HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 17.10.2012, 15 Sa 1109/12

   
Schlagworte: Maßregelungsverbot, Selbständige Einstellung, Selbständige Entlassung, Änderungskündigung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 15 Sa 1109/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.10.2012
   
Leitsätze:

1. Verweigert der Arbeitnehmer die Zustimmung zu einem angebotenen Altersteilzeitvertrag und spricht der Arbeitgeber sodann eine Beendigungskündigung aus, obwohl wegen einer unstreitig vorhandenen freien Stelle allenfalls eine Änderungskündigung in Betracht gekommen wäre, stellt dies eine unzulässige Maßregelung nach § 612 a BGB dar.


2. Ein Arbeitnehmer ist dann nicht zur selbständigen Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt, wenn auch der Personalleiter des Unternehmens, der auf gleicher Ebene tätig ist, unterschriftsberechtigt bzgl. Personalentscheidungen ist.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 07.03.2012 - 37 Ca 14237/11
   


Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

Verkündet

am 17. Ok­to­ber 2012

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)
15 Sa 1109/12
37 Ca 14237/11
Ar­beits­ge­richt Ber­lin

K., JHS

als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen

pp

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 15. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 28. Sep­tem­ber 2012
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt K. als Vor­sit­zen­der
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Dr. B. und Herrn H.
für Recht er­kannt:

I. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin
vom 07.03.2012 – 37 Ca 14237/11 – wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

II. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

 

K.  

Dr. B.  

H.

3


Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung und über die Be­rech­ti­gung ei­nes von der Be­klag­ten ge­stell­ten Auflösungs­an­tra­ges.

Der am ….. 1951 ge­bo­re­ne Kläger war seit dem 1. No­vem­ber 2001 bei der Be­klag­ten, bzw. de­ren Rechts­vorgänge­rin beschäftigt. An­fangs war er als Fac­to­ry Ma­na­ger des Wer­kes in Neu­stadt tätig. Seit dem 1. Ja­nu­ar 2008 war er als Ope­ra­ti­ons Ma­na­ger für al­le drei Wer­ke der Be­klag­ten tätig und hat­te gleich­zei­tig die Lei­tung des Wer­kes Schwe­rin in­ne. Un­ter dem 2. Ja­nu­ar 2008 wur­de ihm Hand­lungs­voll­macht für das Auf­ga­ben­ge­biet Ope­ra­ti­ons, Fa­brik Schwe­rin er­teilt (Ko­pie Bl. 40 d. A.). Der Kläger er­hielt zu­letzt un­ter Berück­sich­ti­gung von Op­tio­nen etc. ein Jah­res­ent­gelt in Höhe von ca. 200.000,-- €.

Hin­sicht­lich der vom Kläger vor­ge­nom­me­nen Ein­stel­lungs­vorgänge wird auf das An­la­gen­kon­vo­lut B4 (Bl. 148 ff. d. A.) ver­wie­sen. Der Kläger hat­te hier­bei auch das For­mu­lar „HIRING NEE­DS AUT­HORIZ­A­T­ION“ (Bl. 128 d. A.) zu be­nut­zen. Der Kläger hat ver­schie­de­ne Kündi­gun­gen zu­sam­men mit der Per­so­nal­lei­te­rin des Wer­kes Schwe­rin, Frau D., un­ter­zeich­net (Anl. B3 = Bl. 139 ff. d.). Kündi­gun­gen durf­ten nur nach dem Vier-Au­gen-Prin­zip er­fol­gen. Der Per­so­nal­lei­ter der Be­klag­ten, Herr L., war eben­falls be­rech­tigt, Kündi­gun­gen aus­zu­spre­chen. Auch er hat­te das Vier-Au­gen-Prin­zip zu berück­sich­ti­gen. Ihm wa­ren je­weils die Per­so­nal­lei­ter der drei Wer­ke Schwe­rin, Neu­stadt und Eschwei­ler un­ter­stellt, so­mit auch Frau D.. Hin­sicht­lich der ver­schie­de­ne Un­ter­schrifts­be­rech­ti­gun­gen wird auf die An­la­ge des Schrift­sat­zes vom 23. Au­gust 2012 (Bl. 335 d. A.) ver­wie­sen.

In ei­nem Gespräch am 11. Ju­li 2011 wur­de dem Kläger mit­ge­teilt, dass für ihn kein Platz mehr in der neu­en Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur vor­han­den sei. Für die Lei­tung des Wer­kes Schwe­rin sei Herr S. (ca. 35 Jah­re) vor­ge­se­hen, der aus ei­nem an­de­ren Un­ter­neh­men des Kon­zerns stammt. Gleich­zei­tig wur­de dem Kläger mit­ge­teilt, dass man ihm ei­nen Al­ters­teil­zeit­ver­trag an­bie­ten wer­de. Am 19. Ju­li 2011 wur­de dem Kläger der Ent­wurf ei­nes Al­ters­teil­zeit­ver­tra­ges mit Da­tum vom 15. Au­gust 2011 (Ko­pie Bl. 43 ff. d. A.) über­reicht. Am 15. Au­gust 2011 (Ko­pie Bl. 48 ff. d. A.) ließ der Kläger mit­tei­len, dass er die­ses An­ge­bot ab­leh­ne. Mit Schrei­ben vom 22. Au­gust 2011 er­folg­te die Frei­stel­lung des Klägers von der Ar­beit. Am nächs­ten Tag wur­de Herr S. als Nach­fol­ger des Klägers im Werk Schwe­rin vor­ge­stellt. Mit Schrei­ben vom 29. Au­gust 2011 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis zum 31. De­zem­ber 2011.

4

Ge­gen die­se Kündi­gung setzt der Kläger sich mit der am 16. Sep­tem­ber 2011 beim Ar­beits­ge­richt Ber­lin ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge zur Wehr. Er hat die An­sicht ver­tre­ten, nicht Lei­ten­der An­ge­stell­ter zu sein. Er sei auch nicht be­fugt, selbständig Ein­stel­lun­gen oder Ent­las­sun­gen vor­zu­neh­men. Ihm feh­le im Außen­verhält­nis die ent­spre­chen­de Kom­pe­tenz. Bei Ein­stel­lung benöti­ge er zu­min­dest die Zu­stim­mung des Geschäftsführers. Darüber hin­aus ha­be er mit dem ent­spre­chen­den For­mu­lar das Hi­ring Co­mi­tee um Zu­stim­mung zu bit­ten. Kündi­gun­gen sei­en in­tern mit dem Geschäftsführer ab­zu­stim­men ge­we­sen. Die Per­so­nal­lei­te­rin des Wer­kes Schwe­rin, Frau D., sei nicht ihm ge­genüber wei­sungs­ge­bun­den ge­we­sen, son­dern nur ge­genüber Herrn L.. Ein­stel­lun­gen und Ent­las­sun­gen sei­en durch Herrn L. in Ab­stim­mung mit Frau D. ent­schie­den wor­den. Er ha­be die­se nur un­ter­zeich­net, da sonst al­ler Schrift­ver­kehr erst hätte nach Ber­lin ge­schickt wer­den müssen. Die er­folg­te Kündi­gung sei auch al­ters­dis­kri­mi­nie­rend. Bei dem Gespräch am 11. Ju­li 2011 sei ihm mit­ge­teilt wor­den, dass sei­ne Stel­le „durch ei­nen jünge­ren Nach­fol­ger“ be­setzt wer­den sol­le. Darüber hin­aus ver­s­toße die Kündi­gung ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot, weil er mit der Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen im Rah­men des Al­ters­teil­zeit­ver­tra­ges nicht ein­ver­stan­den ge­we­sen sei.

Der Kläger hat be­an­tragt,

fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 29. Sep­tem­ber 2011 nicht be­en­det wur­de, son­dern un­gekündigt und zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen über den 31. De­zem­ber 2011 fort­be­steht.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen;
hilfs­wei­se
das Ar­beits­verhält­nis ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung, de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, 57.500,-- € je­doch nicht über­stei­gen soll­te, zum Ab­lauf des 29. Fe­bru­ar 2012 auf­zulösen.

Der Kläger hat be­an­tragt,

den Auflösungs­an­trag zurück­zu­wei­sen.

5

Die Be­klag­te hat be­haup­tet, der Kläger ha­be sämt­li­che Ein­stel­lun­gen und Ent­las­sun­gen ei­genständig vor­neh­men können. Hier­bei sei es recht­lich ir­re­le­vant, dass das so ge­nann­te Vier-Au­gen-Prin­zip ein­zu­hal­ten ge­we­sen wäre. Der Kläger sei bei Ent­schei­dung frei ge­we­sen, ob und wen er ent­las­sen wol­le. Bei Ein­stel­lung muss­te er sich auch nicht mit dem Geschäftsführer ab­stim­men. Das hier­bei be­nutz­te For­mu­lar ha­be nur die Auf­ga­be ge­habt, den Ein­stel­lungs­be­darf nach Mai­land zur Kon­zern­zen­tra­le zu mel­den. Bei dem Gespräch am 11. Ju­li 2011 sei dem Kläger mit­ge­teilt wor­den, dass nun­mehr die Stel­le ei­nes rei­nen Werk­lei­ters für Schwe­rin ge­schaf­fen wer­den sol­le. Herr L. ha­be fer­ner ge­sagt: „Das ist der jun­ge Kol­le­ge aus Spa­ni­en, der ger­ne in Deutsch­land ar­bei­ten möch­te“. Das Ad­jek­tiv „jung“ sei nur erwähnt wor­den, um den neu­en Werk­lei­ter zu iden­ti­fi­zie­ren. Da­mit ha­be man kei­nes­falls ein Aus­wahl­kri­te­ri­um dar­ge­legt. Man sei der An­sicht ge­we­sen, dass die neue Stel­le, die er­heb­lich we­ni­ger Kom­pe­ten­zen be­inhal­tet ha­be, durch ei­ne an­de­re Per­son, die ei­nen Neu­an­fang in Schwe­rin be­wir­ken soll­te, be­setzt wer­den muss­te. Herr S. ha­be ger­ne in Deutsch­land ar­bei­ten wol­len, kann­te den Kon­zern und stand so­fort zur Verfügung. Dies sei der ein­zi­ge Grund für des­sen Ein­stel­lung ge­we­sen.

Mit Ur­teil vom 7. März 2012 hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Die Kündi­gung sei schon des­we­gen un­wirk­sam, weil ge­genüber dem Kläger al­len­falls ei­ne Ände­rungskündi­gung be­zo­gen auf die rei­ne Funk­ti­on des Werk­lei­ters in Schwe­rin hätte aus­ge­spro­chen wer­den dürfen. Den Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten hat das Ar­beits­ge­richt zurück­ge­wie­sen. Der Kläger sei nicht zur selbständi­gen Ein­stel­lung be­fugt ge­we­sen. Dies er­ge­be sich schon dar­aus, dass der Kläger das For­mu­lar „HIRING NEE­DS AUT­HORIZ­A­T­ION“ ha­be be­nut­zen müssen. Der Kläger sei auch nicht zur selbständi­gen Ent­las­sung von Ar­beit­neh­mern be­rech­tigt ge­we­sen. Nach­dem der Kläger zu den von ihm un­ter­schrie­be­nen Kündi­gun­gen im Ein­zel­nen vor­ge­tra­gen ha­be, hätte die Be­klag­te im Hin­blick auf die kon­kre­ten Ein­z­elfälle dar­le­gen müssen, dass die aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen „nur vom Wil­lens­ent­schluss des Klägers ab­hin­gen“. Hier­zu hätten die ein­ge­reich­ten Stel­lung­nah­men der Per­so­nal­lei­te­rin des Wer­kes Schwe­rin und des Per­so­nal­chefs der Be­klag­ten nicht aus­ge­reicht.

Die­ses Ur­teil ist der Be­klag­ten am 24. Mai 2012 zu­ge­stellt wor­den. Die Be­ru­fung ging am 13. Ju­ni 2012 und die ent­spre­chen­de Be­gründung am 17. Ju­li 2012 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein.

6

Die Be­klag­te ist der An­sicht, das Ar­beits­ge­richt hätte den Auflösungs­an­trag nicht zurück­wei­sen dürfen. Es hätte viel­mehr die ent­spre­chen­den Zeu­gen hören müssen. Sie be­haup­tet wei­ter­hin, nur der Kläger hätte selbständig darüber ent­schie­den, ob, wann und ge­genüber wem ei­ne Kündi­gung aus­zu­spre­chen sei. Die Be­nut­zung des For­mu­lars bei den Ein­stel­lun­gen sei ei­ne rei­ne For­ma­lie. Der Per­so­nal­lei­ter L. sei nicht ope­ra­tiv in den Wer­ken für Ein­stel­lun­gen und Ent­las­sun­gen von Per­so­nal ver­ant­wort­lich. Hin­sicht­lich der we­gen Krank­heit aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen ha­be Frau D. dem Kläger be­rich­tet. Die­se ha­be dann ent­schie­den, in­wie­fern zu kündi­gen sei. Herr L. ha­be hier­mit gar nichts zu tun ge­habt. Frau D. sei so­wohl an den Wei­sun­gen von Herrn F. als auch von de­nen von Herrn L. abhängig ge­we­sen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin - 37 Ca 14237/11 - auf­zu­he­ben und die Kla­ge ab­zu­wei­sen;
hilfs­wei­se
das Ar­beits­verhält­nis ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung, de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, 57.500,-- € je­doch nicht über­stei­gen soll­te, zum Ab­lauf des 29.02.2012 auf­zulösen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 07.03.2012 (Az. 37 Ca 14237/11) so­wie den hilfs­wei­se ge­stell­ten Auflösungs­an­trag zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger ver­weist dar­auf, dass die Be­ru­fung hin­sicht­lich des Haupt­an­tra­ges man­gels ent­spre­chen­der Be­gründung un­zulässig sei. Er be­tont er­neut, dass er kei­ne Al­lei­n­ent­schei­dungs­be­fug­nis in per­so­nel­len An­ge­le­gen­hei­ten ge­habt ha­be.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung hat kei­nen Er­folg und war da­her zurück­zu­wei­sen. Sie ist teil­wei­se un­zulässig. Im Übri­gen ist sie hin­sicht­lich des Auflösungs­an­tra­ges un­be­gründet.

I.

7

Die Be­ru­fung ist teil­wei­se un­zulässig. So­weit das Ar­beit­ge­richt fest­ge­stellt hat, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 29. Au­gust 2011 nicht be­en­det wur­de, fehlt es an der ent­spre­chen­den Be­ru­fungs­be­gründung. Mit den Erwägun­gen des Ar­beits­ge­richts setzt sich die Be­ru­fungs­be­gründung an kei­ner Stel­le aus­ein­an­der. In­so­fern fehlt es an der ent­spre­chen­den Be­ru­fungs­be­gründung nach § 520 ZPO. In die­sem Punkt war die Be­ru­fung als un­zulässig zurück­zu­wei­sen.

Hin­sicht­lich des ge­stell­ten Auflösungs­an­tra­ges ist die Be­ru­fung je­doch form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den. Sie ist zulässig.

II.

Die Be­ru­fung ist hin­sicht­lich des Auflösungs­an­tra­ges nicht be­gründet. Der Auflösungs­an­trag konn­te schon des­we­gen kei­nen Er­folg ha­ben, weil die aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung nicht nur so­zi­al­wid­rig war (1.) Darüber hin­aus war der Kläger nicht zur selbständi­gen Ein­stel­lung (2.) oder selbständi­gen Kündi­gung (3.) be­rech­tigt.

1. Ein Ar­beit­ge­ber kann die Auflösung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur ver­lan­gen, wenn die Kündi­gung le­dig­lich nach § 1 KSchG so­zi­al­wid­rig ist (BAG 27.09.2001 - 2 AZR 176/00 - NZA 2002, 1277, 1281). Vor­lie­gend ist die Kündi­gung vom 29. Au­gust 2011 nicht nur so­zi­al­wid­rig, son­dern verstößt auch ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot nach § 612 a BGB und ist da­her un­wirk­sam (§ 134 BGB).

Gemäß § 612a BGB darf ein Ar­beit­ge­ber ei­nen Ar­beit­neh­mer bei ei­ner Ver­ein­ba­rung oder ei­ner Maßnah­me nicht be­nach­tei­li­gen, weil der Ar­beit­neh­mer in zulässi­ger Wei­se sei­ne Rech­te aus­geübt hat. Nach der Recht­spre­chung des BAG ist das Maßre­ge­lungs­ver­bot nur dann ver­letzt, wenn zwi­schen der Be­nach­tei­li­gung und der Rechts­ausübung ein un­mit­tel­ba­rer Zu­sam­men­hang be­steht. Die zulässi­ge Rechts­ausübung muss der tra­gen­de Grund, al­so das we­sent­li­che Mo­tiv für die be­nach­tei­li­gen­de Maßnah­me sein (BAG, 21.09.2011 - 7 AZR 150/10 - NZA 2012, 317 Rn. 35). Kündigt ein Ar­beit­ge­ber ei­nem Ar­beit­neh­mer nur des­halb, weil die­ser in ei­ne Ände­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen nicht ein­ge­wil­ligt hat, verstößt dies ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot (LAG Hamm, 18.12.1987 - 17 Sa 1295/87 - DB 1988, 917). Ver­wei­gert der Ar­beit­neh­mer – wie hier - die Zu­stim­mung zu ei­nem an­ge­bo­te­nen Al­ters­teil­zeit­ver­trag und spricht der Ar­beit­ge­ber so­dann ei­ne

8

Be­en­di­gungskündi­gung aus, ob­wohl we­gen ei­ner un­strei­tig vor­han­de­nen frei­en Stel­le al­len­falls ei­ne Ände­rungskündi­gung in Be­tracht ge­kom­men wäre, stellt dies ei­ne un­zulässi­ge Maßre­ge­lung nach § 612 a BGB dar. Ein verständi­ger Ar­beit­ge­ber hätte in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on je­den­falls kei­ne Maßnah­me er­grif­fen, die über ei­ne Ände­rungskündi­gung hin­aus­geht. In­so­fern hat die Be­klag­te ihr Ver­hal­ten ge­ra­de nicht mehr an der Rechts­ord­nung ori­en­tiert (vgl. BAG a. a. O. Rn. 41). Die Maßre­ge­lung be­stand je­den­falls in die­ser Über­re­ak­ti­on.

So­weit die Be­klag­te sich in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung vom 28. Sep­tem­ber 2012 dar­auf be­zo­gen hat, dass sie den Kläger als alt­ge­dien­ten Ar­beit­neh­mer („Sil­berrücken“) die Tätig­keit des rei­nen Werk­lei­ters in Schwe­rin nicht ha­be zu­mu­ten wol­len, recht­fer­tigt dies kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung. Die Recht­spre­chung prüft schon länger nicht mehr, ob das in Be­tracht kom­men­de Ände­rungs­an­ge­bot - von Aus­nah­men ab­ge­se­hen - für den Ar­beit­neh­mer ob­jek­tiv zu­mut­bar ist. Es ist ein­zig und al­lein Sa­che des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers, ob er ein sol­ches Ände­rungs­an­ge­bot un­ter Vor­be­halt an­neh­men will. Es liegt auch kein Ex­trem­fall vor, bei dem hätte an­ge­nom­men wer­den können, dass die An­nah­me durch den Ar­beit­neh­mer völlig aus­ge­schlos­sen ist. Die Tätig­keit als Werk­lei­ter in Schwe­rin hätte viel­mehr nur die Her­ab­stu­fung um ei­ne Hier­ar­chie­stu­fe be­deu­tet.

So­weit die Be­klag­te in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung auch dar­auf hin­ge­wie­sen hat, dass mit dem ATZ-Ver­trag so­fort ei­ne Frei­stel­lung hätte er­fol­gen sol­len, mag dies sein. In dem an den Kläger über­ge­be­nen Ver­trags­ent­wurf war dies nicht ge­re­gelt. Hätte man nach der Ab­leh­nung durch den Kläger wei­te­re Ver­gleichs­va­ri­an­ten abklären wol­len, wäre dies je­der­zeit möglich ge­we­sen. Statt­des­sen hat die Be­klag­te je­doch das Mit­tel der Be­en­di­gungskündi­gung er­grif­fen, ob­wohl ein frei­er Ar­beits­platz vor­han­den war.

Selbst wenn all dies nicht aus­rei­chen soll­te, dann ist als wei­te­res star­kes In­diz zu berück­sich­ti­gen, dass bei der Be­klag­ten auch in der jünge­ren Ver­gan­gen­heit Kündi­gun­gen aus­sch­ließlich nach maßre­geln­den Ge­sichts­punk­ten aus­ge­spro­chen wur­den. Zwi­schen den Par­tei­en ist un­strei­tig, dass un­ter dem 20.06.2011 ge­genüber drei Ar­beit­neh­mern Kündi­gun­gen aus dis­zi­pli­na­ri­schen Gründen aus­ge­spro­chen wur­den, weil die­se zu ei­ner Grup­pe von Mit­ar­bei­tern gehörten, die ver­sucht hat­ten, per einst­wei­li­ger Verfügung ei­ne lan­ge zu­vor an­be­raum­te Ar­beit an Os­tern zu ver­hin­dern. Zwi­schen den Par­tei­en ist nur strei­tig, ob der Kläger die­se Maßnah­me aus­drück­lich ab­ge­lehnt hat (so des­sen Schrift­satz vom 29.02.2012 auf Sei­te 11, Bl. 222 d. A.) oder ob Herr L. nach Rück­spra­che mit dem

9

jet­zi­gen Be­klag­ten­ver­tre­ter hier­von ab­ge­ra­ten hat (Be­klag­ten­schrift­satz vom 17.07.2012, Sei­te 7 f. = Bl. 279 f. d. A.). Gleich­ar­ti­ge Maßnah­men in der Ver­gan­gen­heit können ein In­diz dafür bil­den, dass auch ein ak­tu­el­les Ver­hal­ten auf glei­chen Erwägun­gen be­ruht (vgl. BAG 22.07.2010 – 8 AZR 1012/08 – NZA 2011, 93 Rn. 83 mit Bei­spie­len zur Ge­schlechts­dis­kri­mi­nie­rung). Je­den­falls in Ver­bin­dung mit die­sem In­diz ist von ei­ner un­zulässi­gen Maßre­ge­lung aus­zu­ge­hen.

Da die Kündi­gung vom 29. Au­gust 2011 schon we­gen des Ver­s­toßes ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot nicht nur so­zi­al­wid­rig ist, kann of­fen blei­ben, ob an­ge­sichts des Gesprächs­ver­laufs vom 11. Ju­li 2011 auch an­zu­neh­men ist, dass die Kündi­gung aus al­ters­dis­kri­mi­nie­ren­den Gründen er­folg­te.

2. Der Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten ist auch des­we­gen un­wirk­sam, weil die Be­klag­te kei­ner­lei Gründe dafür vor­ge­tra­gen hat, dass ei­ne den wei­te­ren Be­triebs­zwe­cken dien­li­che Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen ihr und dem Kläger nicht er­war­tet wer­den könne (§ 9 Abs. 1 Satz 2KSchG). Hier­von konn­te nach § 14 Abs. 2 nicht ab­ge­wi­chen wer­den. Es kann nicht fest­ge­stellt wer­den, dass der Kläger zur selbständi­gen Ein­stel­lung be­rech­tigt war. Dies er­gibt sich schon aus den An­la­gen B4, die die Be­klag­te selbst ein­ge­reicht hat.

Da­nach bat der Kläger un­ter dem 19. Ju­li 2010 bei der Zen­tra­le in Ita­li­en um die Bil­li­gung („for jour ap­pro­val“) für die Er­set­zung ei­ner langjährig beschäftig­ten Mit­ar­bei­te­rin, die das Un­ter­neh­men zum 1. Au­gust ver­las­sen soll­te, durch ei­nen jun­gen Kol­le­gen. Die Ant­wort lau­te­te: „We ap­pro­ve the sub­sti­tu­ti­on.“ (Bl. 153 d. A.). Die Kon­zern­zen­tra­le in Ita­li­en wur­de durch den Kläger al­so nicht ein­fach nur in Kennt­nis ge­setzt, son­dern muss­te selbst die Er­set­zung ei­ner aus­ge­schie­de­nen Mit­ar­bei­te­rin aus­drück­lich ge­neh­mi­gen. Un­ter die­sen Umständen kann von ei­ner selbständi­gen Ein­stel­lungs­be­fug­nis nicht aus­ge­gan­gen wer­den, denn der Kläger brauch­te im In­nen­verhält­nis die Ge­neh­mi­gung der Kon­zern­zen­tra­le. Glei­ches gilt für die zusätz­li­che Ein­stel­lung von Ar­beit­neh­mern in Schwe­rin. Auch dort teilt die Kon­zern­zen­tra­le un­ter dem 16. Mai 2008 mit, dass sie nach Er­halt des Form­blat­tes „of­fi­zi­ell“ den Vor­gang ge­neh­mi­gen wol­le (Bl. 151 d. A.).

3. Der Kläger als Be­triebs­lei­ter war auch nicht zur selbständi­gen Ent­las­sung von Ar­beit­neh­mern be­rech­tigt. Der Kläger ist schon des­we­gen nicht zur selbständi­gen Ent­las­sung von Ar­beit­neh­mern be­rech­tigt, weil auch der Per­so­nal­lei­ter des Un­ter­neh­mens,

10

der auf der glei­chen Ebe­ne wie der Kläger tätig ist, un­ter­schrifts­be­rech­tigt bzgl. Per­so­nal­ent­schei­dun­gen ist.

Das BAG ver­langt, dass die Be­rech­ti­gung zur Ein­stel­lung und (ge­meint: oder) Ent­las­sung dann nicht aus­rei­chend ist, wenn sie nicht un­be­schränkt ist. Dem ste­he es ent­ge­gen, dass ei­ne sol­che Be­rech­ti­gung durch glei­che Be­rech­ti­gun­gen an­de­rer ein­ge­schränkt ist. Dies ist dann der Fall, wenn die glei­che Be­fug­nis auch an­de­ren ein­geräumt wird (BAG 14.04.2011
- 2 AZR 167/10 - ju­ris Rn. 21). So verhält es sich hier.

Der Per­so­nal­lei­ter der Be­klag­ten, Herr L., hat in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung vom 28.09.2012 erklärt:

„Ich war auch be­rech­tigt, Kündi­gun­gen aus­zu­spre­chen. Aber dies galt nur in Ver­bin­dung mit dem Vier-Au­gen-Prin­zip. In­so­fern war ei­ne zwei­te Un­ter­schrift not­wen­dig.“ (Bl. 371 d A.)

Herr L. war ge­nau­so wie der Kläger von der Be­klag­ten als Lei­ten­der An­ge­stell­ter mit ent­spre­chen­der Un­ter­schrift­be­rech­ti­gung aus­ge­stat­tet (vgl. Bl. 335 d. A.). Herr L. konn­te ge­nau­so wie der Kläger un­ter Hin­zu­zie­hung ei­ner wei­te­ren un­ter­schrifts­be­rech­tig­ten Per­son so­mit Kündi­gun­gen aus­spre­chen. In­so­fern war auch hier in ei­nem Kon­flikt­fall von vorn­her­ein nicht si­cher, ob der Kläger sich mit sei­ner Ent­las­sungs­ent­schei­dung durch­set­zen konn­te.

Die neue­re Recht­spre­chung ver­langt auch, dass die Be­fug­nis zur Ent­las­sung nicht nur im In­nen­verhält­nis, son­dern auch im Außen­verhält­nis be­steht (BAG 14.04.2011 a. a. O. Rn. 13). Hier war der Kläger im Außen­verhält­nis je­doch nicht zur selbständi­gen Ent­las­sung be­rech­tigt, da die Wirk­sam­keit der Kündi­gung nach der Un­ter­schrifts­be­rech­ti­gung der Be­klag­ten ei­ne zwei­te Un­ter­schrift er­for­der­te. Von da­her dien­te die Zweit­un­ter­schrift nicht le­dig­lich Kon­troll­zwe­cken (so aber BAG 27.09.2001 - 2 AZR 176/00 - NZA 2002, 1277, 1282).

Un­abhängig hier­von war auch nicht von vorn­her­ein ge­si­chert, dass der Kläger die er­for­der­li­che Zweit­un­ter­schrift auch er­hielt. Aus­weis­lich der Lis­te zur Un­ter­schrifts­be­rech­ti­gung (Bl. 335 d. A.) un­ter­stan­den dem Kläger noch die Ar­beit­neh­mer L., S. und K., die al­le drei je­doch nicht in Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten zeich­nungs­be­rech­tigt wa­ren. Die Per­so­nal­lei­te­rin des Wer­kes Schwe­rin, Frau D., war un­strei­tig auch in Per­so­nal­an­ge­le­gen­hei­ten zeich­nungs­be­rech­tigt. Nach Dar­stel­lung des Klägers un­ter­lag

11

die­se je­doch aus­sch­ließlich den Wei­sun­gen von Herrn L.. Aber auch nach Dar­stel­lung der Be­klag­ten im Be­ru­fungs­ter­min vom 28. Sep­tem­ber 2012 war Frau D. so­wohl von den Wei­sun­gen des Klägers als auch von den Wei­sun­gen von Herrn L. abhängig (Bl. 371 d. A.). Falls in ei­nem Kon­flikt­fall der Kläger und Herr L. an Frau D. un­ter­schied­li­che Wei­sun­gen hin­sicht­lich der er­for­der­li­chen Zweit­un­ter­schrift er­teilt hätten, wäre durch­aus nicht ge­si­chert ge­we­sen, ob der Kläger sich mit sei­ner Ent­las­sungs­ent­schei­dung hätte durch­set­zen können. Die Ent­las­sungs­be­fug­nis war so­mit nicht „selbständig“, denn de­ren Um­set­zung war nicht nur vom Wil­lens­ent­schluss des Klägers abhängig.

III.

Die Be­klag­te hat die Kos­ten des er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen (§ 97 ZPO).

Die Vor­aus­set­zun­gen für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on lie­gen nicht vor (§ 72 ArbGG). Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de (§ 72 a ArbGG) wird hin­ge­wie­sen.


K.  

Dr. B.  

H.

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 15 Sa 1109/12