HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/128

Was kos­tet ei­ne Ohr­fei­ge?

800,00 EUR Schmer­zens­geld sind nicht zu viel für ei­ne Ohr­fei­ge, mit der ein Vor­ge­setz­ter ei­nen Mit­ar­bei­ter miss­han­delt: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 27.10.2008, 5 Sa 827/08
Auch wenn der Arzt nicht kom­men muss: Tät­lich­kei­ten sind am Ar­beits­platz ta­bu

22.07.2009. Hin und wie­der kommt es zu Hand­greif­lich­kei­ten zwi­schen Ar­beits­kol­le­gen oder auch zwi­schen Vor­ge­setz­ten und ih­ren Mit­ar­bei­tern.

Wer sich da­zu hin­rei­ßen lässt, braucht sich über "har­te" recht­li­che Kon­se­quen­zen nicht zu be­kla­gen, denn ein sol­ches Ver­hal­ten ist ein gro­ber Ver­stoß ge­gen die Pflich­ten, die man im Be­trieb zu be­ach­ten hat.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln hat in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung die Be­ru­fung ei­nes Vor­ge­setz­ten, der ei­nen Mit­ar­bei­ter un­strei­tig ge­ohr­feigt hat­te und da­für vom Ar­beits­ge­richt Köln zu ei­nem Schmer­zens­geld von 800 EUR ver­ur­teilt wor­den war, un­ter Hin­weis auf die Vor­bild­funk­ti­on ei­nes Vor­ge­setz­ten zu­rück­ge­wie­sen: LAG Köln, Ur­teil vom 27.10.2008, 5 Sa 827/08.

Was ist ein an­ge­mes­se­nes Schmer­zens­geld für ei­ne Ohr­fei­ge, mit der ein Vor­ge­setz­ter ei­nen ihm un­ter­ge­be­nen Mit­ar­bei­ter miss­han­delt?

Kommt es un­ter Ar­beits­kol­le­gen im Rah­men von tätli­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu ei­ner vorsätz­li­chen oder fahrlässi­gen Körper­ver­let­zung, haf­tet der Täter dem Geschädig­ten nach all­ge­mei­nen Grundsätzen des Zi­vil­rechts auf Er­satz sei­nes ge­sam­ten ma­te­ri­el­len Scha­dens so­wie darüber hin­aus auf Schmer­zens­geld.

Die Höhe des Schmer­zens­gel­des hängt von al­len Umständen des Ein­zel­falls ab, d.h. in ers­ter Li­nie von der Schwe­re der den Ver­let­zungs­fol­gen, darüber hin­aus aber auch vom Ver­hal­ten der Be­tei­lig­ten vor, während und nach der Tat so­wie von sons­ti­gen Be­gleit­umständen. Rechts­grund­la­ge des Schmer­zens­geld­an­spruchs sind § 823 Abs.1 Bürger­li­ches Ge­set­zes­buch (BGB) in Ver­bin­dung mit § 253 Abs.2 BGB.

Der Haf­tungs­aus­schluss für Ar­beits­unfälle, der auf­grund der Leis­tungs­pflicht der ge­setz­li­chen Un­fall­ver­si­che­rung in § 105 Abs.1 Sieb­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB VII) an­ge­ord­net ist, greift bei vorsätz­li­chen Körper­ver­let­zun­gen nicht ein.

Denn ers­tens sind sol­che (gra­vie­ren­den) Tätlich­kei­ten gar kei­ne „be­trieb­li­che Tätig­kei­ten“ des Täters, und zwei­tens be­steht der ge­setz­li­che Haf­tungs­aus­schluss oh­ne­hin nicht für vorsätz­li­che Schädi­gun­gen ei­nes Ar­beits­kol­le­gen.

Tra­di­tio­nell sind die deut­schen Ge­rich­te bei Schmer­zens­geld­kla­gen „kni­cke­rig“, d.h. Schmer­zens­gel­der wer­den in Deutsch­land in ei­ner teil­wei­se schon lächer­lich ge­rin­gen Höhe zu­ge­spro­chen. Das ex­tre­me Ge­gen­teil ist die Recht­spre­chung US-ame­ri­ka­ni­scher Ge­rich­te, die Schmer­zens­gel­der oft in Be­reich mehr­stel­li­ger Mil­lio­nen­beträge zu­spre­chen.

Die Wahr­heit dürf­te ir­gend­wo in der Mit­te lie­gen. Im­mer­hin be­we­gen sich die von Schädi­gern in Fällen von schuld­haf­ten Körper­ver­let­zun­gen zu zah­len­den „Prei­se“ in den letz­ten Jahr­zehn­ten auch in Deutsch­land in die rich­ti­ge Rich­tung, d.h. nach oben.

Frag­lich ist, wie bei der Fest­set­zung des Schmer­zens­gel­des bei ei­ner vorsätz­li­chen Körper­ver­let­zung der Um­stand zu be­wer­ten ist, dass der Täter Vor­ge­setz­ter des Ver­letz­ten ist. Zu die­ser Fra­ge hat sich kürz­lich das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln geäußert (Ur­teil vom 27.10.2008, 5 Sa 827/08).

Der Streit­fall: Wach­mann wird von sei­nem Vor­ge­setz­ten während des Nacht­diens­tes hef­tig ge­ohr­feigt und er­lei­det Platz­wun­den, ei­nen Blut­er­guss und Haut­abschürfun­gen

Ein an­ge­stell­ter Wach­mann wur­de während ei­nes Nacht­diens­tes von ei­nem Vor­ge­setz­ten nach vor­he­ri­gen ver­ba­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen ge­ohr­feigt. Dies war zwi­schen den Be­tei­lig­ten nicht strei­tig, d.h. der Vor­ge­setz­te leug­ne­te die Ohr­fei­ge nicht.

Der Geschädig­te zog sich al­ler­dings nicht un­er­heb­li­che Ver­let­zun­gen zu, die für ei­ne „nor­ma­le“ Ohr­fei­ge un­ty­pisch sind, nämlich Haut­abschürfun­gen an der Wan­ge, ei­nen Blut­er­guss so­wie ei­ne ge­schwol­le­ne Un­ter­lip­pe. Die­se Ver­let­zungs­fol­gen wur­den frühmor­gens, d.h. am En­de der Tat­nacht in ei­nem Kran­ken­haus durch ei­ne ärzt­li­che Un­ter­su­chung fest­ge­stellt. Der Vor­ge­setz­te be­stritt, die­se Ver­let­zun­gen mit sei­nem Schlag ver­ur­sacht zu ha­ben. Ei­ni­ge Ta­ge später ließ sich der Geschädig­te noch­mals un­ter­su­chen, wo­bei als wei­te­re Ver­let­zung ei­ne Platz­wun­de am Ohr fest­ge­stellt wur­de.

Der Geschädig­te ver­klag­te den Vor­ge­setz­ten auf Schmer­zens­geld in Höhe von 2.500 EUR, wo­bei er be­haup­te­te, der Vor­ge­setz­te ha­be ihn mehr­fach ge­schla­gen und da­bei ei­ne Ket­te be­nutzt, was der Vor­ge­setz­te be­stritt. Das in ers­ter In­stanz zuständi­ge Ar­beits­ge­richt Köln gab der Kla­ge in Höhe von 800 EUR statt und wies die Kla­ge im übri­gen ab (Ur­teil vom 13.02.2008, 3 Ca 2145/07).

Ein Schmer­zens­geld­be­trag von 800 EUR sei aus­rei­chend und an­ge­mes­sen an­ge­sichts der am En­de der Tat­nacht ärzt­lich fest­ge­stell­ten Ver­let­zun­gen, die nach der Über­zeu­gung des Ar­beits­ge­richts auf der Körper­ver­let­zung be­ruh­ten. Späte­re ärzt­li­che Fest­stel­lun­gen woll­te das Ar­beits­ge­richt Köln da­ge­gen nicht zu­grun­de­le­gen, da der Be­klag­te be­stritt, da­mit et­was zu tun zu ha­ben.

Ge­gen die­ses Ur­teil leg­te nur der Vor­ge­setz­te, nicht aber der Geschädig­te Be­ru­fung ein.

LAG Köln: 800,00 EUR Schmer­zens­geld wa­ren je­den­falls nicht zu­viel

Das LAG Köln wies die Be­ru­fung zurück.

Zur Be­gründung heißt es, dass die von der ers­ten In­stanz zu­ge­spro­che­nen 800 EUR auch dann ge­recht­fer­tigt sei­en, wenn man den ge­sam­ten Vor­trag des Be­klag­ten als wahr un­ter­stel­len würde. Denn im­mer­hin hat­te er den Kläger un­strei­tig ge­ohr­feigt, und er war zum Tat­zeit­punkt un­strei­tig des­sen Vor­ge­setz­ter. Als sol­cher hat er aber nach An­sicht des Ge­richts ge­stei­ger­te Pflich­ten ge­genüber den ihm un­ter­stell­ten Mit­ar­bei­ter und ei­ne Vor­bild­funk­ti­on, so dass ei­ne Ohr­fei­ge vom Geschädig­ten un­ter sol­chen Umständen als be­son­ders star­ke Demüti­gung emp­fun­den wer­de.

Die in der Be­ru­fung strei­ti­gen 800 EUR wa­ren al­so nach An­sicht des LAG be­reits dann ge­recht­fer­tigt, wenn man mit dem Be­klag­ten da­von aus­ge­hen würde, dass die am En­de der Tat­nacht ärzt­lich fest­ge­stell­ten Ver­let­zun­gen nicht auf die Ohr­fei­ge zurück­zuführen wa­ren.

Fol­ge­rich­tig weist das LAG Köln dar­auf hin, dass ein „um ein Mehr­fa­ches höhe­res Schmer­zens­geld an­ge­mes­sen“ wäre, wenn die in den At­tes­ten auf­geführ­ten Ver­let­zun­gen zu­tref­fend wären. Das ist ein deut­li­cher Hin­weis dar­auf, dass der Kläger auch sei­ner­seits in Be­ru­fung hätte ge­hen sol­len, d.h. er wäre gut be­ra­ten ge­we­sen, wenn er durch ei­ne ei­genständi­ge Be­ru­fung ver­sucht hätte, das ihm in ers­ter In­stanz zu­ge­spro­che­ne Schmer­zens­geld von le­dig­lich 800 EUR auf ei­nen den Ge­samt­umständen und den Ver­let­zungs­fol­gen an­ge­mes­se­nen Be­trag zu erhöhen.

Die­ser dürf­te bei je­den­falls 5.000 EUR oder mehr lie­gen, kei­nes­falls aber nur bei 800 EUR. Wie das Ar­beits­ge­richt Köln da­zu kam, ei­nen so ge­rin­gen Be­trag un­ter aus­drück­li­cher Berück­sich­ti­gung der am En­de der Tat­nacht ärzt­lich fest­ge­stell­ten Ver­let­zun­gen als „als aus­rei­chend und an­ge­mes­sen“ an­zu­se­hen, ist völlig verständ­lich. Im­mer­hin ging das Ar­beits­ge­richt dem­zu­fol­ge von er­heb­li­chen Ver­let­zungs­fol­gen aus (Haut­abschürfun­gen an der Wan­ge, Blut­er­guss, Schwel­lung der Un­ter­lip­pe).

Fa­zit: Op­fer von Prügelat­ta­cken soll­ten sich nicht nur möglichst rasch nach der Tat ärzt­lich un­ter­su­chen las­sen, son­dern auch auf ei­ne Krank­schrei­bung auf der Grund­la­ge der Un­ter­su­chung drin­gen. Darüber hin­aus emp­fiehlt es sich, die sicht­ba­ren Ver­let­zungs­fol­gen von An­gehöri­gen oder sons­ti­gen Ver­trau­ten mit der Ka­me­ra do­ku­men­tie­ren zu las­sen, und auch dies natürlich möglichst bald nach der Tat. Die Kürze der Zeit zwi­schen der Tat und der nachträgli­chen Do­ku­men­ta­ti­on der Ver­let­zungs­fol­gen ist wich­tig, um dem Täter den Ein­wand ab­zu­schnei­den, sei­ne Tat hätte mit den Ver­let­zun­gen nichts zu tun.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 6. Juli 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de