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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/039

Trink­geld für Toi­let­ten­auf­se­her ist kein Trink­geld - oder doch?

Ober­hau­se­ner "Sit­ze­rin" klagt auf Her­aus­ga­be des vom Ar­beit­ge­ber ein­ge­sack­ten Toi­let­ten­gel­des: Ar­beits­ge­richt Gel­sen­kir­chen, Ur­teil vom 21.01.2014, 1 Ca 1603/13
Münzen, Münzhaufen Wem ge­hört der Sam­mel­tel­ler?

31.01.2014. Am Diens­tag letz­ter Wo­che wur­de vor dem Ar­beits­ge­richt Gel­sen­kir­chen ei­ne denk­wür­di­ge Lohn­kla­ge ver­han­delt.

Ge­klagt hat­te ei­ne Toi­let­ten­auf­se­he­rin ge­gen ih­ren Ar­beit­ge­ber, ein Rei­ni­gungs­un­ter­neh­men, das die Toi­let­ten für das Cen­tro Ober­hau­sen sau­ber zu hal­ten hat­te.

Das Sau­ber­ma­chen war al­ler­dings nicht die Ar­beits­auf­ga­be der kla­gen­den Ar­beit­neh­me­rin, ob­wohl sie kraft Ar­beits­an­wei­sung ei­nen wei­ßen Kit­tel tra­gen muss­te.

Sie war viel­mehr für 5,20 EUR brut­to pro St­un­de als "Sit­ze­rin" tä­tig, d.h. sie muss­te an ei­nem Tisch mit Sam­mel­tel­ler sit­zen. Tisch und Tel­ler be­fan­den sich am Ein­gang zu den Toi­let­ten. Dort muss­te sie das Geld dan­kend ent­ge­gen­neh­men, das die Toi­let­ten­be­su­cher - frei­wil­lig - auf den Tel­ler leg­ten.

Da­bei sind die "Sit­ze­rin­nen" auf­grund ei­ner Wei­sung ih­res Ar­beit­ge­bers da­zu ver­pflich­tet, ge­gen­über den Be­su­chern nicht zu of­fen­ba­ren, dass sie kei­ne Rei­ni­gungs­tä­tig­kei­ten aus­üben. Soll­ten Be­su­cher nach dem Ver­wen­dungs­zweck des Gel­des fra­gen, hat­ten sie mit dem Hin­weis zu ant­wor­ten, dass das Geld dem Rei­ni­gungs­un­ter­neh­men zu­flie­ße, das dar­aus u. a. die Per­so­nal­kos­ten be­strei­te.

Au­ßer­dem war die Klä­ge­rin an­ge­wie­sen, das Geld re­gel­mä­ßig bis auf we­ni­ge Geld­stü­cke von dem Sam­mel­tel­ler ab­zu­räu­men, in ih­re Kit­tel­ta­sche zu ste­cken und mehr­mals je Schicht in ei­nen Tre­sor der Rei­ni­gungs­fir­ma ein­zu­le­gen. Denn das Geld sack­te die Rei­ni­gungs­fir­ma ein und be­hielt es für sich.

Da­mit war die Toi­let­ten­auf­se­he­rin nicht ein­ver­stan­den und klag­te auf Aus­kunft über die Hö­he des ver­ein­nahm­ten Toi­let­ten­gel­des, das ih­rer Mei­nung nach ihr zu­steht, näm­lich als Trink­geld. Auf der Grund­la­ge ei­ner sol­chen Aus­kunft über die ge­naue Hö­he der ver­ein­nahm­ten Toi­let­ten­gel­der er­strebt sie dann die Ver­ur­tei­lung der Rei­ni­gungs­fir­ma zu ent­spre­chen­der Zah­lung.

Kon­kret möch­te die Klä­ge­rin 1/20 der ver­ein­nahm­ten Gel­der. Im­mer­hin, so ih­re Schät­zung, wan­dern an nor­ma­len Ta­gen meh­re­re hun­dert, an Spit­zen­ta­gen meh­re­re tau­send Eu­ro über die Tel­ler.

Ob die strei­ti­gen Ein­nah­men Trink­geld sind oder nicht, be­misst sich nach § 107 Abs.3 Satz 2 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO). Da­nach ist "Trink­geld" ein Geld­be­trag, "den ein Drit­ter oh­ne recht­li­che Ver­pflich­tung dem Ar­beit­neh­mer zu­sätz­lich zu ei­ner dem Ar­beit­ge­ber ge­schul­de­ten Leis­tung zahlt." Und dar­über, an wen die Kun­den das Geld ei­gent­lich zah­len wol­len, ge­hen die Mei­nun­gen aus­ein­an­der.

Nach An­sicht der Klä­ge­rin wol­len die Kun­den ihr ei­ne klei­ne An­er­ken­nung zu­kom­men las­sen, eben ein Trink­geld. Nach An­sicht des Rei­ni­gungs­un­ter­neh­mens sind die Mün­zen ein "frei­wil­li­ges Nut­zungs­ent­gelt", und das steht dem Un­ter­neh­men zu.

Mit die­ser In­ter­pre­ta­ti­on han­delt sich das Rei­ni­gungs­un­ter­neh­me al­ler­dings ein Dar­stel­lungs­pro­blem ein:

Wenn die Zah­lun­gen ein Nut­zungs­ent­gelt sein sol­len, das die Kun­den an die Rei­ni­gungs­fir­ma zah­len sol­len und wol­len, wo­zu braucht man dann ei­ne im wei­ßen Kit­tel ne­ben Tisch und Tel­ler­chen ho­cken­de Sit­ze­rin, die wie ei­ne Rei­ni­gungs­kraft wäh­rend ei­ner kur­zen Pau­se wirkt?

Wo­zu ein sorg­sam ge­pfleg­tes trink­geld­sti­mu­lie­ren­des Am­bi­en­te, wenn man gar kei­ne Trink­gel­der ver­ein­nah­men möch­te?

Und seit wann zah­len Kun­den an den flei­ßi­gen und net­ten Ser­vice­kräf­ten ei­nes Dienst­leis­tungs­be­triebs vor­bei trink­geld­ähn­li­che "frei­wil­li­ge Nut­zungs­ent­gel­te" ge­zielt an den Be­triebs­in­ha­ber, gleich­sam als Un­ter­neh­mer-Ta­schen­geld?

All das konn­te das Ar­beits­ge­richt Gel­sen­kir­chen wohl auch nicht nach­voll­zie­hen und ver­ur­teil­te die Rei­ni­gungs­fir­ma am 21.01.2014 zur Er­tei­lung der be­gehr­ten Aus­kunft.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de schrift­lich ab­ge­fasst und ver­öf­fent­licht. Die Ent­schei­dungs­grün­de im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. September 2016

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