HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/37

Erst tei­len, dann über­tra­gen.

Er­wer­ben ver­schie­de­ne Un­ter­neh­men Be­triebs­mit­tel ei­nes vom In­sol­venz­ver­wal­ter still­ge­leg­ten Be­triebs, liegt kein Be­triebs­teil­über­gang vor: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 26.07.2007, 8 AZR 769/06
Zwei Firmenschilder, eines durchgestrichen Be­triebs­über­gang oder nicht - ein ju­ris­ti­sches Puz­zle­spiel

18.08.2007. Wenn der Kauf be­stimm­ter Be­triebs­mit­tel als Be­triebs­über­gang im Sin­ne von § 613a Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) zu be­wer­ten ist, hat der Käu­fer die Ar­beit­neh­mer es von ihm er­wor­be­nen Be­triebs oder Be­triebs­teils "am Hals", was er oft nicht möch­te.

Die ju­ris­ti­sche Fra­ge, ob "As­set-Käu­fe" ei­nen Be­triebs­über­gang dar­stel­len oder nicht, ist da­her im­mer von gro­ßer wirt­schaft­li­cher Be­deu­tung, so­wohl für den Käu­fer der Be­triebs­mit­tel als auch für die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer.

Be­dau­er­li­cher­wei­se lässt sich die­se Fra­ge aber in vie­len Fäl­len nicht ein­deu­tig be­ant­wor­ten, da es hier auf vie­le ver­schie­de­ne As­pek­te des Kauf­vor­gangs an­kommt und letzt­lich das "Ge­samt­bild" ent­schei­det. Die­se Rechts­un­si­cher­heit wird von der Recht­spre­chung nur Schritt für Schritt ver­min­dert, in­dem für be­stimm­te Kon­stel­la­tio­nen ent­schie­den wird, dass hier ein Be­triebs­über­gang vor­liegt oder eben nicht.

In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) klar­ge­stellt, dass der Er­werb meh­re­rer ein­zel­ner Be­triebs­mit­tel ei­nes Be­triebs, der zu­vor vom In­sol­venz­ver­wal­ter still­ge­legt wur­den, kei­nen Be­triebs­über­gans dar­stellt, wenn ver­schie­de­ne Un­ter­neh­men als Käu­fer auf­ge­tre­ten sind: BAG, Ur­teil vom 26.07.2007, 8 AZR 769/06.

Führt der Er­werb von Be­triebs­mit­teln ei­nes in­sol­ven­ten Un­ter­neh­mens durch ver­schie­de­ne Käufer zu ei­nem Be­triebs­teilüber­gang?

Geht ein Be­trieb oder Be­triebs­teil durch Rechts­geschäft auf ei­nen an­de­ren In­ha­ber über, so tritt die­ser gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 BGB in die Rech­te und Pflich­ten aus den im Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­sen ein. Auf­grund die­ser Vor­schrift führt ein Be­triebs­in­ha­ber­wech­sel bzw. Be­triebsüber­gang nicht zur Be­en­di­gung der be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­se, d.h. der so­zia­le Be­sitz­stand der Ar­beit­neh­mer wird ge­wahrt.

Da das Ge­setz nicht de­fi­niert, was un­ter ei­nem „Be­trieb“ bzw. ei­nem „Be­triebs­teil“ im Sin­ne die­ser Vor­schrift zu ver­ste­hen ist, ha­ben die Ge­rich­te ei­ne Art Er­satz­de­fi­ni­ti­on ent­wi­ckelt, nach der von „Be­trieb“ oder „Be­triebs­teil“ nur die Re­de sein kann, wenn es ei­ne „wirt­schaft­li­che Ein­heit“ gibt. Die­se Ein­heit muss, sol­len die be­trof­fe­nen Ar­beits­verhält­nis­se über­ge­lei­tet wer­den, außer­dem als „iden­ti­sche“ Ein­heit vom al­ten Be­triebs­in­ha­ber auf den neu­en über­tra­gen wer­den.

Die Fra­ge, wel­che und wie vie­le Be­triebs­mit­tel und Ar­beit­neh­mer über­nom­men wer­den müssen, da­mit man von ei­ner wirt­schaft­li­chen Ein­heit spre­chen kann, d.h. von ei­nem „Be­triebs­teil“ im Sin­ne von § 613a Abs.1 Satz 1 BGB, ist nicht im­mer leicht zu be­ant­wor­ten.

Die Ar­beits­ge­rich­te ha­ben sich mit die­ser Fra­ge oft im Zu­sam­men­hang mit In­sol­ven­zen zu be­fas­sen, d.h. in Fällen, in de­nen der Be­trieb ei­nes in­sol­ven­ten Un­ter­neh­mens vom In­sol­venz­ver­wal­ter auf­ge­teilt und dann „por­tio­nen­wei­se“ an ver­schie­de­ne In­ter­es­sen­ten veräußert wird. In sol­chen Fällen be­steht die ein­zi­ge Chan­ce der vom Ver­wal­ter gekündig­ten Ar­beit­neh­mer, ih­ren Ar­beits­platz zu er­hal­ten, in ei­ner er­folg­rei­chen ar­beits­ge­richt­li­chen Kla­ge ge­gen den oder die (et­wai­gen) Be­triebs­teiler­wer­ber.

Frag­lich ist, ob der Er­werb meh­re­rer ein­zel­ner Be­triebs­mit­tel ei­nes vom In­sol­venz­ver­wal­ter still­ge­leg­ten Be­triebs durch ver­schie­de­ne Un­ter­neh­men da­zu führt, dass die Ar­beit­neh­mer des still­ge­leg­ten Be­triebs im We­ge des Be­triebsüber­gangs auf die­se Un­ter­neh­men über­ge­hen. Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich das BAG in ei­nem Ur­teil vom 26.07.2007 (8 AZR 769/06).

Der Fall des BAG: In­sol­venz­ver­wal­ter legt den Be­trieb still und veräußert Be­triebs­mit­teln an drei ver­schie­de­ne Un­ter­neh­men

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer war bei ei­nem zah­lungs­unfähig ge­wor­de­nen Dach­de­cker­be­trieb seit 1991 als Zim­mer­mann beschäftigt. Außer­dem war er Mit­glied des Be­triebs­rats. Im Ok­to­ber 2004 stell­te die Geschäftsführung des Dach­de­cker­be­triebs An­trag auf In­sol­ven­zeröff­nung.

Mit­te No­vem­ber kündig­te man dem Kläger we­gen Be­triebs­still­le­gung or­dent­lich mit fünf Mo­na­ten Kündi­gungs­frist un­ter Be­ru­fung auf § 15 Abs.4 KSchG. Die­se Vor­schrift er­laubt aus­nahms­wei­se auch die or­dent­li­che Kündi­gung von Be­triebs­rats­mit­glie­dern in Fällen der Be­triebs­sch­ließung. Im De­zem­ber leg­te der mitt­ler­wei­le be­stell­te In­sol­venz­ver­wal­ter den Be­trieb still und schob ei­ne wei­te­re Kündi­gung mit nur drei­mo­na­ti­ger Frist nach.

Der gekündig­te Be­triebs­rat ver­klag­te den In­sol­venz­ver­wal­ter als Be­klag­ten zu 1.) we­gen der von die­sem zu ver­tre­ten­den bei­den Kündi­gun­gen, d.h. er er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Zu­gleich ver­klag­te er als Be­klag­te zu 2.) und zu 3.) zwei Un­ter­neh­men, die im Ok­to­ber 2004 zeit­gleich mit dem In­sol­venz­an­trag ge­gründet wor­den wa­ren und die ei­ni­ge Mo­na­te später un­ter Ver­wen­dung von Ma­schi­nen und Ar­beit­neh­mern des in­sol­ven­ten Dach­de­cker­be­triebs ih­re Geschäftstätig­keit auf­ge­nom­men hat­ten. Ge­genüber den Be­klag­ten zu 2.) und zu 3.) be­haup­te­te der Kläger, sein Ar­beits­verhält­nis sei auf die­se im We­ge des Be­triebs­teilüber­gangs von der In­sol­venz­schuld­ne­rin über­ge­gan­gen.

Hin­ter­grund die­ser Be­haup­tung war die Tat­sa­che, dass der Ver­wal­ter die dem in­sol­ven­ten Dach­de­cker­un­ter­neh­men gehören­den Ar­beits­geräte an ei­ne M-GmbH veräußert hat­te und die Be­klag­te zu 2.) von die­ser M-GmbH wie­der­um ei­ni­ge aus der In­sol­venz­mas­se stam­men­de Ma­schi­nen, drei Fahr­zeu­ge so­wie Büro­schreib­ti­sche er­wor­ben hat­te. Außer­dem beschäftig­te die Be­klag­te zu 2.) je nach Ar­beits­an­fall fünf zu­vor bei dem In­sol­venz­schuld­ner täti­ge Mit­ar­bei­ter.

Die Be­klag­te zu 3.) wie­der­um un­ter­hielt ein Büro im um­ge­bau­ten ehe­ma­li­gen Ma­ga­zin des In­sol­venz­schuld­ners und hat­te zu­dem von der M-GmbH aus der In­sol­venz­mas­se ei­nen Las­ten­auf­zug, ei­nen Anhänger so­wie vier Fahr­zeu­ge er­wor­ben. Von den ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­tern der In­sol­venz­schuld­ne­rin beschäftig­te sie zwei Speng­ler, ei­nen Zim­mer­mann und bei Be­darf ei­nen Iso­lie­rer.

Das Ar­beits­ge­richt Mann­heim (Ur­teil vom 12.04.2005, 12 Ca 596/04) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg als Be­ru­fungs­ge­richt (Ur­teil vom 23.02.2006, 19 Sa 43/05) wie­sen die Kla­ge ab.

BAG: Er­wer­ben ver­schie­de­ne Un­ter­neh­men Be­triebs­mit­tel ei­nes vom In­sol­venz­ver­wal­ter still­ge­leg­ten Be­triebs, liegt kein Be­triebs­teilüber­gang vor

Der Kläger blieb auch in der Re­vi­si­on vor dem BAG er­folg­los: Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­nein­te nämlich ei­nen Be­triebsüber­gang auf die Be­klag­ten zu 2.) und 3.), weil dies die Wah­rung der bis­he­ri­gen Iden­tität des über­nom­me­nen Be­triebs­teils vor­aus­ge­setzt hätte.

Das BAG war der Mei­nung, dass ei­ne sol­che Iden­titäts­wah­rung hier ge­ra­de nicht ge­ge­ben war, da meh­re­re Un­ter­neh­men le­dig­lich ein­zel­ne Be­triebs­mit­tel er­wor­ben be­zie­hungs­wei­se ge­mie­tet hat­ten.

Nach den tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg, an die das BAG als Re­vi­si­ons­ge­richt ge­bun­den war, konn­te man nicht da­von aus­ge­hen, dass die von der Be­klag­ten zu 2.) und zu 3.) je­weils über­nom­me­nen Be­triebs­mit­tel für die Iden­tität des Be­trie­bes des In­sol­venz­schuld­ners prägend wa­ren.

Die neu­en Un­ter­neh­men hat­ten nämlich kei­ne Ge­samt­heit von Be­triebs­mit­teln er­wor­ben, die ei­ne Fortführung des in­sol­ven­ten Be­trie­bes in sei­ner bis­he­ri­gen Aus­prägung er­laubt hätten, son­dern je­weils nur Tei­le die­ser Ge­samt­heit. Ab­ge­se­hen da­von, dass die bei­den Nach­fol­ge­un­ter­neh­men so­mit nur ein­zel­ne bzw. un­be­deu­ten­de Be­triebs­mit­tel über­nom­men hat­ten, fügten sie die­se in ih­re neu­en Be­triebs­struk­tu­ren ein, d.h. sie ver­folg­ten ein an­de­res be­trieb­li­ches Kon­zept als der In­sol­venz­schuld­ner.

Vor die­sem Hin­ter­grund war es kon­se­quent, dass das BAG auch die bei­den Kündi­gun­gen des In­sol­venz­ver­wal­ters gemäß § 15 Abs.4 KSchG für rech­tens hielt, da es ja – man­gels Be­triebsüber­gangs – von ei­ner Still­le­gung des Be­trie­bes aus­ge­hen muss­te.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 23. Juli 2014

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de