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LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2011, 10 TaBV 567/11
Schlagworte: | Betriebsratsmitglied | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg | |
Aktenzeichen: | 10 TaBV 567/11 | |
Typ: | Beschluss | |
Entscheidungsdatum: | 20.10.2011 | |
Leitsätze: | Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, einzelne Betriebsratsmitglieder in der Wahrnehmung ihrer Rechte zu behindern, auch wenn der Wahrnehmung kein Betriebsratsbeschluss zugrunde liegt. | |
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 10.02.2011, 54 BV 10118/10 | |
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Verkündet
am 20. Oktober 2011
Geschäftszeichen (bitte immer angeben)
10 TaBV 567/11 und
10 TaBV 1475/11
54 BV 10118/10
Arbeitsgericht Berlin
M., GB
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
Beschluss
In Sachen
pp
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 10. Kammer, auf die Anhörung vom
20. Oktober 2011 durch den Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht
W.-M. als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Herr D. und Herr W. beschlossen:
I.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Februar 2011 - 54 BV 10118/10 - wird zurückgewiesen.
II.
Auf die Anschlussbeschwerde des Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Februar 2011 - 54 BV 10118/10 - teilweise abgeändert.
Es wird für den Fall, dass der Beteiligte zu 1. in das Amt des Betriebsrates nachrückt und er sich zum Zwecke der Ausübung von Betriebsratstätigkeit vom Arbeitsplatz abmeldet, festgestellt, dass er nicht verpflichtet ist, der Arbeitgeberin mehr Angaben zu machen als
• die Angabe, dass er sich zum Zwecke der Betriebsratsarbeit entfernt
• die Angabe, wo und wie er in dieser Zeit erreichbar ist
• die Angabe der voraussichtlichen Dauer der Betriebsratsarbeit
III.
Im Übrigen wird die Anschlussbeschwerde zurückgewiesen.
IV.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
W.-M. D. W.
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G r ü n d e
I.
Die Beteiligten streiten überwiegend um Unterlassungsansprüche des Betriebsratsmitglieds F. U. sowie des 1. Ersatzmitglieds der Betriebsratsliste „Alternative“ L. B. im Zusammenhang mit der Abmeldung zur Wahrnehmung von Betriebsratsarbeit sowie dem Verhalten von Vorgesetzten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von tatsächlichen oder vermeintlichen Betriebsratsaufgaben.
Bei der letzten Betriebsratswahl im April 2010 entfielen fünf Sitze des 21köpfigen Betriebsrats auf die Liste „Alternative“. Durch diese gegenüber der früheren Zusammensetzung des Betriebsrates veränderte Konstellation gab es kurz nach Konstituierung des Betriebsrates im Mai 2010 einige Differenzen zwischen dem Ersatzmitglied B. und dem Betriebsratsmitglied U. einerseits und Führungskräften der Arbeitgeberin andererseits.
Am 7. Mai 2010 wandte sich das Ersatzmitglied B. als zeitweise nachgerücktes Betriebsratsmitglied für die verhinderte Frau U. gegen 10:30 Uhr an seinen Vorgesetzten Herrn Sch. und teilte mit, dass er sich zur Erledigung von Betriebsratsarbeit von seinem Arbeitsplatz entfernen müsse. Die Vorgesetzen des Klägers, die Herren Sch. und H. verweigerten dieses unter Hinweis auf eine momentane Unmöglichkeit. Nach einer Diskussion mit mehreren Personen trat Herr Sch. an Herrn B. heran und teilte ihm sinngemäß mit, dass er ihn als Vorgesetzten kennen lernen würde, wenn er nicht nach der Mittagspause wieder an seinem Platz sei.
Am 17. Mai 2010 teilte Herr B. als zeitweise nachgerücktes Betriebsratsmitglied für das verhinderte Betriebsratsmitglied M. F. seinem Vorgesetzten gegen Mittag mit, dass er sich wegen der Teilnahme an einer Besprechung als Betriebsratsmitglied abmelde. Dieser antwortete sinngemäß, dass das nicht möglich sei und zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen werde.
Am 18. Mai 2010 teilte Herr B. als nach wie vor zeitweise nachgerücktes Betriebsratsmitglied für den verhinderten M. F. seinem Vorgesetzten Sch. gegen 6:45 Uhr mit, dass er ab 12:30 Uhr gemeinsam mit dem
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Betriebsratsmitglied U. eine Arbeitsplatzbegehung im Bau 70 infolge Mitarbeiterbeschwerden durchführen werde. Herr Sch. teilte Herrn B. mit, dass er kein Recht habe, sich vom Arbeitsplatz zu entfernen.
Nach Beginn der Begehung am 18. Mai 2010 forderten die Vorgesetzten Sch. und Z. Herrn B. und Frau U. auf, die Begehung abzubrechen. Herr Z. äußerte, dass er sie rausschmeiße, falls sie seinen Bereich betreten würden. Herr Sch. kündigte für den Fall des Nichtabbruchs einen Lohnabzug für die aufgewendete Zeit an.
Nachdem der Mitarbeiter des Personalmanagements der Arbeitgeberin, Herr L., Herrn B. in einem Gespräch am 18. Mai 2010 mitgeteilt hatte, dass die Mitglieder der Liste „Alternative“ den Betriebsfrieden erheblich stören würden und Herr B. nach ihrer Auffassung erst nach einem Betriebsratsbeschluss tätig werden dürfe, fand am 19. Mai 2010 ein weiteres Gespräch zwischen ihnen statt. Ob in diesem Gespräch eine Abmahnung oder eine Ermahnung erfolgte oder ob eine Ermahnung nur in Aussicht gestellt worden war, ist nicht endgültig aufgeklärt. Mit E-Mail vom 8. Juni 2010 teilte Herr L. jedenfalls mit, dass eine am 19. Mai 2010 ausgesprochene Abmahnung gegenüber Herrn B. gegenstandslos sei und deshalb nicht schriftlich fixiert werde.
Das Arbeitsgericht hatte mit Beschluss vom 10. Februar 2011 zwei von mehreren Anträgen stattgegeben. Der Arbeitgeberin wurde aufgegeben es zu unterlassen, Herrn B. mit arbeitsrechtlichen Sanktionen zu drohen, wenn er sich zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben entferne und sich ordnungsgemäß beim Vorgesetzten abmelde. Weiter wurde der Arbeitgeberin aufgegeben es zu unterlassen, Herrn B. und Frau U. dadurch bei Arbeitsplatzbesichtigungen im Zusammenhang mit konkreten Mitarbeiterbeschwerden zu behindern, dass Führungskräfte zum Abbruch der Besichtigungen auffordern, Herrn B. und Frau U. den Zutritt zu Arbeitsplätzen untersagen oder ihnen mit Lohnabzug drohen. Das Verhalten der Vertreter der Arbeitgeberin stelle einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG dar. Eine Benachteiligung sei jede Schlechterstellung im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Arbeitnehmern, die nicht aus sachlichen Gründen, sondern aus der Amtstätigkeit erfolgt. Solche Benachteiligungen lägen hier vor.
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Ausreichende Anhaltspunkte, dass es sich am 7., 17. und 18. Mai 2010 nicht um ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit gehandelt habe, lägen nicht vor. Gespräche mit Arbeitnehmern des Betriebes seien originäre Aufgaben eines jeden Betriebsratsmitgliedes. Diese stünden nicht zur Disposition des Betriebsrates als Gremium. Der Ausspruch einer mündlichen Abmahnung und die Ankündigung von arbeitsrechtlichen Sanktionen seien allein wegen der Ausübung der Betriebsratstätigkeit erfolgt. Da die Arbeitgeberin bislang nicht erklärt habe, von solchen Maßnahmen Abstand zu nehmen bzw. dafür Sorge zu tragen, dass so etwas zukünftig nicht mehr erfolge, bestehe auch die notwendige Wiederholungsgefahr.
Gegen diesen den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin am 24. Februar 2011 zugestellten Beschluss legte diese am 11. März 2011 Beschwerde ein und begründete diese nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 20. Mai 2011.
Die Arbeitgeberin führt aus, dass die zu unterlassenden Sachverhalte gar nicht zwischen den Beteiligten streitig seien. Es handele sich um Rechte oder Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Am 19. Mai 2010 sei keine Abmahnung ausgesprochen worden. Es habe sich lediglich um eine Ermahnung gehandelt. Diese sei auch nur erwogen worden. Die E-Mail vom 8. Juni 2010 sei eine Kurzfassung, die den Sachverhalt nicht ganz vollständig darstelle.
Das Verhalten von Herrn Sch. am 7. Mai 2010 sei ein einmaliges Fehlverhalten gewesen. Mittlerweile habe die Arbeitgeberin mit ihren Führungskräften die unstreitige Rechtslage geklärt. Weitere derartige Vorfälle habe es nicht gegeben. Die Inbezugnahme der arbeitsrechtlichen Sanktionen im Tenor zu 1. passe nicht, da sie zum Tenor zu 2. und damit zu einem anderen Sachverhalt gehören würden.
Soweit die Arbeitgeberin mit dem Tenor zu 2. dazu angehalten sei, Arbeitsplatzbegehungen einzelner Betriebsratsmitglieder zu dulden, gehe es um die Frage, ob das einzelne Betriebsratsmitglied ungeachtet der Beschlusslage im Betriebsrat tun und lassen könne, was es wolle. Es habe sich nach Ansicht der Arbeitgeberin nicht um Betriebsratsarbeit gehandelt, da es keinen diese Handlungen deckenden Beschluss des Gremiums
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gegeben habe. Mitarbeiterbeschwerden seien gegenüber dem Gremium Betriebsrat abzugeben. Dieses Gremium habe sie dann zu behandeln. Einzelne Listenmitglieder hätten keine Befugnis, dem weiter nachzugehen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Februar 2011 - 54 BV 10118/10 -
1. die Anträge insgesamt zurückzuweisen;
2. die Anschlussbeschwerde der Antragsteller zurückzuweisen.
Herr B. und Frau U. beantragen,
1. die Beschwerde zurückzuweisen;
2. den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Februar 2011 - 54 BV 10118/10 - teilweise abzuändern und
2.1 der Arbeitgeberin aufzugeben es zu unterlassen, für den Fall, dass das Ersatzmitglied des Betriebsrates Herr B. in das Amt des Betriebsrates nachrückt, von diesem bei der Abmeldung vom Arbeitsplatz zum Zwecke der Ausübung von Betriebsratstätigkeit mehr Angaben zu verlangen, als
• die Angabe, dass er sich zum Zwecke der Betriebsratsarbeit entfernt
• die Angabe, wo und wie er in dieser Zeit erreichbar ist
• die Angabe der voraussichtlichen Dauer der Betriebsratsarbeit
2.2 hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) festzustellen, dass das Ersatzmitglied des Betriebsrates Herr B. für den Fall, dass er in das Amt des Betriebsrates nachrückt und sich zum Zwecke der
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Ausübung von Betriebsratstätigkeit vom Arbeitsplatz abmeldet, nicht verpflichtet ist, der Arbeitgeberin mehr Angaben zu machen sind, als
• die Angabe, dass er sich zum Zwecke der Betriebsratsarbeit entfernt
• die Angabe, wo und wie er in dieser Zeit erreichbar ist
• die Angabe der voraussichtlichen Dauer der Betriebsratsarbeit
Der Betriebsrat stellt keinen Antrag.
Herr B. und Frau U. erwidern, dass es ein Lippenbekenntnis sei, dass die Arbeitgeberin keine Sanktionierungen mehr anstrebe. Auf die mehrfach angeregte Erklärung, auf derartiges zukünftig zu verzichten, sei die Arbeitgeberin nicht eingegangen. Deshalb sei Misstrauen weiter geboten. Die Arbeitgeberin räume ihre Fehler nicht ein, was eine Wiederholungsgefahr indiziere. Über das Ob und Wie notwendiger Betriebsratsarbeit entscheide nicht der Arbeitgeber.
Mit der dem Tenor zu 2 zugrunde liegenden Begehung hätten Herr B. und Frau U. originäre Aufgaben einzelner Betriebsratsmitglieder wahrgenommen. Dazu gehörten auch Arbeitsplatzbegehungen, zumal Herr B. im Bereich Bau 70 selbst tätig sei. Die Beschwerdeführer würden aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht namhaft gemacht, es habe sich aber um Fragen des Gesundheitsschutzes gehandelt. Die Betriebsratsmitglieder hätten das Recht, sich zu Fraktionen zusammenzuschließen. Dieses sei ein konstituierendes Merkmal für das demokratische Gemeinwesen. Art. 38 GG sei auch für den Betriebsrat zu beachten. Auch würden sich die Betriebsratsmitglieder der IG Metall-Liste ohne die Mitglieder der Liste „Alternative“ treffen.
Die Anschlussbeschwerde zu den Modalitäten der Abmeldung zur Betriebsratsarbeit sei begründet, weil die Arbeitgeberin weitergehende Verabredungen und Festlegungen für erforderlich halte. Die abweisende Begründung des Arbeitsgerichts, sei insoweit falsch.
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Die Arbeitgeberin hält die Anschlussbeschwerde für unbegründet. Denn auch hier habe es sich um ein einmaliges Fehlverhalten ohne Wiederholungsgefahr gehandelt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Beschwerdebegründung der Arbeitgeberin vom 19. Mai 2011, die Schriftsätze der Arbeitgeberin vom 27. Juli 2011 und 22. September 2011 sowie auf die Beschwerdebeantwortung von Herrn B. und Frau U. vom 11. Juli 2011 und das Sitzungsprotokoll vom 20. Oktober 2011 Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 8 Abs. 4 und 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist ebenso wie die Anschlussbeschwerde form- und fristgerecht im Sinne von §§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG eingelegt und begründet worden.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache jedoch ebenso wenig Erfolg wie der zulässige Hauptantrag der Anschlussbeschwerde von Herrn B. und Frau U.. Auf die Anschlussbeschwerde war allerdings entsprechend dem dortigen Hilfsantrag zu entscheiden.
Dieser Hilfsantrag ist zulässig, denn das auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Die Arbeitgeberin bestreitet nämlich die vom Betriebsratsmitglied geltend gemachten konkreten Grenzen des Abmeldeverhaltens zum Zwecke der Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit. Dieses ist Ausfluss der selbstverständlichen betriebsverfassungsrechtlichen Betätigungsrechte. Einzelne aus der Betriebsratsmitgliedschaft fließende Betätigungsrechte aber auch deren Gesamtheit stellen sich als rechtlich geregelte Beziehungen der einzelnen Betriebsratsmitglieder als Rechtssubjekte zu anderen im Sinne von Rechtsverhältnissen gemäß § 256 Abs. 1 ZPO dar; die Regelung ihres Bestehens, Umfangs und ihrer Grenzen ist gerade Gegenstand des Betriebsverfassungsgesetzes.
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1.
Zwischen den Beteiligten ist es weitgehend unstreitig, dass es ungehörig ist, einem nachgerückten Ersatzmitglied des Betriebsrats mit arbeitsrechtlichen Sanktionen zu drohen, wenn es sich zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben entfernt und sich ordnungsgemäß beim Vorgesetzten abmeldet. Ebenso ist es weitgehend unstreitig, dass es ungehörig ist, Betriebsratsmitglieder bei Arbeitsplatzbesichtigungen im Zusammenhang mit konkreten Mitarbeiterbeschwerden dadurch zu behindern, dass Führungskräfte zum Abbruch der Besichtigungen auffordern, Herrn B. und Frau U. den Zutritt zu Arbeitsplätzen untersagen oder ihnen mit Lohnabzug drohen.
Weitgehend unstreitig ist auch, dass entsprechende Handlungen seitens der Vorgesetzten des Herrn B. gegenüber diesem und bei der Begehung gegenüber Frau U. erfolgt sind. Streitig ist lediglich, ob Herr L. gegenüber Herrn B. eine Abmahnung ausgesprochen hat und ob eine Wiederholungsgefahr des Fehlverhaltens der Vorgesetzten gegeben ist.
2.
Es kann dahinstehen, ob, wie das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung festgestellt hat, das Verhalten der Vertreter der Arbeitgeberin einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG darstellt. Jedenfalls handelt es sich um eine Behinderung im Sinne des § 78 Satz 1 BetrVG
Der Begriff der Behinderung in § 78 Satz 1 BetrVG ist umfassend zu verstehen. Er erfasst jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit. Ein Verschulden oder eine Behinderungsabsicht des Störers ist nicht erforderlich (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 2011 - 13 TaBV 4/11 m.w.N.). Dem Betriebsrat oder dem einzelnen Betriebsratsmitglied steht bei einer Störung oder Behinderung seiner Arbeit durch den Arbeitgeber ein Unterlassungsanspruch zu. Ein solcher Anspruch ist zwar in § 78 Satz 1 BetrVG nicht ausdrücklich geregelt. Er folgt jedoch aus dem Zweck der Vorschrift, die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben zu sichern (BAG, Beschluss vom 12. November 1997 - 7 ABR 14/97).
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2.1
Jedem Betriebsratsmitglied stehen sich aus dem Wesen seines Mandates ergebende originäre Aufgaben zu, die unabhängig von einem darauf bezogenen Betriebsratsbeschluss bestehen. Hierzu zählen insbesondere Informationsmöglichkeiten im Zusammenhang mit den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates etwa aus § 80 Abs. 1 BetrVG. Auch wenn Beschäftigte einzelne Betriebsratsmitglieder um Unterstützung, insbesondere bei der Wahrnehmung ihrer Rechte aus § 81 Abs. 4 Satz 3, § 82 Abs. 2, § 83 Abs. 1 Satz 2 oder § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, bitten, gehört das Kümmern um diese Angelegenheit unabhängig von etwaigen Betriebsratsbeschlüssen zu den sich aus dem Wesen des Betriebsratsmandates ergebenden originären Aufgaben des Betriebsratsmitglieds. Diese stehen nicht zur Disposition des Betriebsrates als Gremium.
Jedes Betriebsratsmitglied ist - unabhängig von einem entsprechenden Betriebsratsbeschluss - berechtigt, sich zur Wahrnehmung der zuvor beschriebenen Aufgaben von der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit freizustellen. Dieses Recht steht auch den Ersatzmitgliedern des Betriebsrates zu, wenn und soweit sie für ein zeitweilig verhindertes ordentliches Mitglied des Betriebsrates in den Betriebsrat nachrücken.
2.2
Der Ausspruch einer mündlichen Abmahnung und die Ankündigung von arbeitsrechtlichen Sanktionen, die wegen der Ausübung der Betriebsratstätigkeit erfolgen, stellen ebenfalls eine Behinderung der Betriebsratsarbeit dar. Dieses sehen die Beteiligten ebenfalls so. Streitig ist zwischen ihnen lediglich, ob der Mitarbeiter des Personalmanagements am 19. Mai 2010 eine mündliche Abmahnung gegenüber Herrn B. ausgesprochen hat.
Auch wenn die Arbeitgeberin vorgetragen hat, dass gegenüber Herrn B. in dem Personalgespräch am 19. Mai 2010 keine Abmahnung ausgesprochen, sondern nur eine Ermahnung in Aussicht gestellt worden sei, handelt es sich um einen Verstoß gegen das Behinderungsverbot im Sinne des § 78 Satz 1 BetrVG. Denn auch die Inaussichtstellung einer
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Ermahnung wegen ausgeübter Betriebsratstätigkeit ist eine Benachteiligung. Insofern kann dahinstehen, ob die im Wortlaut eindeutige Mail des Herrn L. „Die … ausgesprochene Abmahnung ggü. Herrn B. ist gegenstandslos“ die Tatsachen wiedergibt oder einen anderen Sachverhalt nur unglücklich ausgedrückt hat.
2.3
Auch das Beschwerdegericht muss wie das Arbeitsgericht von einer Wiederholungsgefahr ausgehen. Denn auf ausdrückliche Nachfrage in der Beschwerdeverhandlung hat die Arbeitgeberin ausgeführt, dass sie eine entsprechende Erklärung, zukünftig entsprechendes zu unterlassen, nicht abgeben werde. Damit hat die Arbeitgeberin für die Beschwerdekammer hinreichend deutlich gemacht, dass sie zwar die Rechtslage als Rechtslage anerkennt, nicht aber ihr Handeln zwingend daran ausrichten will. Deshalb können weitere Verstöße gegen das Behinderungsverbot des § 78 Satz 1 BetrVG nicht ausgeschlossen werden.
Soweit die Arbeitgeberin in den vergangenen Monaten keine weiteren entsprechenden Verstöße gegen das Behinderungs- bzw. Benachteiligungsverbot begangen hat, kann trotz gegenteiliger schriftsätzlicher Beteuerungen der Arbeitgeberin deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Stillhalten allein im Hinblick auf dieses Beschwerdeverfahren prozesstaktisch begründet ist.
3.
Nach wie vor ist zwischen den Beteiligten nicht abschließend geklärt, was Herr B. seinem Vorgesetzten mitteilen muss, wenn er in den Betriebsrat nachgerückt ist und Betriebsratsarbeit ausüben will. Wie die vorstehenden Ausführungen unter 2. belegen, hat es dabei zumindest Unklarheiten zwischen den Beteiligten gegeben und ist im Zusammenhang mit der Abmeldung eine Benachteiligung des Herrn B. und somit eine Behinderung im Sinne des § 78 BetrVG erfolgt. Herr B. hat einen Anspruch darauf, dass jede unzulässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit auch im Zusammenhang mit der Abmeldung am Arbeitsplatz unterbleibt. Zwar hat die Arbeitgeberin zutreffend ausgeführt, dass es insoweit nur einen mittlerweile geklärten Fall im Mai 2010 gegeben habe und dieser betraf nicht die zu erteilenden Informationen bei der
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Abmeldung zum Zwecke der Betriebsratsarbeit, sondern die Wahrnehmung der Betriebsratsarbeit durch das vorübergehend nachgerückte Betriebsratsmitglied B. an sich.
Dennoch ging die Kammer nach dem Verlauf der Beschwerdeverhandlung davon aus, dass es zwischen den Beteiligten weiter nicht geklärt ist, was bei der Abmeldeprozedur von Herrn B. jeweils mitzuteilen ist. Die Klärung dieser Frage stellt kein abstraktes Rechtsgutachten dar, sondern dient allein dem Zweck, dass zukünftig die Betriebsratsarbeit möglichst belastungsfrei im Sinne des § 78 BetrVG durchgeführt werden kann.
3.1
Allerdings hat Herr B. nicht dargelegt, dass die Arbeitgeberin bzw. die in deren Auftrag handelnden Vorgesetzten seit der letzten Betriebsratswahl von ihm mehr als die Angabe, dass er sich zum Zwecke der Betriebsratsarbeit entfernt, die Angabe, wo und wie er in dieser Zeit erreichbar ist und schließlich die Angabe der voraussichtlichen Dauer der Betriebsratsarbeit verlangt hätten. Wenn es schon keinen entsprechenden Verstoß in der Vergangenheit gegeben hat, kann auch nicht daraus geschlossen werden, dass in der Zukunft weiter dagegen verstoßen werde, also eine Wiederholungsgefahr gegeben sei. Demgemäß war der auf Unterlassung gerichtete Hauptantrag der Anschlussbeschwerde mangels Wiederholungsgefahr zurückzuweisen.
3.2
Dem Hilfsantrag, der auf die Feststellung der maximalen Fragen bei der Abmeldung zum Zwecke der Betriebsratsarbeit gerichtet ist, war demgegenüber stattzugeben. Denn damit werden die Beziehungen des Herrn B. zur Arbeitgeberin bei der Abmeldeprozedur hinsichtlich des Umfangs und ihrer Grenzen geregelt. Die Abmeldeprozedur bedarf der Regelung, weil damit klar und eindeutig geregelt wird, wie die Abmeldung konfliktfrei erfolgen muss. Die entsprechende Feststellung dient der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und dem einzelnen, zeitweise nachrückenden, Betriebsratsmitglied.
Dass zu der Abmeldeprozedur mehr als die drei tenorierten Aspekte der Angabe, dass Herr B. sich zum Zwecke der Betriebsratsarbeit entferne, die
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Angabe, wo und wie er in dieser Zeit erreichbar sei und die Angabe der voraussichtlichen Dauer der Betriebsratsarbeit anzugeben seien, hat die Arbeitgeberin nicht vorgetragen und war auch sonst nicht ersichtlich.
III.
Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gerichtskostenfrei.
IV.
Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kam gemäß § 92 Abs.1 Satz 2 ArbGG in Verbindung mit § 72 Abs.2 ArbGG nicht in Betracht. Es handelt sich um eine am Einzelfall orientierte Entscheidung ohne grundsätzliche rechtliche Bedeutung.
W.-M.
D.
W.
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