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LAG Hamm, Ur­teil vom 26.03.2015, 16 Sa 1711/14

   
Schlagworte: Arbeitsunfähigkeit, Krankheit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 16 Sa 1711/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.03.2015
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Herne, Urteil vom 21.10.2014, 3 Ca 3517/13
Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.05.2016, 5 AZR 318/15
   

Te­nor:

Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Her­ne vom 21.10.2014 – 3 Ca 3517/13–ab­geändert und die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Der Kläger trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten um ei­nen An­spruch des Klägers auf Ent­gelt­fort­zah­lung

Der Kläger war vom 02.11.2010 bis 31.10.2013 bei der Be­klag­ten als Ar­bei­ter beschäftigt. Er be­zog ein mo­nat­li­ches Ent­gelt von 1.900,00 Eu­ro brut­to.

In der Zeit vom 09.09. bis 20.10.2013 war der Kläger zunächst auf­grund ei­nes Wir­belsäulen­lei­dens ar­beits­unfähig er­krankt. Ab dem 21.10.2013 wur­de der Kläger von sei­nem be­han­deln­den Arzt Dr. M für die Zeit vom 21.10.2013 bis zum 15.11.2013 für ar­beits­unfähig be­fun­den. Hierüber stell­te Dr. Mei­ne Erst­be­schei­ni­gung aus. Die vom Kläger zu den Ge­richts­ak­ten ge­reich­ten Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gun­gen, die die Dia­gno­sen aus­wei­sen, ent­hal­ten für den Zeit­raum 09.09 bis 20.10.2013 die Schlüssel „M123 G, M234 G“ und für den Zeit­raum ab dem 21.10.2013 den Schlüssel „M345 G“. Für den Zeit­raum vom 21.10.2013 bis 31.10.2013 ver­wei­ger­te die Be­klag­te die vom Kläger be­gehr­te Ent­gelt­fort­zah­lung. Kran­ken­geld wur­de dem Kläger nicht gewährt.

Mit sei­ner am 23.12.2013 bei Ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge ver­folgt der Kläger den An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung in Höhe von 633,33 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen.

Der Kläger hat vor­ge­tra­gen, er ha­be am Mon­tag, dem 21.10.2013, wie ge­wohnt die Ar­beit an­tre­ten wol­len, sich mor­gens beim An­zie­hen unglück­lich be­wegt und ei­ne schwer­wie­gen­de Ver­let­zung in der rech­ten Schul­ter zu­ge­zo­gen.

Der Kläger hat be­an­tragt, 

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 633,33 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit­dem 01.11.2013 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, 

die Kla­ge ab­zu­wei­sen. 

Sie hat be­strit­ten, dass der Kläger, wenn auch nur kurz­fris­tig, vor­dem 21.10.2013 ar­beitsfähig ge­we­sen sei. Zu­dem spre­che viel dafür, dass die Schul­ter­ver­let­zung be­reits vor­dem 20.10.2013, 24.00 Uhr, ent­stan­den sei.

Durch Ur­teil vom 21.10.2014 hat das Ar­beits­ge­richt nach Ver­neh­mung des Arz­tes Dr. med. M als sach­verständi­gen Zeu­gen die Be­klag­te zur Zah­lung von 633,33 € brut­to ver­ur­teilt. Zur Be­gründung hat es aus­geführt, dass auf­grund der Ver­neh­mung des be­han­deln­den Arz­tes des Klägers nicht fest­ste­he, dass die­ser be­reits während der bis zum 20.10.2013 an­hal­ten­den Er­kran­kung we­gen der Schul­ter­ver­let­zung ar­beits­unfähig ge­we­sen sei, so dass er nach dem Grund­satz der Ein­heit des Ver­hin­de­rungs­falls ei­nen neu­en An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung er­wor­ben ha­be. Zwar ha­be der Kläger am 17.10.2013 sei­nen be­han­deln­den Arzt auf­ge­sucht und die­sem über Schmer­zen im Schul­ter­be­reich be­rich­tet. Dass der Arzt den Kläger be­reits am 17.10.2013 auf­grund der Schul­ter­schmer­zen krank­ge­schrie­ben hätte, wenn der Kläger die­sem Zeit­punkt nicht oh­ne­hin noch krank­ge­schrie­ben ge­we­sen wäre, ha­be Dr. M als sach­verständi­ger Zeu­ge nicht ein­deu­tig be­ant­wor­ten können. Die Fol­gen der Nicht­nach­weis­lich­keit ha­be die Be­klag­te zu tra­gen.

Ge­gen die­ses ihr am 03.11.2014 zu­ge­stell­te Ur­teil, auf das we­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Sach- und Streit­stands Be­zug ge­nom­men wird, hat die Be­klag­te am 03.12.2014 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se zu­gleich be­gründet.

Die Be­klag­te be­ruft sich dar­auf, dass der Kläger be­reits am 17.10.2013 über ein­ge­tre­te­ne zu­neh­men­de Schul­ter­schmer­zen mit ei­ner Be­we­gungs­ein­schränkung ge­klagt ha­be, al­so über die Krank­heit, we­gen der er dann ab dem 21.10.2013 er­neut krank­ge­schrie­ben wor­den sei. Es sei von zwei über­lap­pen­den Krank­hei­ten aus­zu­ge­hen. Der be­han­deln­de Arzt ha­be bei sei­ner Ver­neh­mung zunächst auch bestätigt, dass er den Kläger we­gen der Schul­ter­schmer­zen be­reits am 17.10.2013 krank­ge­schrie­ben hätte, wenn nicht ei­ne Krank­schrei­bung we­gen der auf­ge­tre­te­nen Rücken­be­schwer­den be­reits vor­ge­le­gen hätte. Auf die im Nach­hin­ein erörter­te Fra­ge, ob der be­han­deln­de Arzt be­reits am 17.10.2013 ei­ne krank­heits­be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit kon­kret fest­ge­stellt ha­be, könne es für die Be­ur­tei­lung nicht an­kom­men. Die wei­te­re „Neu­krank­schrei­bung“ ab dem 21.10.2013 sei eben­so aus­sch­ließlich auf­grund der An­ga­ben des Klägers er­folgt. Es sei da­von aus­zu­ge­hen, dass der Kläger auf­grund sei­ner Schul­ter­be­schwer­den be­reits am dem 17.10.2013 als ar­beits­unfähig krank an­zu­se­hen sei.

Die Be­klag­te be­an­tragt, 

das am 21.10.2014 verkünde­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Her­ne, AZ: 3 Ca 3517/13, wird auf­ge­ho­ben und die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Der Kläger be­an­tragt, 

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen. 

Er be­haup­tet, die Schul­ter­ver­let­zung ha­be er sich ei­ni­ge Zeit vor dem 21.10.2013, mögli­cher­wei­se im April oder auch zu­vor, zu­ge­zo­gen. Er sei des­we­gen je­doch nicht ar­beits­unfähig ge­we­sen, son­dern ha­be ei­ne Phy­sio­the­ra­pie er­hal­ten. Am 17.10.2013 ha­be er we­gen an­de­rer Er­kran­kun­gen, womöglich auch we­gen der Schul­ter­ver­let­zung, den Arzt auf­ge­sucht. Am 21.10.2013 sei sei­ne Rücken­ver­let­zung aus­ge­heilt ge­we­sen. Er ha­be zur Ar­beit ge­hen wol­len, sei beim An­zie­hen je­doch mit der Schul­ter an den Türrah­men ges­toßen und ha­be so star­ke Schmer­zen ent­wi­ckelt, dass er nicht ha­be zur Ar­beit ge­hen können. Im Übri­gen ver­tei­digt er das an­ge­foch­te­ne Ur­teil als zu­tref­fend.

Zum wei­te­ren Sach­vor­trag der Par­tei­en im Be­ru­fungs­ver­fah­ren wird auf die zwi­schen ih­nen ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Be­ru­fung der Be­klag­ten ist be­gründet. 

Der Kläger kann für sei­ne Ar­beits­unfähig­keit ab dem 21.10.2013 bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31.10.2013 Ent­gelt­fort­zah­lung nach § 3 Abs. 1 EFZG nicht ver­lan­gen. Es steht nicht fest, dass er nach der vor­an­ge­gan­ge­nen sechswöchi­gen Ar­beits­unfähig­keit, für die er Ent­gelt­fort­zah­lung er­hal­ten hat, er­neut ar­beits­unfähig ge­wor­den ist.

Grundsätz­lich hat der Ar­beit­neh­mer für je­de neue Er­kran­kung, die zur Ar­beits­unfähig­keit führt, ei­nen neu­en An­spruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung. Tritt we­gen ei­ner be­ste­hen­den Ar­beits­unfähig­keit ei­ne wei­te­re Krank­heits­ur­sa­che hin­zu, die für sich eben­so die Ar­beits­unfähig­keit be­dingt hätte, so wird hier­durch kein neu­er Sechs­wo­chen­zeit­raum in Gang ge­setzt. Auch meh­re­re un­ter­schied­li­che Er­kran­kun­gen, die sich teil­wei­se über­lap­pen, lösen nur ein­mal nach dem Grund­satz der Ein­heit des Ver­hin­de­rungs­falls für sechs Wo­chen ei­nen Ent­gelt­fort­zah­lungs­an­spruch aus (BAG vom 02.02.1994, 5 AZR 345/93, NZA 1994, 547; Schmidt, Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz, 7. Auf­la­ge, § 3 Rn. 285).

Im vor­lie­gen­den Fall war der Kläger ab dem 09.09.2013 bis ein­sch­ließlich 20.10.2013 we­gen ei­nes lum­ba­len Fa­cet­ten­syn­droms ar­beits­unfähig. Zu­gleich be­stand je­doch ei­ne Er­kran­kung, die er sich schon vor Be­ginn der Ar­beits­unfähig­keit auf­grund ei­nes Un­falls zu­ge­zo­gen hat­te und die mit Schul­ter­schmer­zen ver­bun­den war. Am 17.10.2013, vor En­de sei­ner Ar­beits­unfähig­keit we­gen des lum­ba­len Fa­cet­ten­syn­droms such­te der Kläger sei­nen Arzt je­den­falls auch we­gen zu­neh­men­der Schul­ter­schmer­zen auf. Nach dem Er­geb­nis der vom Ar­beits­ge­richt durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me steht nicht fest, ob die­se Er­kran­kung am 17.10.2013 für sich al­lei­ne ei­ne Ar­beits­unfähig­keit be­gründet hätte. Nach dem Sach­vor­trag des Klägers hat sei­ne Ar­beits­unfähig­keit je­doch le­dig­lich bis zum 20.10.2013 an­ge­hal­ten, er wäre nach Be­en­di­gung der ihm at­tes­tier­ten Ar­beits­unfähig­keit wie­der ar­beitsfähig ge­we­sen.

Für die­se Fall­kon­stel­la­ti­on ist nach Auf­fas­sung der Kam­mer der Kläger im Er­geb­nis be­weis­pflich­tig dafür, dass er nicht schon am 17.10.2013 we­gen sei­ner Schul­ter­ver­let­zung ar­beits­unfähig war. Der Grund­satz der Ein­heit des Ver­hin­de­rungs­falls, der auf Zu­mut­bar­keits­erwägun­gen be­ruht und des­halb die Ent­gelt­fort­zah­lungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers auf sechs Wo­chen be­grenzt, hat zur Fol­ge, dass der Kläger für das Auf­tre­ten ei­ner er­neu­ten Er­kran­kung be­weis­pflich­tig ist.

Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 ZPO. 

Die Kam­mer hat die Re­vi­si­on nach § 72 Abs. 2 ArbGG zu­ge­las­sen.

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