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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Be­schluss vom 25.08.2011, 25 TaBV 529/11

   
Schlagworte: Betriebsratswahl
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 25 TaBV 529/11
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 25.08.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Cottbus, Beschluss vom 26.01.2011, 4 BV 31/10
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 25. Au­gust 2011

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

25 TaBV 529/11

4 BV 31/10
Ar­beits­ge­richt Cott­bus

L.
Ge­richts­beschäftig­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

 

Be­schluss


In dem Be­schwer­de­ver­fah­ren un­ter Be­tei­li­gung

pp

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 25. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 25. Au­gust 2011
durch die Rich­te­rin am Ar­beits­ge­richt S. als Vor­sit­zen­de
so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin N. und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter N.

b e s c h l o s s e n :

I.
Die Be­schwer­de des Be­triebs­rats – Be­tei­lig­ter zu 23) – ge­gen den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Cott­bus vom 26. Ja­nu­ar 2011 – 4 BV 31/10 – wird zurück­ge­wie­sen.

II.
Die Rechts­be­schwer­de wird nicht zu­ge­las­sen.

S. N. N.

 

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Gründe

I.

Die Be­tei­lig­ten strei­ten im Wahl­an­fech­tungs­ver­fah­ren um die Wirk­sam­keit ei­ner Be­triebs­rats­wahl.

Die Be­tei­lig­ten zu 1. bis 22. (nach­fol­gend „22 Ar­beit­neh­mer“) sind im Be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin beschäftig­te volljähri­ge Ar­beit­neh­mer. Der Be­tei­lig­te zu 23. und Be­schwer­deführer (nach­fol­gend „Be­triebs­rat“) ist der bei der Be­triebs­rats­wahl im April 2010 gewähl­te 17-köpfi­ge Be­triebs­rat im Be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin. Die Be­tei­lig­te zu 24. (nach­fol­gend „Ar­beit­ge­be­rin“) be­treibt ein Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men in den Flughäfen Ber­lin-T. und Sch. mit ins­ge­samt et­wa 1.650 Ar­beit­neh­mern, die ins­be­son­de­re in den Be­rei­chen Check-in und Ram­pe (Vor­feld­ab­fer­ti­gung) ein­ge­setzt wer­den. Da­bei beschäftigt sie et­wa 2/3 der Ar­beit­neh­mer am Flug­ha­fen T. und 1/3 der Ar­beit­neh­mer am Flug­ha­fen Sch.. Et­wa 80 Ar­beit­neh­mer wer­den in ei­nem se­pa­ra­ten Gebäude in Sch. mit Ver­wal­tungs­ar­bei­ten im Air­port Cen­ter Sch. (ACS) beschäftigt, et­wa 130 Ar­beit­neh­mer spre­chen nicht mut­ter­sprach­lich deutsch.

Der im Be­trieb der Ar­beit­ge­be­rin ge­bil­de­te Wahl­vor­stand er­ließ ein Wahl­aus­schrei­ben vom 08.03.2010, mit dem die Be­triebs­rats­wahl vom 20. bis 22.04.2010 an­gekündigt wur­de un­ter An­ga­be der Öff­nungs­zei­ten der drei ein­zu­rich­ten­den Wahl­lo­ka­le an den Stand­or­ten T., Sch. und im ACS so­wie un­ter Hin­weis auf die öffent­li­che Stimm­auszählung am 23.04.2010. Auf den wei­te­ren In­halt des Wahl­aus­schrei­bens wird Be­zug ge­nom­men (Bl. 181 f. d. A.).

In­ner­halb der für die Ein­rei­chung von Wahl­vor­schlägen ge­setz­ten zweiwöchi­gen Frist wur­de ei­ne Vor­schlags­lis­te mit 56 Wahl­be­wer­bern ein­ge­reicht, die hand­schrift­lich in der Rei­hen­fol­ge der ein­ge­gan­ge­nen Vor­schläge in der Lis­te auf­ge­nom­men wa­ren. An Po­si­ti­on 1 die­ser hand­schrift­li­chen Lis­te be­fand sich der später gewähl­te Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de Herr H. Der Wahl­vor­stand mach­te die Vor­schlags­lis­te mit Schrei­ben vom 23.03.2010 be­kannt. Da­bei ver­wen­de­te er nicht ei­ne Ab­schrift der ori­gi­na­len Vor­schlags­lis­te in un­veränder­ter Form, son­dern nahm die Wahl­be­wer­ber in al­pha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge und oh­ne An­ga­be ih­rer Ge­burts­da­ten auf. Sämt­li­che Be­kannt­ma­chun­gen des Wahl­vor­stands er­folg­ten aus­sch­ließlich in deut­scher Spra­che.

Die Be­triebs­rats­wahl fand zu den im Wahl­aus­schrei­ben an­gekündig­ten Zei­ten vom 20. bis 22.04.2010 statt. Es wur­den 928 Stim­men ab­ge­ge­ben, dar­un­ter 128 Brief­wahl­stim­men und 14 ungülti­ge Stim­men. Auf den Wahl­zet­teln im For­mat DIN A3 wa­ren die 56 Be­wer­ber, von de­nen ma­xi­mal 17 Be­wer­ber durch An­kreu­zen gewählt wer­den konn­ten, in al­pha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge auf­ge­lis­tet. Den persönlich wählen­den Ar­beit­neh­mern wur­den, an­ders als den Briefwählern, kei­ne Wahl­um­schläge zur Verfügung ge­stellt.

 

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Die Wahl­vor­stands­mit­glie­der ver­an­lass­ten die wählen­den Ar­beit­neh­mer, ih­re persönlich ab­ge­ge­be­nen Wahl­zet­tel oh­ne Ver­wen­dung ei­nes Wahl­um­schla­ges ge­fal­tet in die Wahl­ur­ne ein­zu­le­gen. Zwi­schen den Be­tei­lig­ten ist strei­tig, ob al­le Wähler drei­fach ge­fal­te­te Wahl­zet­tel in die Wahl­ur­ne ein­leg­ten oder ob auch zwei­fach ge­fal­te­te Wahl­zet­tel ver­wen­det wur­den. Die öffent­li­che Auszählung der Wahl­zet­tel ein­sch­ließlich der Wahl­zet­tel der Briefwähler er­folg­te am 23.04.2010. Der ge­naue Ab­lauf der öffent­li­chen Auszählung ist zwi­schen den Be­tei­lig­ten strei­tig. Der Wahl­vor­stand teil­te durch Aus­hang am 23.04.2010 das Wahl­er­geb­nis mit, wo­nach die 17 mit den meis­ten Stim­men gewähl­ten Kan­di­da­tin­nen und Kan­di­da­ten gewähl­te Be­triebs­rats­mit­glie­der wa­ren und der 17. Kan­di­dat mit 169 Stim­men vor dem 18. Kan­di­dat mit 168 Stim­men lag.

Die 22 Ar­beit­neh­mer be­an­trag­ten mit An­trags­schrift vom 07.05.2010, am sel­ben Tag per Fax beim Ar­beits­ge­richt Cott­bus ein­ge­gan­gen, die Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der Be­triebs­rats­wahl mit der Be­gründung, es sei ge­gen meh­re­re we­sent­li­che Vor­schrif­ten über das Wahl­recht und das Wahl­ver­fah­ren ver­s­toßen wor­den mit der Fol­ge, dass die Wahl an­fecht­bar gemäß § 19 Abs. 1 Be­trVG und un­wirk­sam sei.

Sie ha­ben aus­geführt, ein Ver­s­toß ge­gen we­sent­li­che Vor­schrif­ten lie­ge ins­be­son­de­re vor, weil kei­ne Wahl­um­schläge ver­wen­det wur­den und die Wahl­zet­tel teil­wei­se zwei­fach und teil­wei­se drei­fach ge­fal­tet wor­den sei­en und – zu­min­dest bei den zwei­fach ge­fal­te­ten Wahl­zet­teln – die ge­setz­ten Kreu­ze auf der Rück­sei­te der Wahl­zet­tel sicht­bar ge­we­sen sei­en. Auch die Ge­stal­tung der Wahl­vor­schlags­lis­te und der Stimm­zet­tel in al­pha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge ab­wei­chend von der Ori­gi­nal­lis­te stel­le ei­nen ent­spre­chen­den Ver­s­toß dar, und bei­de Verstöße wirk­ten sich auf das Wahl­er­geb­nis zu­min­dest po­ten­ti­ell aus. Da­ne­ben lägen meh­re­re wei­te­re Verstöße ge­gen die Wahl­ord­nung mit Aus­wirk­lun­gen auf das Wahl­er­geb­nis vor, u.a. die aus­sch­ließlich in deut­scher Spra­che vor­ge­nom­me­nen Be­kannt­ma­chun­gen des Wahl­vor­stan­des, die Mit­ar­bei­ter oh­ne aus­rei­chen­de deut­sche Sprach­kennt­nis­se nicht hätten ver­ste­hen können, und die nicht ord­nungs­gemäße Ver­sie­ge­lung ei­ner über Nacht auf­be­wahr­ten Wahl­ur­ne. Hin­sicht­lich der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten der wei­te­ren Rügen der 22 Ar­beit­neh­mer wird auf ih­ren dies­bezügli­chen erst­in­stanz­li­chen Vor­trag Be­zug ge­nom­men (Schrift­satz vom 07.05.2010, 20.09.2010 und 18.01.2011, Bl. 15 ff., 143 ff. und 199 ff d.A.).

Die 22 Ar­beit­neh­mer ha­ben be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass die Be­triebs­rats­wahl vom 20.04.2010 bis 22.04.2010, de­ren Er­geb­nis am 23.04.2010 be­kannt ge­macht wor­den ist, un­wirk­sam ist.

 

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Der Be­triebs­rat und die Ar­beit­ge­be­rin ha­ben be­an­tragt,

den An­trag zurück­zu­wei­sen.

Der Be­triebs­rat hat erst­in­stanz­lich zu sämt­li­chen Vorwürfen Stel­lung be­zo­gen und da­bei vor­ge­tra­gen, Wahl­um­schläge sei­en nicht er­for­der­lich ge­we­sen, weil durch die mehr­fa­che Fal­tung der Stimm­zet­tel die in­di­vi­du­el­le Wahl nicht er­kenn­bar ge­we­sen und da­mit das Wahl­ge­heim­nis ge­wahrt wor­den sei, oh­ne dass ein Ein­fluss auf das Wahl­er­geb­nis möglich ge­we­sen sei. § 11 Abs. 1 der Wahl­ord­nung zum Be­trVG (WO) sei kei­ne we­sent­li­che Wahl­vor­schrift, da für ver­gleich­ba­re Wah­len nach § 13 Drit­tel­be­tei­li­gungs­ge­setz (Drit­telbG) und nach den Re­ge­lun­gen für Auf­sicht­rats­wah­len so­wie für po­li­ti­sche Wah­len kei­ne Wahl­um­schläge er­for­der­lich sei­en. Das Feh­len der Wahl­um­schläge führe nicht zur Ungültig­keit der ab­ge­ge­be­nen Stim­men, da die Re­ge­lung zur Ungültig­keit in § 11 Abs. 4 WO ab­sch­ließend sei. Sämt­li­che Wähler sei­en zur drei­fa­chen Fal­tung der Stimm­zet­tel auf­ge­for­dert wor­den. Die al­pha­be­ti­sche An­ord­nung der Be­wer­ber sei ver­se­hent­lich er­folgt und ha­be kei­nen Ein­fluss auf das Wahl­er­geb­nis, viel­mehr hätten meh­re­re Ar­beit­neh­mer die al­pha­be­ti­sche An­ord­nung we­gen ih­rer Über­sicht­lich­keit befürwor­tet. Auch die wei­te­ren Rügen der 22 Ar­beit­neh­mer sei­en un­be­rech­tigt, ins­be­son­de­re sei­en al­le auch nicht mut­ter­sprach­lich deutsch spre­chen­den Ar­beit­neh­mer aus­rei­chend in­for­miert und sämt­li­che Wahl­ur­nen ord­nungs­gemäß ver­sie­gelt ge­we­sen. Auf den wei­te­ren erst­in­stanz­li­chen Vor­trag des Be­triebs­rats wird Be­zug ge­nom­men (Schriftsätze vom 06.08.2010 und 29.10.2010, Bl. 105 ff. und 174 ff. d. A.).

Das Ar­beits­ge­richt Cott­bus hat die Be­triebs­rats­wahl durch Be­schluss vom 26.01.2011 für un­wirk­sam erklärt mit der Be­gründung, die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen sei durch zwin­gen­de Vor­schrif­ten ge­bo­ten. Es lie­ge des­halb ein Ver­s­toß ge­gen we­sent­li­che Vor­schrif­ten zur Si­che­rung des Wahl­ge­heim­nis­ses vor. Das Fal­ten der Stimm­zet­tel sei nicht aus­rei­chend, da oh­ne die Ver­wen­dung von Um­schlägen Kreu­ze auf der Rück­sei­te der Wahl­zet­tel er­kenn­bar sei­en. Die oh­ne Wahl­um­schläge in die Wahl­ur­ne ein­ge­leg­ten Stimm­zet­tel sei­en sämt­lich ungültig mit of­fen­sicht­li­cher Aus­wir­kung auf das Wahl­er­geb­nis. Die al­pha­be­ti­sche Aufzählung der Wahl­be­wer­ber sei eben­falls ein Ver­s­toß ge­gen ei­ne we­sent­li­che Wahl­vor­schrift. Ei­ne Wahl­be­ein­flus­sung sei da­durch möglich, und zwar ins­be­son­de­re für Wähler, die nach dem Zu­falls­prin­zip „blind“ wähl­ten. Ggf. wei­ter vor­lie­gen­de Verstöße sei­en nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich und des­halb nicht zu über­prüfen.

Ge­gen die­sen dem Be­triebs­rat am 11.02.2011 zu­ge­stell­te Be­schluss wen­det sich der Be­triebs­rat mit der am 07.03.2011 bei dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Be­schwer­de­schrift und der –

 

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nach Verlänge­rung der Be­schwer­de­be­gründungs­frist bis zum 11.05.2011 – am 11.05.2011 bei dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Be­schwer­de­be­gründungs­schrift.

Der Be­triebs­rat be­haup­tet, die Kreu­ze hätten sich auf den ge­fal­te­ten Stimm­zet­teln nicht durch­ge­drückt. So­fern doch Kreu­ze auf der Rück­sei­te der Wahl­zet­tel er­kenn­bar ge­we­sen sei­en, hätte nie­mand fest­stel­len können, was ge­nau an­ge­kreuzt wor­den sei. Ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Briefwählern und persönli­chen Wählern sei aus­ge­schlos­sen ge­we­sen, da die Stimm­zet­tel der Briefwähler vor der Auszählung zu den persönlich ab­ge­ge­be­nen Stimm­zet­teln sor­tiert wor­den sei­en.

Der Be­triebs­rat meint, die Re­ge­lun­gen in §§ 11 Abs. 1, 12 Abs. 3 WO sei­en kei­ne we­sent­li­chen Vor­schrif­ten. Die Be­triebs­rats­wahl in ei­nem Be­trieb der vor­lie­gen­den Größe sei ver­gleich­bar mit ei­ner Wahl nach dem Drit­telbG. Des­halb sei bei der Be­triebs­rats­wahl ent­ge­gen den Re­ge­lun­gen der Wahl­ord­nung die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen ent­behr­lich. Ein Ein­fluss auf die Wahl­ent­schei­dung sei durch das Feh­len der Wahl­um­schläge aus­ge­schlos­sen, da die Wahl durch die ein­zel­nen Wähler nach dem An­kreu­zen be­reits ge­trof­fen wor­den sei. Hin­sicht­lich der veränder­ten Rei­hen­fol­ge der Wahl­be­wer­ber han­de­le es sich bei § 20 Abs. 3 WO nicht um ei­ne we­sent­li­che Vor­schrift. Dies sei be­reits dar­an er­kenn­bar, dass im ver­ein­fach­ten Wahl­ver­fah­ren ei­ne al­pha­be­ti­sche Rei­hen­fol­ge in § 34 WO vor­ge­se­hen sei. Auch am Wahl­er­geb­nis, bei dem die meis­ten Stim­men auf den Be­triebs­rats­vor­sit­zen­den mit dem An­fangs­buch­sta­ben H ent­fal­len sei­en, sei er­sicht­lich, dass ei­ne Be­ein­flus­sung der Wähler durch die al­pha­be­ti­sche Rei­hen­fol­ge nicht er­folgt sei. So­weit ein­zel­ne Wähler ent­spre­chend der An­nah­me des Ar­beits­ge­richts nach dem Zu­falls­prin­zip „blind“ wähl­ten, un­ter­fie­len sol­che Wähler nicht dem Schutz­zweck der Norm. Hin­sicht­lich der wei­te­ren gerügten Verstöße ge­gen Wahl­vor­schrif­ten hält der Be­triebs­rat sei­nen erst­in­stanz­li­chen Vor­trag auf­recht.

Der Be­triebs­rat be­an­tragt,

den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Cott­bus vom 26.01.2011 - 4 BV 31/10 – ab­zuändern und den An­trag zurück­zu­wei­sen.

Die 22 Ar­beit­neh­mer be­an­tra­gen,

die Be­schwer­de zurück­zu­wei­sen.

Sie be­haup­ten, die Stimm­zet­tel sei­en zum Teil nur zwei­fach ge­fal­tet ge­we­sen, und be­strei­ten das ord­nungs­gemäße Ver­fah­ren beim Auszählen der Brief­wahl­stim­men mit Nicht­wis­sen.

 

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Die 22 Ar­beit­neh­mer mei­nen, das Wahl­ge­heim­nis sei nicht ge­wahrt, da die Kreu­ze auf den le­dig­lich ge­fal­te­ten Wahl­zet­teln auf der Rück­sei­te er­kenn­bar ge­we­sen sei­en. Die Wahl­zet­tel der Briefwähler sei­en durch die für das Ein­le­gen in die Wahl­um­schläge er­for­der­li­che be­son­de­re Art der Fal­tung er­kenn­bar ge­we­sen. Die Verände­rung der Rei­hen­fol­ge der Wahl­be­wer­ber auf den Stimm­zet­teln sei ein we­sent­li­cher Ver­s­toß ge­gen zwin­gen­de Wahl­vor­schrif­ten, der ei­ne Be­ein­flus­sung des Wahl­er­geb­nis­ses ermögli­che. Im Hin­blick auf die wei­te­ren gerügten Verstöße ge­gen Wahl­vor­schrif­ten stützen sich die 22 Ar­beit­neh­mer auf ih­ren erst­in­stanz­li­chen Vor­trag.

Hin­sicht­lich des wei­te­ren Vor­brin­gens der Be­tei­lig­ten wird auf die Schriftsätze des Be­triebs­rats vom 11.05.2011 und 23.08.2011 (Bl. 290 ff. d. A. und Bl. 336 f. d. A.) so­wie auf den Schrift­satz der 22 Ar­beit­neh­mer vom 18.08.2011 (Bl. 330 ff. d. A.) nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men (§ 313 Abs. 2 ZPO).


II.

1.
Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statt­haf­te Be­schwer­de des Be­triebs­rats ist zulässig. Sie wur­de ins­be­son­de­re form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet (§§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).

2.
Die Be­schwer­de des Be­triebs­rats hat je­doch in der Sa­che kei­nen Er­folg. Die an­ge­foch­te­ne Be­triebs­rats­wahl ist we­gen Ver­s­toßes ge­gen we­sent­li­che Wahl­vor­schrif­ten, ins­be­son­de­re we­gen der man­geln­den Wah­rung des Wahl­ge­heim­nis­ses durch Nicht­ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen, un­wirk­sam. Der Ver­s­toß ge­gen die Wahl­vor­schrif­ten ist ge­eig­net, das Wahl­er­geb­nis zu be­ein­flus­sen.

2.1.
Der An­trag der 22 Ar­beit­neh­mer ist zulässig. Bei dem An­trag han­del­te es sich trotz sei­ner For­mu­lie­rung als Fest­stel­lungs­an­trag um ei­ne Wahl­an­fech­tung im Sin­ne des § 19 Be­trVG. Dies er­gibt sich aus der An­trags­schrift, in der die 22 Ar­beit­neh­mer die für die Wahl­an­fech­tung zu­tref­fen­de rechts­ge­stal­ten­de Ent­schei­dung des Ge­rich­tes be­an­tragt ha­ben, die Be­triebs­rats­wahl für un­wirk­sam zu erklären. Die 22 Ar­beit­neh­mer ha­ben in der An­trags­be­gründung Ausführun­gen zur An­fecht­bar­keit der Wahl we­gen des Ver­s­toßes ge­gen we­sent­li­che Vor­schrif­ten des Wahl­ver­fah­rens ge­macht. Die­se Auf­fas­sung ha­ben die 22 Ar­beit­neh­mer während des ge­sam­ten

 

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Ver­fah­rens auf­recht­er­hal­ten und er­kenn­bar nicht die Fest­stel­lung der Nich­tig­keit der Wahl an­ge­strebt, son­dern ei­ne für die Zu­kunft wir­ken­de rechts­ge­stal­ten­de ge­richt­li­che Ent­schei­dung über die Wirk­sam­keit der Wahl (vgl. BAG, Be­schlüsse vom 16.11.2005 - 7 ABR 9/05 – AP Nr. 4 zu § 94 SGB IX und ju­ris, dort Rz. 10; Be­schluss vom 21.07.2004 – 7 ABR 62/03 – AP Nr. 4 zu § 51 Be­trVG 1972 und ju­ris, dort Rz. 15).

Die for­ma­len Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Wahl­an­fech­tungs­an­trag sind erfüllt. Ins­be­son­de­re sind die 22 Ar­beit­neh­mer als volljähri­ge Ar­beit­neh­mer gemäß § 7 Satz 1 Be­trVG wahl­be­rech­tigt und als mehr als 3 Wahl­be­rech­tig­te gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 Be­trVG zur An­fech­tung der Wahl be­rech­tigt. Die Frist für die Wahl­an­fech­tung von zwei Wo­chen ab Be­kannt­ga­be des Wahl­er­geb­nis­ses (§ 19 Abs. 2 Satz 2 Be­trVG) ist mit der am 07.05.2010 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen An­trags­schrift ge­wahrt.

2.2.
Der An­trag der 22 Ar­beit­neh­mer ist auch be­gründet. Die An­fech­tung der Be­triebs­rats­wahl ist gemäß § 19 Abs. 1 Be­trVG wirk­sam er­folgt, da ge­gen we­sent­li­che Vor­schrif­ten über das Wahl­ver­fah­ren ver­s­toßen wor­den ist, ei­ne Be­rich­ti­gung nicht er­folgt ist und durch den Ver­s­toß das Wahl­er­geb­nis geändert oder be­ein­flusst wer­den konn­te.

Es liegt kein Fall der Nich­tig­keit der Be­triebs­rats­wahl vor. Ei­ne Be­triebs­rats­wahl ist nur in ganz be­son­de­ren Aus­nah­mefällen nich­tig, in de­nen ge­gen all­ge­mei­ne Grundsätze je­der ord­nungs­gemäßen Wahl in so ho­hem Maße ver­s­toßen wor­den ist, dass auch der An­schein ei­ner dem Ge­setz ent­spre­chen­den Wahl nicht mehr vor­liegt. Es muss da­nach ein so­wohl of­fen­sicht­li­cher als auch be­son­ders gro­ber Ver­s­toß ge­gen Wahl­vor­schrif­ten vor­lie­gen (vgl. BAG, Be­schluss vom 15.11.2000 – 7 ABR 23/99 – ju­ris, dort Rz. 11). Ei­ne Über­prüfung an­hand die­ser Grundsätze lässt ei­nen of­fen­sicht­lich schwer­wie­gen­den Ver­s­toß, der die Wahl un­ter kei­nem As­pekt gültig er­schei­nen lässt, nicht er­ken­nen. Zwar ist bei der an­ge­foch­te­nen Be­triebs­rats­wahl ge­gen meh­re­re Vor­schrif­ten der Wahl­ord­nung ver­s­toßen wor­den, ein die Aus­nah­me­vor­aus­set­zun­gen erfüllen­der Ver­s­toß lag je­doch nicht vor.

Nach § 19 Abs. 1 Be­trVG kann ei­ne Be­triebs­rats­wahl, die nicht we­gen of­fen sicht­lich ekla­tan­ter Verstöße nich­tig ist, an­ge­foch­ten wer­den, wenn ge­gen we­sent­li­che Vor­schrif­ten über das Wahl­ver­fah­ren ver­s­toßen wor­den ist, ei­ne Be­rich­ti­gung nicht er­folgt ist und durch den Ver­s­toß das Wahl­er­geb­nis geändert oder be­ein­flusst wer­den konn­te. Grundsätz­lich zählen sämt­li­che zwin­gen­den Be­stim­mun­gen der Wahl­ord­nung zu den we­sent­li­chen Vor­schrif­ten über das Wahl­ver­fah­ren im Sin­ne des § 19 Abs. 1 Be­trVG. Da­ne­ben sind Soll-Vor­schrif­ten der Wahl­ord­nung

 

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we­sent­li­che Wahl­vor­schrif­ten im Sin­ne des § 19 Abs. 1 Be­trVG, wenn sie ele­men­ta­re Grund­prin­zi­pi­en der Be­triebs­rats­wah­len ent­hal­ten oder tra­gen­de Grundsätze des Be­triebs­ver­fas­sungs­rechts berühren und des­halb von ih­rer Zweck­set­zung her als we­sent­lich im Sin­ne des § 19 Abs. 1 Be­trVG ein­zu­stu­fen sind (vgl. BAG, Be­schluss vom 13.10.2004 - 7 ABR 5/04 - AP Nr. 60 zu § 19 Be­trVG 1972 und ju­ris, dort Rz. 12).

Vor­lie­gend ist bei der Wahl so­wohl durch die nicht er­folg­te Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen für die persönlich ab­ge­ge­be­nen Stimm­zet­tel als auch durch die Verände­rung der Rei­hen­fol­ge der Wahl­be­wer­ber auf den Stimm­zet­teln ge­gen we­sent­li­che Wahl­vor­schrif­ten ver­s­toßen wor­den mit der Fol­ge, dass das Wahl­er­geb­nis po­ten­zi­ell durch die­se Verstöße be­ein­flusst wer­den konn­te.

2.2.1.
Die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen ist ob­li­ga­to­risch und folgt aus den zwin­gen­den und da­mit we­sent­li­chen Vor­schrif­ten über die Durchführung ei­ner ge­hei­men Wahl in § 14 Abs. 1 Be­trVG so­wie in § 11 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 WO i. V. m. § 20 Abs. 3 Satz 2 WO. Die­se Vor­schrif­ten sind Muss-Vor­schrif­ten und da­mit we­sent­li­che Wahl­vor­schrif­ten.

Die in § 11 Abs. 1 Satz 2 WO zwin­gend vor­ge­se­he­ne Stimm­ab­ga­be durch die Ab­ga­be von Stimm­zet­teln „in den hierfür be­stimm­ten Um­schlägen (Wahl­um­schlägen)“ dient der Wah­rung des ele­men­ta­ren Grund­sat­zes, dass Wah­len ge­heim durch­zuführen ist. Die­ser Grund­satz ist al­len de­mo­kra­ti­schen Wah­len, zu de­nen auch Be­triebs­rats­wah­len gehören, im­ma­nent und wird in § 14 Abs. 1 Be­trVG bestätigt. Die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen dient der Si­che­rung des Wahl­ge­heim­nis­ses, da durch das ein­heit­li­che Ein­le­gen von Wahl­zet­teln in Wahl­um­schläge ob­jek­tiv ge­si­chert wird, dass we­der auf der Rück­sei­te von Stimm­zet­teln durch­ge­drück­te Kreu­ze sicht­bar sein können noch auf­grund der ggf. un­ter­schied­li­chen Fal­tung von Wahl­zet­teln ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Briefwählern und persönlich wählen­den Ar­beit­neh­mern möglich ist. Bei ei­ner Si­che­rung des Wahl­ge­heim­nis­ses durch Ver­wen­dung der in der Wahl­ord­nung ob­li­ga­to­risch vor­ge­schrie­be­nen Wahl­um­schläge kann je­der Ar­beit­neh­mer mit der Aushändi­gung der Stimm­zet­tel nebst Wahl­um­schlag si­cher sein, dass sein Ab­stim­mungs­ver­hal­ten ge­heim blei­ben wird. Die­se Ga­ran­tie entfällt, wenn Wahl­um­schläge nicht aus­ge­ge­ben und ver­wen­det wer­den. Des­halb ist die zwin­gen­de Re­ge­lung in § 11 Abs. 1 Satz 2 WO ei­ne we­sent­li­che Vor­schrift im Sin­ne des § 19 Abs. 1 Be­trVG, mit der der ele­men­ta­re Grund­satz des Wahl­ge­heim­nis­ses ge­si­chert wird. Dass es sich in § 11 Abs. 1 Satz 2 WO nicht um ei­ne bloße Form­vor­schrift han­delt, an die der Wahl­vor­stand nicht ge­bun­den wäre, er­gibt sich auch aus den wei­te­ren Re­ge­lun­gen der Wahl­ord­nung, in de­nen die Wahl­um­schläge be­tref­fen­de Vor­schrif­ten ent­hal­ten sind. So sieht § 11 Abs. 2 Satz 3 WO vor, dass Wahl­um­schläge in ein­heit­li­cher Größe, Far­be, Be­schaf­fen­heit und Be­schrif­tung zu

 

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ver­wen­den sind. Gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 WO sind die Wahl­ur­nen so ein­zu­rich­ten, dass ein­ge­wor­fe­ne Wahl­um­schläge nicht her­aus­ge­nom­men wer­den können. Die Re­ge­lung über das Ver­fah­ren bei der Stimm­auszählung in § 15 Abs. 1 Satz 1 WO sieht vor, dass der Wahl­vor­stand die Stimm­zet­tel den Wahl­um­schlägen ent­nimmt und im Zu­ge der Stimm­auszählung die Gültig­keit der Stimm­zet­tel prüft. Das in §§ 11 ff. WO ge­re­gel­te Wahl­ver­fah­ren mit meh­re­ren Vor­schlags­lis­ten gilt gem. § 20 Abs. 3 Satz 2 WO ent­spre­chend für Wahl­ver­fah­ren wie das vor­lie­gen­de mit nur ei­ner Vor­schlags­lis­te (§ 14 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 Be­trVG). Auch für das Wahl­ver­fah­ren bei ei­ner Vor­schlags­lis­te ist in § 21 WO aus­drück­lich die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen vor­ge­schrie­ben, die im Zu­ge der Stimm­auszählung zu öff­nen sind.

Die zwin­gen­den Vor­schrif­ten über das Wahl­ver­fah­ren in §§ 9 - 18 Be­trVG und in der Wahl­ord­nung sind für die An­wen­dung der Grundsätze des Ge­set­zes von we­sent­li­cher Be­deu­tung mit der Fol­ge, dass die Ver­let­zung von Vor­schrif­ten der Wahl­ord­nung über die Kon­kre­ti­sie­rung der Wah­rung des Wahl­ge­heim­nis­ses zur An­fecht­bar­keit führen (vgl. Fit­ting, Be­trVG, 25. Auf­lg. 2010, § 19 Be­trVG Rz. 19, 22). Mit den zwin­gen­den Wahl­vor­schrif­ten der Wahl­ord­nung wer­den die Grund­prin­zi­pi­en der Be­triebs­rats­wahl zum Aus­druck ge­bracht. Da­zu gehört auch die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen (vgl. Ri­char­di-Thüsing, Be­trVG, 12. Auf­lg. 2010, § 19 Be­trVG Rz. 5, 22).

Ei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung er­gibt sich nicht dar­aus, dass bei po­li­ti­schen/par­la­men­ta­ri­schen Wah­len re­gelmäßig auf­grund ent­spre­chen­der Re­ge­lun­gen über die Durchführung der Wah­len auf Wahl­um­schläge für die persönli­che Stimm­ab­ga­be ver­zich­tet wer­den kann, oh­ne dass dies den Grund­satz der Ge­heim­hal­tung der Wahl ver­letzt. Das­sel­be gilt für den vom Be­triebs­rat her­an­ge­zo­ge­nen § 14 Wahl­ord­nung zum Drit­telbG, die als Rechts­ver­ord­nung vom 23.06.2004 auf der Ba­sis der Ermäch­ti­gung in § 13 Drit­telbG er­las­sen wur­de (BGBl. I, Sei­te 1393).

An­ders als in den vor­ge­nann­ten Re­ge­lun­gen sind we­der im Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz noch in der Wahl­ord­nung die Vor­schrif­ten über die ge­hei­me Stimm­ab­ga­be durch Ein­le­gen des Stimm­zet­tels in ei­nen Wahl­um­schlag geändert wor­den. Viel­mehr se­hen die Re­ge­lun­gen der WO, die wei­ter­hin gültig sind und den Wahl­vor­stand auch für die Durchführung der hier ver­fah­rens­ge­genständ­li­chen Be­triebs­rats­wahl ge­bun­den ha­ben, wei­ter­hin die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen vor. Ei­ne zwin­gen­de Re­ge­lung der Wahl­ord­nung wie § 11 Abs. 1 Satz 2 WO ver­liert ih­ren Cha­rak­ter als we­sent­li­che Vor­schrift im Sin­ne des § 19 Abs. 1 Hs. 1 Be­trVG nicht da­durch, dass Ge­setz- bzw. Ver­ord­nungs­ge­ber für an­de­re Wah­len auf das Er­for­der­nis der Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen ver­zich­ten. Während in § 14 Abs. 3 WO Drit­telbG ge­re­gelt ist, dass der Wähler sei­nen Stimm­zet­tel un­be­ob­ach­tet kenn­zeich­net und ihn dann in der Wei­se fal­tet, dass sei­ne Stimm­ab­ga­be nicht er­kenn­bar ist, wird für die Be­triebs­rats­wahl die ge­hei­me Wahl in der Wei­se si­cher­ge­stellt, dass

 

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Wahl­um­schläge zu ver­wen­den sind. Al­lein der Um­stand, dass ein an­de­res Wahl­ver­fah­ren grundsätz­lich auch un­ter Wah­rung des Wahl­ge­heim­nis­ses möglich ist, führt nicht zu ei­ner Be­rech­ti­gung des Wahl­vor­stan­des, sich über die zwin­gen­den Vor­schrif­ten der Wahl­ord­nung hin­weg­zu­set­zen. Durch die ab­wei­chen­den Vor­schrif­ten für an­de­re Wah­len wird § 11 Abs. 1 Satz 2 WO auch nicht zur Form­vor­schrift ab­ge­wer­tet, weil ob­jek­tiv die Wah­rung des Wahl­ge­heim­nis­ses durch die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen ge­si­chert wird. Auf­ga­be des Wahl­vor­stan­des ist es nicht, ei­ne sei­nen An­for­de­run­gen an ei­ne ge­hei­me Wahl ent­spre­chen­de Be­triebs­rats­wahl zu or­ga­ni­sie­ren, son­dern die Auf­ga­be des Wahl­vor­stan­des ist es, ei­ne ord­nungs­gemäße Be­triebs­rats­wahl nach den dafür maßgeb­li­chen Re­ge­lun­gen der Wahl­ord­nung si­cher­zu­stel­len.

2.2.2
Ge­gen die Ver­pflich­tung zur Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 WO hat der Wahl­vor­stand bei der Be­triebs­rats­wahl im April 2010 ver­s­toßen.

2.2.3
Der Ver­s­toß ge­gen die Ver­pflich­tung zur Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen war ge­eig­net, das Wahl­er­geb­nis zu be­ein­flus­sen.

Nach § 19 Abs. 1 letz­ter Hs. Be­trVG be­rech­ti­gen Verstöße ge­gen we­sent­li­che Wahl­vor­schrif­ten nur dann nicht zur An­fech­tung der Be­triebs­rats­wahl, wenn durch den Ver­s­toß das Wahl­er­geb­nis nicht geändert oder be­ein­flusst wer­den konn­te. Das ist der Fall, wenn bei ei­ner hy­po­the­ti­schen Be­trach­tungs­wei­se ei­ne Wahl oh­ne den Ver­s­toß un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände zwin­gend zu dem­sel­ben Wahl­er­geb­nis geführt hätte (vgl. BAG, Be­schluss vom 13.10.2004, a. a. O., ju­ris Rz. 19). Die Fra­ge, ob ein Ver­s­toß we­sent­lich war, ist da­her ei­ne Kau­sa­litäts­fra­ge (vgl. GK-Kreutz, Be­trVG, 9. Auf­lg. 2010, § 19 Be­trVG Rz. 17).

Im vor­lie­gen­den Fall hätte der Wahl­vor­stand im Rah­men sei­ner Prüfung der Gültig­keit der Stimm­zet­tel gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 WO de­ren Ungültig­keit fest­stel­len und sämt­li­che Stimm­zet­tel mit Aus­nah­me der­je­ni­gen der Briefwähler, die sich in Wahl­um­schlägen be­fan­den, für ungültig erklären müssen. Ent­ge­gen der Einschätzung des Be­triebs­ra­tes trifft § 11 Abs. 4 WO kei­ne ab­sch­ließen­de Re­ge­lung über die Ungültig­keit von Stimm­zet­teln, die mit be­son­de­ren Merk­ma­len ver­se­hen oder an­der­wei­tig verändert wor­den sind. Gem. § 14 Abs. 1 WO hat der Wahl­vor­stand die Stimm­zet­tel den Wahl­um­schlägen zu ent­neh­men und da­bei die Gültig­keit zu prüfen. Die Ver­wen­dung von Wahl­um­schlägen ist des­halb Vor­aus­set­zung für die Ab­ga­be ei­ner gülti­gen Stim­me (vgl. LAG Nie­der­sach­sen, Be­schluss vom 01.03.2004 - 16 TaBV 60/03 - ju­ris Rz. 72; Däubler-Schnei­der, Be­trVG, 11. Aufl. 2008, § 11 WO 2001 Rz. 13, 5).

 

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Darüber hin­aus ist ei­ne Be­ein­flus­sung des Wahl­er­geb­nis­ses durch das Feh­len von Wahl­um­schlägen denk­bar und po­ten­ti­ell möglich im Sin­ne des § 19 Abs. 1 Be­trVG, selbst wenn nicht durch das Feh­len der Wahl­um­schläge per se ei­ne ungülti­ge Stimm­ab­ga­be vorläge. Ent­ge­gen der Einschätzung des Be­triebs­ra­tes ist die Be­ein­flus­sung nicht des­halb aus­ge­schlos­sen, weil nach dem Wahl­gang durch An­kreu­zen der je­wei­li­gen Be­triebs­rats­kan­di­da­ten die Wahl für den ein­zel­nen Ar­beit­neh­mer ab­ge­schlos­sen wäre. Denn der wählen­de Ar­beit­neh­mer weiß be­reits bei Er­halt der Stimm­zet­tel oh­ne zu­gehöri­gen Wahl­um­schlag, dass je nach Stärke der ge­setz­ten Kreu­ze und Fal­tung nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann, dass Kreu­ze sich auf der Rück­sei­te des Wahl­zet­tels durch­drücken. Dass ei­ne Fal­tung des Wahl­zet­tels in der Wei­se vor­ge­ge­ben wor­den wäre, dass je­des Durch­drücken aus­ge­schlos­sen war, hat der Be­triebs­rat nicht vor­ge­tra­gen und konn­te auch nicht un­ter­stellt wer­den. Viel­mehr ist in der Re­gel bei dem Set­zen ei­nes Kreu­zes auf ein Pa­pier mit ei­nem Ku­gel­schrei­ber auch bei drei­fa­cher Fal­tung bei ent­spre­chen­dem Licht­ein­fall noch fest­stell­bar, dass Kreu­ze ge­setzt wur­den. Die­se Fest­stel­lungsmöglich­keit ist als Ver­let­zung des Wahl­ge­heim­nis­ses zu be­ur­tei­len. Darüber hin­aus kann auf­grund der un­ter­schied­li­chen Fal­tung der Stimm­zet­tel nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass ei­ne Un­ter­schei­dung zwi­schen Briefwählern und persönlich an­we­sen­den Wählern nicht mehr er­fol­gen kann. Je nach For­mat des ver­wen­de­ten Wahl­um­schla­ges ist ggf. er­mit­tel­bar, ob ein Wahl­zet­tel für die­ses For­mat pas­send oder auf an­de­re Wei­se ge­fal­tet wur­de. Auf ei­ne Fest­stel­lung, wel­ches For­mat die den Briefwählern zur Verfügung ge­stell­ten Wahl­um­schläge hat­ten, konn­te eben­so ver­zich­tet wer­den wie auf die Fest­stel­lung, ob ent­spre­chend der Be­haup­tung des Be­triebs­ra­tes sämt­li­che persönlich ab­ge­ge­be­nen Wahl­zet­tel drei­fach oder ent­spre­chend der Be­haup­tung der 22 Ar­beit­neh­mer teil­wei­se nur zwei­fach ge­fal­tet wa­ren. Denn auch bei ei­ner Drei­fach­fal­tung ist nicht aus­zu­sch­ließen, dass die ge­setz­ten Kreu­ze sich auf der Rück­sei­te durch­drücken und er­kenn­bar sind. Ei­ne Be­ein­flus­sung der­je­ni­gen Wähler, die dies er­ken­nen und des­halb ihr Wahl­ver­hal­ten an ei­ne mögli­cher­wei­se „nicht ganz“ ge­hei­me Wahl an­pas­sen, ist möglich. Auf das For­mat der Wahl­um­schläge kam es ent­schei­dungs­er­heb­lich nicht mehr an, da die mögli­che Be­ein­flus­sung des Wahl­er­geb­nis­ses un­abhängig da­von fest­stell­bar war.

2.2.4
Auch die Verände­rung der Rei­hen­fol­ge der Wahl­be­wer­ber auf den Stimm­zet­teln ge­genüber den ori­gi­na­len Wahl­aus­schrei­ben stellt ei­nen Ver­s­toß ge­gen ei­ne we­sent­li­che Wahl­vor­schrift dar, durch die das Wahl­er­geb­nis po­ten­ti­ell be­ein­flusst wer­den konn­te.

Die Re­ge­lung in § 20 Abs. 2 WO re­gelt als Muss-Vor­schrift, dass auf den Stimm­zet­teln die Be­wer­be­rin­nen oder Be­wer­ber un­ter An­ga­be von Fa­mi­li­en­na­me, Vor­na­me und Art der

 

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Beschäfti­gung im Be­trieb in der Rei­hen­fol­ge auf­zuführen sind, in der sie auf der Vor­schlags­lis­te be­nannt sind. Bei der Re­ge­lung han­delt es sich um ei­ne Muss-Vor­schrift und da­mit um ei­ne we­sent­li­che Wahl­vor­schrift im Sin­ne des § 19 Abs. 1 Be­trVG (vgl. Fit­ting, a. a. O., § 19 Be­trVG Rz. 10). Die Rei­hen­fol­ge der Vor­schlags­lis­te be­trifft da­bei die ursprüng­li­che hand­schrift­li­che Vor­schlags­lis­te und nicht die vom Wahl­vor­stand in al­pha­be­ti­sche Rei­hen­fol­ge ge­brach­te veröffent­lich­te Ver­si­on. Ent­ge­gen der Einschätzung des Be­triebs­ra­tes war es nicht unschädlich, dass der Wahl­vor­stand statt der maßgeb­li­chen Re­ge­lung in § 20 Abs. 2 WO die für das vor­lie­gen­de Wahl­ver­fah­ren nicht ein­schlägi­ge Re­ge­lung in § 34 Abs. 1 Satz 2 WO an­ge­wandt hat. § 34 WO re­gelt das Wahl­ver­fah­ren für die Wahl des Be­triebs­ra­tes im ver­ein­fach­ten Wahl­ver­fah­ren gem. § 14 a Be­trVG, das für Be­trie­be mit bis zu 50 Ar­beit­neh­mern vor­ge­se­hen ist und in Be­trie­ben mit bis zu 100 Ar­beit­neh­mern gem. § 14 a Abs. 5 Be­trVG ver­ein­bart wer­den kann. Der vor­lie­gen­de Be­trieb mit et­wa 1.650 Ar­beit­neh­mern fällt er­sicht­lich nicht in den An­wen­dungs­be­reich des § 14 a Be­trVG oder des § 34 WO. Auch hin­sicht­lich der Re­ge­lung in § 20 Abs. 2 WO über die zu­tref­fen­de Be­hand­lung der Vor­schlags­lis­ten und der adäqua­ten Über­tra­gung auf die Stimm­zet­tel ist der Wahl­vor­stand an die zwin­gen­den Re­ge­lun­gen der Wahl­ord­nung ge­bun­den und nicht ge­hal­ten, ei­ne nach sei­nem Ein­druck zu­tref­fen­de Er­satz­re­ge­lung zu tref­fen.

Ein Ver­s­toß ge­gen ei­ne zwin­gen­de Re­ge­lung, nämlich die des § 20 Abs. 2 WO, liegt da­mit vor.

Der Ver­s­toß ist auch ge­eig­net, das Wahl­er­geb­nis zu be­ein­flus­sen. So­weit der Be­triebs­rat meint, ei­ne Be­ein­flus­sung sei be­reits des­halb aus­ge­schlos­sen, weil der gewähl­te Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de Herr H. trotz Verände­rung sei­ner Po­si­ti­on auf dem Stimm­zet­tel von der ursprüng­li­chen Po­si­ti­on 1 auf ei­ne mit­ti­ge Po­si­ti­on beim Buch­sta­ben H in al­pha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge tatsächlich mit den meis­ten Stim­men gewählt wor­den sei, über­zeugt dies nicht. Ob Herr H. bei ei­ner Po­si­tio­nie­rung an ers­ter Stel­le mehr oder we­ni­ger Stim­men er­hal­ten hätte, ist nicht fest­stell­bar. Ins­be­son­de­re ist je­doch nicht fest­stell­bar, ob bei ei­ner an­de­ren, nämlich der zu­tref­fen­den An­ord­nung gem. § 20 Abs. 2 WO, der an Po­si­ti­on 17 gewähl­te Be­triebs­rats­kan­di­dat tatsächlich ei­ne Stim­me mehr als der nicht mehr gewähl­te Kan­di­dat an 18. Po­si­ti­on er­hal­ten hätte. Da­bei kommt es nicht ent­schei­dend dar­auf an, ob und wie ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer nach dem Zu­falls­prin­zip „blind“ gewählt hätten, son­dern es kommt dar­auf an, ob ir­gend­ein an der Wahl teil­neh­men­der Ar­beit­neh­mer an­stel­le des 17. gewähl­ten Kan­di­da­ten Herrn R. (ursprüng­lich an Po­si­ti­on 14, nach­fol­gend auf dem Stimm­zet­tel an Po­si­ti­on 39 ) den mit ei­ner Stim­me we­ni­ger als 18. Kan­di­dat gewähl­ten Herrn F. (ursprüng­lich an Po­si­ti­on 16 und nach­fol­gend auf dem Stimm­zet­tel an Po­si­ti­on 12 ) gewählt hätte. Dass ei­ne sol­che Möglich­keit be­stan­den hat, liegt auf der Hand. Ob ei­ne sol­che oder ei­ne an­de­re Verände­rung bei zu­tref­fen­der Auf­lis­tung der Kan­di­da­ten in der Rei­hen­fol­ge der ursprüng­li­chen Vor­schlags­lis­te er­folgt wären, ist im Hin­blick auf das Wahl­ge­heim­nis und die dar­aus re­sul­tie­ren­de Unmöglich­keit

 

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der Be­fra­gung der Wähler nicht fest­stell­bar mit der Fol­ge, dass ei­ne Be­ein­flus­sung des Wahl­er­geb­nis­ses nicht aus­zu­sch­ließen ist. In die­sem Fall ei­nes non li­quet ist von ei­ner mögli­chen Be­ein­flus­sung im Sin­ne des § 19 Abs. 1 Be­trVG aus­zu­ge­hen (vgl. Fit­ting, a. a. O., § 19 Be­trVG Rz. 26; Ri­char­di-Thüsing, a. a. O., § 19 Be­trVG Rz. 33 und § 20 WO Rz. 4).

2.2.5.
Auf die wei­te­ren von den 22 Ar­beit­neh­mern gerügten Verstöße ge­gen Wahl­vor­schrif­ten kam es nach Fest­stel­lung der An­fecht­bar­keit und Un­wirk­sam­keit der Be­triebs­rats­wahl auf­grund der vor­ste­hen­den Umstände ent­schei­dungs­er­heb­lich nicht mehr an. Des­halb konn­ten wie im erst­in­stanz­li­chen Ver­fah­ren ei­ne wei­te­re Aufklärung des Sach­ver­halts und ei­ne ent­spre­chen­de Über­prüfung an­hand von § 19 Abs. 1 Be­trVG un­ter­blei­ben.

III.

Die Ent­schei­dung er­geht ge­richts- und aus­la­gen­frei.

IV.

Die Rechts­be­schwer­de war gem. §§ 92, 72 Abs. 2 ArbGG nicht zu­zu­las­sen. Die Ent­schei­dung war am Ein­zel­fall ori­en­tiert, oh­ne dass ent­schei­dungs­er­heb­li­che Rechts­fra­gen grundsätz­li­che Be­deu­tung hätten. Ei­ne Di­ver­genz zu ober­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen ist nicht er­kenn­bar, und die Kam­mer folg­te bei der Ent­schei­dung den in der zi­tier­ten Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Grundsätzen.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­sen Be­schluss ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Die Be­tei­lig­ten wer­den auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gem. § 92 a ArbGG hin­ge­wie­sen.


S.

N.

N.

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