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BAG, Ur­teil vom 10.05.2005, 9 AZR 261/04

   
Schlagworte: Zeugnis, Elternzeit
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 261/04
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 10.05.2005
   
Leitsätze: Der Arbeitgeber darf in einem Zeugnis die Elternzeit eines Arbeitnehmers nur erwähnen, sofern sich die Ausfallzeit als eine wesentliche tatsächliche Unterbrechung der Beschäftigung darstellt. Das ist dann der Fall, wenn diese nach Lage und Dauer erheblich ist und wenn bei ihrer Nichterwähnung für Dritte der falsche Eindruck entstünde, die Beurteilung des Arbeitnehmers beruhe auf einer der Dauer des rechtlichen Bestands des Arbeitsverhältnisses entsprechenden tatsächlichen Arbeitsleistung.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Offenbach, Urteil vom 18.3.2003 - 5 Ca 647/02
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 19.2.2004 - 11 Sa 734/03
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 261/04
11 Sa 734/03

Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

10. Mai 2005

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 10. Mai 2005 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Düwell, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Rei­ne­cke, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Star­ke und Ott für Recht er­kannt:


Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 19. Fe­bru­ar 2004 - 11 Sa 734/03 - wird zurück­ge­wie­sen.


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Der Kläger hat die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die Be­klag­te den Er­zie­hungs­ur­laub (seit 2001 neue Be­zeich­nung: El­tern­zeit) des Klägers im Ar­beits­zeug­nis erwähnen darf.

Der Kläger war vom 1. Mai 1998 bis zum 30. Ju­ni 2002 bei der Be­klag­ten als Koch in ei­ner Großküche mit ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­ein­kom­men von zu­letzt 1.943,00 Eu­ro beschäftigt.

Am 1. Ju­li 2002 er­teil­te die Be­klag­te dem Kläger ein Zeug­nis in dem es ua. heißt:

„Herr P , ge­bo­ren am 1960, war vom 01.05.1998 bis zum 30.06.2002 in un­se­rem Un­ter­neh­men als Koch tätig.

...

Herr P ar­bei­te­te zunächst im Re­stau­rant im T in F . ... Vom 03.05.1999 bis 15.02.2002 be­fand sich Herr P im Er­zie­hungs­ur­laub. Da der Be­wirt­schaf­tungs­ver­trag mit dem T zum 31.12.1999 en­de­te, wur­de Herr P im An­schluß dar­an bis zu sei­nem Aus­tritt in dem von uns be­wirt­schaf­te­ten Be­triebs­re­stau­rant im Hau­se S AG in B ein­ge­setzt. Hier wer­den ar­beitstäglich ca. 700 Gäste be­wir­tet.“

Der Kläger ist der An­sicht, die Erwähnung sei­nes Er­zie­hungs­ur­laubs ver­s­toße ge­gen den Grund­satz ei­ner wohl­wol­len­den Be­ur­tei­lung. Ähn­lich wie ei­ne lang an­hal­ten­de Ar­beits­unfähig­keit oder ei­ne Frei­stel­lung we­gen Be­triebs- bzw. Per­so­nal­ratstätig­keit dürfe der Ar­beit­ge­ber die In­an­spruch­nah­me von Er­zie­hungs­ur­laub al­len­falls in den Fällen ver­mer­ken, in de­nen auf Grund des Er­zie­hungs­ur­laubs ei­ne Be­ur­tei­lung der Leis­tun­gen des Ar­beit­neh­mers nicht möglich sei. Da sei­ne Frau und er in ei­nem Al­ter sei­en, das wei­te­rem Nach­wuchs nicht ent­ge­gen­ste­he, sei zu befürch­ten, dass der frag­li­che Satz ei­ne er­folg­rei­che Stel­len­su­che be­ein­träch­ti­gen könne. Sch­ließlich ha­be er das Recht, frei darüber zu be­stim­men, ob und ggf. in­wie­weit persönli­che Sach­ver­hal­te Drit­ten ge­genüber of­fen­bart würden.
 


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Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt,


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihm Zug um Zug ge­gen Her­aus­ga­be des Zeug­nis­ses vom 1. Ju­li 2002 ein dem Wort­laut die­ses Zeug­nis­ses bis auf den Satz: „Vom 3. Mai 1999 bis zum 15. Fe­bru­ar 2002 be­fand sich Herr P im Er­zie­hungs­ur­laub“ ent­spre­chen­des Zeug­nis zu er­tei­len.


Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt.

Sie be­ruft sich dar­auf, die Ver­pflich­tung zur Er­tei­lung ei­nes wahr­heits­gemäßen Zeug­nis­ses ge­bie­te es, den Er­zie­hungs­ur­laub des Klägers zu erwähnen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen und im Ur­teil die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen. Mit die­ser ver­folgt der Kläger wei­ter­hin sein Kla­ge­be­geh­ren.


Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on des Klägers ist un­be­gründet. Die Be­klag­te durf­te im Ar­beits­zeug­nis den in An­spruch ge­nom­me­nen Er­zie­hungs­ur­laub erwähnen.


I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, der Ar­beit­ge­ber dürfe die Un­ter­bre­chung der Ar­beits­leis­tung im Zeug­nis erwähnen, so­fern der Ar­beit­neh­mer nur bis zu ei­nem Drit­tel des recht­li­chen Be­stands des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne Ar­beits­leis­tung er­bracht ha­be. Da das Zeug­nis das Ziel ha­be, ei­nen künf­ti­gen Ar­beit­ge­ber zu un­ter-rich­ten, dürfe und müsse das Zeug­nis sol­che Tat­sa­chen ent­hal­ten, an de­ren Kennt­nis die­ser ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se ha­be. Während kurz­fris­ti­ge Un­ter­bre­chun­gen der Tätig­keit des Ar­beit­neh­mers für die Leis­tungs­be­wer­tung in der Re­gel un­be­acht­lich sei­en, ent­spre­che die Nich­terwähnung ei­ner tatsächli­chen Un­ter­bre­chung von zwei Drit­teln der Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht der Wahr­heits­pflicht. Aus der recht­li­chen Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses, mit der ein künf­ti­ger Ar­beit­ge­ber die tatsächli­che Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses im We­sent­li­chen gleich­set­zen dürfe, zie­he die­ser den Schluss auf ei­ne ent­spre­chen­de Be­rufs­er­fah­rung, die in Wirk­lich­keit nicht vor­lie­ge.


II. Die­se Ent­schei­dung hält der re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand.


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1. Zu­tref­fend ist der An­trag des Klägers auf die Er­tei­lung ei­nes neu­en Zeug­nis­ses ge­rich­tet, da das Ge­setz ei­nen auf die Be­rich­ti­gung des be­reits er­teil­ten Zeug­nis­ses ge­rich­te­ten An­spruch nicht kennt (BAG 17. Fe­bru­ar 1988 - 5 AZR 638/86 - BA­GE 57, 329).

2. Der An­spruch auf die Er­tei­lung ei­nes qua­li­fi­zier­ten Zeug­nis­ses war bis zum 31. De­zem­ber 2002 für kaufmänni­sche An­ge­stell­te in § 73 HGB, für ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer in § 113 Ge­wO und für die übri­gen Ar­beit­neh­mer und die Dienst­ver­pflich­te­ten in § 630 BGB ge­re­gelt. Für die Zeit nach In-Kraft-Tre­ten des Drit­ten Ge­set­zes zur Ände­rung der Ge­wer­be­ord­nung und sons­ti­ger ge­wer­be­recht­li­cher Vor­schrif­ten vom 24. Au­gust 2002 (BGBl. I S. 3412) am 1. Ja­nu­ar 2003, fin­det sich die maßgeb­li­che Rechts­grund­la­ge für den Zeug­nis­an­spruch von Ar­beit­neh­mern in § 109 Ge­wO.

Auf den Streit­fall ist noch al­tes Recht an­zu­wen­den. Denn es ist zu be­ur­tei­len, ob die Be­klag­te mit dem Zeug­nis vom 1. Ju­li 2002 ih­re Ver­pflich­tung so erfüllt hat, dass der Zeug­nis­an­spruch des Klägers er­lo­schen ist.


a) So­wohl nach al­tem als auch nach neu­em Recht hat der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ein Zeug­nis über Art und Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses zu er­tei­len. Auf Ver­lan­gen des Ar­beit­neh­mers muss sich das Zeug­nis auf Leis­tung und Führung (§ 109 Abs. 1 Satz 3 Ge­wO: Ver­hal­ten) er­stre­cken. Der Ar­beit­ge­ber erfüllt die­sen An­spruch mit ei­nem Zeug­nis, das nach Form und In­halt den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen ent­spricht. Der ge­setz­lich ge­schul­de­te In­halt des Zeug­nis­ses be­stimmt sich nach den mit ihm ver­folg­ten Zwe­cken (BAG 14. Ok­to­ber 2003 - 9 AZR 12/03 - BA­GE 108, 86). Es dient dem Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig als Be­wer­bungs­un­ter­la­ge und ist in­so­weit Drit­ten, ins­be­son­de­re mögli­chen künf­ti­gen Ar­beit­ge­bern, Grund­la­ge für ih­re Per­so­nal­aus­wahl (BAG 14. Ok­to­ber 2003 - 9 AZR 12/03 - aaO).

b) Als Be­wer­bungs­un­ter­la­ge des Ar­beit­neh­mers und Ent­schei­dungs­grund­la­ge für die Per­so­nal­aus­wahl künf­ti­ger Ar­beit­ge­ber muss das Zeug­nis in­halt­lich wahr und zu­gleich von verständi­gem Wohl­wol­len ge­genüber dem Ar­beit­neh­mer ge­tra­gen sein und darf des­sen wei­te­res Fort­kom­men nicht un­ge­recht­fer­tigt er­schwe­ren („zwei­sei­ti­ge Ziel­set­zung“, vgl. BAG 3. März 1993 - 5 AZR 182/92 - AP BGB § 630 Nr. 20 = EzA BGB § 630 Nr. 17).

Vom Ar­beit­ge­ber wird ver­langt, dass er den Ar­beit­neh­mer auf der Grund­la­ge von Tat­sa­chen be­ur­teilt und, so­weit dies möglich ist, ein ob­jek­ti­ves Bild über den Ver-

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lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­mit­telt (BAG 20. Fe­bru­ar 2001 - 9 AZR 44/00 - BA­GE 97, 57 mwN). Da­bei ist der Grund­satz der Zeug­nis­wahr­heit (BAG 23. Ju­ni 1960 - 5 AZR 560/58 - BA­GE 9, 289; 9. Sep­tem­ber 1992 - 5 AZR 509/91 - AP BGB § 630 Nr. 19 = EzA BGB § 630 Nr. 15) zu be­ach­ten. Er er­streckt sich auf al­le we­sent­li­chen Tat­sa­chen und Be­wer­tun­gen, die für die Ge­samt­be­ur­tei­lung des Ar­beit­neh­mers von Be­deu­tung sind und an de­ren Kennt­nis ein künf­ti­ger Ar­beit­ge­ber ein be­rech­tig­tes und verständi­ges In­ter­es­se ha­ben kann (BAG 29. Sep­tem­ber 1981 - 3 AZR 132/79 -). Die Tätig­kei­ten des Ar­beit­neh­mers sind in ei­nem Zeug­nis so vollständig und ge­nau zu be­schrei­ben, dass sich künf­ti­ge Ar­beit­ge­ber ein kla­res Bild ma­chen können (BAG 12. Au­gust 1976 - 3 AZR 720/75 - AP BGB § 630 Nr. 11 = EzA BGB § 630 Nr. 7). Ins­be­son­de­re muss das Zeug­nis ein ob­jek­ti­ves Bild über den Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses ver­mit­teln (BAG 20. Fe­bru­ar 2001 - 9 AZR 44/00 - aaO). Da­bei darf Un­we­sent­li­ches ver­schwie­gen wer­den (BAG 16. März 1983 - 7 AZR 660/79 -). Der Grund­satz der Zeug­nis­wahr­heit wird nämlich ergänzt durch das Ver­bot, das wei­te­re Fort­kom­men des Ar­beit­neh­mers un­ge­recht­fer­tigt zu er­schwe­ren (BAG 3. März 1993 - 5 AZR 182/92 - AP BGB § 630 Nr. 20 = EzA BGB § 630 Nr. 17).


3. Die Erwähnung des Er­zie­hungs­ur­laubs im Zeug­nis wird in die­sem Ein­zel­fall die­sen Grundsätzen ge­recht.


a) Er­heb­li­che Aus­fall­zei­ten ei­nes Ar­beit­neh­mers sind vom Ar­beit­ge­ber dann im Zeug­nis zu do­ku­men­tie­ren, wenn an­sons­ten bei Drit­ten der fal­sche Ein­druck er­weckt würde, die Be­ur­tei­lung des Ar­beit­neh­mers be­ru­he auf ei­ner der Dau­er des recht­li­chen Be­stands des Ar­beits­verhält­nis­ses übli­cher­wei­se ent­spre­chen­den tatsächlich er­brach­ten Ar­beits­leis­tung. Sind die Aus­fall­zei­ten auf Grund ih­rer Dau­er oder La­ge für die Be­wer­tungs­grund­la­ge we­sent­lich, so ge­bie­tet es der Zweck des Zeug­nis­ses, so­wohl über die aus­geübten Tätig­kei­ten des Ar­beit­neh­mers zu in­for­mie­ren als auch des­sen Leis­tung und Führung (Ver­hal­ten) zu be­wer­ten, dass der be­ur­tei­len­de Ar­beit­ge­ber das Verhält­nis zwi­schen dem Zeit­raum der tatsächli­chen Beschäfti­gung und dem des recht­li­chen Be­stands des Ar­beits­verhält­nis­ses klar­stellt.


In die­sen Fällen muss bei un­be­fan­ge­nen Drit­ten der Ein­druck ver­mie­den wer-den, die Be­ur­tei­lung durch den Ar­beit­ge­ber be­ru­he auf ei­ner der recht­li­chen Dau­er sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ent­spre­chen­den tatsächli­chen Ar­beits­leis­tung. Ins­be­son­de­re darf nicht zum Aus­druck kom­men, der be­ur­teil­te Ar­beit­neh­mer ha­be ei­ne die tatsächli­che Dau­er der Ar­beits­leis­tung we­sent­lich über­stei­gen­de Be­rufs­er­fah­rung er­wor­ben.


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Le­dig­lich dann, wenn sich der be­ur­tei­len­de Ar­beit­ge­ber nach sei­ner Einschätzung in der La­ge sieht, trotz der we­sent­li­chen Aus­fall­zei­ten des Ar­beit­neh­mers die­sen im Zeug­nis ob­jek­tiv zu be­ur­tei­len, be­darf es kei­ner Erwähnung der Aus­fall­zei­ten.


Ei­ne sche­ma­ti­sche Gren­ze zwi­schen we­sent­li­chen Aus­fall­zei­ten und sol­chen, die im Ar­beits­zeug­nis als un­we­sent­li­che kei­ne Erwähnung fin­den dürfen, kann nicht ge­zo­gen wer­den. Sach­ge­rech­te Er­geb­nis­se las­sen sich nur un­ter Abwägung al­ler Um-stände des Ein­zel­falls un­ter Berück­sich­ti­gung der In­ter­es­sen al­ler Be­tei­lig­ten, dh. des be­ur­tei­len­den Ar­beit­ge­bers, des be­ur­teil­ten Ar­beit­neh­mers und der Zeug­nis­adres­sa­ten, er­zie­len. Ne­ben der Dau­er und zeit­li­chen La­ge der Aus­fall­zei­ten ist bei der Abwägung vor al­lem zu berück­sich­ti­gen, in­wie­weit dem Zeug­nis Be­deu­tung in Be­zug auf die Aus-sa­gen über die Be­rufs­er­fah­rung oder das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers während des Ar­beits­verhält­nis­ses zu­kommt.

b) Vor­lie­gend be­fand sich der Kläger während sei­nes 50 Mo­na­te dau­ern­den Ar­beits­verhält­nis­ses 33 1/2 Mo­na­te im Er­zie­hungs­ur­laub; da­mit hat er nur knapp ein Drit­tel sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses tatsächlich die ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Tätig­keit als Koch aus­geübt. Eben­so wie in vie­len an­de­ren Be­rufs­zwei­gen kommt auch im Gaststätten­ge­wer­be der Be­rufs­er­fah­rung ei­ne er­heb­li­che Be­deu­tung zu. Das zeigt sich ua. dar­in, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die Höhe der Vergütung von in Gas­tro­no­mie-be­trie­ben täti­gen Beschäftig­ten an die er­wor­be­ne Be­rufs­er­fah­rung an­knüpfen. So heißt es bei­spiels­wei­se in § 4 Ziff. 5 der Ent­gelt­ta­rif­verträge für das Ho­tel- und Gaststätten­ge­wer­be des Lan­des Hes­sen vom 15. Ja­nu­ar 2002 und vom 25. März 2003:

 

„Grundsätze der Ein- und Um­grup­pie­rung

Maßge­bend ist die vom Ar­beit­neh­mer aus­geübte Tätig­keit, die den je­wei­li­gen Ober­be­grif­fen zu­zu­ord­nen ist.

Von Be­deu­tung sind

- das fach­li­che und be­ruf­li­che Können;

...

- be­son­de­re Er­fah­run­gen und Kennt­nis­se“

Würde das Ar­beits­zeug­nis des Klägers kei­nen Hin­weis auf die im Verhält­nis zur Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses we­sent­li­chen Aus­fall­zei­ten we­gen des Er­zie­hungs­ur­laubs ent­hal­ten, könn­te bei ei­nem Ar­beit­ge­ber, bei dem sich der Kläger be­wirbt, der
 


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un­zu­tref­fen­de Ein­druck ent­ste­hen, der Kläger wei­se auf Grund sei­ner Tätig­keit für die Be­klag­te ei­ne über vierjähri­ge Be­rufs­er­fah­rung auf, ob­wohl er ei­ne sol­che tatsächlich le­dig­lich nur in knapp 1 1/2 Jah­ren er­wer­ben konn­te.


Von wei­te­rer Be­deu­tung ist, dass der Kläger während der letz­ten 38 Mo­na­te sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten nur 4 1/2 Mo­na­te tatsächlich ei­ne Ar­beits­leis­tung als Koch er­bracht hat. Ein Ar­beits­zeug­nis muss auch Aus­kunft über den ak­tu­el­len Leis­tungs­stand des be­ur­teil­ten Ar­beit­neh­mers ge­ben, um sei­nem Zweck genügen zu können. Da der Kläger während der letz­ten Jah­re sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses so­mit nur we­ni­ge Mo­na­te sei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Tätig­keit aus­geübt hat, darf die Be­klag­te dies im Zeug­nis zum Aus­druck brin­gen, um nicht den Ein­druck ent­ste­hen zu las­sen, die ak­tu­el­le Leis­tungs­be­ur­tei­lung des Klägers be­ru­he auf ei­nem länge­ren Zeit-ab­schnitt als dem von 4 1/2 Mo­na­ten. Erst über ei­nen länge­ren tatsächli­chen Beschäfti­gungs­zeit­raum zeigt sich nämlich die Zu­verlässig­keit und Be­last­bar­keit ei­nes Kochs.

c) Ent­ge­gen der Re­vi­si­on stellt sich hier die Erwähnung des Er­zie­hungs­ur­laubs we­der als un­ge­recht­fer­tig­te Er­schwe­rung des be­ruf­li­chen Fort­kom­mens noch als Be­nach­tei­li­gung iSv. § 612a BGB dar.

Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts sind Ar­beit­neh­mer nur nach Eig­nung, Befähi­gung und fach­li­cher Leis­tung zu be­ur­tei­len. Merk­ma­le, die kei­nen Be­zug zu der ge­schul­de­ten Leis­tung ha­ben, dürfen nicht erwähnt wer­den (BAG 19. Au­gust 1992 - 7 AZR 262/91 - BA­GE 71, 110, 116). Nach die­ser Recht­spre­chung recht­fer­tigt die Wahr­neh­mung ei­nes per­so­nal­ver­tre­tungs­recht­li­chen Eh­ren­amts trotz des da­mit ver­bun­de­nen Aus­falls an Ar­beits­leis­tung im Re­gel­fall nicht die Erwähnung (BAG 19. Au­gust 1992 - 7 AZR 262/91 - aaO). Das wird da­mit be­gründet, dass Ar­beit­neh­mer durch die Erwähnung die­ser Aus­fall­zeit Nach­tei­le er­fah­ren können, weil der Le­ser ei­ner der­ar­ti­gen Be­ur­tei­lung mögli­cher­wei­se da­von aus­geht, dass der Be­ur­teil­te für die Er­le­di­gung dienst­li­cher Auf­ga­ben künf­tig nicht un­ein­ge­schränkt zur Verfügung steht (BAG 19. Au­gust 1992 - 7 AZR 262/91 - aaO). Aus­nahms­wei­se wird je­doch die Erwähnung als statt­haft an­ge­se­hen, wenn we­gen das Aus­maßes der Aus­fall­zeit ei­ne die Ge­samt­dau­er des Be­ur­tei­lungs­zeit­raums um­fas­sen­de Be­ur­tei­lung nicht möglich wäre.

So ist es hier.

Der durch den vom Kläger in An­spruch ge­nom­me­nen Er­zie­hungs­ur­laub auf-ge­tre­te­ne Ar­beits­aus­fall ist zwar ei­ne wah­re Tat­sa­che. Sie recht­fer­tigt aber als sol­che

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- eben­so we­nig wie die Wahr­neh­mung per­so­nal­ver­tre­tungs- oder be­triebs­ver­fas­sungs-recht­li­cher Eh­renämter - die re­gelmäßige Auf­nah­me in ein Zeug­nis. Sie er­langt erst dann den für die Auf­nah­me in ein Zeug­nis hin­rei­chen­den Be­zug zum Ar­beits­verhält­nis, wenn we­gen des un­verhält­nismäßigen An­teils der Aus­fall­zeit an der zu be­ur­tei­len­den Ge­samt­zeit der Ar­beit­ge­ber oh­ne Erwähnung des in An­spruch ge­nom­me­nen Er­zie­hungs­ur­laubs die Leis­tungs­be­ur­tei­lung auf die Zeit der tatsächli­chen Beschäfti­gung be­schränken müss­te. So ist es hier. Da­her stellt sich die von der Be­klag­ten un­ter An­ga­be der Dau­er des Er­zie­hungs­ur­laubs vor­ge­nom­me­ne Leis­tungs­be­ur­tei­lung im Zeug­nis nicht als Be­nach­tei­li­gung dar. In­dem die Be­klag­te mit der Erwähnung des Er­zie­hungs­ur­laubs nicht nur die Tat­sa­che der tatsächli­chen Un­ter­bre­chung, son­dern auch den Grund für die Aus­fall­zeit an­ge­ge­ben hat, han­del­te sie letzt­lich im In­ter­es­se des Klägers. Be­ruht die zeug­nis­recht­lich re­le­van­te Aus­fall­zeit auf der In­an­spruch­nah­me von Er­zie­hungs­ur­laub, ist die­se An­ga­be ge­eig­net zu ver­hin­dern, dass po­ten­ti­el­le Ar­beit­ge­ber über den Grund der Aus­fall­zeit für den Kläger nach­tei­li­ge Mut­maßun­gen an­stel­len (vgl. Sch­leßmann Das Ar­beits­zeug­nis 17. Aufl. S. 76; Hu­ber Das Ar­beits­zeug­nis in Recht und Pra­xis 10. Aufl. S. 21, 22). Ziel der Kla­ge ist nicht die iso­lier­te Strei­chung des pri­va­ten Grunds für die langjähri­ge Aus­fall­zeit „Er­zie­hungs­ur­laub“, son­dern die Aus­deh­nung der für zwei Beschäfti­gungs­jah­re vor­ge­nom­me­nen Leis­tungs­be­ur­tei­lung als Koch auf die fünfjähri­ge Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Ein­schluss der drei-jähri­gen Dau­er des Er­zie­hungs­ur­laubs. Dar­auf hat der Kläger kei­nen An­spruch.

4. Der Se­nat kann über den Fall ab­sch­ließend ent­schei­den, oh­ne nach Art. 234 EG ein Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren vor dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof ein­zu­lei­ten.


Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ist als letzt­in­stanz­li­ches Ge­richt nach Art. 234 Abs. 3 EG zur An­ru­fung des Eu­ropäischen Ge­richts­ho­fes nur ver­pflich­tet, wenn in ei­nem vor ihm schwe­ben­den Ver­fah­ren über die Aus­le­gung von Ge­mein­schafts­recht zu ent­schei­den ist.

Die Be­ur­tei­lung der Zulässig­keit der Erwähnung ei­nes Er­zie­hungs­ur­laubs in ei­nem Ar­beits­zeug­nis be­trifft kei­ne eu­ro­pa­recht­li­che Aus­le­gungs­fra­ge. Die Vor­schrif­ten über den Zeug­nis­an­spruch (§ 73 HGB aF, § 113 Ge­wO aF, § 630 BGB aF) be­ru­hen nicht auf eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben. § 612a BGB wur­de zwar durch das EG-An­pas­sungs­ge­setz vom 13. Au­gust 1980 (Ge­setz über die Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en am Ar­beits­platz und über die Er­hal­tung von Ansprüchen bei Be­triebsüber­gang) ein­geführt, berührt aber im vor­lie­gen­den Fal­le kei­ne eu­ro­pa­recht­li­chen Fra­gen. Die Vor­schrift des § 612a BGB geht über Art. 5 der Richt­li­nie 75/117/EWG des

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Ra­tes vom 10. Fe­bru­ar 1975 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glieds­staa­ten über die An­wen­dung des Grund­sat­zes des glei­chen Ent­gelts für Männer und Frau­en und Art. 7 der Richt­li­nie 76/207/EWG des Ra­tes vom 9. Fe­bru­ar 1976 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en hin­sicht­lich des Zu­gangs von Beschäfti­gung, zur Be­rufs­bil­dung und zum be­ruf­li­chen Auf­stieg so­wie in Be­zug auf die Ar­beits­be­din­gun­gen in­so­weit hin­aus, als in den Richt­li­ni­en nur Ent­las­sun­gen an­ge­spro­chen sind. Zu­dem be­schränkt sich § 612a BGB - an­ders als die eu­ro­pa­recht­li­chen Grund­la­gen - nicht auf Fälle der Ge­schlechts­dis­kri­mi­nie­rung. Ver­fah­rens­recht­lich folgt dar­aus, dass nur für den Be­reich, der mit den Vor­ga­ben der Ge­mein­schafts­richt­li­ni­en de­ckungs­gleich ist, ei­ne Vor­la­ge an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof in Be­tracht kommt (so auch: ErfK/Preis, 5. Aufl. § 612a BGB Rn. 1).


So­weit der Se­nat über die Fra­ge zu ent­schei­den hat­te, ob § 612a BGB der Erwähnung von Er­zie­hungs­ur­laub in ei­nem Ar­beits­zeug­nis ent­ge­gen­steht, han­delt es sich eben­falls um die An­wen­dung deut­schen Rechts.

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Düwell 

Rei­ne­cke 

Böck

Star­ke 

Ott

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