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LAG Bre­men, Ur­teil vom 29.06.2010, 1 Sa 29/10

   
Schlagworte: Diskriminierung: Ethnische Herkunft, Diskriminierung: Kündigung, Kündigung: Diskriminierung, Kündigung: AGG
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Bremen
Aktenzeichen: 1 Sa 29/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.06.2010
   
Leitsätze:

1. Die Ausschließlichkeitsanordnung des § 2 Abs. 4 AGG steht nicht einem Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG entgegen Der Arbeitnehmer ist deshalb auch nicht gezwungen, zunächst Klage gegen eine diskriminierende Kündigung zu erheben.

2. Im Falle einer diskriminierenden Kündigung ist bei erheblicher Schwere der Diskriminierung eine Entschädigung von drei Bruttomonatsverdiensten des Arbeitnehmers festzusetzen, und zwar auch dann, wenn sich der Arbeitnehmer gegen eine Probezeitkündigung von einem Monat nicht hätte wehren können.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, Urteil vom 25.11.2009, 8 Ca 8322/09
   

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT BRE­MEN


IM NA­MEN DES VOL­KES


1 Sa 29/10

8 Ca 8322/09 Ar­beits­ge­richt Bre­men-Bre­mer­ha­ven (Bre­men)

In dem Rechts­streit

Kläge­rin und Be­ru­fungs­be­klag­te

Proz.-Bev.:


ge­gen

Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin

Proz.-Bev.:

hat die 1. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Bre­men auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 29. Ju­ni 2010

durch

die Präsi­den­tin des Lan­des­ar­beits­ge­richts den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Bre­men-Bre­mer­ha­ven vom 25.11.2009 - 8 Ca 8322/09 - wird auf ih­re Kos­ten als un­be­gründet zurück­ge­wie­sen.

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Die Re­vi­si­on wird ge­gen die­ses Ur­teil zu­ge­las­sen.


R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von der Be­klag­ten

R e v i s i o n

ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

schrift­lich beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den.

Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

schrift­lich zu be­gründen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.


Vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt müssen sich die Par­tei­en durch Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ver­tre­ten las­sen. Als Be­vollmäch­tig­te sind außer Rechts­anwälten auch Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­ber­verbänden so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der als Be­vollmäch­tig­te ver­tre­tungs­be­fugt. Als Be­vollmäch­tig­te zu­ge­las­sen sind auch ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 5 ArbGG erfüllen. Die han­deln­den Per­so­nen müssen die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

Die An­schrift des Bun­des­ar­beits­ge­richts lau­tet:

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Bun­des­ar­beits­ge­richt,
99113 Er­furt.


Per Te­le­fax ist das Bun­des­ar­beits­ge­richt un­ter der

Te­le­fax-Nr. (0361) 26 36 – 20 00

zu er­rei­chen.

We­gen der Re­vi­si­ons­ein­le­gung mit elek­tro­ni­schem Do­ku­ment wird auf die Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr beim Bun­des­ar­beits­ge­richt vom 9. März 2006 (Bun­des­ge­setz­blatt I 2006, Nr. 12, Sei­te 519ff) ver­wie­sen.

Für die Kläge­rin ist ge­gen die Ent­schei­dung kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

Hin­weis der Geschäfts­stel­le

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bit­tet, sämt­li­che Schriftsätze in sie­ben­fa­cher Aus­fer­ti­gung - für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ei­ne Aus­fer­ti­gung mehr - bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­zu­rei­chen.


T A T B E S T A N D :

Die Par­tei­en strei­ten um ei­nen Scha­dens­er­satz- bzw. Entschädi­gungs­an­spruch im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Pro­be­zeitkündi­gung.

Die Be­klag­te ist ein Lo­gis­tik­un­ter­neh­men. Bei ihr sind re­gelmäßig we­ni­ger als zehn Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter beschäftigt.

In der Zeit vom 02.12.2008 bis zum 16.01.2009 ab­sol­vier­te die Kläge­rin bei der Be­klag­ten ge­mein­sam mit der Zeu­gin E. F. ein Prak­ti­kum im Rah­men ei­ner Aus­bil­dung zur Kauf­frau für Spe­di­ti­on und Lo­gis­tik. Hierüber er­teil­te die Be­klag­te der Kläge­rin ein Prak­ti­kums­zeug­nis vom 16.01.2008 (Bl. 12 d. A.). Mit Wir­kung zum 20.01.2009 wur­de die Kläge­rin als Sach­be­ar­bei­te­rin zu ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­ge­halt von € 1.800,00 ein­ge­stellt. Die ar­beits­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen sa­hen ei­ne sechs­mo­na­ti­ge Pro­be­zeit vor (vgl. zu

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die­sem Ar­beits­ver­trag Bl. 8 ff. d. A.). Die Kläge­rin ist deut­sche Staats­an­gehöri­ge, spricht je­doch mit ei­nem rus­si­schen Ak­zent.

Am 11.03.2009 fand zwi­schen der Kläge­rin, dem Geschäftsführer O. der Be­klag­ten und der Zeu­gin F. im Büro des Geschäftsführers ein Gespräch statt. Un­strei­tig ist an die­sem al­lein, dass der Geschäftsführer O. nach ent­spre­chen­der Auf­for­de­rung durch den Ge­sell­schaf­ter der Be­klag­ten P. die Kläge­rin und die Zeu­gin F. auf de­ren sprach­li­che Fähig­kei­ten hin an­sprach. Das Gespräch wur­de von dem sich im Ne­ben­raum be­find­li­chen Mit­ar­bei­ter und Zeu­gen A. durch die of­fe­ne Tür mit­gehört.

Der Geschäftsführer O. nahm sei­ne Tätig­keit am 02.03.2009 auf. Durch Ge­sell­schaf­ter­be­schluss vom 06.04.2009 wur­de der Geschäftsführer O. als wei­te­rer al­lein­ver­tre­tungs­be­rech­tig­ter Geschäftsführer durch die Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung be­stellt. Die Ein­tra­gung im Han­dels­re­gis­ter hierüber er­folg­te am 12.05.2009. Nach­dem der vor­he­ri­ge Geschäftsführer Z. als Geschäftsführer ab­be­ru­fen wor­den war, wa­ren die Mit­ar­bei­ter
der Be­klag­ten am 21.01.2009 zu­sam­men­ge­ru­fen wor­den. An­we­send wa­ren die Kläge­rin, die Zeu­gin F. , der Zeu­ge A. und Herr O. so­wie der Geschäftsführer K. . Der Geschäftsführer K. teil­te den Er­schie­ne­nen mit, Herr O. sei als Geschäftsführer ein­ge­stellt und wer­de zu­sam­men mit Herrn A. die Lei­tung über­neh­men, Herr O. als Geschäftsführer, Herr A. als Ab­tei­lungs­lei­ter. Herr A. be­gann sei­ne Tätig­keit so­fort und er­schien je­den Tag im Be­trieb, während Herr O. seit­dem öfter, aber nicht je­den Tag im Büro er­schien, ver­mehrt al­ler­dings seit En­de Fe­bru­ar 2009. Seit dem 12.03.2009 war Herr O. dann ganz­tags im Be­trieb, er­schien al­so je­den Tag und war von da an der Chef, al­so als Geschäftsführer zuständig für den Be­trieb und da­mit auch für das Per­so­nal, während der Geschäftsführer K. mit dem tägli­chen Geschäft nicht be­fasst war. Be­reits Mit­te März 2009 hat­te Herr O. neu­es Brief­pa­pier dru­cken las­sen und den Mit­ar­bei­tern ge­sagt, die­ses neue Brief­pa­pier sol­le von jetzt ab ver­wen­det wer­den. Seit­dem wur­de nicht mehr der vor­he­ri­ge Geschäftsführer Z. auf­geführt, son­dern Herr O. als Geschäftsführer zu­sam­men mit dem Geschäftsführer K. , so auch auf dem Kündi­gungs­schrei­ben. Er brach­te den Zeu­gen A. als neu­en Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten mit. Am 16.03.2009 wur­de zu­dem der Zeu­ge und Mit­ar­bei­ter Or. ein­ge­stellt und seit­dem als Sach­be­ar­bei­ter tätig.

Un­ter dem Da­tum 07.04.2009 erklärte die Be­klag­te die Pro­be­zeitkündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Kläge­rin und der Zeu­gin F. (Bl. 11 d. A.).

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Mit Schrei­ben vom 15.04.2009 (Bl. 15 ff. d. A.) for­der­te die Kläge­rin die Be­klag­te un­ter Frist­set­zung per 30.04.2009 zur Zah­lung von Scha­dens­er­satz auf. Am 19.05.2009 ging die Kla­ge beim Ar­beits­ge­richt Bre­men-Bre­mer­ha­ven ein.

Bei der Bun­des­agen­tur für Ar­beit war ein Stel­len­an­ge­bot für ei­nen Spe­di­ti­ons­kauf­mann für den Ver­trieb (Spe­di­ti­ons­kauf­mann/-frau) mit Ein­tritts­ter­min zum 01.05.2009 im In­ter­net ab­ruf­bar (Bl. 13 d. A.).

Die Kläge­rin hat vor­ge­tra­gen:

Sie sei von der Be­klag­ten we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft dis­kri­mi­niert wor­den. Seit dem Wech­sel in der Geschäftsführung der Be­klag­ten ha­be sie kei­ne neu­en Ar­beits­aufträge mehr er­hal­ten. Sie sei le­dig­lich noch mit Kaf­fee­ko­chen und dem Er­stel­len von Deck­blättern be­auf­tragt ge­we­sen. Zu­dem ha­be der Geschäftsführer O. sys­te­ma­tisch nach von ihr und der Zeu­gin F. ver­ur­sach­ten Schreib­feh­lern ge­sucht.

Die Kläge­rin trägt wei­ter vor, dass der Geschäftsführer O. der Be­klag­ten in dem Gespräch am 11.03.2009 be­haup­tet ha­be, die Kun­den der Be­klag­ten würden sich auf Grund des rus­si­schen Ak­zen­tes er­schre­cken. Die Be­klag­te könne es sich nicht leis­ten, Mit­ar­bei­ter mit Ak­zent zu beschäfti­gen. Die Kun­den würden den­ken: „Was für ein Scheiß-La­den, in wel­chem nur Ausländer beschäftigt wer­den.“

Im Nach­gang zu die­sem Gespräch ha­be die Kläge­rin das Te­le­fon nicht mehr be­die­nen dürfen.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin € 5.400,00 nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.05.2009 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat vor­ge­tra­gen:

Sie ha­be die Kläge­rin nicht dis­kri­mi­niert.

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Deck­blätter hätten auch von den an­de­ren Mit­ar­bei­tern er­stellt wer­den müssen, da der neue Geschäftsführer nach Auf­nah­me sei­ner Tätig­keit fest­ge­stellt ha­be, dass es zum Teil zu feh­ler­haf­ten Do­ku­men­ta­tio­nen ge­kom­men sei. Es sei auch nicht zu­tref­fend, dass sys­te­ma­tisch nach Feh­lern ge­sucht wor­den wäre. Le­dig­lich zufällig ge­fun­de­ne Schreib­feh­ler sei­en mo­niert wor­den.

Ihr Ge­sell­schaf­ter P. ha­be den Geschäftsführer O. darüber in­for­miert, dass er in ei­nem Te­le­fo­nat den Ein­druck ge­won­nen ha­be, dass die Kläge­rin und die Zeu­gin F. ihn nicht ver­stan­den hätten. Al­lein nach even­tu­el­len Verständi­gungs­schwie­rig­kei­ten ha­be sich der Geschäftsführer O. dar­auf­hin am 11.03.2009 er­kun­digt. Um den Ak­zent sei es nicht ge­gan­gen. Die Kündi­gun­gen sei­en al­lein be­triebs­be­dingt we­gen der schlech­ten Auf­trags­la­ge aus­ge­spro­chen wor­den. Zwar sei zu­tref­fend, dass Neu­ein­stel­lun­gen ge­plant ge­we­sen sei­en. Dies sei aber nur für ei­ne Stel­le im Ver­trieb der Fall ge­we­sen, wel­che im Übri­gen dann tatsächlich nicht be­setzt wor­den sei.

Das Ar­beits­ge­richt hat Be­weis er­ho­ben durch un­eid­li­che Ver­neh­mung der Zeu­gen F. und A. so­wie durch Anhörung der Kläge­rin und des Geschäftsführers der Be­klag­ten O. auf­grund der Be­schlüsse vom 25.11.2009. We­gen des Er­geb­nis­ses der Be­weis­auf­nah­me wird auf die Sit­zungs­nie­der­schrift vom 25.11.2009 (Bl. 50 bis 54 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Das Ar­beits­ge­richt Bre­men-Bre­mer­ha­ven hat am 25.11.2009 fol­gen­des Ur­teil verkündet:

1. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin € 5.400,00 nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 01.05.2009 zu zah­len.

2. Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

3. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf € 5.400,00 fest­ge­setzt.

We­gen der Ein­zel­hei­ten der Be­gründung durch das Ar­beits­ge­richt wird auf Bl. 60 bis 65 d. A. Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen die­ses ihr am 03.02.2010 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Be­klag­te am 19.02.2010 Be­ru­fung beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt und die­se so­gleich be­gründet.

Die Be­klag­te wie­der­holt ihr erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen und trägt fer­ner vor:

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Die Kläge­rin ha­be in der münd­li­chen Ver­hand­lung am 25.11.2009 erklärt, dass Scha­dens­er­satz­ansprüche aus § 15 Abs. 1 AGG gel­tend ge­macht würden. Des­halb hätte die Kläge­rin den Scha­den be­zif­fern müssen, was sie nicht ge­tan ha­be.


Es feh­le am er­for­der­li­chen Ver­schul­den für ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch.

Der Geschäftsführer O. sei im Kündi­gungs­zeit­punkt nicht kündi­gungs­be­rech­tigt ge­we­sen; des­halb könne die Kündi­gung nicht auf sei­ne Auf­fas­sun­gen be­ru­hen. Et­wai­ge dis­kri­mi­nie­ren­de Aus­sa­gen sei­ner­seits ständen nicht kau­sal mit der Kündi­gung im Zu­sam­men­hang. Der Geschäftsführer K. ha­be am 03.04.2009 be­schlos­sen, das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin so­wie von Frau F. we­gen der schwie­ri­gen Auf­trags­la­ge während der Pro­be­zeit zu be­en­den und ha­be die­sen Ent­schluss am 07.04.2009 um­ge­setzt. Es feh­le der haf­tungs­be­gründen­de ob­jek­ti­ve Zu­rech­nungs­zu­sam­men­hang. Ei­ne Entschädi­gung in Höhe von drei Mo­nats­ent­gel­ten sei nicht an­ge­mes­sen, al­len­falls ein Mo­nats­ge­halt.

Die Be­klag­te be­an­tragt:

Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Bre­men-Bre­mer­ha­ven vom 25.11.2009 - 8 Ca 8322/09 -, zu­ge­stellt am 03.02.2010, wird auf­ge­ho­ben;

die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen. Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Bre­men-Bre­mer­ha­ven vom 25.11.2009 Geschäfts­num­mer 8 Ca 8322/09 zurück­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil und trägt fer­ner vor:

Das Wort Scha­dens­er­satz um­fas­se den Entschädi­gungs- und auch den Scha­dens­er­satz­an­spruch. Sie ha­be Ge­nug­tu­ung, d.h. Entschädi­gung ver­langt.

Der Geschäftsführer O. ha­be sich von dem Geschäftsführer K. von An­fang an ge­dul­det als Geschäftsführer ge­riert. Der Geschäftsführer O. sei des­halb nach Außen hin kündi­gungs­be­rech­tigt.

Ei­ne Entschädi­gung in Höhe von drei Mo­nats­ver­diens­ten sei an­ge­mes­sen.

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We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten wird auf den Ak­ten­in­halt, ins­be­son­de­re die ge­wech­sel­ten Schriftsätze der Par­tei­en nebst An­la­gen, die Sit­zungs­nie­der­schrif­ten und die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung Be­zug ge­nom­men.


E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :

Die an sich statt­haf­te, form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­te und da­mit ins­ge­samt zulässi­ge Be­ru­fung ist un­be­gründet.

Die Kläge­rin kann von der Be­klag­ten Entschädi­gung in Höhe von € 5.400,00 nebst Zin­sen ver­lan­gen.

Zur Be­gründung ver­weist das Be­ru­fungs­ge­richt zunächst auf die zu­tref­fen­den Ent­schei­dungs­gründe in dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil, de­nen es folgt (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Mit Rück­sicht auf das Vor­brin­gen in der Be­ru­fungs­in­stanz ist noch Fol­gen­des aus­zuführen:

1. Das Ar­beits­ge­richt hat nicht ge­gen das Ver­bot an­tragsüber­schrei­ten­der Ver­ur­tei­lung bzw. das Ge­bot der Bin­dung an die Par­tei­anträge (§ 308 Abs. 1 ZPO) ver­s­toßen.

Die An­trags­bin­dung des er­ken­nen­den Ge­richts nach § 308 Abs. 1 ZPO ist in Re­la­ti­on zum durch den Par­tei­an­trag be­stimm­ten Streit- und Ent­schei­dungs­ge­gen­stand zu be­stim­men. Das Ge­richt darf nicht mehr und nichts an­de­res zu­spre­chen als be­gehrt (vgl. BAG, Urt. v. 22.10.2009 - 8 AZR 865/08 - DB 2010, 452). Der Streit­ge­gen­stand er­gibt sich aus dem An­trag und der Be­gründung. Be­reits aus der Klag­schrift er­gibt sich, dass vor­lie­gend ei­ne Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG gel­tend ge­macht wer­den soll­te. Gerügt wur­de ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen eth­ni­scher Her­kunft. Ausführun­gen zu ei­nem Scha­den im Sin­ne des § 15 Abs. 1 AGG wur­den nicht ge­macht, son­dern es wur­de ein drei­fa­ches mo­nat­li­ches Brut­to­ge­halt der Kläge­rin ver­langt, wo­mit sich die Kläge­rin er­kenn­bar an § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG ori­en­tier­te. Selbst wenn der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Ar­beits­ge­richt erklärt ha­ben soll­te, dass ein An­spruch nach § 15 Abs. 1 AGG gel­tend ge­macht würde, würde hier­in er­sicht­lich nur ei­ne Falsch­be­zeich­nung bzw. ei­ne fal­sche Rechts­auf­fas­sung lie­gen. Darüber hin­aus ver­tei­digt die Kläge­rin das erst­in­stanz­li­che Ur­teil und hat sich da­mit die Be­gründung des Ar­beits­ge­richts zu dem aus-ge­ur­teil­ten Be­trag zu Ei­gen ge­macht.

Ei­ne Klagände­rung im Sin­ne des § 263 ZPO wäre oh­ne­hin nicht an­zu­neh­men. Denn so­wohl der in § 15 Abs. 1 AGG ge­re­gel­te Scha­dens­er­satz­an­spruch als auch die Ent-


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schädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG stel­len im Kern Scha­dens­er­satz­ansprüche dar (vgl. Däubler/Bertz­bach, AGG, 2. Aufl., Rdn. 47 f zu § 15 AGG). § 15 Abs. 1 AGG re­gelt den durch ei­nen Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot ent­stan­de­nen Scha­den. § 15 Abs. 2 AGG re­gelt ei­ne Entschädi­gung für ei­nen Scha­den, der nicht Vermögens­scha­den ist. Letz­te­res ist in­halt­lich auch ein Scha­dens­er­satz­an­spruch, so­dass das Ver­lan­gen ei­ner Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG kein Ali­ud ge­genüber ei­nem auf § 15 AGG gestütz­ten An­spruch ist.

2. Die Kläge­rin kann Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe ih­res drei­fa­chen Mo­nats­ver­diens­tes, al­so in Höhe von € 5.400,00 ver­lan­gen.

a) Die Kläge­rin hat so­wohl die Gel­tend­ma­chungs­frist gemäß § 15 Abs. 4 AGG als auch die Klag­frist nach § 61 b Abs. 1 ArbGG ein­ge­hal­ten.

Gemäß § 15 Abs. 4 AGG muss der Entschädi­gungs­an­spruch in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den, es sei denn, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben et­was an­de­res ver­ein­bart. Die Frist be­ginnt im Fal­le ei­ner Be­wer­bung oder ei­nes be­ruf­li­chen Auf­stiegs mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung oder in den sons­ti­gen Fällen ei­ner Be­nach­tei­li­gung zu dem Zeit­punkt, in dem der oder die Beschäftig­te von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt. Die Kläge­rin hat durch den Zu­gang der Kündi­gung vom 07.04.2009 Kennt­nis von der Be­nach­tei­li­gung er­langt. Be­reits mit Schrei­ben vom 15.04.2009 hat sich die Kläge­rin an die Be­klag­te ge­wandt und den mit der Kla­ge wei­ter ver­folg­ten Be­trag in Höhe von € 5.400,00 be­gehrt. Da­bei hat sie sich auf ei­nen Ver­s­toß ge­gen das AGG gestützt. Wie be­reits un­ter Ziff. 1 der Ent­schei­dungs­gründe aus­geführt, ist es un­er­heb­lich, dass in dem Schrei­ben des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin vom 15.04.2009 die Re­de von ei­nem Scha­dens­er­satz­an­spruch ist. Dies steht nicht der Recht­zei­tig­keit der Gel­tend­ma­chung des Entschädi­gungs­an­spruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ent­ge­gen.

Nach § 61 b Abs. 1 ArbGG muss ei­ne Kla­ge auf Entschädi­gung nach § 15 AGG in­ner­halb von drei Mo­na­ten, nach­dem der An­spruch schrift­lich gel­tend ge­macht wor­den ist, er­ho­ben wer­den. Im vor­lie­gen­den Fall hat die Kläge­rin mit ih­rer der Be­klag­ten am 28.05.2009 zu­ge­stell­ten Kla­ge den An­spruch wei­ter­ver­folgt. Da­durch hat sie er­sicht­lich die Klag­frist für den An­spruch ein­ge­hal­ten.
 


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b) Die Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen des § 15 Abs. 2 AGG sind im vor­lie­gen­den Fall ge­ge­ben.

aa) Der sach­li­che An­wen­dungs­be­reich des Entschädi­gungs­an­spruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ist eröff­net. § 2 Abs. 4 AGG steht dem Entschädi­gungs­an­spruch der Kläge­rin nicht ent­ge­gen.

Gemäß § 2 Abs. 4 AGG gel­ten für Kündi­gun­gen aus­sch­ließlich die Be­stim­mun­gen zum all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz. Vor­lie­gend stützt die Kläge­rin den Entschädi­gungs­an­spruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG auf die we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft sie be­nach­tei­li­gen­de Maßnah­me der Kündi­gung vom 07.04.2009. Des­halb stellt sich vor­lie­gend die Gel­tungs­be­reichs­fra­ge.

Es ist um­strit­ten, wel­che Be­deu­tung § 2 Abs. 4 AGG im Ein­zel­nen zu­kommt (vgl. z.B. Däubler/Bertz­bach/Däubler, a.a.O., Rdn. 256 ff. zu § 2 AGG; ErfK/Schlach­ter, 9. Aufl., Rdn. 16 f zu § 2 AGG; Thüsing, Ar­beits­recht­li­cher Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz, Rdn. 103 ff.). Ob die Aus­sch­ließlich­keits­an­ord­nung des § 2 Abs. 4 AGG un­abhängig von der Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge und un­ge­ach­tet der Un­wirk­sam­keit ei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den Kündi­gung darüber hin­aus auch den Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht „sperrt“ (so Wen­de­ling Schröder/St­ein, AGG, Rdn. 50 zu § 2 AGG; Mei­nel/Heyn/Herms, Rdn. 66 zu § 2 AGG, Rdn. 55 zu § 15 AGG; Ja­cobs, RdA 2009, 193; an­de­rer An­sicht z.B. Bau­er/Göpfert/Krie­ger, Rdn. 59 zu § 2 AGG), hat das BAG bis­her nicht ab­sch­ließend ent­schie­den (BAG, Urt. v. 22.10.2009 - 8 AZR 642/08; BAG, Urt. v. 06.11.2008 - 2 AZR 523/07 - AP Nr. 182 zu § 1 KSchG 1969 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln hat in ei­ner Be­schwer­de­ent­schei­dung zu ei­nem die Pro­zess­kos­ten­hil­fe ver­sa­gen­den Be­schluss aus­geführt, dass das Sys­tem des deut­schen Ar­beits­rechts bei der Über­prüfung der Wirk­sam­keit von Kündi­gun­gen im An­wen­dungs­be­reich des KSchG dem Be­stands­schutz­ge­dan­ken ab­so­lu­ten Vor­rang einräume und des­halb kein be­lie­bi­ges Wahl­recht des Ar­beit­neh­mers zwi­schen der Gel­tend­ma­chung des Be­stands­schut­zes und der Gel­tend­ma­chung fi­nan­zi­el­ler Entschädi­gungs­leis­tun­gen in Form von Ab­fin­dun­gen oder Scha­dens­er­satz eröff­ne. Dies wer­de durch § 2 Abs. 4 AGG bestätigt (vgl. LAG Köln, Be­schl. v. 01.09.2009 - 7 Ta 184/09 - LA­GE Nr. 10 zu § 15 AGG).


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Dem­ge­genüber hat das BAG in dem be­reits zi­tier­ten Ur­teil vom 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - zu Recht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ei­ne An­wen­dung des § 15 Abs. 2 AGG auch bei dis­kri­mi­nie­ren­den Kündi­gun­gen nicht sys­tem­wid­rig er­schei­ne, da auch bis­her et­wa auf § 823 Abs. 1 BGB gestütz­te Entschädi­gun­gen für er­lit­te­ne im­ma­te­ri­el­le Schäden bei der Gel­tend­ma­chung ei­ner Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung im Zu­sam­men­hang mit dem Aus­spruch ei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung nicht aus­ge­schlos­sen ge­we­sen sei­en (vgl. BAG v. 24.04.2008 - 8 AZR 347/07 - AP Nr. 42 zu § 611 BGB Haf­tung des Ar­beit­ge­bers). Bei der Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG geht es um die Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts des Ar­beit­neh­mers (vgl. LAG Düssel­dorf, Urt. v. 12.11.2008 - 12 Sa 1102/08 - LA­GE Nr. 6 a zu § 15 AGG).

Das BAG hat auch sonst § 2 Abs. 4 AGG nicht in der Wei­se aus­ge­legt, dass Rechts­fra­gen im Zu­sam­men­hang mit Kündi­gun­gen aus­sch­ließlich nach den ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen über Kündi­gun­gen zu be­ur­tei­len sind, son­dern ist da­von aus­ge­gan­gen, dass die ma­te­ri­el­len Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te in ih­rer nähe­ren ge­setz­li­chen Aus­ge­stal­tung durch die §§ 1 bis 10 AGG bei der Aus­le­gung der un­be­stimm­ten Rechts­be­grif­fe des KSchG in der Wei­se zu be­ach­ten sind, dass sie Kon­kre­ti­sie­run­gen des Be­griffs der So­zi­al­wid­rig­keit dar­stel­len (vgl. BAG, Urt. v. 06.11.2008 - 2 AZR 523/07 - AP Nr. 182 zu § 1 KSchG 1969 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung).

Die Be­ru­fungs­kam­mer ver­tritt des­halb die Auf­fas­sung, dass die Aus­le­gung des § 2 Abs. 4 AGG da­zu führt, dass im Fal­le ei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den Kündi­gung ei­ne Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ver­langt wer­den kann, und zwar auch oh­ne Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Der Wort­laut des § 2 Abs. 4 AGG spricht nur da­von, dass für Kündi­gun­gen aus-schließlich die Be­stim­mun­gen zum all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz gel­ten. Be­reits der Wort­laut kann nur so ver­stan­den wer­den, dass da­mit die Über­prüfung der Wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung ge­meint ist, nicht aber auf der Ver­let­zung von Persönlich­keits­rech­ten ba­sie­ren­de Entschädi­gungs­ansprüche. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG ord­net die Un­zulässig­keit von Be­nach­tei­li­gun­gen aus den in § 1 AGG ge­nann­ten Gründen an, und zwar aus­drück­lich be­zo­gen auf „Ent­las­sungs­be­din­gun­gen“ und für Ver­ein­ba­run­gen und Maßnah­men „bei ... Be­en­di­gung ei­nes Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses“. Der Be­griff der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen um­fasst ne­ben an­de­ren Be­en­di­gungs­tat­beständen nach der Rechtsp­re-

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chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs auch und ge­ra­de Kündi­gun­gen (vgl. EuGH 11.07.2006 - C-13/05-Cha­con Na­vas - Eu­GHE I 2006, 6467). Zu Recht weist das BAG dar­auf hin, dass - wenn § 2 Abs. 4 AGG im Sin­ne ei­nes gänz­li­chen An­wen­dungs­aus­schlus­ses zu ver­ste­hen wäre - da­mit vor­aus­ge­setzt würde, dass das Ge­setz in ein und der­sel­ben Vor­schrift (§ 2 AGG) zwei dia­me­tral ge­gensätz­li­che An­wen­dungs­be­feh­le er­tei­len würde. Es würde den Aus­le­gungs­grundsätzen wi­der­spre­chen, ein Ge­setz oh­ne Not in ei­nem Sin­ne zu ver­ste­hen, der dem Ver­bot des Selbst­wi­der­spruchs zu­wi­der lie­fe. Da da­von aus­zu­ge­hen ist, dass der Ge­setz­ge­ber we­der sinn­lo­se noch un­an­wend­ba­re Ge­set­zes­nor­men auf­stel­len will, ist zur Ver­mei­dung von Norm­wi­dersprüchen - wenn möglich - ei­ne Aus­le­gung zu wählen, bei der die Norm Be­stand ha­ben kann und bei der Wi­dersprüche ver­mie­den wer­den (vgl. BAG, Urt. v. 06.11.2008 - 2 AZR 523/07 - AP Nr. 182 zu § 1 KSchG 1969 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung). Des­halb spricht auch die Be­trach­tung des Zu­sam­men­hangs dafür, dass durch § 2 Abs. 4 AGG nicht Entschädi­gungs­ansprüche gemäß § 15 Abs. 2 AGG ver­hin­dert wer­den sol­len.


Die­ses Verständ­nis der Norm er­gibt sich aus der Ge­set­zes­ge­schich­te. Das AGG dient der Um­set­zung der Richt­li­ni­en 2000/43/EG des Ra­tes, 2000/78/EG des Ra­tes, 2002/73/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes und 2004/113/EG des Ra­tes. In Art. 3 Abs. 1c der Richt­li­ni­en 2000/43 EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG heißt es übe­rein­stim­mend zum Gel­tungs­be­reich der Richt­li­ni­en, er be­zie­he sich auch auf Ent­las­sungs­be­din­gun­gen. Die­se Um­set­zungs­ab­sicht wird durch § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG un­ter­mau­ert. Wenn ein Ge­setz u.a. des­halb ein­geführt wird, weil dis­kri­mi­nie­ren­de Kündi­gun­gen bekämpft wer­den sol­len, leuch­tet es we­nig ein, ei­ne zen­tra­le Vor­schrift die­ses Ge­set­zes in dem Sin­ne aus­zu­le­gen, sie ver­bie­te die An­wen­dung der Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te und der in wei­te­ren Re-ge­lun­gen des Ge­set­zes ge­re­gel­ten Fol­gen von Verstößen ge­gen die­se Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te auf Kündi­gun­gen. Auch aus den Be­gründun­gen zu den ver­schie­de­nen Ge­setz­entwürfen (vgl. ins­be­son­de­re BT-Druck­sa­che 16/1780 S. 32 und 16/2022, S. 12) lässt sich ei­ne sol­che Ab­sicht nicht er­ken­nen. Zweck des § 2 Abs. 4 AGG bzw. der ihm vor­aus­ge­gan­ge­nen Ent­wurfs­fas­sun­gen war viel­mehr si­cher­zu­stel­len, dass durch das AGG nicht ne­ben das bis­he­ri­ge ein „zwei­tes Kündi­gungs­recht“ ge­stellt wer­den soll­te. Die Befürch­tun­gen gin­gen da­hin, es könn­te ne­ben das KSchG ein durch § 134 BGB i.V.m. den Vor­schrif­ten des AGG ver­mit­tel­ter wei­te­rer Be­stands­schutz tre­ten (vgl. hier­zu auch BAG, Urt. v.
 


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06.11.2008 - 2 AZR 523/07 - AP Nr. 182 zu § 1 KSchG 1969 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung).

Der Zweck der Re­ge­lung des § 2 Abs. 4 AGG bestätigt das Aus­le­gungs­er­geb­nis. Die Vor­schrift soll - so auch §§ 2 Abs. 2 und 3 AGG - der „Ver­zah­nung“ mit an­de­ren Rechts­ge­bie­ten die­nen, al­so ei­ne Wi­dersprüchlich­keit zu an­de­ren mit dem AGG auf der glei­chen ge­set­zes­hier­ar­chi­schen Ebe­ne ste­hen­den Re­ge­lun­gen ver­mei­den (vgl. BAG, Urt. v. 06.11.2008 - 2 AZR 523/07 - AP Nr. 182 zu § 1 KSchG 1969 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung m.w.N.). Von die­sem Zweck wäre nicht ge­deckt, Entschädi­gungs­kla­gen gemäß § 15 AGG im Fal­le von Kündi­gung nicht zu­zu­las­sen. Da es dort um die Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts geht und - wor­auf das BAG be­reits zu­tref­fend hin­ge­wie­sen hat - be­reits früher nach na­tio­na­lem Recht ent­spre­chen­de Entschädi­gungs­kla­gen möglich ge­we­sen wären, kann aus dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG, ei­ne Ver­zah­nung zu an­de­ren Rechts­ge­bie­ten her­zu­stel­len, nicht ab­ge­lei­tet wer­den, dass durch die Re­ge­lung ei­ne Entschädi­gungs­kla­ge nach § 15 AGG ver­hin­dert wer­den soll­te. Durch die­se Aus­le­gung wird auch den eu­ropäischen An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­richt­li­ni­en Rech­nung ge­tra­gen, die ei­nen weit­ge­hen­den Schutz bei dis­kri­mi­nie­ren­den Kündi­gun­gen er­zie­len soll­ten, so dass es ei­ner Vor­la­ge an den EuGH zur Vor­ab­ent­schei­dung (Art. 234 EG) nicht be­darf.

Da da­nach im Fal­le der dis­kri­mi­nie­ren­den Kündi­gung Kündi­gungs­schutz und Entschädi­gung we­gen des im­ma­te­ri­el­len Scha­dens (Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts) im Sin­ne des § 15 Abs. 2 AGG ne­ben­ein­an­der ste­hen, war die Kläge­rin auch nicht ge­zwun­gen, zunächst Kündi­gungs­schutz­kla­ge zu er­he­ben.

bb) § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG gibt der Kläge­rin we­gen ei­nes Scha­dens, der nicht Vermögens­scha­den ist, ei­nen An­spruch auf ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld.

Tat­be­stands­vor­aus­set­zung für ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG ist ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG. Dies stellt zwar § 15 Abs. 2 AGG nicht aus­drück­lich klar, es er-gibt sich aber aus dem Ge­samt­zu­sam­men­hang der Be­stim­mun­gen in § 15 AGG (vgl. BAG, Urt. v. 22.01.2009 - 8 AZR 906/07 - m.w.N.). Da für ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG die we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des er­folgt sein muss, ist ein Kau­sal­zu­sam-

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men­hang er­for­der­lich. Die­ser ist dann ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an ei­nen in § 1 AGG ge­nann­ten oder meh­re­re der in § 1 AGG ge­nann­ten Gründe an­knüpft und da­durch mo­ti­viert ist. Aus­rei­chend ist fer­ner, dass ein in § 1 AGG ge­nann­ter Grund Be­stand­teil ei­nes Mo­tivbündels ist, das die Ent­schei­dung be­ein­flusst hat. Nach der ge­setz­li­chen Be­weis­re­ge­lung gemäß § 22 AGG genügt es, dass der An­spruch­stel­ler im Streit­fal­le In­di­zi­en be­weist, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen. Aus­rei­chend ist in­so­weit die Über­zeu­gung von ei­ner über­wie­gen­den Wahr­schein­lich­keit, dass die be­nach­tei­li­gen­den Maßnah­men auf ei­ner ge­setz­wid­ri­gen Mo­ti­va­ti­on be­ruh­ten oder mit ei­nem nach § 1 AGG pöna­li­sier­ten Merk­mal ver­knüpft wa­ren (vgl. BAG, Urt. v. 22.01.2009 - 8 AZR 906/07; BAG, Urt. v. 22.10.2009 - 8 AZR 642/08 - NZA 2010, 280). Ist dies ge­sche­hen, trägt die an­de­re Par­tei die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gun­gen vor­ge­le­gen hat (vgl. LAG Nie­der­sach­sen, Urt. v. 12.03.2010 - 10 Sa 583/09).

cc) Die Kläge­rin be­ruft sich für den von ihr gel­tend ge­mach­ten Entschädi­gungs­an­spruch dar­auf, dass die von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung vom 07.04.2009 auf ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen der eth­ni­schen Her­kunft der Kläge­rin be­ruht.

Wie vor­ste­hend aus­geführt, fal­len Kündi­gun­gen un­ter den An­wen­dungs­be­reich des AGG gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Be­nach­tei­li­gun­gen aus Gründen der eth­ni­schen Her­kunft wer­den in § 1 AGG ge­nannt. Zwar hat BAG ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung im Sin­ne des § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 AGG bei feh­len­der Be­herr­schung der deut­schen Schrift­spra­che ver­neint, weil ei­ne der­ar­ti­ge An­for­de­rung nicht an ei­nes der in § 1 AGG ge­nann­ten Merk­ma­le an­knüpfe. Die deut­sche Schrift­spra­che könne un­abhängig von der Zu­gehörig­keit zu ei­ner Eth­nie be­herrscht wer­den (vgl. BAG, Urt. v. 28.01.2010 - 2 AZR 764/08 - DB 2010, 1071; eben­so ArbG Ber­lin, Urt. v. 26.09.2007 - 14 Ca 1356/07 - LA­GE Nr. 1 zu § 15 AGG; an­de­rer An­sicht ArbG Ber­lin, Urt. v. 11.02.2009 - 55 Ca 16952/08 - NZA-RR 2010, 16).

Im vor­lie­gen­den Fall hat aber das Ar­beits­ge­richt auf­grund der durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me zu Recht an­ge­nom­men, dass die Kündi­gung des­halb er­folgt ist, weil die Kläge­rin mit rus­si­schem Ak­zent spricht und die Be­klag­te dies für ih­ren Geschäfts­be­trieb für un­vor­teil­haft hielt. Die Zeu­gin F. hat aus­ge­sagt, dass der Geschäftsführer O. ge­sagt ha­be, was die Kun­den den­ken soll­ten,


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was das für ein Scheißla­den sei, wenn hier nur die Ausländer an­ge­stellt sei­en. Sie hat fer­ner be­kun­det, dass der Geschäftsführer O. ge­sagt ha­be, dass man es sich nicht leis­ten könne, Ar­beit­neh­mer mit Ak­zent zu beschäfti­gen. Da­mit wur­de nicht nur auf man­gel­haf­te Deutsch­kennt­nis­se ab­ge­ho­ben, son­dern die feh­len­den Deutsch­kennt­nis­se wur­den in Zu­sam­men­hang mit der Her­kunft der Kläge­rin aus dem rus­si­schen Sprach­raum ge­bracht. Dies stellt ei­ne An­knüpfung an die eth­ni­sche Her­kunft der Kläge­rin dar. Zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt die Be­kun­dun­gen der Zeu­gin F. für glaub­haft ge­hal­ten und die Zeu­gin auch für glaubwürdig. Die Zeu­gin F. hat den Sach­ver­halt de­tail­liert ge­schil­dert. Aus­weis­lich der Be­weiswürdi­gung durch das Ar­beits­ge­richt hat die Zeu­gin ih­re Be­kun­dun­gen sach­lich ge­trof­fen.

Eben­falls zu Recht hat das Ar­beits­ge­richt der Ver­neh­mung des Zeu­gen A. kei­nen Glau­ben ge­schenkt. Über den Gesprächs­in­halt hat der Zeu­ge A. nur we­nig ge­sagt und konn­te sich mehr­fach nicht ge­nau er­in­nern. Da­ge­gen konn­te er sich ge­nau dar­an er­in­nern, dass der Satz „Was sol­len die Kun­den den­ken, was das für ein Scheißla­den ist, wenn hier nur Ausländer beschäftigt würden“, nicht ge­fal­len ist. Die­se Dis­kre­panz ist nicht erklärlich. Darüber hin­aus hat das Ar­beits­ge­richt zu Recht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Be­kun­dun­gen des Zeu­gen, wes­halb das Gespräch mit der Kläge­rin und der Zeu­gin F. statt­fin­den soll­te, nicht zu den Ausführun­gen des Geschäftsführers der Be­klag­ten in der persönli­chen Anhörung pas­sen. Zu­tref­fend hat auch das Ar­beits­ge­richt her­aus­ge­ar­bei­tet, dass die Glaubwürdig­keit des Zeu­gen A. durch Ver­le­gen­heits­ges­ten be­ein­träch­tigt ist.

Das glei­che Bild zei­gen die Anhörun­gen der Par­tei­en. Die Kläge­rin hat sehr de­tail­reich das Gespräch ge­schil­dert, während der Geschäftsführer der Be­klag­ten O. nur we­ni­ge Sätze über den Gesprächs­ab­lauf ge­macht hat. Des­halb hat das Ar­beits­ge­richt zu Recht die Be­weis­auf­nah­me da­hin­ge­hend gewürdigt, dass da­durch das Vor­brin­gen der Kläge­rin zu den in­kri­mi­nier­ten Äußerun­gen des Geschäftsführers O. bestätigt wor­den ist. Die­se Be­weiswürdi­gung hat die Be­klag­te zweit­in­stanz­lich auch nicht an­ge­grif­fen. Da­her ist kei­ne er­neu­te Zeu­gen­ver­neh­mung er­for­der­lich (vgl. BAG, Urt. v. 19.11.1992 - 10 AZR 330/91; BAG, Urt. v. 20.12.1990 - 2 AZR 379/90; LAG Köln, Urt. v. 01.12.2000 - 11 Sa 1147/00 - NZA 2001, 1216).
 


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dd) Zwar hat sich die Be­klag­te dar­auf be­ru­fen, dass der Geschäftsführer O. zu dem Zeit­punkt des Gesprächs am 11.03.2009 und der Kündi­gung vom 07.04.2009 noch nicht als Geschäftsführer im Han­dels­re­gis­ter ein­ge­tra­gen ge­we­sen sei und nicht kündi­gungs­be­rech­tigt ge­we­sen sei. Aber die Be­klag­te ist nicht sub­stan­ti­iert dem Vor­brin­gen der Kläge­rin ent­ge­gen ge­tre­ten, dass Herr O. den Mit­ar­bei­tern schon am 23.01.2009 als Geschäftsführer vor­ge­stellt wor­den ist und be­reits ab En­de Fe­bru­ar 2009 im Be­trie­be tätig ge­wor­den ist. Herr O. ist da­her ab die­sen Zeit­punkt als Geschäftsführer mit Zu­stim­mung oder Dul­dung der Be­klag­ten tätig ge­wor­den. Des­halb kommt es nicht dar­auf an, dass der förm­li­che Ge­sell­schaf­ter­be­schluss erst am 06.04.2009 und die Ein­tra­gung in das Han­dels­re­gis­ter erst am 12.05.2009 er­folg­te. Be­dient sich der Ar­beit­ge­ber im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Maßnah­me ei­nes an­de­ren, so trifft ihn nach der Recht­spre­chung des BAG die Ver­ant­wort­lich­keit für des­sen Ver­hal­ten bei et­wai­gen Be­nach­tei­li­gun­gen (vgl. BAG, Urt. v. 17.12.2009 - 8 AZR 670/08).

ee) Der er­for­der­li­che Kau­sal­zu­sam­men­hang ist auch zwi­schen der Be­nach­tei­li­gung und dem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund ge­ge­ben.

Die Kläge­rin hat genügend In­di­zi­en dafür vor­ge­tra­gen und be­wie­sen, dass die ihr ge­genüber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung we­gen ih­rer Her­kunft aus dem rus­si­schen Sprach­raum er­folgt ist. Die Be­klag­te hat dies nicht hin­rei­chend wi­der­legt. Nach der ge­setz­li­chen Be­weis­last­re­ge­lung gemäß § 22 AGG genügt es, dass der An­spruch­stel­ler In­di­zi­en vorträgt und im Streit­fal­le be­weist, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ver­mu­ten las­sen. An die­se Ver­mu­tungs­vor­aus­set­zun­gen ist kein zu stren­ger Maßstab an­zu­le­gen. Es ist nicht er­for­der­lich, dass die Tat­sa­chen ei­nen zwin­gen­den In­di­zi­en­schluss für ei­ne Ver­knüpfung der Be­nach­tei­li­gung mit ei­nem Be­nach­tei­li­gungs­merk­mal zu­las­sen. Viel­mehr reicht es aus, wenn nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung hierfür ei­ne über­wie­gen­de Wahr­schein­lich­keit be­steht. So­dann trägt die an­de­re Par­tei die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gung vor­ge­le­gen hat (vgl. BAG, Urt. v. 17.12.2009 - 8 AZR 670/08; LAG Nie­der­sach­sen, Urt. v. 12.03.2010 - 10 Sa 583/09). Auch wenn es sich bei der von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung um ei­ne Pro­be­zeitkündi­gung han­del­te, für de­ren Zulässig­keit le­dig­lich ein ir­gend­wie ein­leuch­ten­der Grund be­ste­hen muss (vgl. BAG, Urt. v. 22.04.2010 - 6 AZR 828/08), so kann die aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung nicht auf dem be­haup­te­ten Auf­trags­man­gel be­ruht ha­ben. Die­se Be­haup­tung der Be­klag­ten ist durch die Stel­len­aus­schrei­bung
 


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bei der Bun­des­agen­tur für Ar­beit für ei­nen Spe­di­ti­ons­kauf­mann für den Ver­trieb mit ei­nem in Aus­sicht ge­nom­me­nen Ein­tritts­ter­min zum 01.05.2009 wi­der­legt. Auch wenn man dem Vor­brin­gen der Be­klag­ten fol­gen würde, dass durch die­se be­ab­sich­tig­te Neu­ein­stel­lung neue Auf­träge ein­ge­wor­ben wer­den soll­ten und die Kläge­rin we­der die an­ge­spro­che­nen Kennt­nis­se in der Lo­gis­tik noch Ver­triebs­er­fah­rung be­saß, so zeigt die­se Aus­schrei­bung, dass die Be­klag­te sich wei­te­re Auf­träge er­war­te­te, für de­ren Ab­ar­bei­tung die Kläge­rin dann in Be­tracht ge­kom­men wäre. Darüber hin­aus spricht ge­gen die vor­ge­tra­ge­ne Be­gründung für die Kündi­gung, dass die­se we­gen Auf­trags­man­gels aus­ge­spro­chen wor­den sein soll, dass der Mit­ar­bei­ter Or. erst am 16.03.2009 neu ein­ge­stellt wor­den war und nicht gekündigt wor­den ist. Die­ser wur­de ge­nau­so wie die Kläge­rin als Sach­be­ar­bei­ter tätig. Da­mit kann die aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung nicht auf ei­nem Auf­trags­man­gel be­ruht ha­ben, son­dern die In­di­zi­en spre­chen dafür, dass die Be­klag­te sich von der Kläge­rin we­gen ih­res rus­si­schen Ak­zents, der nach ih­rer Auf­fas­sung nicht in ih­ren Be­trieb pass­te, tren­nen woll­te. Die­se In­di­zi­en sind von der Be­klag­ten nicht hin­rei­chend wi­der­legt wor­den.

Die rei­ne Be­haup­tung, der Geschäftsführer K. ha­be sich am 03.04.2009 ent­schlos­sen, das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin zu be­en­den und zu die­sem Zeit­punkt sei Herr O. noch nicht Geschäftsführer der Be­klag­ten ge­we­sen so­wie nicht kündi­gungs­be­rech­tigt, stellt kei­ne hin­rei­chen­de Wi­der­le­gung dar. Wie im Ein­zel­nen vor­ste­hend be­gründet, ist ein ir­gend­wie ein­leuch­ten­der Grund für die aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung nicht er­kenn­bar, so­dass die Be­klag­te nicht die Ver­mu­tung wi­der­legt hat, dass die aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung in Wahr­heit des-halb aus­ge­spro­chen wor­den ist, weil die Kläge­rin auf­grund ih­rer eth­ni­schen Her­kunft für den Be­trieb als nicht vor­teil­haft an­ge­se­hen wur­de. Der er­for­der­li­che Kau­sal­zu­sam­men­hang ist des­halb ge­ge­ben. Die durch die Be­weis­auf­nah­me bestätig­ten Äußerun­gen des Geschäftsführers O. sind der Be­klag­ten zu­zu­rech­nen, weil Herr O. von der Be­klag­ten un­be­strit­ten be­reits als Geschäftsführer der Be­klag­ten den Mit­ar­bei­tern vor­ge­stellt wor­den war und sei­ne Tätig­keit be­reits vor der Be­schluss­fas­sung durch die Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung und sei­ner Ein­tra­gung als Geschäftsführer im Han­dels­re­gis­ter aus­geübt hat. Die am 07.04.2009 aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung der Be­klag­ten er­folg­te auf ei­nem Brief­pa­pier, das be­reits Herrn O. als wei­te­ren Geschäftsführer aus­wies, auch wenn der an­de­re Geschäftsführer der Be­klag­ten, Herr K. , die Kündi­gung ge­genüber der Kläge­rin auf die­sem Brief­pa­pier aus­sprach. Die­ser Um­stand und
 


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das Feh­len des von der Be­klag­ten be­haup­te­ten Kündi­gungs­grun­des spricht dafür, dass die Kündi­gung von Herrn O. ver­an­lasst wur­de oder die von ihm geäußer­te Auf­fas­sung voll­zog.

Für den Entschädi­gungs­an­spruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG ist kein Ver­schul­den des Ar­beit­ge­bers nötig (vgl. BAG, Urt. v. 22.01.2009 - 8 AZR 906/07 - NZA 2009, 945). Des­halb ist es für den An­spruch der Kläge­rin oh­ne Be­lang, ob dem Geschäftsführer K. bei Aus­spruch der Kündi­gung be­kannt war, dass der späte­re Geschäftsführer O. ge­genüber der Kläge­rin die in­kri­mi­nier­ten Äußerun­gen getätigt hat­te oder ihm dies hätte be­kannt sein müssen.

c) Das Ar­beits­ge­richt hat auch zu Recht der Kläge­rin als Entschädi­gung gemäß § 15 Abs. 2 AGG ei­nen Be­trag in Höhe von drei Brut­to­mo­nats­ver­diens­ten der Kläge­rin zu­ge­spro­chen.

Gemäß § 15 Abs. 2 AGG muss die Entschädi­gung an­ge­mes­sen sein. Hier­bei sind al­le Umstände des Ein­zel­falls, d.h. die Art und Schwe­re der Be­nach­tei­li­gung, ih­re Dau­er und Fol­gen, der An­lass und der Be­weg­grund des Han­dels so­wie der Sank­ti­ons­zweck der Entschädi­gungs­norm zu berück­sich­ti­gen (vgl. BAG, Urt. v. 22.01.2009 - 8 AZR 906/07 - EzA Nr. 1 zu § 15 AGG; BAG, Urt. v. 17.12.2009 - 8 AZR 670/08). Im vor­lie­gen­den Fall hat die Be­klag­te ge­genüber der Kläge­rin ei­ne Kündi­gung aus­ge­spro­chen, ob­wohl die­se aus­weis­lich des Prak­ti­kums­zeug­nis­ses vom 16.01.2008 die ihr über­tra­ge­nen Auf­ga­ben zur vol­len Zu­frie­den­heit der Be­klag­ten er­le­digt hat­te. Des­halb muss­te ei­ne nur we­gen ih­rer eth­ni­schen Her­kunft die Kläge­rin be­nach­tei­li­gen­de Kündi­gung die­se um­so schwe­rer tref­fen. Hin­zu kommt, dass die Äußerun­gen des Geschäftsführers O. be­lei­di­gen­den Cha­rak­ter hat­ten. Nicht nur miss­bil­lig­te er den rus­si­schen Ak­zent der Kläge­rin, son­dern er be­zeich­ne­te ei­nen Be­trieb, in dem je­mand mit ei­nem der­ar­ti­gen Ak­zent beschäftigt würde, als „Scheißla­den“. Dies setz­te die Kläge­rin in be­son­de­rer Wei­se her­ab. Des­halb konn­te mit Rück­sicht auf den Sank­ti­ons­zweck der Entschädi­gungs­norm als Entschädi­gung nur ein Be­trag fest­ge­setzt wer­den, der ei­ne fühl­ba­re Re­ak­ti­on auf das die Kläge­rin schwer be­nach­tei­li­gen­de Ver­hal­ten dar­stell­te. Mit Rück­sicht dar­auf, dass gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG be­reits ei­ne Entschädi­gung bis zu drei Mo­nats­gehältern dann in Be­tracht kommt, wenn bei ei­ner Nicht­ein­stel­lung der oder die Beschäftig­te auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre, kommt ei­ne Ermäßigung der fest­zu­set­zen­den Entschädi­gung nicht we­gen der Dau­er der Kündi-
 


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gungs­frist in Be­tracht. Viel­mehr er­for­dert die Be­ein­träch­ti­gung des Persönlich­keits­rechts, dass ein fühl­ba­rer Entschädi­gungs­be­trag fest­ge­setzt wird. Mit Rück­sicht hier­auf ist die vom Ar­beits­ge­richt gewähl­te Fest­set­zung in Höhe von drei Mo­nats­ver­diens­ten der Kläge­rin = € 5.400,00 als an­ge­mes­sen ein­zu­ord­nen.


3. Der Zins­an­spruch er­gibt sich aus den §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB.

Nach al­lem war die Be­ru­fung in vol­lem Um­fang als un­be­gründet zurück­zu­wei­sen.

4. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 ZPO.

Ge­gen die­ses Ur­teil war die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen, weil ein Grund im Sin­ne des § 72 Abs. 2 ArbGG ge­ge­ben ist. Das BAG hat noch nicht ab­sch­ließend über das Verhält­nis des Entschädi­gungs­an­spruchs (§ 15 Abs. 2 AGG) zum Kündi­gungs­schutz­recht gemäß § 2 Abs. 4 AGG ent­schie­den.

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