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ArbG Bremen-Bremerhaven, Urteil vom 23.09.2010, 5 Ca 5142/10
Schlagworte: | Leistungsentgelt, TVöD | |
Gericht: | Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven | |
Aktenzeichen: | 5 Ca 5142/10 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 23.09.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Aktenzeichen: 5 Ca 5142/10
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
Kläger
gegen
Beklagte
Proz.-Bev.:
hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven
auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2010 durch
den Direktor des Arbeitsgerichts als Vorsitzenden,
den ehrenamtlichen Richter,
den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 199,81 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 199,81 festgesetzt.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Berufung einlegen. Für den Kläger ist kein Rechtsmittel gegeben.
Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat schriftlich bei dem
Landesarbeitsgericht Bremen
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Justizzentrum Am Wall 198
28195 Bremen
eingegangen sein. Sie ist gleichzeitig oder innerhalb einer Frist von zwei Monaten in gleicher Form schriftlich zu begründen.
Beide Fristen beginnen mit Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spä-testens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Die Berufung kann nur durch einen/eine bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt/Rechtsanwältin oder durch eine der nach § 11 Absatz 2 Satz 2 des Arbeits-gerichtsgesetzes zugelassenen Personen (z. B. Vertreter/-in von Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden) eingelegt werden. Es wird gebeten, sämtliche Schriftsätze in fünf-facher Ausfertigung - für jeden weiteren Beteiligten eine Ausfertigung mehr - bei dem Landesarbeitsgericht einzureichen.
Werden die vorgenannten Vorschriften nicht eingehalten, kann das Landesarbeits-gericht - von seltenen Ausnahmefällen abgesehen - das Urteil nicht mehr abändern.
TATBESTAND
Mit seiner am 12.05.2010 eingegangenen Klage macht der Kläger einen tariflichen Zah-lungsanspruch geltend.
Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Kfz-Handwerker tätig. Seit dem 01.10.2005 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD – VKA).
Dem Kläger stand im September 2008 ein Tabellenentgelt in Höhe von € 3.330,13 brutto zu. Mit der Abrechnung für Dezember 2008 zahlte die Beklagte 6% des Tabellenentgelts für September 2008 (€ 199,81 brutto) als pauschaliertes Leistungsentgelt aus (vgl. die Abrechnung Dezember 2008, Bl. 11 d. A.).
Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gewählt. Eine Betriebsvereinbarung gem. § 18 Abs. 6 Satz 3 TVöD (VKA) besteht nicht.
Mit der Abrechnung für Dezember 2009 wurden dem Kläger auf Grundlage eines im Sep-tember 2009 in Höhe von € 3.423,37 brutto bezogenen Tabellenentgelts € 205,40 brutto als pauschaliertes Leistungsentgelt ausgezahlt (Bl. 13 d. A.). Dies entspricht 6% des Ta-bellenentgelts aus September 2009.
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Mit Schreiben vom 12.01.2010 machte der Kläger Zahlung des Differenzbetrages zwi-schen dem im Dezember 2008 gezahlten 6% Leistungsentgelt und der zu zahlenden 1% des Jahresbrutto 2008 zuzüglich Zinsen ab dem 01.01.2009 geltend (Bl. 14 d. A.).
Der Kläger ist der Auffassung, er habe einen Anspruch auf weitere € 199,81 brutto Leis-tungsentgelt aus Satz 5 i.V.m. Satz 4 der 1. Protokollerklärung zu § 18 Abs. 4 TVöD (VKA). Diese Regelung bewirke, dass sich das im Dezember 2009 auszuzahlende Leistungsentgelt um den Teil des für das Jahr 2008 zur Verfügung stehenden, aber nicht ausgeschütteten Gesamtvolumens des Leistungsentgelts erhöhe. Ihm ständen daher mit der Dezemberabrechnung 2009 fällige weitere € 199,81 brutto zu.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 199,81 brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz liegenden Zinsen seit dem 01.01.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass ein Zahlungsanspruch des Klägers jedenfalls zur Zeit nicht bestehe. Die Regelung in der Protokollerklärung 1 zu Abs. 4 von § 18 TVöD (VKA) sei so zu verstehen, dass nur 6% des Tabellenentgelts für September auszuzahlen seien, solange keine betriebliche Regelung in Form einer Betriebsvereinbarung oder Dienstvereinbarung über die Ausgestaltung des Leistungsentgelts zu Stande gekommen sei. Die Restbeträge des für das Leistungsentgelt zur Verfügung stehenden Volumens würden vielmehr jeweils auf das Folgejahr übertragen und thesauriert.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien, die zu ihren Rechtsstandpunkten jeweils ausführlich vortragen, wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
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Die Klage ist zulässig und begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch zu. Er folgt aus der Protokollerklärung Nr. 1 zu Abs. 4 von § 18 TVöD (VKA) i.V.m. dem Arbeitsvertrag der Parteien und – da offenbar beidseitige Tarifbindung besteht – § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG.
Die genannte Protokollerklärung stellt eine hinreichende Anspruchsgrundlage dar, da sie eine Tarifvereinbarung und nicht lediglich eine Interpretationshilfe ist (LAG Hessen, 19/3 Sa 213/09 vom 18.12.2009, LAG Hamm, 17 Sa 701/09 vom 20.08.2009, beide nach Ju-ris).
Die Protokollerklärung lautet:
„Die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass die zeitgerechte Einführung des Leistungsentgelts sinnvoll, notwendig und deshalb beiderseits gewollt ist. Sie fordern des-halb die Betriebsparteien dazu auf, rechtzeitig vor dem 01. Januar 2007 die betrieblichen Systeme zu vereinbaren. Kommt bis zum 30. September 2007 keine betriebliche Regelung zu Stande, erhalten die Beschäftigten mit dem Tabellenentgelt des Monats Dezember 2008 6 v. H. des für den Monat September jeweils zustehenden Tabellenentgelts. Das Leistungsentgelt erhöht sich im Folgejahr um den Restbetrag des Gesamtvolumens. So lange auch in den Folgejahren keine Einigung entsprechend Satz 2 zu Stande kommt, gelten die Sätze 3 und 4 ebenfalls. Für das Jahr 2007 erhalten die Beschäftigten mit dem Tabellenentgelt des Monats Dezember 2007 12 v. H. des für den Monat September 2007 jeweils zustehenden Tabellenentgelts ausbezahlt, insgesamt jedoch nicht mehr als das Gesamtvolumen gemäß Abs. 3 Satz 1, wenn bis zum 31. Juli 2007 keine Einigung nach Satz 3 zu Stande gekommen ist.“
Diese Tarifregelung bedarf der Auslegung. Sie enthält für das Jahr 2007 eine abschlie-ßende Regelung. Für die Folgejahre ist mit hinreichender Klarheit definiert, dass die Ar-beitnehmer jedenfalls 6 v. H. des September-Tabellenentgelts ausbezahlt bekommen, so lange keine betriebliche Regelung zustande gekommen ist. Ferner ist geregelt, dass sich das Leistungsentgelt in den Folgejahren um den Restbetrag des Gesamtvolumens aus dem Vorjahr erhöht. Zur Höhe dieses Restbetrages ist nichts ausdrücklich vereinbart, er ergibt sich aber aus dem jeweiligen Gesamtvolumen für das Leistungsentgelt gem. § 18 Abs. 3 TVöD (VKA) abzüglich der 6%. Solange keine Einigung über ein höheres Volumen erzielt ist, ist das Gesamtvolumen 1 % der ständigen Monatsentgelte des Vorjahres aller unter den Geltungsbereich des TVöD fallenden Beschäftigten des jeweiligen Arbeitgebers.
Was mit dem über die ausgezahlten 6% hinausgehenden Restbetrag des Gesamtvolumens in den Folgejahren nach 2007 geschehen soll, regelt die Protokollerklärung nicht ausdrücklich. Weder heißt es darin, dass neben den 6% des September-Tabellenentgelts
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des Folgejahres der Rest aus dem Vorjahr zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuzahlen ist, noch regelt die Protokollerklärung ausdrücklich, dass die Restbeträge jeweils jährlich anwachsen und eine Gesamtauszahlung erfolgt, wenn eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung zustande gekommen ist.
In der Literatur werden zu dieser Frage unterschiedliche Standpunkte vertreten (Dannenberg, Der Personalrat 2008, 406ff. sowie Bepler u. a., TVöD Kommentar, § 18 (VKA), Rn. 29 einerseits und Sponer/Steinherr, TVöD, Vorbemerkung zu § 18 TVöD (VKA), Breier u.a., Rn. 107 zu § 18 TVöD (VKA), Kersten, ZTR 2009, 240f. andererseits).
Für die Auslegung von Tarifverträgen gelten die folgenden Rechtsprechungsgrundsätze:
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG sind Tarifverträge wie Gesetze auszulegen. Es ist daher unter Beachtung der Regeln des Sprachgebrauchs und der Grammatik zunächst vom Wortlaut auszugehen. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist jedoch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mit berücksichtigt werden muss, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben danach im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden, wobei es keine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung dieser weiteren Auslegungsmittel gibt (vgl. BAG AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen). Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 4 AZR 578/98 v. 5.10.1999).
Für den vorliegenden Fall folgt hieraus:
Der Wortlaut der Tarifregelung, der tarifliche Gesamtzusammenhang sowie die Tarifgeschichte lassen zur Überzeugung der Kammer beide Auslegungen zu. So ist richtig, dass die Tarifvertragsparteien die zügige Einführung der betrieblichen Systeme zum Leistungsentgelt wollten. Dies macht sachgerecht, eine Thesaurierung zu vereinbaren, um den Druck auf die Betriebspartner zu erhöhen, die noch keine betrieblichen Regelungen getroffen haben. Hierfür spricht auch, dass im Gegensatz zur Pauschalzahlung von 6% hin-
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sichtlich des Restbetrages nicht geregelt ist, dass dieser im Folgejahr ebenfalls auszuzahlen ist, wenn noch keine betriebliche Regelung besteht.
Andererseits ist vertretbar, dass es einer diesbezüglichen ausdrücklichen Regelung nicht bedarf, da nach § 18 Abs. 3 TVöD (VKA) eine ausdrückliche Verpflichtung zu jährlicher Auszahlung der Leistungsentgelte besteht. Dies kann sich auch auf das übertragene Restvolumen beziehen, Satz 5 der Protokollerklärung bezieht sich dem entsprechend auch auf die Folgejahre, nicht nur auf das Folgejahr wie Satz 4.
Die Kammer ist aber der Überzeugung, dass nur die Tarifauslegung des Klägers zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, 4 AZR 578/98 vom 05.10.1999) und die weiteren Auslegungskriterien nicht zu einer zwingenden Auslegung führen. Diese Überzeugung beruht auf den folgenden Erwägungen:
Zwar gelingt den Tarifparteien des öffentlichen Dienstes nicht immer, Regelungen so zu formulieren, dass sie klar, nachvollziehbar und verständlich sind. Dies zeigt auch der vor-liegende Fall. Ungeachtet dessen ist aber zu unterstellen, dass die erfahrenen Tarifexperten der Tarifparteien des öffentlichen Dienstes bei ihren Vereinbarungen auf der Hand liegende Folgefragen bei ihren Regelungen berücksichtigen. Im vorliegenden Fall führt die „Thesaurierungsthese“ zu einer derartigen Vielzahl von ungeklärten Folgeproblemen, von denen kein einziges auch nur angesprochen wird, dass hieraus zur Überzeugung der Kammer folgt, dass eine Thesaurierung nicht gewollt sein kann.
Zwar ist richtig, dass die Tarifparteien nach dem Eingangssatz der Protokollerklärung schnelle Regelungen für erforderlich hielten, was die Erzeugung eines Einigungsdrucks auf die betrieblich Verantwortlichen plausibel macht. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die durch mehrjährige Thesaurierung entstehenden Folgeprobleme als unbeachtlich angesehen wurden. Denn die mit der Regelungspraxis und der zuweilen recht zeitintensiven Regelungsfindung von Dienst- und Betriebsvereinbarungen im öffentlichen Dienst vertrauten Tarifexperten der Tarifparteien haben in den Sätzen 4 und 5 der Protokollerklärung ausdrücklich Regelungen für Folgejahre (Plural!) getroffen. Sie haben daher bewusst Fälle einkalkuliert, in denen es mehrjähriger Anstrengungen bis zur Erzielung betrieblicher Regelungen bedarf. Weshalb die Tarifparteien gleichwohl nicht ernsthaft damit gerechnet haben sollen, dass Betriebsparteien sich nicht zeitnah einigen (so z.B. LAG Hamm, a.a.O., Rdnr.78), ist angesichts der ausdrücklich für diesen Fall und für eine un-
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bestimmte Vielzahl von Jahren getroffenen Regelung eine nicht überzeugende Vermutung.
Bei einer Thesaurierung entstehen nicht zu vernachlässigende Folgeprobleme. Zum Einen hätte nahegelegen, eine Verzinsung der thesaurierten Restvolumina zu vereinbaren, wenn diese Gelder langjährig im Bestand des Arbeitgebers verbleiben sollten bzw. könnten. Schließlich handelt es sich bei den für Leistungsentgelte zur Verfügung stehenden Volumina um finanzielle Mittel, die durch Umwidmung von Entgelt im Rahmen des neuen Tarifrechts gewonnen wurden (Bredemeier u.a., TVöD/TVL, Rn. 22 zu § 18 TVöD). Da die Tarifparteien eine zügige Regelung wollten, wäre es zudem kontraproduktiv, den Arbeitgebern die Zinsgewinne zu überlassen und dadurch für sie einen Anreiz zu schaffen, sich mit der Regelung Zeit zu lassen.
Ferner stellt sich die Frage, weshalb keine Regelungen zur Insolvenzsicherung vereinbart wurden, wenn die Tarifparteien mehrjährige Thesaurierungen für möglich gehalten haben und schon aus der Nennung von Betriebsräten folgt, dass der Tarifvertrag auch auf privat-rechtlich verfasste Unternehmen Anwendung findet. Zur Überzeugung der Kammer ist nicht sehr wahrscheinlich, dass eine Gewerkschaft der Umwidmung von Entgeltbestand-teilen und ihrer Thesaurierung zustimmt, ohne hinsichtlich der Verzinsung und der Insolvenzsicherung Regelungen zu vereinbaren, die einem Zins- oder Kapitalverlust vorbeugen.
Gleiches gilt für den Fall, dass der Betrieb vor Erzielung einer betrieblichen Regelung geschlossen wird. Auch hierzu ist nichts geregelt mit der drohenden Konsequenz, dass die thesaurierten Gelder verfallen könnten.
Nicht erklärbar wäre ferner die aus der Thesaurierungsthese folgende Ungleichbehandlung von Betrieben mit oder ohne Personalrat. Nach § 18 Abs. 6 Satz 3 TVöD (VKA) kann die Ausgestaltung des Leistungsentgelts in Betrieben bzw. Verwaltungen mit einem Personalrat nur durch einvernehmliche Dienstvereinbarung erfolgen. Das heißt, dass eine Entscheidung durch die Einigungsstelle ausgeschlossen ist (§ 38 Abs. 3 TVöD) und nur eine freiwillige Vereinbarung möglich ist. Kommt diese nicht zustande, zum Beispiel weil der Arbeitgeber die Zinsgewinne aus der Thesaurierung der Restvolumina für seine Zwecke verwenden möchte, wären die Beschäftigen in einem Betrieb oder einer Verwaltung mit einem gewählten Personalrat schlechter gestellt als die Beschäftigten eines Betriebes oder Verwaltung ohne Interessenvertretung. Denn nach der Protokollerklärung zu Abs. 6 von § 18 TVöD (VKA) hat in Dienststellen bzw. Unternehmen ohne Personal- oder Be-
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triebsrat der Dienststellenleiter / Arbeitgeber die jährliche Ausschüttung der Leistungsentgelte sicherzustellen, solange eine Kommission i.S.d. Abs. 7 nicht besteht, welche nicht bestehen kann, solange kein Betriebs- oder Personalrat gewählt ist. Die Mitarbeiter von Betrieben bzw. Dienststellen ohne Personalrat oder Betriebsrat würden also jährlich in den Genuss einer vollen Ausschüttung der für Leistungsentgelte zur Verfügung stehenden Volumina kommen, die in Einheiten mit Personalrat hingegen nur in Höhe der 6%, solange keine Vereinbarung getroffen wird. Der Kammer erscheint nicht sonderlich wahrscheinlich, dass eine derartige Konsequenz von Mitbestimmung im Rahmen von Personalvertretung für die Tarifpartner akzeptabel wäre. Diese mögliche Konsequenz träfe zwar nur die Beschäftigten in personalratsfähigen Einheiten, da die Betriebsräte in den dem Betriebsverfassungsgesetz unterfallenden Einheiten gem. §§ 76, 87 Abs. 1 Ziffer 10 BetrVG die Einigungsstelle anrufen könnten und so eine Regelung erzwingen könnten. Da die dem Personalvertretungsrecht unterfallenden Einheiten aber überwiegen dürften, ist das genannte Problem auch quantitativ nicht zu vernachlässigen.
Schließlich stellt sich die ungeklärte Frage nach Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern. Zum Beispiel hätte nahegelegen, das Schicksal der Ansprüche von ausgeschiedenen Arbeitnehmern zu regeln, wenn eine Thesaurierung gewollt gewesen wäre. Da die Tarifparteien immerhin eine mehrjährige Thesaurierung für möglich gehalten hätten, liegt als Regelungserfordernis auf der Hand, was aus den thesaurierten Ansprüchen der Arbeitnehmer werden würde, die zum Zeitpunkt der betrieblichen Vereinbarung bereits aus dem Betrieb ausgeschieden sind. Nach dem Wortlaut der Protokollerklärung spricht alles dafür, dass diese Beschäftigten leer ausgehen würden, da sie als ausgeschiedene Kräfte kein Tabellenentgelt mehr beziehen. Soweit hiergegen eingewandt wird, dass Stichtagsregelungen häufig zu Härten im Einzelfall führen, kann dem nicht gefolgt werden. Mit der Thesaurierung wäre keine Stichtagsregelung geschaffen, sondern eine Dauerregelung, die Entgeltansprüche von Arbeitnehmern betrifft, welche stets aufs Neue erarbeitet werden. Weshalb langjährig Beschäftigte, darunter sicher auch besonders leistungsfähige Arbeitnehmer dann nur deswegen von Leistungen ausgeschlossen sein sollen, weil sie zu einem noch nicht einmal im Voraus feststehenden Tag (der Geltung der betrieblichen Regelung) nicht mehr beschäftigt sind und kein Tabellenentgelt beziehen, ist weder sachgerecht noch nachvollziehbar. Eine derartige Konsequenz eines als „Leistungsentgelt“ bezeichneten Entgeltbestandteils wäre eher geeignet, die Leistungsbereitschaft derer einzuschränken, die sehenden Auges von dieser Konsequenz betroffen wären, als sie zu fördern.
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Gegen die Erwägungen der Kammer kann auch nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass es ja nicht um viel (Geld) gehe (so aber das LAG Hamm a.a.O., Rdnr. 91). Denn zum Einen ist ja beabsichtigt, das Volumen für Leistungsprämien erheblich zu erhöhen (§ 18 Abs. 3 TVöD-VKA). Zum Anderen ist z.B. der hier in Rede stehende Betrag für einen Handwerker oder Müllwerker durchaus beachtlich, da bei niedrigeren Einkommen auch kleinere Steigerungsbeträge unmittelbar zu einer Verbesserung des Lebensstandarts führen können.
Im Ergebnis besteht eine derartige Vielzahl von offenen Folgefragen, deren Regelungsbedürftigkeit offensichtlich gewesen wäre, dass zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen ist, dass die Tarifparteien eine derart unzureichende, unvollständige und sowohl kollektiv- wie individualrechtlich unausgewogene Regelung im Sinne einer Thesaurierung vereinbaren wollten.
Als sachgerecht erscheint demgegenüber die vom Kläger vorgenommene Auslegung, die nicht zu derartigen Folgefragen führt. Demnach sind die Restvolumina im Folgejahr aus-zuzahlen, wenn keine betriebliche Regelung besteht.
Der Höhe nach ist die Forderung des Klägers nicht im Streit, der Klage war daher stattzugeben.
Die Zinsforderung ist begründet aus §§ 286, 288 BGB i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Der Wert des Streitgegenstandes war gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen, seine Höhe folgt aus §§ 3ff. ZPO. Die Berufung war gem. § 64 Abs. 3 ArbGG zuzulassen.
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