­heit stets aus dem Pri­vat­vermögen aus­ge­gli­chen wor­den. Außer­dem sei zum Jah­res­wech­sel 2006/2007 ein neu­er Ge­sell­schaf­ter in die Fir­ma auf­ge­nom­men wor­den. Hin­zu sei die neue Zu­sam­men­ar­beit mit ei­ner Fir­ma aus Däne­mark auf­ge­nom­men, von dort sei­en Lie­fe­run­gen von über € 100.000,00 ein­ge­gan­gen, die auf Kom­mis­si­on ver­kauft wer­den soll­ten. Steu­er­schul­den oder rückständi­ge So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge ha­be es nicht ge­ge­ben, Löhne und Gehälter sei­en im­mer pünkt­lich aus­ge­zahlt wor­den. Auch ei­ne et­wai­ge Sper­re von Kre­di­ten sei ihr nicht be­kannt ge­we­sen.

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We­gen des wei­te­ren Sach- und Streit­stands in ers­ter In­stanz wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ein­sch­ließlich der In­be­zug­nah­men ver­wie­sen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 05.05.2011 die Kla­ge in vol­lem Um­fang ab­ge­wie­sen. Die An­fech­tung bei Zah­lung von rückständi­gem Ar­beits­lohn ver­lan­ge nach § 130 Abs. 1 In­sO in ob­jek­ti­ver Hin­sicht Zah­lungs­unfähig­keit und in sub­jek­ti­ver Hin­sicht po­si­ti­ve Kennt­nis des Ar­beit­neh­mers von die­ser Zah­lungs­unfähig­keit, al­so ein si­che­res Wis­sen über des­sen Li­qui­ditätsla­ge. Ty­pi­sche In­di­zi­en dafür sei­en rück-ständi­ge So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge, schlep­pen­de Zah­lung von Löhnen und Gehältern, ge­sperr­te Kre­dit­li­ni­en oder Schwie­rig­kei­ten bei der Ab­wick­lung von Verträgen. Auf­grund der Kom­ple­xität des Sach­ver­halts der Zah­lungs­unfähig­keit könne von ei­ner Kennt­nis der Gläubi­ger nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­ho­fes (Urt. v. 19.02.2009 – IX ZR 62/08) nur bei in­sti­tu­tio­nel­len Gläubi­gern oder Gläubi­gern mit In­si­der­kennt­nis­sen aus­ge­gan­gen wer­den. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers ha­be die Be­klag­te trotz ih­rer Stel­lung als Al­lein­buch­hal­te­rin kei­ne In­si­der­kennt­nis­se ge­habt. Kon­kre­te An­halts­punk­te für die Zah­lungs­unfähig­keit wie rückständi­ge Löhne und Gehälter, Sper­rung von Kre­dit­li­ni­en, stei­gen­de Steu­er­schul­den, rückständi­ge So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge hätten bei der Schuld­ne­rin nicht vor­ge­le­gen. Ein Ge­samtüber­blick über die Li­qui­ditätsla­ge des Un­ter­neh­mens der Schuld­ne­rin ha­be die Be­klag­te nicht ge­habt. Auch die darüber hin­aus hier ge­for­der­te Kennt­nis der Be­klag­ten von dem et­wai­gen Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 In­sO lie­ge nicht vor. Die Be­klag­te sei we­der Steu­er­be­ra­ter noch Wirt­schafts­prüfer, son­dern in Teil­zeit ar­bei­ten­de Buch­hal­te­rin ei­nes mit­telständi­schen Be­triebs, die noch da­zu vor der Kri­se lang­zeit­ar­beits­unfähig ge­we­sen sei.

Ge­gen die­ses ihm am 16.05.2011 zu­ge­stell­te Ur­teil hat der Kläger am 09.06.2011 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se am 01.07.2011 be­gründet.

Der Kläger wie­der­holt
 


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im We­sent­li­chen sei­nen erst­in­stanz­li­chen Vor­trag. Der Kläger stützt den Rück­zah­lungs­an­spruch auf §§ 143 Abs. 1, 130 Abs. 1 In­sO. Das Ar­beits­ge­richt ha­be feh­ler­haft auf die Kennt­nis des Be­nach­tei­li­gungs­vor­sat­zes nach § 133 Abs. 1 In­sO ab­ge­stellt. Die Be­klag­te ha­be die Zah­lungs­ein­stel­lung der Schuld­ne­rin und da­mit die Zah­lungs­unfähig­keit ge­kannt. Ein Buch­hal­ter sei ein In­si­der im Sin­ne der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­ho­fes. Als Al­lein­buch­hal­te­rin sei­en sämt­li­che Rech­nun­gen und Zah­lun­gen über die Be­klag­te ge­lau­fen. Be­reits aus dem Zeug­nis er­ge­be sich, dass die Be­klag­te sämt­li­che Buch­hal­tungs­ar­bei­ten ei­gen­ver­ant­wort­lich aus­geführt ha­be. Sie ha­be so­mit ei­nen vollständi­gen Über­blick über sämt­li­che Zah­lung­sein- und -ausgänge ge­habt. Sie ha­be er­ken­nen müssen, dass al­lei­ne schon die Sum­me von € 52.929,87 be­reits per 31.12.2006 fällig ge­we­sen, aber nicht ge­zahlt wor­den sei. Die so bei den Gläubi­gern er­zwun­ge­ne St­un­dung re­sul­tier­te be­reits teil­wei­se aus dem Jahr 2005. Die Be­klag­te ha­be mit­hin nicht mehr nur von ei­ner Zah­lungs­sto­ckung aus­ge­hen dürfen. Sie ha­be dem­zu­fol­ge von der Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ner ge­wusst. Un­ge­ach­tet des­sen lägen auch die Vor­aus­set­zun­gen des § 133 Abs. 1 In­sO vor. Die Schuld­ne­rin ha­be die Ge­halts­zah­lun­gen mit Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz getätigt. Mit Vor­satz hand­le re­gelmäßig der­je­ni­ge späte­re Schuld­ner, wenn er im Zeit­punkt der Zah­lung be­reits zah­lungs­unfähig sei. Auch kon­gru­en­te De­ckungs­hand­lun­gen un­ter­fie­len der Vor­satz­an­fech­tung. Nur wenn ei­ne kon­kre­te Aus­sicht be­ste­he, die Kri­se zu über­win­den, könne Vor­satz aus­ge­schlos­sen wer­den. Sol­che Umstände hätten bei der Schuld­ne­rin in­des­sen nicht be­stan­den. Die Be­klag­te ha­be von dem Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin auch Kennt­nis ge­habt. Sie ha­be zu­min­dest auch Kennt­nis von der dro­hen­den Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin ge­habt, als sie die Ge­halts­zah­lun­gen er­hal­ten ha­be.

Der Kläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Elms­horn vom 05.05.2011, Az.: 3 Ca 1995 d/10 ab­zuändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn € 10.023,30 nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz p.a. hier­auf seit dem 13.09.2007 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ver­tei­digt
 


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das an­ge­foch­te­ne Ur­teil. Sie ha­be we­der die Zah­lungs­ein­stel­lung noch die Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin ge­kannt. Bis zum 31.01.2007 sei sie ar­beits­unfähig krank ge­we­sen. Sie ha­be sich auf die Aus­sa­gen der Geschäfts­lei­tung ver­las­sen. Ihr sei mit­ge­teilt wor­den, dass ein neu­er Ge­sell­schaf­ter in die Fir­ma ein­tre­te. Von die­sem sei ei­ne Sum­me von € 100.000,00 ein­ge­gan­gen. Sie sei we­der un­ter­schrifts­be­fugt ge­we­sen, noch ha­be sie Ent­schei­dun­gen tref­fen dürfen. Viel­mehr ha­be sie ein¬zig auf An­wei­sung der Geschäftsführung ge­han­delt. Der Kläger könne sich auch nicht auf das ein­ge­reich­te Zeug­nis be­ru­fen.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en im Be­ru­fungs­ver­fah­ren wird auf den münd­lich vor­ge­tra­ge­nen In­halt der zwi­schen ih­nen ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie den In­halt des Sit­zungs­pro­to­kolls vom 10.11.2011 ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung des Klägers ist zulässig.

In der Sa­che selbst hat die Be­ru­fung in­des­sen kei­nen Er­folg, sie ist un­be­gründet.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Zah­lungs­kla­ge im Er­geb­nis zu Recht ab­ge­wie­sen. Der Kläger hat ge­genüber der Be­klag­ten kei­nen An­spruch auf Rück­zah­lung von € 10.023,30. Der Zah­lungs­an­spruch ist nicht auf­grund der In­sol­venz­an­fech­tung der er­folg­ten Net­to­ge­halts­zah­lun­gen für die Mo­na­te Ja­nu­ar bis ein­sch­ließlich Ju­li 2007 be­gründet. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen in­sol­venz­recht­li­chen Rück­gewähran­spruch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 In­sO lie­gen hier nicht vor. Es fehlt an ei­nem An­fech­tungs­tat­be­stand.

1. Der Kläger geht in der Be­ru­fungs­be­gründung (Sei­te 2-9) be­reits von der fal­schen An­spruchs­norm aus. Vor­lie­gend kann der Rück­zah­lungs­an­spruch nicht auf §§ 143 Abs. 1, 130 Abs. 1 Alt. 1 In­sO gestützt wer­den. Der Rück­zah­lungs­an­spruch nach die­ser Norm schei­tert schon des­halb, weil die über­wie­gen­den tatsächli­chen Ge­halts­zah­lun­gen außer­halb des Drei­mo­nats­zeit­raums getätigt wur­den.

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a) Nach § 130 Abs. 1 Alt. 1 In­sO ist ei­ne Rechts­hand­lung u.a. an­fecht­bar, die ei­nem In­sol­venzgläubi­ger Be­frie­di­gung gewährt, wenn sie in­ner­halb der letz­ten drei Mo­na­te vor dem An­trag auf Eröff­nung der In­sol­venz vor­ge­nom­men wor­den ist, die Ge­mein­schuld­ne­rin zu die­sem Zeit­punkt zah­lungs­unfähig war und der Gläubi­ger dies wuss­te. Nach § 130 Abs. 2 In­sO steht die Kennt­nis des An­fech­tungs­geg­ners von der Zah­lungs­unfähig­keit der Ge­mein­schuld­ne­rin der Kennt­nis von Umständen gleich, die zwin­gend auf die Zah­lungs­unfähig­keit schließen las­sen.

b) Der Kläger hat zwar sub­stan­ti­iert dar­ge­legt, dass die Schuld­ne­rin be­reits seit Be­ginn 2007 zah­lungs­unfähig war. Hier­von geht auch die Be­ru­fungs­kam­mer auf­grund der ein­ge­reich­ten Ta­bel­le nach § 175 In­sO aus. Die Be­klag­te ist in­so­weit dem sub­stan­ti­ier­ten und be­leg­ten Vor­trag des Klägers zur Zah­lungs­unfähig­keit auch nicht in er­heb­li­cher Wei­se ent­ge­gen ge­tre­ten, so­dass die An­spruchs­vor­aus­set­zung der Zah­lungs­unfähig­keit als zu­ge­stan­den gilt.

Es kann an die­ser Stel­le da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die Be­klag­te sub­jek­ti­ve Kennt­nis von der Zah­lungs­unfähig­keit der Schuld­ne­rin hat­te. Die­se Fra­ge ist zwi­schen den Par­tei­en höchst strei­tig, braucht an die­ser Stel­le in­des­sen nicht geklärt zu wer­den. Denn be­reits we­gen der zeit­li­chen Be­schränkung (letz­ten drei Mo­na­te vor dem An-trag) würden nur die­je­ni­gen Zah­lun­gen von der In­sol­venz­an­fech­tung nach § 130 Abs. 1 In­sO er­fasst, die tatsächlich erst nach dem 10.05.2007 er­folg­ten. Da nach dem un­strei­ti­gen Sach­ver­halt die Schuld­ne­rin an al­le Ar­beit­neh­mer, so auch die Kläge­rin, die Net­to­gehälter stets im Fol­ge­mo­nat aus­ge­zahlt hat, fal­len in den für die De­ckungs­an­fech­tung maßgeb­li­chen Drei­mo­nats­zeit­raum vom 11.05. bis 10.08.2007 gemäß § 130 Abs. 1 In­sO nur die Ge­halts­zah­lun­gen für die Mo­na­te Mai, Ju­ni und Ju­li 2007. Dass die Schuld­ne­rin das April­ge­halt 2007 erst nach dem 10.05.2007 aus­ge­zahlt hat, hat der Kläger nicht sub­stan­ti­iert dar­ge­legt. Letzt­lich kann an die­ser Stel­le der ge­naue Zeit­punkt der Aus­zah­lung des April­ge­halts 2007 aber auch da­hin­ge­stellt blei­ben. Die De­ckungs­an­fech­tung nach § 130 Abs. 1 In­sO kommt vor­lie­gend in Gänze, d.h. auch für die in­ner­halb des Drei­mo­nats­zeit­raums getätig­ten Ge­halts­zah­lun­gen, nicht in Be­tracht, weil es sich bei den Ge­halts­zah­lun­gen um so­ge­nann­te Bar­geschäfte gemäß § 142 In­sO han­del­te.

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2. Aber auch so­weit die Ge­halts­zah­lun­gen tatsächlich in­ner­halb des Drei­mo­nats­zeit­raums, mit­hin nach dem 10.05.2007 er­folg­ten, un­ter­lie­gen sie als Bar­geschäfte i. S. v. § 142 In­sO nicht der An­fech­tung nach § 130 Abs. 1 In­sO (BAG, Urt. v. 06.10.2011 - 6 AZR 262/10 -, PM Nr. 75/11). Da es sich bei den streit­ge­genständ­li­chen ein­zel­nen Ge­halts­zah­lun­gen je­weils um die Be­glei­chung der fälli­gen Ge­halts­zah­lun­gen aus dem je­wei­li­gen Vor­mo­nat han­del­te, er­wei­sen sie sich als Bar­geschäft nach § 142 In­sO. Nach die­ser Vor­schrift ist ei­ne Leis­tung des Schuld­ners, für die un­mit­tel­bar ei­ne gleich­wer­ti­ge Ge­gen­leis­tung in sein Vermögen ge­langt, nur an­fecht­bar, wenn die ge­genüber § 130 Abs. 1 In­sO stren­ge­ren Vor­aus­set­zun­gen des § 133 Abs. 1 In­sO eben­falls ge­ge­ben sind.

Ei­ne An­fech­tung we­gen vorsätz­li­cher Be­nach­tei­li­gung nach § 133 Abs. 1 In­sO setzt vor­aus, dass der Schuld­ner in den letz­ten zehn Jah­ren vor dem An­trag auf Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens Rechts­hand­lun­gen mit dem Vor­satz vor­ge­nom­men hat, sei­ne Gläubi­ger zu be­nach­tei­li­gen und dass der An­fech­tungs­geg­ner wuss­te, dass die Zah­lungs­unfähig­keit des Schuld­ners droh­te und dass die Hand­lung die Gläubi­ger be­nach­tei­lig­te. Die Vor­satz­an­fech­tung, die Rechts­hand­lun­gen aus den letz­ten zehn Jah­ren vor dem In­sol­venz­an­trag be­tref­fen kann, hat ge­genüber der De­ckungs­an­fech­tung stren­ge­re Vor­aus­set­zun­gen im Hin­blick auf den Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz und die ent­spre­chen­de Kennt­nis des An­fech­tungs­geg­ners. Ne­ben dem ge­for­der­ten Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz und der ent­spre­chen­den Kennt­nis des An­fech­tungs­geg­ners müssen auch die Vor­aus­set­zun­gen des § 130 Abs. 1 In­sO vor­lie­gen, d.h. die Zah­lungs­unfähig­keit des Schuld­ners und die ent­spre­chen­de Kennt­nis des An­fech­tungs­geg­ners gemäß § 130 Abs. 1 und Abs. 2 In­sO.

Die Kam­mer geht zwar da­von aus, dass die Schuld­ne­rin zum Zeit­punkt der strit­ti­gen Ge­halts­zah­lun­gen zah­lungs­unfähig war, in­des­sen hat der Kläger nicht sub­stan­ti­iert dar­ge­legt, dass die Be­klag­te auch Kennt­nis von Umständen hat­te, die zwin­gend auf die Zah­lungs­unfähig­keit schließen las­sen, § 130 Abs. 2 In­sO (a). Un­ge­ach­tet des­sen han­del­te die Schuld­ne­rin in Be­zug auf die streit­ge­genständ­li­chen Ge­halts­zah­lun­gen auch nicht mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz, § 133 Abs. 1 In­sO (b). Die Be­klag­te konn­te auch kei­ne Kennt­nis da­von ha­ben, dass die Schuld­ne­rin mögli­cher­wei­se mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz ih­re Net­to­gehälter an­ge­wie­sen hat (c).

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a) Nach § 130 Abs. 2 In­sO steht der Kennt­nis der Zah­lungs­unfähig­keit oder des Eröff­nungs­an­tra­ges die Kennt­nis von Umständen gleich, die zwin­gend auf die Zah­lungs­unfähig­keit oder den Eröff­nungs­an­trag schließen las­sen. Der zwin­gen­de Schluss aus In­di­ztat­sa­chen auf die Zah­lungs­unfähig­keit kann nur dann ge­zo­gen wer­den, wenn sich ein red­lich Den­ken­der, vom ei­ge­nen Vor­teil un­be­ein­fluss­ter, an­ge­sichts der ihm be­kann­ten Tat­sa­chen der Ein­sicht nicht ver­sch­ließen kann, der Schuld­ner sei zah­lungs­unfähig. (BAG, Urt. v. 19.02.2009 – IX ZR 62/08 –, ZIP 2009, 526 ff.). Die Kennt­nis ein­zel­ner Tat­sa­chen, die für ei­ne Zah­lungs­ein­stel­lung oder Zah­lungs­unfähig­keit spre­chen, genügen noch nicht, wenn sie nur die un­ge­wis­se Möglich­keit ei­ner Zah­lungs­unfähig­keit befürch­ten las­sen. In al­ler Re­gel ha­ben nur in­sti­tu­tio­nel­le Gläubi­ger selbst oder Gläubi­ger/Ar­beit­neh­mer mit so­ge­nann­ten In­si­der­kennt­nis­sen ei­nen der­ar­ti­gen Über­blick über das Ak­tiv­vermögen, of­fe­ne For­de­run­gen und Ver­bind­lich­kei­ten, St­un­dungs­ab­re­den und das Zah­lungs­ver­hal­ten des Schuld­ners, so­dass sie die Li­qui­ditäts- und Zah­lungs­la­ge des schuld­ne­ri­schen Un­ter­neh­mens über­bli­cken können (BAG, Urt. v. 19.02.2009 – IX ZR 62/08 -, a.a.O.).

Ge­mes­sen an die­sen stren­gen Vor­aus­set­zun­gen kann nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Be­klag­te über In­si­der­wis­sen im vor­ge­nann­ten Sin­ne verfügte. Die Be­klag­te war zwar die ein­zi­ge Buch­hal­te­rin der Schuld­ne­rin, in­des­sen hat die Be­klag­te vor­ge­tra­gen, dass sie stets auf Wei­sun­gen der Schuld­ne­rin ge­han­delt hat. Der Kläger kann sich zum Nach­weis des Ge­gen­teils nicht auf das von ihm selbst aus­ge­stell­te Zeug­nis be­ru­fen, zu­mal der In­halt ei­nes Zeug­nis­ses ers­tens vom Wohl­wol­len­s­prin­zip ge­prägt und oft­mals auch zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer „geschönt“ ist. Der In­halt des Zeug­nis­ses vom 27.09.2007 kann nicht zum Nach­weis des tatsächlich ge­leb­ten Ar­beits­verhält­nis­ses her­hal­ten. Die Be­klag­te hat zu­dem un­wi­der­spro­chen vor­ge­tra­gen, dass in der Ver­gan­gen­heit Ver­lus­te durch Pri­vat­ein­la­gen der Ge­sell­schaf­ter aus­ge­gli­chen wur­den und ein neu­er Ge­sell­schaf­ter zu Jah­res­be­ginn auf­ge­nom­men wor­den sei. Des Wei­te­ren hat die Be­klag­te un­wi­der­spro­chen vor­ge­tra­gen, dass die Löhne und Gehälter der Mit­ar­bei­ter stets pünkt­lich ge­zahlt wor­den sei­en. Der Kläger hat auch nicht sub­stan­ti­iert dar­ge­legt, dass sich die Schuld­ne­rin mit der Abführung der So­zi­al­ab­ga­ben und Lohn­steu­er über ei­nen länge­ren Zeit­raum in Ver­zug be­fand. Zu­dem hat die Be­klag­te un­wi­der­spro­chen vor­ge­tra­gen, dass ihr nicht be-
 


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kannt ge­we­sen sei, dass ir­gend­wel­che Kre­dit­li­ni­en ge­sperrt ge­we­sen sei­en. Sie hat auch nur die für den Jah­res­ab­schluss und die Bi­lan­zen er­for­der­li­chen Un­ter­la­gen zu­sam­men­ge­stellt. Es kann mit­hin nicht fest­ge­stellt wer­den, dass die Be­klag­te all die­je­ni­gen Tat­sa­chen kann­te, um sich ein um­fas­sen­des Bild über die ge­sam­te Li­qui­ditäts- und Zah­lungs­la­ge der Schuld­ne­rin zu ma­chen. Dies gilt erst Recht vor dem Hin­ter­grund, dass die Be­klag­te zu­min­dest bis En­de 2006 na­he­zu ein Drei­vier­tel­jahr ar­beits­unfähig krank ge­we­sen ist und nur in Teil­zeit als Buch­hal­te­rin in ei­nem eher klei­nen mit­telständi­schen Un­ter­neh­men mit ca. acht An­ge­stell­ten und wei­te­ren ca. sie­ben La­ger­ar­bei­tern ge­ar­bei­tet hat. Bei der Be­klag­ten han­delt es sich um ei­ne wei­sungs­ge­bun­de­ne Buch­hal­te­rin und we­der um ei­ne Steu­er­be­ra­te­rin noch Be­triebs­wir­tin.


b) Un­ge­ach­tet des­sen ist aber auch nicht die wei­ter­ge­hen­de Vor­aus­set­zung der Vor­satz­an­fech­tung nach § 133 Abs. 1 Satz 1 In­sO ge­ge­ben. Die Vor­satz­an­fech­tung setzt vor­aus, dass der Schuld­ner, der die Zah­lung vor­nimmt, nicht nur im Zeit­punkt der den An­fech­tungs­geg­ner begüns­ti­gen­den Rechts­hand­lung zah­lungs­unfähig ist, son­dern auch mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz ge­han­delt habt. Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz ist da­nach ge­ge­ben, wenn der Schuld­ner bei der Vor­nah­me der Rechts­hand­lung (§ 140 In­sO), d.h. bei de­ren Wirk­sam­wer­den, die Be­nach­tei­li­gung der Gläubi­ger im All­ge­mei­nen als Er­folg sei­ner Rechts­hand­lung ge­wollt oder als mut­maßli­che Fol­ge sei­ner Rechts­hand­lun­gen er­kannt und ge­bil­ligt hat (BGH, Urt. v. 24.05.2007 – IX ZR 97/06 -, ZIP 2007, 1511 ff.; BGH, Urt. v. 08.12.2005 – IX ZR 182/01 -, ZIP 2006, 290 ff.). Er muss al­so ent­we­der wis­sen, dass er ne­ben dem An­fech­tungs­geg­ner nicht al­le Gläubi­ger in­ner­halb an­ge­mes­se­ner Zeit be­frie­di­gen kann, oder aber sich die­se Fol­ge als möglich vor­ge­stellt, sie aber in Kauf ge­nom­men ha­ben, oh­ne sich durch die Vor­stel­lung die­ser Möglich­keit von sei­nem Han­deln ab­hal­ten zu las­sen. Ist der Schuld­ner im Zeit­punkt der Vor­nah­me der Rechts­hand­lung be­reits zah­lungs­unfähig, han­delt er folg­lich nur dann nicht mit dem Vor­satz, die Ge­samt­heit der Gläubi­ger zu be­nach­tei­li­gen, wenn er auf­grund kon­kre­ter Umstände - et­wa der si­che­ren Aus­sicht, demnächst Kre­dit zu er­hal­ten oder For­de­run­gen rea­li­sie­ren zu können - mit ei­ner bal­di­gen Über­win­dung der Kri­se rech­nen kann. Der Schuld­ner, der sei­ne Zah­lungs­unfähig­keit kennt, han­delt da­nach in al­ler Re­gel mit Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz. Der Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz setzt kein un­lau­te­res Zu­sam-


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men­wir­ken von Schuld­nern und Gläubi­gern vor­aus; viel­mehr genügt - auch bei kon­gru­en­ter De­ckung wie hier - be­ding­ter Vor­satz (BGH, Urt. v. 08.12.2005 - VI ZR 182/01 -, a.a.O.; BGH Urt. v. 20.12.2007 - IX ZR 93/06 -, ZIP 2008, 420 ff.). Gewährt der Schuld­ner dem Gläubi­ger mit den an­ge­foch­te­nen Rechts­hand­lun­gen in­des­sen nur das, wor­auf die­ser ei­nen An­spruch hat­te, al­so ei­ne kon­gru­en­te De­ckung, sind an die Dar­le­gung und den Be­weis des Be­nach­tei­li­gungs­vor­sat­zes al­ler­dings erhöhte An­for­de­run­gen zu stel­len (BGH, Urt. v. 13.05.2004 - IX ZR 190/03 -, ZIP 2004, 1512 ff.; BGH, Urt. v. 20.12.2007 - IX ZR 93/06 -, a. a. O.). Ein künf­ti­ger In­sol­venz­schuld­ner han­delt dem­ge­genüber dann nicht mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz, wenn er ei­ne kon­gru­en­te Ge­gen­leis­tung für die von ihm emp­fan­ge­ne Leis­tung er­bringt, wel­che zur Fortführung sei­nes ei­ge­nen Un­ter­neh­mens nötig ist und da­mit den Gläubi­gern im All­ge­mei­nen nützt (BGH, Be­schl. v. 16.07.2009 – IX ZR 28/07 -, NZI 2009, 723 f.; BGH, Urt. v. 10.07.1997 – IX ZR 234/96 -, ZIP 1997, 1551 ff.). Ähn­li­ches gilt für so­ge­nann­te Bar­geschäfte i. S. v. § 142 In­sO (Kreft, In­sO, 6. Aufl., 2011, Rn. 14 zu § 133 In­sO). Bei kon­gru­en­ter De­ckung kann in­des­sen ein Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz dann zu be­ja­hen sein, wenn es dem Schuld­ner we­ni­ger auf die Erfüllung sei­ner Ver­trags­pflich­ten, son­dern mehr auf die Ver­ei­te­lung der Ansprüche an­de­rer Gläubi­ger an­kommt, et­wa wenn der Schuld­ner mit dem Gläubi­ger in der Ab­sicht zu­sam­men­wirkt, den an­de­ren Gläubi­gern Zu­griffs­ob­jek­te zu ent­zie­hen oder ei­nem Gläubi­ger Son­der­rech­te ein­zuräum­en, oder wenn der Schuld­ner ge­zielt sei­ne Geld­mit­tel ein­setzt, um ei­ni­ge Gläubi­ger be­vor­zugt zu be­die­nen (OLG Stutt­gart, Urt. v. 23.01.2006 – 5 U 144/05 -, ZIn­sO 2006, 274 ff.; Kreft, In­sO, a.a.O., Rn. 14 zu § 133 In­sO mit je­wei­li­gen Rspr.-Nachw.; Uh­len­bruck/Hir­te, In­sO, 13. Aufl., 2010, Rn. 19 zu § 133).

Dies zu­grun­de ge­legt hat der Kläger nicht dar­ge­legt, dass die Schuld­ne­rin die hier strit­ti­gen Net­to­gehälter an die Be­klag­te mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz aus­ge­zahlt hat. Un­strei­tig hat­te die Be­klag­te auf­grund des Ar­beits­ver­tra­ges und ih­rer je­weils im Vor­mo­nat er­brach­ten Ar­beits­leis­tung ei­nen fälli­gen An­spruch auf die ge­zahl­ten Gehälter, § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. dem Ar­beits­ver­trag. U.a. auch durch die Ar­beits­leis­tung der Be­klag­ten, die als Buch­hal­te­rin u.a. die Rech­nun­gen fer­tig­te und da­mit für die Rea­li­sie­rung der of­fe­nen For­de­run­gen sorg­te, war es der Schuld­ne­rin möglich, den Be­trieb auf­recht zu er­hal­ten. Bei Nicht­zah­lung der Gehälter hätte die Be­klag­te zu­dem von ih­rem Zurück­be­hal­tungs­recht Ge­brauch ma­chen können. Oh­ne

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Mit­ar­beit der Be­klag­ten wäre die Fortführung des Be­triebs zu­min­dest stark gefähr­det ge­we­sen. Es stand im In­ter­es­se al­ler Gläubi­ger, dass das Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten, d.h. der Al­lein­buch­hal­te­rin, fort­ge­setzt wird und hierfür wa­ren die Ge­halts­zah­lun­gen er­for­der­lich. Vor die­sem Hin­ter­grund kann nicht al­lein auf­grund der Tat­sa­che, dass die Schuld­ne­rin be­reits An­fang 2007 zah­lungs­unfähig war und dies auch wuss­te, ge­schluss­fol­gert wer­den, dass die Schuld­ne­rin an die Be­klag­te de­ren Gehälter aus­zahl­te, um die Gläubi­ger zu be­nach­tei­li­gen. Die Ge­halts­zah­lun­gen er­folg­ten er­sicht­lich, um den Be­trieb auf­recht zu er­hal­ten und nach Möglich­keit zu ret­ten. Zu­dem die­nen Ge­halts­zah­lun­gen re­gelmäßig zur Be­strei­tung des Le­bens­un­ter­halts, so­dass die Ar­beit­neh­mer auf die­se zwin­gend an­ge­wie­sen sind. So­fern die Höhe der tatsächlich aus­ge­zahl­ten Net­to­gehälter nach der Le­bens­er­fah­rung ge­ra­de zur Be­strei­tung des Le­bens­un­ter­hal­tes reicht, kann re­gelmäßig nicht oh­ne Wei­te­res da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass der künf­ti­ge Schuld­ner mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz ge­han­delt hat (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.1954 – IV ZR 64/54 -, BB 1955, 236). An­ge­sichts des eher „be­schei­de­nen“ Net­to­ge­halts der Be­klag­ten in Höhe von mo­nat­lich € 1.431,90 kann vor­lie­gend nicht von ei­nem Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin aus­ge­gan­gen wer­den.

Der Kläger be­haup­tet auch kein un­lau­te­res Zu­sam­men­wir­ken zwi­schen der Schuld­ne­rin und der Be­klag­ten, auf­grund des­sen - trotz der au­gen­schein­li­chen Ziel­set­zung, nur durch die Ge­halts­zah­lun­gen und wei­te­re Mit­ar­beit der Be­klag­ten den Be­trieb fort¬führen zu können - auf ei­nen ent­spre­chen­den Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz der Schuld­ne­rin ge­schlos­sen wer­den könn­te. Hierfür sind auch sonst kei­ne An­halts­punk­te er­sicht­lich. Die Schuld­ne­rin hat ge­ra­de nicht nur der Kläge­rin, son­dern al­len Ar­beit­neh­mern die je­weils fälli­gen Gehälter aus­ge­zahlt. Es ist auch kein ir­gend ge­ar­te­tes Näheverhält­nis zu den ge­setz­li­chen Ver­tre­tern der Schuld­ne­rin er­sicht­lich.

c) Da der dar­le­gungs­pflich­ti­ge Kläger in Be­zug auf die hier strit­ti­gen kon­gru­en­ten Ge­halts­zah­lun­gen nicht dar­ge­legt hat, dass be­reits die Schuld­ne­rin mit Be­nach­tei­li­gungs­vor­satz ge­han­delt hat, kommt es nicht mehr dar­auf an, ob die Be­klag­te als Ar­beit­neh­me­rin mit mögli­cher­wei­se vor­han­de­nen In­si­der­kennt­nis­sen, nicht nur wuss­te, dass die Schuld­ne­rin seit Be­ginn 2007 zah­lungs­unfähig war, son­dern zu­dem auch wuss­te, dass die Schuld­ne­rin die Zah­lun­gen mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz
 


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tätig­te. Der An­fech­tungs­geg­ner muss mit­hin ge­wusst ha­ben, dass die Rechts­hand­lun­gen des Schuld­ners des­sen Gläubi­ger be­nach­tei­ligt und dass der Schuld­ner dies auch woll­te (BGH, Urt. v. 17.07.2003, - IX ZR 272/02 -, ZIP 2003, 1799 ff.). Zur Über­zeu­gung der Be­ru­fungs­kam­mer wuss­te die Be­klag­te ge­ra­de nicht, dass die Schuld­ne­rin die Gehälter (nur an die­ser Stel­le als wahr un­ter­stellt) mit Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­satz an sie aus­zahl­te. Viel­mehr hat­te die Be­klag­te ei­nen ar­beits­ver­trag­li­chen An­spruch auf die­se Gehälter und war be­fugt, ih­re Ar­beits­leis­tung bei Nicht­zah­lung ein­zu­stel­len. Aus ih­rer Sicht er­folg­ten die Zah­lun­gen ein­zig und al­lein in Erfüllung des Ar­beits­ver­tra­ges und in der Ab­sicht, dass sie, die Be­klag­te, auch künf­tig zur Fortführung des Be­triebs – und da­mit letzt­lich auch zum Woh­le al­ler an­de­ren Gläubi­ger – ih­re Ar­beits­leis­tung er­bringt. Die Ver­mu­tungs­wir­kung des § 133 Abs. 1 Satz 2 In­sO greift vor­lie­gend nicht, weil die Be­klag­te be­rech­tig­ter­wei­se da­von aus­ge­hen konn­te, dass durch die Ge­halts­zah­lun­gen die Gläubi­ger ge­ra­de nicht be­nach­tei­ligt wer­den.

3. Nach al­le­dem war die Be­ru­fung des Klägers zurück­zu­wei­sen.

Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­stand kein ge­setz­lich be­gründ­ba­rer An­lass, § 72 Abs. 2 ArbGG. Ins­be­son­de­re weicht die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung nicht von der ein­schlägi­gen und zi­tier­ten Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts und des Bun­des­ge­richts­ho­fes zur Dar­le­gung des Gläubi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­sat­zes bei kon­gru­en­ten Rechts­hand­lun­gen ab.


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