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Auf­klä­rungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers bei Ver­trags­schluss

Ar­beit­ge­ber müs­sen ei­nem Be­wer­ber nur dann von sich aus wirt­schaft­li­che Pro­ble­me mit­tei­len, wenn die­se die Durch­füh­rung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses un­mög­lich ma­chen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 09.10.2012, 3 Sa 247/12
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04.12.2012. Ar­beit­ge­ber fra­gen Be­wer­ber vor der Ein­stel­lung zu­recht nach vie­len Din­gen, die für die Durch­füh­rung des ge­plan­ten Ar­beits­ver­hält­nis­ses wich­tig wer­den könn­ten.

Da­zu ge­hö­ren die be­ruf­li­chen Qua­li­fi­ka­tio­nen des Be­wer­bers, sei­ne bis­he­ri­gen be­ruf­li­chen Er­fah­run­gen und mög­li­cher­wei­se auch ein­schlä­gi­ge Vor­tra­fen. Be­ant­wor­tet der Be­wer­ber da­bei recht­lich zu­läs­si­ge Fra­gen un­rich­tig, d.h. lügt er, kann das spä­ter zur An­fech­tung des Ar­beits­ver­trags durch den Ar­beit­ge­ber füh­ren.

Aber auch Be­wer­ber soll­ten sich so ge­nau wie mög­lich über Ih­ren künf­ti­gen Ar­beit­ge­ber in­for­mie­ren, d.h. über die be­trieb­li­che und wirt­schaft­li­che La­ge des Un­ter­neh­mens, in das sie ein­tre­ten wol­len. Denn wenn der neue Ar­beit­ge­ber wirt­schaft­lich an­ge­schla­gen ist, ist das Ar­beits­ver­hält­nis mög­li­cher­wei­se nur von kur­zer Dau­er.

Das ist vor al­lem dann är­ger­lich, wenn der Be­wer­ber ei­ne un­ge­kün­dig­te Stel­lung bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber auf­gibt, denn die recht­li­chen Mög­lich­kei­ten, im Fal­le ei­ner kurz nach der Ein­stel­lung aus­ge­spro­che­nen Kün­di­gung Scha­dens­er­satz we­gen ei­nes Ver­dienst­aus­falls durch­zu­set­zen, sind sehr be­grenzt, wie ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Rhein­land-Pfalz zeigt: LAG Rhein­land-Pfalz , Ur­teil vom 09.10.2012, 3 Sa 247/12.

Muss der Ar­beit­ge­ber bei der Ein­stel­lung von sich aus auf be­ste­hen­de wirt­schaft­li­che Pro­ble­me hin­wei­sen?

Ver­letzt der Ar­beit­ge­ber oder der Ar­beit­neh­mer ei­ne recht­li­che Pflicht aus dem Ar­beits­verhält­nis und ent­steht dar­aus ein Scha­den für den Ver­trags­part­ner, kann die­ser Scha­dens­er­satz ver­lan­gen.

Da­mit ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Pflicht ver­letzt wer­den kann, muss es aber erst ein­mal ei­nen Ar­beits­ver­tra ge­ben. Bei Ver­trags­ver­hand­lun­gen be­steht ein Ver­trag aber ge­ra­de noch nicht. Trotz­dem ist seit lan­gem an­er­kannt, dass auch das auf ei­nen Ver­trags­ab­schluss ge­rich­te­te "An­bahnungs­verhält­nis" ei­ne ver­tragsähn­li­che Son­der­be­zie­hung ist, die bei­der­sei­ti­ge Pflich­ten er­zeugt. Und wenn man die ver­letzt, haf­tet man aus "Ver­schul­den bei Ver­trags­schluss".

Zu den vor­ver­trag­li­chen Pflich­ten, die man mit der Fol­ge ei­ner Scha­dens­er­satz­pflicht ver­let­zen kann, gehören auch Aufklärungs­pflich­ten. Wer dem künf­ti­gen Ver­trags­part­ner fal­sche Auskünf­te er­teilt und ihn da­mit zu ei­nem scha­den­sträch­ti­gen Ent­schei­dun­gen ver­an­lasst, macht sich scha­dens­er­satz­pflich­tig.

So würde ein Ar­beit­ge­ber z.B. auf Er­satz von Rei­se­kos­ten und Ver­dienst­aus­fall haf­ten, wenn die Ver­dienstmöglich­kei­ten bei ei­ner zu be­set­zen­den Stel­le um das Dop­pel­te und Drei­fa­che über­treibt in der Hoff­nung, dass sich in­ter­es­san­te Be­wer­ber zum Vor­stel­lungs­gespräch ein­fin­den.

Aber muss der Ar­beit­ge­ber auch von sich aus, d.h. oh­ne da­zu ge­zielt vom Be­wer­ber ge­fragt wor­den zu sein, Aus­kunft über wirt­schaft­li­che Pro­ble­me sei­nes Be­triebs ge­ben, da­mit sich Be­wer­ber die Ge­fahr vor Au­gen führen, dass das Ar­beits­verhält­nis aus wirt­schaft­li­chen Gründen mögli­cher­wei­se schon nach ei­ni­gen Mo­na­ten wie­der gekündigt wird?

Mit die­sen Fra­gen beschäftigt sich das Ur­teil des LAG Rhein­land-Pfalz vom 09.10.2012, 3 Sa 247/12.

Der Streit­fall: Ver­triebs­mit­ar­bei­ter wech­selt aus un­gekündig­ter Stel­lung zu ei­nem Ar­beit­ge­ber, in des­sen Tech­nik­ab­tei­lung Kurz­ar­beit ge­macht wird

Ein Ver­triebs­mit­ar­bei­ter, der mit Mit­te 30 bei ei­ner Tech­nik­fir­ma 5.545,00 EUR brut­to ver­dien­te und auch ei­nen Dienst­wa­gen hat­te, gab die­se un­gekündig­te Stel­lung auf und wech­sel­te zum 01.01.2011 zu ei­nem an­de­ren Un­ter­neh­men, das ihm nach Ab­lauf der sechs­mo­na­ti­gen Pro­be­zeit ein Jah­res­ge­halt von 63.000,00 EUR ver­sprach. Außer­dem soll­te er dort bei gu­ten Ver­triebs­er­fol­gen ei­ne zusätz­li­che va­ria­ble Vergütung er­hal­ten.

Im Be­trieb des neu­en Ar­beit­ge­bers wa­ren da­mals 16 Ar­beit­neh­mer beschäftigt, da­von acht Ar­beit­neh­mer in der Ab­tei­lung Sys­tem­be­ra­tung/Tech­nik.

Was der Ver­trieb­ler bei Ab­schluss des Ar­beits­ver­trags und Kündi­gung sei­nes al­ten Ar­beits­verhält­nis­ses nicht wuss­te: Be­reits bei sei­ner Ein­stel­lung war für die acht Ar­beit­neh­mer der Ab­tei­lung Sys­tem­be­ra­tung/Tech­nik Kurz­ar­beit an­ge­ord­net, und zwar von März 2010 bis Ju­ni 2011.

Kurz vor Ab­lauf der Pro­be­zeit kündig­te der neue Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­verhält­nis zum 30.06.2011, wo­ge­gen der Ver­triebs­mit­ar­bei­ter Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­hob, al­ler­dings oh­ne Er­folg.

Dar­auf­hin ver­klag­te er sei­nen Ar­beit­ge­ber auf Scha­dens­er­satz mit der Be­gründung, er sei bei Ein­ge­hung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht aus­rei­chend über die be­ste­hen­de wirt­schaft­li­che Schief­la­ge des Un­ter­neh­mens auf­geklärt wor­den. Hätte er von der Kurz­ar­beit in der Ab­tei­lung Sys­tem­be­ra­tung/Tech­nik ge­wusst, hätte er sein vor­he­ri­ges Ar­beits­verhält­nis nicht gekündigt.

Als Scha­dens­er­satz ver­lang­te er 13.379,51 EUR. Denn in die­ser Höhe hat­te er während sei­ner sie­ben­mo­na­ti­gen Ar­beits­lo­sig­keit bis zu sei­nem nächs­ten Ar­beits­verhält­nis, das er zu An­fang März 2012 ein­ging, ei­nen Ver­dienst­aus­fall er­lit­ten. Das Ar­beits­ge­richt Mainz wies die Kla­ge ab (Ar­beits­ge­richt Mainz, Ur­teil vom 27.04.2012, 8 Ca 2101/11). Der Ver­trieb­ler ging da­ge­gen in Be­ru­fung.

LAG Rhein­land-Pfalz: Ar­beit­ge­ber müssen ei­nem Be­wer­ber nur dann wirt­schaft­li­che Pro­ble­me mit­tei­len, wenn die­se die Durchführung des Ar­beits­verhält­nis­ses unmöglich ma­chen

Das LAG ent­schied eben­falls ge­gen den Ar­beit­neh­mer.

Zur Be­gründung weist das Ge­richt auf den Aus­nah­me­cha­rak­ter von vor­ver­trag­li­chen Aus­kunfts­pflich­ten hin. Ei­ne Aus­kunfts­pflicht be­steht nur dann, wenn die fi­nan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten so er­heb­lich sind, dass das Ar­beits­verhält­nis in­fol­ge die­ser Pro­ble­me gar nicht durch­geführt wer­den kann, so das LAG un­ter Be­ru­fung auf ein­schlägi­ge Ur­tei­le des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG).

Hier im Streit­fall sprach ge­gen den Ar­beit­neh­mer, dass er sich auf ei­ne Pro­be­zeit ein­ge­las­sen und da­her be­wusst das Ri­si­ko ei­ner frühzei­ti­gen Kündi­gung in Kauf ge­nom­men hat­te.

Außer­dem mein­te das LAG wie schon das Ar­beits­ge­richt, dass Kurz­ar­beit in der Ab­tei­lung Sys­tem­be­ra­tung/Tech­nik gar kein aus­sa­ge­kräfti­ges In­diz für ex­tre­me fi­nan­zi­el­le Pro­ble­me sind. Denn ers­tens hat­te der Ver­trieb­ler gar nicht in die­ser Ab­tei­lung zu ar­bei­ten, zwei­tens war es sei­ne Auf­ga­be als "key ac­count ma­na­ger", für neue Auf­träge und da­mit für Ar­beit in der Ab­tei­lung Sys­tem­be­ra­tung/Tech­nik zu sor­gen, und drit­tens wird Kurz­ar­beit ja ge­ra­de bei nur vorüber­ge­hen­den wirt­schaft­li­chen Engpässen gewährt, d.h. Kurz­ar­beit ist all­ge­mein kein Grund, den Mut zu ver­lie­ren.

Fa­zit: Vom Ar­beit­ge­ber kann man nicht ver­lan­gen, bei je­dem Vor­stel­lungs­gespräch von sich aus um­fas­send "die Ho­sen run­ter­zu­las­sen". Denn sonst würde der Ar­beit­ge­ber mögli­cher­wei­se in ei­ne Abwärts­spi­ra­le hin­ein­ge­ra­ten: Ge­ra­de wenn der Be­trieb in Schwie­rig­kei­ten steckt, braucht man gu­te Leu­te, um die Pro­ble­me zu bewälti­gen.

Außer­dem ge­hen wirt­schaft­li­che Pro­ble­me den Be­wer­ber nichts an, so lan­ge Geld ge­nug vor­han­den ist, um ihn einst­wei­len zu be­zah­len. Hier hat­te der Ar­beit­ge­ber im­mer­hin bis zum En­de der sechs­mo­na­ti­gen Pro­be­zeit "durch­ge­hal­ten", und aus sei­ner Sicht war die Kündi­gung sach­lich be­rech­tigt, weil der Ver­trieb­ler kei­ne aus­rei­chen­den Ver­kaufs­er­fol­ge vor­wei­sen konn­te.

Ar­beit­neh­mern ist zu ra­ten, sich ver­trag­lich ab­zu­si­chern, be­vor man sich aus ei­ner un­gekündig­ten Stel­lung ab­wer­ben lässt. So kann man ver­trag­lich ver­ein­ba­ren, dass das Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) be­reits von An­fang an gilt und dass die Beschäfti­gungs­zeit beim al­ten Ar­beit­ge­ber vom neu­en als Vor­dienst­zeit an­er­kannt wird. Wer da­ge­gen ei­ne un­gekündig­te und un­ter den Kündi­gungs­schutz fal­len­den Stel­lung auf­gibt, um beim neu­en Ar­beit­ge­ber ei­nen Ver­trag mit Pro­be­zeit ab­zu­sch­ließen, geht ein ho­hes Ri­si­ko ein.

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Letzte Überarbeitung: 8. Januar 2021

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