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LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.12.2009, 17 Sa 621/09
Schlagworte: | Arbeitsunfähigkeit, Urlaub | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg | |
Aktenzeichen: | 17 Sa 621/09 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 02.12.2009 | |
Leitsätze: | 1. Im Verhältnis zwischen gesetzlichen und tariflichen Urlaubsansprüchen findet § 366 Abs. 2 BGB keine Anwendung. (Rn.19) 2. Zur Frage des Vertrauensschutzes gegen eine Änderung der Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. (Rn.28) |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 6.03.2009, 28 Ca 21796/08 | |
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Verkündet
am 2. Dezember 2009
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
17 Sa 621/09
28 Ca 21796/08
Arbeitsgericht Berlin
M., VA
als Urkundsbeamter/in
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In Sachen
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 17. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht D. als Vorsitzenden
sowie die ehrenamtlichen Richter Herr W. und Herr B.
für Recht erkannt:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. März 2009 – 28 Ca 21796/08 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision der Beklagten wird zugelassen.
D. W. W. B.
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Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Urlaub gewähren muss, der im Jahr 2005 nicht genommen wurde.
Der im Jahr 1955 geborene Kläger ist seit Dezember 1983 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als technischer Angestellter tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden seit dem 1. Januar 1993 kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken in der jeweiligen Fassung (MTV) sowie die Bestimmungen einer tariflichen Überleitungsvereinbarung zum Bankentarifvertrag vom 20. Januar 1993 (Kopie Bl. 26 ff. d.A.) Anwendung. Der Erholungsurlaub beträgt danach für Arbeitnehmer nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 33 Tage im Jahr. Die Beklagte lässt es ferner zu, Urlaub bis zum 30. April des Folgejahres anzutreten.
Der Kläger nahm im Jahr 2005 von seinen 33 Urlaubstagen bis zum Beginn einer Arbeitsunfähigkeit, die vom 13. September 2005 bis 15. Januar 2006 andauerte, insgesamt 27 Urlaubstage. Er ging vom 16. bis 31. Januar 2006 seiner Tätigkeit nach, bis er vom 1. Februar bis 30. April 2006 erneut arbeitsunfähig krank wurde und an einer Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben teilnahm.
Der Kläger beantragte am 8. Februar 2006, ihm Urlaub von sechs Tagen in der Zeit vom 12. bis 19. Mai 2006 zu gewähren. Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit, dass Urlaub, der nicht bis zum 30. April 2006 angetreten werde, gestrichen werde; dies nahm der Kläger zunächst hin.
Mit seiner Klage hat der Kläger vor allem die Feststellung begehrt, dass die Beklagte ihm für das Jahr 2005 noch sechs Tage Urlaub zu gewähren hat; hilfsweise hat er die Gewährung des Urlaubs verlangt. Der Urlaub sei nicht verfallen, weil er ihn wegen einer Arbeitsunfähigkeit nicht vor Ablauf des Übertragungszeitraums habe nehmen können. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Ein Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2005 sei verfallen. Es handele sich nicht um den gesetzlichen, sondern den tariflichen Urlaub; zudem hätte der Kläger den Urlaub in der Zeit seiner Arbeitsfähigkeit vom 16. bis 31. Januar 2006 nehmen können.
Das Arbeitsgericht hat durch ein am 6. März 2009 verkündetes Urteil festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger mit Rücksicht auf seinen Urlaubsanspruch für das Jahr 2005 noch sechs Tage Urlaub zu gewähren, wobei es sich um den gesetzlichen Urlaub
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handele. Ein Verfall des Urlaubs könne im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Januar 2009 (-C-350/06 und C-520/06 – Sch.-H. – EzA EG Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 1) nicht angenommen werden, weil der Kläger ihn wegen seiner Arbeitsunfähigkeit nicht habe nehmen können. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihr am 19. März 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 31. März 2009 eingelegte Berufung der Beklagten, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. Juni 2009 mit einem an diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Beklagte ist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin der Auffassung, ein Urlaubsanspruch für das Jahr 2005 sei verfallen. Der Kläger könne allenfalls noch einen tariflichen Urlaub geltend machen, weil er im Jahr 2005 bereits 27 Urlaubstage erhalten habe. Der tarifliche Urlaub sei jedoch mit dem Ende des Übertragungszeitraums verfallen, ohne dass insoweit europarechtliche Vorschriften berührt seien. Der Kläger hätte zudem einen noch offenen Urlaub während des Übertragungszeitraums nehmen und dabei ggf. die begonnene Wiedereingliederungsmaßnahme verschieben oder unterbrechen können. Jedenfalls stehe ihr ein Vertrauensschutz gegen eine Änderung der Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. März 2009 – 28 Ca 21796/08 – abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil mit Rechtsausführungen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger für das Jahr 2005 noch sechs Tage Urlaub zu gewähren hat.
I.
Die Klage ist zulässig. Dem Kläger steht insbesondere ein nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliches rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung zu. Auf diese Weise kann die zwischen den Parteien allein streitige Frage geklärt werden, ob Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Jahr 2005 verfallen sind. Der Kläger ist in diesem Zusammenhang nicht darauf zu verweisen, seinen Anspruch im Wege der Leistungsklage zu verfolgen. Die Parteien streiten nicht über die zeitliche Lage des Urlaubs, sondern über das Bestehen eines Urlaubsanspruchs als solchen. Auch spricht nichts dafür, dass sich die Beklagte nicht der rechtskräftigen Feststellung eines Urlaubsanspruchs beugen und dem Kläger erst auf eine erneute Klage Urlaub gewähren würde. Bei dieser Sachlage kann dem Kläger ein Feststellungsinteresse nicht abgesprochen werden.
II.
Die Klage ist begründet.
1. Dem Kläger hatte gemäß § 15 MTV i.V.m. Teil C der Überleitungsvereinbarung für das Jahr 2005 Anspruch auf 33 Arbeitstage Erholungsurlaub. Diesen Anspruch hat die Beklagte im Jahr 2005 im Umfang von 27 Arbeitstagen erfüllt, so dass noch ein weiterer tariflicher Erholungsurlaubsanspruch von 6 Arbeitstagen verbleibt. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang meint, es handele sich um den gesetzlichen Urlaubsanspruch des § 3 Abs. 1 BUrlG, weil die Beklagte zunächst ausschließlich den tariflichen Erholungsurlaubs gewährt habe, trifft dies nach Auffassung der Berufungskammer nicht zu. Gesetzlicher und tariflicher
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Urlaubsanspruch richten sich auf die gleiche Leistung, nämlich die bezahlte Befreiung von der Arbeitsleistung zu Erholungszwecken. Mit der Gewährung des Urlaubs werden daher gleichzeitig beide Urlaubsansprüche erfüllt. Der Arbeitnehmer kann hingegen nicht den gesetzlichen Urlaub neben dem tariflichen Urlaub fordern, sondern es bestehen für die ersten 24 Werktage Urlaub im Jahr mehrere Anspruchsgrundlagen. Wurde der gesetzliche Urlaubsanspruch – wie im vorliegenden Fall – erfüllt, verbleibt allein der diesen Anspruch übersteigende tarifliche Erholungsurlaub. Eine Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 2 BGB, die zu einer Erfüllung zunächst des tariflichen Urlaubs führen könnte, setzt demgegenüber das Bestehen mehrere Leistungspflichten voraus und kommt deshalb nicht in Betracht.
2. Der Urlaubsanspruch des Klägers ist nicht mit Ablauf des Übertragungszeitraums am 30. April 2006 verfallen.
a) § 15 MTV sowie die Überleitungsvereinbarung zum Bankentarif enthalten keine Regelungen über den Verfall des tariflichen Urlaubsanspruchs; vielmehr sollen nach § 15 Abs. 9 MTV „günstigere gesetzliche Regelungen … unberührt (bleiben)“. Die Parteien haben ebenfalls keine Bestimmungen darüber getroffen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Urlaub verfallen soll. Dass die Beklagte den Übertragungszeitraum des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG verlängert hat, besagt nichts über den Verfall des Anspruchs nach Ablauf dieses Zeitraums. Damit bestimmt sich der Verfall des tariflichen Urlaubs nach den für den gesetzlichen Mindesturlaub geltenden Bestimmungen (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG, Rdnr. 78 ff.).
b) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend BAG, Urteil vom 13. Mai 1982 – 6 AZR 360/80 – AP Nr. 4 zu § 7 BUrlG Übertragung) erlosch der gesetzliche Urlaubsanspruch allerdings mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres bzw. mit dem Ende des Übertragungszeitraums des § 7 Abs. 3 BUrlG. Der Urlaub müsse im laufenden Kalenderjahr genommen werden; sei dies wegen einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht möglich, könne der Urlaub nur auf die ersten drei Monate des nächsten Kalenderjahres übertragen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 2, 3 BUrlG).
Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung mit Urteil vom 24. März 2009 – 9 AZR (a.a.O.) für Fallgestaltungen aufgegeben, in denen der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist bzw. war. Die bisherige Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG widerspreche der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über
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bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie); dies ergebe sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Januar 2009 (-C-350/06 und C-520/06 – Sch.-H. – a.a.O.), dessen Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts bindend sei. Der Arbeitnehmer dürfe danach aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht verlieren, wenn er wegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaubsanspruch bis zum Ende des Urlaubsjahres bzw. eines Übertragungszeitraums nicht verwirklichen konnte. Dem sei im Wege einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion des § 7 Abs. 3 BUrlG in der Weise Rechnung zu tragen, dass die zeitlichen Beschränkungen des Urlaubsanspruchs im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums nicht gelten.
c) Die Berufungskammer folgt der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die im Hinblick auf die europarechtlichen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs geboten ist. Der streitbefangene Urlaubsanspruch des Klägers ist danach nicht verfallen, weil er infolge seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage war, den Urlaub bis zum 30. April 2006 anzutreten. Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Kläger habe seinen Resturlaub 2005 in der Zeit vom 16. bis 31. Januar 2006 nehmen bzw. seine am 1. Februar 2006 begonnene Maßnahme zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben verschieben können. Der Kläger war nicht gehalten, den Urlaub unmittelbar nach Ende seiner Arbeitsunfähigkeit anzutreten. Er war zudem während der Maßnahme zur Wiedereingliederung arbeitsunfähig krank und schon deshalb nicht in der Lage, Urlaub zu nehmen; im Übrigen bestand seitens des Klägers auch keine Verpflichtung, die Maßnahme nicht wie ärztlich empfohlen am 1. Februar 2006 zu beginnen.
d) Dem Anspruch steht ein Vertrauensschutz der Beklagten gegen eine Änderung der Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen nicht entgegen.
aa) Der Europäische Gerichtshof hat eine Rückwirkung seines Urteils vom 20. Januar 2009 (-C-350/06 und C-520/06 – Sch.-H. – a.a.O.) nicht ausgeschlossen; es ist daher auch für Urlaubsansprüche aus bereits vergangenen Jahren maßgebend.
bb) Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, sie habe auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertrauen dürfen und müsse daher den streitbefangenen Urlaubsanspruch nicht erfüllen.
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(1) Das Bundesarbeitsgericht ist allerdings – wie alle nationalen Gerichte – als Teil der Staatsgewalt an das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 gebunden. Es hat deshalb den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten, der auch den Schutz vor Rückwirkungen beinhaltet. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich bei der – auch höchstrichterlichen – Rechtsprechung nicht um Gesetzesrecht handelt. Urteile ändern die Rechtslage nicht, sondern stellen diese lediglich auf Grund eines – prinzipiell irrtumsanfälligen – Erkenntnisprozesses fest (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. September 1992 – 1 BvR 496/87 – AP Nr. 15 zu Art. 20 GG). Eine geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung ist deshalb grundsätzlich auch auf Fallkonstellationen anzuwenden, in denen die für die Beurteilung des Rechtsstreits maßgebenden Tatsachen zu einer Zeit gesetzt worden sind, in der die Änderung der Rechtsprechung noch nicht stattgefunden hat und auch noch nicht angekündigt worden war (BAG, Urteil vom 18. April 2007 – 4 AZR 652/05 – AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag). Das Gericht ist stets verpflichtet, seine bisherige Rechtsprechung kritisch zu überprüfen. Gewinnt es eine bessere Erkenntnis, muss es sie bei nächster Gelegenheit umsetzen und darf nicht auf der Grundlage einer – nunmehr als unrichtig erkannten – Rechtsauffassung entscheiden. Jede Partei muss daher damit rechnen, dass das Gericht eine bisher vertretene Rechtsprechung aufgrund neuer Erkenntnisse ändert. Hiervon ist aus Gründen des Vertrauensschutzes nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn und soweit die von der Rückwirkung einer geänderten Rechtsprechung nachteilig betroffene Partei auf die Weiterführung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen durfte und die Anwendung der geänderten Auffassung wegen ihrer Rechtsfolgen im Streitfall oder der Wirkung auf andere vergleichbar gelagerte Rechtsbeziehungen auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Prozessgegners eine unzumutbare Härte bedeuten würde (BAG, Urteil vom 18. April 2007 – 4 AZR 652/05 – a.a.O.; Urteil vom 23. März 2006 – 2 AZR 343/05 – AP Nr. 21 zu § 17 KSchG 1969).
(2) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann sich die Beklagte nicht auf einen Vertrauensschutz der genannten Art berufen.
(a) Die Beklagte durfte zwar auf die die Weiterführung der bisherigen Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei Ablauf des Übertragungszeitraums vertrauen, weil mit einer Änderung der Rechtsprechung nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts erst mit dem Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. August 2006 in der Sache Sch.-H. und damit nach Ablauf des Übertragungszeitraums für Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2005 zu rechnen war (BAG, Urteil vom 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – a.a.O.).
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(b) Die Anwendung der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt für die Beklagte jedoch keine unzumutbare Härte in dem genannten Sinne dar.
Das Bundesarbeitsgericht hat in jüngerer Zeit - soweit ersichtlich – in zwei Fallgestaltungen Vertrauensschutz gegen eine Änderung seiner Rechtsprechung gewährt. So hat es mit Urteil vom 23. März 2006 – 2 AZR 343/05 - a.a.O. in Abkehr seiner bisherigen langjährigen Rechtsprechung angenommen, „Entlassung“ i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG meine nicht die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern den Ausspruch der Kündigung; dies führe jedoch in Fällen, in denen der Arbeitgeber auf die bisherige Rechtsprechung habe vertrauen dürfen, nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Ansonsten könnten erhebliche finanzielle Nachteile entstehen, obwohl der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung die für ihn erkennbare Rechtsprechung sowie die Vorgaben der Agentur für Arbeit beachtet hatte. Ferner legt das Bundesarbeitsgericht nunmehr arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf Tarifverträge nicht mehr als Gleichstellungsabreden aus, deren Wirkung mit dem Ende der Tarifbindung des Arbeitgebers entfallen, nimmt hiervon jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes Klauseln, die vor dem 1. Januar 2002 vereinbart wurden, aus. Eine vollständige Rückwirkung auf alle Arbeitsverträge, in denen derartige Verweisungsklauseln vereinbart worden sind, würde für die Arbeitgeber, die sich vielfach an höchstrichterlicher Rechtsprechung orientieren, eine unzumutbare Härte bedeuten. Angesichts der Dispositionen, die die Arbeitgeber insoweit im Vertrauen auf den Bestand der immer wieder bestätigten Rechtsprechung bei unveränderter Rechtslage getroffen haben, wäre ein derartig tief greifender Einschnitt auch unter Beachtung der entgegenstehenden berechtigten Interessen der Arbeitnehmer nicht gerechtfertigt und würde überdies zu einer großen Verunsicherung in den Betrieben führen (BAG, Urteil vom 18. April 2007 – 4 AZR 652/05 – a.a.O.; Urteil vom 10. Dezember 2008 – 4 AZR 881/07 – AP Nr. 68 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).
Der im vorliegenden Rechtsstreit zu beurteilende Sachverhalt ist mit den vorgenannten Fallgestaltungen nicht zu vergleichen und rechtfertigt auch sonst nicht die Annahme einer unzumutbaren Härte für die Beklagte. Die Rückwirkung der geänderten Rechtsprechung auf die Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2005 würde nicht zur Unwirksamkeit eines Gestaltungsrechts führen; es geht vielmehr allein um die Frage, ob der Beklagten die Erfüllung eines – nunmehr als bestehend angesehenen – Anspruchs zugemutet werden kann. Auch kann eine rückwirkende Anwendung tariflicher Vorschriften auf das Arbeitsverhältnis zu erheblichen, für den Arbeitgeber nicht absehbaren Ansprüchen führen. Demgegenüber geht es im vorliegenden Fall ausschließlich um die Frage, ob die Beklagte
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Urlaub auch nach Ablauf des Übertragungszeitraums zu gewähren hat, wenn dies wegen der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers zuvor nicht möglich war. Dass dies für die Beklagte unzumutbar wäre, ist nicht erkennbar. Sie musste sich ohnehin darauf einstellen, die tariflichen Urlaubswünsche ihrer Arbeitnehmer zu erfüllen; zusätzliche, nicht absehbare finanzielle Folgen hat eine Anwendung der geänderten Rechtsprechung für sie nicht. Die Beklagte kann die Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes auch nicht damit begründen, bei weiteren Arbeitsunfähigkeiten könnten sich die Urlaubsansprüche des Klägers summieren und zu erheblichen Belastungen führen; denn insoweit wendet sich die Beklagten ausschließlich gegen die zukünftigen Folgen der geänderten Rechtsprechung, was für die Frage der Rückwirkung dieser Rechtsprechung ohne Aussagekraft ist. Soweit die Beklagte im Wege einer Stichtagsregelung einen Vertrauensschutz hinsichtlich aller vor dem Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des LAG Düsseldorf vom 2. August 2006 zum Fall Sch.-H. entstandenen Urlaubsansprüche für erforderlich hält, folgt ihr die Berufungskammer ebenfalls nicht. Eine derartige Stichtagsregelung wäre nur geboten, wenn die Rückwirkung der geänderten Rechtsprechung stets zu einer unzumutbaren Härte für den Arbeitgeber führen würde, wovon nicht ausgegangen werden kann. Wollte man hingegen stets bis zu dem Zeitpunkt Vertrauensschutz gewähren, zu dem mit einer Rechtsprechungsänderung gerechnet werden müsste, würde nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Parteien eines Rechtsstreits grundsätzlich mit der Änderung der Rechtsprechung rechnen müssen und daher nur bei dem Vorliegen einer unzumutbaren Härte diesbezüglichen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Berufungskammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten bei dem
Bundesarbeitsgericht,
Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt
(Postadresse: 99113 Erfurt),
Revision eingelegt werden.
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Die Revision muss innerhalb
einer Notfrist von einem Monat
schriftlich beim Bundesarbeitsgericht eingelegt werden.
Sie ist gleichzeitig oder innerhalb
einer Frist von zwei Monaten
schriftlich zu begründen.
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Revisionsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Revision gerichtet wird und die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Revision eingelegt werde.
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Als solche sind außer Rechtsanwälten nur folgende Stellen zugelassen, die zudem durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln müssen:
• Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
• juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Für den Kläger ist kein Rechtsmittel gegeben.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments i. S. d. § 46b ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts unter www.bundesarbeitsgericht.de.
D.
W. W.
B.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |