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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/055

Per­so­nal­ge­spräch trotz Krank­heit

Ar­beits­un­fä­hig er­krank­te Ar­beit­neh­mer sind im All­ge­mei­nen nicht ver­pflich­tet, an Per­so­nal­ge­sprä­chen teil­zu­neh­men: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg, Ur­teil vom 01.09.2015, 7 Sa 592/14
BEM Gipsbein Per­so­nal­ge­sprä­che auch wäh­rend ei­ner AU?

16.02.2016. Per­so­nal­ge­sprä­che sind meist nicht sehr be­liebt. Vor al­lem die of­fi­zi­el­le An­wei­sung, zu ei­nem sol­chen Ge­spräch zu er­schei­nen, wird eher Un­lust­ge­füh­le als Vor­freu­de er­zeu­gen.

Be­son­ders un­pas­send kommt die Auf­for­de­rung zu ei­nem Mit­ar­bei­ter­ge­spräch, wenn man mit Fie­ber und Wärm­fla­sche Zu­hau­se im Bett liegt. Und über­haupt: Darf der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mer wäh­rend ei­ner krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­un­fä­hig­keit zu ei­nem Per­so­nal­ge­spräch in den Be­trieb zi­tie­ren?

Mit die­ser Fra­ge hat­te sich vor kur­zem das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg zu be­fas­sen: LAG Nürn­berg, Ur­teil vom 01.09.2015, 7 Sa 592/14.

Müssen krank ge­schrie­be­ne Ar­beit­neh­mer an Per­so­nal­gesprächen teil­neh­men?

Das Recht des Ar­beit­ge­bers, mit ei­nem Ar­beit­neh­mer ein Per­so­nal­gespräch zu führen, wird aus dem Wei­sungs­recht bzw. Di­rek­ti­ons­recht her­ge­lei­tet, d.h. aus § 106 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO).

Nach die­ser Ge­set­zes­vor­schrift kann der Ar­beit­ge­ber

  • den In­halt,
  • den Ort und
  • die Zeit

der Ar­beits­leis­tung nach "bil­li­gem Er­mes­sen" näher be­stim­men, so­weit die­se Din­ge nicht schon durch den Ar­beits­ver­trag, durch Be­stim­mun­gen ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder ei­nes an­wend­ba­ren Ta­rif­ver­trags oder durch ge­setz­li­che Vor­schrif­ten fest­ge­legt sind.

Soll es al­so in ei­nem Per­so­nal­gespräch zu­min­dest ne­ben­her um die o.g. drei The­men ge­hen, d.h. um In­halt, Ort oder Zeit der Ar­beits­leis­tung, muss der Ar­beit­neh­mer an dem Gespräch teil­neh­men. Denn dann ist das Mit­ar­bei­ter­gespräch vom Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers um­fasst. Das gilt auch dann, wenn der "In­halt" der Ar­beits­leis­tung nur am Ran­de be­trof­fen ist, d.h. wenn die be­trieb­li­che Ord­nung oder das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers im Be­trieb be­spro­chen wer­den sol­len.

Be­tei­ligt sich der Ar­beit­neh­mer nicht an ei­nem Per­so­nal­gespräch, zu dem er ver­pflich­tet ist, kann der Ar­beit­ge­ber ein Ab­mah­nung aus­spre­chen und bei fort­ge­setz­ter Ver­wei­ge­rungs­hal­tung ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te oder im Ex­trem­fall so­gar ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung we­gen Ar­beits­ver­wei­ge­rung aus­spre­chen.

An­de­rer­seits muss sich der Ar­beit­neh­mer nicht an Per­so­nal­gesprächen be­tei­li­gen, wenn die­se über das in § 106 Ge­wO ge­re­gel­te Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers hin­aus­ge­hen. So hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) im Jah­re 2009 klar­ge­stellt, dass es kei­ne Pflicht zu Ge­sprä­chen über den Ar­beits­ver­trag bzw. des­sen mögli­che Ände­rung gibt (BAG, Ur­teil vom 23.06.2009, 2 AZR 606/08, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/111 BAG: Kei­ne Pflicht zu Gespräch über Ver­tragsände­rung).

Frag­lich ist, ob Ar­beit­neh­mer auch an Per­so­nal­gesprächen teil­neh­men müssen, wenn sie ar­beits­unfähig er­krankt sind. Über ei­nen sol­chen Fall hat­te das LAG Nürn­berg zu ent­schei­den (Ur­teil vom 01.09.2015, 7 Sa 592/14).

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­me­rin wird trotz Krank­schrei­bung mehr­fach zum Per­so­nal­gespräch ge­la­den

Im zu­grun­de­lie­gen­den et­was ver­zwick­ten Streit­fall war die kla­gen­de Ar­beit­neh­me­rin seit 2007 für die be­klag­te Ar­beit­ge­be­rin tätig. Die­se hat­te ihr, wie aus dem Ur­teil er­sicht­lich wird, ei­ne neue Stel­le zu geänder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen an­ge­bo­ten. In ei­ner E-Mail vom 18.03.2013 teil­te die Ar­beit­neh­me­rin ih­rem Ar­beit­ge­ber un­ter an­de­rem mit, dass "die an­ge­bo­te­ne be­ruf­li­che Verände­rung schon ein großer Schritt wäre" und sie da­her Zeit bräuch­te das zu über­den­ken. Die­se Be­denk­zeit würde sie ger­ne während ei­ner Wo­che Ur­laub neh­men wol­len. Ihr Ar­beit­ge­ber mach­te in ei­ner E-Mail vom glei­chen Tag un­miss­verständ­lich klar, dass er die gewünsch­te Be­denk­zeit nicht er­tei­len woll­te. 

Die Ar­beit­neh­me­rin war so­dann vom 20.03.2013 bis zum 30.06.2013 ar­beits­unfähig er­krankt, und gleich am ers­ten Tag der Ar­beits­unfähig­keit er­hielt sie die or­dent­li­che Kündi­gung zum 31.05.2013. Da­ge­gen reich­te sie Kündi­gungs­schutz­kla­ge beim Ar­beits­ge­richt Nürn­berg ein.

Trotz ih­rer krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­unfähig­keit (AU) for­der­te der Ar­beit­ge­ber sie in der Fol­ge mehr­fach da­zu auf, im Be­trieb zu er­schei­nen und dort Per­so­nal­gespräche zu führen. Zum The­ma des Gesprächs äußer­te sich der Ar­beit­ge­ber trotz Nach­fra­ge nicht. Die Ar­beit­neh­me­rin er­schien zu kei­nem der an­be­raum­ten Per­so­nal­gespräche, son­dern ver­wies auf ih­re AU. Ihr Ar­beit­ge­ber er­teil­te ih­re des­halb ei­ne Ab­mah­nung.

Am 10.05.2013 ließ der Ar­beit­ge­ber per E-Mail wis­sen, dass das be­ab­sich­tig­te Mit­ar­bei­ter­gespräch der Si­cher­stel­lung und Ver­bes­se­rung der Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung und der Erfüllung von Haupt- und Ne­ben­pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis die­ne, "so­lan­ge die­ses be­ste­he". Auch zu dem dies­mal an­be­raum­ten Ter­min er­schien die Ar­beit­neh­me­rin nicht.

Dar­auf­hin kündig­te der Ar­beit­ge­ber or­dent­lich ver­hal­tens­be­dingt, dies­mal zum 31.07.2013, und auch da­ge­gen klag­te die Ar­beit­neh­me­rin. Das Ar­beits­ge­richt Nürn­berg be­wer­te­te bei­de Kündi­gun­gen als un­wirk­sam. Ge­gen die Ent­schei­dung, dass auch die zwei­te or­dent­li­che Kündi­gung das Ar­beits­verhält­nis nicht be­en­det hat­te, leg­te der Ar­beit­ge­ber Be­ru­fung ein.

LAG Nürn­berg: Ar­beits­unfähig er­krank­te Ar­beit­neh­mer müssen im All­ge­mei­nen nicht an Per­so­nal­gesprächen teil­neh­men

Auch das LAG ent­schied zu­guns­ten der Ar­beit­neh­me­rin. Die Nürn­ber­ger Rich­ter stell­ten fest, dass die or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung, die der Ar­beit­ge­ber mit der Ver­wei­ge­rung des Per­so­nal­gesprächs be­gründe­te, un­wirk­sam war, da die Ar­beit­neh­me­rin nicht ver­pflich­tet ge­we­sen ist, zum Per­so­nal­gespräch zu er­schei­nen.

Denn ist ein Ar­beit­neh­mer ar­beits­unfähig er­krankt, ist er von sei­ner Ar­beits­leis­tung be­freit. Des­halb kann der Ar­beit­ge­ber auch kei­ne Wei­sun­gen er­tei­len. Dies gilt so­wohl für Wei­sun­gen in Be­zug auf die Haupt­leis­tungs­pflich­ten als auch für Wei­sun­gen, die Ne­ben­pflich­ten wie z.B. das Tra­gen an­ge­mes­se­ner Be­klei­dung oder Pünkt­lich­keit be­tref­fen.

Da­bei kam es nach Auf­fas­sung des LAG nicht dar­auf an, ob die Ar­beit­neh­me­rin ge­sund­heit­lich in der La­ge ge­we­sen wäre, an dem Per­so­nal­gespräch teil­zu­neh­men.

Aber auch wenn es ei­ne Pflicht ge­ben soll­te, während ei­ner AU an ei­nem Per­so­nal­gespräch teil­zu­neh­men, hätte der Ar­beit­ge­ber hier im Streit­fall ein sol­ches Wei­sungs­recht nicht kor­rekt aus­geübt. Denn "bil­li­ges Er­mes­sen" im Sin­ne von § 106 Ge­WO be­deu­tet, dass der Ar­beit­ge­ber nicht nur sei­ne, son­dern auch die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers an­ge­mes­sen berück­sich­tigt. Und da der Ar­beit­ge­ber hier im Streit­fall mit kei­ner Sil­be sag­te, wel­chen mögli­cher­wei­se drin­gen­den Gesprächs­be­darf er hat­te, hätte er mit dem Per­so­nal­gespräch auch war­ten können, bis die Ar­beit­neh­me­rin wie­der ge­sund war, so das LAG Nürn­berg.

We­gen der grundsätz­li­chen Be­deu­tung der An­ge­le­gen­heit ließ das LAG gemäß die Re­vi­si­on zum BAG zu.

Fa­zit: Will der Ar­beit­ge­ber mit ei­nem ar­beits­unfähig er­krank­ten Ar­beit­neh­mer ein Per­so­nal­gespräch führen, ist die­ser da­zu ge­ne­rell nicht ver­pflich­tet. Dies gilt un­abhängig da­von, ob er ge­sund­heit­lich da­zu in der La­ge wäre.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) die Auf­fas­sung des LAG Nürn­berg in die­ser Rechts­fra­ge bestätigt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem BAG-Ur­teil fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 6. Oktober 2020

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