HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 11.09.2014, C-328/13 - Öster­rei­chi­scher Ge­werk­schafts­bund

   
Schlagworte: Betriebsübergang: Tarifvertrag
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-328/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 11.09.2014
   
Leitsätze: Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass „in einem Kollektivvertrag vereinbarte Arbeitsbedingungen“ im Sinne dieser Bestimmung auch solche mit einem Kollektivvertrag festgelegten Arbeitsbedingungen sind, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats trotz Kündigung dieses Vertrags weiter auf Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren, nachwirken, solange für diese Arbeitsverhältnisse nicht ein neuer Kollektivvertrag wirksam oder mit den betroffenen Arbeitnehmern nicht eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird.
Vorinstanzen: Oberster Gerichtshof (Österreich)
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Vier­te Kam­mer)

11. Sep­tem­ber 2014(*)

„Vor­la­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung - Richt­li­nie 2001/23/EG - Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len - Ver­pflich­tung des Er­wer­bers, die in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen bis zum In­kraft­tre­ten ei­nes an­de­ren Kol­lek­tiv­ver­trags auf­recht­zu­er­hal­ten - Be­griff des Kol­lek­tiv­ver­trags - Na­tio­na­le Rechts­vor­schrif­ten, nach de­nen ein gekündig­ter Kol­lek­tiv­ver­trag bis zum In­kraft­tre­ten ei­ner an­de­ren Ver­ein­ba­rung nach­wirkt“

In der Rechts­sa­che C-328/13

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Obers­ten Ge­richts­hof (Öster­reich) mit Ent­schei­dung vom 28. Mai 2013, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 17. Ju­ni 2013, in dem Ver­fah­ren

Öster­rei­chi­scher Ge­werk­schafts­bund

ge­gen

Wirt­schafts­kam­mer Öster­reich - Fach­ver­band Au­to­bus-, Luft­fahrt- und Schiff­fahrts­un­ter­neh­mun­gen

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Vier­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten L. Bay Lar­sen, der Rich­ter M. Saf­jan und J. Ma­le­n­ovský so­wie der Rich­te­rin­nen A. Prechal (Be­richt­er­stat­te­rin) und K. Jürimäe,

Ge­ne­ral­an­walt: P. Cruz Vil­lalón,

Kanz­ler: A. Ca­lot Es­co­bar,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

- des Öster­rei­chi­schen Ge­werk­schafts­bunds, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt R. Ger­lach,

- der Wirt­schafts­kam­mer Öster­reich – Fach­ver­band Au­to­bus-, Luft­fahrt- und Schiff­fahrts­un­ter­neh­mun­gen, ver­tre­ten durch Rechts­anwältin K. Körber-Risak,

- der deut­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch T. Hen­ze und K. Pe­ter­sen als Be­vollmäch­tig­te,

- der grie­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch E.‑M. Ma­mou­na und M. Tasso­pou­lou als Be­vollmäch­tig­te,

- der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch J. En­e­gren und F. Schatz als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts in der Sit­zung vom 3. Ju­ni 2014

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len (ABl. L 82, S. 16).
2

Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen dem Öster­rei­chi­schen Ge­werk­schafts­bund und der Wirt­schafts­kam­mer Öster­reich – Fach­ver­band Au­to­bus-, Luft­fahrt- und Schiff­fahrts­un­ter­neh­mun­gen (im Fol­gen­den: Wirt­schafts­kam­mer) über die Nach­wir­kung ei­nes gekündig­ten Kol­lek­tiv­ver­trags bei ei­nem Be­triebsüber­gang.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

3

Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 sieht vor:

„Nach dem Über­gang erhält der Er­wer­ber die in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen bis zur Kündi­gung oder zum Ab­lauf des Kol­lek­tiv­ver­trags bzw. bis zum In­kraft­tre­ten oder bis zur An­wen­dung ei­nes an­de­ren Kol­lek­tiv­ver­trags in dem glei­chen Maße auf­recht, wie sie in dem Kol­lek­tiv­ver­trag für den Veräußerer vor­ge­se­hen wa­ren.

Die Mit­glied­staa­ten können den Zeit­raum der Auf­recht­er­hal­tung der Ar­beits­be­din­gun­gen be­gren­zen, al­ler­dings darf die­ser nicht we­ni­ger als ein Jahr be­tra­gen.“

Öster­rei­chi­sches Recht

4 § 8 des Ar­beits­ver­fas­sungs­ge­set­zes (BGBl. 22/1974) be­stimmt in der für das Aus­gangs­ver­fah­ren gel­ten­den Fas­sung (im Fol­gen­den: ArbVG):

„Kol­lek­tiv­ver­trags­an­gehörig sind, so­fern der Kol­lek­tiv­ver­trag nichts an­de­res be­stimmt, in­ner­halb sei­nes räum­li­chen, fach­li­chen und persönli­chen Gel­tungs­be­rei­ches

1. die Ar­beit­ge­ber und die Ar­beit­neh­mer, die zur Zeit des Ab­schlus­ses des Kol­lek­tiv­ver­tra­ges Mit­glie­der der am Kol­lek­tiv­ver­trag be­tei­lig­ten Par­tei­en wa­ren oder später wer­den;

2. die Ar­beit­ge­ber, auf die der Be­trieb oder ein Teil des Be­trie­bes ei­nes der in Z 1 be­zeich­ne­ten Ar­beit­ge­ber über­geht;

…“

5 § 13 ArbVG lau­tet:

„Die Rechts­wir­kun­gen des Kol­lek­tiv­ver­tra­ges blei­ben nach sei­nem Erlöschen für Ar­beits­verhält­nis­se, die un­mit­tel­bar vor sei­nem Erlöschen durch ihn er­fasst wa­ren, so lan­ge auf­recht, als für die­se Ar­beits­verhält­nis­se nicht ein neu­er Kol­lek­tiv­ver­trag wirk­sam oder mit den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern nicht ei­ne neue Ein­zel­ver­ein­ba­rung ab­ge­schlos­sen wird.“

6 § 4 Abs. 1 des Ar­beits­ver­trags­rechts-An­pas­sungs­ge­set­zes (BGBl. 459/1993) sieht in der auf das Aus­gangs­ver­fah­ren an­wend­ba­ren Fas­sung vor:

„Nach Be­triebsüber­gang hat der Er­wer­ber die in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen bis zur Kündi­gung oder zum Ab­lauf des Kol­lek­tiv­ver­tra­ges oder bis zum In­kraft­tre­ten oder bis zur An­wen­dung ei­nes an­de­ren Kol­lek­tiv­ver­tra­ges in dem glei­chen Maße auf­recht­zu­er­hal­ten, wie sie in dem Kol­lek­tiv­ver­trag für den Veräußerer vor­ge­se­hen wa­ren. Die Ar­beits­be­din­gun­gen dürfen zum Nach­teil des Ar­beit­neh­mers durch Ein­zel­ar­beits­ver­trag in­ner­halb ei­nes Jah­res nach Be­triebsüber­gang we­der auf­ge­ho­ben noch be­schränkt wer­den.“

7 Das vor­le­gen­de Ge­richt führt aus, dass der Kol­lek­tiv­ver­trag nach öster­rei­chi­schem Recht grundsätz­lich nicht Be­stand­teil des Ar­beits­ver­trags wird, son­dern auf die­sen wie ein Ge­setz ein­wirkt.

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

8 Wie sich aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung er­gibt, ist die Wirt­schafts­kam­mer be­rech­tigt, für die ihr an­gehöri­gen Un­ter­neh­men Kol­lek­tiv­verträge ab­zu­sch­ließen. In die­sem Zu­sam­men­hang ha­ben der Ge­werk­schafts­bund und die Wirt­schafts­kam­mer für ein Kon­zern­un­ter­neh­men der Luft­fahrt­bran­che (im Fol­gen­den: Mut­ter­ge­sell­schaft) ei­nen Kol­lek­tiv­ver­trag ge­schlos­sen, der für al­le Luft­fahrt­un­ter­neh­men die­ses Kon­zerns gilt, so­fern sie nicht aus­sch­ließlich Re­gio­nal­ver­kehr be­trei­ben (im Fol­gen­den: Kol­lek­tiv­ver­trag der Mut­ter­ge­sell­schaft).
9 Der Ge­werk­schafts­bund und die Wirt­schafts­kam­mer ha­ben außer­dem ei­nen be­son­de­ren Kol­lek­tiv­ver­trag für ei­ne Kon­zern­toch­ter ge­schlos­sen (im Fol­gen­den: Kol­lek­tiv­ver­trag der Toch­ter­ge­sell­schaft).
10 Um Be­triebs­ver­lus­te ab­zu­bau­en, be­schloss die Mut­ter­ge­sell­schaft am 30. April 2012, ih­ren Flug­be­trieb zum 1. Ju­li 2012 in Form ei­nes Be­triebsüber­gangs in die­se Toch­ter­ge­sell­schaft ein­zu­brin­gen. Da­mit soll­te er­reicht wer­den, dass für die in­so­weit ein­ge­setz­ten Ar­beit­neh­mer die Ar­beits­be­din­gun­gen des Kol­lek­tiv­ver­trags der Toch­ter­ge­sell­schaft gel­ten, die ungüns­ti­ger sind als die­je­ni­gen des Kol­lek­tiv­ver­trags der Mut­ter­ge­sell­schaft. In die­sem Zu­sam­men­hang kündig­te die Wirt­schafts­kam­mer den Kol­lek­tiv­ver­trag der Mut­ter­ge­sell­schaft zum 30. Ju­ni 2012, wor­auf­hin der Ge­werk­schafts­bund den Kol­lek­tiv­ver­trag der Toch­ter­ge­sell­schaft zum sel­ben Ter­min kündig­te. Der neue Ar­beit­ge­ber der vom Be­triebsüber­gang be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer, d. h. die Toch­ter­ge­sell­schaft, hat nach die­sen Kündi­gun­gen ein­sei­tig er­las­se­ne Un­ter­neh­mens­richt­li­ni­en an­ge­wandt, die zu ei­ner Ver­schlech­te­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen und ei­ner er­heb­li­chen Kürzung der Gehälter der vom Be­triebsüber­gang be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer geführt ha­ben sol­len.
11 Vor dem vor­le­gen­den Ge­richt macht der Ge­werk­schafts­bund gel­tend, dass der auf­gekündig­te Kol­lek­tiv­ver­trag der Mut­ter­ge­sell­schaft gemäß der Nach­wir­kungs­re­gel des § 13 ArbVG für al­le über­ge­gan­ge­nen Ar­beit­neh­mer gel­ten müsse, da die Toch­ter­ge­sell­schaft kei­nem gel­ten­den Kol­lek­tiv­ver­trag mehr un­ter­lie­ge.
12 Da­ge­gen trägt die Wirt­schafts­kam­mer vor, dass ein zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs be­reits gekündig­ter oder aus­ge­lau­fe­ner Kol­lek­tiv­ver­trag vom Er­wer­ber nicht zwin­gend be­ach­tet wer­den müsse. Nur der Kol­lek­tiv­ver­trag selbst könne im Rah­men ei­nes Be­triebsüber­gangs auch beim Er­wer­ber wei­ter wir­ken.
13 Das vor­le­gen­de Ge­richt führt aus, dass die Ent­schei­dung des bei ihm anhängi­gen Rechts­streits da­von abhänge, ob die in § 13 ArbVG für den Fall der Kündi­gung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags vor­ge­se­he­ne Nach­wir­kung die­ses Ver­trags, mit der das Feh­len ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags aus­ge­gli­chen wer­den und der An­reiz zur Her­beiführung ei­nes kol­lek­tiv­ver­trags­lo­sen Zu­stands ge­nom­men wer­den sol­le, ei­nen Kol­lek­tiv­ver­trag im Sin­ne von Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 dar­stel­le. Das vom Ge­werk­schafts­bund gel­tend ge­mach­te rechts­miss­bräuch­li­che Ver­hal­ten der Mut­ter­ge­sell­schaft könne erst nach Klärung der Rechts­fol­gen des Be­triebsüber­gangs bzw. der Kündi­gun­gen der Kol­lek­tiv­verträge be­ur­teilt wer­den.
14 Un­ter die­sen Umständen hat der Obers­te Ge­richts­hof be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

1. Ist die Wort­fol­ge in Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23, wo­nach die in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­ten und beim Veräußerer gel­ten­den „Ar­beits­be­din­gun­gen“ bis zur „Kündi­gung oder zum Ab­lauf des Kol­lek­tiv­ver­trags“ „in dem glei­chen Maße“ auf­recht­zu­er­hal­ten sind, da­hin aus­zu­le­gen, dass da­von auch sol­che Ar­beits­be­din­gun­gen er­fasst sind, die mit ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag fest­ge­legt wur­den und nach na­tio­na­lem Recht trotz des­sen Kündi­gung un­be­grenzt wei­ter nach­wir­ken, so­lan­ge nicht ein an­de­rer Kol­lek­tiv­ver­trag wirk­sam wird oder die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer neue Ein­zel­ver­ein­ba­run­gen ab­ge­schlos­sen ha­ben?

2. Ist Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 da­hin aus­zu­le­gen, dass un­ter „An­wen­dung ei­nes an­de­ren Kol­lek­tiv­ver­trags“ des Er­wer­bers auch die Nach­wir­kung des eben­falls gekündig­ten Kol­lek­tiv­ver­trags des Er­wer­bers im eben dar­ge­stell­ten Sin­ne zu ver­ste­hen ist?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

Zulässig­keit

15 Die Wirt­schafts­kam­mer macht die Un­zulässig­keit der Vor­la­ge­fra­gen gel­tend. Ers­tens würden kei­ne Fra­gen nach der Aus­le­gung oder Gültig­keit des Uni­ons­rechts auf­ge­wor­fen, son­dern es sei­en aus­sch­ließlich na­tio­na­le Rechts­fra­gen bzw. Fra­gen der An­wen­dung des Uni­ons­rechts be­trof­fen.
16

Zwei­tens sei­en die Vor­la­ge­fra­gen nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich, weil der Sach­ver­halt rein hy­po­the­tisch sei, da die Vor­fra­ge, ob über­haupt ein Be­triebsüber­gang vor­lie­ge, noch nicht geklärt sei und die Ge­halts­ein­bußen, die die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer durch den Be­triebsüber­gang an­geb­lich er­lit­ten hätten, nicht in ei­nem kon­tra­dik­to­ri­schem Be­weis­ver­fah­ren, in dem die Wirt­schafts­kam­mer vom vor­le­gen­den Ge­richt an­gehört wor­den sei, er­ho­ben wor­den sei­en.

17 In­so­weit ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen ei­nes na­tio­na­len Ge­richts nur dann für un­zulässig erklärt wer­den kann, wenn die er­be­te­ne Aus­le­gung des Uni­ons­rechts of­fen­sicht­lich in kei­nem Zu­sam­men­hang mit der Rea­lität oder dem Ge­gen­stand des Aus­gangs­rechts­streits steht, wenn das Pro­blem hy­po­the­ti­scher Na­tur ist oder wenn der Ge­richts­hof nicht über die tatsächli­chen und recht­li­chen An­ga­ben verfügt, die für ei­ne zweck­dien­li­che Be­ant­wor­tung der ihm vor­ge­leg­ten Fra­gen er­for­der­lich sind (vgl. u. a. Ur­teil Bel­ve­de­re Co­stru­zio­ni, C-500/10, EU:C:2012:186, Rn. 16 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
18 Bezüglich des ers­ten Ar­gu­ments der Wirt­schafts­kam­mer genügt der Hin­weis, dass die Vor­la­ge­fra­gen, wie sich be­reits aus ih­rem Wort­laut er­gibt, die Aus­le­gung des Uni­ons­rechts, und zwar des Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23, be­tref­fen.
19 Zum zwei­ten Ar­gu­ment der Wirt­schafts­kam­mer ist fest­zu­stel­len, dass der Um­stand, dass Sach­fra­gen bis­her nicht Ge­gen­stand ei­nes kon­tra­dik­to­ri­schen Be­weis­ver­fah­rens wa­ren, zu den Ei­gen­hei­ten des Ver­fah­rens vor dem vor­le­gen­den Ge­richt gehört. Der Ge­richts­hof hat je­doch be­reits ent­schie­den, dass die­se Ei­gen­hei­ten als sol­che ei­ne im Rah­men die­ses Ver­fah­rens ge­stell­te Vor­la­ge­fra­ge nicht un­zulässig ma­chen können (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Öster­rei­chi­scher Ge­werk­schafts­bund, C-195/98, EU:C:2000:655, Rn. 29).
20 So­mit sind die Vor­la­ge­fra­gen zulässig.

Be­ant­wor­tung der Fra­gen

Zur ers­ten Fra­ge

21 Mit sei­ner ers­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass „in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­te Ar­beits­be­din­gun­gen“ im Sin­ne die­ser Be­stim­mung auch sol­che mit ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag fest­ge­leg­ten Ar­beits­be­din­gun­gen sind, die nach dem Recht ei­nes Mit­glied­staats trotz Kündi­gung die­ses Ver­trags wei­ter auf Ar­beits­verhält­nis­se, die un­mit­tel­bar vor sei­nem Erlöschen durch ihn er­fasst wa­ren, nach­wir­ken, so­lan­ge für die­se Ar­beits­verhält­nis­se nicht ein neu­er Kol­lek­tiv­ver­trag wirk­sam oder mit den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern nicht ei­ne neue Ein­zel­ver­ein­ba­rung ab­ge­schlos­sen wird.
22 In­so­weit ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die Richt­li­nie 2001/23 nur ei­ne teil­wei­se Har­mo­ni­sie­rung auf dem ge­re­gel­ten Ge­biet vor­nimmt, in­dem sie hauptsächlich den Schutz, der den Ar­beit­neh­mern durch die Rechts­vor­schrif­ten der ein­zel­nen Mit­glied­staa­ten selbst be­reits gewährt wird, auch auf den Fall des Un­ter­neh­mensüber­gangs aus­dehnt. Sie will kein für die ge­sam­te Uni­on auf­grund ge­mein­sa­mer Kri­te­ri­en ein­heit­li­ches Schutz­ni­veau schaf­fen (vgl. u. a. Ur­tei­le Col­li­no und Chiap­pe­ro, C-343/98, EU:C:2000:441, Rn. 37, und Ju­uri, C-396/07, EU:C:2008:656, Rn. 23).
23 Fer­ner be­zweckt Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 nicht die Wei­ter­gel­tung ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags als sol­chem, son­dern die der in ei­nem sol­chen Ver­trag ver­ein­bar­ten „Ar­beits­be­din­gun­gen“.
24 Da­her ge­bie­tet Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23, wie der Ge­ne­ral­an­walt in Nr. 41 sei­ner Schluss­anträge aus­geführt hat, die Auf­recht­er­hal­tung der kol­lek­tiv­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen, oh­ne dass es auf den spe­zi­fi­schen Ur­sprung ih­rer Gel­tung ankäme.
25 Dar­aus folgt, dass kol­lek­tiv­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ar­beits­be­din­gun­gen un­abhängig da­von, mit wel­cher Tech­nik ih­re Gel­tung für die Be­tei­lig­ten er­reicht wird, grundsätz­lich un­ter Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 fal­len. In­so­weit genügt es, dass Ar­beits­be­din­gun­gen in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bart wur­den und den Er­wer­ber und die über­ge­gan­ge­nen Ar­beit­neh­mer tatsächlich bin­den.
26 Kol­lek­tiv­ver­trag­lich fest­ge­leg­te Ar­beits­be­din­gun­gen sind da­her nicht schon des­halb vom An­wen­dungs­be­reich die­ser Be­stim­mung aus­ge­nom­men, weil sie für die Be­tei­lig­ten auf­grund ei­ner Vor­schrift über die Nach­wir­kung von Kol­lek­tiv­verträgen, wie sie im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de steht, gel­ten.
27 Die­se Aus­le­gung wird un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens durch das mit der Richt­li­nie 2001/23 ver­folg­te Ziel bestätigt, das dar­in be­steht, zu ver­hin­dern, dass sich die La­ge der über­ge­gan­ge­nen Ar­beit­neh­mer al­lein auf­grund die­ses Über­gangs ver­schlech­tert (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Scat­to­lon, C-108/10, EU:C:2011:542, Rn. 75 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
28 Die Vor­schrift über die Nach­wir­kung von Kol­lek­tiv­verträgen, wie sie im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de steht, soll nämlich, wie der Ge­ne­ral­an­walt in Nr. 53 sei­ner Schluss­anträge aus­geführt hat, im In­ter­es­se der Ar­beit­neh­mer ver­hin­dern, dass es zu ei­nem plötz­li­chen Bruch des für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten­den kol­lek­tiv­ver­trag­li­chen Rah­mens kommt. Wären die un­ter die­se Vor­schrift fal­len­den Ar­beits­be­din­gun­gen vom An­wen­dungs­be­reich des Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 aus­ge­nom­men, würde aber der Über­gang für sich al­lein die Wir­kung ent­fal­ten, die durch die be­tref­fen­de Vor­schrift ver­hin­dert wer­den soll.
29 Fer­ner ent­spricht die­se Aus­le­gung dem Ziel der Richt­li­nie 2001/23, das dar­in be­steht, ei­nen ge­rech­ten Aus­gleich zwi­schen den In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer ei­ner­seits und de­nen des Er­wer­bers an­de­rer­seits zu gewähr­leis­ten, und aus dem sich ins­be­son­de­re er­gibt, dass der Er­wer­ber in der La­ge sein muss, die für die Fort­set­zung sei­ner Tätig­keit er­for­der­li­chen An­pas­sun­gen vor­zu­neh­men (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Alemo-Her­ron u. a., C-426/11, EU:C:2013:521, Rn. 25).
30 Die Vor­schrift über die Nach­wir­kung von Kol­lek­tiv­verträgen, wie sie im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de steht, hat nämlich be­grenz­te Aus­wir­kun­gen, da die Rechts­wir­kun­gen ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags nur für die Ar­beits­verhält­nis­se auf­recht­er­hal­ten wer­den, die un­mit­tel­bar vor sei­ner Kündi­gung von ihm er­fasst wur­den, und nur so lan­ge, wie für die­se Ar­beits­verhält­nis­se nicht ein neu­er Kol­lek­tiv­ver­trag wirk­sam oder mit den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern nicht ei­ne neue Ein­zel­ver­ein­ba­rung ab­ge­schlos­sen wird. Un­ter die­sen Umständen ist nicht er­sicht­lich, dass ei­ne sol­che Vor­schrift den Er­wer­ber dar­an hin­dern würde, die für die Fort­set­zung sei­ner Tätig­keit er­for­der­li­chen An­pas­sun­gen vor­zu­neh­men.
31 Nach al­le­dem ist auf die ers­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass „in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­te Ar­beits­be­din­gun­gen“ im Sin­ne die­ser Be­stim­mung auch sol­che mit ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag fest­ge­leg­ten Ar­beits­be­din­gun­gen sind, die nach dem Recht ei­nes Mit­glied­staats trotz Kündi­gung die­ses Ver­trags wei­ter auf Ar­beits­verhält­nis­se, die un­mit­tel­bar vor sei­nem Erlöschen durch ihn er­fasst wa­ren, nach­wir­ken, so­lan­ge für die­se Ar­beits­verhält­nis­se nicht ein neu­er Kol­lek­tiv­ver­trag wirk­sam oder mit den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern nicht ei­ne neue Ein­zel­ver­ein­ba­rung ab­ge­schlos­sen wird.

Zur zwei­ten Fra­ge

32 Mit sei­ner zwei­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass der Kol­lek­tiv­ver­trag des Er­wer­bers, der sei­ner­seits gekündigt wur­de und des­sen Wir­kun­gen durch ei­ne die Nach­wir­kung an­ord­nen­de Vor­schrift wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che auf­recht­er­hal­ten wer­den, un­ter den Be­griff „An­wen­dung ei­nes an­de­ren Kol­lek­tiv­ver­trags“ im Sin­ne die­ser Be­stim­mung fal­len kann.
33 Hin­sicht­lich der im Kol­lek­tiv­ver­trag des Er­wer­bers ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen, auf die das vor­le­gen­de Ge­richt in sei­ner zwei­ten Fra­ge Be­zug nimmt, er­gibt sich aus den dem Ge­richts­hof vor­ge­leg­ten Ak­ten je­doch nicht, dass die­se Be­din­gun­gen auf­grund der Vor­schrift über die Nach­wir­kung die­ses Kol­lek­tiv­ver­trags für die über­ge­gan­ge­nen Ar­beit­neh­mer gel­ten.
34 Da­her ist die zwei­te Fra­ge nicht zu be­ant­wor­ten.

Kos­ten

35 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Vier­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Art. 3 Abs. 3 der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len ist da­hin aus­zu­le­gen, dass „in ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag ver­ein­bar­te Ar­beits­be­din­gun­gen“ im Sin­ne die­ser Be­stim­mung auch sol­che mit ei­nem Kol­lek­tiv­ver­trag fest­ge­leg­ten Ar­beits­be­din­gun­gen sind, die nach dem Recht ei­nes Mit­glied­staats trotz Kündi­gung die­ses Ver­trags wei­ter auf Ar­beits­verhält­nis­se, die un­mit­tel­bar vor sei­nem Erlöschen durch ihn er­fasst wa­ren, nach­wir­ken, so­lan­ge für die­se Ar­beits­verhält­nis­se nicht ein neu­er Kol­lek­tiv­ver­trag wirk­sam oder mit den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern nicht ei­ne neue Ein­zel­ver­ein­ba­rung ab­ge­schlos­sen wird.

Un­ter­schrif­ten

* Ver­fah­rens­spra­che: Deutsch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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