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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 23.11.2011, 2 Sa 77/11

   
Schlagworte: Diskriminierung: Alter, Altersdiskriminierung, Betriebsrente, Betriebliche Altersversorgung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 2 Sa 77/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.11.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Stuttgart - 1 Ca 5468/10
   


Aus­fer­ti­gung
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ba­den-Würt­tem­berg

Ak­ten­zei­chen:
2 Sa 77/11
________________________________
1 Ca 5468/10 (ArbG Stutt­gart)
(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

Verkündet am 23.11.2011


Ilg
Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le 



Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In dem Rechts­streit

 

- Kläge­rin/Be­ru­fungskläge­rin -

Proz.-Bev.:


ge­gen

 

- Be­klag­te/Be­ru­fungs­be­klag­te -

Proz.-Bev.:


hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg - 2. Kam­mer -
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Hen­sin­ger,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Baar
und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Bres­lau­er
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 23.11.2011

für Recht er­kannt:

1. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart vom 19.5.2011 - 1 Ca 5468/10 - ab­geändert.
Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin be­gin­nend ab 1.7.2010 ei­ne mo­nat­li­che Be­triebs­ren­te i. H. v. 113,66 € brut­to zu be­zah­len, zahl­bar je­weils am Mo­nats­en­de des Fol­ge­mo­nats.

2. Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

3. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

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Tat­be­stand

Die Kläge­rin be­gehrt die Zah­lung ei­ner Be­triebs­ren­te.

Die am 19.06.1945 ge­bo­re­ne Kläge­rin trat am 01.11.1981 bei der H. B. eG, die am 01.01.1999 mit der Be­klag­ten fu­sio­nier­te, als Bank­kauf­frau ein. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en en­de­te al­ters-hal­ber mit Ab­lauf des 30.06.2010.

In der „Ver­sor­gungs­ord­nung für die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter“ der Be­klag­ten vom 1. Sep­tem­ber 1991 (im Fol­gen­den: Ver­sor­gungs­ord­nung) heißt es u. a.:


„Präam­bel

Als Dank und An­er­ken­nung der von den Mit­ar­bei­tern ge­leis­te­ten Diens­te und der er­brach­ten Be­triebs­treue so­wie in Er­war­tung, da­durch ei­nen Bei­trag zur wei­te­ren Förde­rung ei­ner ge­deih­li­chen Zu­sam­men­ar­beit und des Zu­sam­men­gehörig­keits­gefühls zwi­schen Bank und Mit­ar­bei­tern zu leis­ten, ha­ben sich Vor­stand und Auf­sichts­rat ent­schlos­sen, an­knüpfend an die be­reits gewähr­ten Di­rekt­zu­sa­gen und un­ter Be­ach­tung der geänder­ten Recht­spre­chung und wirt­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen, als Maßnah­me der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung ei­ne Ver­sor­gungs­ord­nung ein­zuführen.

§ 1 Fest­le­gung des Per­so­nen­krei­ses

(4) Für Mit­ar­bei­ter, die nach dem In­kraft­tre­ten der Ver­sor­gungs­ord­nung am 1.9.1991 neu in die Diens­te der V. P. eG ein­tre­ten oder im Rah­men ei­ner Ver­schmel­zung/Fu­si­on i. S. des § 16 in de­ren Diens­te über­nom­men wer­den (= 3. Per­so­nen­kreis) gel­ten die Vor­schrif­ten die­ser Ver­sor­gungs­ord­nung mit Aus­nah­me sämt­li­cher sich auf die Hin­ter­blie­be­nen­ver­sor­gung be­zie­hen­der Re­ge­lun­gen (Wit­wen- bzw. Wit­wer­ren­ten­leis­tung, §§ 5d, 10, 11). Es wird kei­ner­lei Hin­ter­blie­be­nen­leis­tung zu­ge­sagt.


§ 2 Kreis der Ver­sor­gungs­be­rech­tig­ten

(1) Von der Ver­sor­gungs­ord­nung wer­den al­le fest an­ge­stell­ten Mit­ar­bei­ter - mit Aus­nah­me der Vor­stands­mit­glie­der und der ge­ringfügig Teil­zeit­beschäftig­ten im Sin­ne des § 8 SGB IV so­wie aus­ge­schie­de­ner Mit­ar­bei­ter im Vor­ru­he­stand - der Bank er­faßt, die

a) das 20. Le­bens­jahr voll­endet und

b) ei­ne min­des­tens 10jähri­ge an­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit (War­te­zeit) nach Maßga­be des § 3 nach­wei­sen können (nur die in § 1 Abs. 3 und 4 ge­nann­ten Per­so­nen­krei­se) so­wie

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c) zum Zeit­punkt der Erfüllung der War­te­zeit das 55. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben.

§ 3 War­te­zeit

(1) Für den in § 1 Abs. 3 und 4 ge­nann­ten Per­so­nen­kreis ent­steht der An­spruch auf die Ver­sor­gungs­leis­tun­gen nach un­un­ter­bro­che­ner Zurück­le­gung von 10 an­rech­nungsfähi­gen Dienst­jah­ren gemäß § 4 (War­te­zeit).

(2) Die War­te­zeit be­ginnt mit dem Tag des Dienst­an­tritts, frühes­tens am Tag nach Voll­endung des 20. Le­bens­jah­res.

§ 4 An­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit

(1) Als an­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit gilt die Zeit, die der Mit­ar­bei­ter nach dem voll­ende­ten 20. Le­bens­jahr un­un­ter­bro­chen mit ei­nem un­be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag bei der Bank ver­bracht hat. Wird ein be­fris­te­ter Ar­beits­ver­trag in ei­nen Dau­er­ar­beits­ver­trag um­ge­wan­delt, so ent­steht ein An­spruch auf an­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit vom ers­ten Tag des (be­fris­te­ten) Ar­beits­verhält­nis­ses an, frühes­tens je­doch ab dem voll­ende­ten 20. Le­bens­jahr. Ent­spre­chen­des gilt, wenn im un­mit­tel­ba­ren An­schluß an ein bei der Bank ab­sol­vier­tes Aus­bil­dungs­verhält­nis ein fes­tes Ar­beits­verhält­nis bei der Bank ein­ge­gan­gen wird.

Die an­rech­nungsfähi­ge Dienst­zeit wird auf ma­xi­mal 30 vol­le Dienst­jah­re be­schränkt. Dienst­zei­ten nach dem voll­ende­ten 65. Le­bens­jahr blei­ben un­berück­sich­tigt.

...

§ 5 Ar­ten der Ver­sor­gungs­leis­tun­gen

(1) Gewährt wer­den

a) Al­ters­ren­te an Mit­ar­bei­ter nach der Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res (§ 6),
b) vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te (§ 7)
c) In­va­li­den­ren­te, so­fern In­va­li­dität vor­liegt (§ 8
d) Wit­wen-/Wit­wer­ren­te an die Wit­wen/Wit­wer ver­stor­be­ner Mit­ar­bei­ter (§ 10) des in § 1 Abs. 2 ge­nann­ten Per­so­nen­krei­ses.

§ 6 Höhe der Al­ters­ren­te

(1) Es wird nach der Zurück­le­gung der ma­xi­ma­len Dienst­zeit von 30 vol­len Dienst­jah­ren ei­ne mo­nat­li­che Al­ters­ren­te von 600 DM gewährt. Die­ser ma­xi­mal er­reich­ba­re Al­ters­ren­ten­an­spruch ver­rin­gert sich der Höhe nach um mo­nat­lich 20 DM für je­des vol­le Dienst­jahr, das zur Er­rei­chung der ma­xi­ma­len vol­len Dienst­zeit (= 30 Dienst­jah­re) fehlt.

(2) Bei der Be­rech­nung ei­nes vol­len Dienst­jah­res ist auf das ge­naue Ein­stel­lungs­da­tum je­des ein­zel­nen Mit­ar­bei­ters ab­zu­stel­len, das den Be­ginn ei­nes vol­len Dienst­jah­res dar­stellt.

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§ 14 Be­ginn, En­de und Aus­zah­lung der Ver­sor­gungs­bezüge

(1) Der An­spruch auf Zah­lung der Ver­sor­gungs­bezüge ent­steht mit dem Ver­sor­gungs­fall, so­fern die Leis­tungs­vor­aus­set­zun­gen die­ser Ver­sor­gungs­ord­nung erfüllt sind. Der Zah­lungs-an­spruch des Mit­ar­bei­ters ent­steht erst mit der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses.

(2) Die Ver­sor­gungs­bezüge wer­den mo­nat­lich, nachschüssig (am Mo­nats­en­de) und zwölf­mal jähr­lich, erst­ma­lig am En­de des Mo­nats ge­zahlt, der dem Ver­sor­gungs­fall folgt. Die Zah­lun­gen en­den mit Ab­lauf des Mo­nats, in dem die Vor­aus­set­zun­gen der Ver­sor­gung weg­ge­fal­len sind.


§ 16 Ver­schmel­zung/Fu­si­on

Im Fal­le ei­ner Ver­schmel­zung/Fu­si­on von über­tra­gen­den Ban­ken mit der V. P. als auf­neh­men­de Bank sind die über­nom­me­nen Mit­ar­bei­ter der über­tra­gen­den Ban­ken ab dem Ver­schmel­zungs­zeit­punkt ver­sor­gungs­be­rech­tigt (vgl. da­zu § 1 Abs. 4). Es wer­den die ab dem Ver­schmel­zungs­zeit­punkt in den Diens­ten der V. P. er­brach­ten Dienst­zei­ten für die an­rech­nungsfähi­ge War­te­zeit nach § 3 und die An­spruchshöhe berück­sich­tigt.“


Die Kläge­rin ist der Auf­fas­sung, dass die Re­ge­lung in § 2 Abs. 1c der Ver­sor­gungs­ord­nung ei­ne un­mit­tel­ba­re Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­le und da­mit un­wirk­sam sei. Die in die­ser Be­stim­mung ent­hal­te­ne Gren­ze für die Erfüllung der War­te­zeit sei des­halb un­be­acht­lich. Da die Kläge­rin im Übri­gen die Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen der Ver­sor­gungs­ord­nung erfülle, ins­be­son­de­re die zehnjähri­ge War­te­zeit, ha­be sie An­spruch auf ei­ne (rech­ne­risch un­strei­ti­ge) Be­triebs­ren­te von mo­nat­lich 113,66 €.

§ 2 Abs. 1b und c der Ver­sor­gungs­ord­nung schließe Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­neh­me­rin­nen von der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung aus, die bei Ein­tritt in den Gel­tungs­be­reich der Ver­sor­gungs­ord­nung das 45. Le­bens­jahr be­reits voll­endet ha­ben. Die­se Höchst­al­ters­gren­ze sei un­an­ge­mes­sen, da die­se Ar­beit­neh­mer auch im Hin­blick auf die Her­auf­set­zung des Ren­ten­al­ters noch über 20 Jah­re für die Be­klag­te tätig sein könn­ten oh­ne Leis­tun­gen aus der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung er­wer­ben zu können. Für den Aus­schluss die­ser Ar­beit­neh­mer sei kein sach­li­cher Grund er­sicht­lich. Es sei nicht nach­voll­zieh­bar, wes­halb die Kläge­rin an­ders be­han­delt wer­de als Ar­beit­neh­mer, die z.B. mit 35 Jah­ren bei der Be­klag­ten ein­ge­tre­ten sei­en und bei glei­cher Be­triebs­zu­gehörig­keit wie die Kläge­rin Ren­ten­an­wart­schaf­ten er­wor­ben hätten.

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Die Kläge­rin hat erst­in­stanz­lich be­an­tragt:

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin be­gin­nend ab 01.07.2010 ei­ne mo­nat­li­che Be­triebs­ren­te in Höhe von 113,66 € brut­to zu be­zah­len, zahl­bar je­weils am 15. ei­nes Ka­len­der­mo­nats.

Die Be­klag­te hat erst­in­stanz­lich be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ist der Mei­nung, dass die Ver­sor­gungs­ord­nung und auch de­ren § 2 Abs. 1c in Ein­klang mit § 10 S. 3 Nr. 4 AGG stünden. Da­nach sei die Be­stim­mung ei­ner Höchst­al­ters­gren­ze wie in § 2 Abs. 1c Ver­sor­gungs­ord­nung zulässig. § 10 AGG sei auch nicht eu­ro­pa­rechts­wid­rig. Die Re­ge­lung in § 2 Abs. 1c Ver­sor­gungs­ord­nung sei auch sach­lich ge­recht­fer­tigt. Mit die­ser Be­stim­mung wer­de das Ziel ver­folgt, ei­ne bei jünge­ren Ar­beit­neh­mern re­gelmäßig noch zu er­war­ten­de, länge­re Be­triebs­zu­gehörig­keit zu ho­no­rie­ren und da­mit auf ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Al­ters­struk­tur hin­zu­wir­ken. Außer­dem wol­le die Ver­sor­gungs­ord­nung Ri­si­ken be­gren­zen. Durch Höchst­al­ters­gren­zen könne si­cher­ge­stellt wer­den, dass bis zum Er­rei­chen der Al­ters­gren­ze ein aus­rei­chen­der Fi­nan­zie­rungs­zeit­raum ver­blei­be. Es sei auch zulässig, durch Einführung ei­ner Höchst­al­ters­gren­ze das In­va­li­ditäts- und To­des­fall­ri­si­ko zu be­gren­zen. Da die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen in der Ver­sor­gungs­ord­nung rechtmäßig sei­en, ha­be die Kläge­rin, die im Zeit­punkt der Erfüllung der War­te­zeit das 55. Le­bens­jahr be­reits voll­endet ge­habt ha­be, kei­nen An­spruch auf Be­zah­lung ei­ner Be­triebs­ren­te.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 19. Mai 2011 die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das an­ge­foch­te­ne Ur­teil führt ins­be­son­de­re aus, dass die Re­ge­lung in § 2 Abs. 1c Ver­sor­gungs­ord­nung recht­lich nicht zu be­an­stan­den sei. Die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung der Ar­beit­neh­mer­grup­pen sei gemäß § 10 S. 1 und 2, S. 3 Nr. 4 AGG ge­recht­fer­tigt. Die Fest­le­gung ei­nes fak­ti­schen Höch­stein­tritts­al­ters für den Kreis der an­spruchs­be­rech­tig­ten Ar­beit­neh­mer sei nicht willkürlich. Der Ar­beit­ge­ber könne ein bil­li­ges In­ter­es­se dar­an ha­ben, Ar­beit­neh­mer in jünge­ren Jah­ren zum Be­triebs­ein­tritt zu be­we­gen. Außer­dem sei zu berück­sich­ti­gen, dass ver­schie­de­ne Al­ters­stu­fen auch un­ter­schied­li­che Ver­sor­gungs­ri­si­ken hätten. Der Ar­beit­ge­ber dürfe des­halb die höhe­ren Ri­si­ken älte­rer Ar­beit-

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neh­mer aus­sch­ließen. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten wird auf die Gründe des an­ge­foch­te­nen Ur­teils ver­wie­sen.

Ge­gen das der Kläge­rin am 23. Mai 2011 zu­ge­stell­te Ur­teil rich­tet sich die am 16. Ju­ni 2011 ein­ge­leg­te und am 11. Au­gust 2011 in­ner­halb der verlänger­ten Be­gründungs­frist aus­geführ­te Be­ru­fung der Kläge­rin. Die Kläge­rin ver­tieft das erst­in­stanz­li­che Vor­brin­gen und be­an­tragt un­ter teil-wei­ser Rück­nah­me des Zins­an­tra­ges sinn­gemäß,

das an­ge­foch­te­ne Ur­teil ab­zuändern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin be­gin­nend ab 1.7.2010 ei­ne mo­nat­li­che Be­triebs­ren­te i.H.v. 113,66 € brut­to zu be­zah­len, zahl­bar je­weils am Mo­nats­en­de des Fol­ge­mo­nats.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.


Die Be­klag­te ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil und ver­tieft eben­falls ihr erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen.

Ent­schei­dungs­gründe

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung der Kläge­rin ist frist­ge­recht ein­ge­legt und aus­geführt wor­den. Im Übri­gen sind Be­den­ken an der Zulässig­keit der Be­ru­fung nicht ver­an­lasst.

II.

In der Sa­che hat die Be­ru­fung der Kläge­rin Er­folg. Die Kläge­rin hat ei­nen An­spruch auf Be­zah­lung ei­ner mo­nat­li­chen Be­triebs­ren­te i.H.v.113,66 € brut­to seit Ju­li 2010 und zahl­bar, im Rah­men des ge­stell­ten An­trags, je­weils am Mo­nats­en­de des Fol­ge­mo­nats. § 2 Abs. 1c Ver­sor­gungs­ord­nung ist un­wirk­sam. Die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen der Ver­sor­gungs­ord­nung sind erfüllt.

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1. § 2 Abs. 1 b und c Ver­sor­gungs­ord­nung be­stim­men, dass ein An­spruch auf Ver­sor­gungs­leis­tun­gen (erst) nach ei­ner zehnjähri­gen War­te­zeit ent­steht und der Ver­sor­gungs­be­rech­tig­te im Zeit­punkt der Erfüllung der War­te­zeit das 55. Le­bens­jahr noch nicht erfüllt ha­ben darf. Die vor­lie­gen­de Ver­sor­gungs­ord­nung enthält für die Ent­ste­hung von Ver­sor­gungs­an­wart­schaf­ten al­so ei­ne Kom­bi­na­ti­on ei­ner be­stimm­ten War­te­zeit und ei­ner Höchst­al­ters­gren­ze.

Es stellt sich des­halb die Fra­ge, ob die­se Be­stim­mun­gen in der Ver­sor­gungs­ord­nung ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot we­gen des Al­ters in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG ver­s­toßen und da­mit un­wirk­sam sind (§ 7 Abs. 2 AGG). Das all­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ist an­wend­bar. Trotz der in § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG ent­hal­te­nen Ver­wei­sung auf das Be­triebs­ren­ten­ge­setz gilt das AGG auch für die be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung (BAG 11. De­zem­ber 2007 - 3 AZR 249/06 - AP Nr. 1 zu § 2 AGG Rn. 23). Auch der zeit­li­che An­wen­dungs­be­reich des AGG ist eröff­net. Im Zeit­punkt des In­kraft­tre­tens des AGG am 18.08.2006 hat das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en noch be­stan­den (zu­letzt BAG 20. April 2010 - 3 AZR 509/08 - AP Nr. 26 zu § 1 Be­trAVG Hin­ter­blie­be­nen­ver­sor­gung Rn. 63).

Gemäß §§ 7, 1 AGG dürfen Beschäftig­te grundsätz­lich nicht we­gen des Al­ters be­nach­tei­ligt wer­den. Al­ler­dings enthält § 10 AGG un­ter Berück­sich­ti­gung der Vor­ga­ben von Art. 6 und 7 der Richt­li­nie 2000/78/EG ei­nen be­son­de­ren Recht­fer­ti­gungs­grund für un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters. Da­nach ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist, wo­bei die Mit­tel zur Er­rei­chung des Ziels eben­falls an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein müssen. § 10 Sätze 1 und 2 AGG müssen vor­ab erfüllt sein, wenn die Dif­fe­ren­zie­rung nach dem Al­ter gemäß Satz 3 Nr. 4 ge­nutzt wer­den soll (Höfer Be­trAVG ART 805.7).

2. Bei An­wen­dung die­ser Rechts­grundsätze be­ur­teilt die er­ken­nen­de Kam­mer die Wirk­sam­keit der Nor­mie­rung ei­ner War­te­zeit (a.) an­ders als die Höchst­al­ters­gren­ze für die Erfüllung der War­te­zeit (b).

a. War­te­zei­ten wer­den u. a. ver­ein­bart, um die Ri­si­ken aus Leis­tun­gen bei In­va­li­dität und Tod nach nur kur­zer Beschäfti­gungs­zeit aus­zu­sch­ließen. War­te­zei­ten für den Leis­tungs­be­zug stel­len nicht un­mit­tel­bar auf das Le­bens­al­ter ab und sind da­mit kei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung. Sie können aber als ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters

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(§§ 7, 3 Abs. 2 AGG) an­zu­se­hen sein, da älte­re Ar­beit­neh­mer ge­ge­be­nen­falls bis zum Er­rei­chen des Ren­ten­ein­tritts­al­ters nicht mehr die Möglich­keit ha­ben, die ge­for­der­te Dienst­zeit zu erfüllen (Thum, AGG und be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung, BB 2008, 2291, 2292). Bis zum In­kraft­tre­ten des AGG sind (zum Teil bis 20jähri­ge) an­spruchs­aus­sch­ließen­de War­te­zei­ten grundsätz­lich für zulässig er­ach­tet wor­den (zu­letzt BAG 19. April 2005 - 3 AZR 469/04 - AP Nr. 15 zu § 1 Be­trAVG Un­ver­fall­bar­keit, Rn. 26). Mit War­te­zei­ten las­sen sich das Ver­sor­gungs­ri­si­ko und da­mit die Kos­ten der Al­ters­ver­sor­gung be­schränken und das In­ter­es­se der Ar­beit­neh­mer an länge­rer Be­triebs­zu­gehörig­keit fördern (BAG 19. April 2005 aaO). War­te­zei­ten an sich knüpfen nicht an das Al­ter an, sie gel­ten durch­weg für je­den Ar­beit­neh­mer und sind vom Al­ter beim Dienst­an­tritt un­abhängig. Dies spricht für die Zulässig­keit der War­te­zeit­be­din­gung auch bei Dienstein­trit­ten im höhe­ren Al­ter. Müss­te man we­gen des Dienstein­tritts im höhe­ren Al­ter die War­te­zeit we­gen ver­meint­li­cher mit­tel­ba­rer Dis­kri­mi­nie­rung abkürzen oder so­gar ganz außer Kraft set­zen, würden die im ho­hen Al­ter ein­tre­ten­den Mit­ar­bei­ter im Ver­gleich zu den in jünge­rem Al­ter ein­tre­ten­den Ar­beit­neh­mern be­vor­zugt. Dies be­zweckt das AGG geht je­doch nicht. Es will nur ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters an sich aus­sch­ließen, je­doch kei­ne al­ters­abhängi­ge Pri­vi­le­gie­rung zu­ge­ste­hen (Höfer Be­trAVG ART 805.23). Ganz über­wie­gend wird des­halb auch nach In­kraft­tre­ten des AGG die Auf­nah­me von War­te­zei­ten in Ver­sor­gungs­ord­nun­gen für zulässig er­ach­tet (Höfer aaO, Blo­mey­er/Rolfs/Ot­to Be­triebs­ren­ten­ge­setz 5. Auf­la­ge An­hang § 1 Rn. 167, EK-St­ein­mey­er § 1 b Be­trAVG Rn. 37, Thum aaO 2293, Fors­ter/Rühmann/Cisch Be­triebs­ren­ten­ge­setz 12. Aufl. 2009 § 1 b Rn. 18, An­d­re­sen/Fors­ter/Rößler/Rühmann Ar­beits­recht der be­trieb­li-chen Al­ters­ver­sor­gung Teil 7 B Rn. 468).

b. Da­ge­gen ist die vor­lie­gend zu be­ur­tei­len­de Höchst­al­ters­gren­ze für die Erfüllung der War­te­zeit nach Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts un­wirk­sam. Mit der Be­stim­mung, dass die War­te­zeit nach Voll­endung des 55. Le­bens­jah­res nicht mehr erfüllt wer­den kann, wird un­mit­tel­bar an das Al­ter an­ge­knüpft. Zu­sam­men mit der vor­lie­gen­den War­te­zeit­re­ge­lung führt dies da­zu, dass Ar­beit­neh­mer, die bei der Be­klag­ten nach Voll­endung des 45. Le­bens­jah­res ein­tre­ten, kei­ne Ansprüche mehr aus der Ver­sor­gungs­ord­nung er­wer­ben können. Nach An­he­bung der Re­gel­al­ters­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung auf 67 Jah­re kann dies zu dem Er­geb­nis führen, dass bei älte­ren Ar­beit­neh­mern auch ei­ne bis 22jähri­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit zu kei­ner­lei Ansprüchen auf Leis­tun­gen aus der

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be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung führt. Zwar sind Höchst­al­ters­gren­zen nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts bis­lang für zulässig er­ach­tet wor­den (BAG 14. Ja­nu­ar 1986 - 3 AZR 456/84 - AP Nr. 5 zu § 1 Be­trAVG Gleich­be­hand­lung Rn. 22). Be­gründet wur­de dies da­mit, dass bei leis­tungs­be­zo­ge­nen Sys­te­men zur Fi­nan­zie­rung der glei­chen Leis­tung bei älte­ren Ar­beit­neh­mern höhe­re Auf­wen­dun­gen er­for­der­lich sind als bei Jünge­ren. Je nied­ri­ger die Höchst­al­ters­gren­ze ist, des­to ge­wich­ti­ger müssen je­doch die Gründe im Sin­ne des § 10 Sätze 1 und 2 AGG sein. Im Schrift­tum sind Höchst­al­ters­gren­zen für die Auf­nah­me in ein Ver­sor­gungs­werk nach Einführung des AGG um­strit­ten. Es wird über­wie­gend die Mei­nung ver­tre­ten, dass die­se Höchst­al­ters­gren­zen nicht un­an­ge­mes­sen nied­rig sein dürfen (vgl. zu Höchst­al­ters­gren­zen: Höfer Be­trAVG ART 805.24, Thum aaO Sei­te 2292, Ren­gier, Be­trieb­li­che Al­ters­ver­sor­gung und all­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz NZA 1251, 1254; Rolfs, Über das schwie­ri­ge Verhält­nis von AGG und Be­trAVG NZA 553, 556). Rolfs (aaO NZA Sei­te 556) ver­tritt die Auf­fas­sung, dass ei­ne Höchst­al­ters­gren­ze be­reits dann un­an­ge­mes­sen nied­rig sein dürf­te, wenn das Höchst­al­ter das 52. Le­bens­jahr über­steigt.

Die in der vor­lie­gen­den Ver­sor­gungs­ord­nung nor­mier­te fak­ti­sche Höchst­al­ters­gren­ze von 45 Jah­ren gilt für al­le Ver­sor­gungs­leis­tun­gen der Be­klag­ten, al­so - wie bei der Kläge­rin -auch für die Al­ters­ren­te. Für die Be­stim­mung ei­ner der­art nied­ri­gen Höchst­al­ters­gren­ze auch bei der Al­ters­ren­te sind ge­wich­ti­ge Gründe im Sin­ne des § 10 Sätze 1 und 2 AGG we­der dar­ge­tan noch er­sicht­lich. Die Be­klag­te hat die Höchst­al­ters­gren­ze zunächst mit dem Er­for­der­nis ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur be­gründet. Die­ser schlag­wort­ar­ti­ge Vor­trag ist je­doch oh­ne Sub­stanz. Die Be­klag­te hat we­der die Al­ters­struk­tur vor und nach der Fu­si­on der bei­den Ban­ken näher dar­ge­legt noch vor­ge­tra­gen, dass es Pro­ble­me ge­ge­ben hat, Ar­beit­neh­mer (hier: Bank­kauf­leu­te) ei­ner be­stimm­ten Al­ters­grup­pe (hier: jünge­re Ar­beit­neh­mer) zu fin­den. Zum an­de­ren hat die Be­klag­te die Höchst­al­ters­gren­ze mit dem Ge­dan­ken der Ri­si­ko­be­gren­zung be­gründet. Die Be­klag­te ha­be ein nach Über­schrei­ten der Höchst­al­ters­gren­ze ge­stei­ger­tes In­va­li­ditäts- und To­des­fall­ri­si­ko nicht tra­gen wol­len. Es kann da­hin­ge­stellt blei­ben, ob die­se un­be­streit­bar höhe­ren Ri­si­ken bei älte­ren Ar­beit­neh­mern ei­nen Grund im Sin­ne des § 10 Sätze 1 und 2 AGG dafür bie­ten können, die Höchst­al­ters­gren­ze auf 45 Jah­re her­ab­zu­set­zen. Das Ar­gu­ment der Ri­si­ko­be­gren­zung trägt aber je­den­falls nicht für die Ver­sor­gungs­leis­tung der Al­ters­ren­te wie im vor­lie­gen­den Fall. Das Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung ist kein Ri­si­ko, son­dern der er­streb­te Nor­mal­fall.

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Da § 2 Abs. 1 c Ver­sor­gungs­ord­nung ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot we­gen des Al­ters verstößt, ist die­se Be­stim­mung gemäß § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam. Des­halb ist die Kläge­rin so zu stel­len, als ob sie nicht be­nach­tei­ligt wor­den wäre. Dem­gemäß hat sie oh­ne Berück­sich­ti­gung von § 2 Abs. 1 c Ver­sor­gungs­ord­nung ei­nen (rech­ne­risch un­strei­ti­gen) An­spruch auf ei­ne mo­nat­li­che Be­triebs­ren­te i. H. v. 113,66 € mo­nat­lich. Die­se Be­triebs­ren­te ist gemäß § 14 Abs. 2 Ver­sor­gungs­ord­nung nachschüssig am Mo­nats­en­de zu be­zah­len (und nicht am Mo­nats­en­de des Fol­ge­mo­nats).


III.

Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 64 Abs. 2 ArbGG iVm. § 91 Abs. 1 ZPO, wo­nach die un­ter­lie­gen­de Par­tei die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen hat.

Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­ruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.


Rechts­mit­tel­be­leh­rung


1. Ge­gen die­ses Ur­teil kann die Be­klag­te schrift­lich Re­vi­si­on ein­le­gen. Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt
Hu­go-Preuß-Platz 1
99084 Er­furt

ein­ge­hen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

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Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Pro­zess­be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

a. Rechts­anwälte,
b. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
c. ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG erfüllen.

In den Fällen der lit. b und c müssen die han­deln­den Per­so­nen die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

2. Für die Kläge­rin ist ge­gen die­ses Ur­teil ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Auf § 72a ArbGG wird hin­ge­wie­sen.

 

Hen­sin­ger

Baar  

Bres­lau­er

Hin­weis:
Die Geschäfts­stel­le des Bun­des­ar­beits­ge­richts wünscht die Vor­la­ge der Schriftsätze in sie­ben­fa­cher Fer­ti­gung, für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ei­ne wei­te­re Mehr­fer­ti­gung.

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